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Einige Wochen waren vergangen, ohne daß die Ankunft des jungen Gutsherrn irgend etwas Nennenswertes in Wilicza geändert hätte. Man merkte seine Anwesenheit kaum, denn er war, wie die Fürstin richtig vorausgesehen, nur selten im Schlosse zu finden und streifte statt dessen tagelang in den Wäldern und überhaupt in der Umgegend umher. Die alte Jagdleidenschaft schien ihn mit voller Macht wieder ergriffen zu haben und alles andre in den Hintergrund zu drängen. Nicht einmal bei Tische erschien er regelmäßig. Seine Streifereien führten ihn gewöhnlich so weit, daß er genötigt war, auf irgend einer Försterei oder einem Pachthofe einzusprechen, und dies geschah in der That sehr häufig. Kam er dann spät und ermüdet nach Hause, so brachte er die Abende meist auf seinen Zimmern mit dem Doktor Fabian zu und erschien nur, wenn er mußte, in den Salons seiner Mutter.
Leo hatte es schon nach den ersten Tagen aufgegeben, den Bruder zu begleiten, denn es ergab sich in der That, daß sie beide die Jagd auf sehr verschiedene Weise trieben. Der junge Fürst zeigte sich auch hier, wie in allen andern Dingen, feurig, verwegen, aber keineswegs ausdauernd; er schoß, was ihm gerade vor den Lauf kam, scheute im Nachsetzen kein Hindernis und fand ein entschiedenes Vergnügen daran, wenn die Jagd eine gefährliche Wendung nahm; Waldemar dagegen ging mit zäher, unermüdlicher Ausdauer dem Wilde oft tagelang nach, das er sich gerade ausersehen hatte, ohne sich um Essens- oder Schlafenszeit zu kümmern, und legte sich dabei Strapazen auf, denen eben nur sein eiserner Körper gewachsen war. Leo fing bald an, das ermüdend, langweilig und im höchsten Grade unbequem zu finden, und als er vollends die Entdeckung machte, daß sein Bruder das Alleinsein vorzog, überließ er ihn mit Vergnügen sich selber.
Auf diese Art konnte von einem eigentlichen Zusammenleben mit der Mutter und dem Bruder gar keine Rede sein, obgleich man sich täglich sah und sprach. Die starre Unzugänglichkeit Waldemars war dieselbe geblieben, und seine Verschlossenheit im engeren Verkehr hatte eher zu- als abgenommen. Weder die Fürstin noch Leo waren ihm nach wochenlangem Zusammensein auch nur einen Schritt näher gekommen als am Tage seiner Ankunft, doch dessen bedurfte es auch nicht. Man war zufrieden, daß der junge Gutsherr so vollständig den gehegten Voraussetzungen entsprach und in gesellschaftlicher Hinsicht sogar eine Fügsamkeit bewies, die man gar nicht erwartete. So hatte er sich zum Beispiel nicht geweigert, den Gegenbesuch in Rakowicz zumachen, und der Verkehr zwischen den beiden Schlössern war lebhafter als je; Graf Morynski kam mit seiner Tochter sehr oft nach Wilicza, wenn sie den Herrn desselben auch meistenteils nicht antrafen. Das einzige, was der Fürstin bisweilen Aerger verursachte, war das Verhältnis zwischen ihrem ältesten Sohne und Wanda, das sich durchaus nicht ändern wollte; es blieb kalt, gezwungen, sogar feindselig. Die Mutter hatte es einigemal versucht, vermittelnd einzutreten, aber ohne jeden Erfolg; sie gab es schließlich auf, die beiden »Trotzköpfe« von ihrem Eigensinn abzubringen. Die ganze Sache war ja überhaupt nur insofern von Wichtigkeit, als sie nicht etwa den Anlaß zu einem Bruch geben durfte, und das geschah durchaus nicht. Waldemar zeigte dem Grafen gegenüber so viel Verbindlichkeit, wie sein unverbindliches Wesen nur irgend zuließ, und that im übrigen seinen sämtlichen Verwandten den Gefallen, sich ihnen so viel wie möglich zu entziehen.