Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als in den letzten Monaten des vorigen Jahres, zu einer für die Eröffnung des Parlamentes ganz ungewohnten Zeit, die Redner des Unterhauses zusammentrafen, um über die Lage des Landes und jene schreckliche Krise zu debattieren, die vom Monat August bis zum November und Dezember nicht allein die ersten Handlungshäuser der Welt zum Fallen brachte, sondern auch Elend und Entsetzen bis in die letzten Hütten hinunter verbreiteten – da erhob sich der gewaltige Sir Robert Peel von seinem Sitze und schloß einen Vortrag, in dem er die Unabwendbarkeit solcher Ereignisse nachwies, mit den Worten:
»So in 1784, in 1793, in 1810, in 1826, in 1836 und in 1839 findet ihr dieselbe Ursache solcher Krisen: Prosperität, bei einem niedrigen Zinsfuße zu Spekulationen und immensen Unternehmungen führend, die, wenn sie die Probe eines metallischen Standard aushalten sollten, zusammenstürzten und Geschäftsstockung und Elend unvermeidlich machten. Dieselbe Ursache wirkte auch bei der jetzigen Krise.«
Die kurze, trockene Weise, wie Sir Robert die Sache erklärt, und die nur gar zu sehr an jene witzige Bemerkung eines Engländers erinnert, daß das ehrenwerte Mitglied für Tamworth alles und jedes, den Großmogul wie Karl den Großen und den Hannibal auf Pfund, Schilling und Pence reduzieren möchte – hat nichtsdestoweniger manches für sich.
Es geht den großen Kaufleuten wie den kleinen Kindern; wenn Kinder einige Groschen zum Geschenk erhalten, da möchten sie gern die halbe Welt dafür kaufen, und wenn Kaufleute bei niedrigem Zinsfuße und flottem Kredit größere Summen als sonst zu erhalten wissen, da sticht sie auch nur zu häufig der Hafer, und sie ruhen nicht eher, als bis sie irgendein Unfall wieder zu ruhigem Besinnen zurückgebracht hat.
Halten wir indes außer der von Sir Robert angegebenen, allen Handelskrisen zugrunde liegenden Wahrheit auch noch die Ursachen fest, welche nicht weniger als diese zum Entstehen von Erscheinungen beitragen, wie wir sie in diesem Abschnitte zu schildern suchen werden.
Die Krisen von 1784 und 1793, welche Sir Robert Peel erwähnt, liegen uns zu fern, und alle Weltverhältnisse haben sich seitdem zu sehr geändert, als daß es interessant wäre, noch einmal darauf zurückzukommen. Gehen wir gleich zu den Ereignissen von 1810 über.
Die englische Industrie hatte zu jener Epoche die ersten Stadien ihrer Entwicklung durchlaufen und stand in der ganzen Blüte ihrer Entfaltung vor den Augen der erstaunten Welt da. Der Krieg mit Frankreich, den die englische Aristokratie aus politischen Gründen aufs hartnäckigste verfolgte, war für die Bourgeoisie nicht weniger wünschenswert gewesen, da die Engländer dadurch die Herren aller Meere wurden und für ihre Fabrikate ein unbedingtes Monopol auf allen asiatischen und amerikanischen Märkten erhielten. Mochte die Zerrüttung der Geldverhältnisse infolge der enormen Kriegsausgaben noch so groß sein, die energische Hand eines Pitt hatte durch die Bankerleichterungen von 1793 dem Handel neue Mittel zum Betrieb aller Produktionskräfte zu verschaffen gewußt, und mit jedem Jahre konnte der Unternehmungsgeist kräftiger seine Schwingen rühren. Lange ging dies gut. Im Jahre 1810 geriet der so hastig betriebene Verkehr zuerst in Verwirrung. Alle Märkte der Welt waren zum ersten Male mit Waren überfüllt, von denen nur mit Schaden und in geringen Quantitäten zu verkaufen war.
Je mehr die Industriellen ihre Etablissements in Schwung gebracht hatten, desto mehr mußte ihnen daran gelegen sein, ihre Fonds rasch zu neuen Unternehmungen zurückfließen zu sehen. Dies wurde bei der Überfüllung aller Märkte aber zur Unmöglichkeit und brachte namentlich deswegen sofort die entsetzlichsten Störungen hervor, da auch für die gegen Manufakturwaren als Bezahlung erhaltenen Retouren von Kolonialartikeln, durch den infolge der Kontinentalsperre unterbrochenen Verkehr nach dem europäischen Festlande, der Absatz fehlte. Von unverkäuflichen Manufakturartikeln in den Kolonien und von Kolonialwaren daheim überladen, geriet daher der Handel ins Stocken. Dem Kredit, den man zu niedrigen Zinsen bedeutend in Anspruch genommen, wußte man nur spärlich bei Verfall der verschiedenen Posten mit barem Gelde zu begegnen. Mißtrauen entstand unter den Eignern von Fonds. Mit jedem Augenblicke zogen sich die Bankiers schüchterner aus dem Markte zurück, der nötigsten Summen wegen wurden Verkäufe von Waren zu den niedrigsten Preisen erzwungen, Verluste reihten sich an Verluste, und der Sturz einiger großer Häuser zog sofort eine Masse kleinerer mit sich – das Geschäft hatte ein Ende, die erste große Krise des 19. Jahrhunderts war gekommen! Der aus der Leichtigkeit der Kreditbenutzung hervorgegangene Unternehmungsgeist fand seine Grenze an der eignen Extravaganz.
Lange Zeit dauerte es, ehe man sich von diesem Stoß erholte; erst im Jahre 1824/25 schien man alle Verluste verschmerzt und vergessen zu haben. Wiederum waren die Mittel der Spekulation fast einem jeden zugänglich geworden, und schnell profitierte man davon, um nach allen Richtungen hin und in allen möglichen Artikeln Unternehmungen zu machen.
Spekulationen in Kolonialprodukten und in allen rohen Materialien für Manufakturen wechselten mit Errichtungen von Compagnien für alle erdenklichen Zwecke, von Dampfwäschereien und Viehzucht an bis zum Versuchen, um aus Irland ein Seide produzierendes Land zu machen und die See mit Dampfbooten zu bedecken.
Der kühnste Flug der Spekulation geschah aber über den Atlantischen Ozean hinüber, indem man enorme Fonds in mittel- und südamerikanischen Bergwerken anlegte. Es ist unmöglich nachzurechnen, wie groß die Summe des in dieser Richtung verschleuderten Kapitals ist. Huskisson, damaliger Premier von England, hielt einen sehr ausführlichen Vortrag über diesen Gegenstand und schätzte den reinen Verlust bei diesen Unternehmungen auf 4 bis 5 Millionen Pfund.
Der Engländer, der, wie man einst sehr richtig bemerkte, nie unglücklicher ist, als wenn er nicht weiß, was er mit seinem Gelde anfangen soll, hatte sich wieder einmal verleiten lassen, über die Schnur zu hauen. Wie er sich in 1810 zu übermäßigen Spekulationen in dem Produkt seiner Fabriken hinreißen ließ, so hatte er jetzt ein verkehrtes Spiel in Bergwerksunternehmungen getrieben und wurde dafür in derselben Weise bestraft wie damals. Das Jahr 1825 mit einer ebenso entsetzlichen Krise wurde ein zweites 1810.
Die dann folgende kommerzielle Schreckenszeit war in 1836.
Diese Krise glich der von 1825 fast in allen Punkten und unterschied sich nur durch den Umstand, daß diesmal die Hauptspekulation nicht nach Süd-, sondern nach Nordamerika geschah, wo sie nicht nur in dem Absatz von Fabrikaten, sondern namentlich in der Anlage von Kanälen und Eisenbahnen ein den Engländern wahrhaft ruinöses Feld fand.
Zu Hause machte sich in jener Epoche der Unternehmungsgeist in der Errichtung von Joint-Stock-Banks, in der Anlage neuer Stadtviertel, Parks usw. Luft, und die ganze Spekulation, nachdem sie den Gipfel des Unerhörten erreicht hatte, brach dann auch, wie Sir Robert Peel sagt, zusammen, als die immensen engagements came to be tried by the test of a metallic Standard.
Nach dem Jahre 1836 kam die unglückliche Epoche von 1839 oder besser von 1841 an die Reihe, welche so sehr die Folge von übertriebenen Manufakturspekulationen war, daß dem in den vorhergehenden Jahren stets gesteigerten Export plötzlich im Jahre 1842 ein Ausfall von ungefähr vier Millionen im Werte der Ausfuhr von Manufakturwaren folgte, was mehr als alles andere die Leiden jener Zeit erklärt.
So hatten im Jahre 1810, 1825, 1836 und 1842 dieselben Ursachen dasselbe Resultat herbeigeführt. Große Prosperität und allgemeines Vertrauen ließen die Eigner von Fonds im Darlehen ihrer Kapitalien an Industrielle und Spekulanten miteinander konkurrieren, woraus ein Fallen des Diskontos entstand, was zu Unternehmungen Veranlassung gab, die bald die Straße des gewöhnlichen Geschäftes verließen, um zuletzt in solche Extravaganzen auszuarten, daß eine Reaktion des Vertrauens und des Kredits eintrat und schließlich eine Katastrophe herbeigeführt wurde, welche groß und klein zu Boden riß.
»Macht eure Gesetze in betreff des Handel- und Geldwesens«, rief Lord John Russell vor kurzem aus, »wie ihr wollt, – wenn der dem Kapital gegebene Umschwung eine Epoche der Prosperität herbeigeführt hat, so wird auf dieser Prosperität auch sofort ein solches Gebäude trügerischen Kredits aufgeführt, daß es zuletzt nur des geringsten Ereignisses bedarf, um dies Gebäude zu erschüttern und es im Nu zusammenstürzen zu lassen.«
Eine Krise, größer und verwickelter als alle, die wir eben skizzierten, fällt in unsere Tage. Das Jahr 1847 brachte sie uns, und mancher wird sich ihrer noch in der Zukunft erinnern. Mit einer wahren Liebe haben wir sie in ihrer Entstehung, in ihrer Entwicklung und ihrer Katastrophe an Ort und Stelle beobachtet. Es sollte uns freuen, wenn es gelänge, ein treues Bild davon zu entwerfen.
Stellen wir vor allen Dingen die Hauptpunkte ihrer Natur fest. Es sind deren fünf. Die Krise von 1847 entstand durch: Eisenbahnspekulationen, schlechte Ernten, Freihandelsmaßregeln, Bankrestriktionen und – irisches Elend.
Nehmen wir sie der Reihe nach durch.
England sandte seine Schiffe nach China. »Kauft unser Opium, kauft unsere Kalikos, oder ihr seid des Todes!« Mit diesen Worten klopfte man an die Pforten des himmlischen Reiches; die Broadsides der Fregatten brummten vernehmlich mit, und die Riegel des Eldorado sprangen. Der englischen Industrie und dem englischen Handel war ein neuer Markt eröffnet. Getrieben durch den eigenen Durst nach Gold und durch die Notwendigkeit, ihren Arbeitern Beschäftigung geben zu müssen, warf sich die Schar der Fabrikanten mit gewöhnlicher Wut auf diese neue Gegend des Absatzes. Schiffe auf Schiffe stechen von Liverpool in See, Flotten auf Flotten schwanken um das Kap, und alles wälzt sich hinüber nach Kanton, dem Ort aller Wünsche, aller Hoffnungen. Die ersten Sendungen werden mit enormem Nutzen verkauft; jeder will von dem glücklichen Erfolge der britischen Waffen profitieren; wer noch keine Fabrik hat, er läßt eine bauen, und die Dampfkraft in England vergrößert sich in vier Jahren um 25 Prozent. Die Industriellen Manchesters wälzen sich im Golde – da ist es vorbei. Die Zufuhr hat endlich die Nachfrage überflügelt, der Absatz stockt – was ist zu tun?
»Was sollen wir mit unsern Kapitalien anfangen?« schreien die Kapitalisten. »Was sollen wir mit dem verdienten Gelde anfangen?« schreien die Industriellen.
»Laßt uns Eisenbahnen bauen!« Es geschieht. Die Kapitalien, die noch eben nach China und Indien hinüberspielten, sie werfen sich plötzlich auf den Boden der Heimat. Lustig hatte hier bereits der inländische Spekulant gewirtschaftet. Im Jahre 1840 1300 Meilen Eisenbahnen in Betrieb; im Jahre 1841 1500 Meilen; im Jahre 1843 steigert sich die Summe auf 1800 Meilen, und im Jahre 1845 kommen 300 neue Meilen hinzu. Da treten die Matadore des chinesischen Handels in den Markt, und das Parlament bewilligt den Bau von weitern 1800 Meilen, so daß bis Ende Dezember 1845 ein Total von 5300 Meilen vollendet, im Bau begriffen und projektiert anzunehmen war.
Die Masse staunt über solche Unternehmungen. Jeder glaubt, daß man ungemein dabei profitieren könne, denn sonst begreift ja niemand, wie sich die reichsten und ersten Häuser darauf einlassen mögen. Jeder will sich an diesen Spekulationen beteiligen; die Lust an den neuen Unternehmungen wird allgemein. Zu Spekulationen in Waren, in Fabrikaten und ähnlichen Dingen gehören Kenntnisse, die mancher nicht besitzt. Ein Eisenbahngeschäft ist jedem zugänglich: ein Fetzen Papier, eine Unterschrift und ein wenig Kredit, das reicht hin, um Geschäfte in die Tausende hinein zu machen, und gerade wie weiland bei den Tulpenschwindeleien in Holland, wie bei den Spekulationen Laws und bei den Ereignissen von 1825 stürzen sich bald Fabrikanten, Kapitalisten, Geistliche, Advokaten, Doktoren, Bürger und Bauern, kurz, es stürzt sich fast die ganze Bevölkerung Alt-Englands blindlings hinein in diesen Taumel der Spekulation, in diesen Sturm nach Gewinn, nach Verdienst, nach unendlichem Reichtum.
In der Parlamentssession von 1846 gibt man der allgemeinen Wut nach und bewilligt zu den bereits bestehenden und projektierten Bahnen noch fernere 4000 Meilen, so daß sich bald die Totalsumme auf 9300 Meilen beläuft. Hiermit ist man indes keineswegs zufrieden; während die Hälfte, ja vielleicht nur ein Drittel der projektierten Bahnen im Parlamente diskutiert werden kann, haben die erfinderischen Köpfe der Spekulanten Hunderte von neuen Linien entworfen; man unternimmt fünf Bahnen auf einmal nach demselben Orte; es handelt sich ja nicht mehr darum, daß sie einst wirklich gebaut werden, nein, bis zu dem Augenblicke, wo sie geradeswegs vom Parlamente zurückgewiesen werden, sollen sie nur Gelegenheit zu Käufen und Verkäufen bieten. Jeder meint, bis dahin noch daran verdienen zu können; niemand glaubt, daß er vielleicht an seinen Aktien hängenbleibe.
Unaufhaltsam wälzt sich daher der ganze Schwindel seiner Katastrophe entgegen. In London sitzen hundert Zeugen für eine Bahn und hundert Zeugen dagegen in einem und demselben Wirtshause; sie ziehen die Sache in die Länge, verdienen 5 Pfund Sterling jeden Tag dafür und freuen sich ihres Lebens. In Manchester debattiert man im Dezember bei dem größten Schneegestöber auf offner Straße bis 11 Uhr nachts über eine Bahn, deren Bau ein wirklicher Wahnsinn gewesen wäre. In Leeds muß der Platz vor der Börse durch die Polizei im eigentlichsten Sinne des Wortes von Spekulanten gereinigt werden, damit die Post passieren kann.
So geht es an fast allen großen und kleinen Orten. Man weiß zuletzt gar nicht mehr, wie groß die Summe aller Unternehmungen ist. Ein Mensch, der früher Direktor einer einzigen Bahn war, er ist plötzlich Direktor von sechs, acht und noch mehreren. Niemand kann oder will zuletzt mehr Rechenschaft über das Vorgefallene ablegen. Da unternimmt die »Times« diese Herkulesarbeit – man zählt die Summe sämtlicher Spekulationen zusammen, und es findet sich, daß man bis zu dem fast unglaublichen Betrage von 600 Millionen Pfund Sterling fortgeschritten ist. Die Sache hatte ihren Gipfel erreicht; sie sollte bald zusammenbrechen.
In London hatten die Direktoren der Bank von England schon am 16. Oktober 1845 der Handelswelt eröffnet, daß das Minimum des Diskontos in Zukunft 3 Prozent sein würde.
Für den Augenblick hatte dies einen wahren Schrecken in der City verbreitet; denn an seiner Bank hängt der Engländer mit einem wirklichen Aberglauben. »Die Direktoren haben kein Vertrauen mehr in die Geschichte«, hieß es, »sie wollen der Spekulation den Zügel anhängen, bald wird alles vorbei sein – sauve qui peut!« Viele Spekulanten waren indessen anderer Meinung. »Was macht es, wenn das Geld auch ½ Prozent teurer wird?« sagten sie. »Verdienen wir nicht bei jeder Spekulation unsere 30 bis 40 Prozent?«
Sie hatten nicht ganz unrecht. Die besonnenen Kaufleute blieben aber bei ihrer Meinung, und wunderbar schön entwickelte sich jetzt bald jene entsetzliche Krisis, die wir gegen den Oktober 1847 endlich in ihrer ganzen Blüte zu bewundern hatten.
Das Erhöhen des Diskontos der Bank von England als Wendepunkt der Spekulation festhaltend, fingen nämlich die übrigen Kapitalisten an, dem gegebenen Beispiel zu folgen. Kam jemand, der bares Geld verlangte, sei es für den Betrieb seines regulären Geschäftes, für Einzahlungen im Bau begriffener Bahnen oder für die in manchen Fällen bis zu 20 000 Pfund sich belaufenden Kosten eines vor das Parlament gebrachten Eisenbahnplanes, so schnürten sie unwillkürlich ihre Beutel etwas fester zu. Die Unbehaglichkeit, welche die Maßregel vom 16. Oktober mit sich gebracht hatte, verwandelte sich durch diese Hartnäckigkeit der Privatbanken allmählich in Mißtrauen; das Mißtrauen verwandelte sich in Furcht; der Schrecken des 16. Oktober wiederholt sich plötzlich; nach kurzer Unterbrechung entsteht derselbe Lärm, dieselbe Angst; es ist mit einem Male, als ob alles Vertrauen aus dem Handel verschwunden wäre, und hinunter purzelt der Kurs aller Aktien mit einer solchen Schnelligkeit, so unerwartet, so unvorhergesehen, daß Tausende von Menschen, die noch eben im Gefühle des Reichtums und der Wohlbehäbigkeit auf die Börse stolzierten, als Bettler wieder nach Hause zurückkehren. – Übergehen wir den Jammer, den diese plötzliche Wendung der Dinge für einen großen Teil der Bevölkerung mit sich brachte; er hat auf die fernere Gestaltung der englischen Verhältnisse auch nur momentanen Einfluß; einzelne Individuen sind hart getroffen, dem Ganzen schadet es wenig, das Geld hat nur seine Besitzer gewechselt.
Auch die Summen, welche man für die im Bau begriffenen Bahnen in die Erde steckt, machen das Land nicht unglücklich; der Lohn wird dem Arbeiter ausbezahlt; der Arbeiter trägt sein Geld zum Krämer, der Krämer übermacht es dem Händler, der Händler dem Fabrikanten, der Fabrikant dem Bankier, und so fließt es zu jener Quelle zurück, aus der es ursprünglich heraussprudelte.
Aber, so fragt man sich mit vollem Recht, wo bleiben denn eigentlich die schlimmen Folgen der ganzen Spekulation? Nichts ist leichter zu beantworten. Es bleibt das Mißtrauen, jawohl, das Mißtrauen. Der Kredit bleibt erschüttert, das Vertrauen ist untergraben, der Handel ist gelähmt.
Nur mit Entsetzen streckt ein Bankier Geld an jemanden vor, von dem er weiß, daß er einst in Eisenbahnen spekulierte; nur mit Schrecken und Grausen diskontiert er einen Wechsel desjenigen, der in der unseligen Schwindelei verwickelt war. Je mehr man auf die Börsen der Geldaristokratie losstürzt, desto fester verschließen sie sich. Mit dem steigenden Diskonto, dem Barometer aller Handelsglückseligkeit, steigt die Not, steigt die Verzweiflung; sie erreicht ihren Gipfel, als die ersten Handlungshäuser Londons 20 Prozent Zinsen bezahlen müssen. – Soweit die Eisenbahnspekulation.
Besprechen wir jetzt die zwei fernern Hauptmomente der neuern englischen Geschichte: die schlechte Ernte und die Freihandelsmaßregeln. Sie sind zu sehr ineinander verkettet, als daß wir sie einzeln behandeln möchten.
Wie wir die Entwicklung des Eisenbahnwesens an dem chinesischen Krieg anzuknüpfen wagten, so glauben wir mit noch viel größerm Recht, die schlechten Ernten von 1845 und 1846 mit der Anti-Corn-Law-League in Verbindung bringen zu können. Diese merkwürdigste aller modernen Assoziationen entstand, wie wir bereits früher erzählten, im September 1838. Sie zählte damals 15 bis 20 Mitglieder – nach Verlauf von 7 Jahren mehrere Millionen. Ihre Organisation, ihre Pläne, ihre wahrhaft gigantischen Anstrengungen sind der Welt noch in zu lebhaftem Gedächtnisse, als daß wir weiter darauf zurückzukommen brauchten. Mit jedem Tage hatte die League Terrain erobert, ein Parlamentsmitglied nach dem andern wurde für die Sache gewonnen. Da kam der Herbst 1845.
Ein beunruhigendes Gerücht verbreitete sich plötzlich im Lande; es hieß, die Kartoffelernte sei in Irland mißraten; man stutzte, man untersuchte die eignen Felder, man fand, daß es in England nicht besser aussah, und man erschrak fast, als auch vom Kontinent sehr ungünstige Nachrichten herüberklangen.
Gewandt und keck packte die League diesen Umstand auf. »Was soll jetzt aus dem Volke, aus den Arbeitern werden, wenn man die Getreidezölle nicht abschafft?« – so rief man von allen Seiten. Mr. Bright dozierte in Manchester; Cobden durchreiste Yorkshire; Wilson agitierte in Birmingham; der Colonel Thompson in London; alle Freihandelsmänner waren auf den Beinen. Die herannahende Not unterstützte ihre Argumente; Siege folgten auf Siege. Bald war das ganze Land in Alarm; die Hartnäckigkeit einiger Aristokraten verschlechterte ihre Sache noch mehr, als sie schon heruntergekommen war; wie vor dem Passieren der Reform Bill war bald nur eine Stimme darüber, daß die Aristokratie sich beugen müsse. »Nieder mit den Getreidezöllen!« – so war der allgemeine Schrei des Tages.
Lord John Russell saß damals in Edinburgh; er hatte sich nie direkt gegen die Freetraders ausgesprochen; er war aber noch nicht auf ihre Seite getreten. Da setzt er sich eines Morgens hin und schreibt seinen Brief an die Londoner Wähler, indem er geradezu erklärt, daß er seine bisherigen Ansichten geändert habe und daß er entschieden für die Abschaffung der Kornzölle auftreten werde.
Dies war ein Ereignis. Das Haupt der Whigs auf der Seite der Freetraders – es war eine gewonnene Schlacht, ein Sieg, ein Triumph. Das Ergötzlichste dabei blieb indes noch der Umstand, daß der damalige Premier Sir Robert durch das Manöver seines Gegners in eine sehr delikate Stellung geriet. Wie sollte er jetzt als Protektionist noch länger widerstehen können, da die Whigs sich mit einer Partei vereinigten, welche mehr als je die ganze öffentliche Meinung für sich hatte? Es war unmöglich; sein baldiger Sturz lag auf der Hand, wenn er seinen alten Tory-Gesinnungen treu bleiben wollte. Armer Sir Robert Peel! Es half kein langes Besinnen; er hatte die Wahl, entweder seinem Gegner Lord John den Ruhm der Abschaffung der Korngesetze zu überlassen oder sie selbst zu vernichten. Es mußte gehandelt sein, und Sir Robert tat es.
Im Ministerium Peel saß damals The Right Hon. George H......, einer der liebenswürdigsten englischen Aristokraten. Man erzählt, daß ihn eines Abends gegen das Ende des Jahres 1845 eine hübsche junge Frau besuchte, die in dem Hause des galanten Mannes gerade nicht unbekannt war. Sie verfügt sich, wie sie es vielleicht schon oft getan, ohne weiteres in das Studierzimmer des Ministers. Leider findet sie das Zimmer leer. Sie wartet; sie langweilt sich zuletzt; sie spaziert auf und ab, und zufällig tritt sie auch an den Schreibtisch des Abwesenden. Ein offener Brief liegt darauf, und die junge Dame erkennt die Handschrift Sir Robert Peels. Neugierig, wie schöne Frauen sind, nimmt sie das verhängnisvolle Blatt in die Hand und fängt an zu lesen. Rings ist alles ruhig – sie stutzt, ein verwegener, glücklicher Gedanke fährt plötzlich durch das hübsche Köpfchen, sie sieht sich schüchtern um, sie setzt sich an den Tisch, sie nimmt Feder, Tinte und Papier und – kopiert den Brief Sir Roberts.
Nachts gegen 11 Uhr rollt ein Wagen von dem Hotel des Ministers nach Blackfriarsbridge. Er hält vor dem »Times Office«; aus steigt unsre junge Dame. Sie läßt den (kürzlich verstorbenen) alten Herrn Walter, den Eigentümer der »Times«, aufs dringendste bitten, ihr Audienz zu geben. Der alte Walter ist etwas verwundert über den späten Besuch eines so liebenswürdigen Wesens; er empfängt aber die junge Dame mit gewohnter Höflichkeit. »300 Pfund für diesen Brief!« ruft ihm die Schöne entgegen, als sie allein sind. Herr Walter erschrickt in etwa. Er kennt die hübsche Frau, er weiß, mit wem er es zu tun hat – ein Eigentümer der »Times« weiß vieles. – »300 Pfund ist mir zu hoch«, erwidert er, »ich gebe 100!«
Eine lebhafte Konversation entsteht zwischen dem sonderbaren Paare. Nach vielem Handeln, Streiten und Schwatzen werden sie endlich eins; sie teilen den Streit. Herr Walter zahlt seiner artigen Freundin 150 Pfund Sterling in Bank of England Notes auf den Tisch, und alles ist in Ordnung. Fort rollt die Kutsche.
Am nächsten Morgen erscheint in der ersten Ausgabe der »Times«, gedruckt in großen Lettern, die Anzeige, daß Sir Robert Peel entschlossen sei, für die Abschaffung der Korngesetze aufzutreten. Ein Ministerrat werde in den nächsten Tagen gehalten, in dem Sir Robert sich mit seinen Kollegen über diesen Gegenstand zu unterhalten gedenke.
Der Eindruck, den diese Nachricht auf die verschiedenen Parteien machte, ist kaum zu beschreiben. Die Freetraders jubelten von einem Ende Englands bis zum andern; die Protektionisten schäumten vor Wut, und ihr Hauptorgan, der »Standard«, erklärte geradezu, daß die »Times« wahnsinnig geworden sei.
Die »Times« beharrte aber bei ihrem Ausspruch, und da es trotz ihrer häufigen Extravaganz in manchen Ansichten und Urteilen nicht anzunehmen war, daß sie in einer so wichtigen Sache dauernd bei einer Nachricht bleiben würde, wenn nicht die besten Beweise für die Richtigkeit derselben da waren, so befreundete man sich allmählich mit den im voraus angekündigten Absichten Sir Roberts. Man dachte an die katholische Emanzipations-Bill, wo der Repräsentant der Torys, nachdem er jahrelang gegen diese Maßregel gewesen war, endlich auch vor Toresschluß seine Meinung änderte und der Sache, sie in seine eigenen Hände nehmend, am 30. März 1829 den vollständigsten Sieg erfocht.
Der Handel, der nach der Stockung des chinesischen Geschäftes und durch die Störung der Eisenbahnspekulationen lange darnieder gelegen hatte, nahm daher unwillkürlich einen Aufschwung. Seit geraumer Zeit hatte man schon in der Einführung des freien Handels eine Abhilfe aller Geschäftsleiden gesehen. Dieser glückliche Moment schien nun endlich herangekommen zu sein.
Die League selbst war riesenstark geworden. Durch den Übertritt Lord John Russells erhielt sie eine neue Stütze; jetzt sogar noch Robert Peel auf ihrer Seite – es war kein Zweifel mehr, die Korngesetze mußten fallen, der Einfuhr ausländischen Getreides war Tür und Tor geöffnet und dem Austausche gegen englische Fabrikate eine neue Gelegenheit bereitet.
Der englische Industrielle, halb und halb noch durch die Vorräte gefesselt, welche in China lagen, und nicht minder geniert durch Verbindlichkeiten in betreff dieser oder jener Eisenbahn, ließ sich daher trotzdem nicht abhalten, seine Produktionskräfte wieder in Bewegung zu setzen.
Zwei andere Umstände trugen zu dieser erwachenden Tätigkeit noch bedeutend bei. Die Nummer der »Times« nämlich, welche durch die Gefälligkeit einer schönen Frau den Übertritt Sir Robert Peels hatte anzeigen können, war in jener verhängnisvollen Nacht, sowie die Presse den ersten Abdruck vollendet hatte, durch einen Spezialzug der Eisenbahn nach Liverpool befördert worden, wo gerade ein Steamer bereit lag, der am nächsten Morgen nach New York abfahren sollte. Der Kurier, der das Paket überbrachte, erreichte Liverpool in dem Augenblicke, wo dieses Dampfboot, wenn wir uns nicht sehr irren, die »Cambria«, gerade die Anker gelichtet hatte und die Mersey hinunterfuhr.
Ein Kurier der »Times« ist nicht auf den Kopf gefallen. Der Mann läßt sich sofort einen Renner satteln; man bringt ihn samt seinem Rosse über den Fluß nach Birkenhead; er springt in die Bügel, setzt die Sporen ein, und nach sprengt er dem davonfahrenden Schiffe, so rasch, wie das Pferd zu laufen vermag.
An der Mündung der Mersey holt er den Steamer ein. Er winkt, er ruft, man hält still; ein Boot rudert ans Land, und das Paket Zeitungen ist einige Augenblicke nachher auf dem Wege nach Amerika.
Man kann kaum berechnen, von welchen Folgen dieser Zufall gewesen ist. Die infolge der Oregon-Differenzen entstandene Erbitterung zwischen England und den Vereinigten Staaten hatte nämlich damals ihren Gipfel erreicht; es waren nur zu viele Anzeichen eines Krieges da, und der Verkehr zwischen beiden Ländern fing bereits an, höchst furchtsam und gemäßigt zu werden. Es hätte vielleicht damals nur noch einiger Reden der radikalsten Yankees bedurft, und der Tanz der zwei mächtigsten Völker der Welt hätte begonnen.
Da trifft die Nummer der »Times« in New York ein, aus der man ersieht, daß das englische Kabinett zur Abschaffung der Kornzölle bereit ist, und die ganze Geschichte nimmt sofort eine andere Wendung. Die 10 bis 14 Tage später ankommenden andern englischen Blätter zeigen freilich, daß die Nachricht der »Times« namentlich vom »Standard« und von der »Morning Post« noch sehr in Zweifel gezogen wird und daß Sir Robert Peel selbst noch immer das strengste Stillschweigen beobachtet; die Aussicht auf die Abschaffung der Kornzölle und die daraus sich unendlich vergrößernde Einfuhr von amerikanischem Getreide nach England hat aber einmal ihren Eindruck auf die Gemüter gemacht; die Hoffnung eines tüchtigen Gewinstes besänftigt den Amerikaner, und vorüber ist auch die größte Gefahr der Oregon-Differenz.
Während dies auf der westlichen Hemisphäre der Welt in Nordamerika vorging, hatte sich auf der östlichen, auf den Hochebenen Asiens, ein anderes Ereignis zugetragen, welches nicht weniger günstig als die Beilegung der Oregon-Differenz auf die englischen Verhältnisse zurückwirkte. Die britische Armee erfocht nämlich in drei mörderischen Schlachten einen vollständigen Sieg über die den Sutlej überschreitenden Sikhs, indem sie den Feind nicht allein über den Fluß zurückwarf und den englischen Besitzungen in Indien ein neues Stück hinzufügte, sondern auch den Frieden in ganz Hindostan dauernd wiederherstellte und dem Handel dadurch die sicherste Gewähr eines blühenden Geschäftes gab. Wiederum war es die »Times«, dieses unermüdlichste und reichhaltigste aller englischen Blätter, welche sich mit einem Kostenaufwande von 800 Pfund Sterling durch die Vermittlung des so ehrenvoll bekannten Waghorn 8 bis 10 Tage früher in Besitz der ersten Siegesnachricht brachte als jeder andere, das englische Gouvernement nicht ausgeschlossen.
Diese günstigen Ereignisse, die allmähliche Schlichtung der Oregon-Frage und die indischen Siege, verbanden sich mit den blitzschnellen Eroberungen der Anti-Corn-Law-League und hatten, wie schon erwähnt, den entschiedensten Einfluß auf die industrielle Tätigkeit Englands.
Wir brauchen nicht zu versichern, daß sich dieselbe noch vergrößerte, als Sir Robert Peel endlich den gehegten Erwartungen entsprach und, seine Bill in das Parlament bringend, bald darauf jenem Gesetze den Todesstoß gab, an dessen Abschaffung die Freetraders so lange Jahre rastlos gearbeitet hatten.
Es war wirklich jetzt nicht anders, als wenn sich die Göttin des Glückes recht eigentlich auf Großbritannien niedergelassen hätte. Die Industriellen schienen dies wenigstens zu glauben; denn trotz der Fonds, welche noch immer im chinesischen Handel steckten, trotz der Vergeudungen, welche die Eisenbahnspekulationen mit sich brachten, wagten sie es dennoch, ihre Etablissements plötzlich in so unaufhörlichen Gang zu bringen, als wenn der Nerv aller Bewegung, das Geld, so häufig gewesen wäre wie zu den gewöhnlichen Zeiten und der Absatz so gewiß wie je zuvor.
Es ist nicht zu ermessen, welchen Schwung die Produktion genommen haben würde, wenn nicht die Londoner Bankiers durch den fortwährend hohen Diskonto der industriellen Tätigkeit einen Hemmschuh angelegt hätten und wenn nicht bald durch die Konsequenzen der schlechten Ernte der Wut und dem Schwindel der Fabrikanten dasselbe Ziel gesteckt worden wäre, das sich durch einen plötzlichen Schreck erst kurz vorher bei den Eisenbahnspekulanten zeigte.
Es stellte sich nämlich erstens heraus, daß der Ersatz für die infolge der Abschaffung der Korngesetze im Werte von etwa 40 Millionen Pfund vom Auslande bezogene Getreidemenge nicht in Manufakturwaren, sondern in Gold gemacht werden mußte, und daß zweitens infolge der an manchen Stellen des Kontinents mißratenen Ernte und der daraus entstehenden Verarmung nicht das gewöhnliche Quantum Manufakturwaren von England bezogen wurde, so daß man also weder durch die gehoffte außerordentliche Nachfrage noch durch die gewohnte der vergrößerten Produktion eine Erleichterung entgegenkommen sah.
Die erste den Freihandelsideen durchaus widersprechende Erscheinung ist daraus zu erklären, daß der freie Handel überhaupt nur auf vollständiger Gegenseitigkeit wirksam betrieben werden kann und daß vielleicht Rußland und Amerika, welche ja vorzugsweise die Korneinfuhr nach England besorgten, noch so mit britischen Fabrikaten überfüllt waren, daß man eben keine neuen Bestellungen geben konnte und sich den Wert des Kornes in barem Gelde ausbezahlen lassen mußte.
Die zweite Erscheinung erklärt sich nicht allein schon hinreichend aus der schlechten Kontinentalernte, sondern auch daraus, daß das Mißraten der Baumwolle und die dadurch entstehende Preissteigerung dieses Artikels, welche schon in gewöhnlichen Zeiten einen verringerten Konsumo herbeigeführt haben würde, nun bei den außerordentlichen Verhältnissen eine doppelt nachteilige Wirkung hervorbrachte.
Ebenso rasch, wie sich diese Umstände entwickelten, ebenso leichtsinnig waren sie von den Industriellen übersehen worden. Die Dampfmaschinen brausten noch, die Spindeln rasselten und die Essen glühten, die fertigen Waren rollten noch in unzähligen Ballen den Depots der Häfen zu, da fand es sich plötzlich, daß kein Markt alle diese Herrlichkeiten verlange, und wie gelähmt vor Schrecken und Verzweiflung ließ der Fabrikant seine Arme sinken, und wie noch eben die Spekulation an dem Sinken des Vertrauens gescheitert, so scheiterte jetzt die industrielle Tätigkeit an dem Unmöglichwerden jeglichen Absatzes.
Eine Idee von diesem plötzlichen Stocken der Fabrikation kann man sich machen, wenn man bedenkt, daß laut einer Aufstellung des »Standard« vom 11. November in Manchester vom 2. des Monats an von 175 Baumwollspinnereien nur 78 die volle Zeit, 63 kurze Zeit und 34 gar nicht in Bewegung waren und daß in der Gemeinde Manchesters 10 954 Arbeiter unbeschäftigt auf den Straßen standen.
Halten wir einen Augenblick inne, um die einzelnen Momente dieser, einer unheilvollen Katastrophe entgegenrollenden Entwicklung dem Gedächtnisse besser einzuprägen.
Das erste Absorbieren flüssiger Fonds geschah durch eine Warenüberfüllung des chinesischen Marktes; die zweite auf ungewöhnlichem Wege geschehene Verwendung des Kapitals finden wir in der Eisenbahnspekulation, bei der zwar die zum Bau gebrauchten Summen nicht gerade aus der Geldzirkulation verschwinden, aber doch momentan ihre gewohnten Kanäle verlassen und für die reine Spekulation, für den bloßen Schwindel, eine Fixierung des gesellschaftlichen Kredits in nie gekanntem Maße nach sich ziehen; die dritte Verminderung des laufenden Kapitals geschieht durch den Export von etwa 40 Millionen für den Ankauf von Korn; die vierte durch den höhern Preis, den man für den Hauptartikel des Handels, für die Baumwolle, anlegen muß; und die fünfte endlich durch jene infolge der Freihandelsmaßregeln entstandene Überproduktion, die zu guter Letzt noch, aus einer wahren Ironie des Schicksals, jede flüssige Summe in tot daliegende Waren verwandelt.
War es da ein Wunder, wenn endlich eine Geldkrisis über England hereinbrach, wie wir sie nie, eben da sie so unendlich verwickelt ist, je vorher gekannt haben? War es da anders zu erwarten, als daß England, dieser Koloß, dieser Atlas, unter der Wucht seiner Welt momentan zerknirscht und zerschmettert zu Boden stürzte?
Doch zwei andere Punkte haben wir noch zu berücksichtigen, zwei Punkte, welche von manchen Parteien in England als die Hauptursache, als der Hauptgrund alles Elendes hervorgehoben wurden; wir haben noch Peels Bank-Akt vom Jahre 1844 und das irische Elend zu besprechen.
»Wenn 117 Millionen Pfund durch Taxen und Anleihen ohne Schwierigkeit für unreproduktive Sachen in den letzten Jahren des Krieges gegen Frankreich von einer Bevölkerung von 18 Millionen Menschen erhoben wurden, so würde es absurd sein, die jetzige Krisis dem zuschreiben zu wollen, daß 36 Millionen Pfund jährlich für reproduktive Werke, für Eisenbahnen, von 28 Millionen Menschen erhoben worden sind.« So sagte E. S. Cayley Esq. M. P. am 20. Oktober in seinem Briefe an den Premierminister Lord John Russell. Es folgte dann eine sehr lebendige Schilderung der Ereignisse von 1793 bis 1815, in welcher gezeigt werden sollte, wie durch die Maßregel Pitts, daß nämlich die Bank von England sowie alle übrigen Banken die Erlaubnis erhielten, ad libitum Papiergeld auszugeben, dem Lande die Möglichkeit verschafft wurde, jede Anstrengung auszuhalten, und daß ähnliche Anstrengungen auch heute zu ertragen gewesen sein würden, wenn eben Peel nicht durch seine Bill vom Jahre 1819 und namentlich durch seinen neuen Akt vom Jahre 1844 die Freiheiten im Kreditsystem der Banken wieder vernichtet hätte. Mr. Cayley gehört zu den Leuten, welche sich eben weder an Eisenbahnen, an schlechten Ernten noch an Überproduktion störten und darin den Grund alles Übels sahen, daß es der Bank von England durch Peels Bill von 1844 untersagt ist, über eine durch Staatsgarantien repräsentierte Summe von 14 Millionen Pfund hinaus Papiergeld auszugeben, wenn solches nicht durch bares Gold in den Kellern der Bank vertreten wird.
Infolge der vielen in dem Sinn der Cayleyschen Protestation geschehenen Angriffe hat sich Sir Robert Peel dann auch im vorigen Dezember weitläuftig darüber ausgesprochen, indem er bei dem eingeschlagenen Wege beharrte, zu dem auch Russell sich bekannte, da er erklärte, daß doch immer Handelskrisen vorfallen würden, mache man auch die Handels- und Finanzgesetze, wie man wolle.
Mag dem sein, wie will, jedenfalls ist es irrig, daß der Bank-Akt der ausschließliche Grund alles Übels war.
Einen Fehler, eine Inkonsequenz beging Sir Robert freilich, wenn er als Freetrader, den freien Austausch der Waren zulassend, das beliebige Kreditgeben, den freien Austausch des Geldes zu untersagen wagte, und mochte er als Mann, der das Bestehende zu erhalten strebt, die Bankrestriktion auch wohl nur deswegen eintreten lassen, um die Neigung der Handelswelt, in ihren Unternehmungen zu extravagieren, nicht durch eine noch größere als die existierende Freiheit des Kredits einer schlimmern Katastrophe als der bereits eingetretenen entgegenzuführen.
Daß der Akt von 1844 freilich Hemmung genug hervorbrachte, beweist die trotz aller Gegengründe durch die Notwendigkeit des Augenblicks hervorgerufene, dennoch geschehene momentane Suspension desselben. Man hatte gewissermaßen nicht die Erlaubnis, sich durch seine eigenen Anstrengungen aus der üblen Lage herauszureißen, welche die eigene Unvorsichtigkeit und zufällige unglückselige Ereignisse mit sich gebracht hatten.
Daher denn eine immer steigende Angst, eine immer wachsende Aufregung, die sich selbst dann noch nicht legte, als der Stein allen Anstoßes, der Bank-Akt von 1844, nun endlich wirklich aus dem Wege geräumt wurde. »Das Gouvernement erkennt also an, daß man früher einen entsetzlichen Fehler in der Gesetzgebung gemacht hat, und man muß die Not für sehr groß halten, daß man das Parlament so früh deswegen zusammenruft!« So hieß es auf den Börsen Englands, und zu der Reue über eigne Unvorsichtigkeit gesellte sich noch der Schauder vor einem Gouvernement, das durch solche Maßregeln, wie man sich ausdrückte, die Welt an einen solchen Rand des Verderbens bringen konnte. Was hilft es uns auch«, hieß es weiter, »ob der Bank-Akt aufgehoben ist, wenn der offizielle Diskonto 8 Prozent bleibt!« Wie bekannt, hatte man das Minimum des Zinsfußes auf diesen Satz gestellt, um sowohl die Spekulanten abzuhalten, sich bei der gerade verfallenden französischen Anleihe zu beteiligen, als auch um die Kapitalisten des Kontinents zu veranlassen, fernere Sendungen von barem Gelde zu machen.
Flau und gedrückt blieb daher die Stimmung der ganzen Handelswelt. Allgemeines Mißtrauen, Verbergen des baren Geldes von Seiten vieler Privatpersonen, Falliten über Falliten, es dauerte vom September bis in den Dezember hinein. Nicht allein die Arbeiter standen, wie in Manchester, zu Zehntausenden unbeschäftigt auf der Straße, nein, auch die ersten und ältesten Handlungshäuser brachen zusammen; und zählt man die Verbindlichkeiten von nur 20 Firmen auf, die vom 10. August bis zum 15. Oktober ihre Bilanz veröffentlichten, so findet man ein Passivum von fast 5 Millionen Pfund und nur eine Dividende von 13½ Schilling an 1 Pfund Sterling.
Vernichtet wurden eine Menge jener Häuser, die noch vor einigen Jahren den kolossalsten Handel nach China trieben; vernichtet zu Tausenden die Spekulanten, die in dem Eisenbahnschwindel momentan zu Millionären geworden; vernichtet die Fabrikanten und Exporteure, die von der Masse unverkäuflicher Waren erdrückt wurden; und vernichtet jene unternehmenden Briten, die, den Handel der Kolonien von Westindien, von Mauritius herübertreibend, die Konsequenz der zur Hälfte ausgeführten Freihandelsideen mehr als alle andern in der Konkurrenz der Sklavenarbeit mit dem emanzipierten Neger zu erdulden hatten.
In diese trüben Zustände ragte indes noch mit drohender Gestalt vielleicht das entsetzlichste von allem Übel, es ragte noch das irische Elend hinein. Vergebens warf man im Jahre 1846 8 Millionen unter die verhungernden Bewohner dieses unseligen Landes; sie wurden verzehrt bis auf den letzten Pfennig, und aufs neue richteten sich die bleichen Massen aller Städte und Dörfer empor, bettelnd, plündernd, raubend, mordend und ihre Kinder hinüberjagend nach dem stolzen, hartherzigen England, dessen Ortschaften sie vagabundierend durchstreiften, Schmutz und Pest mit sich bringend, wohin sie den Fuß setzten, und Fluch und Verdammnis, wo sie, vom Elend gefoltert, zu Boden stürzten und verreckten.
Was sollte und was soll man noch heute mit einem Lande tun, wo der vierte Mensch ein Blutarmer ist? Was sollte man in einem Augenblick damit anfangen, wo man selbst unter der Last des Unglücks zu vergehen meinte?
Die »Times« hatte daher gewissermaßen damals nicht unrecht, wenn sie ausrief: »Oh, wir sind arm! England ist sehr arm geworden!«
Wir geben ihr zwar insoweit nicht Recht, als sie aus Parteirücksichten meinte, daß nur in den zu großen Eisenbahnspekulationen der Grund alles Unheils stecke, aber wir sind der Meinung, daß man selbst als ein so mächtiges Land wie England plötzlich arm und ratlos dastehen kann, wenn zu große Eisenbahnspekulationen sich auch noch mit andern Dingen wie mißratenen Ernten, fehlerhaften Gesetzen, Überproduktion und irischem Elende vereinigen und, miteinander wirkend, jenen Zustand des Jammers und des Elends herbeiführen, den wir in der letzten englischen Krise vor Augen haben.
Einen wehmütigen Eindruck mußte es auf die Engländer machen, als ein im Dezember mit der amerikanischen Post von New York eingetroffenes Journal in einem meisterhaften Artikel jene Stimmung zusammenfaßte, welche die Nordamerikaner, die gefährlichsten und fürchterlichsten Feinde Britanniens, durchgängig bei der damaligen Erniedrigung Englands zu empfinden schienen. »Ihr seid«, so hieß es, »jetzt in derselben Lage, in der wir uns im Jahre 1837 befanden. Damals brach auch das Unglück in so reichem Maße über uns herein, daß es nicht anders aussah, als ob wir unserm vollständigen Ruine entgegengingen. Statt uns zu helfen, statt uns nur einmal zu bedauern, nanntet ihr uns damals mit Namen, die wir heute zu erwidern erröten würden. Erwartet nicht, daß es geschieht. Groß und herrlich stehen wir da, indes ihr zerknirscht zu unsern Füßen liegt; aber nicht spotten wir euer, nicht wollen wir Gleiches mit Gleichem vergelten. Nein, wir bemitleiden euch. Wir sind nicht neidisch, weil wir wissen, daß uns eine Zukunft bevorsteht, vor der die Geschichte eures Landes wie ein wüster Traum erscheinen wird.«
Nun, wir müssen es abwarten, ob das Volk, welches nicht vor der spanischen Armada erzitterte und welches der kaiserliche Riese Frankreichs nicht in den Staub zu treten vermochte, auch der Konkurrenz einer Nation widerstehen wird, die mit englischer Energie und mit wahrhaft französischer Lebendigkeit an den Ufern des Mississippi jenes rastlose Treiben begonnen hat, das sie fast schon jetzt zu Herren der westlichen Hemisphäre macht.
In dem Augenblicke, wo wir dies schreiben, hat sich England nun freilich von seinem Unglück etwas wieder erholt, und andere, größere Ereignisse sind an die Stelle jener Katastrophe getreten und lassen uns fast die der Entwicklung der modernen Industrie entsprungene Bewegung vergessen, welche wir bisher für das Wesentlichste unseres Jahrhunderts hielten.
Wie sich aber auch die neuesten Ereignisse in dem Leben der Völker weiter gestalten mögen, vergessen werden wir nicht die Lehren, welche uns das vergangene Jahr brachte.
»So in 1784«, sagte Sir Robert Peel, »so in 1793, in 1810, in 1826, in 1836, in 1842« – und in 1848, fügen wir hinzu – »findet ihr dieselbe Ursache solcher Krisen: Prosperität, bei einem niedrigen Zinsfuße zu Spekulationen und immensen Unternehmungen führend, die, wenn sie die Probe eines metallischen Standard aushalten sollten, zusammenstürzten und Geschäftsstockung und Elend unvermeidlich machten.«
Allerdings haben der große Peel und der kleine Russell sehr recht: Handelskrisen wird es immer geben, solange die sozialen Einrichtungen der Welt bleiben, wie sie heute sind.
Aber wie das Volk an den politischen Zuständen der Welt mit Riesenfäusten rüttelt, so wird es auch dem sozialen Jammer ein Ende machen und den ehrenwerten Handelsherren die Mühe ersparen, »auf ihrer liederlichen Prosperität ein solches Gebäude trügerischen Kredits zu errichten, daß es zuletzt nur des winzigsten Ereignisses bedarf, um die Geschichte zusammenbrechen zu lassen und für ganze Völker Not und Elend herbeizuführen«.