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Anfang 1919 als Sonderabdruck erschienen in der von der Frankfurter Zeitung veröffentlichten Schriftenreihe »Zur deutschen Revolution« (Heft 2).
Nachstehende Skizzen, in der »Frankfurter Zeitung« erschienen und hier fast nur stilistisch geglättet (Ergänzungen sind meist als Anmerkungen kenntlich), sind rein politische Gelegenheitsarbeiten ohne allen und jeden Anspruch auf »wissenschaftliche« Geltung. Sie sollen nur zeigen, daß eine republikanische, großdeutsche und nicht großpreußische Staatsform föderativen und dabei demokratischen Charakters nicht, wie vielfach geglaubt wird, überhaupt unmöglich ist, und die Diskussion in Fluß bringen. Die Ereignisse werden sie zweifellos sehr bald, so oder so, überholen, ebenso wie meine Schrift über »Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland« (1918), die noch von der Tatsache der preußischen Hegemonie und der Dynastien ausging und daher den Zukunftszustand nur in der Parlamentarisierung erblicken konnte, inzwischen überholt ist. Die eigentlich ausschlaggebenden materiellen (sozialen und finanziellen) Probleme des Neuaufbaus liegen ja noch so ungeklärt im Schoße der Zukunft, daß vorerst nur unverbindliche Rahmen-Konstruktionen staatstechnischer Art möglich sind.
Mit unzulänglichen dilettantischen Kräften steht die politisch ungeschulte Nation vor der Aufgabe, an die Stelle von Bismarcks Werk etwas anderes zu setzen. Denn dieses Werk ist dahin. Schon aus Gründen der Außenpolitik, die ja bei seinem Aufbau sehr stark mitspielten. Einmal weil das dynastische Österreich zerfällt, – von Bismarcks Standpunkt aus gesehen eine Veranstaltung, welche die Zugehörigkeit von 10 Millionen Deutschen zum Reich opferte, um 30 Millionen Nichtdeutsche politisch zu neutralisieren. Weil ferner der dynastische Bund mit Rußland dahin ist, der auf der Interessengemeinschaft gegen die Polen ruhte und diese neutralisierte. Weil die militaristische Epoche der deutschen Geschichte zu Ende ist. Weil schließlich jedenfalls die bisherige dynastische Lösung des kleindeutschen Problems für die Zukunft ebensowenig wie dieses selbst in Betracht kommt. Was nun? Obwohl diese Vorfrage zur Zeit praktisch entschieden scheint, fragen wir doch noch einmal: parlamentarische Monarchie oder Republik?
Welche Rolle lebendige dynastische Gefühle in Zukunft spielen werden, bleibe dahingestellt. Wir waren den Dynastien treu, aus geschichtlichen Erinnerungen, in Baden auch infolge der Volkstümlichkeit und Korrektheit der dortigen Dynastie. Heute aber können nur politische Erwägungen zu Worte kommen. Die Interessen und Aufgaben der Nation stehen uns turmhoch über allen Gefühlen. Ebenso über allen Fragen der politischen Form überhaupt. Auch deren Gestaltung ist uns aber zunächst ein nüchternes staatstechnisches Problem und nicht eine Gefühlsangelegenheit. Für viele von uns, auch den Schreiber dieser Zeilen, war und ist die streng parlamentarische Monarchie die technisch anpassungsfähigste und in diesem Sinn stärkste Staatsform, ganz unbeschadet der ganz radikalen sozialen Demokratisierung, die wir erstreben und die dadurch nicht notwendig gehindert wird. Offen, aber maßvoll haben wir die – wie spätestens seit der russischen Revolution jeder, der Augenmaß hatte, sehen mußte – unabwendbaren Umgestaltungen vertreten, welche, rechtzeitig vorgenommen, die Dynastien in dem von Grund auf neuen System hätten erhalten können. Schlechte Berater der Monarchien vereitelten alles, und diese selbst reagierten feindselig. Sie hielten am alten System fest.
Dies System aber hat zum mindesten die preußisch-deutsche Dynastie derart belastet, daß es heute unmöglich ist, für sie einzutreten. Dynastische Rivalitäten haben schon die elsässische Frage seit 1871 verpfuscht. Sie haben uns jetzt im Osten bloßgestellt. Die Monarchie hat ihre eigentliche Funktion in einem Militärstaat: die reine Militärherrschaft zu hindern, nicht erfüllt. Sie hat vielmehr die Admiralsdemagogie und die Generalsdiktatur mitsamt der Politisierung des Heeres geduldet. Vor allem durch die sogenannte »Aufklärung«, eine rein parteipolitische Machenschaft, welche den Keil zwischen Offiziere und Mannschaft trieb, die innere Politik vergiftete, in unsere politische Leitung aber Zwiespalt und eine Zweideutigkeit trug, welche uns das Vertrauen der ganzen Welt einschließlich unserer Bundesgenossen kostete. Gegen den bisherigen Monarchen jetzt, nach seinem Sturz, harte Worte zu brauchen, wäre unritterlich. Aber das den Geist schon der bisherigen Verfassung gröblich verletzende persönliche Regiment mit seiner lauten Reklame und absolut dilettantischen Politik hat die Weltkoalition gegen uns zusammenbringen helfen. Das öffentliche Versprechen konstitutioneller Regierung vom November 1908 wurde gebrochen. Noch im Krieg wurde unsere Friedensaktion durch Reden des Monarchen durchkreuzt und schließlich (Erlaß vom 15. Juni) der Krieg zu einem persönlichen Duell des Monarchen gegen den Mammonismus – der Angelsachsen! – gestempelt. Der schon aus diesem Grund bei der Friedensbitte durch die Würde gebotene Thronverzicht des Monarchen wurde verzögert. Er wird nun, gleichviel mit welchem Recht, für immer mit dem Odium belastet bleiben, dadurch die feindlichen Bedingungen für uns erschwert zu haben. Und schließlich hat er durch Desertion aus der Hauptstadt und Spielen mit dem Staatsstreich die Revolution geradezu provoziert. Die Abwälzung der Verantwortung auf die Minister, traurig vom Standpunkt der Würde, überdies unhaltbar gegenüber dem Inhalt der Akten, deren Publikation bevorsteht, gab dem monarchischen Gedanken den Rest. Die preußische Dynastie ist dadurch derart hoffnungslos diskreditiert, daß nunmehr ihre Erhaltung, damit aber auch die der anderen Dynastien, auf Grund noch so triftiger staatstechnischer Erwägungen nicht mehr vertreten werden könnte.
Nicht nur die Dynastien und ihr Organ aber: der bisherige Bundesrat, sind durch das alte System diskreditiert, sondern leider auch: das Parlament. Geflissentlich in seiner Macht niedergehalten und in seinem Niveau gedrückt, von den Schmeichlern des alten Systems jahrzehntelang heruntergerissen, von der »Aufklärung« während des Krieges bei der Armee in Verruf gebracht, konnte der Reichstag unmöglich die Autorität in Anspruch nehmen, um im Augenblick des Zusammenbruchs die Macht in der Hand zu behalten. Es gereichte ihm nur weiter zum Schaden, daß nunmehr plötzlich seine bisherigen Verlästerer für ihn eintraten, denen jetzt die Existenz des früher so verabscheuten »Parlamentsheeres« gewiß nicht unwillkommen gewesen wäre. Nun rächte sich das Verhalten der literarischen Lobredner der Beamtenherrschaft. Denn es zeigte sich, daß die bürokratische Maschinerie nach der Natur ihrer ideellen und materiellen Triebkräfte und angesichts der Natur des heutigen Wirtschaftslebens, welches durch sein Versagen ja zur Katastrophe geführt würde, gegebenenfalls bereit ist, unbesehen jedem zu dienen, der sich im physischen Besitz der nötigen Gewaltmittel befindet und den Beamten den Fortbesitz ihrer Ämter gewährt. Das Fehlen einer im Glauben der Nation verwurzelten Autorität der Volksvertretung aber machte die Bahn frei für die revolutionäre Diktatur. Da Revolutionen stets von Minderheiten in die Wege geleitet werden, wäre nun gegen eine zeitweilige Diktatur an sich nichts einzuwenden. Politisch kommt aber in Betracht: daß bei dem bundesstaatlichen Charakter Deutschlands das völlige Abreißen der bisher legitimen Gewalten die sachliche Neuordnung gewaltig erschwert. Die »historische« Legitimität ist dahin. Auch den spezifischen »Mittelparteien« bleibt jetzt als Rückweg aus der Gewaltherrschaft der Soldatenräte zur bürgerlichen Ordnung nur die revolutionäre, naturrechtliche Legitimität der auf der Volkssouveränität ruhenden Konstituante. Das bedingt aber einen Neubau vom gewachsenen Boden aus. Uns Radikalen könnte nun eine solche Lage an sich nur willkommen sein. Allein es liegt auf der Hand, welche Schwierigkeiten dabei für jede rationelle Neuordnung einfach dadurch gegeben sind, daß nun in Deutschland eine Mehrheit von Konstituanten: des gesamtdeutschen, des preußischen, bayerischen, badischen usw. Volks, über diese höchst komplizierten Fragen entscheiden soll. Gesetzt z.+B. – so unwahrscheinlich gerade dieser Fall sein mag – die Mehrheit des preußischen Volks stimmte für den Fortbestand der Dynastie, die Mehrheit des Reichsvolks als Ganzes aber für die Republik. Dann wäre zwar klar, daß die Entscheidung der Reichskonstituante für das Reich und damit indirekt auch für Preußen maßgebend wäre. Aber leicht wäre diese Lage nicht. In jedem Fall ist aber schon deshalb, weil die Reichsordnung den Rahmen für die Einzelstaaten abgibt, vor allem die Gesamtkonstituante unaufschiebbar. Denn an der Ordnung vor allem des Reichs hängt das wirtschaftliche Lebensinteresse ebenso der Arbeiterschaft wie des Bürgertums, ganz gleichgültig, wie stark sozialistisch die Neuordnung ausfällt.
Ebenso aber hängt an der Beschleunigung der Bestand der Neuordnung überhaupt. Es ist ein sehr schwerer Rechenfehler eines Teils der Unabhängigen Sozialdemokraten zu glauben, oder vielmehr unter dem Druck von links sich einzureden: eine Verzögerung verbessere die Chancen des Sozialismus. Sie verbessert ausschließlich die Chancen des Bürgerkriegs und der inneren Auflösung unserer Wirtschaftsordnung. Mit voller Sicherheit aber würde dadurch erreicht, daß in nicht zu ferner Zeit entweder die Entente von sich aus einmarschiert, oder daß sich eine mittelparteiliche Gegenregierung auf dem Boden des Reichstags neu bildet, mit welcher dann einmarschierende fremde, etwa amerikanische, Gewalten sich in Verbindung setzen und mit Hilfe des Standrechts eine nichtsozialistische Regierung einsetzen, um den Frieden abschließen zu können. Wir vermögen diese äußerste Schmach: daß wir unsere inneren Verhältnisse überhaupt nicht selbständig ordnen können, nur dann abzuwenden, wenn der Bürgerkrieg vermieden wird und bald eine »legitime« Regierung entsteht. Nun ist gewiß nicht bestimmt zu behaupten, daß die Konstituante ein sicheres Mittel sei, ihn definitiv zu verhindern. Das hängt nicht von uns, auch nicht von den Mehrheitssozialisten oder Unabhängigen Sozialisten ab, sondern vor allem von jenen bei jedem Umsturz sich als Schmarotzer einfindenden Elementen, die nicht für die, sondern von der Revolution leben wollen, d.+h. als »Rote Garde« oder als Mitglieder von »Revolutionskomitees« oder als deren Beauftragte sich gegen Leistung von Geschwätz- und Spitzeldiensten arbeitslos füttern lassen möchten. Denn dies und gar nichts anderes ist das Wesen sowohl des Bolschewismus in Rußland wie der verwandten Bewegungen bei uns, so unbedingt sicher die ideologische Gutgläubigkeit der an der Spitze stehenden Literaten und Glaubenskämpfer sein mag. Die an der Revolutionskrippe gefütterten Schmarotzer haben gar kein Interesse an einem Ende des jetzigen Zustandes, solange er ihnen Nahrung gibt. Bei dieser Eigenart der Bewegung werden Putschversuche von ihrer Seite unter keinen Umständen ausbleiben, und wir müssen abwarten, ob die sozialistische Regierung einschließlich der Unabhängigen die feste Hand haben wird, die Glaubenskämpfer in zugleich rücksichtslos durchgreifender und doch menschlicher Form unschädlich zu machen und so die feindliche Okkupation zu vermeiden, welche das Schicksal nicht nur des deutschen Sozialismus, sondern auch jeder echten Demokratie auf Generationen hinaus besiegeln würde. Freilich: besser als eine unfreie, durch verfälschte oder vergewaltigte Wahl zustande gebrachte Konstituante wäre gar keine. Denn eine Nichtanerkennung oder Sprengung der Konstituante, wie sie bei Unfreiheit der Wahlen erfolgen würde, müßte eben dazu führen, daß die einmarschierende Entente als einzige legitime Gewalt den alten Reichstag wieder einberiefe, und das könnte man auch ohne diesen Umweg haben. Es gibt bei freien Wahlen keine sozialdemokratische Mehrheit. Ohne freiwilliges Mittun des Bürgertums bekommt die Regierung keinen Frieden und steht die Okkupation, früher oder später, bevor. Darüber sei man sich doch ja ganz klar und ziehe, so oder so, die Konsequenzen.
Andererseits aber würde ein Versuch dynastischer Lösung die ohnehin große Gefahr des Bürgerkriegs und damit der Unfreiheit in der Gestaltung unserer Verfassung gewaltig steigern. Denn der Versuch einer Retablierung der Dynastien würde im Ausland und vor allem im Inland wie ein Anfang der Rückwärtsrevision der demokratischen Neuordnung überhaupt wirken. Die baldige Einberufung einer freien Konstituante und damit das Bekenntnis zur Republik ist uns also diktiert durch die sonst unmittelbar drohende Fremdherrschaft. Aber, so offen wir uns, ehrlicherweise, diese Situation klarmachen mußten – doch nicht nur dadurch.
Die Republik als Staatsform scheint zur Zeit der sicherste Weg, das großdeutsche Problem, welches jetzt vor uns steht, einer Lösung entgegenzuführen. Wir müssen für die Staatsform eintreten, welche gestattet, die möglichste Höchstzahl von Deutschen in einem Verband zu einigen. Ob dies für Österreich und Bayern in normalen Zeiten auf die Dauer die Republik sein würde, mag jetzt dahingestellt bleiben. Für die Gegenwart scheint es so zu sein, und, wenn es so ist, so sind daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Neben diesen unmittelbar politischen, rein aus der Gegenwartslage folgenden Gründen spricht nun aber für uns Radikale noch etwas anderes dauernd Bedeutsames für die Republik. Staatstechnische Fragen sind leider nicht unwichtig, aber natürlich sind sie für die Politik nicht das Wichtigste. Weit entscheidender für die Zukunft Deutschlands ist vielmehr die Frage: ob das Bürgertum in seinen Massen einen neuen verantwortungsbereiteren und selbstbewußteren politischen Geist erziehen wird. Bisher herrschte seit Jahrzehnten der Geist der »Sekurität«: der Geborgenheit im obrigkeitlichen Schutz, der ängstlichen Sorge vor jeder Kühnheit der Neuerung, kurz: der feige Wille zur Ohnmacht. Gerade die technische Güte der Verwaltung: der Umstand, daß es dabei im großen und ganzen materiell gut ging, hatte breite Schichten der Bevölkerung überhaupt (nicht nur Bürger) sich in dies Gehäuse einleben lassen und jenen Staatsbürgerstolz, ohne welchen auch die freiesten Institutionen nur Schatten sind, erstickt. Die Republik macht dieser »Sekurität« ein Ende. Die Geborgenheit der sozialen und materiellen Privilegien und Interessen in der historischen Legitimität des Gottesgnadentums hört auf. Das Bürgertum wird dadurch ebenso ausschließlich auf seine eigene Kraft und Leistung gestellt, wie die Arbeiterschaft es längst war. Unter den für die absehbare Zukunft geltenden Existenzbedingungen der Gesellschaft hat es die Probe auf seine Unentbehrlichkeit und Eigenbedeutung nicht zu scheuen. Eben deshalb wird diese Probe seinem Selbstgefühl, hoffen wir, gut tun. Dem Selbstgefühl jeder Nation ist es ja zugute gekommen, wenn sie einmal ihren legitimen Gewalten abgesagt hatte, selbst wenn sie, wie in England, sie später wieder von Volkes Gnaden zurückrief. Gewiß: es ist für die Entwicklung dieses nationalen Selbstgefühls schlimm, daß die Demokratie zu uns nicht, wie in Holland, England, Amerika, Frankreich, in Verbindung mit erfolgreichen Kämpfen oder, wie wir es erstrebt hatten, in Verbindung mit einem ehrenvollen Frieden gekommen ist, sondern im Gefolge einer Niederlage. Die schmachvolle Konkursliquidation des alten Regimes, mit der sie belastet ist, tritt hinzu, um ihre Zukunft politisch zu verdüstern. Es sind zunächst nicht frohe Tage, die sie der Nation versprechen kann. Die Republik ist eine Saat auf Hoffnungen, von denen wir heute nicht wissen, ob sie alle erfüllt werden. Sie darf nicht bleiben, was sie offenbar heute für nur allzu viele ist: ein Narkotikum, um durch einen Rausch über den furchtbaren Druck des Zusammenbruchs hinauszukommen. Sonst ist alles bald zu Ende. Weil aber das Vaterland für uns nicht das Land der Väter, sondern der Nachfahren ist, und weil wir zu den Nachfahren mehr Zutrauen haben und haben müssen als zu der älteren Generation, weil wir endlich die entschlossene Absage an die dynastische Legitimität als ein Mittel schätzen, auch das Bürgertum endlich politisch auf eigene Füße zu stellen, deshalb fügen wir uns zwar loyal jeder Mehrheitsentscheidung durch Konstituante und Plebiszit, stehen aber unsererseits ohne Vorbehalt und Zweideutigkeit auf dem Boden der Republik. – Wie aber soll diese aussehen? Das hängt von den Aufgaben ab, die wir ihr stellen.
Dabei, daß politisches Leben von Parteien getragen wird, wird es bleiben. Aber den neuen Aufgaben entsprechen neue Parteien. »Neu« vor allem hinsichtlich der Personen. Schlimm genug, daß die technisch unentbehrlichen Parteiapparate (Sekretäre, Korrespondenzen und Vertrauensmänner) die Parteien auch nach Entleerung von jeder Spur ihres alten Sinnes unsterblich zu machen pflegen. Wenigstens für die Personen der Führer darf das aber nicht gelten. Wenn beispielsweise die nationalliberale Partei fortbestehen sollte, wie ein Teil es will, so kann sie doch unmöglich für eine demokratische Neuordnung mit Führern vor die Wähler treten, welche die Hetze gegen die »westliche« Demokratie mitmachten, oder für den Völkerbund mit solchen, welche Flandern oder Briey angliedern wollten, die wahnsinnige Baltenpolitik stützten, die unglaubliche Note an Mexiko belobten, vor allem: den Tauchbootkrieg demagogisch erzwingen halfen. Sonst wird der Wahlkampf kein Ringen um die Zukunft, sondern eine zornige Abrechnung über die Vergangenheit. Wenn jetzt 22 Monarchen abdankten, weil man sie getäuscht hatte, so müssen auch die verdientesten – zum Teil persönlich durchaus sympathischen – Parteihonoratioren aus ihren Irrtümern, welche schließlich Deutschlands Existenz gekostet haben, die Konsequenzen ziehen, anstatt als Lohn für möglichst schnelles Umlernen alsbald wieder Parteieinfluß oder gar Mandate zu verlangen. Ähnliches gilt in anderer Art für die Linke. Vorgänge wie kürzlich im ersten Berliner Wahlkreis – die Ausschaltung fast des einzigen »ministrablen« Politikers der Linken – sind tödlich: die Nation, zumal die feldgraue, hat das völlig satt. Verjüngung, und zwar tunlichst feldgraue Verjüngung, fordert die Stunde für die neuen Aufgaben. Welches sind diese selbst?
1. Klarer Verzicht auf imperialistische Träume und also rein autonomistisches Nationalitätsideal: Selbstbestimmung aller deutschen Gebiete zur Einigung in einem unabhängigen Staat zu rückhaltlos friedlicher Pflege unserer Eigenart im Kreise des Völkerbunds. Nicht von uns allein hängt es ja ab, ob nationaler Pazifismus unsere dauernde Gesinnung bleiben kann. Werden, wie vor 1870, unserer Einigung (wenn und soweit die Deutschen, insbesondere die Österreicher, sie selbst wollen) Hindernisse bereitet, werden uns außer dem Elsaß, über dessen staatliches Schicksal wir, nachdem es dem alten Regime in 50 Jahren nicht gelang, dieses kerndeutsche Land uns innerlich zu gewinnen, diesen Frieden, der hoffentlich wenigstens seine Eigenart wahrt, als Schlußurteil eines langen Prozesses ehrlich akzeptieren wollen, deutsche Gebiete im Westen oder gar Osten abgenommen, werden uns über die Entschädigung Belgiens hinaus unter dem Vorwand von Schäden, welche aus der Tatsache des Kriegs als solcher und aus beiderseitigen Handlungen herrühren, Fron- und Schuldpflichten auferlegt, – dann wird, nach einer Epoche von bloßem Ermüdungspazifismus, jeder letzte Arbeiter, der das spürt, Chauvinist werden! Der Völkerhaß ist in Permanenz und die deutsche Irredenta mit all den dabei üblichen revolutionären Mitteln der Selbstbestimmung flammt auf. Gegen die Fremdherrschaft sind auch die Mittel der Spartakusleute recht, und die deutsche studierende Jugend hätte eine Aufgabe. Der Völkerbund wäre innerlich tot, daran könnten keine »Garantien« etwas ändern. Die englische Politik hätte sich einen Todfeind geschaffen, und Präsident Wilson wäre nicht der Friedensstifter der Welt, sondern der Stifter unendlicher Kämpfe.
2. Kommt – wie wir wollen und hoffen – ein Friede zustande, den wir innerlich aufrichtig annehmen können, dann ist gründliche Entmilitarisierung die Parole. Also zunächst natürlich die bisher fehlende Unterordnung der Militärgewalt unter die bürgerliche. Der international zu vereinbarende Übergang zum rein defensiven Milizsystem wird sie ohne weiteres zur Folge haben. Wehrlosigkeit bedeutet sie nicht und darf sie schon deshalb nicht bedeuten, weil und solange das Wiederaufflammen der in allererster Linie am Kriege schuldigen imperialistischen Gefahr von Rußland – außer Amerika dem einzigen Lande, welches den Boykott auch eines Völkerbundes leicht ertrüge – nicht endgültig gebannt scheint.
3. Die Beseitigung der hegemonialen großpreußischen Struktur des Reiches, welche in Wahrheit die Herrschaft einer Kaste bedeutete, ist auch für die preußische Demokratie Programmpunkt. Unentbehrlich wäre sie zumal für die Einigung mit Österreich, welche übrigens dem Reiche – seien wir uns klar! – nicht Macht und Geschlossenheit, sondern schwierige Probleme und Lasten zuführen wird und muß, jedenfalls aber seine äußere Kraft nicht steigert, also keine realpolitische, sondern eine rein gefühlspolitische Notwendigkeit ist. Wien ist noch weniger als München von Berlin aus zu regieren. Behördenverteilung auf die großen Zentren, abwechselnde Tagung des Parlaments in Berlin und Wien oder ständig an einem ganz neuen Ort und ähnliches wären ja Äußerlichkeiten, – aber doch nicht bedeutungslos. Gerade im gegenwärtigen Moment müßte jedenfalls die Konstituante, um unter einem weithin sichtbaren Zeichen der Neuerung zu tagen, in einer anderen Stadt als Berlin, einerlei ob Frankfurt, Nürnberg, München, zusammentreten. Ihre Aufgabe ist es, eine Verfassung zu schaffen, welche im Interesse des Gleichgewichts der Stämme nicht nur die jetzigen formellen Vorrechte Preußens beseitigt, sondern zur Kompensation seines bleibenden materiellen Schwergewichts staatspolitische Gegengewichte darbietet. Welche?
4. Unitarische oder föderalistische Lösung? Einheitsstaat oder Bundesstaat? Man muß sich klarmachen, und wir kommen öfters darauf zurück: daß dafür vor allem die wirtschaftliche Zukunftsorganisation wichtig ist. Eine wirklich streng sozialistische Organisation würde für die einheitliche Wirtschaft auch ein einheitliches politisches Gehäuse fordern. (Nur eine Scheinausnahme wäre die »Munizipalisierung« lokaler Bedarfsbetriebe: Gas, Wasser, elektrische Beleuchtung, Trambahnen usw. durch die Gemeindeverwaltungen, da sie ja hinsichtlich der Produktionsmittel: Kohle, Maschinen usw. einschließlich der Arbeitskräfte schließlich doch in den staatssozialistischen Gesamtplan, der ihnen diese zuweisen müßte, eingefügt blieben.) Jede wirklich »autokephale«, d.+h. mit gänzlich selbständigen Beamtenstäben arbeitende, und »autonome«, d.+h. nach eigenen Satzungen wirtschaftende, Selbstverwaltung von Provinzen, Staaten, Gemeinden auf der Produktionsseite und in den Finanzen würde Hemmnis, Verschwendung, Mangel einheitlicher nationalwirtschaftlicher Planmäßigkeit bedeuten. Dagegen jede privatwirtschaftlich selbständige Organisation durch freie Unternehmer, auch durch selbstgeschaffene Unternehmer verbände, kann sich mit dem Föderalismus vertragen und auch über die einzelstaatlichen Grenzen hinweg Teilwirtschaftsgebiete syndizieren, wenn nur Recht, Währung, Handelspolitik und Produktionssteuern einheitlich geordnet sind. Vorfrage der politischen ist also diese wirtschaftsorganisatorische Grundfrage. Gehen wir ihr, da sie ja an sich höchst aktuell ist, entschlossen zu Leibe.
Kann, fragen wir, der Unternehmer wirtschaftlich so ausgeschaltet werden, wie die vielbeklagte politische Ohnmacht des Bürgertums den Laien vermuten läßt? Man mag es bedauern oder nicht: das ist nicht der Fall. Zeitlage sowohl wie Dauerlage unserer Wirtschaft verhindern es.
Erstens: die Zeitlage. Sie ist einfach die: nicht nur die Neuordnung, sondern die einfache Wiederinstandsetzung, ja schon die bloße Ernährung der Nation bedarf auf lange Jahre Kredit. Und zwar Auslandskredit, ganz deutlich: amerikanischen Kredit. Über diese unvermeidliche ökonomische Fremdherrschaft täusche sich niemand. Eine rein proletarische Regierung aber, auch die beste, ist für das Ausland kreditunfähig. Die ihr zugänglichen Ersatzmittel für den Kredit: Notenpresse und Konfiskation, wälzen die Last auf die Schultern kommender Jahrzehnte, ohne zu helfen, und erzwingen schließlich erst recht und dann auch formell die Pfandherrschaft des Auslands. Denn mit entwerteten Noten kann das Ausland nichts anfangen, Konfiskationen aber erregen ihm den Verdacht, daß seine eigenen Kredite nicht sicher sind. Es wird dann reale Garantien fordern und diese militärisch schützen. Nur eine Regierung und nur eine Wirtschaft bürgerlicher Struktur erhält Kredit. Deshalb: weil nur das Bürgertum an dem privatwirtschaftlichen Unterbau der Wirtschaft, der allein das, was das Ausland als Sicherheit seiner Forderungen braucht: die Geldsteuerkraft verbürgt, ein hinlänglich starkes, als Garantie dienendes Eigeninteresse hat, welches durch keinerlei noch so hübsch ausgeklügelte »Naturalrechnung« einer sozialistischen Gesellschaft ersetzbar ist. Ja noch mehr. Vor die Wahl gestellt, dem bürokratisierten Apparat einer sozialistischen Wirtschaft oder einem Konsortium freier Banken oder etwa schwerindustrieller Wirtschaftsorganisatoren den gleichen Betrag zu kreditieren, würde das Ausland keinen Augenblick mit der Antwort zögern: nur diesem letzteren. Die Beweise dafür könnten durch Tatsachen der Gegenwart erbracht werden. Daran ist gar nichts zu ändern. Was also unter der Verlegenheitsphrase von der »Verstaatlichung der Banken« verstanden sein soll (außer etwa die Beseitigung der privaten Aufsichtsratsrechte bei der schon jetzt staatlich geleiteten Notenbank, also etwas für die Wirtschaftsstruktur ganz Gleichgültiges), ist völlig unerfindlich. Die »Verstaatlichung der Aktiengesellschaften« vollends ist eine leere Redensart, wenn man doch nun einmal gewaltige Auslandskapitalien braucht, also den Privatbesitz zwar beliebig hoch besteuern oder gegen Entschädigung enteignen, nicht aber konfiszieren darf, – weil man sonst wiederum keinen Kredit vom Ausland bekommt. Die allgemeine Bemerkung Eisners, daß eine zerstörte und ausgepowerte Wirtschaft kein Boden für den Sozialismus sei, bewährt sich hierin in charakteristischer Art. Ein paar Milliarden für Nahrungsmittel erhält auch eine sozialistische Regierung kreditiert, da ja der Feind Pfänder in der Hand hat, Retablierungskredit, wie wir ihn brauchen, erhält nur eine bürgerliche Regierung.
Aber von dieser Zeitlage abgesehen? Das sozialistische Programm verkündet jetzt in Verleugnung älterer politischer Prinzipien: den Staatssozialismus. Sogar mit der Formel: »Erhaltung der Kriegswirtschaft«. Für die Übernahme in die Staatsverwaltung, also in eine Verwaltung durch Beamte statt durch Unternehmer, – für diese staatssozialistische Bürokratisierung verwaltungstechnisch »reif« wären heute z.+B. die Versicherungen und die Bergwerke. Sicher aber nicht die für Deutschlands handelspolitische Eigenart besonders wichtigen Fertigindustrien, welche zum Teil jeglicher Organisation spotten. Zwischen beiden stehen Industrien, die für eine Zwangs-Syndizierung mit Staatsaufsicht oder allerhand Stufen zeitweiliger Markt- und Rohstoffbezugsregulierung »reif« wären. Aus Rohstoffmangel sind sie ja solchen Maßregeln jetzt teilweise unterworfen und könnten es rein technisch zum Teil vielleicht bleiben. Zum Teil aber müßten sie später notwendig zu weitgehend autonomer Privatwirtschaft zurückkehren, um mit dem Ausland konkurrieren zu können. Bei der Landwirtschaft versteht sich, nach Vornahme der nötigen Enteignungen von Großgrundbesitz, die Privatwirtschaft (mit freier Vergenossen Schaffung) überhaupt von selbst. Trotz aller Kontrolle und Eingriffe und obwohl die Wiederkehr der alten vorkriegsmäßigen Verhältnisse nur von naiven Gemütern erhofft wird, steht also dem Schwergewicht nach gerade die Erhaltung des privatwirtschaftlichen Prinzips: – der Unternehmerwirtschaft – unvermeidlich bevor und wäre die Parole: »Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft«, als Dauerzustand gedacht, dilettantisch. Wie funktionierte denn eigentlich diese Kriegswirtschaft? Aufgebaut auf der Zulässigkeit jener ungeheuerlichen Einseitigkeit des Ziels und jener Unwirtschaftlichkeit, welche den Krieg nun einmal als Feind der Wirtschaftlichkeit – als ein »Leben vom Kapital« – kennzeichnen, würde sie bei Fortsetzung im Frieden Bankerott bedeuten. Hingegen eine Ausschaltung des Unternehmers bedeutete sie bekanntlich ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Nur in anderer Form, öffnete sie dem Unternehmer Tür und Tor. Nicht nur in Form der Kriegsgewinne von Lieferanten. Nein, gerade das Staatssozialistische ihrer Organisationen konnte ohne ihn gar nicht bestehen. Ihre wirklich großen wirtschaftsorganisatorischen Gedanken und Leistungen stammen fast durchweg von Geschäftsleuten, nicht von Bürokraten. Massenverschleiß und teilweise Korruption herrschten gerade da, wo die reine Beamtenwirtschaft solche ihr nun einmal nicht gemäße und ungewohnte Leistungen vollbringen wollte. Und für normale Zeiten wird der Satz erst recht wieder gelten: daß der autonome Unternehmer ein Prämienlohnarbeiter für Organisationszwecke ist, der Beamte aber ein Zeitlohnarbeiter (und zwar, im Gegensatz zum Arbeiter, ein solcher ohne wirksame Auslese nach seiner Leistung), daß der erste eigenverantwortlich, der andere dagegen auf Risiko des Staatssäckels wirtschaftet, und daß demgemäß die Arbeiterschaft – mag sie für sich selbst zum Akkord- und Prämienlohnsystem stehen, wie sie will – doch daran ganz gewiß nicht interessiert ist, daß die Schaffung von Erwerbsgelegenheit für sie nur »im Zeitlohn« durch Bürokraten erarbeitet werde. Wir haben wahrlich keinen Grund, die Herren der Schwerindustrie zu lieben. Ihren verderblichen politischen Einfluß auf das alte Regime zu brechen, ist ja eine Hauptaufgabe der Demokratie. Wirtschaftlich aber ist ihre Leistung nicht nur unentbehrlich, sondern wird es gerade mehr als je jetzt, wo unsere ganze Wirtschaft und alle ihre Erwerbsgelegenheiten neu organisiert werden müssen. Mit Recht hat das kommunistische Manifest den ökonomisch – nicht: politisch- revolutionären Charakter der Arbeit der bürgerlich-kapitalistischen Unternehmer hervorgehoben. Keine Gewerkschaft, noch weniger ein staatssozialistischer Beamter kann uns diese Funktionen ersetzen. Man muß sie nur an der rechten Stelle verwenden, ihnen zwar die unvermeidlichen Prämien – des Profits – hinhalten, sie aber sich nicht über den Kopf wachsen lassen. Nur so ist – heute! – Fortschritt zur Sozialisierung möglich. Jeder geschulte Sozialist weiß das; bestreitet er es, so ist er nur ein Schwindler. Das Ressentiment und die ständischen Instinkte der akademischen Literaten aber gegen Menschen, die von ihnen nicht examiniert sind, dennoch aber – Geld verdienen und Macht ausüben, wäre für die wirtschaftlich fortschrittlichen Arbeiter der schlechteste aller Berater.
Die Demokratie wird alle Literatenschlagworte, heißen sie »Organisation« oder »freie Wirtschaft«, »Gemeinwirtschaft« oder »Durchstaatlichung«, oder wie immer, ablehnen. Die Bezeichnung einer Maßregel als »sozialistisch« oder umgekehrt als »liberal« bedeutet ihr weder Empfehlung noch das Gegenteil. Für jedes Teilwirtschaftsgebiet fragt sie vielmehr ganz ausschließlich nach dem sachlichen Resultat, danach also: wie man dazu gelangt, einerseits die Erwerbschancen der breiten Arbeitermassen zu verbessern, andererseits die Ausgiebigkeit der Bedarfsversorgung der Gesamtbevölkerung zu erhöhen.
Staatstechnisch bedeutet dies alles: daß die unitarische Lösung uns nicht unbedingt aufgezwungen, daß vielmehr Raum für den Föderalismus ist, wenn man ihn aus anderen Gründen wählen muß. Die rein unitarische Lösung wäre nun aber nach der Zeitlage nicht möglich. Wirtschaftlich nicht: Österreich hat eigene Währung und Notenbank, heterogene Finanzwirtschaft und handelspolitische Bedürfnisse. Politisch nicht: daß die Feinde, unter deren Fremdherrschaft wir stehen, sie niemals dulden würden, liegt auf der Hand. Aber davon ganz abgesehen: die berechtigte Eigenart nicht nur Österreichs, sondern auch Bayerns würde ihr scharf widerstreben. Drängt so alles zum republikanischen Föderativstaat, so fragt sich, wie dieser auszusehen hat? Man wird bei allen Grundinstitutionen die Wahl zwischen mehreren, weiterhin kurz zu skizzierenden Prinzipien haben. Wir stellen diese zunächst einander gegenüber.
Es wird dabei, um es zusammenzufassen, von folgenden Voraussetzungen ausgegangen:
1. daß die Föderativ republik erstrebt werden soll. Ob sie tatsächlich kommt, hängt u.a. auch davon ab, ob die Berliner Gewaltherrschaft nicht entweder den Separatismus bis aufs äußerste stärkt oder (vielleicht gleichzeitig) dynastische Gegenströmungen anwachsen läßt. In Österreich scheinen diese stark zu sein, und dadurch könnte eine ganz neue Situation für uns entstehen. Denn wir gehen davon aus, daß
2. die groß deutsche Lösung beabsichtigt ist, was weiter bedeutet, daß
3. die groß preußischen Bestandteile der Verfassung am unbedingtesten beseitigt werden müssen. Dies hat vor allen Dingen eine jetzt erst, auf republikanischem Boden, mögliche Folge: daß die Verbindung der höchsten Spitze des Reichs mit der preußischen Staatsspitze künftig fortfällt, und daß auch die preußischen »hegemonialen« Vorrechte im Bundesrat (Art. 5 Abs. 2, 7 Abs. 3, 11 Satz 1, 15 Abs. 1, 37) und die Rechte Preußens aus den Militärkonventionen künftig fortfallen. Hier liegt nun, bei dem durch keine Paragraphen zu beseitigenden Gewicht des preußischen Gebietsumfanges, seiner Bevölkerung und seiner Wirtschaftsstellung, sowohl als Absatzmarkt wie als Produktionsgebiet, und bei der riesigen Machtstellung des preußischen Verwaltungsapparats und seiner Leitung, die Quelle fast aller Schwierigkeiten des deutschen Föderalismus. Denn wir nehmen an, daß
4. eine dauernde Zerschlagung Preußens in Teilstaaten, wie man sie aus föderalistischen Gründen in der Vergangenheit erörtert hat, finanziellen und verwaltungstechnischen Schwierigkeiten so großer Art begegnen und die Gefahr des ostelbischen Partikularismus so steigern würde, daß sie schwerlich in solchem Umfang in Betracht kommt, daß nicht doch dem von Berlin aus verwalteten Gebiet ein gewaltiges Übergewicht verbliebe. Würde sie dennoch sich als möglich erweisen und durchsetzen Eine Zusammenlegung oder Zerteilung von Einzelstaaten auf dem Boden des Reichsgebietes könnte die Reichsverfassung ausdrücklich vorsehen, indem sie – einem von anderer Seite gemachten Vorschlag folgend – Normativbestimmungen für den Fall aufstellte, daß eine Konstituierung neuer Staatswesen auf dem Boden bisher schon bestehender oder eine Verschmelzung anderer mit Nachbarstaaten stattfände oder versucht würde. Für die Verschmelzung kämen Hohenzollern, Oldenburg, Mecklenburg-Strelitz, die Zwergstaaten der norddeutschen Ebene (außer Hamburg und Bremen), sowie alle Enklaven durch Anschluß an den umgebenden Staat, für Thüringen durch Zusammenschluß zu einem Einheitsstaat in Betracht. Für die Zerteilung oder Abgliederung vor allem: Preußen. Die formelle Voraussetzung für die Einleitung der Zerteilung – was ja allein ernste Schwierigkeiten macht – wäre wohl der Antrag eines hinlänglich großen Bruchteils (etwa: [1/5]) der Wohnbevölkerungen innerhalb eines geographisch zusammenhängenden Gebietes, in Preußen wohl mindestens: einer Provinz. Bei Vorliegen eines solchen Antrages hätte das Reich innerhalb der Provinz die Wahl von Kommissären zu veranlassen, welche zunächst mit den Zentralinstanzen des bisherigen Zugehörigkeitsstaates über die Vermögens- und Verwaltungsteilung einen Vergleich zu verhandeln und über die innerhalb bestimmter Frist nicht zur Einigung gebrachten Punkte, eventuell also die ganzen Fragen, den Schiedsspruch der Reichsregierung herbeizuführen hätten. Der so zustandegebrachte Rezeß wäre alsdann den Bevölkerungen der abzugliedernden Teile zur Volksabstimmung zu unterbreiten, ehe die Zulassung als Staat erfolgte. – Der Weg, von Reichs wegen planmäßig die Neuaufteilung der deutschen Landkarte zu unternehmen, wäre weitaus rationaler, aber sicher aussichtslos, da die Staaten sich dem nicht fügen würden. – Nach einem sinnreichen Vorschlag könnte man die Zerteilung Preußens prämiieren, indem man – neben dem Mindestumfang für die Zulassung als Staat (1 Million Einwohner) – auch eine sehr niedrige Höchststimmenzahl für jenes in der zu schaffenden föderativen Zentralkörperschaft (ein Fünftel aller) festsetzen würde. – Nicht unerwähnt bleibe aber, daß alle Abgliederungsgelüste in Preußen von sehr steuerkräftigen Teilen ausgehen, daher die Entwicklung der verbleibenden ärmeren Teile schwer hemmen würden. Politisch und ökonomisch Erwünschtes steht da im Konflikt miteinander. – und »Berlin« wirkt ganz in diesem Sinn –, dann würden wir sie akzeptieren. Aber vorerst scheint sie uns trotz allem noch unpraktisch. Ist dem so, dann würde es sich also um die Schaffung staatsrechtlicher Gegengewichte gegen das tatsächliche Schwergewicht Preußens handeln. – Dieses alles vorausgesetzt, fragt sich zunächst zweierlei: Parlamentarische oder plebiszitäre Struktur?, und damit zusammenhängend: Delegierten- oder Repräsentantenverfassung für die Organe, welche neben dem selbstverständlich für das Reich fortbestehenden Volkshaus (Reichstag) zu schaffen sind: für diejenigen also, welche an Stelle des bisherigen Bundesrats und der bisherigen Reichsregierung (Kaiser, Reichskanzler und Staatssekretäre) treten sollen. Sie sind es, die, im Gegensatz zum Volkshaus, die größten Schwierigkeiten machen.
Die bisherige Hegemonialverfassung nötigte die übrigen Bundesstaaten dazu, sich durch verfassungsmäßige Reservat- und Sonderrechte zu sichern gegen Preußens Herrschaft, welche sich auf seine Finanzübermacht, auf die Kommandogewalt und Exekutive des Kaisers, im Bundesrat aber auf die absolute Abhängigkeit der stimmberechtigten Zwergstaaten stützte. Die Zwergstaaten werden, nehmen wir an, entweder durch Zusammenschluß (Thüringen?) oder Einverleibung ihr sinnloses Dasein beschließen. Die verbleibenden Mittelstaaten aber können das, was ihnen bisher fehlte: Einfluß im Reich (statt nur: Freiheit vom Reich) sich nur dann sichern, wenn auch künftig eine Körperschaft besteht, in der sie mit einem gegenüber ihrer Volkszahl stark privilegierten Stimmverhältnis vertreten sind. Am radikalsten und deshalb in diesem Maße für uns unnachahmbar führen dies die amerikanische und die Schweizer Verfassung durch: unterschiedslos gleiche Stimmenzahl der Staatenvertreter im Senat bzw. Ständerat ohne alle Rücksicht auf die ungleiche Größe der Staaten (Delaware kaum [1/30] von Neuyork!). Sowohl die Verfassung von 1849 (z.B. Preußen 40, Bayern 20 Stimmen im – kleindeutschen – Staatenhaus von 168 Stimmen) als die Reichsverfassung von 1867/71 (Preußen 17, Bayern 6 Stimmen von 61 im Bundesrat) tun es in maßvoller Art. Beide aber in untereinander radikal entgegengesetzter Weise. Denn die für einen so gearteten Föderalismus grundlegende Frage wäre nun:
1. Bundesrat oder Staatenhaus? Delegierten- oder Repräsentantensystem? Das erste bedeutet: in der neben dem Volkshaus stehenden Körperschaft sitzen von den einzelnen Regierungen ernannte, jederzeit abberufbare, ausschließlich nach Instruktionen stimmende Delegierte, wie bisher im Bundesrat. Das zweite dagegen: dort sitzen von den einzelstaatlichen Bevölkerungen oder Parlamenten für feste Legislaturperioden gewählte, ausschließlich nach eigener Überzeugung stimmende Repräsentanten, wie in Amerika (Senat) und der Schweiz (Ständerat). Die Verfassung von 1849 ließ die Regierungen der Einzelstaaten und deren Volksvertretungen je die Hälfte der Repräsentanten für das Staatenhaus ernennen; sie bestimmte aber ferner, um das Einheitsgewicht der größeren Staaten möglichst zu brechen: daß die letztere Hälfte bei Staaten mit Provinzialständen durch diese, also landschaftsweise, nicht durch die Parlamente, zu wählen sei.
Jede Parlamentswahl der Staatenhausrepräsentanten bedeutet nun heute eine schon weitgehende Annäherung an das Delegationsprinzip, da sie ja praktisch dazu führt, daß die einzelstaatlichen Parteien ihre Vertrauensmänner entsenden. Direkte (natürlich: strikt demokratische) Volkswahl dagegen, vor allem aber landschaftsweise Wahl, steigern die Konsequenzen des Repräsentantenprinzips aufs äußerste. Denn jede Volkswahl des Staatenhauses, und am augenfälligsten in dieser Form, bedeutet grundsätzlich Ausschaltung der einzelstaatlichen Regierungen und Parlamente. Eben jener Mächte also, welche, im radikalen Gegensatz dazu, beim bundesrätlichen Delegationsprinzip durch ihre instruierten Vertrauensleute gerade die alleinigen Träger der unter sie sozusagen anteilsweise repartierten föderalistischen Anrechte am Reich wären. Eine landschaftsweise direkte Volkswahl eines Staatenhauses wäre demgegenüber nicht eine Vertretung der politischen Einzelindividualitäten, das heißt: der jeweiligen Inhaber der politischen Macht in den Einzelstaaten, sondern eine Vertretung der landschaftlichen Eigenarten des Volkes, das heißt: der in jeder größeren Landschaft jeweils vorwiegenden Parteien. Wir kommen darauf immer wieder zurück.
Die unterscheidende Eigenart eines auf Volkswahl beruhenden Staatenhauses gegenüber dem danebenstehenden Reichstag (Volkshaus) würde zunächst in der notwendig weit kleineren Zahl zum Ausdruck kommen. Kleinheit von Repräsentativkörperschaften bedeutet nach feststehenden Erfahrungen gesteigerte Aktionsfähigkeit, präzisere, kühl rational und weniger emotional-demagogisch bedingte Entschlüsse, mit anderen Worten: größere Fähigkeit zur Macht. Die dabei geopferte Allseitigkeit der Widerspiegelung des politischen Wollens hätte demgegenüber eben das danebenstehende Volkshaus (Reichstag) zu bieten. Wie man dabei dem Volkshause gewisse Vorrechte beim Budget geben könnte, so würde man dem Staatenhaus wichtige qualitative Sonderleistungen zuweisen können: Verwaltungskontrolle einschließlich der Enquete und Beamtenanklage, Kontrolle der Verträge und der Diplomatie, Ratifikation wichtiger Ausführungsverordnungen, vielleicht auch, statt der fast unvermeidlichen latenten, einen offiziell anerkannten Anteil an der Ämterpatronage. Die zweite Besonderheit des Staatenhauses läge in der Verteilung der Mandate auf die Staaten. Bei landschaftsweiser direkter Volkswahl fiele freilich die Notwendigkeit einer von der Volkszahl wesentlich abweichenden Verteilung auf die Einzelgebiete fort. Sie wäre dort sogar sinnlos. Das erscheint zunächst als Vorzug. Aber dafür haftet eben diesem Landschaftsprinzip in besonders starkem Maße jene dem Staatenhaus, wie wir sahen, eigene Ignorierung des Schwergewichts der politischen Gewalten in den Einzelstaaten an. Gerade wir, denen die unitarische Republik an sich genehm wäre, dürfen das nicht übersehen. Unmittelbar zwingend war diese Forderung bei der bisherigen Identität des Reichsoberhaupts mit dem preußischen Staatsoberhaupt. Bei der künftigen Trennung beider fiele für die Gewährung fester Anteilsrechte der Einzel regierungen an der Reichsregierung dieser besondere Grund fort. Aber die schwere Diskreditierung »Berlins« und jetzt das tatsächliche Nebeneinanderbestehen einzelstaatlicher Konstituanten neben der Reichskonstituante würden den Einzelregierungen sicher eine starke Position geben, wenn sie verlangen sollten, bei der Zentrale in einer Körperschaft durch instruierte Vertrauensmänner, und zwar derart vertreten zu sein: daß das Gewicht ihrer Stimme keinesfalls durch Preußen erdrückt werden könnte. Und man darf nicht vergessen: in einem Staatswesen mit solchen ökonomischen und finanziellen Problemen, wie wir sie vor uns liegen sehen, wird noch weit stärker, als dies ohnehin der modernen Entwicklung entspricht, die Anteilnahme von Regierungsvertretern an der laufenden Verwaltung und ihrer Kontrolle und Instruktion das Entscheidende, mindestens so wichtig wie die Teilnahme der Bevölkerung an großen Stimmkörperschaften. Diese aktive Teilnahme an der Verwaltung aber kann vom einzelstaatlichen Standpunkt in der Tat am besten durch instruierte Beamte ausgeübt werden. Ein Staatenhaus, vollends ein auf Volkswahlen und womöglich auf Grundlage landschaftlicher Wahlen ruhendes, böte dafür keinen vollen Ersatz.
Aus dem allen würde folgen: zunächst Verteilung der (etwa 50) Mandate nach verbessertem Bundesratsprinzip (also etwa: 15 preußische, 12 österreichische, 7 bayerische usw. Mandate). Ferner: nicht landschaftliche Volkswahl. Bliebe man nun aber bei der staatenweisen Wahl durch die Parlamente der Einzelstaaten (natürlich in diesem Fall: unter Erlöschen des Mandats bei jeder allgemeinen Parlamentsneuwahl im betreffenden Einzelstaat, da ja die Repräsentanten dann Parteivertrauensmänner wären, also die jeweilige Parteikonstellation in ihrem Staat nicht überdauern dürften), dann würde dies doch dem bundesrätlichen Delegationsprinzip schon so nahe stehen, daß vielleicht die einfache Übernahme des jetzigen Bundesrats die reinlichste Lösung wäre. Natürlich unter Neuverteilung der Stimmen, Streichung der Zwergstaaten, Wegfall aller Vorrechte der Präsidialstimme, Wechsel des Vorsitzes, Erhaltung und vielleicht Erweiterung der unentziehbaren Sonderrechte. Zumal die Staatenhauslösung indirekt vielleicht doch zu ähnlichem Resultat führt. Würde man nämlich das Staatenhaus auf Grundlage des Repräsentationsprinzips (also: mit Volkswahl) durchführen, so entstünde, wenn dennoch die Einzel regierungen mit Erfolg Anspruch auf gesicherten Anteil an der Zentral verwaltung erheben sollten – und das würden sie wohl tun –, alsbald die Notwendigkeit, nun noch neben dem Staatenhaus und Volkshaus nicht nur überhaupt eine Spitze, sondern eine föderalistische, anteilsweise unter den Bundesregierungen repartierte Spitze zu schaffen oder anderweit für eine stetige Verbindung der Reichsregierung mit den Einzelstaatenregierungen (durch Agenten oder ständige Kommissionen) zu sorgen. Wird das Staatenhaus auf reine Legislative beschränkt, so ist dies Problem besonders wichtig. Man hätte dann nur, neben dieser föderalistischen Spitze, zwei Wahlkammern und das Bundesratsproblem verschöbe sich also sozusagen nur auf eine andere Stufe.
Müssen oder sollen denn nun aber die Einzelregierungen jenen Anspruch auf repartierten Regierungsanteil, die Quelle aller dieser Schwierigkeiten, erheben? Vom rein demokratischen Standpunkt aus gesehen, unzweifelhaft: nein!, da ja ihre Bevölkerungen im Volkshause sowohl wie im Staatenhause, in diesem in einem gegenüber Preußen privilegierten Maß, vertreten sein würden. Allein, jede autokephale politische Organisation strebt nach Macht – wir werden noch öfter erörtern: weshalb? – und würde dies Streben sicher rein partikularistisch, im Gegensatz gegen die Zentrale, betätigen, wenn man ihr den Quotenanteil an dieser vorenthielte. Und gewisse sachliche Gründe lassen sich ja, sahen wir, für ihren Anspruch auf diese Repartierung anführen. Man könnte versuchen, auf einem von zwei Wegen dem zu entgehen. Entweder: durch Beseitigung der einzelstaatlichen Autokephalie, also: statt der Eigenwahl der Staatsoberhäupter durch die Einzelstaatsvölker oder durch deren Parlamente die Ernennung durch die Zentralgewalt, wie z.B. in Kanada. Diese, formell angesehen, »zentralistische« Lösung würde unter deutschen Verhältnissen schwerlich Chancen haben, wenn daneben nicht wiederum die Zentralinstanz ihrerseits irgendwie föderalistisch, also repartitionsmäßig (und natürlich: unter Begünstigung der kleineren Staaten) zusammengesetzt würde: – man sieht, immer wieder die gleiche Verschiebung des »Bundesratsproblems«. Oder, der zweite Weg: die Autokephalie bleibt bestehen, das Verlangen aber nach föderalistischer Repartition der Zentrale wird ausgeschaltet durch ganz radikale Gewaltenteilung zwischen Einzelregierung und Zentralregierung. Also durch Trennung sowohl der sachlichen Zuständigkeiten, wie der positiven Aufgaben, wie der dafür zur Verfügung stehenden Beamtenstäbe, wie, endlich und vor allem, der verfügbaren Einnahmequellen. Im Erfolg also derart, daß die beiderseitigen Verwaltungsapparate von der Spitze bis zum Boden wie selbständige, sich nie vermischende Röhrensysteme nebeneinander herliefen. Der diesem Prinzip nahekommende amerikanische Staatenpartikularismus wäre nun aber für uns schon aus Gründen unserer Sozialpolitik nicht annehmbar. Die Art der Beziehung zwischen Bund und Kanton in der Schweiz stände unseren Möglichkeiten trotz der ziemlich stark abweichenden Kompetenzverteilung künftig, wenn einmal die großpreußische Struktur fortfällt, innerlich näher. Der Versuch aber, einfach diese Lösung zu übernehmen, würde auf starken Widerstand stoßen. Die Eigenverwaltung des Bundes ist in der Schweiz, mit unseren Zukunftsbedürfnissen verglichen, gering. Wir werden später sehen, daß auch die Finanzverhältnisse ein ernstes Wort dagegen sprechen. Im ganzen: vom Standpunkt der Sozialisierung ist möglichster Zentralismus dringend erwünscht. Bei uns besteht nun aber der Widerspruch, daß sachliche Gründe der Zukunft für eine stark zentralistische, Reminiszenzen aus der Vergangenheit aber sowie Stimmungen und politische Macht- und Interessenkonstellationen der Gegenwart, von denen noch mehrfach die Rede sein wird, für die föderalistische Lösung, innerhalb dieser aber für das Delegations- und Repartitionsprinzip, wie es im bisherigen Bundesrat verkörpert war, ins Gewicht fallen werden. Und ganz allgemein gesagt fehlt bei uns die für jedermann anschauliche alltägliche Probe auf das in der Schweiz vortrefflich geglückte Exempel: der augenfällige Erfahrungs beweis dafür, daß Eigenart und Interesse aller Stämme bei uns in der Obhut einer Verfassung vom (ungefähren) Charakter entweder der kanadischen oder aber der schweizerischen – also: mit einem Staatenhaus – ebenso gut gewahrt werden können wie bei weiterer Beibehaltung der überlieferten Bundesratsverfassung. Und gerade wenn Preußen Einheitsstaat bleibt, wird der Versuch, ohne diesen Beweis Glauben zu finden, wohl erfolglos bleiben, besonders dann, falls der Sitz der zentralen Reichskörperschaften Berlin bleiben sollte. Ich wäre meinerseits prinzipiell für die Staatenhausverfassung aus politischen und verfassungstechnischen Gründen, muß aber mit der Unvermeidlichkeit der Bundesratslösung rechnen. Schon die jetzigen Beziehungen der revolutionären Regierungen zueinander weisen ja darauf hin.
Wie nun der neue Bundesrat, falls er aus diesen letztlich nur geschichtlich erklärlichen Gründen trotz allem in veränderter Form wieder erstehen sollte, fungieren, welches seine Befugnisse und also seine positive Bedeutung innerhalb des künftigen deutschen Verwaltungssystems sein könnte, das hängt zunächst natürlich von der Aufgabenverteilung zwischen Reich und Einzelstaaten ab. Außerdem aber – und das soll uns zunächst interessieren – von der Art der Struktur der künftigen Reichsregierung: jener Gebilde also, welche an die Stelle von Kaiser, Kanzler und Bundesrat treten.
2. Plebiszitäre, parlamentarische oder föderalistische Reichsspitze? An die Stelle des Kaisers könnte äußerlich am leichtesten eine Einzelperson treten. Gewählt entweder 1. direkt durch das Volk, wie der Präsident der Vereinigten Staaten, oder 2., wie der Schweizer Bundesrat einschließlich des Bundespräsidenten, durch das Reichsparlament. Im letzteren Fall: durch das Volkshaus allein, falls daneben ein Bundesrat von instruierten Delegierten steht. Oder, wenn ein Staatenhaus geschaffen würde, durch beide Häuser gemeinsam wie in Frankreich. (Oder endlich, da das Staatenhaus hoffentlich höchstens ein Achtel der Mandate des Volkshauses haben wird, durch das Staatenhaus und einen durch Proporz zu delegierenden Bruchteil des Volkshauses.) – Der Unterschied zwischen 1 und 2 ist politisch bedeutend. Ein auf die revolutionäre Legitimität der Volkswahl gestützter Reichspräsident, der also zu eigenem Recht den Reichskörperschaften gegenüberstände, hätte eine unvergleichlich andere Autorität als ein parlamentarisch gewählter. Dies auch dann, wenn man ihn noch so streng auf suspensives Veto und das Recht der Volksbefragung, im übrigen aber auf die reine Exekutive beschränkte, auch bei der Ämterpatronage weitergehend als z. B. den amerikanischen Präsidenten binden würde – wovon später. (Das Auflösungsrecht – oder ein Äquivalent dafür, etwa Anrufung des Referendums – würde man ihm bei unserer Parteienlage nicht gut nehmen können.) Diese Macht wäre ein großer Vorzug des Volkswahlpräsidenten vom Standpunkt möglichst straff sozialistischer Organisation. Denn für die Sozialisierung wäre die starke Hand in der Verwaltung, also ein als Vertrauensmann des Volkes legitimiertes Haupt der Exekutive, entscheidend. Parlamente könnten hier nur Kontrollorgane sein. Die von amerikanischer Seite anerkannten schweren Schäden der Präsidentschaftswahlkampagne und ihre Riesenkosten hängen dort, wenigstens zum Teil, am Beutesystem – dem Grundsatz, daß mit dem neuen Präsidenten auch die von ihm ernannten Beamten wechseln –, das die Interessen mehrerer hunderttausend Stellenjäger mit dem Ausgang der Wahl verknüpft. Während daher wir immerhin doch noch »Weltanschauungsparteien« haben, und zwar mindestens vier, führen dort normalerweise zwei große Parteien reine Amtsbesitzkämpfe, sind an sich fast »gesinnungslos«, wechseln vielmehr ihre Programme je nach den Chancen der Werbung. Unsere Art der Ämterbesetzung würde die Amtsbesitzinteressen beim Wahlkampf zwar keineswegs auf Null bringen, aber doch ganz andere Voraussetzungen schaffen. Ein straffe bürokratische Parteiorganisation würde freilich auch bei uns notwendig die Folge plebiszitärer Präsidentenwahlen sein, und der eigentliche Wahlkampf würde auch hier in starkem Maße in die Parteien selbst (bei der Frage der Aufstellung des Präsidentschaftskandidaten) hineinverlegt werden.
Politische Bedenken kann diese Form bei denjenigen, für welche die republikanische Spitze rein als solche Glaubenssache ist, deshalb erregen, weil formell eine Volkswahl leicht künftig der Weg zur Retablierung einer Dynastie (der gewesenen oder einer anderen) werden könnte, eine Chance, die durch dilettantische Experimente unerwartet schnell Bedeutung gewinnen könnte. Diese Gefahr schlage ich bei der Diskreditierung der Dynastien nicht hoch an. – Für die Volkswahl des Präsidenten fehlen infolge unserer langen inneren Ohnmacht ferner die überragenden, auf die Masse wirkenden, politischen Führer. Schon die reichsdeutsche Sozialdemokratie mit ihrem mühselig geleimten Zwist käme in arge Verlegenheit, und ein Import aus Österreich wäre für sie vielleicht nicht einfach. Noch schlimmer stände es bei den Bürgerlichen. Indessen das ist Zeitlage. Dauernde Gegner der plebiszitären Wahl würden alle gegen eine starke persönliche Reichsexekutive stehenden Schichten sein, also die partikularistischen Interessenten der politischen Macht der Einzelregierungen (des früher erörterten »Repartitions-Föderalismus«) ebenso wie streng liberale Gegner einer straffen Sozialisierung. Ebensowohl die meisten eingearbeiteten parlamentarischen Politiker. Nicht: die Parteipolitiker überhaupt. Denn die Volkswahl schafft ja lediglich eine Änderung der Ausleseform bei der Ämterpatronage. Weit entfernt, diese ganz zu beseitigen, kann sie sie allerdings weitgehend den Parlamentariern als solchen entziehen oder doch deren Einfluß einschränken. Ebenso nimmt sie diesen mindestens einen Teil des sachlichen Einflusses auf die Verwaltung mit allen jenen durch eine starke Sozialisierung nur noch gesteigerten ökonomischen Interessen, die daran haften. Wenn man auch den Volkswahlpräsidenten in der Wahl seiner Minister an das Vertrauen des Parlaments bände, so würde er als Vertrauensmann der Volksmillionen doch oft dem Vertrauensmann der jeweiligen Parteimehrheit im Parlament überlegen sein, um so überlegener, je länger man seine Amtsperiode machen muß. Und auf längere Zeit (sieben Jahre etwa) muß man sie bei jeder weitgehenden Sozialisierung im Interesse der Stetigkeit unbedingt bemessen. Durch die Zulassung eines Abberufungsreferendums auf Antrag einer qualifizierten Mehrheit des Reichstags könnte man ein Ventil schaffen. Immer läge, wenn man die Minister des Reichspräsidenten – anders als die der Vereinigten Staaten – an das Vertrauen des Reichstags bände, die Frage: ob der parlamentarische Ministerpräsident oder der Reichspräsident der Stärkere wäre, von Fall zu Fall verschieden.
Geradezu unmöglich würde – das muß man sich klarmachen – ein effektiv parlamentarischer Minister dann: wenn neben dem Volkswahlpräsidenten ein nach Instruktionen stimmender Bundesrat mit tatsächlicher Macht stände. Denn dessen Mitglieder wären ja nur den Einzelparlamenten, nicht aber dem Volkshaus, verantwortlich. Dieses könnte also zwar nach Belieben Minister stürzen, würde dadurch aber keinerlei sachliche Änderung der Politik und der von jenem plebiszitären Präsidenten instruierten Verwaltungspraxis erzwingen. Der letztere würde ihm seine Legitimation durch das Plebiszit, die Minister würden ihm den Willen der im Bundesrat vertretenen Einzelstaaten entgegenhalten. Der plebiszitäre Präsident würde dann wesentlich mit dem Bundesrat zu rechnen haben, dieser wesentlich mit ihm. Eine wirksame Verwaltungskontrolle könnte ein mit dem Enquete-Recht ausgerüstetes Volkshaus trotzdem recht wohl ausüben. Ebenso, mit Hilfe des Budgetrechts, die Geschäfte obstruieren und Entgegenkommen erzwingen. Das Odium solcher Schritte würde aber ihre häufige Verwendung hindern, also das parlamentarische Ministerium notwendig auf einen bescheidenen Einfluß beschränkt sein, das Volkshaus selbst aber in ähnlicher Art auf »negative Politik« – Beschwerde und Interpellation – wie der bisherige Reichstag. Gegner des Parlamentarismus kämen also bei dieser Verfassung (Volkswahlpräsident und Bundesrat) gut auf ihre Rechnung. Parlamentarismus und Demokratie sind eben weit davon entfernt, identisch zu sein.
Anders wenn kein Bundesrat, sondern ein gewähltes Staatenhaus neben Präsident und Volkshaus stände. Im Fall seiner Wahl durch die Einzelparlamente zwar lägen die Verhältnisse vielleicht ähnlich, da dann die Repräsentanten sich als Vertrauensmänner der einzelstaatlichen Parteien fühlen würden. Dagegen bei direkter, besonders aber bei landschaftsweiser, Volkswahl des Staatenhauses wäre ein nicht ganz ohnmächtiger, weil als Leiter der führenden Parlamentsmehrheit gestützter Ministerpräsident selbst neben dem Reichspräsidenten wenigstens dann möglich, wenn die Mehrheit beider Häuser die gleiche wäre. Wenn nicht, so wäre die Stellung des Reichspräsidenten wenigstens in der Verwaltung überragend. Ein reiner Parlamentarismus wie in Frankreich bestände auch dann nicht, da ja das Staatenhaus keine bloße Erste Kammer, sondern ein unmittelbar demokratisches, aber durch Landschaftsinteressen beherrschtes Gebilde wäre und, vor allem, der Reichspräsident eine selbständige Macht bliebe. –
Ganz anders, wenn ein Reichspräsident nicht durch Volkswahl, sondern, wie in Frankreich, durch Parlamentswahl gekürt würde. Beim Staatenhaussystem wäre dann Parlamentarismus, also ein als Vertrauensmann der herrschenden Partei »starker« Ministerpräsident, möglich. Und nur die Doppelverantwortlichkeit gegenüber den möglicherweise verschiedenartig parteigegliederten Häusern ergäbe Komplikationen. Stände aber in diesem Falle an Stelle des Staatenhauses ein Bundesrat von instruierten Regierungsdelegierten, dann wäre immer noch eine ähnliche Art von Parlamentarisierung durchführbar, wie sie schon im alten Regime bei Parlamentarisierung des Bundesrats hätte eintreten können. Da aber der Ministerpräsident (Reichskanzler) nun nicht mehr zugleich preußischer Minister sein und dem Bundesrat vorsitzen müßte, würde sein Ministerium, das die Vertrauensmänner des Volkshauses enthalten würde, sich außerhalb des Bundesrats konstituieren. Die natürliche Funktion dieses letzteren wäre dann: Beratung und Beschlußfassung über Gesetzesvorlagen und ferner: rein ausführende »Verwaltungsverordnungen«. Würde man ihm aber darüber hinaus irgendeine die Gesetze ergänzende Verordnungsgewalt (»Rechtsverordnungen«: – der Gegensatz ist vorhanden, aber flüssig) zugestehen, dann würde das Volkshaus wohl beanspruchen und jeweils gesetzlich festlegen, daß seine Vertrauensleute, die Minister, diese durch Veto sistieren könnten. Andererseits würde dem Bundesrat das Recht nicht vorenthalten werden können, bei den einzelnen Ministerien Kommissionen zur Kontrolle und Berichterstattung zu bilden. Die Regierung würde sich also durch Verhandlung zwischen Bundesrat und Ministerium vollziehen, der vom Parlament gewählte Reichspräsident aber auf formale Kontrolle und Legitimierung beschränkt bleiben wie der französische Präsident der Republik. –
Man könnte nun dem Gedanken nähertreten, statt des Reichspräsidenten ein Regierungskollegium mit reihumgehendem Präsidium zu schaffen, neben welchem also eigentliche Minister gar nicht, sondern nur technische Fachleiter stehen würden. Zur Arbeitsteilung würde es Fachreferate verteilen, aber keine Ressortscheidung kennen (wie in der Schweiz nach Art. 103 der Verfassung). Bestellt könnte es werden: – 1. durch Volkswahl mit Proporz im ganzen Reich. Ein bei unseren Parteiverhältnissen vielleicht naheliegender Gedanke. Bei der notwendigen Kleinheit dieses Regierungskollegiums aber (in der Schweiz 7 Mitglieder) würde ein Proporz die Minderheitsparteien wohl überproportional begünstigen müssen und damit Schwanken und Kompromisse, kurz jenen Zustand herbeiführen, den wir an der vorrevolutionären sogenannten »Volksregierung« und leider oft auch an der jetzigen Berliner Regierung beobachteten: widerstreitende Parteiinteressen würden die Haltung der Mitglieder bestimmen, eine einheitliche konsequente Instruktion der Verwaltung wäre schwer. Das wäre ein Hemmnis der Sozialisierung. Vor allem aber fehlte die eindeutig verantwortliche Persönlichkeit, wie sie entweder ein Volkswahlpräsident oder ein starker Ministerpräsident darböte. Würde – 2. die Bestellung des Regierungskollegiums dem Reichsparlament (nach Schweizer Muster) übertragen, dann würde im Falle des Proporzes ähnliches eintreten. Bei einfacher Mehrheitsbestellung aber würde eine Koalitionsregierung entstehen, die gegenüber dem System eines parlamentarischen Ministerpräsidenten den Nachteil geringerer persönlicher Verantwortlichkeit hätte. Denn auch dann wären die Minister nur Fachbeamte, nicht Politiker. Dies: die Scheidung von politischer Leitung und Beamtenarbeit, wäre ja gerade der erhoffte Vorzug aller solcher Wahlkollegiensysteme. Außerdem aber wären bei diesen beiden Arten der Bestellung des Regierungskollegiums die Einzel regierungen wiederum gar nicht vertreten. Wenigstens dann nicht, wenn kein Bundesrat, sondern ein Staatenhaus bestände. Während umgekehrt ein Bundesrat und ein gleichviel wie gewähltes Regierungskollegium eine Vielköpfigkeit der Regierungsmaschinerie bedeuten würde, der gegenüber der Einzelpräsident technisch vorzuziehen wäre.
Schließlich bliebe noch die Möglichkeit eines Delegierten-Bundesrats, der seinerseits etwa durch einen unter den drei größten Staaten reihumgehenden Präsidenten (Reminiszenz der alten »Trias«!) oder etwa durch einen Dreierausschuß die Regierung führte, und neben welchem parlamentarische Minister nicht, sondern nur Fachleiter existieren würden. Diese das Volkshaus auf rein »negative Politik« beschränkende Lösung wäre aber schwerlich glücklich. Denn die für jede straffe Sozialisierung nötige Einheitlichkeit wäre vollends preisgegeben. Würde etwa gar das Regierungskollegium direkt durch Delegierte der Einzelregierungen nach bestimmtem Repartitionsschlüssel zusammengesetzt und neben ein Staatenhaus gestellt, so wäre das gleiche erst recht der Fall. Will man sich – einem Vorschlag von anderer Seite entsprechend – auf einer »mittleren Linie«, der einen Parlamentarismus, wennschon von besonderer Art, ermöglicht, einigen, dann wäre neben dem volksgewählten Reichstag etwa ein Staatenhaus von den Einzel parlamenten zu wählen und daneben ein plebiszitärer Präsident mit Bindung an die Gegenzeichnung von Reichsministern zu stellen, die ihrerseits dem Reichstag (Volkshaus), und nur ihm, verantwortlich wären. – Bei all diesen, wie man sieht, schwierigen Problemen käme nun aber weiter in Betracht, welche Wirkung zwei heute als spezifisch demokratisch vertretene Forderungen ausüben würden, nämlich:
3. Proporz und Referendum. Gleichviel welches Proporzsystem angewandt wird, so ist seine Wirkung stets die: daß eine Repartierung der Ämter und politischen Machtstellungen unter die Parteien nach der jeweiligen Stärke stattfindet. Dann könnten die Verhältnisse vieler Schweizer Kantone eintreten, wo die Parteivertreter friedlich nebeneinandersitzen und, unter Repartierung der Ämter, durch Kompromiß die Geschäfte erledigen. Ein höchst friedsamer Zustand in normalen Zeiten. Das Koalitionssystem wäre in Permanenz, die straffe Parteiherrschaft mit ihren bekannten Nachteilen, aber auch mit ihrem wenigstens möglichen Vorteil einheitlicher politischer Führung stark geschwächt. Dies hätte natürlich für alle Sozialisierungsbestrebungen ungünstige Konsequenzen. Auf die Regierungsbildung angewandt, wäre also der Proporz das radikale Gegenteil jeder Diktatur. Je nach den wirtschafts- und sozialpolitischen Absichten wird man das verschieden beurteilen.
Ähnliches gilt aber auch für die Volksabstimmung über Gesetze. Trotz formeller Ähnlichkeit wirkt sie nämlich politisch gerade entgegengesetzt wie eine plebiszitäre Präsidentenwahl. Denn sie ist nach allen Erfahrungen ein durchaus konservatives politisches Mittel: ein starkes Hemmnis schnellen Fortschreitens der Gesetzgebung. Zumal bei verwickelten Gesetzen kann man ja aus den entgegengesetztesten Gründen und vor allem wegen der heterogensten Einzelheiten gegen einen Entwurf stimmen. Gründe der negativen Abstimmung sind nicht erkennbar, Kompromisse nicht möglich. Sorgfältigere Vorbereitung, die als Folge des Referendums gerühmt wird, und Parteikompromisse vor der Unterbreitung können das abschwächen, Kombinationen allseitig gewünschter Neuerungen mit anderen, unerwünschten vermögen diese letzteren den Abstimmenden aufzuzwingen. Im übrigen ist die Wirkung nicht eindeutig. Ein zu häufiges Referendum schwächt das allgemeine Interesse stark ab. Ein relativ seltenes Referendum dagegen steigert unzweifelhaft die allgemeine innere Beteiligung am Gang der Gesetzgebung. Nicht ebenso sicher freilich, wenigstens in Massenstaaten ( anders als in der Schweiz), die innere Beteiligung und die Orientiertheit über die Verwaltung, die zunehmend wichtiger wird. In Amerika dürfte mit zunehmender Entwicklung des Referendums das ohnehin sehr starke und oft einseitige Interesse an der Gesetzgebung, damit aber auch das Vertrauen auf Paragraphen gestärkt werden, in England mit seiner Verwaltungskontrolle durch Parlamentskomitees und deren Diskussion in der Presse dagegen die politische Schulung in Verwaltungsangelegenheiten entwickelter sein. Politisch ist wichtig: daß eine Desavouierung der Regierung durch ein Referendum kein persönliches Mißtrauensvotum enthält und daher diese nicht zum Rücktritt zwingt. Auch das Referendum ist Gegner des strikten Parlamentarismus und der straffen Parteiherrschaft, und dies kann die Sozialisierung hemmen, bei der eine Volksabstimmung, wenn es sich um große Neuerungen handelt, besonders leicht alles obstruieren kann, da stets zahlreiche Interessen verschiedenster Art engagiert sind.
Für Deutschland würde man das Referendum wohl jedenfalls auf Verfassungsänderungen, Fälle akuten Konflikts der höchsten Reichsgewalten – worüber später – und Anträge sehr großer Bürgerziffern (etwa ein Fünftel aller) beschränken. Geschieht dies unter gleichzeitiger Durchführung des Proporzprinzips für die Zusammensetzung der Regierung und setzt man dann eine starke plebiszitäre Spitze ein, dann ist die Bedeutung der Berufsparlamentarier fortan sehr gering und die fortschrittliche Macht der starken Verwaltung mit der konservativen Gewalt des Referendums verkoppelt. Bei schwacher (föderalistisch oder parlamentarisch gewählter) Spitze wäre aber bei Andauer der Parteivielheit die an sich starke Hemmung des Fortschritts durch das Referendum ganz übermäßig verstärkt. Außerdem wäre das Parlament dann nicht die Stätte der Führerauslese – ein wohl zu beachtender Nachteil aller solcher Systeme. Das Streben nach Sozialisierung in Verbindung mit der (gleichviel ob mit Recht) weitverbreiteten Abneigung gegen den Parlamentarismus – wenn man ihr trotz der oben geäußerten Bedenken nachgeben will – und die Vorliebe für formale demokratische Formen der Gesetzgebung und Zusammensetzung der Stimmkörperschaften würden also im ganzen für die Kombination 1) eines plebiszitären Einzelpräsidenten mit 2) Staatenhaus und 3) Referendum verfassungsmäßig bei Verfassungsänderungen, auf Veranlassung des Präsidenten bei Konflikten der höchsten Reichsinstanzen und bei Gesetzesanträgen von einem Fünftel der stimmberechtigten Bürger ins Gewicht fallen. Indessen, wie gesagt, das Staatenhausideal ist vielleicht nicht durchführbar. Wir werden jetzt noch weitere Schwierigkeiten kennenlernen, die ihm voraussichtlich im Wege stehen werden.
Natürlich nämlich hängen alle diese Fragen damit zusammen: welche Aufgabenverteilung und welche Verteilung der Finanzmittel zwischen Reich und Einzelstaaten in Aussicht stehen.
In erster Linie stehen wir für eine möglichst unitarische Lösung ein. Also dafür, daß die Einzelstaaten künftig etwa in das Verhältnis der kanadischen oder der australischen Einzelländer zur Zentrale treten; denn jede dezentralistische Lösung ist nicht nur, in baren Ausgaben gerechnet, weit teurer, sondern auch in der Regel unwirtschaftlich, vor allem der Planmäßigkeit der Sozialisierung hinderlich. Daß eine weitgehend unitarische Lösung nur im Fall der Verlegung der Vertretungskörperschaften und der politischen Verwaltungsbehörden von Berlin fort Chancen hätte, scheint sicher. Eine einfache Verwandlung Deutschlands in eine Einheitsrepublik aber würde voraussichtlich selbst dann schwer Annahme finden. Die nun einmal bestehenden Einzelregierungen werden im Gegenteil die Autokephalie, das heißt die Selbständigkeit der Bestellung jeder einzelstaatlichen Spitze (durch Volks- oder Parlamentswahl) festzuhalten trachten. Und mit der Frage der Herrschaft über die Vergebung der Amtspfründen verknüpfen sich, wie eine Geschichte von tausend Jahren lehrt, sehr starke Interessen.
Rein sachlich wird nun alles bestimmt durch die beiden Tatsachen der bevorstehenden finanziellen Lasten und der beabsichtigten Sozialisierung. Beide hängen zusammen mit der Abbürdung der Kriegsschuld und der Retablierung der Wirtschaft, welche beide ja schon an sich weitgehende Sozialisierung bedingen. Die zu schaffenden Monopolverwaltungen oder Zentralen für staatlich kontrollierte Syndikate können nur Reichsverwaltungen sein, die zu schaffenden Vermögensabgaben, Monopoleinnahmen und Syndikatsauflagen nur Reichseinnahmen. Das Netto-Budget des Reichs wird daher das aller Einzelstaaten gewaltig überragen, das Brutto-Budget beider überhaupt kaum vergleichbar sein. Letztlich jede, auch eine nicht nur finanziell, sondern zu ökonomischen Zwecken vorgenommene Sozialisierung führt in die gleiche Bahn. Eine radikal unitarische Lösung mit Übernahme aller einzelstaatlichen Schulden auf das Reich wäre bei dessen Schuldenlast ganz unbedenklich, und materiell würden die außerpreußischen Länder bei jeder zentralistischen Sozialisierung mit ihren Finanzfolgen nur gewinnen. Vor allem, wenn preußische Eisenbahnen und Bergwerke in die Hände des Reichs kämen. Ebenso wird das Reich die Enteignung von Fideikommissen und Großgrundbesitz mindestens soweit in eigene Hände nehmen müssen, als es sich um die Landausstattung von Kriegsbeschädigten handelt, die sonst in den Einzelstaaten höchst ungleich ausfiele. In allen diesen Fällen wäre also Regulierung vom Reich her unvermeidlich. Von den bisherigen Zuständigkeiten des Reichs für die Gesetzgebung (Art. 4) lassen sich kaum irgendwelche streichen. Gewerbepolitik, Handelspolitik, Maß- und Münzwesen nebst Papiergeld und Bankpolitik, Patente, Seehandel, Eisenbahnen, Binnenschiffahrtsrecht, Post, Telegraph, Rechtshilfe, Urkundenbeglaubigung, Bürgerliches Recht, Prozeßrecht, Gerichtsverfassung, Medizinal- und Veterinärpolizei, Preß-, Vereins- und Versammlungsrecht, Militär und Kriegsmarine zu regeln, wird zweifellos Reichssache bleiben. Inwieweit auf Sonderrechte Bayerns (Niederlassungsrecht) Gewicht gelegt wird, ist diesem überlassen. Ob, wie in der Schweiz, über die konfessionellen, staatskirchenrechtlichen und Schulverhältnisse, die bisher ganz den Einzelstaaten verblieben, durch die Verfassung allgemeine Vorschriften aufgestellt werden, ist eine wichtige, von uns natürlich bejahte Frage. Welche Grundrechte das Reich überhaupt zu garantieren hat, soll diesmal im einzelnen nicht erörtert werden. Nur eins sei hervorgehoben: In den Grundrechten der bürgerlichen Epoche spielte die »Heiligkeit des Eigentums« bekanntlich eine große Rolle. Das wird jetzt anders werden. Das Erbrecht wird für die gesetzliche Erbfolge auf die gerade Linie und die Geschwister, für Testamente auf Abkommen der Geschwister des Erblassers zu beschränken sein, vorbehaltlich gesetzlich zugelassener Einzelvermächtnisse und Stiftungen. Fideikommisse müssen verboten werden. Dennoch wird eine Garantie wohlerworbener Rechte auch heute nicht entbehrt werden können und etwa dahin zu gehen haben: daß solche nur angetastet werden dürfen 1. in der Form allgemeiner Abgaben in natura oder Geld, 2. in Form von besonderen Enteignungen auf Grund von Gesetzen und gegen Entschädigung.
Damit nun, daß das Reich eine umfassende, vielleicht erweiterte Zuständigkeit für die Aufstellung gemeinsamer Normen behält, ist noch nichts darüber entschieden, inwieweit auch die Verwaltung in seiner Hand liegen soll. Die Verwaltung wird auch in aller Zukunft Berufsbeamtenverwaltung sein. Und zwar wesentlich durch ernannte, nicht durch volksgewählte Berufsbeamte. Volkswahl ist für die Führung am Platze: da also, wo es sich um den oder die politischen Vertrauensmänner der Massen handelt. Nicht aber für die Beamten: die »Techniker des Apparates«. Die Volkswahl von Beamten hat in den Vereinigten Staaten anerkanntermaßen technisch und vor allem moralisch weit schlechtere Resultate ergeben als die Ernennung durch den gewählten Vertrauensmann des Volkes (Präsidenten), der für die Qualität der von ihm ernannten Beamten haftbar ist. Sie zerstört alle Amtsdisziplin, und diese ist gerade bei straffer Sozialisierung schlechthin entscheidend. Volkswahlbeamte sind im örtlichen Kreis, wo alles einander kennt, am Platze, also in den kleinen Gemeinden. Auch in den großen Kommunen kann, nach amerikanischen Erfahrungen, die Wahl des Stadtoberhauptes, aber mit diktatorischer Vollmacht, sich seinerseits seine Beamtenstäbe zu ernennen, ein Mittel kraftvoller Reform sein. Fachbeamte dagegen kann eine Wählermasse nicht auf ihre Qualifikation prüfen. Und weiter: Es hat eine Zeit gegeben, wo die Demokratien eine Hauptaufgabe in der Verhinderung der Entstehung eines Beamten standes mit hohem Ehrbegriff sahen. Sie ist für immer dahin. Möge die Demokratie nicht glauben, ein Beamtentum ohne Amtsehre werde fähig sein, die hohe Integrität und Fachqualifikation des bisherigen deutschen Beamtentums (einschließlich der auch für eine Miliz unentbehrlichen Stäbe) erhalten zu können! Wo diese Integrität im Krieg Schaden gelitten hat, wie anscheinend hie und da im Offizierkorps einzelner Okkupationsgebiete, übrigens wesentlich im Reserveoffizierkorps, da ist sie wiederherzustellen, wie ja überhaupt die Herstellung des früheren deutschen Fonds von schlichter »Anständigkeit« die erste aller Aufgaben ist. Insbesondere von dem Ehrbegriff und den moralischen Qualitäten des Beamtentums hängt aber bei einer Sozialisierung die ganze Zukunft der deutschen Wirtschaft ab. Durch materielle Sicherung und gründliche Reform des ganz veralteten Beamten rechts wird man den durchaus berechtigten Ansprüchen der Beamten und Offiziere Rechnung tragen. Wenn also der ernannte Beamte die Zukunft hat, wer ernennt ihn? Wem gehorcht er?
Zwischen den beiden möglichen Extremen: entweder Verwaltung durch einen bis zum Boden reichenden, vom Reichspräsidenten bestellten und ihm gehorchenden Reichsbeamtenstab (wie jetzt in der Kriegsmarine), oder: vollständige, von keiner Zentralinstanz kontrollierte Autokephalie der einzelstaatlichen Beamtenstäbe (wie bis 1879 in der gesamten, nicht handelsgerichtlichen Justiz), standen bisher bei uns mannigfache Zwischenstufen. Teils Autokephalie, aber in sehr verschiedenem Ausmaß unter der Revisions- oder Rechtsbeschwerde- oder allgemeinen Verwaltungsjustiz, also: der Rechtskontrolle höchster Reichsinstanzen (untereinander wieder sehr verschieden. z.B. für Justiz, Eisenbahnen, Unterstützungswohnsitz, Arbeiterversicherung). Oder: zwar Autokephalie, aber mit Kontrolle auch der Verwaltungsmaßregeln (Zollwesen). Oder: zentrale Bestellung der Spitze durch die Reichsgewalt bei partikularen Beamtenstäben (so die offizielle, tatsächlich durch die Militärkonventionen durchbrochene Kontingentsverfassung des Heeres nach Art. 64). Oder umgekehrt: Bestellung nur von lokalen Beamten durch die Einzelstaatsgewalt (Post und Telegraphie nach Art. 50). Dem Schwerpunkt nach lag jedenfalls die Verwaltung und Beamtenernennung auch der vom Reich gesetzlich geregelten Gebiete in den Händen der Einzelstaaten.
Wie verschiebt sich das in Zukunft? Für die anstelle des Heeres tretende Miliz werden mindestens für die Fußtruppen dezentralistische Konsequenzen: im wesentlichen Durchführung des Kontingentsprinzips des Artikels 64, gezogen werden können. Nur für die technischen Truppen wird das Rahmenprinzip erhalten und eine straffere Einheit ebenso selbstverständlich bleiben wie für die Marine. Für die Verkehrsbetriebe könnten trotz der unentbehrlichen Einheit der Leitung doch bei der Beamtenernennung den Einzelstaaten Präsentations- und direkte Anstellungsrechte auch über den jetzigen Artikel 50 hinaus zugewiesen werden; denn die Nachteile der bisherigen völligen. Autokephalie Bayerns und Württembergs waren nicht unerträglich. Für staatliche Monopol- und Syndikatsverwaltungen wäre allerdings sehr straffe Einheit dringend erwünscht, aber, da es sich um hauptsächlich preußische Objekte handelt, auch von den Mittelstaaten schwerlich angefochten. Der Separatismus auf dem Gebiet der Sozialisierung hat ja jetzt seine Wurzeln wesentlich auf dem Ernährungsgebiet, also in einer Sphäre von schnell abnehmender Bedeutung. Für das zweite temporär wichtige Gebiet der Sozialisierung dagegen: die Rohstoffversorgung, sind die Einzelgebiete auf die Mitwirkung der Zentrale, vor allem der zentralen Kreditinstitute, geradezu angewiesen. Alles in allem: die bisherige, wesentlich normsetzende und kontrollierende Stellung des Reichs und die entsprechenden richterlichen, verwaltungsgerichtlichen und Aufsichtsbehörden der jetzigen Organisation könnten in der Hauptsache fortbestehen, und auch für die Verkehrsbetriebe könnte die Beamtenpatronage der Zentrale auf die führenden Stellen beschränkt werden, wenn nur straffes Funktionieren der Reglements garantiert bleibt. Nur für die ökonomische Sozialisierung ist ein Höchstmaß von Einheit der Auslese, so etwa wie der letzte Absatz des Artikel 64 sie für Offiziere vorsah, zu wünschen. Bei der Ernennung der höchsten technischen Verwaltungschefs wird, im Gegensatz zu den politischen Reichsbeamten, die vermutlich zu schaffende föderalistische Zentralinstanz (Bundesrat oder Regierungskollegium oder Beirat) wohl das Vorschlagsrecht ähnlich in Anspruch nehmen, wie es bisher der Bundesrat für das Reichsgericht, die Reichsanwaltschaft, den Patentamtspräsidenten, das Reichsbankdirektorium, das Reichseisenbahnamt, das Reichsversicherungsamt inne hatte. Bei Bestehen nur eines Staatenhauses wäre eine Anteilnahme an der Amtspatronage nach Art des amerikanischen Senats als föderalistische Maßregel schon schwieriger, – weil die Zahl der Repräsentanten größer ist –, aber namentlich bei landschaftsweiser Wahl wäre sie wohl dennoch durchführbar.
Mit dem Aufgabenkreis und dem Maß der Eigenverwaltung des Reichs hängt zusammen die weitaus schwerste Frage: die der finanziellen Beziehungen. Die Finanzverhältnisse sind in einem Bundesstaat das, was die wirkliche Struktur am entscheidendsten bestimmt. Da nun heute auch die ausgiebigste Phantasie von diesen entscheidenden Verhältnissen sich kein wirkliches Bild machen kann, schweben alle vorstehend gegebenen Erörterungen unleugbar stark in der Luft: eben deshalb die nur hypothetische, alle Möglichkeiten offenlassende Form. Bestimmend für die Zukunft wird zunächst die Abbürdung der Reichsschuld, dann aber die Art der Sozialisierung der Wirtschaft und deren Finanzierung sein. Wir müssen uns bescheiden, davon heute noch nichts zu wissen. In allen nicht durch diese Grundprobleme beherrschten Hinsichten wären dagegen eigentlich umstürzende Neuerungen keineswegs dringlich.
Die Besteuerung kann natürlich in allen für die Konkurrenzfähigkeit der Gewerbe wichtigen Punkten nur gleichmäßig sein. Für die Schuldabbürdung wird das Reich sicher vor allem auf die Vermögen und Erbschaften greifen. Eine andere als eine einheitlich vom Reich vorgeschriebene und kontrollierte Veranlagung ist dabei nicht denkbar. Von den alten Einnahmequellen des Reichs, auch soweit sie nicht durch Reichsmonopole ersetzt werden, wird kaum irgendeine den Einzelstaaten überwiesen werden können. (An seinem Biersteuerprivileg wird Bayern wohl festhalten.) Wie sich das Verhältnis von Matrikularumlagen des Reichs auf die Einzelstaaten einerseits, Überweisungen von Überschüssen an die Einzelstaaten andererseits zwischen Reich und Bundesstaaten gestalten wird, läßt sich noch nicht auch nur im Umriß abschätzen. Als einzige gewaltige Bresche in die unvermeidliche Uniformierung (bei welcher die Mittelstaaten übrigens, vor allem Bayern, die Gewinnenden sind) wird sich für eine lange Übergangszeit Deutsch- Österreich darstellen. Handels- und steuerpolitisch bedarf es teils in seinem, teils im Interesse Reichsdeutschlands, der Sonderbehandlung, eventuell mit gewissen Zwischenzöllen. Das wäre nichts ganz Neues, und nur die Erfassung wäre bei der Art der in Betracht kommenden Objekte notwendig schwieriger. In Frage steht natürlich, ob die Besteuerung von Einkommen und Ertrag und welchen anderen Steuerquellen ausschließlich durch die Einzelstaaten zu garantieren wären. Selbst das würde kaum etwas daran ändern, daß auch künftig Reich und Einzelstaaten ähnlich finanziell miteinander verknüpft bleiben wie jetzt und durch die finanzpolitischen Folgen der Sozialisierung nur noch enger verknüpft werden, so daß eine radikale Scheidung der beiderseitigen Finanzen unmöglich bleibt. Ist dies aber der Fall, dann sind die Möglichkeiten der Verfassungsentwicklung begrenzt. Auf der Schaffung einer einflußreichen bundesrätlichen, nach dem Repartitionsprinzip zusammengesetzten Instanz werden dann die Einzelregierungen zweifellos bestehen. Auch sachlich ist die Behandlung der Finanzprobleme und also des Reichsbudgets in einer solchen Körperschaft von Delegierten und durch Fachministerien instruierten Beamten durchaus das Gegebene. Die Staatenhauslösung müßte also zugunsten der Bundesratslösung fallen. Geschieht dies aber und fällt damit die Möglichkeit eines wirklichen Reichsparlamentarismus fort – da ja die von den Einzelparlamenten kontrollierten Abstimmungen des Bundesrats durch das Reichsministerium nicht vor dem Volkshaus des Reichs (Reichstag ) parlamentarisch zu »verantworten« sind –, dann spricht eben sehr vieles für die Schaffung eines plebiszitären Reichspräsidenten als Haupt der Exekutive und Inhaber eines suspensiven Vetos. Vor allem aber muß ihm dann das Recht zustehen, wenn zwischen dem Bundesrat einerseits und dem Parlament und seinen Vertrauensleuten: den Ministern, andererseits eine Einigung nicht zu erzielen ist, an die Volksabstimmung zu appellieren. Das Referendum würde so das Mittel, Verfassungskonflikte zwischen den föderalistischen und unitarischen Instanzen zu schlichten. –
Diese Skizze hat ihre Aufgabe erfüllt, wenn sie gezeigt hat, daß eine nicht auf dynastischem Boden stehende föderalistische Verfassung überhaupt sinnvoll möglich ist. Ob solche Betrachtungen praktische Bedeutung gewinnen oder Makulatur werden, kann heute niemand sagen. Denn nicht oft genug kann den radikalen Illusionisten, die heute geradeso wie das alte Regime jeden unabhängigen Mann, der ihnen unbequeme Wahrheiten sagt, niederknütteln möchten, zugerufen werden: Wir wollen die demokratischen Errungenschaften dauernd sichern helfen. Aber nur in den Formen einer paritätischen bürgerlich-sozialistischen Regierung. Von der schon jetzt offen und für den Sozialismus kompromittierend zutage tretenden völligen Unfähigkeit der radikalen Literaten zur Leitung der Wirtschaft ganz abgesehen, besteht der zwingende Tatbestand: Wir stehen unter Fremdherrschaft. Nicht nur militärisch, sondern auch ökonomisch: schon für die allerersten Schritte der Instandsetzung der Wirtschaft sind wir auf Auslandsrohstoffe und also auf Auslands kredit angewiesen. Die Fremdherrschaft hindert zwar zur Zeit die Rückkehr der alten dynastischen und junkerlichen oder ähnlicher Gewalten, mit denen sie weder Frieden noch Kreditgeschäfte schließen oder zulassen würde. Diese Angst ist unbegründet. Aber ebenso setzt sie den jetzigen Möglichkeiten der Revolution Schranken. Nicht zu vergessen: die »constituted authority« des Präsidenten Wilson ist zur Zeit der Reichstag und niemand sonst. Geht die stupide, dilettantenhafte und zum Teil leider durch sehr materielle Interessen gestützte Mißwirtschaft der alleräußersten Linken noch einige Zeit so weiter, so ist der Zeitpunkt abzusehen, in welchem der Gegner behufs Friedensschlusses sich mit dem Reichstag in Verbindung setzt. Vollends dann, wenn die Nationalversammlung durch unfreie Wahlen kompromittiert oder gesprengt wird, wie es für den Fall, daß sie nicht die Mehrheit erlangt, ein Teil der extremsten Linken beabsichtigt, um nicht die Futterkrippe zu verlieren und auch aus Angst vor Nachprüfung ihrer skandalösen Finanzgebarung. Handelt es sich aber dann um Frieden und Herstellung der ökonomischen Ordnung und damit der Arbeitsgelegenheit für die Massen, dann werden die Feinde dabei die Massen auf ihrer Seilte haben, und sowohl die sozialistische wie die bürgerliche Demokratie der Ideologen hat ausgespielt. Denn eine wie immer geartete Reichstagsmehrheit wird dann auch im Inland die Machtmittel für die Herstellung der Ordnung zu schaffen wissen (oder vom Feinde geliefert bekommen). Wie dann die bisher wesentlich negativen Errungenschaften der Revolution fahren, mag man sich leicht vorstellen. Wenn eine Ordnung unter dem Druck äußerer Feinde zusammenbricht, dann ist es gewiß nicht schwer, sie auch von innen her umzuwerfen. Weit schwerer aber und ohne freie Mitwirkung des Bürgertums heute ganz unmöglich ist es, eine tragfähige Ordnung neu an die Stelle zu setzen. Das möge wohl bedacht werden.