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»Ich glaube, Herr Wilberg, es kommt von Ihrem ewigen Theewassertrinken,« meinte Ulrich mit einem halb mitleidigen Blicke auf den kleinen, schwächlichen Beamten. »Wenn Sie morgens und abends immer nur das dünne, heiße Zeug schlucken, kommen Sie nie zu Kräften.« Wilberg sah mit unendlicher Ueberlegenheit an seinem Ratgeber in die Höhe. »Das verstehen Sie nicht, Hartmann! Ich könnte unmöglich eine so derbe Kost wie Sie ertragen; meine Konstitution ist nicht danach, und überdies ist der Thee ein höchst ästhetisches Getränk. Er belebt mich; er regt mich an, wenn ich das gemeine Tagewerk hinter mir habe und abends in stillen Stunden die Muse sich mir naht –«

»Sie meinen, wenn Sie Verse machen?« unterbrach ihn Ulrich trocken. »Also dazu brauchen Sie den Thee? Nun, es wird auch danach!«

Es war ein Glück, daß dem schwer beleidigten Dichter in diesem Moment gerade ein Reim durch den Kopf ging, den er festzuhalten strebte; er überhörte auf diese Weise die Ungezogenheit seines Begleiters gänzlich und wandte sich in der nächsten Minute wieder ganz freundlich zu ihm.

»Ich habe eine Bitte an Sie, Hartmann, ein Verlangen, eine Forderung!« sagte er, sich im regelrechten Klimax steigernd, »die Sie mir gewähren müssen um jeden Preis. Sie sind im Besitze eines Gegenstandes, der für Sie völlig wertlos ist und der mich zum Glücklichsten der Sterblichen machen würde; Sie müssen ihn mir abtreten.«

»Was muß ich Ihnen abtreten?« fragte Ulrich, der wie gewöhnlich, wenn Wilberg sprach, nur halb hingehört hatte, mit gleichgültiger Miene.

Herr Wilberg errötete, seufzte, blickte zu Boden, seufzte zum zweitenmal und hielt es nach diesen Vorbereitungen für passend, mit der Sprache vorzugehen.

»Sie werden sich des Tages erinnern, an dem Sie die gnädige Frau retteten. Ach, Hartmann, es ist ewig schade, daß Sie so gar kein Verständnis für die Poesie dieser Situation haben; wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre! Doch lassen wir das! Die gnädige Frau bot Ihnen ihr eigenes Taschentuch an, als sie Sie bluten sah. Sie behielten es in der Hand, weil sofort Hilfe von andrer Seite herbeikam. Mein Gott, Sie können solch ein Ereignis doch unmöglich vergessen haben!«

»Nun, was ist's mit dem Tuche?« fragte Ulrich, der plötzlich aufmerksam geworden war.

»Ich wünsche es zu besitzen,« murmelte Wilberg, melancholisch die Augen niederschlagend. »Fordern Sie von mir, was Sie wollen! aber überlassen Sie mir dieses teure Andenken von einer Frau, die ich anbete!«

»Sie?« rief Ulrich mit einem Tone, daß sein Begleiter zurückprallte und sich ängstlich umsah, ob niemand in der Nähe sei.

»Schreien Sie doch nicht so, Hartmann! Sie brauchen sich durchaus nicht zu entsetzen, daß ich die Gemahlin unsres zukünftigen Chefs anbete. Das ist etwas ganz andres, als was Sie gewohnt sind, sich unter Liebe vorzustellen; das ist – ja, Sie wissen freilich nicht, was platonische Liebe heißt.«

»Nein!« entgegnete der junge Bergmann kurz, seinen Schritt beschleunigend und augenscheinlich beflissen, das Gespräch abzubrechen.

»Sie können das auch unmöglich begreifen!« erklärte Herr Wilberg mit unendlicher Selbstzufriedenheit, »denn Sie können und werden sich nie zu der erhabenen Reinheit von Gefühlen aufschwingen, deren nur die höchste Bildung fähig ist, von Gefühlen, die ohne jede Hoffnung, ja selbst ohne Wunsch, sich nur mit stummer seliger Anbetung aus der Ferne begnügen. Oder was meinen Sie denn, daß man anders thun könnte, wenn man eine Frau liebt, die nun einmal einem andern angehört?«

»Man überwindet's eben!« sagte Ulrich dumpf, »oder –«

»Oder?«

»– man schlägt den andern nieder.«

Herr Wilberg retirierte mit außerordentlicher Schnelligkeit nach der andern Seite des Weges, wo er im vollsten Entsetzen stehen blieb.

»Welche Roheit! Welche haarsträubenden Grundsätze! Also mit Mord und Totschlag würden Sie Ihre Liebe beweisen? Sie sind ein entsetzlicher Mensch, Hartmann, und Sie sagen das mit einem Tone, einem Blicke – die gnädige Frau hat ganz recht, wenn sie Sie eine unbändige Naturgewalt nennt, die –«

»Wer nennt mich so?« unterbrach ihn Ulrich heftig und finster blickend.

»Die gnädige Frau! ›Eine wilde ungebändigte Naturgewalt‹ hat sie gesagt! Ein höchst geistreicher Ausspruch und unendlich zutreffend in diesem Falle. Hartmann« – der junge Beamte wagte es allmählich, wenn auch noch ziemlich schüchtern, sich seinem Begleiter wieder zu nähern – »Hartmann, ich wollte Ihnen alles verzeihen, alles, sogar das, was Sie eben gesagt haben; aber was ich Ihnen nicht verzeihe, das ist Ihr abscheuliches Benehmen der gnädigen Frau gegenüber. Haben Sie denn allein keine Augen für diese Schönheit und Anmut, die selbst die rohesten Ihrer Kameraden entwaffnet, daß Sie ihren Anblick scheuen, als brächte er Ihnen irgend ein Unglück? Wenn ihr Wagen nur in der Ferne sichtbar wird, kehren Sie um und weichen ihm aus; wenn sie vorüberreitet, treten Sie ins erste beste Haus, und ich wette, Sie machen nur deshalb den täglichen Umweg bei der Wohnung des Direktors vorüber, weil Sie ihr drüben am Parkgitter einmal begegnen könnten und dann in die Notwendigkeit kämen, sie grüßen zu müssen. O, über diesen starren Klassenhaß, der selbst die Frauen nicht verschont! Ich wiederhole es Ihnen, Sie sind ein entsetzlicher Mensch!«

Ulrich schwieg; er ließ wider seine Gewohnheit die Vorwürfe über sich ergehen, ohne auch nur eine Silbe zu erwidern, und bestärkte Herrn Wilberg dadurch in dem glücklichen Wahne, daß seine Vorstellungen doch endlich einmal etwas genutzt hätten. Ermutigt dadurch, begann er von neuem:

»Um nun aber auf den Hauptgegenstand zurückzukommen – das Taschentuch –«

»Was weiß ich, wo das Ding geblieben ist!« unterbrach ihn Ulrich rauh. »Es wird verloren gegangen sein, oder die Martha wird es zurückgegeben haben. Ich weiß nichts davon!«

Wilberg war im Begriff, außer sich zu geraten über die Gleichgültigkeit, mit der man einen in seinen Augen so unendlich kostbaren Gegenstand behandelte, als er auf einmal Martha erblickte, die vor dem Hause des Schichtmeisters stand, dem man sich inzwischen genähert hatte. Wie ein Stoßvogel schoß der junge Beamte auf sie zu und begann sie zu fragen, wo das fragliche Tuch geblieben sei, ob sie es wirklich zurückgegeben habe, ob es nicht möglicherweise noch irgendwo vorhanden sei. Das Mädchen schien ihn anfangs nicht zu verstehen; als sie aber begriff, um was es sich handelte, verfinsterte sich ihr Gesicht auffallend.

»Das Tuch ist noch da!« sagte sie bestimmt. »Ich dachte es gut zu machen, als ich es eines Tages vornahm und von dem Blute reinigte; aber Ulrich gebärdete sich ja wie ein Wüterich, daß ich es ihm auch nur angerührt hatte. Er hat es in seiner Lade.« »Ah, es war also nur ein Vorwand, um mir das Gewünschte zu verweigern!« rief Wilberg gekränkt und mit einem Blicke des Vorwurfs auf Ulrich, der mit verbissenem Aerger zugehört hatte und jetzt beinahe höhnisch sagte:

»Geben Sie sich nur zufrieden, Herr Wilberg! das Tuch bekommen Sie doch nicht!«

»Und weshalb nicht, wenn ich fragen darf?«

»Weil ich es behalte!« erklärte Ulrich lakonisch.

»Aber, Hartmann –«

»Wenn ich einmal ›nein‹ gesagt habe, dann bleibt es dabei; das wissen Sie doch, Herr Wilberg!«

Wilberg hob Augen und Hände zum Himmel empor, als wolle er diesen zum Zeugen der ihm widerfahrenen Beleidigung anrufen, aber plötzlich sanken seine Arme schlaff hernieder und er selber schnellte ebenso plötzlich in die Höhe, als eine Stimme hinter Martha sagte:

»Können Sie mir nicht Auskunft geben, liebes Kind – Ah, Herr Wilberg! ich störe wohl eine lebhafte Unterhaltung?«

Der Angeredete stand sprachlos, aber mindestens ebensosehr vor Verzweiflung als vor Entzücken über diese unerwartete Begegnung, denn ihn überkam das vernichtende Bewußtsein, daß er vor der gnädigen Frau, die ihn bisher immer nur im feinsten Gesellschaftsanzuge gesehen hatte, sich jetzt im blauen Paletot, grünem Shawl und einer von dem scharfen Winde arg geröteten Nasenspitze präsentieren müsse. Er wußte, wie unvorteilhaft ihm diese Farbenzusammenstellung zu Gesicht ließ, und hatte sich erst vor einer Stunde feierlichst gelobt, wenigstens den grünen Shawl durch einen kleidsameren zu ersetzen, und nun führte ihn der tückische Zufall so vor die Augen seines Ideals! Herr Wilberg wünschte sich in die tiefsten Tiefen der Schachte und behielt nichtsdestoweniger noch Besinnung genug, sich über Hartmann zu ärgern, der noch mit dem ganzen Staube der Arbeit auf den Kleidern dicht vor der gnädigen Frau stand, und noch dazu wie eine Bildsäule dastand, ohne sich auch nur zu regen.

Eugenie war den Weg entlang gekommen, der an dem Hause vorüberführte, und unbemerkt in das Gärtchen getreten, wo sie zunächst nur das junge Mädchen bemerkt hatte. Sie erhielt vorläufig keine Antwort auf ihre letzte Frage; die beiden Männer schwiegen, bis Martha das Wort nahm; sie hatte nur einen einzigen Blick auf ihren Vetter geworfen bei dem plötzlichen Erscheinen der Dame, und wandte sich jetzt rasch zu ihr:

»Wir redeten gerade von dem Spitzentuche, das die gnädige Frau damals zum Verbinden hergab, und das noch immer nicht zurückgegeben ist.«

»Ah so, mein Tuch!« sagte Eugenie gleichgültig. »Das hatte ich in der That ganz vergessen, aber da Sie es so sorgfältig aufbewahrt haben, mein Kind, so geben Sie es mir zurück!«

»Ich nicht, Ulrich hat es!« Marthas Blick flog wieder zu ihm hinüber, so finster forschend, wie das erste Mal, und auch Eugenie schaute etwas befremdet auf den jungen Mann hin, der noch nicht einmal gegrüßt hatte. »Nun denn Sie, Hartmann! Oder wollen Sie es mir nicht zurückgeben?«

Herr Wilberg hatte von neuem Gelegenheit, sich über Ulrichs »abscheuliches Betragen« zu ärgern, denn dieser stand noch immer unbeweglich da, die Stirn finster zusammengezogen, die Lippen fest aufeinandergepreßt, kurz, mit dem Ausdrucke jenes starren Widerstandes, mit dem er sich einst beim Eintritt in den Salon gewaffnet. Man sah es ja, daß er den Haß gegen die junge Gemahlin seines Chefs erst förmlich niederkämpfen mußte, aber diesmal siegte doch seine bessere Natur. Herr Wilberg beobachtete es ganz deutlich, wie bei dem ersten Tone jener Stimme ihn die Scham über sein Benehmen durchzuckte, wie sie ihm glühend rot bis an die Stirn emporstieg und sogar seiner Haltung das Feindselige, Trotzige nahm. Jedenfalls war auch die vorhergegangene Strafpredigt nicht ohne Wirkung geblieben, wie hätte sonst dieser eisenköpfige Hartmann, dem nichts mit Güte oder Gewalt abzuzwingen war, sich auf eine bloße Frage hin in stummen Gehorsam gefügt, wie jetzt, wo er ins Haus ging und bereits nach Verlauf von einigen Minuten mit dem Tuche in der Hand wieder zurückkam.

»Hier, gnädige Frau.«

Eugenie steckte das Tuch zu sich, auf das sie nicht den geringsten Wert zu legen schien.

»Und nun, Herr Wilberg, da ich Sie hier finde, können Sie mir wohl die beste Auskunft geben. Ich habe zum erstenmal den Weg hier entlang genommen und finde die Brücke, die zum Parke führt, durch ein Gitter geschlossen. Ist es nicht zu öffnen und muß ich den Umweg zurück durch die ganzen Werke nehmen?«

Sie wies auf die nur wenige Schritt entfernte Brücke, die über einen kleinen Graben führte, der den Park nach dieser Seite hin umschloß, und die in der That durch ein Eisengitter gesperrt war. Herr Wilberg befand sich in Verzweiflung. Das Gitter war wirklich verschlossen; man wollte den Park damit für die Arbeiter, deren Wohnungen zum Teil auf dieser Seite lagen, unzugänglich machen, aber der Gärtner hatte den Schlüssel, Wilberg wollte eilen, fliegen, um ihn herbeizuschaffen, wenn die gnädige Frau sich entschließen könnte, so lange zu warten, bis –

»O, nicht doch!« unterbrach ihn Eugenie, ein wenig ungeduldig. »Dann hätten Sie ja zweimal den Umweg zu machen, den ich vermeiden will, und das Warten möchte doch etwas zu lange dauern. Ich ziehe es vor, umzukehren.«

Wilberg wollte das nicht zugeben; er bat und beschwor die gnädige Frau, ihm doch das Glück dieses Ritterdienstes zu gönnen, als er mitten in seiner wohlgesetzten Rede durch ein lautes Krachen unterbrochen wurde.

Ulrich hatte sich inzwischen dem Gitter genähert und es mit beiden Händen erfaßt. Er schüttelte die Eisenstangen jetzt mit solcher Gewalt, daß Schloß und Riegel ächzten. Als sie dennoch nicht sofort nachgaben, flog ein zorniges Aufleuchten über die Züge des jungen Arbeiters; ein energischer Fußtritt brach den letzten Widerstand des allerdings nicht mehr ganz neuen Verschlusses – die Thür sprang auf.

»Um Gottes willen, Hartmann, was machen Sie denn!« rief Wilberg erschrocken. »Sie verderben ja das ganze Schloß! Was wird Herr Berkow sagen!«

Ulrich gab ihm keine Antwort. Er stieß die Thür vollends auf und wandte sich dann ruhig zurück.

»Der Weg ist offen, gnädige Frau.«

Eugenie sah nicht halb so bestürzt aus wie der junge Beamte, als sie den so ungestüm geöffneten Weg betrat; sie lächelte sogar.

»Ich danke Ihnen, Hartmann, und was das verdorbene Schloß betrifft, Herr Wilberg, so machen Sie sich keine Sorge deswegen, ich übernehme die Verantwortung. Aber da die Thür einmal offen ist – wollen Sie nicht auch den kürzeren Weg durch den Park nehmen?«

Welch ein Anerbieten! Herr Wilberg eilte nicht, er stürzte, er flog an die Seite der gnädigen Frau und zermarterte in der Eile sein Gehirn, um nun auch sogleich auf ein möglichst interessantes und geistreiches Gesprächsthema zu stürzen, aber er war gezwungen, zunächst ein sehr prosaisches zu beginnen, da Eugenie den Kopf zurückwandte, wieder mit jenem ernsten, nachsinnenden Blick, der schon einmal vergebens versucht hatte, das widerspruchsvolle und ihr völlig rätselhafte Wesen jenes Mannes zu durchdringen.

»Eine wahre Berserkerkraft hat dieser Hartmann und eine Berserkerwut dazu! Zertrümmert er da ohne weiteres Schloß und Riegel, nur –« »Nur um mir einen bequemeren Weg zu bahnen,« ergänzte Eugenie, mit leiser Ironie auf ihren Begleiter blickend.

»Nicht wahr, Herr Wilberg, einer so gewaltsamen Höflichkeit hätten Sie sich nicht schuldig gemacht?«

Herr Wilberg protestierte eifrig gegen eine solche Zumutung. Wie die gnädige Frau denn glauben könne, er werde sich so ungestüm an fremdem Eigentum vergreifen, noch dazu in ihrer Gegenwart, nimmermehr! Aber die gnädige Frau hörte dieser Versicherung mit auffallender Zerstreutheit zu, und es gelang ihm während des ganzen Weges nicht, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln, so viel Mühe er sich auch damit gab.

Hartmann hatte das Gitter wieder angelehnt und war langsam nach dem Hause zurückgekehrt. Vor der Thür desselben aber blieb er stehen und blickte unverwandt nach dem Parke hinüber, in dessen Alleen die beiden Gestalten soeben verschwanden. –

»Ich dächte, Ulrich, wenn du einmal ›nein‹ gesagt hättest, so bliebe es dabei!«

Der junge Mann wandte sich hastig um und ein finsterer Blick glitt über Martha hin, die an seiner Seite stand.

»Was geht das dich an?« fragte er unfreundlich.

»Mich? Nichts! Schau nicht so finster drein, Ulrich; du bist mir böse, weil ich die gnädige Frau an das Tuch erinnert habe, aber es gehört ihr doch nun einmal, und was willst du denn auch mit dem zarten weißen Dinge anfangen? Du kannst es ja nicht einmal anrühren, wenn du von der Arbeit kommst, – angesehen hast du es freilich genug.«

Es lag ein leiser, aber doch unverkennbarer Hohn in der Stimme des Mädchens, und auch Ulrich mußte ihn herausfühlen, denn er fuhr heftig auf.

»Laß mich in Ruhe mit deinem Spotten und deinem Spionieren! Ich sage dir, Martha –«

»Nun, was gibt es denn da draußen? Zankt ihr euch etwa?« tönte die Stimme des Schichtmeisters dazwischen, der jetzt gleichfalls in die Thür trat.

Ulrich kehrte sich grollend ab, aber er schien keine Lust zu haben, den Streit fortzusetzen, während Martha, ohne dem Oheim eine Antwort zu geben, an ihm vorüber ins Haus eilte.

»Was hat denn das Mädchen?« fragte der Schichtmeister, verwundert ihr nachsehend, »und was war denn zwischen euch beiden? Hast du sie wieder einmal rauh angelassen?«

Ulrich warf sich mit einer trotzigen Bewegung auf die Bank nieder.

»Ich lasse mir nicht vorhalten, was ich thun und lassen soll, am wenigsten von der Martha!«

»Nun, die thut dir doch gewiß nichts zu nahe!« meinte der Vater ruhig.

»Mir nicht? Warum gerade mir?«

Der Schichtmeister sah seinen Sohn an und zuckte die Achseln. »Höre, Junge, hast du keine Augen im Kopfe, oder willst du es nicht wissen? Freilich, du hast dich ja niemals um die Frauenzimmer gekümmert, und da ist's am Ende kein Wunder, wenn du sie ganz und gar nicht begreifst.« »Was soll ich denn begreifen?« fragte der junge Mann aufmerksam werdend.

Der Vater nahm die Pfeife aus dem Munde und blies eine Rauchmolke vor sich hin. »Daß dich die Martha gern hat!« erwiderte er lakonisch.

»Die Martha? Mich?«

»Ich glaube wahrhaftig, er hat es noch nicht gewußt!« sagte der Schichtmeister mit aufrichtiger Verwunderung. »So etwas muß ihm erst sein alter Vater sagen! Aber das kommt davon, wenn man die Nase immer in Dinge steckt, die einem nur den Kopf wirr machen! Weiß Gott, Ulrich, es wäre Zeit, daß du endlich einmal all den andern Geschichten den Abschied gäbest und eine ordentliche Frau nähmest, die dich auf bessere Gedanken bringt.«

Ulrich blickte nach dem Parke hinüber und seine Augen nahmen wieder den starren, düsteren Ausdruck an, wie vorhin. »Du hast recht, Vater,« sagte er langsam, »es wäre Zeit!«

Der Alte ließ vor Ueberraschung beinahe die Pfeife fallen. »Junge, das ist das erste gescheite Wort, was ich von dir höre! Bist du endlich zu Verstande gekommen? Ja, freilich ist es Zeit! Du kannst längst eine Frau ernähren und du findest weit und breit keine hübschere, bravere, gescheitere, als die Martha. Wie froh ich wäre, wenn aus euch beiden ein Paar würde, das brauche ich dir doch nicht erst zu sagen. Ueberlege dir die Sache einmal!«

Der junge Mann war aufgesprungen und ging heftig auf und nieder. »Vielleicht wär's das beste! Ein Ende muß doch einmal gemacht werden, es muß! das habe ich heut erst wieder gesehen, also – je eher, je lieber!«

»Was hast du denn? Womit soll ein Ende gemacht werden?«

»Nichts, Vater, nichts! Aber du hast ganz recht, wenn ich erst eine Frau habe, dann weiß ich auch, wo ich mit meinen Gedanken hingehöre. – Du glaubst also, daß die Martha mich gern hat?«

»Geh hin und frage sie selbst!« rief der Schichtmeister lachend. »Meinst du denn, daß ich das Mädchen noch im Hause hätte, wenn sie einen andern wollte? Der fehlt es wahrhaftig nicht an Freiern! Ich weiß genug, die sie möchten, und der Lorenz gibt sich nun schon seit Jahr und Tag vergebene Mühe. Er hat noch immer kein Ja bekommen; du bekommst es noch heute, wenn du willst, verlaß dich darauf!«

Ulrich hörte gespannt zu, aber trotz dieser für ihn doch so schmeichelhaften Erklärung war nicht viel von Glück oder Befriedigung auf seinem Gesichte zu lesen. Er sah aus, als zwinge er mit Gewalt irgend ein rebellisches Etwas nieder, das ihn nicht zum Entschluß kommen lassen wollte, und es war auch etwas Wildes, Krampfhaftes in dem jäh aufflammenden Entschluß, mit dem er sich jetzt zum Vater wandte.

»Nun gut, wenn du meinst, daß ich keinen Abschlag bekomme, so – so will ich mit der Martha sprechen.«

»Jetzt gleich?« fragte der Schichtmeister betroffen. »Aber, Ulrich, man freit doch nicht so über Hals und Kopf, wenn man eine Viertelstunde vorher noch keine Idee davon gehabt hat! Ueberlege dir die Sache doch erst.«

Ulrich machte eine ungeduldige Bewegung. »Wozu das lange Abwarten! Ich muß wissen, woran ich bin. Laß mich hinein, Vater!«

Der Vater schüttelte den Kopf, aber er hatte viel zu große Furcht, der so plötzlich gefaßte Entschluß könne seinem Sohne wieder leid werden, um ihn ernstlich zurückzuhalten. In seiner Herzensfreude kümmerte es ihn wenig, wenn die so sehnlichst gewünschte Verbindung in etwas ungewöhnlicher Art zu stande kam; er beschloß im Gegenteil, ganz ruhig hier draußen zu bleiben, damit die jungen Leute drinnen ungestört miteinander fertig werden könnten, denn er kannte Ulrich genug, um zu wissen, daß eine unzeitige Einmischung seinerseits jetzt alles verderben würde.

Der junge Mann war inzwischen rasch, als wolle und dürfe er sich auch nicht eine Minute Zeit zum Besinnen gönnen, durch den Hausflur geschritten und hatte die Thür zur Wohnstube geöffnet. Martha saß am Tisch, die sonst so fleißigen Hände müßig im Schoße; sie schaute nicht auf, als er eintrat, und schien sich auch nicht darum zu kümmern, daß er dicht neben ihrem Stuhle stehen blieb; desto besser sah er, daß sie geweint hatte.

»Trägst du es mir nach, Martha, daß ich vorhin wieder einmal aufgefahren bin? Es thut mir leid – was siehst du mich so an?«

»Weil es das erste Mal ist, daß dir das leid thut! Du hast sonst wenig danach gefragt, wie ich's nehme – so laß es auch heut.«

Der Ton klang kalt und abweisend genug, aber Ulrich ließ sich dadurch nicht zurückscheuchen. Die Enthüllungen des Vaters mußten trotz alledem doch mächtig auf seine störrische Natur gewirkt haben, denn seine Stimme klang ungewöhnlich mild, als er entgegnete:

»Ich weiß, daß ich ein ganzes Teil schlimmer bin, als die andern, aber ich kann's nun einmal nicht ändern. Du mußt mich schon nehmen, wie ich gerade bin, und vielleicht machst du auch noch etwas Besseres aus mir.«

Das Mädchen hatte schon beim ersten Ton befremdet aufgeblickt, und in seinem Gesichte mußte wohl etwas Ungewöhnliches liegen, denn sie machte eine heftige Bewegung, um aufzustehen. Ulrich hielt sie fest.

»Bleib hier, Martha! Ich habe mit dir zu reden; ich wollte dich fragen – nun, viele Worte kann ich nicht machen, und das braucht's ja auch nicht zwischen uns. Wir sind Geschwisterkinder, sind seit Jahren zusammen in einem Hause; du wirst am besten wissen, was du von mir zu halten hast, und du weißt auch, daß ich dich immer gern gehabt habe, trotz alles Streitens – willst du meine Frau werden, Martha?«

Die Werbung kam so gewaltsam, so stürmisch und heftig heraus, wie es in dem Wesen des Freiers lag. Er atmete tief auf, als sei mit dem entscheidenden Worte auch eine Last von seiner Brust herunter. Martha saß noch immer unbeweglich vor ihm; ihre sonst so blühende Gesichtsfarbe war einer tiefen Blässe gewichen, aber sie schwankte und zögerte auch nicht einen Moment lang, als sie ein leises, freilich halb ersticktes Nein hervorstieß.

Ulrich glaubte nicht recht gehört zu haben. »Nicht?«

»Nein, Ulrich, ich will nicht!« wiederholte das Mädchen tonlos, aber fest.

Der junge Mann richtete sich beleidigt auf. »Nun, dann freilich hätte ich die ganze Rede sparen können! Der Vater hat sich also geirrt und ich dazu. Nichts für ungut, Martha!«

Durch die kurze Abweisung in seinem Mannesstolze arg verletzt, war er im Begriff, die Stube zu verlassen, als ein Blick auf Martha ihn zwang, zu bleiben. Sie hatte sich erhoben und mit beiden Händen die Lehne des Stuhles gefaßt, als müsse sie sich daran halten. Kein Wort der Erwiderung oder der Erklärung kam über ihre Lippen, aber diese Lippen bebten so heftig und in dem bleichen Gesichte zuckte ein so unnennbares Weh, daß Ulrich eine Ahnung überkam, sein Vater könne trotz alledem recht haben.

»Ich glaubte, du hättest mich gern, Martha!« sagte er mit leisem Vorwurf.

Sie wandte sich mit einer heftigen Bewegung weg von ihm und verbarg das Gesicht in den Händen, aber er hörte einen Laut, der wie mühsam unterdrücktes Schluchzen klang.

»Ich hätte es mir denken können, daß ich dir zu rauh, zu wild bin. Du fürchtest dich davor und meinst, es könnte nach der Heirat noch schlimmer damit werden – an dem Lorenz wirst du freilich einen bessern Mann haben, der dir in allen Stücken den Willen thut.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf und kehrte ihm jetzt auch langsam das Gesicht wieder zu. »Ich fürchte mich nicht vor dir, wenn du auch oft rauh und wild bist. Ich weiß, du kannst nicht anders, und ich hätte dich genommen, wie du warst, und vielleicht gern genommen. Aber so will ich dich nicht, Ulrich, wie du jetzt bist, wie du bist seit dem Tage, wo – die gnädige Frau herkam.«

Ulrich zuckte zusammen; eine flammende Röte schlug auf einmal in seinem Gesichte auf. Er wollte auffahren, wollte ihr heftig Schweigen gebieten und brachte doch keine Silbe über die Lippen.

»Der Oheim meint, du kümmertest dich um niemand, weil du ganz andre Gedanken im Kopfe hättest,« fuhr Martha immer erregter fort, »ja wohl, ganz andre Gedanken! Um mich hast du dich auch nie gekümmert, und jetzt kommst du auf einmal und willst mich zur Frau haben! Du brauchst wohl jemand, der dir die ›Gedanken‹ forttreibt, nicht wahr, Ulrich? Und dazu ist dir die nächste beste recht, dazu bin ich dir gut genug? Aber soweit ist's denn doch noch nicht, daß ich dazu tauge. Und wenn ich dich lieb gehabt hätte mehr als alles in der Welt, und wenn es mir ans Leben ginge, daß ich von dir lassen muß – lieber den Lorenz, lieber jeden andern jetzt, nur dich nicht!«

Es war ein Ausbruch furchtbarer Leidenschaftlichkeit bei dem sonst so ruhigen Mädchen. An dem Sturme, den er in ihr entfesselt, hätte Ulrich empfinden können, wie tief er ihr im Herzen saß, vielleicht empfand er es auch wirklich, aber das nahm die Wolke nicht von seiner Stirn und nicht den flammenden Schein, der dunkler wurde bei jedem ihrer Worte. Er hatte keine Erwiderung darauf, und als sie jetzt in ein lautes Weinen ausbrach, da stand er stumm neben ihr, ohne ein Wort des Trostes oder der Beruhigung. So vergingen einige Minuten in qualvollem Schweigen. Martha lag mit Kopf und Armen über den Tisch hingeworfen. Man hörte nur ihr krampfhaftes Schluchzen und dazwischen das einförmige Ticken der alten Wanduhr. Endlich beugte sich Ulrich zu ihr hinab; seine Stimme war nicht mehr rauh und heftig, aber auch nicht milde; es lag in ihr nur ein dumpfes Schmerzgefühl.

»Laß gut sein, Martha! Ich dachte, es sollte besser werden, wenn du mir hilfst; vielleicht wäre es auch nur schlimmer geworden, und du hast ganz recht, wenn du es darauf hin nicht mit mir wagen willst. So bleibt es denn beim alten mit uns beiden.«

Er ging ohne weitern Abschied; nur an der Schwelle blieb er noch einmal stehen und sah nach dem Mädchen zurück. Sie hob den Kopf nicht, und er ging rasch vollends hinaus.

»Nun?« fragte eifrig der Schichtmeister, der ihm draußen entgegenkam. »Nun?« wiederholte er langsamer, denn das Gesicht seines Sohnes sah nicht aus wie das eines glücklichen Bräutigams.

»Es war umsonst, Vater!« sagte Ulrich tonlos. »Die Martha will mich nicht.« »Will dich nicht? Dich nicht?« rief der Alte in einem Tone, als ob ihm das Unglaublichste von der Welt gemeldet worden wäre.

»Nein! Und nun quäle sie nicht erst noch mit vielen Fragen und Redereien darüber; sie wird wohl wissen, weshalb sie mir einen Abschlag gegeben hat, und ich weiß es auch, also nutzt der dritte nichts dazwischen. Und nun laß mich gehen, Vater; ich muß fort!«

Hastig, als wollte er jeder ferneren Erörterung ausweichen, eilte der junge Mann davon; der Schichtmeister faßte mit beiden Händen seine Pfeife und kam fast in Versuchung, sie auf den Boden zu schmettern, um seinem Aerger Luft zu machen.

»Versteh' sich einer auf die Frauenzimmer! Ich hätte meinen Kopf gelassen, daß das Mädel ihn lieb hat, und jetzt schickt sie ihn mit einem Nein fort und er – ich dachte doch nicht, daß es dem Jungen so nahe gehen würde. Er sah ja ganz verstört aus, und wie toll läuft er davon; aber der steht mir im Leben nicht Rede, soviel ich ihn kenne, und die Martha ebensowenig.«

Der Schichtmeister begann heftig in dem Gärtchen auf und ab zu laufen, bis seine Wut einer ruhigeren Stimmung Platz machte. Was war denn auch am Ende dagegen zu machen? Mit Gewalt zusammenthun konnte man doch die beiden nicht, wenn sie nun einmal nicht wollten, und es nutzte nichts, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum sie nicht wollten. Mit einem schweren Seufzer nahm der Alte Abschied von seinem gescheiterten Lieblingsplane; erzwingen ließ sich so etwas ja nicht.

Er stand noch in trüben Gedanken an der Gartenthür, als er den jungen Herrn Berkow den Weg entlang kommen sah, der an seinem Häuschen vorüber nach der hinteren Seite des Parkes führte. Arthur schien besser mit den Zugängen desselben vertraut zu sein, als seine Gemahlin. Er zog bereits einen Schlüssel aus der Tasche, der jedenfalls zu dem vorhin so gewaltsam geöffneten Schlosse paßte. Der Schichtmeister grüßte tief und ehrerbietig, als der junge Erbe vorüberkam, der in gewohnter Teilnahmlosigkeit kaum einen Blick seitwärts warf, und mit einer vornehm nachlässigen Bewegung des Kopfes, die wahrscheinlich einen Dank ausdrücken sollte, im Begriff stand, weiterzugehen. Es zuckte schmerzlich in den Zügen des alten Mannes; er stand noch immer mit seinem abgezogenen Käppchen in der Hand und sah ihm mit einem stillen traurigen Blicke nach, der zu sagen schien: »So also bist du geworden!«

Ob Arthur diesen Blick bemerkte oder ob es ihm jetzt erst einfiel, daß er ja den alten Freund und Gefährten seiner Kinderjahre vor sich habe, er blieb plötzlich stehen.

»Sieh da, Hartmann! Wie geht es Ihnen?«

In seiner matten, gleichgültigen Weise streckte er ihm die Hand hin und schien etwas befremdet, als sie nicht sofort ergriffen wurde, aber dem Schichtmeister war eine solche Vertraulichkeit seit Jahren nicht zu teil geworden; er zögerte sie anzunehmen, und als er es endlich dennoch that, geschah es so scheu und vorsichtig, als fürchte er, die feine weiße Hand könne in seiner harten Faust Schaden leiden.

»Ich danke! Mir geht es ja soweit gut, Herr Arthur – um Vergebung: Herr Berkow wollte ich sagen.«

»Bleiben Sie nur bei dem Arthur,« sagte der junge Mann ruhig. »Sie sind mehr daran gewöhnt und ich höre es auch lieber von Ihnen als den andern Namen. Sie sind also zufrieden, Hartmann?«

»Gott sei Dank, ja, Herr Arthur. Ich habe, was ich brauche. Ein bißchen Kummer und Sorge gibt es ja in jedem Hause; ich habe sie nun gerade wegen meiner Kinder – aber das ist nun einmal nicht anders.«

Der Schichtmeister sah mit Verwunderung, daß der junge Herr näher trat und beide Arme auf das Holzgitter legte, als beabsichtige er ein längeres Gespräch.

»Mit Ihren Kindern? Ich dachte, Sie hätten nur einen einzigen Sohn?«

»Ganz recht, meinen Ulrich! Ich habe aber noch ein Schwesterkind im Hause, die Martha Ewers.«

»Und die macht Ihnen Sorge?«

»Bewahre!« rief der Schichtmeister eifrig. »Das Mädchen ist so brav und gut wie nur irgend eine, aber ich hatte mir so gedacht, es könnte aus ihr und dem Ulrich ein Paar werden, und –«

»Und der Ulrich will wohl nicht?« unterbrach ihn Arthur mit einem eigentümlich raschen Aufblick der sonst so müden Augen.

Der Alte zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht! Hat er wirklich nicht gewollt oder hat er es nur verkehrt angefangen, genug, es ist aus zwischen ihnen. Und das war noch meine letzte Hoffnung, daß er eine ordentliche Frau bekäme, die ihm den Kopf zurechtsetzt.«

Es war seltsam, daß die doch gewiß sehr einfachen und uninteressanten Familiengeschichten des alten Bergmannes dem jungen Herrn nicht zu langweilig schienen; er gähnte nicht einmal, was ihm sonst gewöhnlich geschah, wo er sich keinen Zwang aufzuerlegen brauchte, und sein Gesicht verriet sogar ein gewisses Interesse, als er fragte:

»Ist Ihnen denn der Kopf nicht recht, so wie er ihn jetzt trägt?«

Der Schichtmeister sah den Fragenden scheu von der Seite an und dann zu Boden.

»Nun, Herr Arthur, Ihnen brauche ich doch das nicht erst zu sagen. Sie werden wohl schon genug über den Ulrich gehört haben.«

»Ja, ich erinnere mich; mein Vater sprach mir davon. Ihr Sohn ist nicht gut angeschrieben bei den Herren drüben, Hartmann, ganz und gar nicht!«

Der Alte stieß einen Seufzer aus. »Ja, ich kann's nicht ändern! Er folgt mir nicht mehr, hat mir eigentlich nie gefolgt. Er mußte immer seinen Kopf für sich haben und ihn überall durchsetzen. Ich habe den Jungen ein ganz Teil mehr lernen lassen als die andern, vielleicht mehr als ihm gut war; ich dachte, er sollte schneller vorwärts kommen, und er ist ja auch schon Steiger und bringt's wohl auch noch bis zum Obersteiger, aber von dem Lernen ist doch das ganze Unglück hergekommen! Da kümmert er sich um alle möglichen Geschichten, will alles besser wissen, sitzt die ganze Nacht über den Büchern und ist bei seinen Kameraden alles in allem. Wie er es anfängt, überall der erste zu sein, das weiß ich nicht, aber er war noch ein kleiner Bube, da hatte er sie schon sämtlich unter der Fuchtel, und jetzt ist das ärger als je. Was er sagt, das glauben sie blindlings; wo er steht, da stehen sie allesamt, und wenn er sie in die leibhaftige Hölle hineinführte, sie gingen mit, wenn er nur voran wäre. Das ist aber ganz und gar nicht gut, zumal hier auf unsern Werken nicht.«

»Warum gerade bei uns nicht?« fragte Arthur, wahrend er wie in tiefen Gedanken mit dem Schlüssel Figuren auf das Holz des Gitters zeichnete.

»Weil's die Leute hier doch gar zu schlimm haben!« platzte der Schichtmeister heraus. »Seien Sie nicht böse, Herr Arthur, daß ich Ihnen das so ins Gesicht sage, aber es ist einmal so. Ich kann ja nicht klagen; mir ist es von jeher über die Gebühr gut gegangen, weil Ihre verstorbene Mutter meine Frau gern hatte – aber die andern! Das arbeitet und plagt sich Tag für Tag und schafft doch kaum das Notwendigste für Frau und Kind. Es ist, weiß Gott, ein schweres Brot und ein saures Brot, aber arbeiten müssen wir ja alle, und die meisten thäten es ja auch herzlich gern, wenn ihnen nur ihr Recht würde, wie auf den andern Werken. Aber hier drückt und preßt man sie noch um jeden Groschen von ihrem kargen Lohn, und in den Schachten unten sieht es so schlimm aus, daß jeder beim Einfahren erst sein Vaterunser betet, weil er immer denken muß, die Geschichte stürzt ihm einmal über dem Kopfe zusammen. Aber es ist ja nie Geld zum Ausbessern da, und wenn einer einmal in Not und Elend ist, dann ist auch kein Geld da, und dabei müssen sie sehen, wie die Hunderttausende nur immer so nach der Residenz geschickt werden, damit –«

Der Alte hielt plötzlich inne und schlug sich im wahren Todesschrecken auf den vorwitzigen Mund. Er hatte sich so in den Eifer hineingesprochen, daß er ganz und gar vergessen hatte, wer vor ihm stand; erst die tiefe Röte, die bei den letzten Worten in dem Gesichte des jungen Mannes aufstieg, brachte ihn zur Besinnung. »Nun?« fragte Arthur, als er schwieg. »Sprechen Sie doch weiter, Hartmann«! Sie sehen ja, daß ich zuhöre.«


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