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Erster Teil
Die Wiederkunft Sargons, des Königs der Könige

 

Erstes Kapitel.
Herrn Preembys Jugend

1

Dies ist die Geschichte eines gewissen Herrn Preemby, eines Wäschereibesitzers und Witwers, der sich zurückgezogen und sein ganzes aktives Interesse an der Wäscherei ‹Zum klaren Bach› in der Gemeinde Sankt Sebastian Weißnichtwo in der Nähe von Woodford Wells mit dem Tode seiner Frau im Jahre des Heils 1920 aufgegeben hatte. Er erlebte einige äußerst merkwürdige Dinge. Diese Geschichte ist im wesentlichen eine zeitgenössische Geschichte: eine Geschichte Londons im Zeitalter des Herrn Arthur Conan Doyle, des Radio und der ersten Arbeiter-Peers. Das geschichtliche Element darin ist unwesentlich und zum Teil unrichtig, und die Zukunft, wenn auch stillschweigend gegenwärtig, wird in Wirklichkeit nicht beachtet.

Da das Waschen in London, so wie der Milchhandel und das Backen, der Schnittwarenverschleiß und noch manch anderer Geschäftszweig, sich spezialisiert hat, erblich geworden und für Außenstehende ein bißchen schwierig zu verstehen ist, ist es notwendig zu erklären, daß Herr Preemby nicht ein geborener Wäscher war. Er hatte wenig vom Geist und Gehaben eines echten Londoner Wäschereibesitzers an sich. Er heiratete in die Wäscherei. 1899 traf er in Sheringham ein gewisses Fräulein Hossett, eine Erbin und junge Dame von großer Entschiedenheit des Charakters; er warb um sie, gewann sie und heiratete sie, wie man noch hören wird, fast ohne zu wissen, was er tat. Die Hossetts sind große Leute in der Wäschereiwelt, und die Firma ‹Zum klaren Bach›, die bald in die fähigen Hände einer Frau Preemby fallen sollte, war nur eines aus einer Reihe von verschwägerten und verbündeten Geschäften im Nord-, Nord-Ost- und Süd-West-Bezirke Londons.

Herr Preemby stammte, was übrigens Fräulein Hossetts Familie ganz frei und unverhohlen gar bald herausfand, aus einem etwas minder praktischen Geschlecht als sein Weib. Sein Vater war Künstler gewesen, reizend und unpünktlich, ein Kunstphotograph, der in Sheringham wohnte und, wie man es in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts nannte, ‹Gemmenbilder› von den Sommergästen dieses Ortes machte. In jenen Achtzigerjahren war er eine stadtbekannte Sheringhamer Figur, dunkel und schön, manchmal ein wenig ungekämmt; er trug eine braune Samtjacke und einen breitkrempigen, weichen, grauen Filzhut. Er liebte es, sich am Strande mit den Badegästen in Gespräche einzulassen, und ein gewisses vornehmes Aussehen pflegte ihm eine genügende Anzahl dieser Leute in sein Atelier zu bringen, um ihm den Lebensunterhalt zu verschaffen. Seine Frau, unseres Herrn Preemby Mutter, war eine geduldige, unterentwickelte Persönlichkeit, die Tochter eines Landwirtes aus der Nähe von Diss. Als Herr Preemby senior bald aus dem Leben seines Sohnes verschwand – er wurde im Sommer 1887 höchst romantisch in eine Varieté-Gesellschaft verstrickt und verschwand mit ihr im Herbst mit möglichst wenig Aufheben, um nie mehr nach Sheringham zurückzukehren –, da wurde Frau Preemby senior der arbeitende Teilhaber an einem kleinen Miethause und starb in ungefähr einem Jahre, wobei sie ihre Möbel, ihre Interessen an dem Miethaus und ihren einzigen Sohn ihrer Base und Teilhaberin, Frau Witcherly, hinterließ.

Jung Albert Eduard Preemby war damals ein hübscher, schlanker Jüngling von sechzehn Jahren, mit seines Vaters Lockenkopf, seiner Mutter blonden Haaren und himmelblauen Augen, träumerisch und zu regelmäßiger Beschäftigung nicht veranlagt. Schon als Kind hatte er sich der Träumerei hingegeben; in der Schule saß er da, vor sich die vergessenen Rechenaufgaben oder Bücher, über die hinaus er nach unsichtbaren Dingen blickte; im Geschäft mißglückten schon seine ersten Versuche, eben wegen dieser Geistesabwesenheit. Nach einer Anzahl erfolgloser Bemühungen, seine Talente an irgendeiner passenden Stelle der komplizierten Maschinerie unserer Zivilisation anzubringen, fand er schließlich für einige Jahre im Büro eines Hausagenten und Kohlenhändlers, eines entfernten Verwandten seiner Mutter, in Norwich Zuflucht.

Unvergessene Gefühlsbande aus vergangener Zeit verhalfen Albert Eduard zu dieser Stelle und bewahrten jede unvollkommene Ausführung seiner Arbeit vor allzustrenger Kritik. Und er zeigte sich auf einmal viel brauchbarer, als irgendjemand hätte erwarten können. Der Beruf des Hausagenten unterscheidet sich von den meisten anderen Berufen dadurch, daß die nötige treibende Energie vollständig von der Kundschaft geliefert wird, und im Vermieten größerer Häuser fand die schlafende Einbildungskraft des jungen Preemby etwas, das sie anregte. Er offenbarte eine natürliche Gabe für anziehende Beschreibungen und ward infolgedessen mit der Aufgabe betraut, von aussichtsreichen Vermietern nähere Einzelheiten einzuholen. Er besaß eine recht nützliche Hoffnungsfreudigkeit. Ja sogar die Kohle entpuppte sich wider Erwarten als interessant, sobald er einmal herausgefunden hatte, daß sie nicht von ihm ausgetragen werden müsse. Er konnte niemals glauben, daß all die goldenen Schüppchen, die man darin findet, Schwefelkies seien. Er nährte im geheimen den Traum eines großen kaufmännischen Unternehmens, aus Schlackenhaufen rückständiges Gold zu gewinnen. Er erzählte niemandem von diesem Projekt, unternahm keine Schritte, es zu verwirklichen, doch es durchwärmte mit seinem Versprechen von Freiheit und Wohlstand die Eintönigkeit seiner täglichen Arbeit. Und wenn am frühen Nachmittage das Geschäft flau ging und er allein die Aufsicht führte, dann pflegte er sich an den Ladentisch zu setzen, die Kohlenstücke herauszusuchen, die als Muster auf kleinen Blechtellern liegen sollten, sie um- und umzudrehen, unter verschiedenen Winkeln zu betrachten und in seiner Hand zu wägen, wobei er in die herrlichsten Visionen verfiel.

Und wenn Kunden hereinkamen, die nach Häusern suchten, pflegte er sie mit einer Höflichkeit zu empfangen, die beinahe königlich war.

In Norwich wurde er Mitglied des ‹Vereines Christlicher Jünglinge›, doch war es mehr dessen literarische als religiöse Seite, die ihn interessierte, und er nahm an jeder ihm zugänglichen politischen Debatte teil. Niemals freilich sprach er in diesen Debatten, sondern er saß hinten und dachte darüber nach, wie doch diese Politiker im großen und ganzen nichts andres als Drahtpuppen in den Händen der stummen reichen Männer seien, die hinter der Szene sitzen. In Norwich war es auch, wo er sich seinen ersten beim Schneider gemachten Anzug kaufen konnte, in einem äußerst gefälligen Grau. Als er nach Sheringham fuhr, um dort bei Frau Witcherly seinen vierzehntägigen Sommerurlaub zu verbringen, war diese von der vorteilhaften Veränderung in seinem Aussehen entzückt, und die lebhafte Hoffnungsfreudigkeit, die an Stelle der früheren Lethargie getreten war, machte einen tiefen Eindruck auf sie. Auf der Strandpromenade, so nachmittags in seinem grauen Anzug, mochte ihn wohl jeder, der ihn nicht kannte, für irgendeinen vielversprechenden Sommerbadegast halten.

Es scheint erst gestern gewesen zu sein, und doch scheint es wiederum Ewigkeiten zurück, daß unser dicker und kurzer Herr Preemby jener schlanke, blonde Jüngling war, der seinen Stock im Kreise schwang und verstohlen, aber sehnsüchtig nach den weiblichen Badegästen in ihren weiten Baderöckchen und Badehauben schielte, wenn er auf der Strandpromenade von Sheringham dahinschlenderte. Das war in jenen Tagen, da Automobile nicht viel mehr waren als ein Witz, Gestank, Lärm und Reparaturen am Straßenrand und man es für unmöglich hielt zu fliegen. Die Königin Viktoria hatte bereits ihr diamantenes Regierungsjubiläum gefeiert, und kein Mensch dachte daran, daß Albert Eduard, der Prinz von Wales, sie jemals überleben würde, um König zu werden. Der Krieg in Südafrika, der sechs Monate dauern und 40.000 Mann beschäftigen sollte, war gerade für diesen Sommer angesetzt worden. Und es war am dritten Tage seiner Ferien im grauen Anzug zu Sheringham, daß Herr Preemby von seinem zukünftigen Weibe, Fräulein Hossett, die auf einem Fahrrad saß, angerannt und gegen ihre Freundin, Fräulein Meta Pinkey, gestoßen wurde, so daß er von dieser beinahe überfahren worden wäre.

Nämlich weil, so unglaublich das auch dem modernen Leser erscheinen mag, die Leute in jenen fernen Neunzigerjahren, bevor die dazu geeigneteren Automobile aufkamen, sogar mit den schwerfälligen Geräten, die einem damals zu Gebote standen, wie Fahrrädern, Pferdewagen und dergleichen, es zustande brachten, andere Leute umzurennen und zu überfahren.

2

Fräulein Meta Pinkey war ein leicht erregbares, blondes Mädchen, und sie fiel anmutig und natürlich von ihrem Rad gerade in Herrn Preembys Arme, als er gegen sie geschleudert wurde. Es mochte so scheinen, als ob es die ursprüngliche Absicht des Schicksals gewesen wäre, dies zum Anfang einer dauernden Beziehung zu machen, aber in diesem Falle hatte das Schicksal seine Rechnung ohne Fräulein Hossett gemacht. Fräulein Meta Pinkey war gerade damals so reif für die Liebe, wie trockenes Schießpulver für den Knall, und sie war bereits heiß in Herrn Preemby verliebt, noch ehe er sie wieder sicher auf ihre Füße gestellt hatte. Sie stand errötet, mit großen Augen und atemlos da, und Herr Preemby sah, nachdem er ihr Fahrrad mit der Würde eines Retters aufgeklaubt hatte, recht hübsch und männlich aus.

Nachdem Fräulein Hossett an Herrn Preemby gestoßen war, schwenkte sie zur Seite, stieg ab und stand nun zu einem Wortwechsel bereit da. Der Zusammenstoß hatte die bereits lockere Lenkstange des vollkommen unverläßlichen, gemieteten Fahrzeuges, auf dem sie gesessen war, noch mehr gelockert. Diese Lockerung war die Ursache des Unglücks gewesen. Ihre Aufmerksamkeit schien in gleicher Weise zwischen diesem Umstand und einer möglichen Beschwerde Herrn Preembys geteilt zu sein. »Ich klingelte«, sagte sie.

Sie stand errötet und aufrecht da: ein Mädchen mit rundem Gesicht, langem, dünnem Hals und guter heller Hautfarbe, mit Gläsern über ihrer schmalen Nase und einem entschlossenen, scharfgezeichneten Munde.

»Ich hab' alles getan, um auszuweichen«, sagte sie.

»Es war ungeschickt von mir«, sagte Herr Preemby entwaffnend. »Ich war in Träumereien verloren.«

»Sie sind doch nicht etwa verletzt –?« fragte Meta.

»Nur erschrocken,« sagte Herr Preemby, »besonders wie mich das Rad getroffen hat. Dieser Ort ist voller Ecken.«

»Ich wäre umgefallen,« sagte Meta, »wenn Sie mich nicht aufgefangen hätten.«

Fräulein Hossett hatte sich nun betreffs jedes mit Herrn Preemby möglichen Konfliktes beruhigt. Offenbar hatte er die Absicht, den Unfall freundlich hinzunehmen. »Die Lenkstange da war so locker wie nur etwas«, sagte sie. »Schaun Sie her! Man kann sie herumdrehen wie auf einem Drehring. Die Leute sollten bestraft werden dafür, daß sie solche Räder vermieten. Eines schönen Tages wird einer von ihnen schon noch einmal wegen Fahrlässigkeit draufzahlen. Dann werden sie ein bißchen vorsichtiger sein. Skandalös nenn' ich das.«

»Sie können jetzt natürlich nicht mehr damit fahren«, sagte Herr Preemby.

»Nein«, gab sie zu. »Ich muß es den Leuten zurückbringen.«

Es schien Herrn Preemby nur recht und billig, ihr das Rad durch die Stadt zurückzuschieben, dorthin, wo sie es gemietet hatte, und wo Fräulein Hossett den Vermieter zur Rede stellte, sich weigerte, etwas zu zahlen, und die Rückgabe ihrer Anzahlung mit ein paar wohlgewählten Worten durchsetzte. Fräulein Pinkey zahlte für ihr Rad die Miete für eine angefangene Stunde. Danach schien es für die kleine Gesellschaft zu dritt nur natürlich, beieinander zu bleiben. So blieben sie denn, mit einem leisen Gefühl von Abenteuerlust, beisammen, und Herr Preemby benahm sich ganz wie ein regelrechter Zimmermieter in Frau Witcherlys Haushalt und ein Sommergast am Meer. Seine neuen Bekannten waren Londoner, und er selbst machte Andeutungen über Norwich und die Verwaltung von Häusern. Es war recht amüsant, ihn über Sheringham sprechen zu hören. Er sagte, es sei »eine liebe kleine halb fort-, halb rückschrittliche Stadt« und es sei eine wahre Wohltat herzukommen, um frische Seeluft zu atmen.

»Ich kann so richtig elegante Plätze nicht leiden«, sagte Herr Preemby. »Ich bin zu zerstreut.«

3

In späteren Jahren versuchte Herr Preemby oft, sich die verschiedenen Stadien, die ihn dazu geführt hatten, Fräulein Hossett zu heiraten, ins Gedächtnis zurückzurufen, aber dabei hatte er stets das unbestimmte Gefühl, etwas auszulassen, obzwar er nie recht wußte, was es war oder wo es hingehörte.

Im Anfang hatte es nicht im mindesten den Anschein, daß er Fräulein Hossett heiraten würde. Ja wirklich, es sah garnicht danach aus, daß er überhaupt jemals heiraten würde, und wenn jemand das Wort Heirat als die mögliche Folge dieses Zusammentreffens ihm ins Ohr geflüstert hätte, so wäre er heftig erschrocken. Er merkte wohl, daß seine Gesellschaft den Mädchen angenehm war, aber soweit er sehen konnte, bildete Meta das Band, das die beiden mit ihm verknüpfte. Bald gesellte sich eine vierte Person zu ihnen, die auf den Namen Wilfred hörte, und es schien Herrn Preemby eine unantastbare Tatsache, daß Wilfred und Fräulein Hossett zusammengehörten.

Das junge Volk wanderte so in kleiner Gesellschaft an der Strandpromenade entlang bis dorthin, wo die Promenade aufhörte und sie eine geschützte und verhältnismäßig sichere Nische in einem Vorsprung der niedrigen Klippen fanden, allwo sie sich den Freuden des ‹Sponsierens› hingeben konnten; und da sponsierte Meta mit Herrn Preemby und Wilfred mit Fräulein Hossett. Noch über den Golf eines Vierteljahrhunderts hinüber war Herrn Preembys Gedächtnis sicher, daß es so gewesen war und nicht anders.

Die Lebensgewohnheiten ändern sich von Geschlecht zu Geschlecht. Das Wissen hat sich verbreitet, die Verfeinerung zugenommen, und eine Generation von jungen Leuten mit mehr Selbstzucht, mehr Sophistereien oder mehr Entschlossenheit als ihre Vorfahren hat von der Welt Besitz ergriffen. Dieses Sponsieren war ein harmloses, ungeschicktes Liebkosen, das in jenen verschwundenen Tagen in hoher Gunst stand, ein Liebkosen, das – wann immer es notwendig wurde – vonseiten der Dame durch Schreie wie ‹Hör' auf› oder ‹Hör' auf, sag' ich› in den Grenzen des strengen Dekorums gehalten wurde. Sie umarmten sich, küßten sich und steckten ihre dummen jungen Köpfe zusammen und vertrieben sich so die lange Wartezeit, bis die Liebe sie fortriß. Die Sommerkurorte Englands waren rings von jungen Leuten übersät, die diesen armseligen, dummen und unwürdigen Liebesvorgefühlen huldigten. Herr Preemby war, soviel wurde klar, von Natur aus der geborene Sponsierer.

»Es ist allerliebst, wie Sie mich quetschen«, sagte Fräulein Meta.

Herr Preemby quetschte noch mehr und wagte es, ihr heißes Ohr zu küssen.

»Nicht, nicht!« sagte Fräulein Meta, mit einer Stimme voll Lust. »Ihr kleiner Schnurrbart da – der kitzelt

Gerötet von Mut und ganz von Ideen für weitere Unternehmungen eingenommen, bemerkte Herr Preemby nicht, daß der Handel zwischen Fräulein Hossett und ihrem Wilfred einen etwas trübseligeren und weniger befriedigenden Verlauf nahm. Wilfred gehörte nicht zu der Art, die Herrn Preemby zusagte. Trotz der Tatsache, daß er viel weniger sorgfältig gekleidet war als Herr Preemby – er trug graue Flanellhosen, eine alte Phantasieweste, eine Norfolk-Jacke aus Tweed und niedrige braune Halbschuhe mit hellen Socken –, machte er auf Herrn Preemby den Eindruck, als sei er sich bewußt, einer höheren Gesellschaftsklasse anzugehören. Er war jung – der Jüngste der ganzen Gesellschaft –, und doch beherrschte er sie. Er hatte große rote Hände und große Füße, eine Menge unordentlichen Haars, unregelmäßige Züge, die später vielleicht einmal schön werden mochten, und ein heiser wieherndes Lachen. Er schaute Herrn Preemby an, als ob er ihn durch und durch kenne und darum von ihm nur umso schlechter denke, aber für den Augenblick nicht die Absicht habe, an seiner Gegenwart positiven Anstoß zu nehmen. Er sei, flüsterte Meta, Medizinstudent in Cambridge und sein Vater ein Arzt aus der Harleystraße, der noblen Ärztestraße in London, der zum Ritter geschlagen worden war. Er sponsierte nicht mit Hingabe; er schien des Sponsierens überdrüssig, er hatte vielleicht ein paar Tage lang sponsiert, und aus seiner Unterhaltung mit Fräulein Hossett fühlte man den unterdrückt streitsüchtigen Ton heraus. Er saß ein wenig abseits von ihr zwischen dem Sand und dem rauhen, bläulichen Gras, und sie war errötet. Was sie sagten, konnte unser umschlungenes Paar nicht hören.

»Christine und Wilfred kommen nicht so gut miteinander aus wie wir«, sagte Meta leise. »Die sind dumm.«

»Er ist wie alle Männer,« sagte Meta, »außer einem vielleicht. Haben möchten sie alles und geben nichts.«

»Er würde nicht einmal zugeben, daß sie verlobt sind«, sagte sie. »Vermeidet es, ihren Vater kennen zu lernen.«

Es entstand eine nachdenkliche Pause und dann ein neuer Sturm von Liebkosungen.

»Ich bin ganz vernarrt in dich«, sagte Meta. »Ich bin schön vernarrt in dich. Du hast die blauesten Augen, die ich je gesehen habe. Porzellanblau sind sie.«

4

So getrennt verbrachten Herr Preemby und sein zukünftiges Weib ihren ersten Nachmittag miteinander. Er erinnerte sich daran, wie an die meisten tatsächlichen Ereignisse, nur undeutlich, in einem Nebeneinander von heißem Sand und Sonnenschein, blaugrauem Gras und einer Reihe von Mohnblumen, die gegen einen dunkelblauen Himmel nickten. Und dann schien über diese sich öffnenden Erinnerungen Christine Hossett auf ihn loszuspringen, mit geröteten Wangen und glühenden Augen, die durch ihre Gläser noch vergrößert wurden.

Zwei oder drei Tage vergingen jedoch, bis es zu jenem leidenschaftlichen Überfall kam. In seiner Eigenschaft als gelegentlicher Besucher Sheringhams hatte Herr Preemby keine Verpflichtung, einen gesellschaftlichen Hintergrund aufzuweisen, dagegen aber stellte ihn Fräulein Pinkey zwei breiten, freundlichen Tanten von einer gewissen seßhaften Art als einen jungen Verwandten des Fräuleins Hossett vor, der sie vor einem gefährlichen Fall vom Rade gerettet habe; er und sie gingen miteinander zu Christine Hossetts ‹Leuten› zum Tee. Der alte Herr Hossett war ein äußerst kränklicher Mann, ungewöhnlich dick und reizbar; seitdem sein Sohn gestorben war, war er nicht mehr derselbe gewesen, was immer auch ‹derselbe› gewesen sein mag; und Frau Hossett, eine energische, hagere Warnung vor dem, was ihre Tochter noch werden mochte, hatte Herrn Hossett wie ein kleines Kind zu bedienen. Anstelle von Christines Zwicker trug sie Brillen, ihre Augen waren abgehärmt, ihr Teint bleifarben, ihr Hals dünn. Es waren da auch noch ein verheirateter Vetter und seine Frau, Herr und Frau Widgery, zugegen, die unter dem Eindruck zu stehen schienen, daß Herr Preemby ein Verwandter des Fräulein Pinkey sei. Herr Widgery hatte ein langes, pockennarbiges Gesicht und die dümmsten braunen Augen, die Herr Preemby je gesehen hatte. Es gab zum Tee nichts Schwieriges zu essen, und so gelang es Herrn Preemby recht gut, einer ausführlichen Rede der Frau Hossett zu folgen, und zwar über die Mißlichkeit und Unsicherheit von Herrn Hossetts Existenz infolge eines Herzfehlers, und wie unbefriedigend und beunruhigend es doch sei, fortzugehen und die Wäscherei in den Händen des Verwalters zu lassen. Wilfred war nicht zum Tee gekommen. Er war eingeladen worden, war aber nicht gekommen.

Am nächsten Tage traf Herr Preemby Wilfred am Strande, wie er gerade den beiden Mädchen zuschaute, die von einem Badekarren aus badeten. Nachher gingen alle vier spazieren, um ein einsames Plätzchen zu suchen, und da wurde es offenbar, daß Fräulein Hossett nicht mehr mit Wilfred sponsieren wollte. Offenbar war es zu einem gründlichen Krach zwischen Christine und Wilfred gekommen. Die beiden sprachen kaum miteinander, als man wieder zur Stadt zurückkehrte; und noch bevor man die Strandpromenade erreicht hatte, sagte Wilfred ‹Auf Wiedersehn›, ganz plötzlich, drehte sich um und verschwand auf einer Straße, die landeinwärts führte. Damit verlor sich Wilfred aus Herrn Preembys Welt; Herr Preemby erfuhr niemals, was aus ihm geworden war, und wünschte auch niemals, es zu erfahren; und am nächsten Tage wurde er zum erstenmal der vergrößerten Augen Fräulein Hossetts gewahr, die ihn mit einem Interesse und einer Herausforderung ansahen, daß ihm beinahe unbehaglich zumute wurde.

Fräulein Hossett wurde ein ernstliches Hindernis für die Zärtlichkeiten Metas. Das Quartett war nun zu einem Trio zusammengeschmolzen, und Herr Preemby sah sich selbst als den Scheitelpunkt, sozusagen, eines Dreieckes, des unsterblichen Dreieckes, in einer außergewöhnlich akuten Form. Wann immer Meta auf der einen Seite war, Christine war auf der anderen. Sie nannte ihn ‹unser Teddy›, sie ließ ihm keine Ruhe; sie ging so weit, sein Haar zu streicheln. Metas Liebkosungen verloren in gewissem Grade angesichts dieser Konkurrenz, doch erhob sie keinen ausdrücklichen Einspruch dagegen.

Tief in der Natur des menschlichen Männchens liegt ein Quell polygamischen Stolzes. Herr Preemby benahm sich unter diesen neuen Umständen stolz und unaufrichtig. Er glaubte, selbst mit zwei Mädeln zugleich ‹anzubandeln›, und es schien ihm, als befinde er sich in einer wirklich großartigen Lage. Aber in Wahrheit war es nicht so sehr ein Fall des Anbandelns als des Angebandelt-Werdens. In der Welt der amerikanischen Gefühlsvorstellungen gibt es ein Ideal, der ‹Höhlenmensch› genannt, das sehr gerne von ruhigen, wenig aggressiven Frauen gehegt wird, weil seine Verwirklichung so wenig Umstände von ihrer Seite aus verlangt. Der ‹Höhlenmensch› soll bloß zugreifen, festhalten, die Braut heimführen und anbeten. In dieser einfachen Liebesgeschichte Herrn Preembys spielte Fräulein Hossett die Rolle des ‹Höhlenmenschen›, wenigstens bis zu dem Punkte des Heimführens. Bei der ersten Gelegenheit, da sie miteinander allein waren, zog sie ihn an sich, küßte ihn auf den Mund, und das mit einer Wärme, Heftigkeit und Gründlichkeit, die Herrn Preemby erstaunte und überwältigte. Es war ganz anders als Metas schüchterne Großtaten oder irgendetwas, das er rings um Norwich angetroffen hatte. Er hatte nicht gewußt, daß es solche Küsse gab.

Und in dem warmen Sommerzwielicht fand sich Herr Preemby an eine einsame Stelle des Meeresstrandes hingeleitet, um dort mit Christine Hossett zu sponsieren. Das Licht des aufgehenden Vollmondes mengte sich mit dem Abendglühen; einzelne Kiesel glitzerten gleich Edelsteinen und Sternen. Er hielt sich tapfer, zitterte aber am ganzen Körper. Er wußte, daß diesmal die Unternehmungen nicht von seiner Seite kommen würden. Und Christine Hossetts Sponsiererei war der Metas nicht ähnlicher als Ofenglut dem sanften Mondlicht.

»Ich liebe dich«, sagte Christine, als ob das alles rechtfertigte, und als sie spät nachts heimwärtsstolperten – ‹fürchterlich spät›, wie Herr Preemby meinte –, da sagte sie: »Du wirst mich also heiraten, nicht? Du mußt mich übrigens jetzt heiraten. Und dann können wir uns wirklich lieben. Sooft wir nur wollen.«

»Ich kann nicht ehrlich sagen, daß ich jetzt schon in der Lage bin, eine Frau zu erhalten«, sagte Herr Preemby.

»Ich hab' es doch wirklich nicht nötig, mich nach einem Mann umzuschaun, der mich erhält«, sagte Fräulein Hossett. »Du bist großartig, Teddy, auf jeden Fall, und ich werde dich heiraten. Es muß eben sein, und damit basta.«

»Aber wie kann ich dich denn heiraten?« fragte Herr Preemby beinahe kläglich – denn er war furchtbar müde.

»Du redest, als ob früher noch nie jemand geheiratet hätte«, sagte Christine Hossett. »Und außerdem – nach dem allen – du mußt

»Denk daran, daß ich nächsten Dienstag nach Norwich zurück muß«, sagte Herr Preemby.

»Daran hättest du früher denken sollen«, sagte sie.

»Aber ich werde meine Stellung verlieren.«

»Vater wird natürlich was Besseres für dich finden. Wir sind keine armen Leute, Teddy. Darüber brauchen wir uns keine Sorgen zu machen ...«

In solchen Redewendungen ward Christine Hossett von Herrn Preemby gefreit und gewonnen. Er war beängstigt, fürchterlich beängstigt, fühlte sich aber ebenso gewaltig erhoben. Das Ganze machte auf ihn den Eindruck, als wäre es eine wildromantische Affäre und sehr schrecklich und ein bißchen hart für Meta Pinkey. Aber er wurde zu rasch vorwärtsgedrängt, um viel über Meta Pinkey nachdenken zu können. Am nächsten Tage wurde er den Eltern Hossett noch einmal und diesmal als ihrer Tochter Verlobter vorgestellt, und sie gab ihm heimlich drei Goldstücke, damit er ihr zur Überraschung einen Verlobungsring kaufe. Frau Hossett benahm sich erst so, als ob sie Herrn Preemby zwar nett finde, aber die Heirat mißbillige, und dann, nach einer stürmischen Szene mit ihrer Tochter im ersten Stock, benahm sie sich, als ob sie die Heirat höchlichst billige und Herrn Preemby für eine ganz und gar nicht einwandfreie Person halte. Herr Hossett sprach zwar nicht direkt mit Herrn Preemby, aber er sprach von ihm zu seiner Frau und zu nicht vorhandenen Zuhörern in Herrn Preembys Gegenwart als von einem ‹Schuft, der sein Mädel drangekriegt› habe. Doch auch er schien die Heirat für wünschenswert zu halten und niemand machte irgendeinen Einwand gegen seine obiter dicta.

Das alles war für Herrn Preemby sehr verwirrend und erhebend zugleich. Er tat nichts, als was man ihn zu tun hieß. Er wurde über seine Heirat hinübergetragen, wie ein Mann etwa über ein Wehr getragen werden mag. Frau Witcherly gegenüber hob er jede Erklärung der Ereignisse für eine bessere Gelegenheit auf. Am Dienstag zog er mit seinem kleinen Ranzen fort, als ob er nach Norwich zurückgehen wollte. Er schrieb einen einfachen Brief an den Hausagenten und Kohlenhändler, worin er seinem Bedauern Ausdruck gab: Privatangelegenheiten dringender Natur, so sagte er, verhinderten ihn, auf seinen Posten zurückzukehren. Frau Hossett und ihre Tochter fuhren dann mit ihm nach London. Sie alle nahmen in einem Hotel für Abstinenzler in Bloomsbury Zimmer, und Herr Preemby wurde ‹mit besonderer Erlaubnis› zu St. Martin am Trafalgar-Platz getraut.

Dann fuhr er in die Wäscherei ‹Zum klaren Bach›, um dort mit seinen Schwiegereltern zu leben und die Pflichten eines Hilfsverwalters, Kundenwerbers und öffentlichen Agenten zu erfüllen. Herr Hossett redete niemals mit ihm und sprach manchmal ziemlich unfreundlich über ihn, wenn er im Zimmer war, indem er Anklagen erhob, auf die man besser gar nicht hörte, aber Frau Hossett wurde ihm nach und nach wieder von Herzen gut gesinnt. Und bald traf Herrn Hossett ein Herzschlag, und er starb, und wenige Monate später war Herr Preemby Vater. Als er seine Tochter und, wie es sich erwies, sein einziges Kind, zum ersten Male zu Gesicht bekam, dünkte sie ihn ein äußerst häßliches, kleines, rotes Ding. Hatte er doch niemals zuvor ein Baby in so frühem Alter gesehen. Sie hatte eine Menge ganz feinen, feuchten, dunklen Haares, das in der Folge einem Nachwuchs Platz machte; sie zeigte breite, unbestimmte Züge, und ihre Füße und Hände waren auffallend groß. Herr Preemby hatte den seltsamen Eindruck, daß er sie schon früher einmal irgendwo gesehen und nicht gern gehabt habe. Nach ein oder zwei Tagen jedoch wurde sie ein ganz gewöhnliches rosa Baby, und die Verwunderung machte nun der Zuneigung Platz.

Nach der Mutter und Herrn Preemby wurde sie Christina Alberta getauft.

5

Mit der Zeit verschmolzen all diese Erlebnisse in Herrn Preembys Gedächtnis zu einer verschwommenen, glorreichen, romantischen und abenteuerlichen Vergangenheit. Er blieb auch weiterhin ziemlich verträumt und zerstreut, aber im großen und ganzen gab er einen pflichteifrigen, treuen Gatten ab und kam mit seinem gebieterischen und tüchtigen Weibe sehr gut aus.

Wie er am Tage der Hochzeit entdeckt hatte, war sie ihm drei Jahre im Alter voraus, und bis zu ihrem Todestage blieb sie ihm in jeder Hinsicht voraus. Doch behandelte sie ihn mit der Zuneigung, die man für sein Eigentum fühlt; sie wählte alle Kleider für ihn aus, erzog ihn zu guten Manieren, achtete auf seine Haltung und ergriff gegen alle anderen Leute für ihn Partei. Was die Kleidung betraf, so zog sie ihn wie einen Golf-Champion an, weit mehr als er es selbst getan haben würde, hätte er in der Angelegenheit etwas zu sagen gehabt. Einige Jahre lang wollte sie nicht, daß er ein Fahrrad besitze, sie war etwas pedantisch in Bezug auf Wäschereirechnungen und die Art, wie er sie führte, sie setzte sein Taschengeld auf zehn Shilling die Woche fest und war geneigt, alle günstigen Gelegenheiten zu einer Unterredung mit den weiblichen Angestellten der Wäscherei möglichst einzuschränken. Er jedoch erhob keinen sichtlichen Protest gegen diese geringen Abweichungen vom üblichen Gehorsam der Hausfrau. Allmählich tat sich eine Neigung zur Wohlbehäbigkeit kund, und beträchtliche Mengen blonden Schnurrbarts wuchsen ihm ohne sichtliche Anstrengung seinerseits.

Ihr Heim war angenehm, und das umsomehr, als Frau Hossett ihrem Gatten zur sanften Ruhe unter einem Marmorkreuz, mit einer Taube und einem Ölzweig an der Kreuzungsstelle der Arme, auf den Friedhof zu Woodford Wells nachgefolgt war. Herr Preemby wurde ein großer Bücherleser, indem er nicht nur romantische Novellen las – er hatte eine große Abneigung gegen ‹Realismus› in jeder Form –, sondern auch Geschichte des Altertums, astronomische, astrologische und mystische Werke. Ein tiefes Interesse an dem Problem der Pyramiden und an der wahrscheinlichen Geschichte des verlorengegangenen Kontinents Atlantis erwachte in ihm. Auch die okkulte Wissenschaft zog ihn an, und ganz besonders die Möglichkeit, die Willenskraft zu stählen. Manchmal pflegte er Willensübungen vor seinem Spiegel im Schlafzimmer zu machen, wenn Frau Preemby nicht in der Nähe war. In der Nacht wieder wollte er manchmal einschlafen, anstatt in der gewöhnlichen Weise einzuschlafen. Beträchtliche Aufmerksamkeit schenkte er auch Prophezeiungen und der Eschatologie, der Lehre von den letzten Dingen. Er entwickelte eigene Anschauungen über das Jüngste Gericht, die zu einem Bruch mit der bestehenden Kirche geführt haben könnten, hätte Frau Preemby nicht gemeint, daß so ein Bruch eine ungünstige Rückwirkung auf die Wäscherei haben könnte. Mit der Zeit hatte er eine Bibliothek von über tausend Bänden mit einem sehr beträchtlichen Wortschatz zusammengehäuft.

Seine Frau sah auf diese intellektuelle Nebenbeschäftigung mit Wohlwollen, zeitweise sogar mit Stolz, nahm aber selbst wenig daran teil. Für sie war die Wäscherei gut genug. Sie liebte die Wäscherei immer mehr; liebte ihre aufgestapelten reinen und gestärkten Hemden und Kragen, ihre zusammen- und übereinandergelegten Leintücher, liebte das Surren der Maschinen und die seifige, nasse, wirre Geschäftigkeit im Waschraum. Sie liebte es, wenn alles ordentlich und richtig im Gange war; wenn man fühlte, wie alles durch die Waschtröge und Waschapparate und Wringmaschinen ging, alles wohlbehalten, sicher und richtig, und am Ende kein Stück fehlte. Wenn sie herumging, wurden die Stimmen leiser und das Waschen aus purer Hochachtung emsiger. Und sie hatte es gern, wenn sich die Arbeit bezahlt machte.

An Sonntagnachmittagen oder an Tagen, da die Wäscherei seine Dienste nicht benötigte, unternahm Herr Preemby weite Spaziergänge. Bei schönem Wetter pflegte er in den Eppinger Wald zu gehen oder nach Ongar oder sogar so weit, bis er in den ländlichen Frieden der Roothings kam, aber bei trübem Wetter ging er londonwärts. Nach einiger Zeit wurde die Straßenbahn bis zu der jetzigen Endstation in Woodford ausgedehnt, und so ward es möglich, recht bequem gerade bis ins Herz Londons zu fahren, durch die Seven-Sistersstraße und über Camden-Stadt oder, wenn man ein kleines Stück zu Fuß gehen wollte, durch die Leabridgestraße, den Angel und Holborn.

Die Größe und menschenreiche Geschäftigkeit Londons störte schlummernde Gestade in Herrn Preembys Phantasie auf. Er pflegte in ein A. B. C.-Café zu gehen und dort Mittag zu essen – eine Buttersemmel mit einer Tasse Kakao und vielleicht noch einem Fruchttörtchen – und lange Stunden damit zu verbringen, in die Schaufenster zu gucken und manchmal sogar kleine Einkäufe zu machen. Er liebte die Charing-Cross-Straße mit ihren Bücherläden, die Tottenham-Court-Straße, Holborn, Clerkenwell und die Whitechapelstraße, aber Piccadilly, die Bond Street und Regent Street schienen teuer zu sein und bar allen wahren geistigen Interesses; außerdem kam er sich mit seinen bauschigen Golfhosen und seiner Sportmütze an diesen feinen Plätzen etwas unpassend vor. Manchmal ging er auch ins Britische Museum und schaute sich sehr genau alle Gegenstände an, die mit den Pyramiden zusammenhingen. Große öffentliche Ereignisse zogen ihn immer nach London. Ob ein großer Mord oder ein großes Feuer, eine königliche Hochzeit oder ein königliches Begräbnis, man konnte sicher sein, unter den Zuschauern Herrn Preemby zu sehen, da, wo sich die Menge am dichtesten drängte, oft mit einem netten Paket Eßsachen in der Hand, einem belegten Brötchen, einer Apfelsine und so weiter – was Frau Preemby zurechtgemacht hatte. Doch sah er niemals Illuminationen oder Feuerwerke, weil Frau Preemby ihn zu Hause haben wollte, wenn das Tagewerk getan war. Den Großen Krieg von 1914–18 genoß er ernst und gründlich. Einmal kam er an einem Mann vorüber, den er nachher beinahe mit Bestimmtheit für einen deutschen Spion hielt. Dieser Gedanke machte ihn einige Tage lang schaudern. Er hatte ihn sich auf jeden Fall genau angesehen. Er machte eine Menge Luftangriffe mit und sah, wie der Zeppelin in Potters Bar heruntergeschossen wurde. Als die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, war er gute vier Jahre zu alt, und Frau Preemby wollte ihn nicht in die Bürgerwehr einrücken lassen, weil sie dachte, er könne sich einen Schnupfen holen.

Herrn Preembys Arbeit im Kontor war nicht sehr beschwerlich, doch widmete er seine Gedanken und seine Aufmerksamkeit auch der Ausdehnung des Geschäftes nach außenhin. Er dachte sich verschiedene anziehende Rundschreiben aus. Seine Erfahrungen als Hausagent hatten ihn darin geübt, das Vorhandensein großer, wohnlich aussehender Häuser zu bemerken, die sonst wohl seiner Beobachtung entgangen wären, und sich zu vergewissern, ob sie bewohnt seien; daraufhin pflegte er nachzuschauen, ob die Wäscherei ‹Zum klaren Bach› für solche Häuser Wäsche wasche, und wenn das nicht der Fall war, dann sandte er ein Zirkular dorthin, das er oft sogar mit einem persönlichen Schreiben begleitete. Auch um die Wirtschaftsgebäude kümmerte er sich ein wenig. So ging er manchmal und betrachtete sich lange Zeit die Öfen oder die Kundenwagen oder irgendeine neue Maschine, wie etwa die neue Kalander-Maschine, bevor er damit vertraut wurde. Wenn er dabei aber irgendwo herumstand, wo Mädchen an der Arbeit waren, pflegte Frau Preemby irgendeine Ausrede zu erfinden, um ihn wieder ins Büro zurückzubringen, weil, wie sie erklärte, sie der Ansicht sei, daß es die Arbeit der Mädchen ungünstig beeinflusse, wenn ein Mann herumstehe. Er bezog und las auch manchmal den ‹Britischen Wäscher› und die ‹Färber- und Putzer-Gazette›.

Gelegentlich hatte er glückliche Einfälle. So war es seine Idee, die Kundenwagen hellblau streichen zu lassen und sie mit einem Hakenkreuz zu zieren und genau dieselbe Farbe und dasselbe Zeichen an die Hausfassade der Wäscherei zu malen und auf die Rechnungen zu drucken. Als er aber dann auch die Kutscher in Hakenkreuzkappen stecken und die Wäschekörbe blau anmalen lassen wollte, sagte Frau Preemby, sie sei der Ansicht, daß die Sache jetzt weit genug gegangen sei. Es war auch Herr Preemby, der bereits im Jahre 1913 anregte, Fordautos anstelle von Pferdewagen zu halten. Diese Änderung wurde 1915 vorgenommen.

Und zuhause zwischen ihrem friedvollen Vater mit seinen vielseitigen Interessen und ihrer geschäftigen, gelegentlich ziemlich strengen Mutter, wuchs Christine Alberta zum Mädchen und zur Frau heran.


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