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Das unendliche Pelzlein

Voralters wohnte auf einer moosgrauen Burg ein Edelfräulein, und die winkte Tag für Tag mit ihrem Schleier aus dem schroffen Turm in die Ferne hinaus. Aber wie unablässig und sehnlich sie auch winkte, es ritt kein silberglänzender Ritter die Straße daher, der sie gefreit hätte. Nur immer um die Sonnenwende brach ein grimmiger Schneck aus dem Wald herfür, der belagerte die Burg manchen Tag lang, rieb sich an ihren Mauern, dass sie krachten und wackelten, und verlangte das Fräulein Kunigund zur Frau.

Am Fuße des Burgfelsens aber lebte ein Schneiderlein einsam für sich hin, übte schlecht und recht sein flinkes, zartes Handwerk und war so schmiegsam, dass er ohne jede Mühsal durch ein Nadelöhr schlüpfen konnte. Er wusste sich keinen angenehmeren Zeitvertreib, als seinen kohlschwarzen Bock auf der Weide zu hüten und sich an dessen hohen Sprüngen zu ergötzen. Zuweilen schaute er zu der Burg empor, sah das Fräulein winken und malte es sich aus, wie er, als silberner Held gerüstet, droben durch das Tor ritte, rammte dann wohl seine Nadel in die Erde, knüpfte einen Faden dran und schlang ihn sich um den Leib und ließ sich vom Wind so hoch treiben, dass er in die Burg hinein lugen konnte, wo die liebholde Kunigund weilte, und wenn er sich an ihr satt geschaut hatte, kletterte er wieder an dem Faden hinunter zu seinem bärtigen Tier.

Einmal an einem Montag, der Kuckuck rief eben im schwarzgrünen Tann, stellte sich bei dem Schneider ein wunderlich verwachsener, kleiner Mann ein, bloßköpfig und barfuß, zerlumpt und zerschlumpt, brachte ein winziges Eichhornfell mit und sagte: »Geh, lieber Meister, und mach mir eine Hose draus! Ich bin der Hagebutzer und wohne im rauen Dorn. Die Dörner, die da grünen, haben mir mein Gewand ganz und gar zerschlitzt und zerritzt.« Der Schneider sah das pechige, struppige Fell an, kraulte bedächtig seinen Kinnbart und zuckte die Achsel. Er sagte: »Schade um das Tierlein! Wie lustig mag es gehüpft und sein Männlein gestellt haben! Du hast es wohl mit einem Stein geworfen? Es ist ein feuerrotes Pelzlein, aber geringfügig.« Darauf redete das Kerlchen: »Tu mir meinen Willen! Ich lohne es dir gut. Ich will dir drei Tannenzapfen dafür geben. Und am Sonntag früh hol ich mir die Hose. Juchhu!«

Am Dienstag, der Wildtauber rollte und grollte im hohlen Eichelbaum, da klopfte der Hagebutzer abermals bei dem Meister an. »Allerschönsten Morgen! Und kannst du mir aus der Eichkatzelhaut nicht auch noch einen Gürtel schneidern? Ich kann doch das Höslein nicht mit den Händen tragen!« Der Schneider sah das Pelzlein betrübt an und seufzte durch die Nase. »Das wird schier nimmer gehen«, sagte er. Doch der Hagebutzer bettelte: »Meister, ein winziges Abschnipslein wird dir gewiss übrigbleiben. Und daraus machst du mir den Gürtel. Ich lohne es dir redlich. Ich weiß im Bach einen weißen Kiesel liegen, den kriegst du.« Der Schneider wollte es sich mit der neuen Kundschaft nicht verderben; er tat einen höflichen Kratzfuß und sagte: »So will ich es halt versuchen.« Da hüpfte der Hagebutzer lustig von dannen und rief: »Ein Höslein krieg ich und einen Gürtel dazu. Juchhu!«

Am Mittwoch, die Lerche saß droben in einem zinnhellen Wölklein und trillerte gar gottlobesam, da kam der Hagebutzer wieder und sagte: »Gelt, und du machst mir aus dem Restlein, das da abfällt, einen Brustfleck!« Der Schneider pfiff bedenklich vor sich hin und schnippte mit der Schere durch die Luft. Wie sollte er aus dem kläglichen Pelzlein außer den Hosen mit dem Leibgurt noch eine Weste herausbringen? Aber der Hagebutzer drängte: »Tu es nur, tu es nur! Einen Brustfleck brauch ich noch. Ein Brustfleck hält warm. Ich schenk dir dafür einen Ast voll grünes Laub.« Nun dachte der Schneider wieder, ein vorsichtiger Mann dürfe es mit keinem verderben, besonders ein Handwerker nicht, der von den Kundschaften lebe, und so nickte er: »Vielleicht lässt es sich machen.« Da drehte sich der Hagebutzer dreimal um sich selber und frohlockte: »Ein Höslein krieg' ich, einen Gürtel rundum und einen Brustfleck dazu. Juchhu!«

Am Donnerstag, der Häher, der Holzschreier, rätschte durch den hallenden Wald, da fragte der Hagebutzer wieder an: »Meister, ich hab mir alles genau überlegt. Gelt, einen Schurz krieg ich auch noch? Der Pelz wird schon auslangen.« Der Schneider runzelte die Stirn, sah versorgt das Häutlein an und überschlug noch einmal bedachtsam dessen Länge und Breite. »Ach!« sagte er traurig. Doch der Hagebutzer hatte sich die Schürze schon einmal in den Kopf gesetzt, und er rief: »Ein pelzenes Schürzlein, unten nur bis zum Knie, das mach mir dazu! Ich geb' dafür eine feiste Hagebutze. Oder willst du mir am Ende gar alle die Restlein vorenthalten? Was fängst du damit an? Sie sind dir zu nichts nütz.« Das sah der Schneider ein, und er sagte: »Wohlan, du hast recht. Wir werden ja sehen!« Da tanzte der Hagebutzer wie der Lump am Stecken und freute sich: »Ein Höslein, einen Gürtel rundum, einen Brustfleck dazu, einen Schurz darüber! Juchhu!«

Am Freitag, der Bergrabe krächzte verdrießlich im Eibenwipfel, da stand der Hagebutzer schon wieder in der Werkstatt und packte den Schneider eindringlich beim Knopf: »He, und wenn dir dennoch ein Trumm Pelz überbleibt? Schneidere mir hurtig ein Paar Fäustlinge draus! Oh, das wird im Winter eine Wohltat sein!« Da sträubte sich der Meister und rief, er sei kein Handschuhmacher, Gott sei Dank! Aber der Hagebutzer ließ nicht nach. »Schaff mir noch die Fäustlinge! Lass es dir nur mit Fleiß und List drum angelegen sein! Ich lohne es dir mit einer frischen Dornenrose; die kannst du dir ins Knopfloch stecken und stolz damit tun. Hast du denn gar kein Erbarmen mit mir? Sollen mir die Finger im Frost abfallen?« Darauf erwog der Schneider, es sei doch nicht ratsam, eine so häufige Kundschaft zu kränken, und er murmelte: »So will ich denn mit Gottes Hilfe tun, was ich kann.« Da überschlug sich der Hagebutzer in der Luft und lief auf den Händen davon und rief guter Dinge: »Ein Höslein, einen Gürtel rundum, einen Brustfleck dazu, einen Schurz drüber und zwei warme Fäustlinge! Juchhu!«

Am Samstag, die Drossel schalmeite im Haselstrauch, war der Hagebutzer schon wieder da. »Du feiner, seidener, samtener Meister!« schmeichelte er, »und was sagst du zu einer Pelzhaube? Du sollst dafür eine lange Feder haben, der Seereiher hat sie aus seinem Flügel verloren. Damit kannst du deinem Schatz einen klugen Brief schreiben.« Der Schneider rief unwillig: »Du schöner Herrgott! Jetzt soll ich gar noch dem Hutmacher ins Handwerk pfuschen! Das tu ich nimmer. Und das Häutlein lässt es auch nicht zu.« Darauf meinte der Hagebutzer zornig: »Oho, wenn du schon so viel dem Pelz abgewinnst, warum soll sich nicht auch noch ein Hütlein daraus schneidern lassen? Aber du willst nur nicht. Und es ist eitel Wahrheit, dass ihr Schneider ein betrügerisches Volk seid, und die Leute tun recht, wenn sie euch den Reim anheften:

»Da ein Flecklein, dort ein Bröcklein,
kriegt mein Bübel auch ein Röcklein!«

Der Schneider verdrehte mörderisch die Augen, diesen Schimpf durfte er sich nicht bieten lassen, sein Lebtag hatte er noch keine Kundschaft übervorteilt. Und so brummte er: »Gut, vielleicht taugt das Pelzlein auch noch zu einer Haube.« Da schlug der Hagebutzer einen waghalsigen Purzelbaum zur Tür hinaus und rief wie besessen: »Ein Höslein, einen Gürtel rundum, einen Brustfleck, einen Schurzfleck, zwei Fäustlinge und ein Hütel auf dem Kopf! Juchhu!«

»Wie gut ist es eingerichtet, dass die Woche nur sieben Tage hat!« sagte der Meister zu sich, und wendete und drehte das klägliche Fell, dehnte und maß es wieder und wieder, und es wurde doch nicht größer.

Und am Sonntag klammerte die Nachtigall an der Wacholderstaude und sang liebevoll und andächtig wie in einer Kirche. Da kam der Hagebutzer fröhlich zu dem Schneider und trug in einem Korb die drei Tannenzapfen, den weißen Kiesel, den Ast voll grüner Blätter, die Hagebutze, die rote Dornrose und die Reiherfeder. »Da nimm deinen Lohn«, sagte er, »und gib mir das Höslein, den Gurt, den Brustfleck, den Schurz, die Fäustlinge und das Hütlein auf den Kopf. Ich will mich recht hübsch kleiden und gleich um die Jungfer Kunigund freien. Juchhu!«

Da brachte nun der Schneider seine Arbeit und knüpfte sie ihm gleich um den Hals, und sie sah genauso aus wie ein Geiferlatz, den man den Gängelkindern vor die Brust bindet, dass sie sich nicht bekleckern und besudeln.

»Ist das alles?« fragte der Hagebutzer verwundert.

»Ich bin kein Tausendkünstler«, lachte der Schneider. »Mehr ist nicht herausgegangen.«

Da geiferte der Hagebutzer: »Pfui, du Schelm! Wie hast du mich notdürftigen Mann betrogen!« Und er riss sich das Sudellätzchen vom Hals und verfluchte den Schneider und verwünschte ihn auf den Hetschepetschberg.

Der Schneider aber schrie: »Hilla, holla, Klüngel, Zwirn!« tappte nach der Elle und trieb den Lästigen davon.

Der Hagebutzer rannte in den finsteren Wald zu dem grimmigen Schneck, lockte ihn aus seinem Haus, die Sonnwend sei da, und schickte ihn ins Land hinein, er möge dem falschen Schneider allen Schaden antun.

Der Schneck kroch vor die Hütte des Meisters, polterte mit seinen vier Schlägeln ungestüm an die Tür und begehrte hinein. Das Meisterlein fuhr in seiner Angst in der Stube hin und her wie ein Gimpel in seinem Gatter und rief zum Guckloch hinaus: »Ei, du gräuliches Abenteuer! Ei, du garstiges Gewürm! Willst du wohl mein Häuslein in Frieden lassen!« Und als er schließlich sich nimmer zu helfen wusste, ließ er seinen schwarzen Geißbock los.

»Hoho!« drohte der Schneck, als er den Bock so streitlich herantänzeln sah. »Hoho, fürcht dich vor mir! Ich hab vier Hörner und du nur zwei!« – »Mhähähäh!« lachte der Bock, »ich hab dafür einen groben Bart!« – »Aber ich trag einen hürnenen Schild auf dem Rücken und du nicht!« prahlte der Schneck. Doch der Bock spottete: »Mhähäh, und ich hab hinten einen kurzen Schwanzstutz!«

Hui, jetzt stürzten sie hitzig gegeneinander los. Der böse Schneck tauchte und bäumte sich und schäumte und schleimte. Aber der Bock stieß mit den verwegenen Hörnern wild darein, und aus seinen schiefen Augen spritzte es wie helles Feuer. Es stand nicht lange an, so lief der Schneck eilends davon und ließ sein Häuslein in Scherben zerbrochen zurück.

Als das edle Fräulein auf ihrem Felsennest davon hörte, wie der grausame Schneck in Schanden verscheucht worden war, rüstete sie einen Festbraten und schickte ihn in einer gedeckten Schüssel dem Schneider hinab ins Tal. Und der Schneider fand in der Schüssel einen gebratenen Truthahn und diesen gefüllt mit einem Backhuhn und darin wieder eine zarte Taube und in deren Bauch ein saftiges Regensburger Würstlein und in dem Würstlein ein Ei, und in dem Dotter schwamm ein goldener Ring, darein war der Reim geritzt: »Du bist mein, und ich bin dein.« Und während der Schneider das Ringlein an den Finger steckte, lachte die schöne Kunigund wie die liebe Sonne zum Fenster herein und sagte: »Liebe Seele, jetzt wollen wir gleich heiraten!«

Also zog das Schneiderlein auf die moosgraue Burg hinauf, und er umwickelte das ganze große Gebäude mit einem Zwirnfaden, dass es nicht auseinanderfalle, und stellte sein Bügeleisen auf das Dach, dass der Wind dieses nicht abhebe, und nun lebte er mit seiner Frau wohlgemut dahin, und die Bauern im Tal sahen noch viele, viele Jahre droben auf den Mauern einen schwarzen, ehrwürdigen Bock grasen, dem die tapferen Hörner vergoldet waren und auch der Bart und der Stutzschwanz.


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