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Siebentes Kapitel.
Verhaftet

Reinhold hatte eben das Comptoir verlassen, in dem er bereits vor wenigen Tagen eine neue Stellung angetreten. Zwei Jahre fast war er stellungslos gewesen; denn trotz der größten Anstrengungen wollte es ihm nicht glücken, in einem anständigen Hause Unterkommen zu finden.

Freilich fehlt es in großen Handelsplätzen nicht an bedeutenden kaufmännischen Häusern; aber für Reinhold hielt es schwer, eine Stellung zu erlangen, weil es bekannt war, daß er durch eine mehr als undiskrete Handlung des Vertrauens seines früheren Chefs verlustig gegangen war.

Dennoch war Reinhold keineswegs ein so verworfener Mensch, wie man seiner Handlungsweise nach annehmen konnte. Erst in dem Augenblick, als er sich von seinem Wohlthäter um das Liebste betrogen glaubte, als er durch das ruhige Ablehnen einer Bitte, von deren Erfüllung, wie er wähnte, sein Lebensglück abhing, sich schwer gekränkt sah, erwachte in ihm jene unselige Sucht nach Rache, die für wenige Minuten alle edleren Gefühle erstickte. Sie veranlaßte ihn, jene niedere Drohung auszustoßen und so seine eigene Existenz zu vernichten.

Tagelang noch tobte in ihm der Zorn über die erfahrene Beschimpfung. Da geschah es denn, daß er in blinder Wut, seiner selbst nicht mächtig, Aeußerungen that, die geeignet waren, das Renommee der Firma seines einstigen Wohltäthers zu schädigen.

Aber schon nach wenigen Tagen kam er zur Besinnung; mit tiefer Scham erkannte er das Verwerfliche seines Beginnens und klagte sich an, sich selbst die Möglichkeit geraubt zu haben, jemals wieder Ella vor Augen zu treten.

Sie liebte ihn nicht, das hatte sie ihm unzweideutig erklärt. Der Gedanke, von dem schönen Mädchen nicht geliebt zu werden, erfüllte ihn mit Schmerz; das Bewußtsein jedoch, daß sie ihn nun verachten mußte, trieb ihn fast zur Raserei.

Zu alledem gesellten sich auch bald Nahrungssorgen; und so fühlte sich Reinhold namenlos unglücklich, um so unglücklicher, da er das Bewußtsein der Schuld in sich trug.

Außerdem begegnete man ihm in L. oft mit verletzender Kälte, verschlossen sich ihm Gesellschaftskreise, in denen er noch bis vor kurzem gern gesehen war.

So sah er sich denn veranlaßt, seiner Vaterstadt den Rücken zu kehren; er nahm in benachbarten kleinen Städten zu verschiedenen Malen vorübergehend Stellungen ein, die allerdings weder seinen Ansprüchen noch seiner Thatkraft zu genügen vermochten.

Endlich schien sich ihm ein geeigneter Posten in einem großen Handlungshause in Liverpool zu bieten. Eine dortige bedeutende Firma suchte mehrere Comptoiristen unter glänzenden Bedingungen, und da sie lange Jahre mit Jansen & Sohn in Verbindung gestanden, war Reinhold wohl berechtigt, anzunehmen, daß der Ausweis über seine letzte Stellung im Hause Jansen & Sohn genügen werde, ihm vor vielen Bewerbern den Vorzug zu verschaffen.

Er hatte sich getäuscht; sein Name allein schien ihm die Thür des Hauses zu verschließen. Kalt und förmlich wurde er abgewiesen, und die geringen Mittel, die er besaß, reichten gerade noch aus, das Passagiergeld für die Rückfahrt zu erlegen.

Der Postdampfer, mit dem er gekommen, ging erst wieder nach drei Tagen in See; und so kam es denn, daß er auf dem Ostindienfahrer die Reise nach L. antrat.

Hier traf er nach Verlauf von zwei Jahren mit seinem ehemaligen Chef zusammen. Er hilflos, aller Mittel beraubt und voll Reue über seine unbesonnene That; sein Chef im Besitz eines ungeheuern Vermögens und voll noch des Hasses über den Undank, den er von Reinhold erfahren hatte.

So sahen sich beide, – vielleicht zum letzten Male? – –

Reinhold hatte das Comptoir des Rheders Bernard, bei dem er seit wenigen Tagen Stellung gefunden hatte, verlassen und schlenderte durch die belebten Straßen. Er war von seinem Chef beauftragt, mehrere Matrosen zur Bemannung anzuwerben und da diese Angelegenheit erst während den späten Abendstunden am besten in den Trinkstuben am Hafen erledigt werden konnte, blieben ihm bis dahin noch zwei Stunden freie Zeit, die er dazu benutzte, einen Spaziergang zu unternehmen, um sich an dem Treiben in seiner Vaterstadt zu werden. Er schritt ruhig seines Weges dahin, ohne Ahnung davon, daß er beobachtet wurde.

In geringer Entfernung nur folgte ihm ein Herr, welcher ebenfalls keine weitere Beschäftigung zu haben schien, als die Zeit zu töten; auch er schritt planlos durch die Straßen der alten See- und Handelsstadt.

Am sorgfältigsten aber achtete er auf Reinhold. Er folgte ihm durch verschiedene Straßen, hielt im Laufe inne, sobald Reinhold stehen blieb, und setzte seinen Weg fort, wenn dieser ihm dann mit gutem Beispiel voranging.

In jeder anderen Stadt wäre ein solches Benehmen aufgefallen; in L. indessen achtete niemand darauf, denn an Flaneuren, die ziellos die Straßen durchwanderten, fehlte es nicht.

Und wenn auch einer oder der andere der Vorübergehenden Reinhold nachblickte und grüßte, um den Fremden bekümmerte sich kein Mensch; ein um so größeres Interesse aber schien dieser für seine Umgebung an den Tag zu legen.

Endlich nach stundenlangen absichtlichen Umwegen hatte Reinhold sein Ziel erreicht und trat in eine der am Hafen belegenen Wirtschaften ein.

Primitiv genug sah es hier aus. Tische und Bänke aus roh behauenem Holz; in einer Ecke des weiten Zimmers ein Schänktisch; dahinter ein Regal mit Flaschen und Gläsern, die indessen nicht von allzu großer Reinlichkeit der Wirtin Zeugnis ablegten.

Desto bunter und interessanter war die Gesellschaft, die sich in dem mit dichten Tabaksqualm angefüllten Raum befand. Wohl fünfzig Männer und darüber vergnügten sich hier beim Genuß der zweifelhaften Getränke, die in dieser Wirtschaft verabreicht wurden.

Die verschiedensten Nationalitäten fand man darunter vertreten: Engländer, Franzosen, Spanier, Portugiesen. Die gemischte Gesellschaft war auch ganz dazu angethan, das lebhafteste Interesse zu wecken, namentlich für denjenigen, der zum erstenmal die Wirtschaft der Mutter Hansen besuchte.

Tabakkauen, Rauchen und Trinken schien die ausschließliche Beschäftigung der Anwesenden; und wenn sie ja ein Uebriges thaten, so ergingen sie sich in rohen Scherzen und Redensarten, wie sie eben in Matrosenwirtschaften gang und gäbe sind.

Die Gäste der Mutter Hansen thaten sich keinen Zwang an, denn sie waren ja unter sich, und das einzige anwesende Weib, die Wirtin, war gegen die täglich sich wiederholenden Rohheiten längst abgehärtet. Sie machte ein gutes Geschäft, und das war die Hauptsache.

Zwar kamen die Matrosen erst in ihre Wirtschaft, wenn der größte Teil ihrer Löhnung in anderen, größeren Etablissements der Stadt vergeudet war. Aber auch das wenige genügte ihr; halte sie sich doch in wenigen Jahren von dem Verdienst das Grundstück erwerben können, das sie erst nach dem Tode ihres Mannes in Pacht genommen.

Lange mochte sie sich überdies nicht mehr mit dem Geschäft plagen; sie wollte es rüstigeren, jüngeren Händen anvertrauen, denn der Pachtzins reichte aus, ihre bescheidenen Bedürfnisse zu befriedigen. –

Reinhold war eben eingetreten. Mit Kennerblick musterte er, soweit der Tabaksqualm es zuließ, die verschiedenen Gruppen; und fast wie auf ein Signal verstummte bei seinem Eintritt der wüste Lärm.

Die Anwesenden schienen seine Absicht, unter ihnen Musterung zu halten, zu ahnen, denn jeder von ihnen zeigte das Bestreben, in vorteilhaftestem Lichte zu glänzen.

»Bringt mir ein Glas Grog, Mutter Hansen,« rief Reinhold, welcher der Wirtin nicht unbekannt war, »und haltet auch von dem Zeug etwas in Vorrat; denn falls ich das finde, was ich suche, werden, wir heute noch mehr davon brauchen.«

Die Wirtin nickte dem Besteller mit widerlichem, verständnisinnigem Lächeln zu. Sie wußte, daß bei dem Anwerben von Seeleuten in der Regel manches Glas geleert wurde auf Kosten des neuen Rheders und auf eine glückliche Fahrt.

Und so konnte ihr Reinhold nur willkommen sein.

Dieser durchschritt, von der Wirtin gefolgt, welche das verlangte warme Getränk in der Hand hielt, den dichtgefüllten Raum, die verschiedenen Gruppen nochmals, wenn auch nur vorübergehend, musternd.

Er wandte sich fast unwillig ab, denn überall schlugen nur fremde, unverständliche Laute an sein Ohr, und der Chef hatte ihm den Auftrag erteilt, nur Deutsche zu engagieren, weil diese ihm am zuverlässigsten schienen.

Endlich hatte Reinhold gefunden, was er suchte.

An einem Tisch im äußersten Winkel des niederen, rauchgeschwärzten Raumes saßen mehrere Matrosen in eifrigen: Gespräch beisammen.

Reinhold hatte noch kein Wort von ihnen vernommen, war aber trotzdem klar darüber, Landsleute vor sich zu sehen. Dafür sprach am besten der Umstand, daß sie sich von den anderen abschlossen, eine charakteristische Eigenschaft nicht nur der deutschen Seeleute, sondern der Deutschen im allgemeinen, namentlich der Norddeutschen, die in Gesellschaft stets eine gewisse Zugeknöpftheit zur Schau tragen.

»Stellen Sie mir mein Glas hierher und bringen Sie auch gleich noch für jeden dieser Theerjacken eins!« rief er lächelnd, auf die Matrosen deutend. »Nicht wahr, Freunde, Ihr trinkt doch mit mir ein Glas auf einen guten Rheder und eine glückliche Fahrt?«

»Will ich doch gleich an der äußersten Rae baumeln,« rief einer der Matrosen, mit der nervigen Faust auf den Tisch schlagend, daß die Gläser klirrten, »wenn einer von uns ein solcher Grobian wäre, Ihre freundliche Einladung abzuschlagen!«

Mutter Hansen trippelte, so schnell es ihr Alter erlaubte davon und kehrte gleich darauf mit einem Brett zurück, auf welchem sich sechs mächtige Glaser, mit dampfendem Grog gefüllt, befanden.

»Langt zu, Freunde,« rief Reinhold, »also das erste Glas auf einen guten Rheder und einem tüchtigen Kapitän! Werden wir einig, dann sollen noch verschiedene von der Sorte nachfolgen.«

Mit sichtlichem Behagen führten die abgehärteten, wettergebräunten Männer die Gläser zum Munde. Das dampfende Getränk mußte wohl die Unterhandlungen wesentlich abkürzen, denn schneller als Reinhold es gedacht, hatte er die Matrosen, die sich im Gespräch als tüchtig auswiesen, für die Fahrt geworben.

Er war so im Gespräch vertieft, daß er nicht einmal die Ankunft eines Fremden bemerkte, der schon einige Minuten neben ihm am Tische stand und die kleine Gruppe, wie es schien, mit lebhaftem Interesse beobachtete.

Es war dieselbe Persönlichkeit, die ihm bereits auf seinem Wege nach der Wirtschaft verfolgt hatte.

Der Fremde mußte wohl auch ein Seefahrer sein, wenigstens ließ die kurze Jacke aus blauem Doublestoff, das leicht um den Hals geschlungene und in einem Knoten unordentlich auslaufende schwarze Tuch, sowie auch seine Kopfbedeckung darauf schließen.

Freilich wurde diese Annahme durch die feinen Hände, die keinerlei Spuren von Arbeit aufwiesen, fast Lügen gestraft.

Ebenso stach der ruhige Blick seiner tiefschwarzen Augen seltsam gegen den ungepflegten, fast struppigen Bart ab, der die unteren Partien seines Gesichts vollkommen bedeckte.

»Das laß ich mir gefallen, das ist doch Seemannsblut!« rief er plötzlich, lachend aus einen Matrosen deutend, der das mächtige Glas auf einen Zug geleert.

Ueberrascht blickten alle auf den Fremden, auch Reinhold.

»Laßt Euch nicht stören, Jungens,« sprach dieser derbgutmütig, »habt gewiß eben einen neuen Kontrakt gemacht, und der muß natürlich begossen werden. Beim Neptun, junger Herr,« wandte er sich an Reinhold, »bei Ihnen muß wohl Fortuna Pate gewesen sein; denn Sie haben ja da wahre Prachtkerle angeworben, und wenn's Ihnen recht ist, lasse ich mir mein Glas herkommen und stoße ebenfalls mit den Theerjacken auf eine glückliche Fahrt an. Bin so kein Freund von denen da« – er deutete dabei auf die übrigen Anwesenden – »die nach ihrem Kauderwelsch zu schließen, wohl mal auf der Arche Noah Dienste verrichtet haben.«

»Uns soll's recht sein,« rief der älteste der Matrosen, »wenn der Kamerad mit uns trinkt; noch lieber aber, wenn wir mit ihm trinken,« fügte er mit einer leicht verständlichen Geste hinzu.

»Soll mir nicht drauf ankommen,« erwiderte der Fremde lachend, »denn Euer Zwischendeck kann, glaube ich, noch eine gute Ladung vertragen.«

Mit diesen Worten eilte er zum Schänktisch und kehrte gleich darauf in Begleitung der Wirtin zurück, die mit widrigem Lächeln eine neue Auflage des scharfen Getränks brachte.

Bald befand sich der Fremde mit den Uebrigen im traulichen Gespräch, denn der Grog hatte nicht wenig dazu beigetragen, ihm in den Augen der Matrosen ein gewisses Ansehen zu verschaffen.

»Hört mal, Kameraden,« begann der Fremde, nachdem die Matrosen bereits verschiedene Gläser des dampfenden Getränks auf seine Kosten geleert hatten; »was sagt Ihr nur zu dem armen Teufel, dem Jansen? Kann einem doch leid thun, wenn so eine Landratte zum erstenmal sich aus See wagt und dann, nachdem fast alle Gefahren überstanden sind, ein so schreckliches Ende nimmt.«

Der Fremde hatte in gewöhnlichem Tone gesprochen, und nur wie zufällig traf sein Blick Reinhold.

Es mußte indessen eine eigene Gewalt in diesem Blick sein; denn unwillkürlich zuckte Reinhold unter dem Eindruck desselben zusammen.

»Dummes Zeug,« fuhr einer der Matrosen auf, »mich scheert der alte Pfefferkrämer wenig. Mir thut es nur leid um den Kapitän des Ostindienfahrers, der dadurch seinen guten Ruf verloren hat und der doch ganz unschuldig an der verdammten Geschichte war.«

»Unschuldig?« fuhr der älteste der Matrosen von seinem Sitze auf, »da will ich gleich an jedem Sonntag die neunschwänzige Katze kosten, wenn der Kapitän unschuldig ist! Wie konnte er denn auch den ersten besten hergelaufenen Kerl ohne jede Legitimation an Bord nehmen?«

»Freilich,« erwiderte der Fremde, der inzwischen kaum einen Blick von Reinhold verwandt hatte, »es war das eine große Unvorsichtigkeit; denn nun ist der Mörder auf und davon, und wer weiß, ob man ihm je wieder begegnen wird. Doch Sie trinken ja nicht,« unterbrach er sich plötzlich, zu Reinhold gewandt. »Ihnen ist das Gespräch vielleicht unangenehm; ich begreife das, denn nach der Beschreibung haben Sie mit dem verwegenen Kerl, den alle Welt jetzt vergeblich sucht, eine verteufelte Aehnlichkeit. Und würde ich wissen, daß Sie mit dem alten Jansen bekannt waren –« er hatte diese Worte langsam und Reinhold scharf fixierend gesprochen – »dann möchte ich fast darauf schwören –«

»Mein Herr!« rief Reinhold, plötzlich erbleichend, »wie können Sie wagen, dergleichen auszusprechen? Gewiß war ich mit dem Verstorbenen bekannt. Mich hat sein Tod am schmerzlichsten berührt, denn Jansen war mein Wohlthäter.«

Ohne in der Aufregung eine Idee von der gefährlichen Situation zu haben, in der er sich befand, und die Worte danach einzurichten, fügte er hinzu:

»Als ich ihn an jenem unglücklichen Tage nach jahrelanger Trennung zum erstenmal wiedersah; als ich ihm, von Reue ergriffen, die Hand entgegenstreckte, und er sich kalt, mit verächtlichem Blicke abwandte, da –«

»Beschlossen Sie, ihn noch kälter zu machen,« erwiderte der Fremde mit so eisiger Stimme, daß Reinhold unter dem Eindruck derselben erbebte.

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Er wollte sich auf seinen Ankläger stürzen; er vermochte es nicht mehr, denn dieser hatte sich bereits erhoben, war zu ihm getreten, und ihm seine Hand schwer und wuchtig auf die Schulter legend, sprach er:

»Ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes wegen Verdacht des Mordes, begangen an dem Großkaufherrn Friedrich Jansen!«

Während der Schreck die Zeugen dieser Szene in die lebhafteste Aufregung versetzte, wurde Reinhold, der sich willig fügte, ins Gefängnis abgeführt.


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