Jakob Wassermann
Das Gold von Caxamalca
Jakob Wassermann

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Kaum war das Übereinkommen getroffen, als der Inka Eilboten nach allen Städten seines Reichs mit dem Befehl schickte, daß man die goldnen Geräte und Gefäße aus den königlichen Palästen, den Tempeln und Gärten und öffentlichen Gebäuden fortnehmen und ohne Säumen nach Caxamalca bringen solle.

Die Entfernungen waren groß, obschon sie durch den scharfsinnig eingerichteten Läuferdienst minder fühlbar wurden als in unsern Ländern. Im Anfang trafen die Sendungen nur spärlich ein. Nach einer Woche aber kamen an jedem Tag bedeutendere Mengen und wurden in der streng von mir bewachten Schatzkammer niedergelegt.

Immer zur Abendzeit tat der Inka auf die Schwelle des Gemachs, in welchem sich das aus allen Provinzen seines Reichs herbeigetragene Gold befand, maß mit ruhigem Blick die noch leere Wandfläche ab und schien zu berechnen, wie weit es noch war bis zu der roten Linie oben, die seine Schicksalslinie war. Soviel auch täglich von dem gleißenden Metall herzuströmte, so langsam schien es sich zu vermehren.

Wenn er das Auge vom Rand der goldnen Masse zudem unerbittlichen Strich erhob, war es, als zerlege er den leeren Zwischenraum in die Zahl der Tage, die ihn von der Freiheit trennten. Und um ihn standen schweigend und traurig seine Diener und Dienerinnen und lasen von seinen geliebten Zügen ab, wofür es unter ihnen keine Worte gab. Denn für vieles gab es keine Worte unter ihnen, was wir Andersgeschaffenen mühelos bezeichnen konnten und was doch keinen Inhalt besaß.

Es wird mir schwer, einen Begriff von meinen Empfindungen zu geben, und noch schwerer, auch nur anzudeuten, von welcher Beschaffenheit die waren, die ich in der Brust Atahuallpas vermutete, dessen Person und Wesen von Stunde zu Stunde und von Tag zu Tag meine Unruhe und mein Bekümmern stärker erregten. Ich weiß nicht, was es war, ich kann den Grund nicht sagen; oft dünkte mich, als müsse ich in ihn hineinschlüpfen, um sein Herz und das Innerste seiner Gedanken zu erkunden; seine fremdartige Menschenhaftigkeit flößte mir Scheu ein, etwas seltsam Unschuldsvolles, seltsam Geheimnisvolles, so Zartes, daß es Schmerz verursachte, daran zu rühren, wovon ich Auge und Sinn nicht losreißen konnte und was mich überdeckte wie mit einem trüben Schleier.

Erst war er mir nur der Herr des Goldes, unselig mächtig, in finsterm Heidentum unselig verstrickt und den bösen Geistern überliefert, und ich fragte mich nicht, mit welchem Recht ich ihn verdammte, ich, den der stete Anblick des Goldes wie ein brennendes Gift aufwühlte und dessen Hirn nichts wußte als Gold und Glanz des Goldes und Verheißung des Goldes und Wollust, die es bringen sollte. Dann drang meine Seele mit sonderbarer Gewalt in die seine, so daß ich es wie einen Fluch fühlte und alsbald wie eine höhere Stimme und wie etwas, das Gewissenslast und Trauer verursacht. Da war ich bisweilen gleichsam doppelt, er und ich in einem, und das Gold bedrängte mich, und seine Seele bedrängte mich; wie soll man dies erklären?

Ich sah, daß ihn nicht bloß die Sorge und Erkundung nach dem Anwachsen des Goldes beschäftigte; ein ganz anderes spannte und quälte ihn: unsere Gegenwart, unser Sein und Tun. Das hatte ich nach und nach mit Sicherheit ergründet. Es hatte mit Neugierde begonnen; die Sprache, der Klang der Stimmen, Schritt und Gebärde, Zorn und Lachen, Tracht und Sitte, das alles war von einer Verschiedenheit, daß es ihm den Atem stillstehen machte, unerforschlich wie die Welt hinter der Sonne, verächtlich und unheimlich, jedes bis zum Äußersten und so, daß er das eine vom andern nicht lösen konnte. Schaute er in unsere Gesichter, die gegerbtem Leder glichen, traf ihn ein Blick von dem oder jenem, dieser Blick, dem keine Scham und kein Verschweigen innewohnte, so erschrak er wie bei der Berührung von Unreinem.

Seit aber das Gold im Hause lag und wir alle, vom Führer bis zum letzten Söldner, gierig seine Anhäufung bewachten, erfüllte ihn Furcht und Grauen vor uns, und in solchem Grad oft, daß er die Augen schloß, wenn er einen von uns gewahrte. Das ist die Wahrheit, das habe ich erfahren.

Mehrere von unseren Leuten belagerten immer das Fenster, das mit Gittern versehen worden war, und stierten mit glasigen Blicken in den Raum. Sie rochen das Gold, sie schmeckten es, das wußte ich, war es mit mir doch genau so. Manchmal kam einer in die Nähe des Gemachs, spähte auf den gelblohenden Schatz, und seine Züge verkrampften sich zu einem schrecklichen Ausdruck zwischen Zärtlichkeit und Hunger; seine Hand machte die Gebärde des Greifens und sein Auge loderte zur Seite, als fürchte er, daß ein anderer da sei, der ihm zuvorkam. Das war in jedem von ihnen die Angst, daß der andere ihm zuvorkam; das war auch in mir.

Ich bemerkte nicht selten, daß Atahuallpa in der Nacht, wenn seine Getreuen schliefen, aufrecht saß und lauschte. Da war nämlich immer ein Scharren und Schlüpfen, Murmeln und Rascheln, und wenn zufällig der Mond schien und sein Strahl das Gold beleuchtete, sah man die brünstig aufgerissenen Augen, in denen ein matter Schein war, aus Goldglanz und Mondglanz gemischt, und sie waren dann Tieren ähnlich, die auf verborgenen Wegen zur Tränke schleichen, aus Furcht vor anderen Tieren, die stärker sind.

Ein ziemlich alter Soldat, José Maria Lopez, ein Weißbart mit zahlreichen Narben im Gesicht, nahm einmal einen schweren goldenen Ziegel in die Hand, und das wirre Staunen, die halbirre Freude verzerrte seine Züge und ließ sie erbleichen. Es war in der Abenddämmerung; er hatte sich der Schuhe entledigt und war auf nackten Sohlen gekommen; einer der Gefährten hatte ihn argwöhnisch beobachtet; er folgte ihm lautlos und fiel mit heiserem Schrei über ihn her, indem er sich mit beiden Händen an seinen Hals krallte, so daß José Maria Lopez röchelnd niederstürzte.

Ein anderes Mal wieder gingen mehrere hinter einem peruanischen Träger her, der beladen mit goldnem Geschirr eintraf, und rissen ihm die Last mit einem Ungestüm vom Rücken, als wollten sie die Haut mitreißen, dann zählten und zählten sie, wogen und prüften mit zitternden Fingern und sahen einander an wie Wölfe.

Solcherart erfuhr Atahuallpa, daß das Gold eine Wirkung auf uns alle hatte, schlimmer als auf sein Volk der berauschende Chicha, dessen Genuß nur an gewissen Tempelfesten verstattet war. Aber er mußte sich sagen: das gelbe Metall können sie nicht trinken; nur durch die Augen schlürfen sie seinen Schimmer und seine Farbe; was teilt es ihnen mit? Was verspricht es ihnen? Sie schmücken sich nicht damit, sie sind schmucklos am Leibe wie Schatten; was fruchtet es ihnen, Gold zu besitzen?

Sicherlich hegte er ähnliche Gedanken, auch gab er ihnen gegen Hernando de Soto wunderlichen Ausdruck. Er sagte ungefähr, wir seien ohne den tiefen Gehorsam, die Folgsamkeit des Blutes, die im Führer den himmlisch Erlesenen sieht, die Menschensonne; wenn wir uns dem Herrn fügten, geschehe es mit heimlicher Aufsässigkeit und verborgenem Groll, als ob wir gleiche Rechte hätten wie er und gleichen Anspruch auf alle Güter der Welt und es nur nicht wagten, uns wider ihn aufzulehnen, weil er möglicherweise Wege wußte oder Zauberformeln kannte, die uns nicht zugänglich waren. Warum, fragte er voll Verwunderung, schlagen sie in Falschheit die Augen vor ihm nieder und öffnen sie schamlos und verfolgen ihn mit ihren Blicken, sobald er sich von ihnen abgekehrt hat?

Hernando de Soto fand darauf keine Antwort, und er verhehlte mir nicht, daß er vor dem Inka gestanden sei wie ein törichter Schüler. Und mir wurde sein inneres Leben nach und nach zur Vision; mit seinen Augen sah ich die zunehmende Ungeduld meiner Gefährten, mit seinen Augen die Mienen voll Haß und Besorgnis. Ich begriff, daß ihm kein noch so schrecklicher Traum die Ahnung davon vermittelt hatte, daß solche Wesen auf der Erde existierten, wie wir waren. Und als er es erfuhr und diese Wesen kennenlernte, senkte sich die unermeßliche Melancholie über ihn, die sein Herz und seinen Arm lähmte und geschehen ließ, was uns so rätselhaft war: daß er sich ohne Widerstand in sein Schicksal ergab und keinen heimlichen Befehl dazu an seine Untertanen sandte; daß Hunderttausende von bewaffneten Kriegern untätig verharrten, eine Armee von Liebenden, denen der Fürst Kern und Merkziel des Daseins war, und die nur seines Augenwinks bedurft hätten, und die dreihundert Eindringlinge hätten die beleidigte Erde mit ihrem Blut getränkt.

Dies Nicht-Tun ging von Atahuallpa aus, von seinem tiefen Wissen um den Geist der Finsternis, der die Herrschaft angetreten hatte und gegen den sich wehren vergeblich war. Ich weiß wohl, was ich hier sage und nehme es auf mich und halte jedem stand, der mich als einen Christen für solch ein Wort zur Rechenschaft ziehen will; aber war das Christensinn und Christenlehre, unser großer Glaube und heiliges Symbol, was durch das Land sich verbreitete wie unheilbare Krankheit? Das Land war krank; die Seelen seiner Bewohner waren krank; Ekel und Grauen umdüsterte es, und Ekel und Grauen strömte von seinem Lebensmark  aus, von Atahuallpa, der ihr Gipfel und ihre Erfüllung war, und der zusehen mußte, wie die Fremdlinge die Tempel plünderten, die Sonnenjungfrauen entehrten, die Gärten verwüsteten, die Felder zertraten, sein überliefertes sakrales Eigentum, alles seit abertausend Jahren. Er konnte nicht dawider handeln; die Welt war unrein geworden, und seine Erfahrung teilte sich dem Volke mit und kehrte als Echo in den nächtlichen Gesängen zu ihm zurück, in denen die nagendste Trostlosigkeit und das Vorgefühl des Untergangs war.


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