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Eugenie hatte rasch den Saal und die beiden vorderen Gemächer durchschritten, als sie plötzlich inne hielt; denn aus dem nebenan liegenden Arbeitszimmer Arthurs tönten ihr Stimmen entgegen. Die junge Frau hatte so sicher darauf gerechnet, ihren Gatten allein zu finden; unerwartet und unangemeldet hatte sie zu ihm eintreten wollen, und nun traf sie ihn in Gesellschaft eines andern. Nur nicht dieses Wiedersehen in Gegenwart Fremder! Eugenie zögerte unentschlossen, ob sie umkehren oder bleiben solle. Endlich trat sie lautlos zurück hinter die Portiere, deren Falten sie zum größten Teil verbargen.
»Es ist unmöglich, Herr Berkow!« sagte die klare, scharfe Stimme des Oberingenieurs. »Wenn Sie noch länger die Schonung walten lassen, so wendet es sich gegen die, die da anfangen, zur Ordnung zurückzukehren. Sie haben diesmal noch das Feld geräumt, weil sie die Schwächeren waren, aber die Szenen werden sich schlimmer, blutiger wiederholen als heute morgen, wo es mit einem bloßen Handgemenge abging. Hartmann hat gezeigt, daß er die eigenen Kameraden nicht schont, wenn sie sich gegen seine Tyrannei auflehnen. Er läßt Freund und Feind bluten, sobald es sich um sein starres Prinzip handelt.«
Die offene Thür ließ Eugenie den Einblick in das Zimmer frei. Arthur stand ihr gerade gegenüber am offenen Fenster, und das volle Licht fiel auf sein Antlitz, das um so vieles düsterer geworden war, seit sie es nicht gesehen. Der Schatten der Sorge, der freilich damals schon auf der Stirn lag, die noch so wenig gewohnt war, ihn zu tragen, hatte sich jetzt in zwei tiefen Falten dort eingegraben, die vielleicht nichts mehr verwischen konnte. Jede einzelne Linie des Gesichts war schärfer, strenger geworden; der Zug von Energie, der damals erst aufdämmerte und nur in der Erregung zur vollsten Geltung kam, herrschte jetzt auch in der Ruhe unbedingt vor und hatte den ehemaligen träumenden Ausdruck völlig zurückgedrängt; auch die Haltung und Stimme verriet eine gleiche Festigkeit und Bestimmtheit – man sah es, der junge Chef hatte in wenigen Wochen das gelernt, wozu andre Jahre brauchen.
»Ich bin gewiß der letzte, der einer fremden Hilfe das Wort redet,« fuhr der Oberingenieur fort, »aber ich dächte, wir alle, unser Chef voran, hätten nun genug gethan, sie abzuhalten. Man kann und wird uns wahrhaftig keinen Vorwurf machen, wenn wir endlich auch zu dem greifen, was die Nachbarwerke längst gethan haben, und zwar ohne solche dringende Notwendigkeit wie die unsrige.«
Arthur schüttelte düster das Haupt. »Die andern Werke können für uns keinen Maßstab geben; dort ist es mit einigen Verhaftungen und Verwundungen abgegangen, dort genügten fünfzig Mann und ein paar Schüsse in die Luft, um die ganze Empörung zu unterdrücken. Hier steht Hartmann an der Spitze, und wir wissen alle, was das heißen will. Der weicht selbst einem Bajonettangriff nicht, und mit ihm steht und fällt auch sein ganzer Anhang. Sie würden das Aeußerste herausfordern – bei uns geht der Friede nur über Leichen.«
Der Beamte schwieg, aber sein bedeutsames Achselzucken zeigte, daß er die Befürchtung seines Chefs teilte.
»Wenn aber der Friede nicht anders zu erreichen ist –« begann er wieder.
»Wenn er zu erreichen ist! Er ist es aber nicht, und die Opfer fallen umsonst. Ich zwinge die Empörung für den Augenblick nieder, damit sie sich im nächsten Jahr, in den nächsten Monaten vielleicht schon von neuem erhebt, und Sie wissen so gut wie ich, daß mir das die letzte Möglichkeit nimmt, die Werke zu behaupten. Anderswo geben sich doch wenigstens noch Regungen der Gerechtigkeit, des Vertrauens kund, anderswo fangen die Leute doch endlich an, zur Besinnung zurückzukehren – bei uns ist das nicht zu hoffen; das jahrelang gesäte Mißtrauen läßt sich nicht überwinden, Haß und Feindschaft war die Parole, die gegen mich ausgegeben wurde, als ich hier eintrat; sie ist es noch heute, und wenn ich nun noch das Blut zwischen sie und mich stelle, dann ist es vollends aus. Hartmann freilich darf es wagen, die Seinen im offenen Kampfe zum Gehorsam zu treiben, ihnen gewaltsam, vielleicht blutig seinen Willen aufzuzwingen; er bleibt ihnen doch der Messias, von dem sie allein ihr Heil erwarten. Wenn ich nur einen Schuß thun lasse, wenn ich mich nur zur eigenen Notwehr bewaffne, so bin ich der Tyrann, der sie kaltblütig morden läßt, der Unterdrücker, der seine Freude hat an ihrem Verderben. Der alte Schichtmeister hat es mir damals nicht umsonst gesagt: ›Wenn es einmal bei uns losbricht, dann gnade uns Gott!‹«
Es lag keine Klage, nicht einmal eine Mutlosigkeit in diesen Worten, nur die tiefe Bitterkeit eines Mannes, der sich endlich doch an den Rand des Abgrundes gerissen sieht, dem fern zu bleiben er vergebens alle Kräfte aufgeboten. Vielleicht hätte der junge Chef auch zu keinem andern so gesprochen, aber der Oberingenieur war der einzige, der ihm in der letzten Zeit nähergetreten war, weil er bei allen Gefahren und Maßregeln fest und unverrückbar an seiner Seite gestanden; er war auch der einzige, der bisweilen etwas andres aus seinem Munde hörte, als die Befehle und Ermutigungen, die er allein für die übrigen Beamten hatte.
»Ein Teil der Leute hat aber doch bereits die Arbeit wieder aufnehmen wollen,« meinte er. »Und gerade das wird mich zwingen, den übrigen den Krieg zu erklären! Mit Hartmann ist keine Versöhnung zu hoffen – ich habe es vergebens noch einmal versucht!«
»Mit wem? Was haben Sie versucht, Herr Berkow?« fragte der Beamte mit einem solchen Ausdruck des Erschreckens, daß der junge Chef ihn befremdet ansah.
»Eine Verständigung mit Hartmann. Es geschah allerdings nicht offiziell. Das hätte man als Schwäche auslegen können; es war bei einer zufälligen Begegnung zwischen uns beiden allein, wo ich ihm noch einmal die Hand bot.«
»Das durften Sie nicht!« fiel jener leidenschaftlich ein. »Ihre Hand diesem Manne! Mein Gott – freilich, Sie wissen ja noch nichts.«
»Ich durfte nicht?« wiederholte Arthur etwas scharf. »Wie meinen Sie das, Herr Oberingenieur? Seien Sie überzeugt, daß ich meine Stellung hinreichend zu wahren weiß, selbst bei solchen Gelegenheiten.«
Der Beamte hatte sich bereits wieder gefaßt. »Verzeihen Sie, Herr Berkow! Der Ausdruck sollte keine Maßregel meines Chefs kritisieren; es galt einzig dem Sohne, der freilich keine Ahnung hat von den Gerüchten, die sich an die Todesstunde seines Vaters knüpfen. Wir hatten einander das Wort gegeben, darüber gegen Sie zu schweigen; es geschah in der besten Absicht. Jetzt aber sehe ich doch ein, daß wir unrecht thaten, daß Sie es wissen müssen. Sie wollten dem Hartmann Ihre Hand bieten, und das, ich wiederhole es, durfte nicht sein.«
Arthur sah ihn starr an. Sein Gesicht war auf einmal farblos geworden, und die Lippen bebten.
»Sie sprechen von Hartmann und von der Todesstunde meines Vaters! Es gibt also einen Zusammenhang zwischen beiden?«
»Ich fürchte es; wir fürchten es alle. Der allgemeine Verdacht klagt den Steiger an und nicht bei uns allein, auch bei seinen Kameraden.«
»Damals im Fahrschacht?« stieß Arthur in furchtbarer Bewegung hervor. »Ein meuchlerischer Ueberfall gegen einen Wehrlosen? Das glaube ich von Hartmann nicht!«
»Er haßte den Verstorbenen,« sagte der Oberingenieur bedeutsam, »und er hat diesen Haß nie geleugnet. Herr Berkow mag ihn durch ein Wort, durch einen Befehl gereizt haben. Ob die Seile wirklich durch bloßen Zufall gerissen sind und er die Gefahr benutzte, um sich zu retten und den andern in die Tiefe zu schleudern, ob das Ganze ein vorbedachter Plan war, darüber freilich liegt ein rätselhaftes Dunkel, aber schuldlos ist er nicht, dafür möchte ich bürgen.«
Man sah es dem jungen Chef an, wie diese Enthüllung ihn erregte; er stützte sich schwer auf den Tisch. »Die Untersuchung hat ein Unglück ergeben,« entgegnete er mit schwankender Stimme.
»Die Untersuchung ergab nichts! Deshalb nahm man ein Unglück an und ließ es als ein solches gelten. Eine laute Anklage wagte niemand; es fehlte jeder Beweis, und es hätte zu unabsehbaren Konflikten mit unsern Leuten geführt, hätte man den Verdacht benutzt, um ihnen den Führer zu nehmen, der aller Wahrscheinlichkeit nach doch frei ausgegangen wäre. Wir wußten, Herr Berkow, daß, wie die Verhältnisse nun einmal lagen, Sie den Kampf mit diesem Gegner nicht vermeiden konnten; wir wollten Ihnen wenigstens die Bitterkeit ersparen, zu wissen, mit wem Sie kämpften. Das war der Grund unsres Schweigens.«
Arthur fuhr sich mit der Hand über die feuchte Stirn. »Das ahnte ich nicht! Das nicht! Und wenn es auch nur ein Verdacht ist – Sie haben recht, dem Manne durfte ich meine Hand nicht bieten.«
»Und dieser Mann,« fiel der Beamte energisch ein, »hat an der Spitze seiner Kameraden das ganze Unglück über Sie und uns gebracht; dieser Mann hat den Streit endlos geschürt und verlängert und versucht es jetzt, wo seine Macht im Sinken ist, den Riß unheilbar, die Versöhnung unmöglich zu machen. Können und wollen Sie ihn jetzt noch schonen?«
»Ihn? Nein! Mit ihm war ich bereits zu Ende, als er mein Entgegenkommen so schroff zurückwies, aber auch die andern kann ich nicht mehr schonen nach den heutigen Szenen, sie treiben mich zum Aeußersten. Die Zweihundert von heute morgen wollten arbeiten und sie haben am Ende das Recht, Schutz für ihre Arbeit zu verlangen. Die Schachte müssen gesichert werden um jeden Preis; ich allein kann es nicht mehr, also –«
»Also – wir erwarten Ihre Befehle, Herr Berkow.«
Es trat eine sekundenlange Pause ein, aber der sichtbare Kampf in Arthurs Zügen wich allmählich dem Ausdruck einer finsteren Entschlossenheit. »Ich werde nach M. schreiben! Der Brief soll noch heute dorthin – es muß sein!«
»Endlich!« sagte der Oberingenieur halblaut und wie mit halbem Vorwurf. »Es war auch hohe Zeit.«
Arthur wandte sich zu seinem Schreibtische. »Gehen Sie jetzt und sorgen Sie dafür, daß der Direktor und die übrigen Herren auf den Posten bleiben, die ich ihnen angewiesen habe, als ich vorhin auf den Werken war. Sie sollen sich nicht rühren, bis ich selbst komme. Heute morgen wäre es nutzlos gewesen, in das Toben dort einzugreifen; vielleicht ist das jetzt möglich. In einer halben Stunde bin ich bei ihnen. Fällt inzwischen etwas Besonderes vor, so senden Sie mir sofort Nachricht herüber!«
Der Beamte, im Begriff sich zu entfernen, trat noch einmal an die Seite seines Chefs. »Ich weiß, was der Entschluß Sie kostet, Herr Berkow,« sagte er ernst, »und leicht nimmt keiner von uns die Sache, aber man braucht doch nicht immer das Aergste zu fürchten. Vielleicht geht es dennoch ab ohne Blutvergießen.«
Der Oberingenieur war, als er mit kurzem Gruße das Zimmer verließ, viel zu eilig und hatte den Kopf zu voll von andern Dingen, als daß er die junge Frau hätte bemerken sollen, die sich bei seinem Nahen noch tiefer in den Schutz der Portiere flüchtete. Ohne auch nur einen Blick seitwärts zu werfen, durchschritt er das anstoßende Gemach und schloß die Thür hinter sich. Die beiden Gatten waren allein.
Arthur hatte nur ein bitteres Lächeln gehabt für die letzten Worte seines Beamten. »Es ist zu spät!« sagte er jetzt dumpf vor sich hin. »Sie werden nicht weichen ohne Blut – ich werde ernten müssen, was mein Vater gesäet hat!«
Er warf sich in den Sessel und stützte den Kopf in die Hand. Jetzt, wo er nicht mehr den fremden Augen Rede zu stehen, wo er nicht mehr den Chef zu vertreten hatte, von dessen Entschlossenheit die aller übrigen abhing, jetzt wich die Energie aus seinen Zügen, um dem Ausdruck jener tödlichen Erschöpfung Platz zu machen, der auch der Stärkste unterliegt, wenn er wochenlang all seine Geistes- und Körperkräfte bis an die äußerste Grenze des Möglichen hin angespannt und überreizt hat. Es war ein Augenblick tiefer verzweifelter Mutlosigkeit, wie sie wohl einem Manne nahen konnte, der immer und immer wieder vergebens ankämpft gegen den Fluch einer Vergangenheit, gegen die er nichts verschuldet, als ein gleichgültiges Fernhalten von ihren Aufgaben, und deren verhängnisvolles Erbe doch mit seiner ganzen erdrückenden Last auf ihn allein fällt. Die schwere Anklage gegen den Vater, die sich unwillkürlich seinen Lippen entwand, verstummte zwar in dem gleichen Augenblick vor den furchtbaren Andeutungen, die er soeben über die Todesstunde seines Vaters erhalten hatte, und doch hatte der allein es verschuldet, wenn der Sohn jetzt nach all dem verzweifelten Ringen doch endlich der letzten schrecklichen Notwendigkeit gegenüberstand, wenn er, seinen Ruin vor Augen, verlassen von seinem Weibe, aufgegeben von all seinen ehemaligen Freunden, zum letzten Mittel griff, um sich und das, was er für den Augenblick noch sein nannte, vor einem Hasse zu sichern, der, jahrelang gesäet und genährt, ihm jetzt seine volle bittere Frucht zu kosten gab. Arthur schloß wie todmüde die Augen und lehnte den Kopf an die Lehne des Armsessels – er konnte nicht mehr.
Eugenie hatte leise ihr Versteck verlassen und war auf die Schwelle getreten. Vergessen war die vorhin überstandene Gefahr, vergessen die Anklage des Beamten, die sie eben noch mit solchem Entsetzen durchschauert, vergessen auch der, dem sie galt, und alles, was sich an ihn knüpfte; jetzt, wo sie ihrem Gatten nahte, sah und dachte sie nichts weiter, als nur ihn allein. Der Schleier, der so lang und dicht zwischen ihnen beiden gelegen, sollte jetzt endlich zerreißen. Es mußte klar werden, und doch bebte sie vor der Entscheidung, als solle ihr Todesurteil damit gesprochen werden. Wenn sie sich täuschte, wenn sie nicht so empfangen wurde, wie sie empfangen werden wollte und mußte nach diesem Opfer, das sie ihrem Stolze abgerungen – das Blut drängte mit stürmischer Gewalt zum Herzen der jungen Frau, und dieses Herz pochte in namenloser Angst – an der nächsten Minute hing für sie alles.
»Arthur!« sagte sie leise.
Arthur fuhr auf, als habe eine Geisterstimme sein Ohr berührt, und blickte um sich. Dort auf der Schwelle, wo sie ihm Lebewohl gesagt für immer, stand sein Weib und in dem Augenblick, wo er sie erkannte, schwand Besinnung und Ueberlegung. Er machte eine Bewegung, ihr entgegenzustürzen, und der Aufschrei des Glückes, der sich seinen Lippen entrang, das Aufleuchten seiner Augen verriet alles, was eine mondenlange Selbstbeherrschung ihr bis auf diese Stunde abgeleugnet.
»Eugenie!«
Die junge Frau atmete auf, als sei eine Bergeslast von ihrer Brust gesunken. Der Blick, der Ton, mit dem er ihren Namen rief, gaben ihr endlich die so lang bezweifelte Gewißheit, und wenn er auch mitten in seiner stürmischen Bewegung innehielt, wenn er wie zum Schutze gegen sich selbst die alte Maske wieder vorzunehmen strebte und den verräterischen Blick verschleierte, es war zu spät, sie hatte zu viel gesehen!
»Wo kommst du her?« fragte er endlich, sich mühsam fassend, »so plötzlich – so unerwartet – und wie gelangtest du ins Haus? Die Werke sind noch in vollem Aufruhr. Du kannst sie unmöglich berührt haben.«
Eugenie näherte sich langsam. »Ich bin erst vor wenigen Minuten angekommen. Den Zugang habe ich mir freilich erst erzwingen müssen; frage mich jetzt nicht wie – genug, daß ich ihn erzwang. Ich wollte zu dir, ehe die Gefahr dich erreichte.«
Arthur machte einen Versuch, sich abzuwenden. »Was soll das, Eugenie? Was willst du mit diesem Tone? Kurt wird dich geängstigt haben mit seinen Berichten, trotz meiner Bitte, trotz meines ausdrücklichen Verbotes, Ich will kein Opfer der Pflicht und der Großmut. Du weißt es.«
»Ja, ich weiß es!« entgegnete die junge Frau fest. »Du hast mich ja schon einmal damit von dir gewiesen. Du konntest es mir nicht verzeihen, daß ich dir einmal unrecht gethan, und der Rache dafür hättest du beinahe mich und dich geopfert. Arthur, wer war der Schroffste, der Härteste von uns beiden?«
»Es war keine Rache,« sagte er leise. »Ich gab dich frei – du hast es selbst gewollt.«
Eugenie stand jetzt dicht vor ihm; das Wort, das einst um keinen Preis der Welt seinen Weg über ihre Lippen gefunden hatte, es wurde ihr jetzt so leicht, seit sie sich geliebt wußte. Sie hob das dunkle, thränenfeuchte Auge zu ihm empor.
»Und wenn ich nun meinem Manne sage, daß ich die Freiheit nicht will ohne ihn, daß ich zurückgekommen bin, um alles mit ihm zu teilen, was uns auch treffen mag, daß ich ihn – lieben gelernt habe; wird er mich dann zum zweitenmal gehen heißen?«
Sie erhielt keine Antwort, wenigstens in Worten nicht, aber sie lag bereits in seinen Armen, und in diesen Armen, die sie so heiß und fest umschlossen, als wollten sie das endlich Errungene nie wieder von sich lassen, unter den leidenschaftlichen Liebkosungen, mit denen er sie überströmte, fühlte Eugenie, wie tief ihn einst ihr Verlust getroffen und was ihre Rückkehr ihm war in solchem Augenblick. Sie sah das Aufstrahlen der großen braunen Augen in einem Glanze, wie sie ihn trotz alles blitzähnlichen Leuchtens darin doch noch nie gesehen. Die gebannte, versunkene Welt war heraufgestiegen aus ihrer Tiefe zum hellsten Sonnenlicht, und die junge Frau mußte doch wohl eine Ahnung haben von all den Schätzen, die sie ihr verhieß, denn sie legte mit dem Ausdruck des hingebendsten Vertrauens ihr Haupt an die Brust des Gatten, als er sich zu ihr herabbeugend leise sagte:
»Mein Weib! Mein alles!«
Durch das offene Fenster wehte es herein wie ein Rauschen und Grüßen von den grünen Waldbergen drüben. Die Stimme mußte doch auch mitflüstern in dem neu erstandenen Glück; sie hatte es ja mit erbauen helfen. Sie hatte die beiden längst erkannt, als sie sich selbst noch nicht kannten, als sie noch im herben Trotz und Kampf gegeneinander standen und das Trennungswort aussprachen, gerade da, wo ihre Herzen sich fanden. Aber es nutzt nichts, dieses Kämpfen und Trotzen der Menschenkinder, wenn sie mit ihrem Lieben und Hassen in den Bann geraten, den der Berggeist über sein Reich legt im wallenden Nebel der ersten Frühlingsstunde – und was sich da findet, das gehört zusammen für immer! Der Tag, der für die Berkowsche Kolonie so stürmisch begonnen hatte, ging verhältnismäßig ruhiger zu Ende, als man es nach den Szenen vom Morgen hätte erwarten sollen. Ein mit den Verhältnissen Unbekannter hätte vielleicht die Ruhe, die gegen Abend über den Werken lag, für den tiefsten Frieden halten können, und doch war es nur die Ruhe des Sturmes, der einen Augenblick innehält, um dann mit erneuter Wut wieder loszubrechen.
Auch in der Wohnung des Schichtmeisters herrschte jene dumpfe, drückende Stille, die so viel Unheil in ihrem Schoße barg. Der Schichtmeister saß stumm in seinem Lehnstuhl am Ofen; Martha machte sich hie und da in der Stube zu schaffen und warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf Ulrich, der mit verschränkten Armen schweigend, aber unaufhörlich in dem kleinen Raume auf und nieder ging. Niemand sprach zu ihm und er zu niemand; das ehemalige Vertrautsein, das bei dem unbändigen Charakter des jungen Steigers zwar oft genug zu heftigen Szenen und Auftritten, aber ebenso oft auch wieder zur Versöhnung geführt hatte, war längst geschwunden. Ulrich herrschte jetzt im Hause so unbedingt, wie draußen bei seinen Kameraden; selbst der Vater wagte es nicht mehr, sich gegen seine Beschlüsse und Unternehmungen aufzulehnen; aber hier wie dort war es nur die Furcht noch, die ihm das erzwang; von Liebe und Vertrauen war nicht die Rede mehr.
Das Schweigen dauerte bereits eine geraume Zeit und hätte vielleicht noch länger gewährt, wäre nicht Lorenz eingetreten; Martha, die durch das Fenster ihn kommen sah, ging ihm entgegen und öffnete die Thür. Es war doch ein eigentümlich kaltes Verhältnis zwischen den Brautleuten; trotz des Ernstes dieser Tage, die wenig zu Zärtlichkeiten herausforderten, hätte der Gruß des Mädchens wärmer sein können, hätte vielleicht grade deswegen wärmer sein müssen, und der junge Bergmann schien das zu fühlen, denn seine Miene nahm den Ausdruck der Kränkung an, und er hielt mitten in seiner herzlichen Begrüßung inne, aber Martha bemerkte beides nicht einmal, und mit einer raschen Bewegung wandte er sich zu Ulrich. »Nun?« fragte dieser in seinem Gange innehaltend.
Lorenz zuckte die Achseln. »Wie ich's dir vorher gesagt habe! Morgen werden sich vierhundert zur Arbeit melden, ebenso viele zögern und schwanken noch. Du bist kaum mehr der Hälfte sicher.«
Diesmal fuhr Ulrich nicht auf, wie wohl sonst bei einer ähnlichen Gelegenheit; die wilde Gereiztheit, die er heute morgen gezeigt, wo es sich doch um einen verhältnismäßig viel geringeren Abfall seiner Kameraden gehandelt, stach seltsam ab gegen die fast unnatürliche Ruhe, mit der er jetzt wiederholte:
»Kaum mehr die Hälfte! Und wie lange wird die noch aushalten?«
Lorenz umging die Antwort. »Es ist die ganze jüngere Knappschaft! Die hat von Anfang an zu dir gestanden und die hält auch bei dir aus, selbst wenn es morgen wieder etwas an den Schachten geben sollte. Ulrich, willst du es denn wirklich dahin treiben?«
»Er wird es so lange treiben,« sagte der Schichtmeister aufstehend, »bis sie alle von ihm abfallen, einer nach dem andern, bis er zuletzt ganz allein bleibt. Ich hab's euch gesagt, ihr kommt nicht durch mit euren unsinnigen Forderungen und eurem unsinnigen Hasse, der bei dem Vater am Platze gewesen wäre, den aber der Sohn wahrhaftig nicht verdient hat. Es war genug, was er euch bot, das weiß ich, der ich doch am Ende auch in den Schachten gearbeitet habe, und auch ein Herz habe für meinesgleichen, und die meisten hätten es gern genommen, was ihnen geboten wurde, aber sie wurden ja niedergeschrieen und niedergedroht, bis sich keiner mehr zu rühren wagte, weil sich der Ulrich in den Kopf gesetzt hatte, Unmögliches zu verlangen. Jetzt ist's wochenlang gegangen, all das Elend, all die Sorge und die Not, und ist doch umsonst gewesen. Es kommt doch endlich auch einmal der Tag, wo Weib und Kinder mit ihrem Hunger allem vorangehen, und so weit sind wir jetzt. Du hast's dahin gebracht, Ulrich, du allein; jetzt mach auch ein Ende damit!«
Der alte Mann war aufgestanden und blickte seinen Sohn beinahe drohend an, aber Ulrich blieb selbst diesem Vorwurf gegenüber, der zu einer andern Zeit wohl seinen ganzen Trotz herausgefordert hätte, in seiner düsteren Gelassenheit.
»Mit dir ist nicht zu streiten, Vater,« entgegnete er kalt, »das weiß ich längst! Du bist zufrieden, wenn du dein hartes Brot in Ruhe essen kannst, und was darüber hinaus liegt, heißt dir Thorheit oder Verbrechen. Ich habe alles an alles gesetzt! Ich dachte es durchzuführen und hätte es auch gethan, wäre dieser Berkow nicht auf einmal aufgestanden und hätte uns eine Stirn gezeigt wie von Eisen. Wenn's jetzt mißglückt – nun, ich bin ja noch der Hälfte meiner Kameraden sicher, wie Karl sagt, und mit der werde ich es ihm zeigen, was es heißt, wenn wir unterliegen. Er soll den Sieg teuer genug bezahlen.«
Der Schichtmeister sah auf Lorenz, der mit gesenktem Kopfe dastand, ohne sich an dem Gespräche zu beteiligen, und dann wieder auf seinen Sohn.
»Sieh erst zu, ob die Hälfte dir treu bleibt, wenn der Herr wieder so dazwischen tritt, wie heut mittag! Das hat dir die andre Hälfte gekostet, Ulrich. Meinst du, es hat nicht gewirkt, wie er sich benahm, vom ersten Tage an, als ihr anfinget, ihm zu drohen? Meinst du, sie fühlten nicht alle, daß er dir und ihnen gewachsen ist und sie jetzt zur Not allein zügeln kann, wenn du einmal aufhörst, ihr Herr zu sein? Heut morgen haben die ersten die Arbeit wieder aufgenommen; schon vor drei Wochen hätten sie es gethan, wenn sie es nur gewagt hätten. Jetzt ist einmal der Anfang gemacht; jetzt ist auch kein Haltens mehr!«
»Du magst recht haben, Vater,« sagte Ulrich tonlos; »es ist kein Haltens mehr! Ich habe auf sie gebaut wie auf Felsen, und nun ist's elender Sand, der mir unter den Händen zerrinnt. Berkow hat es gelernt, wie er die Feiglinge an sich zieht, mit seinen Reden, mit seiner verdammten Manier, mitten unter sie zu treten, als ob es gar keine Steine gäbe, die ihm an die Stirn fliegen könnten, gar keine Schlegel, die zur Not auch einmal den hochgeehrten Herrn Chef treffen, und darum eben wagt sich keiner an ihn. Ich weiß es, warum er heut auf einmal den Kopf so hoch trug, warum er mitten in das Toben hineinfuhr mit einer Miene, als könnte ihm der Sieg und das Glück jetzt gar nicht mehr fehlen, und ich weiß auch, daß es ihm jetzt zurückkommt – habe ich's ihm doch selbst in die Arme geführt heut morgen!«
Die letzten Worte verhallten in dem Zuwerfen der Thür, die er inzwischen geöffnet hatte; es verstand sie keiner von den Anwesenden. Ulrich trat hinaus ins Freie und warf sich auf die Bank nieder; es war eine unnatürliche und unheimliche Ruhe, die heut auf seinem ganzen Wesen lag; sie erschien fast beängstigend bei einem Manne, der sonst immer gewohnt war, seiner wilden Leidenschaftlichkeit den Zügel schießen zu lassen. Ob der Abfall seiner Kameraden ihn so tief getroffen, ob es etwas andres war, was seit dem heutigen Morgen in ihm wühlte, die stolze Siegesgewißheit, die er noch in jenen Stunden gezeigt, schien jetzt gelähmt, wenn nicht gebrochen. An dem Gärtchen vorüber stoß der breite Bach, der weiter unten die Räderwerke trieb, die freilich jetzt stillstanden. Es war ein wildes, heimtückisches Gewässer, dieser Bach; er hatte nichts von dem murmelnden silberhellen Blinken seiner Genossen oben im Gebirge, und doch kam auch er aus der Tiefe der Berge, gerade dort, wo die Schachte lagen. Wie oft schon hatte er versucht, harmlos spielende Kinder in seinen Strudel zu ziehen und wenigstens zu schrecken und zu quälen, wo er nicht verletzen und töten durfte, um sich dafür zu rächen, daß man ihn dem Menschenwerke und Menschengetriebe dienstbar gemacht! Die trüben, reißenden Fluten erschienen so unheimlich, wie sie im letzten Abendschein dahinschossen, und noch unheimlicher klang ihr Rauschen. Es zischte und murmelte darin so höhnisch und schadenfroh, als hätten sie dort in der Tiefe dem Erdgeiste all die Tücken und Ränke abgelernt, mit denen er die Menschen umspann, die es immer wieder versuchten, ihm seine Schätze zu entreißen, mit denen er schon so manches junge warme Leben eingefordert und da unten begraben hatte in ewiger Nacht. Es war nichts Gutes, was in diesem Murmeln und Rauschen klang, und es war auch keine gute Stunde, in der es zu dem Ohre des jungen Bergmannes herausdrang, der unbeweglich hinabstarrte, als lausche er einer geheimnisvollen Stimme.
Eine ganze Weile mochte er so gesessen haben, als ein Schritt dicht hinter ihm ertönte, und gleich darauf stand Martha vor ihm.
»Was willst du?« fragte Ulrich, ohne den Blick von der Flut abzuwenden.
»Ich wollte sehen, wo du bliebest, Ulrich!« Es klang wie verhaltene Angst aus der Stimme des Mädchens; er zuckte die Achseln.
»Wo ich blieb? Dort drinnen ist dein Bräutigam; um den kannst du dich sorgen. Mich laß, wo ich bin!«
»Karl ist schon wieder fort!« sagte Martha hastig, »und er weiß am besten, daß ihm nichts zu nahe geschieht, wenn ich mit dir rede.«
Ulrich wandte sich um und sah sie an; es war, als wolle er sich losreißen von den Gedanken, die das Rauschen da unten in ihm aufweckte.
»Höre, Martha, was sich Karl von dir bieten läßt, das läßt sich so leicht kein andrer bieten. Ich litte es nicht, daß du mir so begegnetest. Du hättest nicht ›ja‹ sagen sollen, wenn du nun einmal kein Herz für ihn hast.«
Das junge Mädchen wandte sich mit einer trotzigen Bewegung ab. »Er weiß, daß ich keins für ihn habe; ich habe es ihm gesagt damals, als wir uns miteinander versprachen. Er bestand doch darauf; ich kann's nicht ändern, wenigstens jetzt noch nicht; vielleicht lerne ich's nach der Hochzeit.«
»Vielleicht!« sagte Ulrich mit einer Bitterkeit, die zu tief und schneidend war, um nur diesen Worten zu gelten. »Es lernt sich ja so manches nach der Hochzeit, bei andern wenigstens, warum nicht auch bei dir!«
Er schaute wieder hinab in das dunkle, reißende Wasser, als könne er sich nicht davon losreißen. Da unten klang und rauschte es wieder, als flüstere es ihm böse, böse Gedanken zu. Martha stand noch immer einige Schritt von ihm entfernt; die scheue Furcht, die seit dem »Schachtunglück« seine ganze Umgebung bannte, hielt auch sie gefesselt. Wochenlang hatte sie jedes Alleinsein, jede Annäherung vermieden; aber heute war die alte Neigung mächtig wieder aufgewacht und zog sie fast gewaltsam in seine Nähe; diese seltsame Ruhe täuschte sie nicht; sie ahnte, was sich dahinter barg.
»Du kannst den Abfall der Kameraden nicht verwinden?« fragte sie leise. »Noch steht die Hälfte ja zu dir, und Karl hält bei dir aus bis zur letzten Minute.«
Ulrich lächelte verächtlich. »Heute ist's noch die Hälfte; morgen wird's ein Vierteil sein, und übermorgen – laß gut sein, Martha! Und was den Lorenz betrifft, der ist von jeher nur mit halbem Herzen dabei gewesen. Er hat zu mir gestanden und nicht zu der Sache, weil ich sein Freund war, und mit der Freundschaft wird es auch bald zu Ende sein. Dazu hat er dich viel zu tief im Herzen, um mich jetzt noch ehrlich zu lieben.«
Das Mädchen machte eine heftige Bewegung. »Ulrich!«
»Nun, das kann dich doch nicht mehr kränken! Du hast ja nicht gewollt, als ich dich bat, meine Frau zu werden. Hättest du es gethan, es wäre vieles besser geworden.«
»Es wäre nicht besser geworden!« sagte Martha entschieden. »Ich bin nicht dazu gemacht, auszuhalten, was Karl Tag für Tag so geduldig trägt, und so wie zwischen ihm und mir wäre es auch zwischen uns beiden gegangen; nur wäre ich's da gewesen, die es tragen mußte. Ich hatte ja nicht einmal ein Stück von deinem Herzen; deine Liebe war ganz wo anders.«
Es lag ein bitterer Vorwurf in diesen Worten; aber selbst diese Hindeutung vermochte Ulrich heute nicht zu reizen. Er war aufgestanden und blickte nach dem dämmernden Parke hinüber, als suche er dort etwas zwischen den Bäumen.
»Du meinst, ich hätte das näher und besser haben können, wenn ich's nur gesucht hätte, und da hast du recht. Aber so etwas sucht man nicht, Martha; es packt einen plötzlich und läßt dann nicht wieder los, solange noch ein Atemzug in der Brust ist. Ich hab's erfahren! – Ich habe dir wehe gethan, Mädchen, wie wehe, das weiß ich erst jetzt; aber glaube mir, es ist kein Segen bei solch einer Liebe; man trägt oft schwerer daran als an dem bittersten Hasse!«
Sie klang seltsam, diese halbe Bitte um Verzeihung, in dem Munde Ulrich Hartmanns, der sonst wenig danach fragte, ob er jemanden wehe that oder nicht, und es war überhaupt etwas in den Worten, das seinem Charakter sonst unendlich fern lag, eine dumpfe Ergebung, ein Schmerz, der nichts Wildes und Leidenschaftliches mehr hatte, aber ebendeshalb um so erschütternder wirkte. Martha vergaß Scheu und Furcht; sie trat dicht an seine Seite.
»Was hast du, Ulrich? Du bist so seltsam heut, wie ich dich noch nie gesehen habe. Was fehlt dir?«
Er strich mit der Hand das blonde Haar von den Schläfen und stützte sich auf das Holzgitter.
»Ich weiß nicht! Es liegt etwas auf mir, schon den ganzen Tag lang, was ich nicht los werden kann, was mir alle Kraft nimmt. Ich brauche sie doch wahrhaftig zu morgen, aber sobald ich daran denken will, ist alles schwarz und finster, als gäbe es gar nichts mehr, was über dieses ›morgen‹ hinaus läge, als wäre mit diesem ›morgen‹ alles zu Ende, alles!« Ulrich fuhr plötzlich mit einem Anfluge seines alten Trotzes in die Höhe. »Alberne Gedanken! Ich glaube, das Wasser da unten hat es mir angethan mit seinem verwünschten Rauschen. Ich habe auch gerade Zeit, darauf zu hören.«
Er wollte gehen, das Mädchen hielt ihn angstvoll zurück. »Wohin willst du? Zu den Kameraden?«
»Nein, ich muß noch einen Gang allein thun. Leb wohl!«
»Ulrich, ich bitte dich, bleib!«
Die kurze Weichheit des jungen Bergmannes war schon wieder vorüber; er riß sich ungeduldig los.
»Laß mich! Ich habe nicht Zeit zum Reden – ein andermal!« Er stieß die Gartenthür auf und verschwand kurz darauf in der Dämmerung nach der Richtung des Parkes hin.
Martha stand mit gefalteten Händen da und sah ihm nach. Kränkung und bitterer Schmerz stritten sich in ihren Zügen, aber der Schmerz behielt doch die Oberhand. »Es ist kein Segen bei einer solchen Liebe!« die Worte hallten noch in ihrem Herzen wieder – sie fühlte, es war auch kein Segen bei der ihrigen. –
Inzwischen befand sich Eugen Berkow allein im Arbeitszimmer ihres Mannes. Es blieb den beiden Gatten nicht viel Zeit, sich dem neu errungenen Liebes- und Lebensglück hinzugeben. Schon zweimal hatte Arthur von ihrer Seite fortgemußt, heut mittag, wo er sich mitten in die Empörung geworfen und sie für den Augenblick auch bewältigt hatte, und jetzt wieder, wo eine Besprechung mit den Beamten ihn abrief. Aber trotz der Angst um ihn und trotz der Sorge um die noch so finster drohende Gegenwart strahlte das Antlitz der jungen Frau doch von dem Wiederschein eines tief innerlichen Glückes, das, nach so langen Kämpfen endlich errungen, vor keinen äußeren Stürmen mehr bebte. Sie war bei ihrem Manne, an seiner Seite, in seinem Schutze, und Arthur schien es nur zu gut zu verstehen, sein Weib alles andre vergessen zu machen außer diesem einen.
Da wurde eine Thür geöffnet und Schritte ertönten im Nebengemach. Eugenie erhob sich, um dem Kommenden entgegenzueilen, den sie natürlich für ihren Gatten hielt, aber ihr anfängliches Erstaunen beim Anblick der fremden Gestalt wich dem Schrecken, als sie in dem Eintretenden Ulrich Hartmann erkannte. Auch er stutzte und blieb betroffen stehen, als er sie gewahrte.
»Sie sind es, gnädige Frau? Ich suchte Herrn Berkow.«
»Er ist nicht hier. Ich erwarte ihn soeben,« entgegnete Eugenie rasch, aber mit bebender Stimme. Sie wußte, welch eine Gefahr dieser Mann für Arthur war, welche Rolle er hier auf den Werken spielte; dennoch hatte sie nicht gezögert, sich seinem Schutze anzuvertrauen, als ihr heut morgen keine andre Wahl blieb; aber zwischen diesem Morgen und dem Abend lag jene Stunde, in der sie Zeuge der Beschuldigungen geworden war, die der Oberingenieur ausgesprochen. Es war nur ein Verdacht; aber selbst der Verdacht eines feigen, hinterlistigen Meuchelmordes, an einem Wehrlosen begangen, ist etwas Furchtbares; es hatte die junge Frau im vollsten Entsetzen dabei durchschauert. Dem offenen rücksichtslosen Feinde ihres Gatten hatte sie sich noch anvertraut; aber sie bebte zurück vor der Hand, die vielleicht von dem Blute seines Vaters gerötet war.