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Ein glücklicher Zufall fügte es, daß innerhalb dreier Tage zwei auf der Heimreise befindliche Schiffe die kleine Küstenstadt anliefen, wo der Regierungsamtmann für den Alebi-Distrikt sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Ein glücklicher Zufall, denn er gestattete, daß Lambaire und Whitey mit dem einen und Cynthia Sutton mit dem anderen Schiff nach Hause fuhren. Amber ging an den Strand, wo das schwere Brandungsboot wartete – um sie abfahren zu sehen.
»Ich hätte mir auch eine Fahrkarte lösen,« meinte er, »oder besser noch Ihnen heimlich folgen sollen, so daß, wenn Sie sich heute abend zu Tisch setzten – – – Eintritt Ambers in voller Seemannskleidung, Überraschung der Dame – Tableau.«
Sie hörte ihm ernst zu und sah ihn an. Durch die Hitze an der Küste war ihr Gesicht blässer geworden und feiner modelliert. Sie war in Ambers Augen die schönste Frau, die er je gesehen. Obgleich er scherzen konnte, war ihm das Herz doch so schwer, daß ihm die Tränen nahe waren.
»Ich wünschte, Sie kämen mit,« sagte sie einfach, und in diesem Augenblick hatte er ihr Herz erkannt.
»Ich werde bleiben.« Er nahm ihre Hand in seine beiden Hände. »Es ist immerhin möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, daß Ihr Bruder am Leben ist. Sanders vermutet, daß ihn die beiden Männer deshalb verließen, um ihn sterben zu lassen, – das ist aber kein Beweis, daß er tot ist. Ich werde so lange bleiben, bis ich mich auf die eine oder andere Weise selbst überzeugt habe.«
Das Boot lag jetzt bereit, und Sanders beobachtete insgeheim den Dampfer, der eine Meile von der Küste in vier Faden Tiefe vor Anker lag.
»Auf Wiedersehen,« sagte sie mit bebendem Munde.
Amber breitete die Arme aus, und sie schmiegte sich ohne Furcht an ihn. Er hielt sie einige Sekunden fest umschlungen und sie sah zu ihm auf.
»Auf Wiedersehen, Liebste,« flüsterte er und küßte sie innig auf den Mund.
*
Amber brach am nächsten Morgen nach dem Alebi-Land auf; Abiboo, ein schweigsamer Houssa-Sergeant, der Sanders' Vertrauen genoß, ging mit ihm.
Es war eine regelrechte afrikanische Safari durch Busch und Steppe – die Eintönigkeit anstrengender Märsche in der Tageshitze, das atemlose Summen der Nächte, das Geschwätz in den Dörfern, plötzliche tropische Gewitter, wo tiefziehende gelbe Wolken sich wirbelnd auf die schwankenden Baumwipfel entluden und heftige, helleuchtende Blitze unaufhörlich durch die bläuliche Finsternis des Waldes zuckten.
Der Trupp folgte der gebahnten Spur, die von Dorf zu Dorf führte, und bei jeder kleinen Gemeinde wurden Erkundigungen eingezogen, ob seit dem Durchmarsch Lambaires und Whiteys nicht ein weißer Mann gesehen worden sei.
Am achtundzwanzigsten Marschtage erreichte die Expedition den Platz, wo nach Lambaires Aussage Sutton gestorben sein sollte. Hier errichtete Amber in Übereinstimmung mit seinen Plänen so etwas wie ein Standquartier.
Von Abiboo begleitet, besichtigte er die Stelle, wo das Taschentuch mit den Diamanten gefunden, und die Niederung, in welcher das »Grab« festgestellt worden war.
»Herr,« sagte Abiboo, »hier war das Loch.«
»Ich sehe kein Loch,« sagte Amber. Er sprach arabisch. Kapitän Ambrose Grey, genannt Amber, war seinerzeit Legationssekretär gewesen und hatte sich dabei seine Kenntnisse angeeignet.
Die nähere Untersuchung des Bodens ergab, daß die Vertiefung das ausgetrocknete Bett eines Wasserlaufes war. Amber durchforschte es eine Meile weit nach jeder Richtung, ohne auch nur eine Spur von einer Ausschachtung, wie sie nach Abiboos Bericht hier erwartet werden mußte, zu entdecken. An einigen Stellen war das Flußbett mit einem dichten Gestrüpp von Elefantengras und einer Art wilder Brombeere, wie sie in den afrikanischen Wäldern vorkommt, überwuchert.
»Hier ist Wasser gewesen,« sagte Abiboo, »aber cala cala,« das heißt: vor langer Zeit.
Die Tatsache, daß das Grab verschwunden war, bewies nichts. Die schweren Regengüsse, die unterwegs niedergegangen waren, hätten genügt, das lose Erdreich und den Schutt, der um das Loch herum aufgehäuft war, wegzuwaschen.
Drei Wochen betrieb Amber seine Nachforschungen. Er sandte in einem Umkreis von fünfzig Meilen in jedes Dorf Boten, ohne aber eine Spur von Sutton zu entdecken.
Ungern entschloß er sich, die Suche aufzugeben, zwei seiner Träger waren der Schlafkrankheit erlegen, und die Regenzeit rückte näher und näher. Schlimmer noch war, daß die Isisi – das Alebi-Volk – unruhig wurden. Die Kunde von Kreuzigungen und Aufknüpfungen war zu ihm gedrungen, und Sanders hatte ihm noch sechs Soldaten geschickt, seine Eskorte zu verstärken.
Auf die örtlichen Gewitter waren vorzeitige Platzregen gefolgt, und er selbst hatte einen Fieberanfall gehabt.
»Ich will noch zwei Tage warten,« sagte er zu Abiboo; »wenn ich bis dahin nichts finde, brechen wir das Lager ab.«
In dieser Nacht, als er in seinem Zelt saß und gerade einen Brief an Cynthia schrieb, rief ihn Abiboo heraus.
»Master,« sagte der Houssa, »einer meiner Leute hat einen Schuß gehört.«
Amber schlüpfte in seine Jacke und trat aus dem Zelt heraus.
»Wo – in welcher Richtung?« fragte er. Es war stockfinster, und ein feiner Staubregen fiel.
»Nach Osten zu,« erwiderte der Eingeborene.
Amber holte aus seinem Zelt seine elektrische Lampe, und nun standen sie beide und lauschten.
In der Ferne hörten sie Laute, die wie das Geheul einer verwundeten Katze klangen; es drang schwach und anhaltend aus jener Richtung.
»Das ist ein verwundeter Leopard,« sagte Abiboo. Amber überlegte schnell. Außer dem sanften Gemurmel des Regens war kein Ton in dem Wald zu hören. Es war gewiß nicht eine Nacht, die einen Leoparden ermutigen konnte, seine Gegenwart kundzutun.
»Wenn sich ein weißer Mann in dem Wald befindet,« sagte Amber, »dürfte er sich jetzt bemerkbar machen.« Dabei zog er seinen Revolver aus der Tasche und gab zwei Schüsse ab. Er wartete, aber es kam keine Antwort. Er verfeuerte in Zwischenräumen von einer halben Minute nacheinander die noch im Magazin befindlichen Patronen, ohne jedoch auch hiermit ein Echo zu finden.
Amber blieb noch über eine halbe Stunde draußen, um zu horchen. Das Brüllen des Leoparden war in ein Winseln übergegangen und hatte endlich aufgehört. In einer solchen Nacht auf die Suche zu gehen, würde aussichtslos sein, aber gleich bei Tagesanbruch machte sich Amber mit zwei Houssa-Soldaten und mit Abiboo auf den Weg.
Es war keine leichte Aufgabe, die sich die Männer gestellt hatten. Es handelte sich um nichts weniger, als einen Weg durch den sechs Quadratmeilen großen, fast undurchdringlichen Wald zu bahnen, in dem dünne und dicke Baumstämme kreuz und quer durch tauendenstarke Schlingpflanzen miteinander verstrickt waren. Es war schon Nachmittag, als Abiboo auf die Spur eines wilden Tieres stieß.
Sie verfolgten die Spur und stießen auf Lachen getrockneten Blutes. Es konnte – so meinte Abiboo – von einem Tier herrühren, das von einem anderen angenommen worden war. Nach einer halben Stunde führte sie die Spur auf eine kleine Lichtung, wo am Fuße eines Baumes der Leopard verendet war und steif ausgestreckt dalag.
»Hm,« sagte Amber, als er davorstand. Es waren keine Rißwunden zu sehen, aus denen man hätte schließen können, daß die Bestie vorher mit einer anderen gekämpft hätte.
»Dreht sie herum.«
Die Männer gehorchten, und Amber pfiff. Hinter der linken Schulter war unstreitig eine Schußwunde.
Amber kniete nieder und machte mit seinem Jagdmesser in den Körper des Leoparden Schnitte, um die Kugel zu suchen. Es dauerte lange, bis er sie gefunden hatte und ans Licht beförderte. Es war eine platte Kugel aus einem Webley-Revolver. Er kehrte diese Nacht nachdenklich ins Lager zurück.
Wenn es Suttons Revolver war, wo war Sutton? Warum verbarg er sich in dem Wald? Amber hatte noch andere Probleme zu lösen, aber diese beiden beschäftigten ihn zumeist.
Der Tag war schön gewesen, und das gewohnte Gewitter hatte sich nicht entladen. Eine prachtvolle, mondhelle Nacht folgte auf einen wirklich großartigen Sonnenuntergang. Es war eine der afrikanischen Nächte, in der alle Gegenstände von einem silbernen Licht zart übergossen und verschönert werden. Amber hatte solche Nächte in anderen Gegenden des großen Kontinents kennengelernt, aber er erinnerte sich keiner so herrlichen Nacht wie dieser.
Er saß auf einem Feldstuhl am Eingang seines Zeltes und stellte über die Ereignisse des Tages Betrachtungen an. Wer war dieser geheimnisvolle Fremde, der nachts draußen herumstreifte? Vielmehr, was hatte der Leopard auf dem Kerbholz, um seinen Tod herbeizuführen?
Er rief Abiboo zu sich, der mit den anderen Houssas an dem lodernden Feuer kauerte.
»Es kommt mir sonderbar vor, Abiboo,« sagte er, »daß der weiße Mann den Leoparden geschossen haben sollte.«
»Lord, das habe ich auch zu meinen Leuten gesagt,« bemerkte Abiboo, »und sie meinen wie ich, daß der Leopard an einen Ort gekrochen sei, der den weißen Herrn verbirgt.«
Amber rauchte nachdenklich seine Pfeife. Es fiel ihm ein, daß die Stelle, wo sie die ersten Blutspuren wahrgenommen, in der Nähe eines ähnlich ausgetrockneten Wasserlaufs gewesen war. Je länger er über die Sache nachdachte, um so überzeugter war er, daß jener Wasserlauf eine Fortsetzung des Flußbettes war, neben dem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Wenn er diesem Lauf folgte, konnte er in weniger denn einer Stunde die Stelle erreichen. Die Nacht war wie geschaffen zur Nachforschung. Auf jeden Fall beschloß er, einen Versuch zu machen.
Er nahm vier Soldaten mit sich, einschließlich des Sergeanten, der mit der Lampe voranging. Die Soldaten waren notwendig, denn ein Späher hatte im Laufe des Tages die Nachricht gebracht, daß das kriegerische Volk der »Kleinen Alebi« in der Richtung auf ihr Lager marschiere.
Obwohl das Flußbett einen genau begrenzten Pfad für die Kolonne abgab, war es doch schwer zu begehen. An Stellen, wo die Vegetation eine undurchdringliche Schranke errichtet, mußten sie die steilen Ufer hinaufklettern und einen Umweg durch den Wald machen.
Einmal begegnete ihnen ein Leopard, der auf Raub ausging; er fauchte wütend das glänzend weiße Licht der elektrischen Lampe an, drehte sich herum und ergriff die Flucht. Einmal überraschten sie ein unförmiges Lebewesen; es trompetete laut und suchte sein Heil in der Flucht, indem es plump durch den Wald stolperte.
Nachdem sie wieder zwangsläufig einen der Umwege gemacht, traten sie auf eine lichte Ebene.
»Es muß irgendwo hier in der Nähe sein,« begann Amber, als Abiboo plötzlich seine Hand aufhob. »Horcht!« flüsterte er.
Sie standen regungslos mit gesenkten Köpfen. Durch die Stille des Waldes drang ein neues Geräusch.
»Klick – klick!« Es war schwach, aber nicht mißzuverstehen.
Amber schlich vorwärts.
Das Flußbett machte hier plötzlich eine Wendung nach rechts, und indem er sich dicht an das rechte Ufer preßte, ließ er sich auf die Knie nieder und kroch vorsichtig nach der Biegung hin. Ein Busch versperrte ihm die Aussicht, er bog ihn zurück und war erstaunt, was er sah.
In der Mitte des Flusses, in dem Mondlicht deutlich erkennbar, stand ein Mann, mit Hemd und Hose bekleidet, der mit Graben beschäftigt war. Dann und wann bückte er sich, hob die Erde mit beiden Händen auf und lachte; es war ein leises glucksendes Lachen, so daß es Amber, als er es vernahm, warm und kalt durch die Adern lief. Amber beobachtete ihn fünf Minuten lang, dann trat er aus seinem Versteck hervor.
»Rums!«
Eine Kugel pfiff an ihm vorbei und traf die Uferböschung an seiner Seite mit einem dumpfen Aufprall.
Blitzschnell warf er sich nieder und suchte bestürzt Deckung. Der Mann, welcher grub, stand mit dem Rücken gegen ihn – irgend sonst jemand mußte also den Schuß abgefeuert haben!
Er sah sich nach dem Sergeanten um.
»Abiboo,« rief er grimmig, »dies ist ein schlechter Scherz: wir sind gekommen, einen Mann zu retten, der uns töten will.«
Er kroch wieder vor und sah sich um: der Mann war verschwunden.
Trotzdem er sich der Gefahr eines zweiten Schusses aussetzte, trat Amber frei heraus.
»Sutton!« rief er laut und deutlich. Keine Antwort.
»Sutton!« schrie er, – nur das Echo kam zurück. Seine Leute folgten ihm, als er vorwärts ging.
In der Mitte des Wasserlaufes war ein Loch, und ein weggeworfener Spaten lag daneben. Er hob ihn auf und betrachtete ihn. Die Metallteile waren vom Gebrauch blank, der Stiel vom ständigen Anfassen glatt poliert. Er legte ihn wieder hin und hielt auf dem Platz schnell Umschau.
Befand er sich nicht um alles in der Welt in einem Graben, der aussah wie ein Eisenbahndurchstich? Der tote Fluß hatte hier seinen tiefsten Kanal ausgehöhlt. Auf der vom Mond beschienenen Seite des »Durchstichs« konnte er nichts entdecken, was nach einem Unterschlupf aussah. Er ging an dem Ufer, das im Schatten lag, entlang und ließ das weiße Licht seiner Lampe über den schroffen Abhang gleiten.
Da war es ihm, als sähe er etwas höher hinauf eine Öffnung. Ein großer abgestorbener Busch verbarg sie teilweise – und dieser welke Busch war in einem solchen Winkel hingesetzt worden, daß nach Ambers Überzeugung nur Menschenhand im Spiel sein konnte.
Vorsichtig begann er emporzuklimmen, bis er unter der Öffnung lag. Dann riß er schnell den abgestorbenen Strauch hinweg.
»Rums!«
Er fühlte, wie das Pulver sein Gesicht verbrannte und preßte sich dichter an die Erde. Abiboo, der unten in dem Bett des Flusses stand, kam mit einem Satz das steile Ufer heraufgesprungen.
» Ba – lek!« schrie Amber warnend.
Eine Hand, die einen schweren Armeerevolver umfaßte, wurde aus der Öffnung herausgestreckt; die lange schwarze Mündung war auf den herannahenden Houssa gerichtet. Amber packte das Handgelenk und drehte es mit einem Ruck nach oben.
»Verdammt!« rief eine Stimme, und die Pistole fiel zur Erde.
Amber, der das Handgelenk noch festhielt, rief sanft: »Sutton!« Es erfolgte eine Pause.
»Wer sind Sie?« fragte die Stimme erstaunt.
»Sie werden sich meiner erinnern als Amber.« Wieder eine kleine Pause.
»Teufel noch mal!« erwiderte die Stimme; »lassen Sie mein Handgelenk los, und ich werde herauskommen – ich dachte, Sie wären das Alebi-Volk auf dem Kriegspfad.«
Amber gab das Handgelenk frei, und ein schmutziger, zerlumpter Jüngling arbeitete sich nach und nach heraus, unstreitig Sutton.
Er richtete sich in dem Mondlicht auf und schüttelte sich. »Ich fürchte, ich bin ziemlich unhöflich gewesen,« sagte er unsicher, »aber ich bin froh, daß Sie gekommen sind – zu dem ›Diamantenfluß‹.« Er deutete mit der Hand auf das trockene Flußbett und lächelte traurig.
Amber sagte nichts.
»Ich sollte Monate schon von hier weg sein,« fuhr Sutton fort; »wir haben mehr Diamanten in dieser Höhle, als – in die Hölle mit den vermaledeiten Dingern!« rief er unvermittelt. Er bückte sich zu der Mündung der Höhle hinab.
»Vater,« rief er weich, »komm heraus – ich will dich einem Sportsmann vorstellen.«
Amber stand sprachlos und wie betäubt da, als sich der andere nach ihm umdrehte.
»Meinem Vater geht es nicht gut,« sagte er, und seine Stimme stockte; »Sie werden mir helfen müssen, ihn von hier fortzuschaffen.«