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Effie (nach einer Pause): Sind Sie denn eigentlich wirklich von altem Adel?
Rüdiger: (sitzt, den Kopf in die Hände gestützt, stöhnend an einem Tisch): Ich bin völlig zerrüttet. Ich bin nur noch ein greuliches Zerrbild von dem, was ich war.
Effie: In hundert Jahren wird es kein Mensch mehr begreiflich finden, wie man einer so harmlosen Schelmerei wegen solch einen Skandal machen kann.
Rüdiger: (erhebt sich und rafft sich zusammen): Meine Mutter war eine geborene Goldstaub aus Budapest.
Effie: Wieviel tausend Männer verheiraten sich nur aus dem jämmerlichen Grund, weil sie vor ihrer Sinnlichkeit endlich einmal Ruhe haben wollen. Den Ausnahmen, die stolz genug sind, ohne das allgemein gebräuchliche Beruhigungsmittel für ihre Sinnlichkeit einzustehen, denen sollte man deshalb doch, weiß Gott im Himmel, ihr Vergnügen können!
Rüdiger: Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.
Effie: Ich kenne ein uraltes Gebet. Das Gebet stammt aus der Zeit, als es noch mit lebenslänglicher Sklaverei bestraft wurde, wenn sich zwei darauf ertappen ließen, daß sie sich im Verborgenen liebten. Das Gebet endigt mit den Worten:
Du sollst nicht aus Schwäche lieben Sondern in Kraft, In Selbstgefühl! Du sollst nicht im Dunkeln lieben Sondern im Licht! Wehe der Liebe, Die vor den Blicken Der Menge vergeht! Denn wie deine Liebe, So deine Kinder! Wer aber im Dunkeln liebt, Der lebt auch im Dunkeln! |
Rüdiger: Wo haben Sie das gelesen?
Effie: Das Gebet beginnt mit den Worten
Ich, der ich Ich bin . . .
Das freute mich immer am meisten daran!
Rüdiger: Wie heißt es weiter?
Effie:
Ich, der Verborgene, Der dich ins Leben rief Zu meiner Lust! |
Steht denn wirklich die Lust, die ich mit vollen Händen austeile, nicht höher, als die Lust, zu der man erst ein feierliches Einverständnis nötig hat? Aber es geschehen schon Zeichen und Wunder. Es sind große Dinge im Werden. Ich kenne einen amerikanischen Volkstribun. Der setzt sein Leben daran, den Verkehr zwischen Mann und Weib von allem mittelalterlichen Folterwerk zu erlösen.
Rüdiger: Ich weiß, wen Sie meinen. Ich kenne die bezaubernde Sprachgewalt seiner Schriftstellerei.
Effie: Ein Stockfisch als Liebhaber! – Aber meine Unersättlichkeit, meine Unverwüstlichkeit, die habe ich auch noch bei keiner meiner Schwestern gefunden! Ich bin mir in meinen eigenen Augen ein unerklärliches Naturwunder. Ein italienischer Rennstallbesitzer sagte zu mir: Du bist keine Stute, du bist eine Hengstin! In einer Mondscheinnacht im Kolosseum in Rom, da wurde mir klar, in welchen Zeiten ich eigentlich hätte leben müssen: entweder zur Zeit des Perikles in Athen, besser noch in Korinth, oder in Rom unter Commodus oder Caracalla.
Rüdiger: Sie sind so übermenschlich stolz auf Ihren Beruf, ich kenne keinen Diplomaten, der sich mehr auf seine Unverantwortlichkeit eingebildet hätte.
Effie: Unsere Preisgabe ist kein Beruf. Unsere Preisgabe ist Weltanschauung. Ich habe zwei Jahre darüber nachgedacht, bis es mir eines Morgens wie Schuppen von den Augen fiel. Es war auf einer einsamen Bergeshöhe in Oberösterreich. Ich erwartete mutterseelenallein den Aufgang der Sonne. Als die stahlblaue Wand von den ersten Funken durchzuckt wurde, sagte ich mir: Die Heirat ist eine Erniedrigung zum Vorteil der Kinder. Welchen höchsten Triumph sucht demnach das Weib, das keine Kinder bekommt? – Unsterblichen Ruhm! – Und was ist unsere höchste Begabung? – Sinnlichkeit!
Rüdiger: Sie könnten sich verrechnen. Erinnern Sie sich der Goetheschen Verse:
Der Mann bleibt bis zum Tod begehrenswert. Das Weib verwelkt, bevor es zu Verstand kommt. |
Effie: (singt):
Ich weiß ein allerliebstes Kind, Ein Kind, wie selten Kinder sind, Mit schwarzem Auge, schwarzem Haar, An Wuchs und Haltung wunderbar! 's ist nicht zu groß und nicht zu klein, 's ist nicht zu dick und nicht zu fein, Es singt und springt und tanzt und lacht, Hat Manchen schon verrückt gemacht. |
Und dann das andere Gedicht von Goethe:
(sie singt und tanzt.) Sind die Muskeln straff gespannt, Die Trikots auch gut imstand, Dann beginn Mitten drin, Von vorn und hinten Königin! Tanz, wie nie kein Weib getanzt, Jeden Bocksprung, den du kannst! Linkes Bein, Flinkes Bein! Das rechte muß noch flinker sein! |
Wissen Sie vielleicht auch, von welchem Dichter das Lied ist:
»Und die hübsche Kleine Hatte schöne Beine, Wirklich wunderbare, Wahre Musterware! Und vor allen Dingen |
Rüdiger: Ihr Gesang ist entzückend! Ich warte auf Ihre Entgegnung.
Effie: Meine Entgegnung? – Die Menschheit kann sich nicht eher geistiger Freiheit rühmen, als bis die Umschlingung von Mann und Weib wieder vor allem Volk als Heiligtum verehrt und gefeiert wird.
Rüdiger: Halten Sie das für möglich?
Effie: Warum denn nicht? – Wenn es mit der Entsühnung unserer Preisgabe, mit der Veredelung des Freudenhandels so weiter geht wie bisher. Wissen Sie, daß im Mittelalter in einigen deutschen Städten die Freudenmädchen unter der Aufsicht des Henkers standen? Daran sieht man erst, wie die Welt fortschreitet.
Rüdiger: Weil sie ihren persönlichen Wert sinnlos verschleuderten, gehörten sie zum Gesindel!
Effie: Glauben Sie denn im Ernst an das Ammenmärchen, daß unsere Persönlichkeit durch den Kultus der Sinnlichkeit Schaden leidet?
Rüdiger: Verzeihen Sie, ich sprach nicht von mir. Ich glaube selbstverständlich nicht daran. Ich sehe ja an Ihnen, wie bewunderungswürdig Sie sich entwickelt haben.
Effie: Gedulden Sie sich nur. Ich bin immer noch Anfängerin. – Natürlich gibt es auch unter uns liederliche Weibsbilder, wie in jedem anderen Stand. Dafür gibt es bei uns aber auch genug kleinliche, engherzige Philisterseelen, die besser getan hätten, Gouvernanten zu werden und zeitlebens kleine Kinder spazieren zu führen. Unsere Abenteuer erfordern nämlich ebensoviel Verstand, wie Gelenkigkeit und Gewandtheit. Vor vierzehn Tagen soupierte ich in Monte Carlo am gleichen Abend zur selben Zeit mit drei verschiedenen Herren in ein und demselben Hotel, ohne daß einer von ihnen die geringste Ahnung von der Anwesenheit der beiden anderen hatte. Das war Gemütsgymnastik! Mit Sekunden mußte ich rechnen. Vorwände für mein Fortgehen und Wartenlassen erfand ich, daß es in meinem Hirn wie in einer mechanischen Spinnerei surrte. Jeder der drei holte mich aus unserer Wohnung ab. Jeder bestellte ein anderes Souper von fünf Gängen, von denen ich keinen ungekostet abtragen ließ. Jeder hat mich übermannt und brachte mich im Auto in unsere Wohnung zurück. Es war ein Wirrwarr von Leckerbissen, Umarmungen, Pfropfenknallen, Wagenfahrten, Trinkgeldervergeuden . . . Die Kellner überblickten den ganzen Betrieb als vergnügte Zuschauer. Ich bin noch in keinem Hotel ehrerbietiger und mit feierlicheren Mienen bedient worden. Was mich das eine Anstrengung kostete, bis ich am nächsten Tage all die verschiedenen Ereignisse, Zwischenfälle und Ueberraschungen wieder in die richtigen Rubriken eingeordnet hatte, in die sie ihrer Herkunft nach gehörten! Ich spürte noch etwas Champagnerdunst im Hirn, sonst hätte ich der Vorsicht halber eine statistische Tabelle angefertigt.
Rüdiger (hat seine volle Haltung wiedergewonnen): Sie sind nicht nur ein unsterbliches Genie, Sie sind eine Heldennatur! – Waren Sie denn auf den Meisterstreich hin in Monte Carlo noch Ihres Lebens sicher?
Effie: Was kümmerte mich das! Aber stellen Sie sich das Ergebnis vor! Andern Tags gegen Abend gehen die drei Herren wie immer ins Kasino. Jeder von ihnen erzählt einem größeren Freundeskreis, den er sorglich um sich versammelt hat, daß er gestern um elf Uhr mit der berühmten Comtesse d'Armont oder dem Aeffchen, wie sie mich nennen, im Hotel Mediterranée unter vier Augen soupiert hat. Die Herren, die den Erzählern am fernsten sind, hören alle drei Berichte zu gleicher Zeit. Eine ganze Weile ergötzen sie sich im stillen auf eigene Faust. Plötzlich bricht der ganze Kasinosaal in schallendes Gelächter aus. Meine drei Liebhaber hassen sich natürlich längst wie Kirchenväter. Zuerst sind sie wie vom Blitz getroffen. Plötzlich schreit es von drei Seiten: Sie Lügner! Sie Lügner! Sie Lügner! – Jeder fordert die anderen zwei auf Pistolen. Schließlich entsteht eine fürchterliche Prügelei. Darauf hatte ich gewartet. Als die blutigen Köpfe mit Eiswasser gekühlt werden, lasse ich mich vom Herzog von Eurasburg durch den Saal führen. Niemand erlaubt sich die leiseste Bemerkung über mich. Ich sagte mir: wie jämmerlich klein liegt die große Welt zu meinen Füßen.
Rüdiger (an ihrer Seite): In Ihren schwarzen Augen schimmert ein feuchter Glanz. Den sah ich noch bei keinem Weib so faszinierend.
Effie: Was heißt denn Fascinum?
Rüdiger: Wissen Sie das?
Effie: Das wußten wir schon in der Tanzstunde.
Rüdiger: Hol der Satan die Fremdwörter!
Effie (nach seiner Hand tastend): Du spürst die Faszination?
Rüdiger: Ich trage mich durchaus nicht zu Markt! Glauben Sie nur bitte nicht, daß ich billig bin!
Effie: Eine Nacht will ich dir schenken . . .
Rüdiger: Ganze Nächte hast du noch frei?
Effie: Eine einzige Nacht . . .
Rüdiger: Mit Kellnern möchte ich mich aber nicht um dich prügeln!
Effie: Nicht die heutige . . .
Rüdiger: Ich bin vollkommen Herr meiner Zeit.
Effie: Ich weiß noch nicht welche . . .
Rüdiger: Nach Belieben. Vorbereitungen habe ich nicht nötig. Aber in dieser Nacht werde ich dich so küssen, daß du mich zeitlebens nicht mehr vergißt!
(Im unteren Stockwerk kracht ein Schuß.)
Rüdiger (zitternd vor Schreck): Was war das?
Effie: Ein Revolver! – Was denn sonst?
Rüdiger: Da ist ein Unglück geschehen!
Effie: Warum denn?
Rüdiger: Das fragen Sie noch? (Ab.)
Effie (allein): Diese Empfindlichkeit! – Es geschieht nicht so leicht ein Unglück! – Und wenn eines geschieht! Es hat doch immer auch seine guten Folgen. Was die Menschen für eine Angst vor dem Unglück haben! Mit mir kann sich jeden Tag eine Katastrophe abspielen. Wann wäre ich vor glatter Ermordung sicher? In meinen Armen denkt auch der Zahmste einmal daran. Warum soll er das nicht? Ein Reiz mehr. – – Schicksal, wie danke ich dir, daß du mich gerade für diesen Lebenslauf so verschwenderisch, so über alle Maßen reich begabt hast! – Kein Ermatten! Kein Versagen! Keine Hemmungen! Keine Zwangsvorstellungen! Kein Katzenjammer!