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Afra bäumte sich plötzlich in die Höhe. Das Tier war nicht gewohnt, mit der Reitgerte angetrieben zu werden, und noch dazu so heftig, als es eben geschah; es hatte überhaupt heute viel von der Ungeduld seiner Herrin zu leiden, und wäre diese nicht eine so vollendete Meisterin in der Reitkunst gewesen, das feurige, leicht gereizte Pferd würde ihr Mühe genug gemacht haben. So zügelte sie es nach kurzer Anstrengung, aber die feinen Augenbrauen der jungen Frau blieben zusammengezogen und die Lippen fest aufeinandergepreßt, wie in innerem Zorne, ob über den Widerstand Afras oder über den Mangel an Widerstand von einer andern Seite, das ließ sich nicht entscheiden.

Sie hatte inzwischen den Pachthof erreicht, der eine halbe Stunde entfernt im Thale lag, und nun ging es bergaufwärts, freilich nicht den steilen Fußpfad hinauf, den sie damals mit Arthur hinabstieg und der reitend überhaupt nicht zu passieren war; nicht weit davon führte ein Fahrweg in langen, aber bequemen Windungen auf die ohnehin nur mäßige Höhe. Dennoch ertrug ihr Pferd, des Bergaufsteigens ungewohnt, nur unwillig die Anstrengung, und sie mußte, oben angelangt, Halt machen, um ihm die nötige Erholung zu gönnen.

Jetzt freilich waren die Nebelschleier verschwunden, die damals über dem Gebirge flatterten, und der helle Sonnenschein floß so leuchtend warm auf die Berge nieder, als habe es nie eine Zeit gegeben, wo sich Regen und Sturm hier um die Herrschaft stritten und die Landschaft ringsum einem grauen, gestaltlosen Nebelbilde glich. Noch lagen die Thäler duftig blau im kühlen Morgenschatten. Desto klarer standen die Berge da, all die zahllosen Kuppen, von denen eine die andre überragte, eine die andre zurückdrängte, nur ein einziges grünes Waldmeer, bis hin zu den fernen blauen Höhenzügen. Die dunklen Tannen hatten sich geschmückt mit lichtem, frischem Grün, und drinnen auf dem Waldboden, draußen auf dem felsigen Grunde, zwischen Wurzeln und Gestein, wo nur eine Ranke Platz finden oder ein Pflänzchen Wurzel fassen konnte, da blühte und duftete es auch in tausend Formen und Farben. Und dazu schäumten die Bäche ins Thal hinab, und die Quellen rieselten, und darüber wölbte sich ein wolkenloser tiefblauer Frühlingshimmel. Das alles war so goldig klar, so frei und groß, als müsse in diesem neu erwachten Leben der Natur nun auch jede Wunde heilen, jede Kette brechen, als könne nichts dort atmen, was nicht der Freiheit, dem Glücke verwandt war.

Und doch war der Blick der jungen Frau so seltsam ernst; ihre Züge waren so schmerzlich gespannt, als läge für sie eine verborgene Qual in all dieser Schönheit ringsum. Sie hätte doch aufatmen müssen bei dem Gedanken an die auch ihr verheißene Freiheit, die ihr zu teil werden sollte, noch ehe der nächste Frühling die Erde wieder grüßte. Warum konnte sie es denn nicht, warum zuckte bei dieser Vorstellung eine Empfindung durch ihre Seele, die selbst dem Schmerze verwandt war? Wirkte vielleicht die Pein jener Stunde noch nach, in welcher zuerst das Trennungswort gesprochen und angenommen wurde? Sie sehnte sich ja so heiß nach dieser Trennung, nach der Rückkehr zu den Ihrigen; sie litt schwer unter den Ketten, die sie kaum mehr ertragen konnte; seit jenem Beisammensein hier oben konnte sie es nicht mehr! Bis dahin war sie fest und sicher gewesen in ihrer Aufopferung für den Vater, in der Ergebung in das aufgezwungene Schicksal, im Haß gegen die, welche es ihr aufgezwungen, aber mit jener Stunde schien sich die ganze Natur ihrer Empfindungen geändert zu haben. Mit ihr hatte der geheime Widerstreit in ihrem Innern begonnen, der Kampf gegen ein Etwas, das dunkel und unausgesprochen im tiefsten Grunde ihrer Seele lag, und das sie nicht Herr über sich werden lassen wollte, um keinen Preis, und doch hatte nur dies Etwas sie heute morgen hinausgetrieben und sie fast wider ihren Willen fortgezogen bis an diesen Ort, und doch war es allein schuld daran, daß die Tochter des Baron Windeg die Etikette so weit vergaß, den Diener zurückzulassen, der sie sonst immer auf ihren Ausflügen begleitete. Sie konnte und mochte heut keinen Zeugen haben – und es war gut, daß sie keinen hatte, denn als sie einsam droben auf der Höhe hielt, da überkam es sie mitten in all der sonnigen Frühlingspracht wie eine leise Sehnsucht nach dem geheimnisvollen Reiz jener Stunde, wo Nebel und Wolken um sie her wogten, wo die Tannenwipfel über ihr rauschten und der Sturm in den Schluchten und Thälern brauste, wo jene großen braunen Augen, die sich zum erstenmal entschleiert zeigten, ihr auch die erste Ahnung davon gaben, daß aus diesem Mann vielleicht viel, vielleicht alles hätte werden können, wenn er geliebt worden wäre und geliebt hätte, ehe die Hand des eigenen Vaters ihn in den Strudel riß, in dem schon so manche Kraft zu Grunde gegangen ist. Und mit dieser Erinnerung wachte etwas auf, was Eugenie Windeg nie gekannt hatte und was erst der Gattin Berkows zu lernen aufbehalten war, ein Weh, viel ruhiger, aber auch viel tiefer als alles, was sie bisher erlitten, und sie legte die Hand über die Augen, aus denen ein heißer Thränenstrom unaufhaltsam hervorstürzte.

»Gnädige Frau!«

Eugenie fuhr zusammen und zugleich machte Afra, erschreckt durch die fremde Stimme, einen Sprung seitwärts, aber in demselben Augenblick hatte auch schon eine kräftige Hand den Zügel ergriffen und zwang das Tier zur Ruhe. Ulrich Hartmann stand dicht neben demselben.

»Ich wußte nicht, daß das Pferd so schreckhaft ist, aber ich hatte es auch schnell genug am Zügel!« sagte er im Tone der Entschuldigung, während ein Blick halb der Besorgnis und halb der Bewunderung über die junge Reiterin hinglitt, die trotz der Ueberraschung fest im Sattel geblieben war.

Eugenie fuhr rasch mit der Hand über das Antlitz, um die Thränenspuren zu verwischen, freilich zu spät; ihr Weinen mußte notwendig gesehen worden sein, und der Gedanke daran jagte eine tiefe Röte auf ihre Wangen und gab ihrer Stimme einen Ausdruck von Unwillen, als sie rasch und etwas befehlend sagte:

»Lassen Sie den Zügel los! Afra ist nicht gewohnt, von Unbekannten gehalten zu werden, und scheut leicht bei jeder fremden Berührung. Sie bringen mich und sich in Gefahr mit Ihrer Nähe!« Ulrich gehorchte und trat zurück. Eugenie legte mit schmeichelnder Liebkosung ihre Hand auf den Hals des Tieres, das in der That nur schnaubend und ungeduldig die fremde Hand am Zügel ertragen hatte, deren Macht es gleichwohl im ersten Moment erkannte. Allein es ließ sich durch die Liebkosung der Herrin in wenigen Sekunden beruhigen.

Währenddessen hingen Hartmanns Blicke unverwandt an der jungen Frau, die sich freilich zu Pferde so vorteilhaft ausnahm, wie nur wenige ihres Geschlechts. Das dunkle Reitkleid, das Hütchen auf den blonden Flechten und über dem schönen, noch vom Weinen geröteten Antlitz, die leichte und sichere Haltung, die sie trotz der Unruhe Afras keinen Augenblick verlor, zeigten das Ebenmaß der hohen schlanken Gestalt im vollsten Lichte. Die ganze Erscheinung, wie sie, vom hellen Sonnenlicht umflossen, auf dem Rücken des schönen Tieres saß, war ein vollendetes Bild von Kraft und Anmut.

»Sie waren hier oben, Hartmann?« fragte Eugenie, in der leisen Hoffnung, er könne die Höhe erst im Moment seiner Anrede erreicht und ihre Thränen nicht gesehen haben. »Ich bemerkte Sie vorhin nicht.«

»Ich stand dort drüben!« Er deutete nach dem Ausgange des Waldes hinüber, den sie allerdings nicht beachtet hatte. »Ich sah Sie heraufreiten und blieb, um auf Sie zu warten.«

Die junge Frau, die im Begriff war, an ihm vorüber in den Wald zu reiten, hielt befremdet inne.

»Auf mich zu warten?« wiederholte sie. »Und weshalb?«

Ulrich umging die Antwort. »Sie sind allein, gnädige Frau? Ganz allein? Sie haben nicht einmal, wie sonst, den Diener mit sich?«

»Nein, Sie sehen ja, daß ich ohne jede Begleitung bin.«

Ulrich trat rasch, aber diesmal vorsichtiger als vorhin, wieder an die Seite des Pferdes.

»Dann müssen Sie umkehren! Auf der Stelle! Ich werde mit Ihnen gehen, wenigstens so lange, bis wir die Werke in Sicht haben.«

»Aber warum denn dies alles?« fragte Eugenie, immer mehr betroffen über das Anerbieten und die finster gerunzelte Stirn des jungen Bergmanns. »Gibt es denn irgend eine Gefahr hier im Walde oder ist sonst etwas zu fürchten?« Ulrich warf einen forschenden Blick auf den unteren Waldweg, dessen Windungen man von hier aus zum Teil übersah.

Lassen Sie den Zügel los! Afra ist nicht gewohnt, von Unbekannten gehalten zu werden. (S. 163.)

»Wir waren auf den Eisenhütten oben im Gebirge!« sagte er endlich langsam. »Ich und ein Teil meiner Kameraden. Ich ging allein den näheren Weg, weil ich früher zurück sein wollte. Die andern nahmen die Fahrstraße. Sie könnten ihnen am Ende begegnen, gnädige Frau, und da möchte ich doch lieber bei Ihnen sein – auf alle Fälle.«

»Ich bin nicht furchtsam!« erklärte Eugenie entschieden, »und bis zu Beleidigungen gegen mich wird man sich doch hoffentlich nicht versteigen. Ich weiß, daß ein Streik der Arbeiter besteht, aber man sagt mir, daß er nicht von Bedeutung ist und in kurzem ausgeglichen sein wird.«

»Dann hat man Sie belogen!« fiel ihr Ulrich rauh ins Wort. »Von Ausgleich und Kleinigkeiten ist hier nicht die Rede. Herr Berkow hat uns den Krieg erklärt, oder wir ihm, das kommt auf eins heraus; genug, wir sind jetzt im Kriege, und der wird nicht eher ein Ende nehmen, bis einer von uns am Boden liegt. Das sage ich Ihnen, gnädige Frau, und ich muß die Sache wohl am besten wissen.«

Eine leichte Blässe überzog das Antlitz der jungen Frau, als sie diese Bestätigung ihrer längst gehegten Befürchtungen vernahm, aber zugleich verletzte sie die rücksichtslose, hochfahrende Art der Enthüllung, und gab ihr eine etwas sehr vornehme Haltung, als sie kalt erwiderte:

»Nun, wenn die Sache so steht, so kann ich unmöglich die Begleitung und noch viel weniger den Schutz eines Mannes annehmen, der sich offen und rücksichtslos zum Feinde meines Gemahls bekennt – ich werde allein reiten.«

Sie wollte dem Pferde die Zügel geben, aber Ulrich fuhr auf bei der Bewegung und vertrat ihr heftig und gebieterisch den Weg.

»Bleiben Sie, gnädige Frau! Sie müssen mich mitnehmen.«

»Ich muß?« Eugenie hob stolz das Haupt. »Und wenn ich nun nicht will?«

»Dann – bitte ich Sie darum.«

Es war wieder jener jähe Uebergang von rücksichtslosester Drohung zu beinahe flehender Bitte, der schon einmal den Zorn Eugeniens entwaffnet hatte, und auch jetzt dämpfte er ihren Unwillen. Sie blickte auf den jungen Bergmann nieder, der finster, gereizt, und doch mit dem Ausdruck unverkennbarer Sorge zu ihr emporschaute.

»Ich kann Ihr Anerbieten nicht annehmen, Hartmann!« sagte sie ernst. »Wenn Ihre Kameraden wirklich so weit gebracht sind, daß ich bei einer Begegnung vor Beleidigungen nicht sicher bin, so fürchte ich, ist das allein Ihr Werk, und von einem Manne, der uns einen so unversöhnlichen Haß entgegenträgt –«

»Uns?« unterbrach sie Ulrich ungestüm. »Sie hasse ich nicht, gnädige Frau, und Sie sollen auch nicht beleidigt werden, Sie gewiß nicht! Es wagt keiner auch nur ein Wort gegen Sie laut werden zu lassen, wenn ich bei Ihnen bin, und wagte er's, er thäte es nicht zum zweitenmal. Nehmen Sie mich mit!«

Eugenie zögerte einige Sekunden lang; aber ihre Furchtlosigkeit und seine feindseligen Aeußerungen von vorhin gaben den Ausschlag.

»Ich werde umkehren und die Fahrstraße vermeiden!« sagte sie rasch. »Bleiben Sie zurück, Hartmann! die Rücksicht auf Herrn Berkow verlangt es.«

Als entfesselte dieser Name eine lang zurückgehaltene Gereiztheit, so flammten seine Augen plötzlich auf, als sie ihn aussprach, und ein Strahl wilden tödlichen Hasses blitzte daraus hervor. »Auf Herrn Berkow!« brach er los: »Herr Berkow, der Sie so liebevoll allein reiten läßt, während er doch wußte, daß wir oben auf den Hütten waren und jetzt im Walde sein müssen! Freilich der hat sich ja niemals um Sie gekümmert; dem ist's gleich, ob Sie unglücklich sind oder nicht, und doch hat er's ganz allein zu verantworten!«

»Hartmann, was sagen Sie!« rief Eugenie, glühend vor Zorn und Entrüstung, aber sie suchte vergebens, ihm Einhalt zu thun; er fiel ihr in die Rede und fuhr in immer wachsender Erregung fort:

»Nun ja, es ist wohl ein großes Verbrechen, Sie weinen zu sehen, wenn Sie glauben, daß kein Mensch in Ihrer Nähe ist, aber ich glaube, Sie weinen sehr oft, gnädige Frau, haben sehr oft geweint, seit Sie hier sind, nur daß es niemand sieht, wie ich jetzt eben. Ich weiß, wer allein schuld daran ist, und ich werde es ihm –«

Er hielt plötzlich inne, denn die junge Frau hatte sich hoch im Sattel aufgerichtet, und jetzt traf auch ihn jener Blick niederschmetternden Stolzes, mit dem sie sich so unnahbar zu machen verstand. Ihre Stimme klang eisig scharf, und schlimmer noch; es war der volle Ton der Herrin gegen den Untergebenen, mit dem sie ihm jetzt zuherrschte:

»Sie schweigen, Hartmann! Noch ein Wort, ein einziges gegen meinen Gemahl, und ich vergesse, daß Sie ihm und mir das Leben retteten, und antworte auf Ihren Ausfall so, wie er es verdient!«

Sie warf ihr Pferd herum und wollte an ihm vorüber, aber Ulrichs riesige Gestalt stand mitten im Wege, ohne auch nur einen Schritt zu weichen. Er war totenbleich geworden bei diesem Gebieterton, den er zum erstenmal von ihren Lippen hörte, und der Haß, der in seinen Augen flammte, schien jetzt auch ihr zu gelten.

»Geben Sie den Weg frei!« befahl Eugenie, noch gebieterischer als vorhin. »Ich will fort!«

Aber sie befand sich einem Manne gegenüber, bei dem mit Befehlen nichts auszurichten war, und den ein Befehl aus ihrem Munde vollends zur Wut reizte. Anstatt zu gehorchen, war er mit einem einzigen Schritte dicht an ihrer Seite und faßte zum zweitenmal, diesmal mit eisernem Griff, die Zügel des Pferdes, ohne sich jetzt an sein Bäumen und an die Gefahr der Reiterin zu kehren.

»Sie sollten nicht so zu mir sprechen, gnädige Frau!« sagte er dumpf. »Ich kann viel ertragen, von Ihnen kann ich's, wenn auch sonst von keinem; aber den Ton vertrage ich nicht! Treiben Sie das Pferd nicht an,« fuhr er außer sich fort, als Eugenie Miene machte, es mit der Reitgerte zum Losreißen und Davonsprengen zu zwingen. »Sie werden mich nicht niederreiten, aber ich, bei Gott, ich reiße das Tier nieder, wie ich es damals mit den beiden andern gethan habe.«

Es lag eine furchtbare Drohung in seinen Worten, und noch furchtbarer drohte sein Blick. Eugenie sah die von allen gefürchtete Wildheit sich zum erstenmal gegen sie kehren und begriff plötzlich die ganze Gefahr ihrer Lage; aber in demselben Moment ergriff sie auch mit schneller Geistesgegenwart das einzige Rettungsmittel.

»Hartmann,« sagte sie vorwurfsvoll, aber ihre Stimme war auf einmal mild, beinahe weich geworden. »Soeben noch boten Sie mir Ihren Schutz an, und jetzt bedrohen Sie mich selbst? Nun freilich sehe ich, was von Ihren Kameraden zu fürchten ist, wenn Sie mir so gegenübertreten! Ich wäre nicht in den Wald geritten, hätte ich eine Ahnung davon gehabt.«

Der Vorwurf und mehr noch die Stimme schien Ulrich zur Besinnung zu bringen; seine wilde Gereiztheit schwand, als er den Ton nicht mehr hörte, der sie herausgefordert. Noch hatte er die Rechte fest am Zügel, aber die geballte Linke löste sich jetzt allmählich, und der drohende Ausdruck verschwand aus seinen Zügen.

»Ich habe Sie bisher nie gefürchtet,« fuhr Eugenie leise fort, »trotz all dem Schlimmen, was man mir von Ihnen sagte. Wollen Sie mich jetzt die Furcht lehren? Wir sind dicht am Abhange; wenn Sie fortfahren, das Tier so zu reizen, oder Ihre Drohung ausführen, so gibt es ein Unglück. Will der Mann, der sich einst unter die Hufe meiner Pferde warf, um eine Unbekannte zu retten, mich jetzt selbst in Gefahr bringen? Lassen Sie mich fort, Hartmann!«

Ulrich zuckte leise zusammen und warf einen Blick auf den Abhang, dem sie allerdings nahe genug waren; langsam ließ er den Zügel los und langsam, wie einer unabweisbaren Gewalt nachgebend, trat er zur Seite, um sie vorüberzulassen. Eugenie sah unwillkürlich zurück; er stand stumm da, das trotzige Auge am Boden, ohne eine Silbe der Erwiderung oder des Abschiedes, und ließ sie ungehindert davonreiten. Die junge Frau atmete auf, als Afras Schnelligkeit sie der gefährlichen Nähe entriß. So mutvoll sie war, hier hatte sie doch gezittert. Sie hätte kein Weib sein müssen, um nach dieser Scene nicht zu wissen, was sie längst schon geahnt, daß das ihr gegenüber so rätselhafte und widerspruchsvolle Wesen dieses Mannes etwas andres, etwas weit Gefährlicheres barg als Haß. Noch beugte er sich ihrer Macht; aber er war nahe daran gewesen, die Kette zu sprengen. Sie hatte jetzt eine Probe davon, daß er der »unbändigen Naturkraft«, mit der sie ihn einst verglichen, an Blindheit und Furchtbarkeit nichts nachgab, wenn er erst einmal entfesselt wie sie seine Schranken brach.

Sie hatte das Thal erreicht und war, der erhaltenen Warnung eingedenk, eben im Begriff, die Fahrstraße zu verlassen, als sie von dort her Hufschlag vernahm und sich umwendend einen Reiter gewahrte, der in vollem Galopp heransprengte und in wenigen Minuten an ihrer Seite war.

»Endlich!« sagte Arthur atemlos, indem er sein Pferd verhielt. »Welche Unvorsichtigkeit, gerade heute allein auszureiten! Du hattest freilich keine Ahnung von dem Wagnis.«

Eugenie blickte überrascht auf ihren Gatten, der tiefatmend und glühend erhitzt vom schnellen Ritte an ihrer Seite hielt. Er war nicht in Reitkleidung, trug auch weder Sporen noch Handschuhe; wie er da war, im Hausanzuge, mußte er sich aufs Pferd geworfen haben, um ihr nachzusprengen.

»Erst vor einer halben Stunde erfuhr ich von deinem Einfalle,« fuhr er, seine Erregung bemeisternd, fort. »Franz und Anton suchen dich bereits in verschiedenen Richtungen; ich fand allein die rechte Spur. Man sagte mir im Pachthofe, du seist vor einiger Zeit vorbeigeritten.«

Die junge Frau fragte nicht nach dem Grunde dieser Sorge; sie kannte ihn hinreichend; aber die Sorge selbst überraschte sie doch. Er hätte ja die Diener allein nach ihr ausschicken können. Freilich, die Möglichkeit, seine Gemahlin von den Bergleuten insultiert zu sehen, war sehr unangenehm für den Chef der Werke, und er handelte jedenfalls nur in der Eigenschaft, als er ihr persönlich nacheilte.

»Ich war dort oben,« erklärte sie, nach dem Ziele ihres Spazierrittes hinaufdeutend.

»Auf der Höhe? Wo wir damals vor dem Sturme Zuflucht suchten? Dort warst du?«

Eugenie wurde dunkelrot; sie sah wieder jenes seltsame Aufleuchten in seinen Augen, das wochenlang verschwunden gewesen war. Und weshalb klang die Frage so stürmisch, so atemlos gepreßt? Hatte er denn nicht längst schon jene Stunde vergessen, die sie so oft noch in der Erinnerung peinigte?

»Ich geriet zufällig dorthin,« sagte sie hastig, als gelte es eine Schuld abzuwälzen, und diese Berichtigung hatte denn auch sofort den gewünschten Erfolg. Das Leuchten in seinem Blicke verschwand plötzlich und die Stimme wurde kühl und fest.

»Zufällig! Ach so! Ich hätte wissen können, daß eine solche Bergpartie nicht in deinem Plane lag; Afra erträgt sie ja stets nur sehr unmutig. Aber du hättest ›zufällig‹ auch auf den Weg nach M. geraten können, und das war es, was ich fürchtete.«

»Und was war dort zu fürchten?« fragte Eugenie forschend, während sie gemeinschaftlich den breiten Weg verließen und einen schmaleren einschlugen, der mitten durch den Wald führte.

Arthur suchte ihrem Blicke auszuweichen. »Einige Unannehmlichkeiten, die gerade heute dort hätten vorfallen können. Unsre Bergleute sind nach den oberen Eisenhütten gezogen, um auch dort Widerstand und Lärm anzustiften. Hartmann hat ihnen mit seinen unsinnigen Reden die Köpfe bis aufs äußerste erhitzt; ich habe Nachricht, daß gestern bereits Unordnungen dort oben vorgefallen sind, und ein Menschenhaufe, der im aufgeregten Zustande von dem Schauplatze solcher Unruhen kommt, ist schlechterdings zu allem fähig. Sie müssen gerade jetzt auf der Rücklehr sein.«

»Ich hätte die Fahrstraße ohnehin vermieden,« sagte die junge Frau ruhig. »Ich war bereits gewarnt.«

»Gewarnt? Durch wen?«

»Durch Hartmann selbst, den ich vor einer Viertelstunde oben im Walde antraf.« Diesmal war es Arthurs Pferd, das sich heftig aufbäumte, erschreckt durch die zuckende Bewegung, mit der sein Reiter die Zügel an sich gerissen hatte.

»Hartmann? Und er wagte es, sich dir zu nahen, dich anzureden, nach allem, was in diesen letzten Tagen vorgefallen ist?«

»Es geschah nur, um mich zu warnen, um mir seine Begleitung und seinen Schutz anzubieten. Ich lehnte beides ab; ich glaubte das dir und deiner Stellung schuldig zu sein.«

»Du glaubtest es mir schuldig zu sein!« wiederholte Arthur schneidend. »Ich bin dir unendlich verbunden für diese Rücksicht; aber es war gut, daß du sie nahmst, denn hättest du dich von ihm begleiten lassen – so sehr ich es vermeide, den ersten Anlaß zum Konflikt zu geben, in diesem Falle hätte ich ihm doch fühlbar gemacht, daß der Anstifter, der Rädelsführer der ganzen Empörung meiner Gemahlin fernzubleiben hat.«

Eugenie schwieg; sie kannte ihren Gatten doch schon hinreichend, um zu wissen, daß er trotz seiner scheinbaren Kälte jetzt furchtbar gereizt war, kannte dies Zusammenpressen der Lippen, dies Beben der Hand; gerade so hatte er ihr am ersten Abende ihres Hierseins gegenübergestanden, nur daß sie jetzt besser als damals wußte, was diese Gelassenheit barg.

Sie ritten schweigend weiter durch den sonnigen Wald; der Hufschlag der Pferde klang nur gedämpft auf dem weichen Moosboden. Auch hier überall Frühlingsduft und Frühlingsatem, auch hier der klare, tiefblaue Himmel, der sich über den Tannenwipfeln wölbte, und auch hier das geheime Weh in ihrem Innern, nur daß es sich noch mächtiger, noch schmerzender regte, als dort oben auf der Höhe. Die Tiere gingen auf dem schmalen Wege Seite an Seite und die schweren Falten von Eugeniens Reitkleid streiften die Gebüsche. Bei solcher Nähe mußte sie es notgedrungen bemerken, daß er jetzt, wo die Erhitzung des schnellen Rittes geschwunden war, unendlich bleich aussah. Freilich, er hatte niemals die frische, lebensvolle Farbe der Jugend gehabt, aber das war doch jetzt eine andre Blässe als die des jungen Residenzlöwen, der die Abende in den Salons und die Nächte im Spiel durchschwärmte, um dann den Tag über abgespannt und übersättigt auf seinem Sofa zu liegen, bei geschlossenen Vorhängen, weil die müden verwöhnten Augen das Sonnenlicht nicht ertrugen. Dies bleiche Aussehen stammte wohl aus derselben Quelle, wie die finstere Sorgenfalte auf seiner Stirn, wie der ernste, ja düstere Ausdruck des Gesichtes, das sonst immer nur träge Gleichgültigkeit gezeigt. Aber Arthur Berkow gewann unendlich bei einer Veränderung, die jedem andern zum Nachteil gereicht hätte. Eugenie sah jetzt erst, daß ihr Mann auf Schönheit Anspruch machen konnte; früher hatte sie es nicht sehen wollen; für sie gingen in der schlaffen Teilnahmslosigkeit seines Wesens alle andern Vorzüge unter, und sie traten wirklich erst jetzt hervor, mit diesem Zuge von Energie, der sich so neu und ungewohnt in seinem Antlitz, in seiner ganzen Haltung zeigte, und der doch wohl längst dagewesen war, nur verwischt und untergegangen in der Blasiertheit, wie so vieles andre. Jawohl, die versunkene Welt fing an heraufzusteigen aus ihrer Tiefe, der nahende Sturm hatte sie wachgerufen, der allein – Eugenie fühlte fast mit einer Art von Bitterkeit, daß sie keinen Teil an diesem Erwachen hatte, daß sie das Zauberwort nicht besessen, das den Bann gelöst; er riß sich ja mit eigener Kraft empor, was bedurfte es dazu einer fremden Hand!

»Es thut mir leid, daß ich deinen Spazierritt abkürzen mußte,« unterbrach Arthur endlich das Schweigen, aber es geschah in jener höflich kühlen Weise, die er stets ihr gegenüber annahm; »der Tag ist herrlich!« »Ich fürchte, dir war ein Ritt ins Freie notwendiger als mir!« In den Ton der jungen Frau mischte sich eine vielleicht unbewußte Besorgnis. »Du siehst so bleich aus, Arthur!«

»Ich bin die Arbeit nicht gewohnt!« sagte er mit einer Art von herbem Spott. »Das kommt von der Verweichlichung! Ich kann nicht einmal leisten, was jeder meiner Beamten täglich leistet.«

»Mir scheint eher, du treibst deine Leistungen bis aufs äußerste,« entgegnete Eugenie rasch. »Den Tag über verläßt du kaum mehr dein Arbeitszimmer, und des Nachts sehe ich dort bis an den Morgen hin Licht brennen.«

Eine schnelle Röte flog über die Züge des jungen Mannes.

»Seit wann wendest du denn den Fenstern meines Zimmers eine solche Aufmerksamkeit zu?« fragte er mit ruhiger, aber tiefer Bitterkeit. »Ich glaubte nicht, daß sie überhaupt für dich da seien.«

Jetzt war die Reihe des Errötens an der jungen Frau; aber sie bemeisterte schnell die aufsteigende Glut und erwiderte fest: »Seit ich weiß, daß die Gefahr, die du so entschieden ableugnetest, mit jedem Tage näher kommt. Weshalb täuschtest du mich über die Tragweite dieses Streites und über seine möglichen Folgen?«

»Ich wollte dich nicht beunruhigen.«

Sie machte eine ungeduldige Bewegung. »Ich bin kein furchtsames Kind, das man mit so ängstlicher Schonung umgeben muß, und wenn uns irgend etwas droht –«

»Uns?« unterbrach sie Arthur. »Verzeih, aber die Gefahr droht doch höchstens mir allein. Ich habe nie daran gedacht, dich als Kind zu behandeln; aber ich habe es für meine Pflicht gehalten, Baroneß Windeg nicht mit Dingen zu behelligen, die ihr wohl so gleichgültig sein müssen und in kurzem so fremd sein werden, wie der Name, den sie jetzt noch trägt.«

Der Ton der Erwiderung war eiskalt, und es war ihr eigener Ton, den sie oft genug ihm gegenüber angewendet hatte, wenn sie es für nötig fand, ihre Herkunft und das Gezwungene ihrer Vermählung geltend zu machen. Jetzt gab man ihr selber eine Lehre damit. In den dunkeln Augen der jungen Frau blitzte etwas wie Zorn, als sie dieselben auf ihren Gatten richtete. »Und daraufhin verweigerst du mir also jede Auskunft über deine Angelegenheiten?«

»Wenn du sie wünschest – nein.«

Eugenie schien einige Sekunden lang mit sich zu kämpfen. »Du hast deinen Bergleuten ihre Forderungen verweigert?« fragte sie endlich.

»Was davon zu bewilligen war und was die Leute aus sich selbst verlangten, habe ich bewilligt. Mit Hartmanns unsinnigen Forderungen ist überhaupt nicht zu rechten; sie laufen in ihren notwendigen Folgen auf Zerstörung aller Disziplin, auf Anarchie hinaus und sind geradezu beleidigend. Er hätte schwerlich gewagt, sie zu stellen, wüßte er nicht, was in diesem Kampfe für mich auf dem Spiele steht.«

»Und was steht auf dem Spiele?« fragte Eugenie in atemloser Spannung. »Dein Vermögen?«

»Mehr noch – die Existenz!«

»Und du wirst nicht nachgeben?«

»Nein!«

Die junge Frau blickte stumm auf ihren Mann, auf diesen Mann, der vor noch nicht drei Monaten keine »Scene« mit ihr ertragen konnte, weil sie seine »Nerven« angriff, und der jetzt mit dieser Ruhe einem Kampfe die Stirn bot, in dem es sich um seine Existenz handelte. War er wirklich noch derselbe? Es hatte einen eisernen Klang, dieses Nein, und sie fühlte, daß er es ebenso eisern auch der wildesten Drohung entgegensetzen würde.

»Ich fürchte, Hartmann treibt den Streit bis zum äußersten!« entgegnete sie. »Er haßt dich.«

Ein verächtliches Lächeln zuckte um Arthurs Lippen. »Das weiß ich! Diese Empfindung ist durchaus gegenseitig.«

Eugenie dachte an die wild flammenden Augen oben auf der Höhe, als sie den Namen ihres Gatten nannte, und es überkam sie auf einmal eine jähe Angst.

»Du solltest den Haß dieses Mannes nicht unterschätzen, Arthur. Er ist furchtbar in seinen Leidenschaften, wie in seiner Energie.«

Arthur richtete einen langen, finsteren Blick auf sie. »Kennst du ihn so genau? Freilich, dir ist ja dieser Blusenheld von jeher bewundernswert erschienen! Eine wohlfeile Energie, die auf Unmöglichkeiten trotzt und eher Hunderte mit sich ins Unglück reißt, ehe sie ein Wort der Vernunft hört! Aber auch Hartmann könnte eine Mauer finden, an der sein starrer Eisenkopf sich vergebens versucht; von mir wenigstens wird er nichts erzwingen, und müßte ich den Kampf durchfechten bis zum eigenen Untergange.«

Er hielt plötzlich sein Pferd an und Eugenie that in demselben Moment das Gleiche. Der Waldweg durchschnitt hier eine Windung der Fahrstraße, und in derselben sahen sie gerade das, was sie vermeiden wollten, eine Schar von Bergleuten, die hier Halt gemacht hatte und auf irgend etwas zu warten schien. Arthur runzelte die Stirn.

»Es scheint, die Begegnung soll uns nun einmal nicht erspart bleiben!«

»Wollen wir umkehren?« fragte Eugenie leise.

»Zu spät! Sie haben uns bereits bemerkt. Ausweichen läßt sich hier nicht und die Umkehr würde Flucht sein. Es ist schlimm, daß wir gerade zu Pferde sind; das wird sie noch mehr reizen, aber wir dürfen hier keine Schwäche zeigen; wir müssen vorwärts.«

»Und doch hast du dieses Zusammentreffen gefürchtet?«

Arthur sah sie groß an. »Ich? Nur du solltest ihnen nicht begegnen. Jetzt läßt es sich freilich nicht vermeiden, aber wenigstens bist du nicht mehr allein. Halte Afra fest im Zügel und bleibe dicht an meiner Seite! Vielleicht geht es dennoch ohne Konflikt ab.«

All diese Worte wurden leise und rasch gewechselt, während sie kaum eine Minute lang still hielten. Jetzt ritten sie im langsamen Schritt wieder vorwärts und hinaus auf die Fahrstraße, wo man sie allerdings schon bemerkt hatte.

Arthur hatte recht. Die Art der Begegnung konnte nicht schlimmer sein. Die Leute waren in aufgeregtem Zustande, erhitzt und erbittert durch die auf den Hütten vorgefallenen Scenen; sie fingen bereits an, schwer unter den Folgen ihres Widerstandes zu leiden, und jetzt sahen sie ihren Chef, der ihren Forderungen durchaus nicht nachgeben wollte, hoch zu Roß, an der Seite seiner vornehmen Gemahlin und, wie sie meinten, von einem Vergnügungsritt zurückkommend – ein gefährlicher Anblick für Menschen, die bereits mit dem Mangel kämpften! Ein bedenkliches Murren wurde laut. Schon waren halblaute Drohungen, beleidigende Worte gefallen; sie verstummten zwar, als die beiden die Fahrstraße erreichten, aber dafür bildete jetzt die ganze Schar, wie auf Verabredung, eine festgeschlossene Masse, die bereit schien, den Reitern den Durchgang zu wehren.

Arthurs Lippen zeigten wieder jenes leise nervöse Beben, das bei ihm das einzige äußere Zeichen der Erregung war, aber seine Hand bebte nicht im geringsten, als er Afras Zügel ergriff, um das Tier auf alle Fälle dicht neben sich zu halten!

»Glückauf!«

Der Gruß blieb unbeantwortet. Nicht ein einziger aus der ganzen Schar erwiderte ihn. Statt dessen schossen feindselige Blicke von allen Seiten auf die beiden, und die Zunächststehenden drängten noch dichter heran.

»Wollt ihr uns nicht durchlassen?« fragte Arthur ernst. »Die Pferde werden unruhig, wenn ihr so herandrängt. Gebt Raum!« Trotz der Gefahr der Lage, die sie vollkommen begriff, blickte Eugenie doch überrascht auf ihren Gatten. Es war das erste Mal, daß sie diesen Ton von seinen Lippen hörte; er klang sehr ruhig, aber er hatte nichsdestoweniger die volle Autorität des Herrn seinen Untergebenen gegenüber. Dieses Benehmen Arthurs war immerhin ein Wagnis in solchem Moment, aber es wäre unbedingt geglückt, wäre die Schar ohne Führer gewesen; sie hätte diesem Tone nachgegeben. Jetzt dagegen wendeten sich aller Augen nach einer einzigen Richtung, als erwarteten sie von dort allein das Signal zur Nachgiebigkeit oder zum Widerstande. Dort drüben stand Ulrich Hartmann, der soeben von der Höhe herabgekommen war und den man wahrscheinlich hier erwartet hatte. Er stand unbeweglich, die Arme übereinandergeschlagen, die Augen fest auf Berkow und dessen Gattin gerichtet, aber es war nichts Gutes, was in diesen Augen geschrieben stand.

Arthurs Blicke waren denjenigen der übrigen gefolgt. Er wandte sich jetzt vollends um.

»Hartmann, Sie sind auch heute der Führer? Nun, so sorgen Sie auch dafür, daß man uns durchläßt! Wir warten.«

Hätte in diesen Worten nur die leiseste Spur eines Befehls oder einer Bitte gelegen, gleichviel welches von beiden, es wäre der Funke im Pulverfaß gewesen, und Ulrich schien in der That nur auf diesen Funken zu warten. Aber dieses kühle Verlangen, er solle hier Ordnung schaffen, das dies als eine selbstverständliche Pflicht voraussetzte und zugleich seine Autorität anerkannte, frappierte ihn doch, ohne ihn gleichwohl umzustimmen. Er kam langsam heran.

»Ja so, Sie möchten weiterreiten, Herr Berkow?«

»Gewiß! Sie sehen es ja, daß wir nach der andern Seite hinüber wollen.«

Ein vernichtender Hohn blitzte in Ulrichs Zügen auf. »Und dazu rufen Sie mich her? Sie sind ja der ›Herr‹ Ihrer Werke und Ihrer Arbeiter; befehlen Sie doch, daß man Ihnen Platz macht! Oder« – hier wurde seine Stimme wieder dumpf und drohend – »glauben Sie vielleicht jetzt, daß ich hier Herr bin und daß ich nur ein Wort zu sagen brauche, um Sie – um es Ihnen zu zeigen?«

Eugenie war bleich geworden, während sie ihr Pferd dichter an das ihres Gatten drängte. Sie wußte freilich, daß jene sprühenden Augen nicht sie bedrohten, aber für sich zitterte sie auch nicht. Jetzt fehlte ihr der Mut, die Macht geltend zu machen, der sich Ulrich vorhin gebeugt. Sie ahnte, daß jene Macht ihre Wirkung versagen würde, solange er sie an der Seite ihres Mannes sah.

»Hundert sind immer Herr gegen einen!« sagte Arthur kalt. »Wenn es sich nämlich um ein Niederschlagen handelt, aber das meinten Sie doch wohl nicht, Hartmann? Oder würden Sie sich nicht sicher fühlen, wenn Sie jetzt zufällig allein unter meine Beamten gerieten? Ich denke, ich bin es hier so gut wie in meinem Hause.«

Ulrich gab keine Antwort; er blickte finster empor zu dem jungen Manne, der mit so vollkommener Ruhe vor ihm hielt und ihn mit den klaren braunen Augen so fest anschaute wie damals, als der Streit zuerst ausbrach. Freilich damals hatte er in seinem Konferenzzimmer gestanden, umgeben und geschützt von seinen Beamten; jetzt befand er sich allein, inmitten einer aufgeregten Menge, die nur auf das Signal wartete, um mit Beleidigungen, vielleicht mit Gewaltthätigkeiten loszubrechen, und doch zuckte keine Muskel dieses Gesichtes, und doch war die Haltung so stolz und sicher, der Blick so furchtlos, als wisse und fühle er sich selbst hier als Herr.

Diese Ruhe und Sicherheit verfehlte nicht ihren Eindruck auf die ans Gehorchen gewohnte Menge. Es kam nur darauf an, wem sie diesmal gehorchte. Zum zweitenmal wendeten sich die Blicke fragend auf Ulrich, der noch immer stumm dastand. Er sah wieder empor, dann seitwärts auf das bleiche Antlitz Eugeniens. Auf einmal trat er zurück.

»Macht Platz, daß die Pferde durch können! Dort nach links hin!«

Dem Befehle wurde sofort Folge geleistet, mit einer Eile, daß es den Eindruck machte, als gehorchten die Leute nicht ungern. In weniger als einer Minute war eine breite Gasse geöffnet, durch die Berkow und seine Gattin ungehindert davonritten. Sie bogen jenseits der Chaussee wieder in den Waldweg ein und verschwanden gleich darauf zwischen den Bäumen.

»Höre, Ulrich!« – Lorenz trat mit einer Art von gutmütigem Vorwurf an seinen Kameraden heran – »vorhin hast du mich angefahren, weil ich oben auf den Hütten zur Ruhe sprach – was hast du denn jetzt gethan?« Der Angeredete starrte noch immer nach den Bäumen hinüber; jetzt, wo die Persönlichkeit des jungen Chefs nicht mehr wirkte, schien er seine großmütige Aufwallung schon wieder zu bereuen.

»Hundert gegen einen!« murmelte er bitter, »und ›Ich bin sicher in eurer Mitte!‹ Jawohl, an schönen Redensarten fehlt's ihnen nie, wenn sie sich fürchten, und unsereiner beißt auch immer wieder auf den alten Köder.«

»Der sah nicht aus, als ob er sich fürchtete!« sagte Lorenz bestimmt. »Er ist überhaupt nicht wie sein Vater. Ulrich, wir sollten doch –«

»Was sollten wir?« unterbrach ihn Ulrich heftig. »Nachgeben, nicht wahr? Damit ihr nur wieder Ruhe und Frieden habt, und er es nachher ärger treibt, als es der Vater je getrieben, wenn er erst merkt, daß ihm alles glückt. Wenn ich ihn heute fortließ, so war es, weil er nicht allein war, weil er seine Frau bei sich hatte und weil –« er brach plötzlich ab. Der stolze verschlossene Mann hätte sich eher die Zunge abgebissen, als seinen Kameraden gegenüber bekannt, welche Macht ihn hier allein zur Schonung gezwungen.

Arthur und Eugenie waren inzwischen schweigend weitergeritten. Ob die gemeinsam überstandene Gefahr sie näher aneinandergekettet, sie ließen, obgleich der nunmehr breitere Weg hinreichenden Raum gewahrt, die Pferde noch immer Seite an Seite gehen und noch immer hielt Arthur Afras Zügel in der Hand, obwohl jetzt nichts mehr zu fürchten und die weitere Sorgfalt bei einer so kühnen Reiterin gänzlich überflüssig war.

»Begreifst du jetzt die Gefahr deines heutigen Ausfluges?« fragte er endlich.

»Ja! Aber auch die Gefahr deiner Lage.«

»Ich muß sie tragen. Du hast selbst gesehen, welchen blinden Gehorsam sich dieser Hartmann zu erzwingen weiß. Ein Wort von ihm, und man ließ uns ungehindert vorüberreiten; auch nicht ein einziger wagte zu murren, und doch warteten sie allesamt nur auf ein Zeichen, um sich gegen uns zu wenden.«

»Aber er gab dieses Zeichen nicht!« sagte Eugenie, das letzte Wort schwer betonend.

Arthur richtete wieder den seltsam langen und düsteren Blick auf sie. »Nein! Heute nicht! Er wird wohl am besten wissen, was ihn zurückhält. Aber er kann es morgen, übermorgen thun, wenn wir wieder einander begegnen; ich bin vollkommen gefaßt darauf.«


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