Frank Wedekind
Mit allen Hunden gehetzt
Frank Wedekind

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Szenerie.

Reich und geschmackvoll eingerichtetes Zimmer im Hotel Beaurivage, in Ouchy am Genfersee. Im Hintergrund eine offene Balkontüre mit dem Ausblick auf das Wasser.
Es ist Abend, die Lampen brennen.

Erster Auftritt.

Luckner (umhergehend): Ihr Gatte, Rüdiger, Freiherr von Wetterstein, hat mir im Lauf des verflossenen Jahres Diamanten im Werte von zwei Millionen veruntreut. Gottverfluchtes Orchestrion! (Er bricht in dröhnendes Lachen aus.) Seit zwölf Monden freue ich mich wie ein Gorilla auf unseren heutigen Indianertanz!

Leonore (sitzend): Vielleicht haben Sie sich doch getäuscht. Wieso, das weiß ich noch nicht. Der Himmel wird mir das heute sicherlich noch enthüllen.

Luckner: Himmel, Teufel, Donnerkeil! (Er lacht.) Strengen Sie doch nachträglich Ihr zartes Gehirn nicht noch an! Alles befindet sich in schönster Ordnung. Heiliges Kanonenfutter, hätte der Pavian die Diamanten noch wenigstens irgendwo in die Erde vergraben! Allen Winkelkrämern beider Hemisphären jagt er die Steine wie faule Bananen in den Rachen.

Leonore: Sie reizen mich wirklich. Aber grade in entgegengesetzter Art, als wie Sie sich das einbilden. Hoffen Sie nur ja nicht, Rüdiger und mich schon als Ihre Schlachtopfer betrachten zu können.

Luckner: Allmächtiger Panamakanal! (Er lacht.) Sagen Sie mir nur um Gottes willen, wie entreiße ich Sie Ihrer schauerlichen Gemütskrankheit! Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir! Mich kostet das Vergnügen zwei glatte Millionen. Gewaltiger Brahmaputra! (Er lacht.) Hat Ihnen Wetterstein nie unser unbezahlbares Lateinschülerlied vorgeträllert?

Ach, die Maid, zu Tod erschrocken,
Konnte nicht mehr aufrecht hocken,
Hielt sich fest an ihrem Stuhl,
Daß sie nicht hinunterful . . .

Dazu sitzen Sie mir Modell! Springen Sie endlich auf Ihre entzückenden Beine und geben Sie mir einen saftigen Zweimillionenkuß!

Leonore: Gott im Himmel sei Dank! Das Untier ist wenigstens schon vollständig betrunken!

Luckner: Ich und betrunken?! (Er lacht.) Herrgott, sind Sie ein Lamm! Betrunken? So unbekannt bin ich Ihnen? Nein, mein himmlisches Opfertier, als Alkoholiker bin ich ganz und gar nicht zu erledigen. Und wenn mein Vater tausendmal die großartigste Aktienbrauerei in der ganzen Rheinpfalz ins Leben gerufen hat! Aber seit frühester Jugend habe ich mit unseren stärksten Brauknechten volle Bierfässer um die Wette gehoben. Alles Muskelfleisch am ganzen Leib wird dadurch zu kugelfesten Panzerplatten. – Das Täubchen scheint meiner Behauptung keinen Glauben beizumessen! Wollen Sie sich überzeugen? Nicht? Gottseliges Henkerbeil! Sie kennen jeden Knochen in Ihrem Götterleib, sobald Sie Ihren süßen Rüdiger aus meinen Tigerkrallen befreit haben.

Leonore: Rüdiger hatte keinen Begriff von dem, was um ihn her vorging. Rüdiger glaubte, in seinem ehemaligen Schulkameraden einen Freund wiedergefunden zu haben. Rüdiger ahnt heute noch nicht im geringsten, mit welchem Weltungeheuer er es in Ihnen zu tun hat.

Luckner: Eiwei, eiwei! Gleich, als wir das erstemal zusammen in den Minen waren, ich und Sie und er, da roch ich dem Burschen schon an, welch ein sauberer Geist in ihm haust. Damals in Afrika, Sie erinnern sich noch, da hätte ich dem Burschen schon Ihre gesamten Aktien durch ein Augenzwinkern abdrangsalieren können. Sie beide wären splitternackend miteinander in den Kaktuspflanzen sitzen geblieben! Aber Sie standen an seiner Seite, Sie staunten an ihm empor wie eine Schildkröte an einer Telegraphenstange. Da sagte ich mir: Solche Prachtexemplare von Weibern fängt man nur durch die Männer, die von ihnen geliebt werden. Und er? Allgewaltiges Kanonenrohr! Ueber Ihr Haar hinweg glotzte er mich an wie ein vollgefressener Kapitalist, der einen Zeitungsjungen wegschickt. Himmel! Himmel! Himmel! Da sagte ich mir: Nein, Rüdiger von Wetterstein, so klanglos scheiden wir beide nicht voneinander. Diese Frau, sagte ich mir, die wird alle hundert Jahre nur einmal geboren. Wer die Frau nicht nimmt, wo er sie findet, und sei es um zwei Millionen, der war, hol mich der Henker, nicht wert, daß er das Licht der Welt als der Sohn des größten Aktienbrauereibesitzers der Rheinpfalz erblickte.

Leonore: Wollen Sie denn nicht vielleicht einen Augenblick vernünftig mit sich sprechen lassen?

Luckner (lachend): Nur zu, mein süßer Leckerbissen! Nur zu! Breiten Sie zwanglos Ihre geistigen Reize vor mir aus! Ein schmackhaftes Vorgericht! Ich bin nämlich ein Mensch, wissen Sie . . . ich bin tatsächlich ein eigentümlicher Mensch! Ohne Scherz! Ein außergewöhnlicher Mensch, sage ich Ihnen! Sie würden es nie für möglich halten! Ein halbes Glas Weißwein täglich, und ich Hünenkerl sitze nach vierzehn Tagen im Irrenhaus. Eiwei, eiwei! Aber sonst?! O ihr getünchten Kanadier! Seit frühester Kindheit stehe ich mir selbst wie einem hellen Naturwunder gegenüber. Fassen Sie unter anderem bitte nur einmal meinen Kopf an. Posemuckel und Sumatra! Haben Sie in Ihrem Leben auf irgendeinem Menschenleib schon solch eine Rübe wachsen sehen?

Leonore: Wenn Rüdiger, wie es sein gutes Recht ist, Mitbesitzer unserer Minen in Jagersfontein bleibt, dann kann er Ihnen im Lauf der nächsten fünf Jahre sämtliche Steine bis auf den winzigsten Diamanten zurückerstatten.

Luckner (bricht in dröhnendes Lachen aus): Ei du paradiesisches Elysium! Daß Sie Venus in die Pfütze treten! Eiwei, eiwei! Genau wie mit meinem Kopf, sehen Sie! Das ist nämlich meine schwächste Stelle. Eine weltbekannte historische Tatsache, von sämtlichen Boxern und Ringkämpfern des Erdballes gewürdigt. Matrosen, Schlächtergehilfen, denen Polizei und Vorsehung so Wurst sind, wie unsereinem eine Gemäldegalerie, wenn wir miteinander ringen, die kommen meinem Kopf nicht mit dem kleinsten Finger nahe. Hier oben, sehen Sie, wo meine Locken am krausesten sind, da kann man mich mit einer Fliegenklatsche zur Leiche machen, aber sonst, gottbegnadete Hagelkanone, was meinen Mitschülern Bierseidel waren, das waren für mich, soweit meine Erinnerung reicht, die Weiber. Jedem Weib lese ich auf den ersten Blick vom Gesicht herunter, wie es sich in den seligsten Augenblicken seines Daseins gebärdet. Zweifeln Gnädigste? (Da Leonore angstvoll vor sich hinstarrt.) Bei unserer Diamantenwäscherei, ich erkenne bei jeder Frau auf den ersten Blick, ob sie sich flink oder unbeholfen, heiß oder kaltblütig, vergnügt oder tragisch benimmt. Ob sich ihr Gesicht in die Breite oder in die Länge zieht. Jeder Frau spreche ich bei der ersten Begegnung die Worte vor, die sie bei solcher Feierlichkeit im Mund führt. Solch einen Weiberkenner finden Sie in allen fünf Weltteilen nicht.

Leonore: Um so besser! Dann kann es Ihnen ja auch unmöglich an Gelegenheiten zur Befriedigung Ihrer Begierden fehlen.

Luckner: O du grundgütiger Gott, sind Sie liebenswürdig! (Er lacht.) Himmlische Sphärenmusik! Ich bin eine Nummer, wissen Sie, an mir finden ein halbes Dutzend zu gleicher Zeit ihre helle Freude. Als Einjähriger beim sechsten Ulanenregiment in Altstetten, da haben wir Wetten ausgefochten, – höllisches Kettengerassel! drei Meilen reiten an einem Vormittag, dazu drei Flaschen Sekt leeren und zwischendurch drei Weiber glücklich machen! Glauben Sie, daß ich die Wette einmal verlor? Meinen Zigarrenaufwand verdiente ich damit. Sie denken natürlich an die appetitlichsten Ladenmädchen? Sie Unschuld! Die Preisrichter taten sich was darauf zugute, die unübersteigbarsten Hindernisse zu requirieren! Kinderspiel! Eine skandinavische Baronin in Paris hatte sich selbst als Preis dafür ausgesetzt, wenn sie in einem eiskalten Bade einen Erben bekomme. Von mir hat sie den Erben bekommen, so wahr ich Luckner heiße. Mitten zwischen Eisschollen, bei 15 Grad unter Null.

Leonore (zitternd vor Wut, während ihr die Tränen über die Wangen rollen): Schlagen Sie mich lieber gleich tot, als daß Sie mich noch länger mit Ihren unflätigen Erzählungen foltern!

Luckner: Aber Sie erst! Himmel, Pestilenz und Weltuntergang! Ihre unermeßlichen smaragdgrünen Tigeraugen! Jetzt lassen Sie sie nur aus Bosheit nicht leuchten. Ihre Augen habe ich überhaupt noch an keinem zweibeinigen Geschöpf gefunden. Und dann Ihre Haare! Heiliger Höllenhund! Wie einem da gleich der Herzbengel kracht! Ich hatte krebsrote Weiber, ziegelrote Weiber, schamrote Weiber, feuerrote Weiber, durchweg erstklassiges Material. Wenn aber der leuchtende Zinnober um Ihr Gesicht auch um Ihren Marmorleib wogt – o du gottseliger Bimbam, laß mich vorher nur nicht noch irrsinnig werden! Im Traume sah ich Sie als glühende Kanonenkugel auftauchen. Zischend und fauchend schlugen Sie mir in den Leib, daß ich nach allen Himmelsrichtungen auseinanderspritzte. Und Ihre Hand! Ihre Hand! Höllischer Schwefelpfuhl, Ihre Hand! Ich habe Hände probiert! Aber Sie, Sie biegen den Nagel Ihres Mittelfingers auf die Handwurzel zurück. Das kann keine Kreolin, nicht einmal die Japanerin kann das! – Aber dann erst Ihr Gang, blutrünstiges Gewitter! Der kleinste Schritt, den Sie tun, verkündet die übernatürliche Gewalt Ihrer Liebe. Deshalb, meine Gnädigste, war ich von Jugend auf ein so zuverlässiger Pferdekenner. Ich musterte das Pferd genau mit den Augen, mit denen ich mir meine Geliebte wähle. Der verborgenste Fehler starrt mich in millionenfacher Vergrößerung an. Ueberhaupt die Millionen! Wären ich und Wetterstein nicht auf Diamantenwäscherei gegangen, ich hätte ebenso viele Millionen als amerikanischer Luxuspferdehändler verdient.

Leonore (immer noch im Sessel, die Hände ringend): Heiliger Gott im Himmel, heiliger Gott, zeig mir, wie ich diesem scheußlichen Ungeheuer meinen grauenvollen Abscheu zum Bewußtsein bringe!

Luckner (mit mildem Lachen): Ei du geknickte Lilie! Himmlisches Lamm Gottes! Glauben Sie Grasaffe, ich erwarte Liebe von Ihnen?! Gebenedeite Gebirgsartillerie! Jetzt sind Sie erst in der leibhaftigen Zweimillionenstimmung. Ihre Liebe sparen Sie nur bitte ruhig für Ihren Zuckerjungen. Je unausstehlicher ich Ihnen bin, desto göttlicher ist meine Freude an Ihnen. Ihre Tigeraugen durchbohren das Weltall?! Warum denn das? Warum denn das? Allmächtiges Schlaraffenland! Ich meine es verteufelt ernst. Nichts Fürchterlicheres für mich, als wenn ich einem Weib persönlich sympathisch bin. Was gehen denn das Weib meine Privatangelegenheiten an.

Leonore: Jedenfalls jage ich mir vorher eine Kugel durch den Kopf.

Luckner: Dann tun Sie's gleich! Ihr Mann, dieses dreißigkarätige Rhinozeros, hat es dringend nötig, endlich einmal in energische Hände zu kommen. Fünf Jahre Weltabgeschiedenheit sind für den eine Wiedergeburt. Sobald er auf Numero Sicher sitzt, beginnt seine neue Glanzzeit. In sechs Monaten ist er erster Sekretär und rechte Hand des Direktors.

Leonore: Gewaltiger Gott! Was haben denn Sie davon?!

Luckner: Verschlucken Sie Ihre Krokodilstränen, dann rechne ich Ihnen mathematisch vor, was wir beide davon haben. Als Preis für Ihre Keuschheit gewinnen Sie an Freizügigkeit, an Bewegungsfreiheit genau so viel, wie der Simili-Napoleon dabei einbrockt. Und dann das Wiedersehen, wenn Sie ihn in fünf Jahren aus den Händen seiner Wohltäter wieder in Empfang nehmen. Er, jungfräulich wie ein Maiglöckchen. Sie mit dem Reichtum an schönen Erfahrungen, den Sie derweil gesammelt haben. Heidenmäßige Vorsehung, der Lebensabend! Sie, mit innigem Behagen blicken auf die sonnigste Zeit Ihres Daseins zurück! Er hat Tag und Nacht keine andere Sehnsucht als das Versäumte möglichst ausgiebig nachzuholen . . . (Aufhorchend.) Gottseliges Weltparlament, das sind seine Schritte!


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