Weiß-Ferdl
Es wird besser
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Luftschutz in Hintertaching

Hintertaching liegt, wie schon der Name sagt, ziemlich weit hinten. Alle Neuerungen, Erfindungen, Verordnungen und sonstige unangenehme Sachen erreichten, durch die geschützte Lage bedingt, Hintertaching später als andere Ortschaften.

Bürgermeister Breindl von Hintertaching saß an seinem Schreibpult und führte einen erbitterten Kampf mit seinem Schreibzeug. Die spitzige Feder sträubte sich immer und spritzte die Tinte über die amtlichen Schriftstücke. Zweimal hat er schon mit dem Daumennagel versucht, die Spitzen gerade zu bügeln, umsonst, die Malefizfeder spritzte immer wieder. Der Daumen, seine Hosen, sein Hemd und sogar die Tischdecke waren schon voll Tinte. Sechs Unterschriften mußte er betätigen, diese Bluatsfeder machte ihn ganz narrisch, der ganze Vormittag ging drauf. Mit einem Himmiherrschaftssappraments-Sauglump hatte er gerade die Feder hingefeuert, als sein Weib eintrat.

»Was hast denn wieder, Mannsbuid narrisch, gwalttätigs?«

»Dö Saufeder, dös Mistglump geht net!«

»Wennst as am Bodn hinfeuerst, wirds aa net besser«, sagte sie mit ihrer beruhigenden Stimme, hob den Federhalter auf und klopfte mit dem Stopp-Ei die verbogene Feder wieder gerade. 112

»Probiers, jetzt muß geh!«

Sie ging, er konnte damit schreiben, aber er gab es nicht zu. Der Mann muß seine Würde bewahren, sonst bilden sich die dummen Weibsbilder ein, sie sind die Gscheiteren.

»Es is genau wie vorher. Was ma da Zeit versaamt mit dera Bluatsschreiberei, mit dera verrecktn!«

»Ja, da hast da was aufto mit dera Burgermoasterei, d' Theres hat gsagt, du sollst zu da Blaß nausschaugn, dö frißt nix!«

»Himmiteifi alle Augnblick was anders, zerscht muß i mit dera Schreiberei ferti sei!«

»Dös Gschreibats kannst am besten auf d'Nacht macha, da hast dei Ruah. Is vui gscheita als allwei zum Wirt abi hocka!« Die Bürgermeisterin hatte es ganz ruhig und wohlmeinend gesagt, aber sie hatte seine empfindliche Stelle getroffen.

»Wenns dir nachgang, derfat i Tag und Nacht arbatn. Am liabstn tatst mi ohänga wia an Hofhund. Wenn ma den ganzn Tag werkelt und schinagelt, werd ma si do auf d' Nacht a paar Halbe vergunna derfa? – Himmikreizteifi, jetzt hab i an Mordspatzn higmacht. Mit deim saudumma Gred, mit deim saudumma!«

»Ja freili, wennst di du recht dumm stellst, nacha waar i Schuld!«

Sicher hätte es ein eheliches Donnerwetter gegeben, da trat der Gemeindediener Banzl ein.

Der Banzl war noch einer vom alten Schlag. In seinem geflickten, etwas speckigen Gewand, mit seiner roten Nase hatte er wenig Beamtliches an sich. Er trank 113 sehr gern einmal ein Schöpperl Bier, auch den Schnaps verachtete er nicht. Aber – es reichte halt hint und vorn net. Da mußte schon das Äußere ein bisserl leiden zum Nutzen des Inneren. Sein Chef, der Bürgermeister, hatte Gott sei Dank dafür Verständnis.

Keuchend trat der Banzl ein und schon an der Tür fing er an: »O mei, Bürgermoasta, mit dö Weibsbilder könnt ma si z'Tod ärgern. I könnts daschlagn dö mei!«

»Da hast recht«, stimmte ihm sein Chef bei und blinzelte zu seiner Frau hinüber. »Was is denn los?«

»Woaßt, Bürgermoasta, dö Weibsbilder habn koa Hirn. I hab vor acht Tag meiner Altn mein Rock gebn, sie soll ma an Knopf ei'nahn. Sie naht da an Knopf ei' und, wia die Weibsbilder san, recht neugierig, kramscht in meine Taschn umananda, sind da dös Papier« – er zeigt ein ganz zerwutzeltes, fettiges Papier – »und, statt daß sie mir das, wies sichs ghört, glei wieder neisteckt, laßt sies am Tisch liegn. Mei Deandl, aa a Weibsbild, nimmts und wickelt an Kas ein. Zum Glück iß i den Kas, wia i dös Papierl aufmach – i hab gmoant, mi trifft der Schlag, is das Schreiben vom Bezirksamt wegen der Luftschutzgschicht!«

Er überreicht das zerknitterte, schmierige Blatt dem Bürgermeister.

»Brav, dös schaut ja gut aus, das amtliche Schreiben. Da hört sich doch alles auf!«

»Das hab ich auch gsagt«, bestätigt eifrig der Banzl, »i hab zu meiner Alten gsagt, du ghörst ja hingricht!«

»Allweil mir Weiber san an allem schuld«, warf die Bürgermeisterin ein, »ihr Mannsbilder machts gar nia was?« 114

Während sich der Bürgermeister in den Inhalt des Schreibens vertiefte, beteuerte Banzl fortwährend seine Unschuld und schob alles auf seine Frau.

Die Bürgermeisterin schaute ihn bös an. »Geh hör auf. Da is dei Wei aber gwiß net schuld, wennst an solchen Rausch hast, daß d' nimma hoamfindst!«

Der Bürgermeister hatte das amtliche Schreiben durchgelesen. Boshaft schmunzelnd sagte er: »Ja, dös geht mi eigentlich nix o, das müssen die Weibsbilder macha!« Er hielt seiner Frau die Verordnung hin. »Da, dös lies amal, da mußt du eine Versammlung abhalten!«

»I?« frug die Bürgermeisterin und starrte zu tiefst erschrocken auf das Blatt. Der Bürgermeister blinzelte lustig zum Banzl hinüber und sagte dann im amtlichen Befehlston: »Banzl, du sagst jetzt glei ein. Heute nachmittag um drei Uhr muß von jedem Haus eine Frauensperson sich im Schulhaus einfinden zum Vortrag über Luftschutz. Den Vortrag hält die Frau Bürgermeister!«

Der Bürgermeisterin fiel das Blatt aus der Hand. »Waas, i? Naa, i kümmer mi um das Zeug net, mir waars gnua.«

»Gell wanns alle Frau Bürgermoasta zu dir sagn, das is da schon recht? Tua nur aa a bisserl was, damit siagst, wia dös is!«

»Ja warum soll denn grad i dös macha?«

»Du bist der Luftschutzwart von Hintertaching!«

»I, wer sagt denn dös?«

»Ich habe dich dazu ernannt«, lachte der Bürgermeister. Der Banzl grinste und salutierte: »Gratuliere, Frau Luftschutzwart!« 115

Die Bürgermeisterin protestierte: »Naa, das ko i net macha, da versteh i gar nix davon!«

Der Bürgermeister gab nicht nach. »Ja mei Gott, i versteh aa vui net und muß do macha!« Der Banzl pflichtete ihm bei. »Wem der Herr gibt ein Amt, dem gibt er auch den Verstand. Was war ich früher für ein saudummer Kerl und, wia i dös Kappi aufgsetzt hab, wars vorbei.«

»Also, Banzl, los. Nachmittag um drei Uhr im Schulhaus, von jedem Haus eine Frauensperson!« Militärisch wiederholte der Banzl: »Nachmittag um drei Uhr von jedem Haus eine Frauensperson.« Er deutete mit dem Daumen auf die Bürgermeisterin und sagte leise: »Und sie halt an Vortrag – da geh i aa hin.« Beide lachten schadenfroh.

Der Banzl pflanzte sich vor der Bürgermeisterin auf: »Kann ich abtreten, Frau Oberluftschutzwart?« Die Bürgermeisterin wendete ihm unwillig den Rücken, und der Banzl stapfte hinaus.

Als sie allein waren, fing sie wieder an: »Dös kannst do von mir net verlanga, wo i mi no nia um so was kümmert hab!« Der Bürgermeister hatte sich wieder seiner Schreibsache zugewandt und tat, als ob er nichts hörte.

Mit bittender Stimme fing sie wieder an: »Dös derfst ma net otoa, wo du do woaßt, daß i gar net reden kann!«

»Ah da schau her, da hab i no nix gspannt, wenn i hie und da a bisserl später hoamkumm, da geht dei Schnattern!« 116

»Ja, dös is ganz was anders, aber bei fremde Leut, da bring i 's Mäu net auf.«

Der Bürgermeister weidete sich an ihrer Angst und Hilflosigkeit. Lachend sagte er: »Probiers nur amal, dös geht scho.« Er packte seine Akten zusammen. »Gott sei Dank, dös hamm ma, jetzt schau i amal zu da Blaß naus.«

Ganz kleinlaut fragte sie: »Was muß i denn da toa?«

»Brauchst ja bloß den Wisch da vorlesen, lesen werst nacha do könna?«

Sie seufzte tief, schüttelte den Kopf und beteuerte immer wieder: »I ko's net und i ko's net. I woaß ja gar net, wia ma da ofangt?«

Da tat sie ihm doch a bisserl leid. »Paß auf, machs halt a so. Du stehst auf, wenns alle beinanda san und sagst: ›Ich eröffne die erste Luftschutzversammlung in Hintertaching und erteile der . . . . . .‹, da werd scho so a Ratschn dasein, die dös kann – ›das Wort‹. Dann soll dö den Zettl vorlesen. Wenns dann fertig is, stehst wieder auf und sagst: ›Ich beschließe die Versammlung!‹ – Dös werst nacha do fertig bringa?« 117

Er ging in den Stall hinaus und schmunzelte schadenfroh vergnügt vor sich hin. Die arme Bürgermeisterin saß mit dem amtlichen Schreiben in der Hand da wie ein Häuferl Unglück.

Der Banzl ging von Haus zu Haus, von Hof zu Hof. Die meisten Frauen zeigten wenig Interesse und schimpften, sie hätten so viel Arbeit und keine Zeit dahin zu gehen. Manche gaben ihm ein Glaserl Schnaps und frugen ihn, ob es denn unbedingt notwendig sei, daß sie grad heut dahin gehen müßten. Beim ersten Glaserl Schnaps war er immer noch sehr unzugänglich, machte es furchtbar wichtig, doch beim zweiten Glaserl war er schon weniger streng. So nebenbei deutete er an, daß es wohl den Kopf nicht kosten würde, wenn sie vielleicht heute absolut nicht kommen könnte.

Bei der Frau Bäckermeister Deigmeier dauerte es besonders lang. Die Deigmeierin war eine sehr ehrgeizige Person, die gern überall vorn dran war. Beim Roten Kreuz war sie in der Vorstandschaft und bei jeder Gelegenheit tat sie sich gern hervor. Sie führte den Banzl in die Stube hinüber, nahm eine Flasche Kirschwasser mit und frug den Banzl aus. Es kostete drei Glasl Kirsch, dann wußte sie alles: daß es die Bürgermeisterin gar nicht freut, da reden zu müssen, und sie sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt hat. Mehr brauchte sie nicht zu wissen. Sie nahm ihm die Flasche weg, tat den Schurz herunter und ging eiligen Schrittes zur Bürgermeisterin.

Die Bürgermeisterin redete leise mit sich selber: »Was hat er gsagt, daß i sagn soll? – Ich versammle die heutige Eröffnung – naa, so hat er net gesagt – 118 ich beöffne die heutige Zervammlung – naa, so hoaßts aa net!« Tief unglücklich seufzte sie: »I bring dös meiner Lebtag net zsamm!«

Da trat die Deigmeierin ein, grüßte recht süß: »Guten Morgen, Bürgermeisterin, ich wollt dich nur fragn, der Banzl war bei mir wegen der Versammlung heut. Was ist denn da eigentlich los??«

»O mei, Deigmeierin, dös woaß i selber net«, jammerte die Bürgermeisterin. Lauernd frug die Deigmeierin: »Kommt da jemand, der einen Vortrag halt?« »Naa, i soll dös Zeug da vorlesen, dös is mir so zwieda, i ko das gar net sagn. Woaßt, i ko so was gar net macha!«

Die Deigmeierin überflog rasch das Schreiben vom Bezirksamt, dann sagte sie mit Betonung: »So was hab ich schon oft machen müssen beim Roten Kreuz, da bin ich doch in der Vorstandschaft, mir macht so was gar nix aus. Wenn ich dir an Gfalln tun kann damit, Bürgermeisterin, dann les ich das vor!«

Die Bürgermeisterin atmete erleichtert auf: »Ja, da waar i scho recht froh, Bäckerin, woaßt, i ko so was net, i bring da nix raus. Geh, sei so gut, Bäckerin, und mach du dös!«

Die Augen der Deigmeierin leuchteten triumphierend auf. »Gern, Bürgermeisterin, mir macht das gar nix aus. Weißt, ich kenn mich da aus, da teil ich die einen zur Feuerwehr und die andern zum Sanitätsdienst ein und in den nächsten Tagen halt ich dann gleich eine große Übung ab. Da brauchst di um gar nix kümmern, das mach alles ich!« 119

»Mach, was du willst, i bin ja so froh, wenn i nix woaß von der Gregori.« Die Deigmeierin war Feuer und Flamme für die Sache. »Bürgermeisterin, wenn die Versammlung beinander is, brauchst du nur zu sagen, daß ich als Luftschutzwart aufgestellt bin und alle meinen Anordnungen Folge leisten müssen!« Die Bürgermeisterin machte schon wieder ein ängstliches Gesicht: »Muaß i dös sagn?«

»Wenns dich hart ankommt, dann sag i das auch noch. Ich nehm das Schreiben gleich mit und les es daheim noch durch. Also, Bürgermeisterin, kannst dich auf mich verlassen, ich mach alles. Um drei Uhr im Schulhaus drobn. Pfüat di Gott, Bürgermeisterin!« Glückselig über die neue Würde stürmte die Deigmeierin fort. Der Bürgermeisterin fiel ein Stein vom Herzen. »Bin i froh, daß i dös los hab – und dö gfreut si no drüber.« Selig lächelnd nahm sie ihre Stopfarbeit wieder auf.

Inzwischen ist der Banzl beim Unteren Wirt gelandet und saß bei der Speckhuberin in der Küche draußen. Das war die letzte Stelle, er hatte sich dies mit Absicht bis zum Schluß aufgehoben, weil er schon wußte, daß er hier nicht so schnell fortkommt. Die Speckhuberin, eine echte robuste Bauernwirtin, gut zweieinhalb Zentner schwer, hatte in der Küche zu tun und zuerst die Meldung vom Banzl wenig beachtet. »Alle Augenblick kommst mit was anderm daher, wo soll ma denn Zeit hernehma?« Dabei stellte sie ihm ein Glaserl Schnaps hin. Der Banzl wurde sehr redselig. Er erzählte, daß die Bürgermeisterin fast in d'Froas gfalln wär, wie der Bürgermeister gesagt hat, sie muß die Versammlung 120 abhalten und einen Vortrag halten. Ausführlich berichtete er dazu über das Wortgefecht mit dem Bürgermeister, dann ging er über, was die anderen Weiber alles zu ihm sagten, und schließlich kam er zur Deigmeierin. »Die hats ganz bsonders intressiert, gleich hats mi in d'Stubn nüber gführt, hat mir a Flaschn Kirsch hingstellt und hat mich ausgfragt!«

Plötzlich erwachte auch das Interesse der Speckhuberin. Sie stellte ihm ein zweites Glaserl Schnaps hin und fragte mit ihrer lauten, rauhen Stimme: »Warum, was geht denn dös d' Deigmeierin o, möcht sie sich vielleicht da aa wieder wichtig macha?«

»Ja, ja, a so schaugts aus. Zerscht hats mi um alls ausgfragt, nacha hat sie sich schnell ozogn und is zur Bürgermoasterin auffi!«

»Überall möcht dö Gschaftlhuberin vorn dro sei, damit sie wieder oschaffa und kommandiern ko!« Plötzlich reifte in ihr ein Entschluß, einen Augenblick zwickte sie die Augen zu, dann rief sie mit ihrer mächtigen Kommandostimme: »Resl, kumm her!« Die Resl erschien. »Tua an Bratn raus und stelln auf d'Seitn, paß auf, daß d'Lungl net obrennt. An Banzl gibst a Suppn und a paar Würstl eini«, und, wie sie war mit dem weißen Schurz und vom Küchenherd geröteten Gesicht, stürmten die zweieinhalb Zentner zur bürgermeisterlichen Wohnung.

Auf dem Weg begegnete ihr die Deigmeierin, schwenkte triumphierend ein amtliches Blatt und rief ihr zu: »Frau Speckhuber, um drei Uhr im Schulhaus, nicht vergessen!« 121

Die Speckhuberin schaute weg und tat, als ob sie es nicht gehört hätte.

 

Nachdem die Deigmeierin fort war, kam der Bürgermeister vom Stall zurück. »Es fehlt so weit net bei da Blaß. Da müssn do no Tropfn dasei' vom letztenmal?« »Ja, da im Kastl sans drinn, dö obern san fürs Viech und dö untern für uns. Es ko aber aa sei, daß dös Flaschl herunten steht, weils da Vater allweil gnumma hat, es hat eahm recht guat to!«

»So, nimmt der glei d' Medizin fürs Viech? A so a Viech!«

Schnaufend wie eine Lokomotiv kam die Speckhuberin an: »Grüaß Gott beinanda. I möcht bloß fragn, was is denn mit dera Luftschutzgaudi? Was müaßt ma denn da toa?«

Schadenfroh sagte der Bürgermeister: »Das sagt euch heut nachmittag die Frau Bürgermeister!«

Die Bürgermeisterin machte eine abwehrende Geste. »Da Banzl hat scho gsagt, daß di net extring gfreut?«

»Naa, scho gar net«, beteuerte die Bürgermeisterin.

»Waars da liaba, wenns wer anders macha taat?« frug die Speckhuberin.

»Magst as du macha, Speckhuberin?« sagte der Bürgermeister.

»Wenn i da Bürgermoasterin an Gfalln toa ko, recht gern. Mei Schwesta is do in der Stadt drinn, dö habn dös scho a paarmal ghabt. Dö hat mir alls verzählt, was ma da macha muß. I taat mi scho auskenna!«

»Guat, Speckhuberin, nacha machst es du, du kannst fest kommandiern, di scheuchan s'!« 122

Das fette Gesicht der Speckhuberin strahlte vor Genugtuung. »Bürgermoasta, da kannst di auf mi verlassen, i machs scho richti. Da Banzl hat ma gsagt, daß d' Deigmeierin gern macha möcht, dö moant, sie muaß überall vorn dro sei. Dösmal bleibt ihr aba der Schnabl sauba. Jetzt kann ich ihrs zruckzahln, dös vom Roten Kreuz, wo i allweil dö schwarstn Mannsbilda schleppn hab müassn, obwohl i 's Nebenzimmer allweil umasunst hab hergebn. Dera kumm i, dera Gschaftlhuberin, zerscht muaß ma Wasser tragn, nacha muß ma Verwundete spuin, da laß i sie nacha a stuckra zehnmal durchs Kellerfenster ziagn, daß no länger wird, dös dürre Gstemm. I muaß geh, sonst brennt ma dahoam alls o. Pfüa Gott, Bürgermoasterin, um dreiviertel drei hol i di ab!«

Draußn war sie. Die Bürgermeisterin hatte einigemale versucht ein Wort einzuwerfen, es gelang ihr nicht. Gegen das kräftige Organ der Speckhuberin kam sie nicht auf. Der Bürgermeister lachte aus vollem Halse. Endlich sagte sie: »Du, was tean ma jetzt da, grad war Deigmeierin da, und i hab zu dera gsagt, mir is recht, wenns sie macht?«

»So is recht«, lachte der Bürgermeister, »nacha habts glei zwoa. Da werds lusti! I geh jetzt zu da Blaß naus!«

Die Bürgermeisterin schlug die Hände überm Kopf zusammen. »Mein Gott, mein Gott, was hab i ogfangt. Dös werd was wern!«

Die Deigmeierin studierte mit Eifer die amtlichen Bekanntmachungen, denn – das muß man der 123 Deigmeierin lassen – wenn sie etwas machte, dann machte sie es gründlich. Es waren einige schwere, bisher nie gehörte Worte dabei. Zum Beispiel: schnellbrennende Kampfstoffbomben, Thermitbomben, Phosphorbomben usw. Sogar der redegewandten Deigmeierin verursachten diese nie gehörten Worte einige Schwierigkeiten und einigemale während des Lernens sagte sie ganz laut: »Das hätt die Bürgermeisterin nie rausgebracht.«

Es klopfte, auf ihr »Herein« trat die Hilfslehrerin Gerber ein mit einem Schulheft in der Hand. »Entschuldigen Sie bitte, Frau Deigmeier, wenn ich Sie störe. Ich habe gehört, daß Sie heute nachmittag die Luftschutzversammlung abhalten!«

Geschmeichelt sagte sie: »Jawohl, Fräulein Lehrerin, das stimmt. Alles muß ich machen, alles halsen sie mir auf.«

»Das muß halt auch jemand machen, der das versteht. Wer sollte das sonst bei uns machen, wenn es Sie nicht tun, Frau Deigmeier!«

So was hört man gern. Die Deigmeierin strahlte vor Glückseligkeit. »Das ist es eben, weil wir hier in Hintertaching niemand haben, drum bleibt alles an mir hängen!«

»Frau Deigmeier, ich hätte eine Bitte. Ich habe ein kleines Liedl über den Luftschutz gedichtet und komponiert, und wenn Sie es für gut finden, könnte das Lied bei den Zusammenkünften gesungen werden. Das hebt doch die Stimmung, nicht wahr?«

Die Deigmeierin nickte wohlwollend. »Darf ich es Ihnen einmal vorspielen und singen?« 124

»Sehr gern, Fräulein!«

Deigmeiers hatten ein altes, verstimmtes Tafelklavier, es spielte niemand drauf, aber es sah vornehm aus. Die Lehrerin setzte sich an den Kasten und sang ihr das Lied vor. Es lautete:

Frauen, Mädchen, eilt herbei,
Eilt herbei, eilt herbei,
Wenn das Vaterland euch ruft.

Lasset liegen, eins, zwei, drei,
Wäscherei, Flickerei,
Auch den Küchenduft.
Dreht euch in den Hüften,
Oben in den Lüften
Drohet die Gefahr.
Luftschutz, Luftschutz, tut uns alle not,
Luftschutz, Luftschutz, heißet das Gebot.

Die Deigmeierin saß da, den Kopf in die Hand gestützt, mit geschlossenen Augen, als ob sie eine Symphonie abhören müßte.

»Das wär die erste Strophe, Frau Deigmeier, gefällt sie Ihnen?«

Die Deigmeierin nickte: »Sehr gut, Fräulein. Sie kommen auch heute nachmittag?« Die Lehrerin nickte. »Gut, da werd ich Sie dann ersuchen, daß Sie das Lied vorsingen, und dann werd ich es als unser Luftschutzlied erklären!«

Die Lehrerin war überglücklich, daß ihre erste Komposition anerkannt wurde. Sie verabschiedete sich und 125 versprach, dafür zu sorgen, daß in dem Schulzimmer, in dem die Versammlung stattfindet, ein Harmonium steht.

Schon um halb drei Uhr ging die Deigmeierin mit dem amtlichen Verordnungsblatt, fein säuberlich in einem Aktendeckel, mit deutlich sichtbarer Würde zum Schulhaus hinüber. Das Fräulein Lehrerin führte sie in das Schulzimmer. Die Deigmeierin ging sofort zum Katheder, nahm dort Platz und saß steif, ihrer Mission bewußt, auf den Thron. Das Fräulein Lehrerin machte sich an dem kleinen Harmonium zu schaffen. Da fiel der Deigmeierin noch was ein: »Fräulein Lehrer, ich hab über Ihr Liedl nachgedacht. Die eine Stelle – ›wenn das Vaterland euch ruft‹ – wäre es nicht besser, wenn man die umändern würde, daß es dann heißt: ›Wenn euch die Frau Luftwart ruft?‹ Ich meine, die Bäuerinnen täten das besser verstehen, nicht? Weil sie doch in Wirklichkeit von mir gerufen werden?«

Das Fräulein war sofort damit einverstanden: »Natürlich, Frau Deigmeier, so ist es verständlicher!« Sie korrigierte die Stelle und sang es gleich vor: »Wenn euch die Frau Luftwart ruft!« »Natürlich so ist es viel besser.«

Kurz vorher war der Banzl eingetreten. Er hatte schon eine schwere Zunge und stand nicht mehr ganz fest auf den Beinen, aber der Geist war sehr rege bei ihm. Wenn er ein bißchen Alkohol im Bauch hatte, war er überhaupt sehr redselig und humorvoll aufgelegt.

Der Banzl schob eine richtige Ladung Schmaizler in seine Nase hinauf und meinte: »Sehr schön ist das 126 Lied, aber wie wär's, wenn man a so singat ›wenn die Luftsirene ruft‹?« Seine Dichtung gefiel ihm sehr gut, er nickte beistimmend. Die Deigmeierin fühlte sich in ihrer Würde angegriffen. Ihre spitzige Nase wurde noch spitziger, und in tadelndem Ton wies sie Banzl zurecht: »Kümmern Sie sich nicht um Sachen, die Sie nichts angehen!«

Der Banzl salutierte: »Jawohl, Frau Luftsirene – ah, Frau Luftschutzwart!«

»Ein dummer Mensch«, sagte sie leise zur Lehrerin, »und besoffen ist er auch schon wieder. Bitte, Fräulein, weil wir jetzt noch allein sind, spielen Sie mir das Liedl noch einmal vor.«

Die Lehrerin fing noch einmal an, und die Deigmeierin versuchte auch mitzusingen. Sie hatte aber gar kein Musikgehör und sang furchtbar falsch mit. Da öffnete sich die Tür und zwei Bäuerinnen, die Ruthoferin und die Bachmeierin, schauten herein. Der Banzl winkte ihnen, sie sollen eintreten. »Mir habn gmoant, es is no Schui, weil ma singa ghört habn!« Der Banzl belehrte sie, daß das schon dazu gehört, und gab durch Zeichen zu verstehen, sie sollen zuhören. Die Deigmeierin und die Lehrerin hatten den Eintritt der beiden nicht bemerkt und sangen das Lied zu Ende. »Die Stelle: ›Wenn euch die Frau Luftwart ruft‹ ist die beste im ganzen Lied. Das wird unser Luftschutzlied, das müssen alle lernen!«

Da fing die Ruthoferin, eine energische Bäuerin, an: »Was, wegen so einem Schmarrn holt ihr uns von der Arbat weg. Da hört si doch alles auf. Kumm, Bachmeierin, gehn ma wieder!« Sie wandten sich wieder 127 der Türe zu. Da sprang die Deigmeierin eilig herbei: »Aber bleibts doch da. Das Liedl is ja Nebensache, gleich geht die Versammlung an. Das Fräulein und ich haben nur mitsammen das Liedl gemacht und haben uns gedacht, das wär ganz schön, wenn ma das mitsammen lernen würden!«

Die Ruthoferin schüttelte energisch ihren dicken Bauernschädel: »Naa, mitm Lerna fang i nimma o, i hob mi in der Schui scho hart gnua to!« Die Bachmeierin stimmte bei: »Da san ma schon z'alt dazua!«

Die Lehrerin hatte Angst um ihr Werk und meinte: »Die Frau Luftschutzwart hat sich gedacht, daß wir das Liedl nachher, wenn die Übung beendet ist, zu unserer Unterhaltung singen.« Freundlich lächelnd fügte die Deigmeierin bei: »Die Männer singen ja auch beim Veteranenverein oder bei der Feuerwehr!« »Ja«, lachte der Banzl, »aber nur, wenn ma bsuffa san!« »Es ist sehr leicht zu lernen«, bemerkte die Lehrerin, »soll ich es Ihnen noch einmal vorspielen?« Die Bäuerinnen zeigten kein Interesse. Der Banzl sagte: »Schwar is net. I habs oamal ghört, i ko's scho.« Schon fing er mit seiner versoffenen Stimme zu plärren an und sang grundfalsch auf die Melodie »Kukuk, Kukuk«, »Luftschutz, Luftschutz rufts aus dem Wald!« Die Bäuerinnen lachten laut, die Deigmeierin und die Lehrerin ärgerten sich über den blöden Banzl, der die ganze Sache ins Lächerliche zog. Streng sagte die Deigmeierin: »Banzl, hören Sie auf mit Ihrem Gegröhl, hier ist kein Wirtshaus. Gehn Sie hinunter und schaun Sie, ob Frauen drunten stehn!« Der Banzl brummte: »Jawohl, Frau Luftdruckwart!« und drückte sich hinaus. 128

»Was bist du, Deigmeierin, a Luftdruckwart?« »Nein, der Banzl hat ja schon wieder einen Rausch. Die Bürgermeisterin, die kann doch so was nicht machen, jetzt hat sie mich ersucht, ich soll das übernehmen und als Luftschutzwart das leiten!«

»Du?? – I hab glaubt, d'Wirtin soll das macha!«

Die Deigmeierin wurde ganz grün im Gesicht. »Wieso die Wirtin?« frug sie und ihre Stimme zitterte vor innerer Erregung. »Ja, wia mir herganga san, is uns d'Wirtin begegnet und hat gsagt: ›Gehts nur nauf, i kumm glei, i hol nur d' Bürgermeisterin ab!‹«

Die Deigmeierin mußte sich am Katheder einhalten, sonst wäre sie umgesunken. Fassungslos stammelte sie: »Das wäre denn doch – – ich bin doch als Luftschutzwart eingesetzt, ich hab ja schon die amtlichen Verordnungen dabei, die ich vorlesen muß!« »Ja, die Frau Deigmeier hat sich schon sehr der Sache angenommen«, pflichtete die Lehrerin bei. Bei den Bäuerinnen machte dies keinen Eindruck. »Dö werd scho mehra Zeit habn wia mir. Mir könnan uns um so was net kümmern, bei uns hoaßts arbatn von der Fruah bis auf d'Nacht.«

Der Banzl kam mit einer Anzahl Bäuerinnen: »Da kommts rei, hier findet die Massenkundgebung statt!« Es waren aber mitsammen nur 14 Personen. Die Bäuerinnen begrüßten sich gegenseitig. »Is dös alls?« »I hab gmoant, mir kumman scho z'spät!« »Dö andern pressierts aa net a so!« »Kaisrin und Schallerin habn zu mir gsagt, i solls eahna vazähln, was da los is!« »Zu mir hat Dachsin gsagt: ›Sags eahna nur, bei mir geht da Dampfnudltoag net, da werd ma scho Deigmeierin recht an hoalosn Germ gebn habn. Schimpfs nur recht 129 zsamm, bals d' as siegst!‹« Alle lachten und schnatterten durcheinander.

Die Deigmeierin hatte mit dem Aktendeckel ihren Thron erklommen und rief laut: »Ich mein, der Luftschutz ist wichtiger wie die Dampfnudeln!« Der Banzl aber sagte ganz respektwidrig: »Mir is scho a Dampfnudl liaba!« Lautes Gelächter der Bäuerinnen. Sofort setzten sich die Schnattern wieder in Bewegung. »So ko bloß oane redn, dö dahoam koane Ehhalten hat!« »Da bal 's Essn net rechtzeiti am Tisch steht, wia dö 's Mäu aufreißn!« »Bal s' Hunger habn, derfst eahna nix vom Luftschutz verzähln, da wolln s' was z'Essn!«

Der Banzl stand mitten unter den Weibern drinn und statt Ruhe zu stiften, gab er ihnen noch recht: »Jawohl, Essen und Trinken halt Leib und Seel zsamm!«

Das kann ja eine nette Versammlung werden. Die Lehrerin schaute kopfschüttelnd zur Frau Deigmeier, die schon vor Aufregung zitterte. Sie stieg von ihrem Thron herunter und versuchte es mit Liebenswürdigkeit: »Meine lieben Bäuerinnen, ich weiß eure häuslichen Sorgen zu schätzen, aber noch wichtiger ist das Leben eurer Angehörigen, eurer Kinder!« Die Worte machten schon etwas Eindruck auf die Bäuerinnen, es wurde ruhig. Die Deigmeierin nützte das aus. »Bitte, setzt euch in die Bänke, wir fangen gleich an!« Die Bäuerinnen setzten sich in die kleinen Schulbänke. Das ging natürlich nicht ohne Reden ab. »So is recht, jetzt hab i scho zwoa Bubn beim Militär und i muaß no in d' Schui geh!« »Fangts amol o, wo ma dahoam so vui Arbat hat!« »Bei mir is gnetta a so!« 130

»Geduld, meine Bäuerinnen, wo doch die Sache so wichtig ist!«

»Geh, wer soll denn bei uns an Luftangriff macha?«

Da griff der Banzl ein, er wollte auch sein Wissen zeigen. »Naa, naa, dö Gschicht is gar net so einfach, wia ihr da moants, weil Hintertaching stratafärisch äußerst bedroht ist. Schauts amal die Landkarte an!« Er ging zu der an der Wand hängenden Karte von Europa und erklärte: »Das is Deutschland und Hintertaching liegt da, in dera Mulde herin. Schauts her, mir san ja von allen Seiten eingsehn!« Er deutete nach Rußland. »Da, mir grenzen ja direkt an Amerika!«

Da rief die Lehrerin: »Aber, Banzl, was reden Sie denn für einen Unsinn, das ist ja doch Rußland!« Er schaute noch einmal flüchtig auf die Karte und brummte dann: »Ja, das is halt a alte Kartn!«

Schon war die Disziplin wieder weg. Die Bäuerinnen lachten und redeten wieder durcheinander. Da stand die Deigmeierin auf: »Einen Augenblick Ruhe, bitte. Die Frau Bürgermeister wird gleich kommen, dann fangen wir sofort an. Unser Fräulein Lehrerin hat mit mir ein sehr nettes Luftschutzlied gemacht. Ach, Fräulein, sind Sie so liebenswürdig und spielen Sie es uns einmal vor!«

Geschäftig eilte die Lehrerin an das Harmonium und spielte das Lied. Die Deigmeierin, obwohl sie weder eine Stimme noch ein Musikgehör hatte, sang mit. Es tat fürchterlich, schließlich setzte der Banzl mit seinem Schusterbaß auch noch ein und es wurde eine richtige Viecherei. Die Lehrerin hätte am liebsten geweint, daß ihr schönes Lied so verhonackelt wurde. Der Banzl rief zum Gaudium der Bäuerinnen: »Das müßt ihr lerna, 131 und wenn Fliega kemman, dann sing ma's, na kehrns glei um!«

Die Deigmeierin sah mit ohnmächtiger Wut, wie die ganze Zucht wieder zum Teifl ging. Sie hätte den Banzl vergiften können. Aber es kam noch ärger. Die, die sie vom Thron stürzte, betrat eben mit der Bürgermeisterin das Schulhaus. Die Speckhuberin hatte die Bürgermeisterin abgeholt. Die Bürgermeisterin wollte schon gar net mit, hatte alle möglichen Ausreden, aber die Wirtin gab nicht nach. Auf dem Weg gestand ihr die Bürgermeisterin, daß sie vorher schon die Deigmeierin ersucht hatte, den Wisch vorzulesen. Doch das berührte die standhafte Wirtin nicht im geringsten. »Mich hat der Bürgermoasta als Luftschutzwart eingesetzt, mit dera Deigmeirin, dera Gschaftlhuberin, wer i scho firti!«

In dem Gesicht der Wirtin las man Unbeugsamkeit, als sie die Stiege hinaufging, sie ächzte tief, die Stiege, unter den zweieinhalb Zentnern. Energisch stieß die Speckhuberin die Tür auf und stand mit der Bürgermeisterin im Schulzimmer. Einen Augenblick lang begegneten sich die Blicke der beiden Rivalinnen, wie zwei zum Kampf bereite Spinnen. Die Wirtin unbeweglich in ihrem Machtbewußtsein, voll unerschütterlicher Siegeszuversicht. Die Deigmeierin mit giftig grünen Augen und zitternden Nasenflügeln. Dann verzerrte die Deigmeierin ihr spitziges Gesicht zu einem süßsaueren Lächeln, ging von ihrem Thron – was ein großer Fehler war – herunter, der Bürgermeisterin entgegen. »Grüß Gott, Frau Bürgermeister, wir warten schon alle auf Sie!« Die zweieinhalb Zentner schwere Masse der Speckhuberin übersah sie merkwürdigerweise. »Ich hab schon einen Stuhl für Sie 132 hinaufstellen lassen, kommen S' nur mit, Frau Bürgermeister!« Mit einer graziösen, einladenden Handbewegung forderte sie die Bürgermeisterin auf, oben Platz zu nehmen. Die Bürgermeisterin zögerte, sie war voller Hemmungen und hätte am liebsten in der hintersten Bank Platz genommen. Da erwachte die von der Deigmeierin übersehene Masse, sie schob die Bürgermeisterin vor sich her, und die kräftige, ans Befehlen gewöhnte Stimme der Speckhuberin ertönte: »Hock ma uns glei nauf und fang ma o!« Bis sich die Deigmeierin umschaute, saß die Bürgermeisterin und Speckhuberin oben am Katheder. Die Deigmeierin wurde gelbgrün. Sie versuchte es noch mit Höflichkeit, verzog ihre Visage mit Anstrengung zu einem Lächeln, was zwar kläglich mißlang, und sagte leise: »Frau Speckhuber, das ist mein Stuhl!« Die Speckhuberin hörte nicht; sie saß da, als ob sie ewige Zeiten hier sitzen bleiben würde. Die Deigmeierin wiederholte nochmal etwas eindringlicher: »Der Stuhl ist für mich!«

Die Speckhuberin würdigte sie keines Blickes. Die Antwort war aber sehr bestimmt, sie lautete: »Auf dem Stuhl sitz i! Sitz di zu dö andern nunter.« Die Bäuerinnen stießen sich gegenseitig an und freuten sich der kommenden Dinge.

Der Deigmeierin blieb ob dieser unverschämten Zumutung der Mund einige Augenblicke sperrangelweit offen stehn, dann faßte sie sich und wandte sich hilfesuchend an die Bürgermeisterin: »Frau Bürgermeisterin, Sie haben mich doch als Luftschutzwart bestimmt?!«

Die sehr verlegen dreinschauende Bürgermeisterin wurde durch die Wirtin einer Antwort enthoben: »Zu 133 mir hat da Bürgermoasta selba gsagt, i solls macha! I bin ja net wia du, daß i mi übrall hi'raaf!« Die Deigmeierin ist inzwischen ganz gruserlgelb geworden, vielleicht ist ihr die Gall ausgetreten. Mit scharfer, spitziger Stimme zischte sie: »Frau Speckhuber, ich sag ›Sie‹ zu Ihnen!!!«

»Und i sag ›du‹ zu dir«, antwortete ruhig die Wirtin. Die Bäuerinnen lachten und freuten sich. Jetzt wurde die Gschicht interessant, und keine sprach mehr davon, daß sie daheim so viel Arbeit habe. Dieses Schauspiel der beiden Rivalinnen war ihnen schon so viel wert, daß daheim a bisserl Arbeit liegen blieb.

Die Deigmeierin gab die Stellung noch nicht auf. In herrischem Ton sagte sie zum Banzl: »Bringen Sie noch einen Stuhl!« Der Banzl steigerte noch die Lustigkeit. Boshaft pflanzte er sich vor der Speckhuberin auf und frug: »Frau oberste Luftschutzkommandeurin, brauchen Sie einen Stuhl?« »Naa, i hab mein Stuhl«, erwiderte die Wirtin und grinste schadenfroh. »Darüber hat die Frau Bürgermeister zu bestimmen«, rief giftig die Deigmeierin. Der Banzl war schon aufgezogen, man sah es ihm an, welche Lust es ihm bereitete, die Deigmeierin zu ärgern. Nun frug er die Bürgermeisterin: »Frau Bürgermeister, wie stehts bei Ihna mitm Stuhl?« Die Bäuerinnen quitschen vor Vergnügen. »A solchane Gaudi, jetzt bin i froh, daß i herganga bin!« »Da Banzl is a Viech!« »Da gibts heut no a Luftschutzerei!« »Bäckin, d' Wirtin wenn schutzn ofangt, na kummst nimma am Bodn!« Aus der Luftschutzversammlung schien eine große Volksbelustigung zu werden. Die Lehrerin war entsetzt über das Gebahren der Bäuerinnen. 134 sie winkte immer und machte Bscht, aber niemand paßte auf. Die Lehrerin gab der Frau Deigmeier ihren Harmoniumhocker und setzte sich zu den Bäuerinnen.

Nun saßen glücklich alle drei, die Bürgermeisterin, die Wirtin und die Bäckerin bei dem kleinen Katheder drobn. Der Banzl setzte sich in eine Ecke. »I geh aus dem Gasbereich«, flüsterte er den Bäuerinnen zu. Es war wirklich ein komisches Bild, die drei da oben. Die Bürgermeisterin wußte nicht, wo sie vor Verlegenheit hinschauen sollte. Die Deigmeierin spielte in allen Farben, ihre kleinen giftigen Augen über der spitzigen Nase schossen glühende Blitze. Die wuchtige Masse der Speckhuberin saß in ihrer ruhigen, siegsichern Erhabenheit da. Ihr fettes Gesicht drückte Entschlossenheit und Zuversicht aus.

Auch die Deigmeierin war voll ungebrochenen Kampfeswillens, sie rief: »Frau Bürgermeister, eröffnen Sie die Versammlung!« »Was soll i toa?« frug die Bürgermeisterin unglücklich. Die Deigmeierin zischelte ihr zu: »Du sagst, ich eröffne die Versammlung und erteile der Frau Deigmeier das Wort!« Die Bürgermeisterin zögerte noch, da ertönte die kräftige Altstimme der Wirtin: »Du brauchst bloß sagn ›die Versammlung ist eröffnet‹, dös ander sag nacha i!«

Die Bürgermeisterin erhob sich, vor Aufregung blaß – aber sie brachte keinen Ton heraus. Da schrie die Ruthoferin: »Drucks außa!« Alles lachte und brüllte, die Bürgermeisterin fiel wieder zurück auf ihren Stuhl und schämte sich. Aber schon wisperte ihr die Deigmeierin wieder ins Ohr: »Sag nur ›die Versammlung ist eröffnet!‹ Dann verles ich die amtlichen 135 Verordnungen!« Sie zerrte die Bürgermeisterin vom Stuhl hoch, schob nach und sagte weiter nichts als: »Ich eröffne die Versammlung und erteile der Frau Deigmeier das Wort. Ich eröffne die Versammlung und erteile der Frau Deigmeier das Wort!« Die unglückliche Bürgermeisterin stand zwischen den beiden Rivalinnen, es wurde einen Augenblick ruhig und endlich stotterte sie: »I, i – – besammle die Veröffnung!« Wieder lautes, schallendes Gelächter. Die Bürgermeisterin sank zurück auf ihren Stuhl und bedeckte mit beiden Händen ihr Gesicht. Die Deigmeierin schnellte empor und begann: »Ich bin von der Frau Bürgermeister beauftragt, Ihnen die Verordnungen des Luftschutzamtes bekanntzugeben – – –«

Bei der Speckhuberin hatte es etwas länger gedauert, bis sie die zweieinhalb Zentner Lebendgewicht in die Höhe gebracht, aber jetzt stand sie, und ihre gewaltige Stimme deckte die keifende der Bäckerin zu. »I bin vom Bürgermoasta als Luftschutzwart für unsa Gemeinde aufgstellt. Dö Gschicht is a so – –.« Die Speckhuberin holte Atem, diese Pause benützte die Deigmeierin: »Frau Speckhuber, wollen Sie gefälligst ruhig sein. Ich bin beauftragt, die amtlichen Verordnungen bekannt zu geben!« Die Wirtin hob drohend ihren Arm, schwenkte ihre rechte Hand bedeutungsvoll und schrie: »Bäckerin, du wartst gefälligst, bis i dir als Luftschutzwart erlaub, überhaupts an Schnaufer zmacha!«

Das war offene Kriegserklärung. Die Weiber rutschten voll Sensationslust auf den kleinen Schulbänken hin und her und feuerten durch laute Zurufe die beiden Rivalinnen an. 136

»Wirtin, laß da nix gfalln!«

»Bäckerin, net nachgebn!«

Das ließ sich die Bäckerin nicht zweimal sagen. »So eine Unverschämtheit, ich bin von der Frau Bürgermeister ersucht worden, die Sache zu übernehmen und – – –«

Das schwere Geschütz der Wirtin deckte das leichte Maschinengewehr der Bäckin: »Di braucht ma no ersucha. Hingraaft hast di, du Gschaftlhuberin. Aba dösmal bleibt dir der Schnabl sauba, weil da Bürgermoasta selba nach mir gschickt hat!«

»Ah, ah, ah, ah, so eine Luag«, schmetterte die schrille Stimme der Deigmeierin. Da wurde die Wirtin wütend: »Dir gib i glei a Luag und papp da oane nei, daß dei Leadschn nicht mehr aufbringst!«

Sie machte schon eine drohende Schwenkung zur Bäckin hin. Die arme Bürgermeisterin, die sozusagen zwischen den beiden Feuern war, wollte vermitteln: »Geh hörts auf, seids doch gscheit!«

Aber das Volk unten tobte und wollte ein Opfer haben und hetzte. Der Schiller hat schon recht, wenn er sagt: »Da werden Weiber zu Hyänen!« Rufe wie: »Schmier ihr oane! Nur net auslassn! Nix gfalln lassn!« schwirrten durcheinander.

Die Deigmeierin wandte sich an die Bürgermeisterin: »Bitte, sag laut und deutli, daß du mich ersucht hast, die amtlichen Bekanntmachungen vorzulesen!!!« »Dös Gfraß brauch i net, i woaß scho selba, was ma toa muaß«, behauptete die Wirtin.

Die Deigmeierin schnellte wie eine Giftschlange empor. Jetzt hatte sie eine Waffe gegen sie. »Habt ihrs ghört«, 137 rief sie zu den Bäuerinnen, »habts ös ghört – Gfraß sagt die zu den amtlichen Bekanntmachungen!« Unheildrohend schwenkte sie ihren dürren Zeigefinger gegen die Wirtin: »Di bring i da hin, wost hinghörst!« Sie öffnete den Aktendeckel und schrie so laut sie konnte: »Die amtlichen Bekanntmachungen lauten: Bei einem kommenden Luftangriff werden folgende Kampfstoffbomben in Anwendung kommen. Erstens die schnellbrennenden Kampfstoffbomben, zweitens die Thermitbomben – –«

»Halt dei Mäu, sag i«, schrie die Wirtin. Die mutige Bäckerin ließ sich nicht einschüchtern. Sie klammerte sich an die amtlichen Verordnungen, die sie, Gott sei Dank, in der Hand hatte und fuhr fort: »Die 138 schnellbrennenden Kampfstoffe erfordern ein schnelles Zugreifen – – –«

»I wer jetzt aa glei zuagreifa«, schrie die Wirtin, »und dei schnellfeuernde Waffi stopfa!«

Die Weiber unten kreischten vor Vergnügen und hetzten durch weitere Zurufe. Mit vor Aufregung sich überschlagender Stimme schrie die Bäckin: »In jedem Haus müssen Feuerpatschen – –«

Feuerpatschen war ihr letztes Wort. Die Wirtin ergriff die Offensive mit schweren Kampfmitteln. Ihr mächtiger Arm griff hinüber und wollte der Bäckin den Aktendeckel entreißen. Die Bäckerin ließ aber nicht los und biß die Wirtin in die Hand. »Au«, schrie die Wirtin, ließ los und packte sie mit der anderen Hand am Schopf und zog sie über den Katheder rüber zur besseren Verarbeitung.

Die herzlosen Weiber unten bogen sich vor Lachen, und der Bäckerin wäre es sicher sehr schlecht gegangen, wenn nicht in diesem Augenblick der Bürgermeister eingetreten wäre. Der schaute verwundert auf die Balgerei und frug: »Ja sapprament, was is denn da los?«

Da trat der Banzl vor und meldete: »Luftschutzversammlung in Hintertaching!«

»So, das is a schöne Luftschutzversammlung, ihr Malefizweibsbuidabagasch übarananda. Schauts augenblicklich, daß weiterkummts! Marsch außi! Bei der nächsten Versammlung müaßn zwoa Schandarm da sei!«

So endete die erste Luftschutzversammlung in Hintertaching. Die Weiber waren recht zufrieden und erzählten voll Genugtuung: »Schö wars!« Die anderen Weiber, die nicht hingegangen, bedauerten es sehr, nicht dabei gewesen zu sein. 141



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