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Zehntes Kapitel.
Ein gewiegter Agent

Es waren prächtige Räume, die der Agent Lorenz in einer der Hauptstraßen L's. bewohnte.

Wenige Wochen nur war er am Platz und schon sprach man in der ganzen Stadt, in der es wahrlich nicht an großartigen Häusern fehlte, von dem Luxus und der Pracht, mit welcher Lorenz seine Geschäfts- und Wohnräume ausgestaltet hatte.

Ob er ein dem entsprechendes Vermögen besaß? Wer konnte es behaupten? Jedenfalls aber verstand er seine Zeit, wußte, daß der äußere Glanz in den Augen der meisten Menschen, wenn auch mit Unrecht, den Ruf der Solidität begründet.

Zudem war Lorenz von gewinnender, fast bestrickender Erscheinung und feinen gesellschaftlichen Manieren, verfügte auch über außergewöhnliche Kenntnisse; und da konnte es nicht ausbleiben, daß er schnell einer – der gesuchtesten Agenten wurde.

Der Agent oder auch Makler nimmt an jedem großen Handelsplätze eine hervorragende Stellung ein; er knüpft die Verbindung mit fremden Häusern an, er erhält dieselbe und weiß auch wohl durch geschickte Manipulationen zeitig zu entdecken, wenn irgend ein Haus nicht mehr sicher ist, um so seinen Auftraggeber vor schweren Verlusten zu bewahren. Bezieht er auch nur einen Prozentsatz für die durch seine Vermittlung abgesehen Waren, so läuft derselbe doch in die Tausende, und mancher Agent oder Makler einer großen Handelsstadt führt einen Hausstand, um den ihn ein Duodezfürst beneiden könnte.

Einen solchen Aufwand machte Lorenz; doch war er dazu berechtigt. Namentlich seine überseeischen Verbindungen mußten ganz bedeutend sein, denn obgleich er, wie bereits erwähnt, erst in L. wenige Wochen domicilierte, beschäftigte er schon ein zahlreiches Comptoirpersonal, sodaß die übrigen Makler befürchteten, der neue Konkurrent würde ihnen bald gefährlich werden.

Er schien aber auch ein sehr fleißiger Kaufmann zu sein; denn noch nie war ihm bisher jemand in einer Ressource oder anderen Gesellschaft begegnet; wohl aber hieß es. daß er häufig abends, nach Schluß der Geschäftsstunde, noch Besuch empfing, mit dem er bis tief in die Nacht hinein konferierte.

Ob er einen Teilhaber hatte, wußte man nicht; man vermutete indessen, daß eine Teilhaberin an dem Geschäft participierte, eine, tote es schien, sehr vornehme und reiche, ältliche Dame, welche ihn häufig besuchte und sich dann bis tief in die Nacht hinein bei ihm aufzuhalten pflegte; worauf der Portier ihr das Haus öffnete und sie zu ihrem Wagen geleitete, der trotz der späten Stunde ihrer harrte.

In L. war die Dame nicht zu Hause; sie kam vielmehr von außerhalb. Dafür sprach eine kleine, elegante Reisetasche, die sie stets mit sich zu führen pflegte. Sie mußte wohl eine Verwandte von Lorenz sein, denn sie redete ihn beim Vornamen und mit »Du« an, eine Vertraulichkeit, die dieser in Rücksicht auf ihr Alter und vielleicht auch auf die von ihr abhängige Stellung nicht erwiderte.

Auch heute hatte das Personal das Comptoir längst verlassen, als sich Lorenz mit der vornehmen, alten Dame, welche ihn, wie häufig, erst in vorgerückter Abendstunde aufgesucht hatte, noch allein in seinem Privatkabinet befand.

Sie war erst vor wenigen Minuten angelangt und hatte sich's bequem gemacht. Mit der Behaglichkeit eines Menschen, der sich in seinem eigenen Heim befindet, legte sie die kostbare Mantille, Hut und Handschuhe ab und ließ sich in einem der prächtigen Fauteuils nieder, die neben Sofa und Schrank das einzige Meublement des Kabinets bildeten.

Lorenz mußte wohl nur äußerlich die erwähnte Ehrerbietung ihr gegenüber zur Schau tragen, die Verwandtschaft auch eine sehr nahe sein; wenigstens sprach das cordiale Benehmen, mit dem er der Dame begegnete, unzweideutig für diese Annahme.

Die Dame war vielleicht eine reiche, nimmermehr aber eine vornehme Frau; dafür sprachen ihre Gesichtszüge, die direkt einen niedrigen, abstoßenden Eindruck machten.

»Nun, Franz, da bin ich wieder.« begann sie, nachdem sie sich durch ein Glas Wein und einige Biscuits gestärkt hatte und während der kurzen Zeit, die dazu erforderlich, die üblichen landläufigen Begrüßungsformeln erledigt waren. »Ich habe seit drei Tagen nichts von mir hören lassen –«

»Freilich, Alte,« unterbrach Lorenz, »seit drei Tagen, während ich hier wie auf Kohlen sitze. Du weißt doch, daß alles auf dem Spiele steht, und daß es mir auf ein ordentliches Stück Geld nicht ankommt.

Ich glaube doch wohl,« fügte er lächelnd hinzu, »ich werde mich nach einer anderen Agentin umsehen müssen; denn Du fängst an, alt und nachlässig zu werden.«

»Oho, Söhnchen,« erwiderte die Alte, ihm einen drohenden Blick aus ihren listigen Augen zuwerfend, »so haben wir nicht gewettet!

Vergiß doch nicht, daß Du, im Grunde genommen, mir alles verdankst; denn hätte ich damals nicht reinen Mund gehalten –«

»Ja, ja, Mutter Wagner, Du hast an mir wie an einem Sohn gehandelt; freilich mußte ich Dir Deine Uneigennützigkeit auch mit einer hübschen Summe bezahlen.«

»Lange noch nicht so viel, wie mir später von der Polizei geboten wurde dafür, daß ich Deinen Sommeraufenthalt verrate. Ich that das aber nicht, mein Junge, weil ich wußte, daß man sich auch in Amerika nicht gern von lieben Freunden stören läßt, wenn man sich einmal so recht nach Herzenslust erholen will. Und die Polizei in Amerika besteht auch aus zudringlichen Menschen, die einem den ganzen Aufenthalt verleiden können. Nicht, mein Junge?«

»Hast Recht, Du bist und bleibst eine Goldperle. Doch nun zu unserm Geschäft.

Sage mir, wie weit Du gediehen; denn so kann ich mich auf die Dauer nicht länger halten; muß ich doch befürchten, daß mich der erste Bekannte, der sich hierher nach L. verirrt, erkennt und dann wäre es mit der ganzen Herrlichkeit vorbei.«

»Das ist eine unnütze Besorgnis,« erwiderte die Alte im Tone vollster Ueberzeugung. »Damals, mein Junge warst Du bleich und trugst einen Vollbart, der Deinem ganzen Gesicht einen andern, männlichen Ausdruck verlieh. Ich als alte Frau kann es Dir ja sagen, ohne daß ich fürchten muß, daß es unserer Liebe Abbruch thut. Wer würde in dem gebräunten, glatten Gesicht auch nur eine Spur von Aehnlichkeit entdecken? Dazu kommt der immer noch fremde Dialekt. Du darfst also ganz unbesorgt sein.«

»Das war doch wenigstens noch ein Wort, Alte,« rief Lorenz lachend, »ein Wort, das mir Erleichterung schafft; denn es wäre doch eine verdammte Geschichte, nachdem ich alles gewagt habe, schließlich wie eine Maus in der Falle zu sitzen.«

»Freilich wäre es das, und glaube mir, ich wünsche es Dir nicht, denn ich würde ja die Stütze für meine alten Tage verlieren,«

»Ha, ha,« lachte Lorenz, »spiele mir doch nicht solche Komödie vor! Du hast in Deinem Leben so viel zusammengescharrt, daß zehn alte Hexen bequem damit auskommen könnten. Ich will es Dir auch nicht mißgönnen, denn trotzdem bin ich großmütig genug. Dein Vermögen noch um dreißigtausend Mark, hörst Du, Alte, um dreißigtausend Mark zu vermehren, die Du sofort erhältst, wenn ich die Papiere in Händen habe.«

»Sollst sie ja bekommen, mein Goldsohn,« rief die Alte, deren Augen bei Nennung der Summe gierig funkelten; »sollst sie bekommen, mein Goldsohn; aber bedenke doch, daß es mir viel Schwierigkeiten bereitet, diese dummen Kerle, die alle so verdammt vorsichtig sind, breit zu schlagen. Da sind der Küster, der Schulze und noch der und jener zu gewinnen und wenn die erst spüren, daß viel von einem Geschäft abhängt, dann saugen sie wie Blutegel, umsomehr, da ihnen auf solchem Nest nur selten Gelegenheit geboten wird, ein gut Geschäft zu machen. Beim nächsten Mal aber denke ich die Sache in Ordnung zu bringen und wenn ich wiederkomme, bist Du aus aller Gefahr befreit. Doch eins, mein Goldjunge,« fügte sie berechnend hinzu, »muß ich Dir noch sagen, auf die Gefahr hin, daß Du mich für selbstsüchtig hältst. Mit dreißigtausend Mark wird sich das Geschäft wohl nicht machen lassen; es kostet mich beinahe selbst so viel und etwas muß ich doch für meine Arbeit, die nicht ganz ungefährlich ist, auch haben.«

»Haha, dreißigtausend Mark, Alte! Wem willst Du denn weiß machen, daß Du so viel Unkosten hast? Und die Arbeit? Was ist's denn weiter, als daß Du ein paar Mal nach dem Nest fährst, eine Motion, die Deinen alten, mürben Knochen nur von Vorteil sein kann. Doch es soll mir einmal nicht darauf ankommen; Du weißt ja, bei mir gilt der Spruch: Leben und leben lassen. Ich will Dir noch weitere zehntausend Mark zulegen. Doch merke Dir, Alte, mehr wende ich nicht daran, selbst auf die Gefahr hin, daß es mit unserer Freundschaft zu Ende ist.«

»Ei, ei, mein Goldsöhnchen,« erwiderte die Alte, listig blinzelnd, »Du schlägst ja einen recht »hohen Ton an: aber ich glaube Dir nicht, denn ich weiß zu gut, daß Du die Freundschaft der alten Mutter Wagner nicht entbehren kannst. Aber damit Du siehst, daß ich auch Deine Freundschaft zu schätzen weiß, will ich mit vierzigtausend Mark zufrieden sein, obgleich es mich beinahe ebensoviel kostet.«

»Ja, ich weiß längst, daß Du das uneigennützigste Geschöpf von der Welt bist.

Nun aber eile Dich und bringe die Sache in Ordnung: denn lange kann ich mich hier nicht mehr halten, ohne daß meine Legitimationen bis aufs Tippelchen stimmen. Bedenke auch, daß, wenn es dem naseweisen Volk einfallen würde sich näher nach meinen Verhältnissen zu erkundigen, dann auch die vierzigtausend Mark für Dich verloren sind.«

»Werd's bedenken, Goldsöhnchen, werd's bedenken,« gab die Alte zurück. »Doch nun sage mir, wie weit bist Du denn mit dem Zuckerpüppchen gekommen? Weißt ja, ich nehme an allem, was Dich betrifft, immer warmen Anteil. Uebrigens,« fügte sie gleich darauf hinzu, »hättest Du die Geschichte doch nicht anfangen sollen, mein Goldsöhnchen. Ein Hausstand macht immer große Kosten, namentlich wenn die Hausfrau eine so verzogene Prinzessin ist; und dann, wie leicht sieht so'n Weibchen auf Dinge, die sie eigentlich nicht sehen soll und dann giebt es. Du verstehst wohl, später Vorwürfe.«

»Das laß meine Sorge sein. Alte,« erwiderte Lorenz fast abweisend; »Du weißt wohl, ich gehöre nicht zu denen, die jeder Schürze nachlaufen; aber sie ist so schön, daß ich vom ersten Augenblick empfand, daß ich nicht ohne ihren Besitz leben kann. Doch von Schönheit verstehst Du ja so viel, wie der Blinde von Farben; an Dir selbst hast Du schwerlich in dieser Beziehung je Studien gemacht.

Aber das wirst Du begreifen, daß durch diese Ehe – doch brechen wir ab; denn es ist Zeit, daß Du wieder fortkommst, wenn Du den Zug nicht versäumen willst. Ich muß es Dir sagen, so leid es mir thut, Deine liebe Gesellschaft auch nur eine Minute zu entbehren.«

Ein spöttisches Lächeln glitt bei diesen Worten über seine imponierend schönen Züge.

»Fällt mir auch schwer,« erwiderte die Alte, »denn Du weißt ja, daß Du mir ans Herz gewachsen bist.«

Mit diesen Worten legte sie Hut und Mantille an und machte sich fertig zum Gehen.

Noch einmal drückten sich beide, an Alter und Erscheinung so grundverschiedene Personen, verständnisinnig die Hände. Dann verließ Mutter Wagner das Zimmer.

Der Agent Lorenz befand sich allein.

»Ja, ich liebe das hübsche Mädchen über alles,« sprach er für sich, »wie oft spottete ich nicht über jenes Gefühl, das mir, bis ich sie erblickte, vollständig fremd war.

Jetzt sehe ich ein, daß die Liebe keine Schranken kennt; daß sie selbst Grauen und Schrecken überwinden macht. Gewiß, es ist gewagt; doch wer nicht wagt, gewinnt nicht« Und wenn ich gewinne, dann bin ich auch für alle Zeit geborgen.« …


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