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7

Mrs. Elvery sagte von sich selbst, daß sie alles genau beobachtete, und die Dienstboten beschwerten sich darüber, daß sie ihnen nachspionierte. Vor allem konnte der Butler Cotton sie nicht leiden, und er hatte auch besonderen Grund, sich zu beklagen; sie überraschte ihn nämlich an jenem Nachmittag mit dem Mann mit der Lederschürze in vertrauter Unterhaltung. Dieser hatte ihm eine Geschichte von einem ungeheuren Schatz erzählt, der in den gewölbten Kellern des Herrenhauses verborgen liegen sollte.

Sofort ging sie zu Colonel Redmayne und berichtete ihm alles. Zuerst war er bestürzt, aber nachher kümmerte er sich wenig um die Sache. Er hatte die Gewohnheit, sich in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen und sich dort einzuschließen. In einem kleinen Wandschrank verwahrte er stets eine Flasche und zwei Gläser. Das war sehr bequem für Redmayne, denn er konnte sie verstecken, wenn jemand an die Tür klopfte.

Mrs. Elvery war ihm unsympathisch, deshalb hörte er auch kaum hin, als sie ihre Geschichte erzählte.

»Der Colonel ist ein grober, ungehobelter Bär«, sagte sie später zu ihrer Tochter, zog aufgeregt den Vorhang vom Fenster zurück und sah in den dunklen Park hinaus. »Ich bin sicher, daß wir heute abend hier noch irgend etwas Unheimliches erleben. Das habe ich auch Mr. Goodman gesagt, aber der wollte nichts davon hören!«

»Ich wünschte nur, du würdest das lassen«, erwiderte Veronika. »Du machst mich selbst ganz nervös.«

Mrs. Elvery sah in den Spiegel und ordnete ihre Haare.

»Ich habe das Gespenst schon zweimal gesehen«, erklärte sie selbstzufrieden. Veronika schauderte.

Eine Weile schwieg ihre Mutter, aber dann wandte sie sich plötzlich um und hob die Hand.

»Dieser Cotton kommt mir jetzt ganz verdächtig vor. Wenn der wirklich ein Butler ist – ich weiß nicht recht!«

Veronika starrte sie bestürzt an.

»Um Himmels willen, Mutter, was meinst du denn?«

»Er ist den ganzen Tag hier herumgeschlichen. Ich habe ihn abgefaßt, als er die Kellertreppe heraufkam. Als er mich sah, erschrak er so sehr, daß er nicht wußte, was er anfangen sollte.«

Für eine kleine Weile herrschte Schweigen, dann fragte Veronika: »Was hast du denn wirklich gesehen, Mutter, als du neulich nachts so furchtbar aufschriest?«

»Ich sah eine Gestalt, die über den Rasen lief und mit den Händen in der Luft herumfuchtelte – es war entsetzlich!«

»Was für eine Gestalt?« fragte Veronika schwach.

Mrs. Elvery wandte sich in ihrem Sessel um.

»Einen Mönch! Er hatte eine schwarze Kutte an, und sein Gesicht war unter einer großen Kapuze verborgen.«

An jenem Abend war es stürmisch und regnerisch, und der Wind rüttelte an den Fensterläden.

»Es ist hier oben unheimlich, wir wollen nach unten gehen.«

Als sie in die große Halle kamen, fanden sie Mr. Goodman allein dort. Er seufzte, als er die beiden kommen sah, hoffte aber, daß sie es nicht gehört hatten.

»Mr. Goodman, hat Ihnen meine Mutter schon gesagt, was sie unten im Park gesehen hat?«

Er sah sie über die Brille hinweg an. Diese Unterhaltung war ihm unbehaglich.

»Wenn Sie schon wieder anfangen von Gespenstern zu reden –«

»Nein, es handelt sich diesmal um Mönche!« erwiderte Veronika mit tonloser Stimme.

»Es handelt sich nur um diesen einen Mönch«, verbesserte Mrs. Elvery ihre Tochter. »Ich habe nie behauptet, daß ich mehr als einen gesehen habe.«

Goodman runzelte die Stirn.

»Einen Mönch?« fragte er und lachte leise. Dann erhob er sich von dem Sofa, auf dem er gewöhnlich saß, ging quer durch die Halle und klopfte an die Wandtäfelung. »Wenn es ein Mönch war, dann müßte er durch diese Tür gekommen sein.«

Mrs. Elvery starrte ihn mit offenem Mund an.

»Welche Tür?« fragte sie aufgeregt.

»Dies ist die Mönchstür«, erklärte Mr. Goodman mit Genugtuung. »Die Eichentäfelung stammt noch aus der Zeit, als dies ein Mönchskloster war.«

Mrs. Elvery nahm ihr Lorgnon und sah neugierig zur Wand hinüber. Sie entdeckte jetzt auch, daß dieser Teil der Täfelung tatsächlich eine Tür sein mußte. Die Holzverkleidung war glattgescheuert und heller als an den übrigen Stellen.

»Auf diesem Weg kamen die alten Mönche in die Halle. Es geht ein Gerücht um, daß dieser Gang zu einer unterirdischen Kapelle führt, die bis zur Reformation noch in Gebrauch war. Diese Halle bildete den Vorraum zum Refektorium, dem Speisesaal des Klosters. Die ganze Anlage ist später natürlich geändert worden, und wahrscheinlich hat man den Gang zur unterirdischen Mönchskapelle zugemauert. Nach alten Berichten pflegten die Mönche die Kapelle jeden Tag zu besuchen, und sie gingen in geschlossenem Zug zu zweien dorthin. Die unterirdische Kapelle oder Krypta war eine Grabkirche, und der Besuch sollte sie an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnern.«

Veronika atmete schwer.

»Wenn irgendwo eine Kapelle existierte«, sagte Mrs. Elvery mit leuchtenden Augen, »so würde das auch erklären, daß man. immer Orgelspiel hört.«

Goodman schüttelte den Kopf.

»Nein, das ist alles nur Einbildung. Wenn man gut gegessen hat, träumt man unruhig. Das ist meiner Meinung nach die einzige Erklärung.«

Dann wechselte er das Thema. »Sie haben mir doch erzählt, daß der junge Mr. Fane herkommt?«

»Das stimmt nicht. Er ist zwar sehr interessant, aber deshalb nehmen sie ihn ja nicht auf. Sie wollen nur alte, uninteressante Vogelscheuchen haben.« Plötzlich fiel ihr ein, daß sie das nicht sagen durfte, und sie fügte schnell hinzu: »Damit meine ich natürlich nicht Sie, Mr. Goodman.«

Sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde, und schaute sich um. Mary Redmayne kam herein.

»Wir haben eben über Mr. Fane gesprochen«, sagte Mrs. Elvery.

»So?« fragte Mary ein wenig kühl. »Es ist ja wohl nicht viel Interessantes über ihn zu erzählen.«

Das Gespräch schleppte sich noch eine Weile hin, bis sich die Gäste schließlich gute Nacht wünschten und sich zurückzogen.

Der Colonel hatte sich nicht sehen lassen. Er saß in seinem Studierzimmer. Mary wartete, bis der letzte Gast gegangen war, dann klopfte sie bei ihm an. Von draußen konnte sie hören, daß er den kleinen Schrank schloß, bevor er öffnete.

»Guten Abend, mein Liebling«, sagte er mit unsicherer Stimme.

»Ich möchte mit dir sprechen, Vater.«

Er machte eine müde, abwehrende Bewegung.

»Ich wünschte, du würdest mich heute abend in Ruhe lassen. Ich bin so nervös.«

Sie schloß die Tür, ging auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Schulter.

»Vater, können wir nicht von hier fortziehen? Es wäre doch am besten, wenn wir dies entsetzliche Haus verkauften.«

Er hielt den Blick gesenkt und sagte, er könnte wohl verstehen, daß sie sich hier langweile.

»Nein, das meine ich nicht. Es ist hier nicht langweiliger als in der Schule. Aber es ist unheimlich. Irgend etwas stimmt hier nicht. Ich fürchte mich hier im Haus!«

Er konnte sie nicht ansehen. »Ich verstehe nicht recht, wie du das meinst.«

»Aber Vater, es geht hier etwas Furchtbares vor. Du weißt das sehr gut. Nein, glaube nur nicht, daß ich nervös bin und mir etwas einbilde. Ich habe es vorige Nacht selbst gehört – zuerst Orgelspiel, dann einen entsetzlichen Schrei!« Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. »Ich kann es nicht länger ertragen! Dann sah ich eine Gestalt, die über den Rasen lief. Es war grauenvoll. Der Mann hatte einen schwarzen Umhang um. Mrs. Elvery hat den Schrei auch gehört. – Aber was ist denn das?« Sie fuhr plötzlich zusammen, wurde bleich und zitterte am ganzen Körper.

»Hörst du es nicht?« flüsterte sie.

»Das ist der Wind«, entgegnete er heiser. »Nichts als der Wind.«

»Aber höre doch!« Auch er mußte die schwachen Töne einer Orgel vernommen haben. »Hörst du denn immer noch nichts?«

»Nein«, sagte er eigensinnig.

Sie bückte sich und lauschte.

»Wirklich nicht?« fragte sie dann aufs neue. »Ich höre unten Schritte auf dem steinernen Fußboden –«

Plötzlich schrie sie auf, draußen klopfte es laut an die Haustür.

»Jemand ist draußen«, sagte sie leise mit blutleeren Lippen.

Redmayne zog eine Schublade auf und nahm einen Browning heraus, den er in eine Tasche seines Rocks gleiten ließ.

»Geh in dein Zimmer«, sagte er zu seiner Tochter.

Dann trat er hinaus in die dunkle Halle, blieb einen Augenblick stehen und knipste das Licht an. Währenddessen kam Cotton von den Dienstbotenräumen her. Er war vollkommen angekleidet.

»Was ist los?« fragte Redmayne.

»Es muß jemand an der Tür sein. Soll ich öffnen?«

Eine Sekunde zögerte der Colonel.

»Ja«, erwiderte er dann.

Cotton nahm die Kette von der Tür, drehte den Schlüssel um und riß sie auf. Ein großer Mann stand draußen, er schien ein wenig hin und her zu schwanken.

»Es tut mir leid, daß ich Sie störe«, sagte Ferdie Fane, dessen Mantel vom Regen durchnäßt war. Er trat in die Halle und sah von einem zum andern. »Ich bin der zweite Besucher, der heute abend zu Ihnen ins Haus kommt.«

»Was wünschen Sie?« fragte Redmayne.

Es war seltsam, daß der Anblick dieses halb betrunkenen Mannes ihm in gewisser Hinsicht Erleichterung verschaffte.

»Sie haben mich aus dem Gasthaus zum Roten Löwen rausgeschmissen.« Ferdie sah den Colonel mit glasigem Blick an. »Ich möchte hier wohnen.«

»Laß ihn hier, Vater.«

Redmayne drehte sich um. Seine Tochter stand hinter ihm.

»Bitte, laß ihn hier wohnen. Er kann Zimmer Nr. 7 haben.«

Ein Lächeln glitt über Mr. Fanes Züge, und er sah nun bedeutend besser aus als vorher.

»Vielen Dank für die Einladung. Ich nehme sie ohne weiteres an.«

Sie schaute ihn erstaunt an. Der Regen hatte seinen Mantel ganz durchnäßt, das Wasser tropfte auf den Fußboden. Stunden mußte er draußen im stürmischen Wetter zugebracht haben. Wo mochte er nur gewesen sein? Es war auch merkwürdig, daß er so wenig sprach. Cotton brachte ihn nach Zimmer Nr. 7, das in einem entfernten Flügel lag. Marys Zimmer lag über der Eingangshalle. Nachdem sie sich von ihrem Vater verabschiedet hatte, schloß und verriegelte sie ihre Tür, kleidete sich langsam aus und legte sich ins Bett. Sie war zu aufgeregt, um schlafen zu können, und warf sich von einer Seite auf die andere.

Als sie gerade etwas Ruhe hatte finden können, hörte sie ein sonderbares Geräusch und richtete sich im Bett auf. Der Wind heulte um das Haus und trieb den Regen gegen die Fensterscheiben, aber davon war sie nicht aufgewacht. Sie hörte leise Stimmen in dem Zimmer unter ihr. Ihrer Meinung nach mußte es Cotton sein – vielleicht war es aber auch ihr Vater. Sie hatten beide eine tiefe Stimme.

Dann ließen plötzlich grauenvolle Laute das Blut in ihren Adern erstarren. Es war das furchtbare Lachen eines Wahnsinnigen, das von unten heraufklang. Einen Augenblick war sie gelähmt vor Schrecken, dann sprang sie aus dem Bett, zog ihren Morgenrock an und eilte die Treppe hinunter. Als sie über das Geländer schaute, sah sie unten eine Gestalt in der Eingangshalle.

»Wer ist da?« fragte sie mit zitternder Stimme.

»Es ist alles in Ordnung, Liebling.« Es war ihr Vater. Sein Schlafzimmer lag neben dem Arbeitszimmer im Erdgeschoß.

»Hast du etwas gehört?«

»Nein, nichts«, erwiderte er barsch. »Geh zu Bett.«

Aber Mary Redmayne war mutig.

»Ich will nicht zu Bett gehen«, entgegnete sie entschlossen und stieg die Treppe hinab. »Es war jemand unten in der Halle – ich habe gehört, wie er mit einem anderen sprach.«

Sie legte die Hand auf die Türklinke, die zur Halle führte, aber dann nahm er sie am Arm.

»Um Himmels willen, Mary, geh nicht hinein.«

Ungeduldig machte sie sich von ihm frei und riß die Tür auf.

Es war vollkommen dunkel. Mit wenigen Schritten war sie beim Schalter und knipste das Licht an. Zuerst sah sie nichts, aber dann ...

Mitten im Zimmer lag ein Mann, der mit weitgeöffneten Augen zur Decke starrte. Er war tot.

Als sie genauer hinschaute, erkannte sie den Fremden mit der Lederschürze, der am Morgen die Auseinandersetzung mit Ferdie Fane gehabt hatte.


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