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Lambaire braucht eine Karte

Lambaire hatte in der City ein Büro, in dem er ein Geschäft leitete. Kein Mensch wußte, was für ein Geschäft es war. An der Tür war ein Messingschild, das keinen anderen Aufschluß gab, als daß –

J. Lambaire
(und in Paris)

drinnen angetroffen werden könnte. Er empfing Besuche, schrieb und erhielt Briefe und verschwand in willkürlichen Zeitabständen; niemand wußte wohin, obgleich der Zusatz »und in Paris« eine einleuchtende Erklärung hätte abgeben können.

Einige sagten, er sei Agent, eine unbestimmte Bezeichnung, bei der man sich denken konnte, was man wollte; andere hielten ihn für einen Finanzier, obgleich Leute mit himmelstürmenden Plänen, die wegen des erforderlichen Kapitals an ihn herantraten, arg enttäuscht waren, wenn sie hörten, er habe kein Geld, um kindischen und abenteuerlichen »Gründungen« Vorschub zu leisten.

Da aber viele Fremde in der City zu keinem ersichtlichen Zweck Büros unterhielten, so bildete Lambaires Geschäft nicht den Gegenstand einer allzu genauen Untersuchung.

Es war bekannt geworden, daß er vor Zeiten eine Expedition nach Zentral-Afrika finanziert hatte, und wenn das wahr war, so war dies Grund genug, daß er Flair Lane Nr. 1, E. C., ein Geschäftslokal besaß. Andere Leute hatten ähnliche Expeditionen finanziert, hatten sich ähnliche Büros eingerichtet und hatten durch Jahre auf die Rückkehr des Geldes, das sie hineingesteckt, gewartet. Das war Geschäftsbrauch.

Doch Lambaire hatte ein Geschäft, und zwar ein sehr einträgliches Geschäft. Er war bei seinen Bankiers als Silbermakler bekannt, bei einem anderen jedoch als Teilhaber der Firma Flithenstein & Borris, einer Druckereifirma; er war an einer Dampferlinie beteiligt, die durch Rundreisen einen wenig beneidenswerten Ruf erlangt hatte; er war, wenn wahr ist, was gesagt wird, an einhundertundein Geschäften interessiert, kleinen und großen, gesetzlichen oder zweifelhaften.

Er war Besitzer eines oder zweier Rennpferde; Pferde, die ihm den Gefallen taten, zu gewinnen, wenn er sie bestieg, oder im Rennen zu versagen, wenn er es nicht tat.

Zwei Tage nach der eiligen Abreise Ambers war er in seinem Büro.

Es war die Lunchstunde, und er zog langsam seine Handschuhe an. Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel, und in seinen Augen war ein zufriedenes Blinzeln zu erkennen.

Sein Sekretär stand wartend an dem Schreibtisch und sortierte mechanisch ein Bündel Banknoten.

Herr Lambaire ging langsam auf die schwere Tür seines Privatzimmers zu und blieb dann unentschlossen stehen.

»Vielleicht ist es doch besser, heute abend zu schreiben,« sagte er, noch nicht mit sich einig. Der Sekretär nickte, legte seine Papiere auf den Tisch und öffnete ein Notizbuch.

»Vielleicht auch nicht,« sagte Lambaire, als stelle er sich selbst die Frage. »Doch, es ist gut, wenn es heute abend geschieht.«

»Werter Herr« (er begann, und der Sekretär kritzelte wütend), – »Werter Herr, ich bestätige den Empfang Ihres Briefes, die Great-Forest-Diamant-Grube betreffend. Punkt. Ich begreife Ihre – hm – Beschwerde –«

»Ungeduld?« warf der Sekretär ein.

»Ungeduld,« griff der Chef zustimmend dieses Wort auf, – »aber das Werk geht voran. Punkt. Was Ihr Anerbieten anbetrifft, weitere Anteilscheine aufzunehmen – Komma – so habe ich Sie zu benachrichtigen, daß meine Aufsichtsräte – räte –«

– »Rat,« verbesserte der Sekretär.

»Rat,« fuhr Lambaire fort, – »vorbereitet ist, Ihnen das Vorrecht zu genehmigen, vorausgesetzt, daß unsere –«

»Seine,« warf der Sekretär ein.

»Seine Sensale es billigen. Hochachtungsvoll.«

Lambaire zündete eine Zigarre an.

»Wie ist das?« fragte er jovial.

»Sehr gut, Herr,« sagte der Sekretär und rieb sich die Hände, »ein gutes Geschäft für den Aufsichtsrat –«

»Für mich,« erwiderte Herr Lambaire ohne Verlegenheit.

»Ich sagte Aufsichtsrat,« wiederholte der bleiche Sekretär und amüsierte sich über die Schlauheit seines Einfalls.

Lambaire war heute gut gelaunt, und der Sekretär nahm den Vorteil der guten Stimmung wahr.

»Gerade wegen dieses Briefes sind heute allerhand Leute hier gewesen,« sagte er unvermittelt, und Lambaire, der wieder auf seinem Weg nach der Tür war, fuhr hastig herum.

»Was, zum Teufel, meinen Sie, Grene?« fragte er, und alle Jovialität war aus seinem Gesicht verschwunden.

Der Angestellte wich unbehaglich aus; er war bei einem delikaten Thema. Lambaire vertraute ihm bis zu einem gewissen Punkte; daß er um Lambaires Geschäfte wußte, durfte er bekennen – bis zu jenem gewissen Punkt.

»Es ist diese afrikanische Angelegenheit,« sagte der Schreiber.

Lambaire stand an der Tür, den Kopf nachdenklich gesenkt.

»Ich nehme an, Sie haben ihnen gesagt –?«

»Ich erzählte ihnen die gewöhnliche Geschichte – daß unser Inspektor das Besitztum besichtige und daß wir bald von ihm zu hören hofften. Ein einziger – der Schreiber von Buxted – wurde ein bißchen unverschämt, und ich –« er zögerte.

»Ja, und –?«

»Er sagte, er glaube, daß wir selbst nicht wüßten, wo die Diamantgrube wäre.«

Lambaires Lächeln war ein wenig gezwungen.

»Lächerlich,« meinte er ohne allzu große Aufrichtigkeit. »Als ob einer eine Diamantgruben-Gesellschaft gründen könnte, ohne zu wissen, wo das Grundstück liegt – absurd, nicht wahr, Grene?«

»Sehr, Herr,« sagte der Sekretär höflich.

Lambaire stand noch an der Tür.

»Die Karte war in dem Prospekt, die Grube ist gerade an dem Rande – Etruri-Forst – ist das nicht der Name?«

Der Sekretär nickte und beobachtete ihn.

»Der Mann von Buxteds, ah?« Lambaire war beunruhigt, denn Buxteds sind die anrüchigsten und schärfsten Anwälte in London, und sie liebten ihn nicht.

»Wenn Buxteds zu wissen kriegen,« er hielt inne – »was ich meine, ist, daß, wenn Buxteds dächten, sie könnten von mir eine Entschädigung erpressen –«

Er ging weg, in tiefes Nachdenken versunken.

Nichts ist so närrisch, als wenn jemand eine Gesellschaft gründet, durch plausible Anzeigen das Geld des spekulierenden Publikums an sich reißt, und der Beweis für die Existenz dieser Gesellschaft alsdann von ihm nicht erbracht werden kann. Wenn etwas in der Welt zum Betrieb einer Diamantgruben-Gesellschaft notwendig ist, so ist es eine Diamantgrube, und es waren Gründe vorhanden, anzunehmen, daß eine solche in dem Vermögen der Gesellschaft nicht nachzuweisen war. Verdächtig zum Beispiel war, daß Lambaire innerhalb des Spielraums von hundert Meilen nicht wußte, wo das Grundstück gelegen war; der zweite Verdacht – und er war von Wichtigkeit –: Lambaire besaß nicht die geringste Kenntnis darüber, ob er ein Recht habe, über das Grundstück zu verfügen, selbst wenn er gewußt hätte, wo es lag.

Doch Lambaire gehörte nicht zu den Enthusiasten, die es für notwendig hielten, Diamantgruben auf einer soliden Basis zu finanzieren. Sein Optimismus genügte ihm als Basis. Um ganz aufrichtig zu sein, die Great-Forest-Diamantgruben-Gesellschaft wurde zu einer Zeit ins Leben gerufen, als es um seine Vermögensverhältnisse äußerst schlecht bestellt war; trotz der Vielfältigkeit seiner Beteiligungen hatte er solche Perioden finanziellen Tiefstandes durchzumachen. Es darf, wie schon betont, von ihm gesagt werden, daß er solange nicht zur Zuteilung von Aktien schritt, bis er wirklich wußte, daß über die Möglichkeit, die Mine aufzufinden, Zweifel bestanden.

Daß diese Mine ein Luftschloß, ein Phantasiebegriff war, durch nichts bestätigt als durch den Wahnsinn eines sterbenden Menschen, und durch eine Karte, die er nicht besaß und sich auf keine Weise beschaffen konnte, verschwieg er. Er verschwieg es auch in dem überladenen kleinen Prospekt, der an Private verteilt wurde, und zwar durchweg an solche Leute in ganz Britannien, die leicht bereit waren, auf so bequeme Weise ihr Geld anzulegen. Vielmehr gab er an, daß die Mine festgestellt und die Rechte an sie erworben wären. Der Prospekt erwähnte noch ganz unbestimmt »gewisse Schwierigkeiten des Transports, wegen welcher die Gesellschaft noch Rat schaffen müsse«, und am Ende kam ein gelehrter und technischer Bericht des »an Ort und Stelle seßhaften Ingenieurs« (kein Name), der von Edelsteinen und »Schatzgewölben« sprach und die ganze übliche Terminologie solcher Berichte enthielt.

Zwecklos wäre es, die Tatsache zu verschleiern, daß Lambaire ohne jeden Skrupel war. Wenige Menschen sind ganz schlecht, aber wenn man dieses Mannes Lebenslauf überdenkt, ist man zu dem Urteil geneigt, daß der gute Same, den die Natur in ihn gepflanzt hatte, niemals aufgegangen war.

Er war in die kleine Vorhalle des Gebäudes hinabgestiegen und auf die Straße hinausgetreten, als ein Auto vorfuhr und den kleinen Whitey absetzte.

»Ich brauche dich,« pfiff er.

Lambaire runzelte die Stirn.

»Ich habe gar keine Zeit –« fing er an.

»Komm zurück,« nötigte ihn Whitey und packte ihn am Arm, »komm ins Büro zurück; ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen.«

Widerstrebend ging der Dicke wieder zurück.

Herr Sekretär Grene entging mit knapper Not dem Ertapptwerden. Er untersuchte gerade eine Privatschublade seines Prinzipals, als die Tritte der Männer draußen auf den Steinfliesen des Korridors erklangen.

Mit einer Behendigkeit und Gewandtheit, die Lambaire entzückt haben würden, wären diese Talente zu seinem Vorteil anstatt zu seinem Schaden ausgeübt worden, schloß und verschloß der Sekretär die Schublade mit einer einzigen Bewegung, ließ den Schlüssel in seine Tasche gleiten und war emsig mit dem Lesen seiner Notizen beschäftigt, als die beiden eintraten.

»Sie können gehen, Grene,« sagte Lambaire. »Ich habe mit Herrn Whitey ein kleines Geschäft abzuwickeln – nehmen Sie Ihren Lunch und kommen Sie in einer halben Stunde zurück.«

Als sich die Tür hinter dem Sekretär geschlossen hatte, wandte sich Lambaire an seinen Begleiter.

»Nun,« fragte er.

Whitey hatte sich den bequemsten Sessel im Zimmer ausgesucht und seine elegant bekleideten Beine übereinander geschlagen. Er hatte die gefällige Art eines Menschen, der im Bewußtsein seiner geistigen Überlegenheit sich als Herr der Situation fühlt.

»Wenn du aufgehört hast, wie ein grinsender Esel auszusehen, so sagst du mir vielleicht endlich, warum du mich meinen Lunch hast aufschieben lassen,« murrte Lambaire mißfällig.

Whitey brachte seine Beine in die natürliche Lage und setzte sich aufrecht hin.

»Es ist eine Neuigkeit, Lambaire!« Seine erhobene Hand betonte nachdrücklich die Wichtigkeit der Mitteilung, die er zu machen hatte.

»Es ist eine Idee und Neuigkeit zugleich,« sagte er. »Ich habe die Suttons gesehen.«

Lambaire nickte. Die Kühnheit Whiteys war eine beständige Überraschung für ihn, aber es war des Dicken Eigenart, diese Überraschung niemals zu verraten.

Whitey war sichtlich enttäuscht, daß seine große Neuigkeit so lau aufgenommen wurde.

»Du hältst solch einen Glücksfall für die selbstverständlichste Sache von der Welt,« knurrte er. »Ich habe die Suttons besucht, Lambaire – sie nach dem Vorfall bei den Whistlers besucht; es wollte immerhin unternommen sein.«

»Du bist ein guter Junge, Whitey,« beschwichtigte ihn Lambaire, »ein wundervoller Junge; nun?«

»Nun,« sagte der Kleine in dem Sessel gereizt, »ich sprach mit dem Knaben – er benahm sich sehr mürrisch, sehr mürrisch, Lambaire; anmaßend, wollte mit mir durchaus nicht verhandeln; und seine Schwester – puh!«

Er erhob beide Hände, die Innenflächen nach außen, als er sich die schwierige Zusammenkunft ins Gedächtnis rief.

»Sie behandelte mich wie Eis,« sagte er ernst, »sie war die Kälte selbst; mit ihr sprechen, Lambaire, heißt in der Zugluft sitzen! Br–r!« Ihn fröstelte.

»Nun, was ist's mit dem Knaben?«

Whitey lächelte schlau.

»Aufgeblasen, hochfahrend, geh zum – du weißt wohin – aber vernünftig. Er hatte begriffen, was die Whistler zu bedeuten haben. Eine getretene Katze fangen, ist leichter, als ihn zurück zu gewinnen. Er kehrte den Etonschüler und Oxfordstudenten heraus – ha – ha! Du kennst den Ton. Es täte ihm schrecklich leid, aber die Bekanntschaft wäre besser unterblieben – er hätte einen Fehler gemacht ...; ›aber bitte, lassen wir das Thema fallen; guten Morgen. Dort ist die Treppe!‹«

Whitey konnte nicht besonders nachahmen, er vermittelte nur den Sinn der Unterredung. »Aber er konnte mich nicht abschütteln – ich blieb fest, ich war der Unentwegte auf dem brennenden Deck; er öffnete die Tür, um mich hinauszulassen, und ich bewunderte seine Geranien; er klingelte nach einem Diener, und ich sagte, ich wüßte nicht, daß ich ihn gebeten; er schnaubte und knirschte vor Wut, ging mit den Händen in den Taschen im Zimmer auf und ab; er genierte sich nicht, auszusprechen, was er von mir und was er von dir hielte.«

»Was denkt er von mir?« fragte Lambaire rasch.

»Ich sage es lieber nicht,« sagte Whitey, »ich glaube kaum, daß du davon entzückt wärest. Er glaubt, du seist ein Gentleman – nein! Nimm solche Kinderei nicht übel! Ich setzte mich und disputierte mit ihm. Er sagte, du wärst offenbar ein Verschwender, und zwar einer der schlimmsten Art.«

»Was sagtest du darauf?« fragte Lambaire mit Stirnrunzeln.

»Ich leugnete es,« entgegnete Whitey tugendhaft; »nicht der schlimmsten Art, sagte ich; immerhin endete die Zusammenkunft mit seinem Versprechen, heute nachmittag hierher zu kommen.«

Lambaire ging gedankenvoll im Zimmer umher.

»Wozu ist das nütze?« fragte er.

Whitey erhob die Augen flehend zum Himmel.

»Man höre,« sagte er, als rede er eine unsichtbare Gottheit an. »Man höre. Einen ganzen Morgen lang plage ich mich für ihn, und er will wissen, wozu das nütze ist.« Er stand langsam auf und glättete seinen Hut mit seinem Ärmel.

»Halt,« rief Lambaire, »bleib da, ich will noch viel mehr hören. Nun, was ist er zu tun in der Lage?«

»Sieh her, Lambaire.« Whitey ließ allen Anspruch auf Ehrerbietung und Liebenswürdigkeit fallen und wandte sich knurrend an den andern. »Dieses Kind kann sich in den Besitz der Karte setzen. Diese unsere Diamantgrube muß greifbarer werden, als sie jetzt ist, oder es setzt Verdruß, die Sache wird faul werden, und du weißt es.«

»Und angenommen, er will sie nicht hergeben?«

»Die Frage ist gar nicht, ob er sie hergeben will,« sagte Whitey; »er hat sie gar nicht, seine Schwester hat sie. Er ist seines Vaters Sohn, das mußt du dir ins Gedächtnis rufen. Du kannst wetten, daß irgendwo versteckt in ihm das alte Abenteurerblut rumort; diese Art Erbteile sterben nicht aus. Betrachte mich; mein Vater war ...«

»Laß das Thema,« sagte Lambaire ungeduldig. »Worauf zielst du ab, Whitey? Was geht das dich an, ob er Abenteurerblut, oder Somnambulenblut, oder was weiß ich was für Blut in den Adern hat – er hat die Karte erhalten, die sein Vater gemacht und die bei ihm gefunden wurde, als er starb, und die von irgend so einem Narren von Regierungsamtmann der Tochter gesandt wurde – ha? Das ist es, was wir brauchen!«

Er stand mit einem Ruck auf, versenkte seine Hände in seinen Hosentaschen und streckte seinen Kopf weit nach vorn, eine Angewohnheit, die seine Erregung verriet.

Obgleich Whitey zweifellos Lambaires Botenläufer, Mann für alles, und wirtschaftlich von ihm abhängig war, war doch leicht zu erkennen, daß Lambaire in Furcht vor Whitey lebte, und daß es Augenblicke gab, in denen Whitey die Oberhand hatte und nicht leicht ignoriert werden konnte. Eben in diesem Augenblick war er derjenige, der einschüchterte, der unterjochte, der den Verlauf der Dinge nach seinem Willen leitete. Mit seiner hohen, dünnen Stimme, der Heftigkeit, mit der er zischte und polterte, war er ein wenig boshaft und konnte quälen. Er besaß ein merkwürdiges Wörterbuch und seltsame, ungewohnte Redewendungen. Um seine Meinung zu erläutern, nahm er lebhaft, wenn auch sprachwidrig angewandte Wortbilder zu Hilfe. Manchmal waren es unverhüllt Ausdrücke der Gaunersprache, die er in anderen Ländern aufgelesen – Whitey hatte etwas von einem Vielgereisten an sich und Geschmack am Weltbürgertum.

»Du bist ein leuchtendes, rotes Licht, Lambaire,« fuhr er in einem wütenden Wortschwall fort. »Die Leute gehen dir aus dem Weg; das Diamantgeschäft muß auf der Stelle in Ordnung gebracht werden. Laß die Leute dahinterkommen, und sie werden nicht zufrieden sein, wenn sie entdecken, daß die Grube minus ist; und sie werden Aufschluß haben wollen über das Silbergeschäft und das Druckereigeschäft, und sie werden sich zwei und zwei zusammentun – siehst du das ein? Du warst ein Narr, jemals den Diamantplan getakelt zu haben. Es war der einzige rechtschaffene Handel, auf den du dich jemals eingelassen, aber du bist nicht rechtschaffen zu Werke gegangen. Wenn es der Fall gewesen, so hättest du Sutton lebendig zurückgebracht; aber nein, du mußtest einen komischen Kompaß haben, so daß er die Grube finden konnte und eine Wegkarte machen, doch nur du konntest sie finden! Oh, du bist ein superkluger Narr, aber du hast den Bogen überspannt!«

Er wurde etwas ruhiger.

»Nun gib acht,« fuhr er fort, »der junge Sutton kommt heute hierher, und da hast du liebenswürdig zu sein; du hast ehrlich zu sein; du mußt ihm entgegenkommen; du mußt von deinem Sitz aufspringen und sagen: ›Ah, sieh da, Sutton, alter Freund, laß uns alle unsere Karten auf dem Tisch ausbreiten –‹«

»Ich will zur Hölle fahren, wenn ich es tue,« fuhr ihn Lambaire an; »bist du verrückt, Whitey? Was denkst du, ich soll –«

»Alle Karten auf den Tisch,« wiederholte Whitey langsam und schlug bei jedem Wort mit den Fingerknöcheln auf den Tisch, »deine eigenen Karten, Lambaire; du mußt sagen: ›Sieh her, mein Sohn, wir wollen uns verständigen; die Sache ist die, usw. usw.‹«

Welche »usw. usw.« das waren, setzte Whitey in fünf Minuten hitzig und lärmend auseinander.

Am Ende dieser fünf Minuten erschien Grene auf der Bildfläche, und die Unterhaltung kam zu einem plötzlichen Abbruch.

»Um drei Uhr,« sagte Whitey unten an der Treppe, »spiel deine Karten gut aus, und du reißt dich aus einer schmutzigen Geschichte heraus.«

Lambaire grunzte eine ungnädige Antwort, und sie trennten sich.

Es war ein anderer Whitey, der zur festgesetzten Stunde erschien. Ein höflicher, ehrerbietiger, stiller Mensch, der einen Jüngling nach dem Büro von J. Lambaire führte.

Francis Sutton war ein hübscher Junge, obgleich das saure Gesicht, das er für nötig hielt, bei der Gelegenheit zur Schau zu tragen, ihn entstellte.

Er fühlte sich bedrückt, denn er hatte das unbehagliche Gefühl, daß er überlistet und zum Narren gehalten und im allgemeinen schlecht behandelt worden sei.

Es war ihm klar gemacht worden, daß, wenn dieser Allerweltsmann Lambaire eine Vorliebe für seine Gesellschaft gezeigt, ihn zum Mittagessen eingeladen und ihn mehr als einmal zu den Whistlers mitgenommen hatte, es nicht deshalb geschehen sei, weil der »Finanzier« plötzlich Gefallen an ihm gefunden – auch nicht, weil Lambaire seinen Vater in etwas fernen Zeiten gekannt hätte – sondern deshalb, weil Lambaire etwas von ihm haben wollte.

Auf welche Weise ihm das beigebracht worden war, braucht nicht erörtert zu werden. Mag sein, daß die liebste, süßeste, zärtlichste Frau, die bei all ihrer Feenhaftigkeit doch ein Mensch ist, in privaten Augenblicken menschlich genug war, um in hinreichend überzeugender Sprache einen törichten jungen Mann zur Vernunft zu bringen.

Mit mißmutigem Gesicht betrat er Lambaires Privatbüro. Lambaire saß an seinem großen Schreibtisch, auf dem Geschäftsbücher und Briefschaften sich stark angehäuft hatten. Auf dem Tisch lag ein dickes Kontobuch vor ihm aufgeschlagen, zu beiden Seiten Haufen von geschichteten Briefen, und sein Sekretär saß mit offenem Notizbuch neben ihm.

Ein imponierendes Scheckbuch lag auffällig dort, und Lambaire war in der Tat sehr beschäftigt, als Whitey seinen Schützling in diesem Bienenstock von Betriebsamkeit anmeldete.

»Ah, Herr Sutton!« sagte er und erwiderte das kurze Nicken Suttons mit einem heiteren Lächeln. »Es freut mich, Sie zu sehen. White, mach es Herrn Sutton bequem – ich habe noch ein oder zwei Dinge zu erledigen.«

»Vielleicht,« sagte der junge Mann etwas erleichtert, »wenn ich ein wenig später käme –«

»Durchaus nicht, durchaus nicht.«

Lambaire verscheuchte den Verdacht, daß er zu sehr beschäftigt sei, um sich ihm sogleich widmen zu können, mit einer bezeichnenden Handbewegung.

»Nur einen Augenblick,« entschuldigte er sich, »nehmen Sie, bitte, Platz. Grene, sind Sie bereit?«

»Ja, Herr.«

»Sehr geehrter Herr,« diktierte Lambaire, und lehnte sich in seinem Polstersessel zurück, »wir übersenden Ihnen hiermit einen Scheck über viertausendsechshundertundfünfundzwanzig Pfund sieben Schilling vier Pence zum Ausgleich der halbjährigen Dividende. Punkt. Wir bedauern, daß wir Ihnen gar keine Aktien bei unserer neuen Ausgabe zuteilen können; das Unternehmen war zwanzigmal überzeichnet. Hochachtungsvoll, usw. Haben Sie das?«

»Ja, Herr,« sagte der unbewegliche Grene.

›War es möglich, daß dies der Abenteurer war, den ihm seine Schwester geschildert hatte?‹ dachte der junge Mann. Sollte sich dieser Mann herabgelassen haben, ihn für eine Spielhölle zu ködern, um seine paar Hunderter zu gewinnen!

»Sende Cautts einen Scheck – wie hoch?« sagte Lambaire.

»Etwa sechstausend,« erwiderte Grene aufs Geratewohl.

»Und bezahl' diese kleine Rechnung für mich bei Fells – so etwa vierhundert – diese elenden kleinen Weinrechnungen steigen.«

Der letzte Teil des Satzes war an Sutton gerichtet, der sich dabei entdeckte, daß er teilnehmend lächelte. Was Whitey betrifft, so war er ein einziges gütiges Grinsen.

»Nun, denke ich, ist alles erledigt,« und Lambaire kramte in den Papieren umher. »Oh, hier ist noch ein Brief Von S–.« Was er in der Hand hielt, war aber in Wirklichkeit eine dringende Aufforderung, die Weinrechnung endlich zu bezahlen, auf die er Grene gegenüber Bezug genommen hatte.

»Sag ihm, es täte mir leid, daß ich nicht mit ihm nach Cowes gehen könnte – ich hasse fremde Jachten, und unglücklicherweise« – er wandte sich an den jungen Mann mit einem beteuernden Lächeln – »kann ich mir nicht mehr, wie vor einigen Jahren, eine eigene Jacht leisten. Nun ...« Er warf sich auf seinem Sitz herum, als sich die Tür hinter Grene geschlossen hatte.

»Nun, Herr Sutton, ich möchte aufrichtig mit Ihnen sprechen; Sie nehmen es nicht übel, daß Whitey anwesend ist, nicht wahr? Er ist in den meisten Angelegenheiten mein Vertrauter.«

»Ich nehme niemandes Anwesenheit übel auf,« sagte der Jüngling, obgleich ihm offenbar unbehaglich zumute war, weil er nicht genau wußte, welchen Zweck die Unterredung verfolgen sollte.

Lambaire spielte mit einem Zelluloidlineal, ehe er anfing.

»Herr Sutton,« sagte er langsam, »ich glaube, Sie waren auf der Schule, als Ihr Vater nach West-Afrika ging?«

»Ich stellte mich in Oxford zum Examen,« sagte der Jüngling rasch.

Lambaire nickte.

»Sie wissen, daß ich die Expedition ausrüstete, die ein so unglückliches Ende nahm?«

»Ich hörte davon, Sie hätten irgend etwas mit ihr zu tun.«

»Ich hatte,« sagte Lambaire; »es kostete mich – jedoch, das hat mit der Sache nichts zu tun. Nun, Herr Sutton, ich will offen zu Ihnen sein. Sie stehen unter dem Eindruck, ich hätte Ihre Bekanntschaft gesucht, weil ich einen anderweitigen Zweck verfolgte. Sie brauchen es nicht zu leugnen; es gab mir ein – einen –«

»Stoß,« sagte der schweigsame Whitey plötzlich.

»Es gab mir das, was Herr Whitey einen ›Stoß‹ nennt. Ich kenne die menschliche Natur sehr genau, Herr Sutton; und wenn ein Mensch schlecht von mir denkt, so wittere ich dies instinktiv.«

Es muß hierzu erwähnt werden, daß diese Wahrnehmung des Herrn Lambaire weniger auf seiner eigenen Beobachtung beruhte, als auf Informationen, die Whitey imstande gewesen war ihm zu verschaffen.

»Herr Sutton, ich will nicht leugnen, daß ich einen anderweitigen Zweck verfolgte, als ich Ihre Gesellschaft suchte.«

Lambaire beugte sich vor, die Hände auf den Knien, und war sehr ernst. »Als Ihr Vater –«

»Armer Vater,« murmelte Whitey.

»Als Ihr armer Vater starb, wurde eine Karte, die den Reiseweg, den er eingeschlagen, zeigt, an Sie ober vielmehr an Ihre Schwester, da sie die ältere war, geschickt. Vergangenes Jahr hörte ich durch Zufall von der Existenz dieser Karte, und ich schrieb deswegen an Ihre Schwester.«

»Wie ich es verstehe, Herr Lambaire,« sagte Sutton, »so machten Sie keinen Versuch, uns nach dem Tode meines Vaters aufzusuchen; obgleich Sie in keiner Hinsicht für sein Schicksal verantwortlich waren, fühlte meine Schwester, daß Sie sich hätten darum kümmern müssen, zu erfahren, wie es mit der Versorgung derjenigen bestellt war, die durch die Expedition Waisen geworden waren.«

Dieser schlanke Jüngling mit seinem scharfgeschnittenen, weibischen Gesicht hatte einen Mund, der etwas schlaff herabhing. Er sprach jetzt mit einer Sicherheit, als ob er seit Jahren mit allen Tatsachen bekannt sei, über die er sprach. Und doch hatte er bis zu dem Morgen, an dem ihm seine Schwester so gründliche Aufklärung über den Charakter dieses von ihr mit Argwohn verfolgten Menschen gegeben, nichts von den näheren Umständen gewußt, die seines Vaters Tod herbeigeführt hatten.

So lange er sprach, schüttelte Lambaire wie in melancholischer Abwehr gegen die Ungerechtigkeit langsam seinen Kopf.

»Nein, nein, nein,« sagte er, als der andere zu Ende war, »Sie haben Unrecht, Herr Sutton, ich war damals krank; ich wußte, daß Sie alle in guten Verhältnissen lebten –«

»Ahem!« hustete Whitey, und Lambaire begriff, daß er einen Fehler gemacht hatte.

»So weit davon entfernt – jedoch, das ist unwichtig; erst letztes Jahr erbten wir durch den Tod eines Onkels – aber ob reich oder arm, das ist nicht die Frage.«

»In der Tat,« sagte Lambaire herzlich. Er wünschte sehnlich, sich von dem Boden zu entfernen, der ihm so fühlbar heiß unter den Füßen wurde. »Ich möchte mit dem, was ich zu sagen habe, zu Ende kommen. Ihre Schwester verweigerte uns die Karte, nun gut, wir streiten nicht mit ihr, wir wollen auch nicht gerichtlich vorgehen, wir sagen: ›gut – wir wollen die Sache aufgeben‹, obgleich« – er bewegte seinen Finger feierlich vor dem jungen Menschen – »obgleich es für mich eine sehr ernste Angelegenheit ist, da ich gegründet habe –«

»Da du gründen wolltest,« sagte Whitey leise.

»Ich wollte sagen, da ich vermöge der Karte eine Gesellschaft gründen wollte; dennoch sage ich, wenn die junge Dame so denkt, dann tut es mir leid – ich wollte ihr nicht lästig fallen; da kommt mir ein Gedanke!« Er hielt dramatisch inne. »Ein Gedanke kommt mir – die Grube, die Ihr Vater suchen ging, ist noch nicht entdeckt; sogar mit Ihrer Karte, der ich, nebenbei gesagt, keine große Wichtigkeit beimesse –«

»Sie ist praktisch nur für den Eigentümer von Wert,« unterbrach Whitey.

»Anderen Wert hat sie nicht,« gab Lambaire zu; »selbst mit der Karte in der Hand würde man meine Grube nicht finden, wenn man sich aufmachte, sie zu suchen. Was erforderlich ist – ist –«

»Der Forschergeist,« warf Whitey ein.

»Der Forschergeist, der angeboren sein und demjenigen, der sich aufmacht, die Grube zu suchen, im Blute liegen muß. Herr Sutton,« Lambaire stand schwerfällig auf, denn er war ein starker Mensch, »wenn ich sagte, ich hätte aus anderen Gründen Fühlung mit Ihnen nehmen wollen, so sprach ich die Wahrheit. Ich wollte sehen, ob Sie der Mann wären, Ihres Vaters Werk fortzusetzen – Herr Sutton, Sie sind es!«

Er sagte es wirkungsvoll, dramatisch, und der Jüngling errötete vor Freude.

Er müßte kein Mensch gewesen sein, wenn nicht die Aussicht auf eine Forschungsreise, wie sie Lambaires Worte eröffneten, ihn gepackt hätte. Körperlich und geistig hatte er keine Ähnlichkeit mit Sutton, dem Forscher, dem Mann der vielen Expeditionen, aber in seiner Veranlagung hatte er etwas von dem unendlichen Wissensdrang seines Vaters, dem Wissensdrang, der allen derartigen kühnen Unternehmungen zugrunde liegt.

In diesem Augenblick waren alle Warnungen seiner Schwester verpufft, vergessen. Das Bild, das sie von jenem Manne entworfen, war seinem Gedächtnis entschwunden, und das, was er in Lambaire jetzt sah, war der Wohltäter, der Schutzherr, der weitdenkende Geschäftsmann. Er sah die Dinge klarer (so sagte er sich) ohne Vorurteil (so konnte er seiner Schwester sagen); diese Dinge mußten gerecht und mit Gelassenheit beurteilt werden. Die Vergangenheit mit den Entbehrungen, die er dank der fast mütterlichen Fürsorge und Selbstaufopferung seiner Schwester weder gekannt noch empfunden hatte, war mit einem Schlage vergessen.

»Ich – ich weiß kaum, was ich dazu sagen soll,« stotterte er; »natürlich würde ich gern das Werk meines Vaters fortführen, schrecklich gern – ich war immer auf derlei Dinge erpicht, auf Forschungsabenteuer und was damit zusammenhängt ...«

Die Aussicht, die ihm so unerwartet eröffnet worden war, versetzte ihm den Atem. Als Lambaire alsdann seine große weiße Hand ausstreckte, ergriff und schüttelte er sie dankbar – er, der mit dem festen Entschluß hergekommen war, der Bekanntschaft ein für allemal ein Ende zu machen.

»Er ist wie Butter,« sagte Whitey nachher; »halt ihn von dem ›Eis‹ fern, und du bist seiner todsicher ... Das ›Eis‹, das ist die Schwierigkeit.«

Er schüttelte zweifelnd den Kopf.


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