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Ein vornehmer Herr kommt aus der Fremde, muß sich aber vor der Eva ducken; ich will auch ins himmlische Jerusalem wandern, bekomme aber das Reisen bald satt und muß dafür zur Schule gehen.
Wie die Großmutter aus der Mühlgasse in den Himmel gewandert war, blieben noch drei Mädchen zurück, und die führten nun das Hauswesen in Freude und Leid weiter, so gut es gehen mochte.
Das Nanne betraute Küche, Stall und Feld, die stumme Senza drehte Webezettel, Vergl. »Aus der Mappe eines Volksfreundes«, 3. Auflage, S. 16 ff. die Eva haspelte im Sälchen zu Klarenbrunn und verwaltete die eingelaufenen Gelder und alle drei tummelten sich früh und spat, sparten sich den Bissen vom Mund ab und bezahlten den Todesfall und was von den Amerikanern her noch in des Kaufmanns Büchern stand.
Und vermochten sie auch nicht viel zurückzulegen, etwas war es immerhin, regnete es nicht, so tröpfelte es doch und so wurde die Schuld immer magerer und lebensmüder und schließlich machte der Kaufmann über die verstorbene ein großes Kreuz und sagte zur Eva:
»Ihr seid brave, tolle Mädchen alle drei, und wenn ihr wieder etwas braucht, so kommt nur; meine Geldkiste soll euch nicht verschlossen sein, so lange ein Heller drin ist!«
Solch Vertrauen tat den Mädchen in der Seele wohl und sie nahmen sich fest vor, dasselbe auch in Zukunft vor allem dadurch zu verdienen, daß sie es nur in der größten Not beanspruchen wollten; denn die Eva, welche gerne mit einem Gesätzlein zur Hand war, meinte:
»Borgen können,
Ist Glück zu nennen;
Borgen müssen,
Tut bald verdrießen!«
Es hätten aber die drei Schwestern bald den Tag vor dem Abend gelobt und das ging so zu.
Kam da eines Tages ein sehr vornehmer Herr ins Haus und sagte:
»So, jetzt grüß' Gott, jetzt da wär' ich wieder und jetzt füllt mir ein Ei ins Schmalz und stellt mir einen Schoppen Wein dazu; denn das bin ich gewöhnt und muß es haben!«
Der vornehme Herr hatte eine blaue Kappe auf dem Kopfe und einen blauen Rock am Leibe mit goldigen Knöpfen und unter der Nase einen schön- gespitzten Schnauzbart, und als wir Kinder schüchtern dastanden und zu dem fremden Manne hinauf lugten, sagte die Eva:
»Das ist euer Vetter Ludwig, der zwölf Jahre bei den Kaiserjägern ist g'wesen im Welschland drin, und jetzt bleibt er wieder bei uns und hilft uns hausen. Gebt ihm das schöne Händlein und sagt: Grüß Gott, Vetter Ludwig!«
Also gaben wir ihm das schöne Händlein und sagten: »Grüß Gott, Vetter Ludwig!«
Der aus Welschland gekommene Vetter wollte aber zunächst von Mithausen nicht viel hören. Er meinte wohl, da er dem Herrn Kaiser zwölf Jahre lang in Hitze und Kälte, Hunger und Durst, bei Tag und bei Nacht, redlich und getreu gedient hätte, müsse er nun ein wenig ausruhen und im Städtlein herumzeigen, wie sich ein ausgedienter Soldat mit zwei Sternen zu benehmen wisse.
So löffelte er denn beim Mittagessen wacker mit und trank abermals einen Schoppen dazu vom Haushaltungsgeldlein; wie aber der Ribel und die gestockte Milch vom Boden der Schüsseln verschwunden waren, verlangte er für ein andermal Fleisch – das sei er gewöhnt und müsse es haben.
Da machte die Eva über solch' teuere Angewöhnung ein ziemlich langes Gesicht; denn sie wußte nur zu gut, wie viel oder eigentlich wie wenig es leiden mochte, wollte man, ohne neuerlich Schulden zu machen, das Auskommen finden.
Doch versprach sie, am Sonntag einmal in die Metzg hineinzuschauen.
Nach dem Tischgebete sagte der Vetter zu mir:
»Büble, laß dir von der Eva ein Zehnerle geben und hol' mir eine Zitrone, daß ich mir eine Limonade mache; denn das bin ich gewöhnt und muß es haben.«
Also gab mir die Eva, weil es der erste Tag war, seufzend ein Zehnerle; ich brachte die bei uns so teuere, in Welschland so billige Frucht und schaute verwundert zu, wie der Vetter das seltsame Getränke bereitete. Für den Botengang durfte ich das Glas ausschlecken und fühlte mich hinreichend belohnt.
Hierauf legte sich der vornehme Herr, während alles zur Arbeit eilte, auf die lange Bank und schnarchte etliche Stunden. Dann zog er eine langstielige Pfeife aus seinem Holzkofferlein, forderte vom Nanne Tabakgeld und einen Schwarzen und ging dann, schwere Wolken vor sich herblasend, unter den Laubengängen der Mühlgasse gemessenen Schrittes auf und ab – eins – zwei – eins – zwei. Er schäkerte mit den Mädchen und rief dem Schlosser und dem Zuckerbäcker in die Werkstätte hinein:
»Bona sera, Signore!«
Also konnte er sogar Welsch!
Das trieb er etliche Tage, stand auf, wenn sich die Sonne bereits über die höchsten Berge, über den Zwölferkopf und die Davenna, emporgeschwungen hatte, exerzierte mit seiner Pfeife im Städtlein herum, forderte alle Augenblicke Geld und dachte lieber ans Vertun als ans Hausen. Ja, wenn ihm das Nanne auf Anstiften der Eva im Hofe eine Holzbeige noch so verlockend vor die Füße schichtete und Säge, Axt und Anhau dazustellte, so stolperte er über alle die schönen Vorrichtungen verständnislos hinaus und fand den goldenen Hirschen, wo der ewige Jude um den Tisch herumgegangen ist. Vergl. »Alraunwurzeln«, 4. Aufl., S. 32.
Acht Tage lang ließ sich's die Eva gefallen und hoffte allweil, der vornehme Herr Bruder werde von selber darauf kommen, daß man einen Wagen unmöglich den steilen Berg hinanbringen könne, wenn drei magere, schwache Geißen aufwärts zögen, ein muskelstarkes Roß aber abwärts. Da er aber auch am neunten Tage nicht daraufkommen wollte, überreichte sie ihm in Gegenwart der Schwestern feierlich den leeren Geldbeutel und sagte:
»Öha, Karren! Jetzt kannst du einmal Fuhrmann sein und das Geldlein verwalten, kannst steuern und zinsen, beschuhen und kleiden und jeden Tag, den Gott gibt, viermal vier Mäuler stopfen. Kannst Wunder wirken und bringst mittags ein saftiges Brätlein auf den Tisch und abends eine Bratwurst und für alle ein gutes Tröpflein – uns ist's recht und lieb und 's Faulenzen sei dir auch weiters vergunnt. Aber – Schuldenmachen gilt nicht, Bub, das merk' dir, und wir leiden's alle drei nicht, daß du ein Kartenhaus umwirfst, das wir mit Müh' und Not gebaut haben! Willst aber wacker mittun und verdienen, so habe ich dir schon einen guten Platz gefunden in der Papierfabrik, wo selbst aus den Lumpen etwas Ordentliches wird, und dann mag für dich wohl auch ein Taschengeldlein abfallen für den Tabak und ein Krüglein am Sonntag, wenn's einmal gewöhnt bist und haben mußt. Jetzt frag' ich nur, willst – oder willst nicht?«
Da schaute der Vetter Ludwig dem leeren Geldbeutel wehmütig auf den Grund und kam darauf, daß es sich nicht verlohne, als müßiger Fuhrmann auf dem Wagen zu sitzen oder gar als muskelstarkes Roß bergab zu ziehen. Demnach schob er der Eva den Beutel zögernd über den Tisch hin wieder zu und ging vom selbigen Tag in die Papierfabrik, und wie er einmal die Arbeit geschmeckt hatte, machte sie ihm weit mehr Freude als das vornehme Herumlungern und ist er ein fleißiger, sparsamer Mann geworden trotz einem.
Wie oft aber im Kreise der Geschwister des seligen Großmütterchens gedacht wurde, das nun überall fehlte, das weiß nur die Liebe!
Auch wir Kinder fanden des Fragens kein Ende, wo die Ahne sei und was sie tue und was sie für Kleider anhabe, und also malte uns die Base Eva, wenn wir mit ihr am frischen Grabhügel standen, die Seligkeit des Himmels, unserer Fassungskraft entsprechend, mit so lebhaften Farben aus, daß mich eine gewaltige Sehnsucht ergriff, auch ins himmlische Jerusalem zu pilgern, mit der Großmutter aus goldenen Tellern zu essen und den lieben Gott auf goldenem Throne sitzen zu sehen.
Ein Besuch, den wir an einem Sonntage der Weberburga in einem benachbarten Dorfe machten, ließ mein Vorhaben zum festen Entschlusse reifen.
Die Weberburga war ein steinaltes, frommes Walserweiblein, das in einem Webekeller für die Fabrikanten arbeitete und die wenigen freien Stunden zwischen gottesdienstlichen Übungen und künstlerischen Bestrebungen teilte.
Als Künstlerin verstand sich die alte Burga auf das Bemalen von Heiligenbildern und die übersatten Farbenkleckse kamen uns Kindern damals unsäglich schön vor.
Ihre Hauptstärke aber war das Verfertigen von Weihnachtskrippelein. Das Jesukindlein goß sie selber aus geschmolzenem Wachse, färbte die Wänglein mit Karmin, zog ihm ein Kleidlein aus Tüllschnitzeln an, legte es in eine Krippe aus knisterndem Flittergold und vervielfältigte es durch gebrochene Spiegel im Hintergrunde eines mit Papierstreifen zusammengeklebten Glaskästleins.
Diese Weberburga hatte an einer Wand ihres Kellers einen großen, rohen Holzschnitt; er stellte die zwei Lebenswege des Menschen dar.
Eine verschnörkelte Triumphpforte an der linken Fußseite des Bildes bedeutete den Eingang ins Leben.
Von diesem Tore aus führte eine gar breite, glatte Straße durch liebliche Gelände und zwischen schattigen Bäumen völlig eben dahin, und auf ihr zu wandeln, war eitel Lust und Wonne. Deshalb war sie auch gar sehr belebt von Männlein und Weiblein jeglichen Standes und Alters. Prächtige Kutschen voll Reifrockfrauen und Zopfherren rollten, von feurigen Rossen gezogen, pfeilschnell dahin, Musikbanden marschierten mit wallenden Fahnen hinterher, betrunkene Handwerksburschen oder Soldaten schwenkten Hüte und Mützen, kecke Buben kletterten auf die Bäume und pflückten Würste oder Gutelein, die dort in erstaunlicher Menge wuchsen. Auf den beschatteten Bänken saßen kosende Liebespaare, die Fenster der Wirtshäuser waren mit Köpfen wie bespickt und an den Schanktischen der Gärten wimmelte es wie in einem Ameisenhaufen.
Das wäre nun alles recht schön gewesen und hätte mir weiters nicht übel gefallen – vorab das Baumkraxeln; aber auf einmal stürzte der Weg steil ab und Pferde, Wagen, Herren, Frauen, Musikanten und Soldaten und alle, so da gewandelt waren auf dem Wege des Verderbens, purzelten kopfüber und wirr durcheinander in den Abgrund und wurden vom gräulichen Höllendrachen verschlungen, der in der rechten Fußecke seine funkensprühenden Telleraugen rollen ließ und seinen Feuerrachen wie ein Scheunentor aufsperrte.
Da war mir alle Süßigkeit der Erdenfreuden vergällt und ich folgte mit suchenden Augen dem Zeigefinger der Weberburga, der mir vom Tore des Lebens aus den Weg des Heiles wies.
Der war gar schmal und steinig und Disteln und Dornen wucherten auf ihm in üppiger Fülle und stachen die seltenen Pilger, welche unter schweren Kreuzen dicke Schweißtropfen vergossen, in die nackten Füße.
Es führte aber der Fußweg an Kirchen und Kapellen, am Hause des Leidens, der Verfolgung, der Barmherzigkeit vorbei in vielen Windungen und Krümmungen gegen die rechte Kopfecke den felsenreichen, schattenlosen Berg hinan und auf dem Berge stand mit ungezählten Zinnen und Türmchen das himmlische Jerusalem und auf der niedergelassenen Zugbrücke der liebe Heiland selber.
Er nahm eben ein altes Weiblein, das vor ihm kniete, bei der Hand und wies es gegen die offene Himmelspforte, aus der ein überirdischer Glanz hervorbrach.
Das Weiblein sei eben meine Großmutter, sagte die Weberburga und die Eva, mein Evangelium, bestätigte es mit ernstem Kopfnicken.
Dieses Bild machte auf mich einen gewaltigen Eindruck. Ich hatte gesehen, daß der Weg zur Großmutter durch Disteln und Dornen führte und also möchte ich wohl auch hinaufgelangen.
Der Marktplatz vor unserem Schneckenhause war dazu wie geschaffen; denn auf ihm machte sich das Geschlecht der Disteln sehr breit und verfilzte sich ineinander zu einem wahrhaft dornenvollen Wege. Ich beredete deshalb bald nach unserm Besuche beim alten Walserweiblein die Kinder des Hafnermeisters, meine täglichen Spielgenossen, mit mir der sündigen Welt den Rücken zu kehren und die Reise ins Jenseits anzutreten.
Also zogen wir Schuhe und Strümpfe aus, beteten ein andächtiges Vaterunser und sprangen, den Schmerz verbeißend, todesmutig mitten in das dichteste Dorngestrüppe und wateten, bald in Tränen ausbrechend, immer langsamer vorwärts, bis unsere Füßchen, wie von unzähligen Nadeln gespickt, den guten Igeln gleichsahen und wir, laut aufschreiend, der Länge nach hinfielen.
Unter schmerzlichem Gestöhne zogen wir die bösen Dinge aus und salbten die angeschwollenen und geröteten Füße mit unserem Speichel; dann krochen wir, jede Blöße des Bodens sorgsam erspähend, auf allen Vieren aus dem Dornengewirre, humpelten zum Bächlein und ließen die kranken Füße ins eiskalte Wasser hinabbaumeln.
Also wieder eine Enttäuschung!
Wie die Eltern die Geschichte erfuhren, meinten sie unter Kopfschütteln, jetzt sei es höchste Zeit, daß ich zur Schule ginge, sonst sei ich noch imstande, mich in meiner gutmütigen Dummheit selber umzubringen.
So wurde ein ABC-Täfelchen angeschafft, und wie ich das einmal hatte, wartete ich es nicht mehr ab, bis der Vater Zeit fand, mich regelrecht einschreiben zu lassen, sondern ich ging eines schönen Tages mit meiner Pappendeckelweisheit durch, spazierte die Mühlgasse hinauf und am Brunnen des heiligen Johannes vorbei kecklich ins große, alte Schulhaus. Und wo ich den ersten Lärm hörte, da langte ich, mich dehnend, nach der Klinke und stand auf einmal in der höchsten und letzten Klasse, wo der Herr Oberlehrer mit einem guten Spanier seines Amtes waltete.
Das gab denn ein ohrenbetäubendes, höhnisches Auflachen unter den großen Jungen; der Oberlehrer aber nahm den verirrten Wanderer freundlich bei der Hand und führte ihn über einen Gang in die Klasse der Anfänger, zum »Gitzelehrer«, der die Gitzelein oder Zicklein mit dem A und O aller Weisheit vertraut machte und davon auch den Namen trug.
Dort verblieb ich die nächsten zwei Jahre und buchstabierte mit den anderen Gitzelein darauf los, daß die Fenster klirrten und die am Schulhause Vorübergehenden sich die Ohren verhielten.