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Frankfurter Zeitung vom 17. Januar 1919.
Wir haben in Deutschland zwei Monate hinter uns, deren vollendete Erbärmlichkeit im Verhalten nach außen alles überbietet, was die deutsche Geschichte aufzuweisen hat. Das Ohr der Welt gewannen allerhand Literaten, die das Bedürfnis ihrer, durch die Furchtbarkeit des Krieges zerbrochenen oder der Anlage nach ekstatischen Seele im Durchwühlen des Gefühls einer »Kriegsschuld« befriedigten. Eine solche Niederlage mußte ja die Folge einer »Schuld« sein, – dann nur entsprach sie jener »Weltordnung«, welche alle solche schwachen, dem Antlitz der Wirklichkeit nicht gewachsenen Naturen allein ertragen. Die Welt ist nun aber anders eingerichtet, als sie sich glauben machen möchten. »Der Gott der Schlachten ist mit den größeren Bataillonen«, – dies Wort Friedrichs des Großen hat im wörtlichen Sinne sehr oft und auch in diesem Kriege vier Jahre lang nicht gegolten. Wohl aber im schließlichen Endresultat. Und sofern es den würdelosen Gedanken, als sei ein Kriegsausgang ein Gottesgericht, ablehnt und besagt: daß der kriegerische Erfolg schlechterdings nichts für oder gegen das Recht beweist, gilt es ein- für allemal, wie ungezählte Leichenfelder der Geschichte auch dem Blödesten beweisen können.
Würde es sich hier nur darum handeln, unsere Krieger davor zu schützen, daß ihnen außer dem furchtbaren Schicksal, schließlich doch unterlegen zu sein – was jede männliche und herbe Lebensauffassung erträgt –, auch noch zugemutet wird, eine Haltlosigkeit mitzumachen, dann könnte man es getrost ihnen selbst überlassen, derartiges von sich abzuschütteln. Allein das politisch für die ganze Zukunft der Beziehungen unserer Nation zu allen anderen Völkern Gefährliche liegt in dem grundfalschen Anschein, der in der Welt über die Meinungen desjenigen schweigenden Deutschland erregt wird, welches, einerlei wie bald, jedenfalls irgendwann wieder zu seinem Recht gelangt, wenn das Treiben des jetzigen dilettantischen Regimes ein Ende gefunden haben wird. Im Namen der Ehrlichkeit muß der Welt schon jetzt zugerufen werden, weithin über die Länder und Meere: Es ist nicht wahr, dies Literatenvolk ist nicht Deutschland und sein Gebaren entspricht nicht der wirklichen inneren Stellung der Deutschen zu ihrem Kriegsschicksal.
Der Verfasser dieses Aufsatzes ist, aus rein politischen sowohl wie aus allgemeinen Kulturgründen, vor dem Kriege stets für eine anständige Verständigung mit England, die einen Krieg unmöglich gemacht hätte, eingetreten und hat seine Haltung im Kriege nicht geändert. Er hat keinen Augenblick die törichten Vorstellungen über die amerikanischen Kriegsmotive und die Absichten des Präsidenten Wilson mitgemacht. Es ist ihm niemals eingefallen, den deutschen Einmarsch in Belgien als eine selbstverständliche Harmlosigkeit und vollends die »Angliederungspläne« gegenüber diesem Lande als etwas anderes als: Irrsinn anzusehen. Er denkt auch jetzt nicht daran, die schweren Fehler, vor allem die oft gewissenlose Leichtfertigkeit und die verstockte parvenümäßige Großsprecherei im Zeitalter Wilhelms II. anders als früher zu beurteilen. Er darf natürlich nicht beanspruchen, irgendwie mehr als irgendein anderer dafür berufen angesehen zu werden: im Namen jener Deutschen zu sprechen, die ebenso denken wie er. Aber wenn er sich der Kollektiverklärung seiner Heidelberger Kollegen über die Kriegsschulderörterungen nicht anschloß, weil alle akademischen Kollektiverklärungen im Kriege in Mißkredit gekommen sind, so nimmt er sich das Recht, ausführlich zu begründen, daß und warum er der gleichen Ansicht ist wie jene Erklärung.
Zuvor aber einige andere Bemerkungen.
Das Urteil der Geschichte über die Art, wie Präsident Wilson seiner noch nicht dagewesenen Verantwortung gerecht geworden ist, wird endgültig von seinem demnächstigen Verhalten bestimmt werden. Wenn er angesichts dessen tatsächlich kein Bedenken tragen sollte, sich mit unseren Gegnern allein an einen Tisch zu setzen, nachdem er allein ihren Anstrengungen, sein Urteil zu beeinflussen, sich ausgesetzt hat, ohne dagegen deutsche repräsentative Persönlichkeiten, deren Hände rein sind, ebenso eingehend oder auch nur überhaupt angehört zu haben, so kann dies schwerwiegende Folgen herbeiführen. Vor allem für das innere und äußere Verhalten der deutschen Bevölkerung gegenüber dem künftigen Frieden. Nur soviel sei bemerkt: Saarbrücken, Bozen, Reichenberg, Danzig und andere Orte in die Hände von Fremdvölkern gespielt, deutsche Flüsse oder Kanäle durch eine sogenannte Neutralisierung unserer Verfügung entzogen, Fronknechtschaft und Pfandbesitz für Ansprüche aus Schäden, welche die Folgen des Krieges rein als solchen sind, – das alles würde selbstverständlich dazu führen, daß auch der politisch radikalste Arbeiter Deutschlands – nicht jetzt, wohl aber nach Jahr und Tag, wenn der jetzige Taumel und die folgende Ermattung vorüber sind – zum Chauvinisten würde und daß er gemeinsam mit den Intellektuellenschichten der Nation sich auf jene revolutionären Mittel der Selbstbestimmung besinnen müßte, wie sie jede Irredenta gebraucht hat und wie sie ein 70-Millionen-Volk natürlich ausgiebiger und nachdrücklicher gebrauchen kann, als Serbien oder auch Italien es je getan haben. Nur Kinder und Narren können hoffen, durch die Mittel und in der Art, wie es jetzt eine Handvoll Fanatiker mit ihrem Anhang von Beutejägern will, eine neue Wirtschaftsordnung zu begründen oder die gegenwärtige auch nur um Haaresbreite »reifer« für eine »Sozialisierung« zu machen. Gegenüber einem politischen und militärischen Gewaltbesitz Fremder aber stehen die Dinge denn doch nach alter Erfahrung völlig anders. Natürlich weiß jeder urteilsfähige Deutsche, daß es für die Feinde zur Zeit eine Kleinigkeit wäre, einige Hauptorte Deutschlands zu besetzen und dem jetzigen sogenannten revolutionären Treiben kleiner, aber gut bewaffneter Fanatiker- und Räuberbanden ein schleuniges Ende zu bereiten, falls sie dies aus irgendeinem Grunde in ihrem Interesse für nützlich hielten. Und natürlich ist es also denkbar, daß dies uns angedrohte Verfahren irgendwann eintritt, und sicher, daß die Gegner dann von den anfangs allein ins Auge gefaßten Teilgebieten aus immer weiter zu gehen gezwungen sein würden. Einer solchen Expedition hätte heute keine deutsche Regierung oder Partei wirksame physische oder moralische Machtmittel entgegenzustellen. Aber die Chancen der Organisation eines längere Jahre dauernden Pfandbesitzes wären freilich völlig andere. – Indessen nicht von diesen für uns und die Gesittung der Welt immerhin äußerst ernsten Perspektiven eines Gewaltfriedens – der »Schuld an der Zukunft« – soll im weiteren die Rede sein. Sondern von der »Schuld« an der Vergangenheit, insbesondere am Kriege.
In einem Zeitpunkt, wo versucht wird, ein solches Problem mit dem Mittel einer (noch dazu: einseitigen!) Publikation von Akten über den unmittelbaren Anlaß des Ausbruchs zu lesen, scheint es immerhin nötig, die Kindlichkeit eines solchen Beginnens ausdrücklich zu betonen. Für wen die Neujahrsrede Napoleons III. und die folgenden Aktionen der Diplomatie von 1859 oder die diplomatische Aktion Österreichs beim Bundestag von 1866 oder die Emser Depesche von 1870 oder das Ultimatum an Serbien von 1914 den Grund für den betreffenden Krieg darstellt, der ist einfach: ein Schwachkopf. Das Streben Piemonts nach Einigung Italiens und der Widerstand Österreichs dagegen, das Streben Preußens nach Einigung Kleindeutschlands und der dagegen sich wendende Widerstand zunächst Österreichs und dann Frankreichs (der ganzen Nation, von Napoleon bis zu Thiers und Gambetta) waren 1859, 1866, 1870 die Kriegs gründe. Jene diplomatischen Aktionen aber waren die für das politische Resultat zwar nicht unwichtigen, aber für die Entstehung des Krieges selbst gleichgültigen Formen, in denen er sich entspann.
Für den diesmaligen Krieg nun gab es eine, und nur eine Macht, die unbedingt und unter allen Umständen den Krieg um seiner selbst willen wollte und nach ihren politischen Zielen wollen mußte: Rußland, d. h.: der Zarismus als System und die ihm anhängenden oder vielmehr die den persönlich indifferenten Zaren zum Krieg drängenden hinlänglich bekannten Schichten. »Wie ein Naturereignis« komme der Krieg, sagte mir ein »Kadett«, nicht lange vor dem Ausbruch. Und dieser Glaube – oder vielmehr: dieser Entschluß – reichte noch wesentlich weiter nach links. Die historisch begründete Eigenart russischer Literaten aller Parteien, sich nicht mit der Ordnung ihrer häuslichen russischen Angelegenheiten zu begnügen, sondern eine Weltrolle spielen zu wollen, trat schon in der Revolution von 1905 zutage und ist sich seitdem bis heute gleichgeblieben. In dem Rußland von 1914 gab es keine Schicht von irgendwelchem positiven Einfluß, die den Krieg nicht gewollt hätte. Zu vermeiden war der russische Krieg für Deutschland nach dem Zerwürfnis mit England daher nur zeitweise und auch nur unter der Bedingung der völligen Preisgabe des gesamten Westslawentums und unserer eigenen Unabhängigkeit an die absolute Beherrschung durch Petersburg und Moskau. Wer sich mit dem Verwaltungssystem des Zarismus je befaßt hat, weiß, daß es auf der weiten Erde nichts gab, was seinen raffinierten Mitteln der Volksentmannung glich, und daß die Revolution von 1905 darin nur zugunsten von Leuten unpolitischer Art oder mit sehr viel Geld eine Änderung herbeigeführt hatte. Er weiß also auch – wie es die deutsche Sozialdemokratie am 4. August 1914 wußte –, daß ein Krieg gegen dieses System ein guter Krieg war und daß die Leistung der deutschen Heerführer, die seinen Zusammenbruch herbeiführte, für immer zu den Ruhmesblättern der deutschen Geschichte zählen wird. Unter gar keinen Umständen kann, soweit Rußland in Frage kommt – und dessen Verhalten entschied für den Krieg als solchen überhaupt –, von einer deutschen »Kriegsschuld« auch nur geredet werden, deren Diskussion vielmehr nur den westlichen Gegnern gegenüber überhaupt möglich ist.
Was übrigens schließlich den äußeren Hergang des Ausbruchs gegen Rußland anlangt, so hätte Art. I eines künftigen Kriegsvölkerrechtsstatuts des zu schaffenden Völkerbunds zu lauten: »Ein Staat, der mobil macht, während noch verhandelt wird, verfällt dem internationalen Verruf.« Es war ja nicht nur jedem Staatsmann der Welt, sondern jedem politisch interessierten Laien genau bekannt, daß und warum eine russische Mobilmachung den Krieg nicht etwa nur »unvermeidlich« machte, sondern ihrerseits der Kriegsausbruch war.
Art. 2 des kriegsvölkerrechtlichen Völkerbundsstatuts hätte zu lauten: »Ein Staat, der bei Kriegsausbruch auf die Anfrage, ob er neutral bleiben werde, keine deutliche Erklärung abgibt, verfällt dem internationalen Verruf.« So verhielt sich Frankreich. Da ihm damals seine Ehre die Innehaltung des nun einmal bestehenden Bündnisses mit Rußland gebot, verbietet ihm jetzt doch wohl die Würde, in der Rolle des unvermutet Überfallenen zu erscheinen. – Etwas anders liegt es natürlich, wenn man nach den letzten Kriegs gründen fragt. Über die Annexion Elsaß-Lothringens hat die Welt im Jahre 1870 und noch kurz vor dem jetzigen Kriege bekanntlich nicht so geurteilt wie während des Krieges. Indessen dies bleibe ganz aus dem Spiel. Denn es ändert nichts daran, daß unsere dynastische Politik eben eine politische Behandlung des Elsaß verschuldete, welche diese Wunde offen hielt. (Vor dem Krieg war die Erhebung zum gleichberechtigten deutschen Bundesstaat die Forderung der französischen Sozialdemokratie.) Aber selbstverständlich ist auch das nicht entscheidend gewesen. Sondern: der historisch überkommene Wunsch der französischen Politik, statt des starken einen schwachen Nachbarn zu haben. Dieser Wunsch wurde sehr wesentlich und – muß man sagen – ganz begreiflicherweise verstärkt durch die, nicht in ihrem ursprünglichen Ziel, um so mehr aber in ihrem weiteren Verlauf und in ihren Mitteln, törichte und nervöse Marokkopolitik der deutschen Regierung. Die sehr aufrichtig gemeinte Haltung des Reichskanzlers v. Bethmann in den letzten Jahren vor dem Kriege kam zu spät. Es läßt sich aber ganz unmöglich leugnen, daß, im Gegensatz zu Deutschland, eine sehr starke, auf den französisch-deutschen Krieg als selchen hinarbeitende populäre Strömung in Frankreich stets bestanden hat und allen noch so ehrlichen Versuchen einer Verständigung entgegenwirkte. Die kleinen im Lande verbreiteten Blätter und illustrierten Zeitschriften allein schon dienten dieser Stimmung in einer Art, wie sie in Deutschland völlig undurchführbar gewesen wäre. In Deutschland war der Wunsch einer Verständigung stets volkstümlich. Die erst während des Kriegs unter der Oberfläche ziemlich lebhaft: von schwerindustrieller deutscher Seite erhobene Annexionsforderung (Briey) hat die ganz überwiegende Mehrheit der Parlamentarier sowohl wie der Nation beharrlich und auch in Zeiten deutscher Erfolge zurückgewiesen.
Als etwa ein Jahr vor Ausbruch des Krieges ein Mitarbeiter einer großen französischen Zeitung bei uns saß und, nachdem er sich Empfehlungen an deutsche Politiker hatte geben lassen, die Besorgnis äußerte: daß die drohende Kriegsgefahr für ihn vielleicht eine unfreundliche Aufnahme nach sich ziehen könne, sagten wir ihm: In jedem deutschen Hause werden die Männer, die ins Feld ziehen müssen, wenn es unvermeidlich werden sollte, Ihnen beim Abschied die Hand schütteln: »Auf Wiedersehen auf dem Felde der Ehre.« Nach seinem Verhalten muß ich annehmen, daß er, und nicht nur er, für diese Gesinnung Verständnis hatte. – Mit diesem Frankreich aber haben wir heute nicht zu rechnen. Erörterungen von »Schuldfragen« mit den Trägern der gegenwärtig dort, wie es scheint, vorherrschenden Gesinnung sind sinnlos.
Artikel 3 des Kriegsvölkerrechtsvertrags der Zukunft müßte nach meiner Ansicht lauten: »Ein dauernd neutralisierter Staat kann sich auf seine Neutralität nur berufen, wenn er sich in den Stand gesetzt hat, sie nach allen Seiten hin gleichmäßig und möglichst wirksam zu schützen.« Im Gegensatz zur Schweiz und zu Holland war es der politische Fehler Belgiens, dies nicht getan zu haben. Der Schutz war der Sache nach nur gegen Deutschland gerichtet, die Seeküste sowohl wie die Grenze gegen Frankreich ganz ungeschützt. Die deutsche Auffassung darüber war der Öffentlichkeit nicht verborgen: der ausdrückliche Hinweis des Kaisers bei den Schweizer Manövern auf die »ungedeckte andere Flanke« war so deutlich wie möglich. Das ändert natürlich nichts daran, daß der Zorn der überraschten Masse des belgischen Volkes uns verständlich ist, und noch weniger soll damit die Äußerung des Reichskanzlers v. Bethmann in seiner bekannten Rede bei Kriegsbeginn entwertet werden. Wohl aber dürfen wir feststellen: daß auch diese »Schuldfrage« nicht so einfach lag, wie vielfach angenommen wurde.
Artikel 4 des Kriegsvölkerrechts Vertrags hätte nach deutscher Auffassung lauten müssen: »Ein Neutraler, der von einer kriegführenden Seite einen Rechtsbruch ohne gewaltsame Abwehr duldet, darf zur Gewaltsamkeit auch gegen die andere Seite nicht greifen wegen solcher rechtswidriger Gegenmaßregeln, welche das einzige Mittel sind, die Folgen des gegnerischen Rechtsbruchs wettzumachen.« Für diese Rechtsauffassung stand Deutschland in der Tauchbootfrage ein, während Präsident Wilson sein bekanntes Prinzip, daß die Verantwortlichkeit »nicht verbunden, sondern gesondert« sei, vertrat. Die englische Blockade, der dreiviertel Millionen Menschenleben zum Opfer fielen, war offenkundig rechtswidrig, schon weil sie für die Ostsee nie effektiv war, wie der Präsident wiederholt festgestellt hat. Aus seinem Rechtsstandpunkt aber zog er ganz naturgemäß die Folgerung: daß er eine nur materielle Schädigung von der einen Seite und eine Bedrohung von Menschenleben von der anderen Seite formell gesondert und materiell verschieden behandeln dürfe und müsse. Die Konsequenz der deutschen Niederlage ist der Sieg der Rechtsauffassung des Präsidenten. Unrichtig aber ist es, daß Deutschland rein willkürlich und ohne eine ehrliche, wenn auch wenigstens m. E. in ihren Konsequenzen nicht durchführbare, also objektiv falsche, Rechtsüberzeugung es auf den Krieg habe ankommen lassen. Die sehr schweren Einzelfehler der deutschen Politik gegenüber Amerika und vor allem das Verhalten des Herrn Zimmermann vom Januar 1917 lassen sich in keiner Weise rechtfertigen, und es muß offen zugegeben werden, daß zu einer derartigen Vertretung Deutschlands ein vertrauenvolles Verhältnis für neutrale Mächte, in heikler Lage zumal, äußerst schwer war. Die Haltung Deutschlands ist dabei hauptsächlich durch die Vorstellung bedingt gewesen, Amerika beabsichtige in jedem Falle in den Krieg einzugreifen. Die Vorstellung war offenkundig absolut falsch. Daß sie überhaupt entstehen konnte, hatte aber immerhin seinen Grund darin, daß in Deutschland auf die Tatsache verwiesen werden konnte, daß es auch in Amerika eine »Kriegsideologie« gab. Nur hatte sie m. E. nichts mit »dem Dollar« zu tun. Im Gegenteil: es waren ganz andere und zweifellos ein Teil der besten Schichten des »jungen« Amerika, die am meisten zu ihr hinneigten. Vor allem innerhalb der an Bedeutung unvermeidlich stetig steigenden Universitätsschichten fand sie, hier wie auch sonst oft, ihre Träger. Wenn man schon 1904 in einem so guten und für das »junge« Amerika so charakteristischen Buch wie Veblens »Theory of Business Enterprise« die unverhohlen freudige Konklusion las, daß die Zeit herannahe, in der es wieder ein rationelles Geschäft (»a sound business view«) sein werde, den Welthandel einander durch Krieg abzunehmen, daß also der Kriegsgeist wieder erwachen und damit Würdegefühl an die Stelle des öden Dollarverdienens treten werde, – wenn man im kleinen die langsame Wandlung des Geistes dieser Schichten verfolgte (z.+B. in den Studentenwohnungen amerikanischer Quäkeruniversitäten deutsche Mensurschläger an der Wand fand, von Studenten auffallend oft nach dem Betrieb dieses ritterlichen Sports gefragt wurde), gelegentlich von Universitätskollegen das Dreiklassenwahlrecht als recht vernünftig (very reasonable) bezeichnen hörte und die sonstigen oft erörterten Aristokratisierungserscheinungen vor sich sah, so konnte man das wissen. Einen aus anständigen Gründen entstehenden Krieg mit einer wirklich großen Militärmacht hätte ein Teil dieser stark europäisierten Jugend schwerlich je grundsätzlich als unsympathisch empfunden. Indessen bei den Massen war es allerdings letztlich doch die subjektiv durchaus ehrliche Überzeugung von der absoluten Schlechtigkeit der deutschen Sache (Belgien!), der hinterhältigen Verstocktheit, der deutschen Diplomatie und der Rücksichtslosigkeit der deutschen Kriegsmethode, welche die Kriegsstimmung schufen. Es läßt sich, wie gesagt, auf keine Art leugnen, daß allerhand Einzelvorfälle und das Verhalten verschiedener deutscher Funktionäre dazu beigetragen haben, diesen Glauben zu nähren. Andererseits blieb freilich die Information der Amerikaner eine derart beispiellos einseitige, und zwar bis heute, daß von der Möglichkeit eines einigermaßen billigen Standpunkts bei ihnen schlechterdings keine Rede sein konnte. Begründet war aber leider ihr grundlegendes Urteil über die Unverläßlichkeit unserer Leitung. Nur hatte dies nichts mit moralischen Defekten zu tun, sondern beruhte auf einem Regierungssystem, welches unter monarchischen Formen die Bestimmung politischer Entschlüsse unverantwortlichen Instanzen und einer Demagogie von deren Kreaturen auslieferte, die schließlich stärker wurden als ihre Herren. Die Bekämpfung dieses Systems aber hatte u.+a.. die früher in einem Teil der englischen Presse und Literatur übliche Verhimmelung der Person des Deutschen Kaisers uns außerordentlich erschwert.
Und damit zu England. Das Reden über die »Einkreisungspolitik« und den »Handelsneid« auf unserer Seite und die höchst widerwärtige pharisäische und pfäffische Pathetik eines Teils der dortigen Politiker übertönen den einfachen Tatbestand. Gewiß hat einerseits die sehr verkehrte Inszenierung der deutschen Burenpolitik (und ähnliches), andererseits das nicht großzügige Verhalten der englischen Politik gegen uns in Kolonialfragen stark mitgewirkt. Aber wirksamer Kriegsgrund war für die englische Politik durchaus die Unsicherheit über die Ziele und den beabsichtigten Umfang des deutschen Flottenbaues, welche angesichts mancher Äußerungen des Kaisers stieg und zur Konzentration der englischen Flotte in der Heimat und damit zur Lähmung der englischen Weltpolitik führen zu müssen schien. Unsere Erfahrung in einem Krieg gegen alle Flotten der Erde zusammen hat gelehrt: daß zu Verteidigungszwecken eine Schlachtflotte vom Umfang der französischen für uns ausgereicht hätte. Angesichts der geographischen Lage von Liverpool einerseits, Hamburg andererseits hätte für eine wirkliche Blockade Englands auch eine Flotte von der vollen Stärke der englischen nicht ausgereicht. Hier lagen in der Tat schwere, von uns bekämpfte Irrtümer der Tirpitzschen Gernegroßpolitik, welche dazu geführt hat, daß wir jetzt von der vielberedeten angelsächsischen Weltherrschaft sagen müssen, was 1871 Thiers von der deutschen Einheit sagte: »Ah, c'est nous qui l'avons faite!«
Für das, was uns jetzt droht, werden breite Kreise in Deutschland vor allem die Haltung Englands – einiger führender Politiker und eines Teils der Presse – verantwortlich machen, einerlei mit wieviel Recht. Im Fall einer uns vergewaltigenden Polen- und Tschechenpolitik der Entente oder von Fronknechtschaft wird daher die öffentliche Meinung Deutschlands ihre Orientierung wohl im weiteren Osten suchen, wo im Laufe einiger Jahrzehnte mit dem Wiedererstehen Rußlands die Lage die alte sein wird. Es ist nicht unsere Aufgabe, englische Politiker darüber zu belehren, daß es nach einem Siege über ein schließlich doch nicht auszuschaltendes Volk im Verhalten eines Siegers Dinge gibt, die ihm außerordentlich schwer, noch andere aber, die ihm schlechterdings niemals vergessen werden. – Hier sollte vielmehr nur, um nicht die deutsche Aufrichtigkeit in begründeten Mißkredit zu bringen, ganz offen gesagt werden, wie die einer aufrichtigen Verständigung treu gewesenen und gebliebenen Kreise Deutschlands zu diesen »Schuld«-Erörterungen sachlich stehen. Es ist ohne Rücksicht darauf gesagt worden, ob dies irgendeinen »Erfolg« verspricht, lediglich um für die künftig möglicherweise unvermeidliche Haltung dieser Kreise eine sittliche Vorbedingung zu erfüllen. Was die Gegner anlangt, so wird der Frieden entweder von sachlichen Politikern gemacht werden, oder von Plebejern, die zu klein sind für den Sieg über ein großes Volk und die eine ekelhafte priesterliche Salbung in den Dienst politischen und ökonomischen Profitstrebens stellen. Im letztgenannten Fall interessiert uns das Resultat nur wenig, und es gilt für uns: schweigen und warten.