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» La force des choses.«
Der Klang der Tischglocke sprengte die Herren auseinander. Tetarskoff ging in den Speisesalon, um mit der gräflichen Familie zu dinieren, und fand ein eigentümliches Vergnügen darin, Cecile über Craw, der es vorzog noch einmal mit Richard am »Katzentische«, wie er es nannte, zu speisen, spotten zu hören. Richard war am Ende doch das eigentliche Ziel ihres Witzes, Richard, der nach der Verabredung noch diesen Nachmittag in seine neue Lage gebracht werden sollte. Tetarskoff war so glücklich, wie er sich nicht entsann je gewesen zu sein, er war so frei in seinem Inneren, daß er sich darüber freuen konnte, Cecile auch ihre stereotype Idee, Heeren schmachte für des Amtmanns Else, aussprechen zu hören. Er sah wie dabei in Luisens verstörtem Gesichte ein Lächeln aufblitzte und ein tröstlicher Gedanke auf und ab wogte. Luise liebte seinen Richard wirklich, und Cecile gönnte er die Schrecken der Wahrheit von Herzen. Seit er die finstere Idee der Rache verbannt hatte und ihm außerdem die Gewißheit geworden war, daß er in der That im eignen Hause, im Hause seiner Väter weile, entfaltete er einen Schatz von Liebenswürdigkeit und Geistesfrische, eine Gewandtheit in der Form und ein so großes Unterhaltungstalent, daß Hugo fast nicht mehr für Luise bangte, Cecile aber die Motive seines Benehmens vollständig zu kennen glaubte. Auch Luise mußte von Zeit zu Zeit lächeln, wenn sie auch immer wieder in ihr dumpfes Brüten versank. Um so freudiger konnte das Erwachen sein. Cecile betonte gelegentlich die Vorliebe Luisens für den Aufenthalt im Park nochmals so stark, daß Tetarskoff nicht mehr zweifeln konnte, der Wink gälte ihm. Leid aber that ihm, als er hören mußte, daß die Gräfin Luise nach der Tafel zu sich bestellte. Preßte ihr die Angst ein Geständnis ab, so gab es neue unnütze Qualen für das arme Kind, die er gern vermieden hätte. Er versuchte, noch ehe er ging, sie durch ein paar recht »väterliche« Worte und mehr noch durch herzliche Blicke für den kommenden Sturm zu stählen.
Aber dieser Sturm war kein Orkan, wie er im Westen schnaubt, Lebenseichen und Magnolien zerspaltet und ganze Pflanzungen vernichtet; er summte daher, gehüllt in einen fahlen Mantel glühenden Sandes, tötend und begrabend ohne Spuren zu hinterlassen, nicht einmal die Spuren der Zerstörung, er kam und begrub die Karawane von Hoffnungen in einem Nu wie der Samum der Wüste.
Cecile sagte Luise nur ganz kurz ohne alle Einleitung, daß sie sich auf ihre Bank am Tempel zu begeben und dort Tetarskoffs Werbung mit ja zu beantworten habe.
Wollte sie nicht Zeugin eines Gefühlsausbruchs von seiten ihrer Tochter sein, oder hatte sie selbst einen solchen zu verbergen, – genug, sie ging in ihr Kabinett und schloß die Thüre hinter sich. Luise stieg vernichtet, stumm und so gut als gedankenlos die Stufen zu ihren Zimmern hinauf, ließ sich dort auf den Boden gleiten und wußte nicht einmal, daß sie weinte.
Es fiel ihr endlich ein, daß ihr Vater vielleicht noch ein Rettungsmittel wisse, sie eilte zu ihm, – aber er hielt seine Siesta, und sie hatte nicht das Herz, ihn ihrethalb zu wecken. Einmal unterwegs, ging sie, ohne es zu wollen, ihren gewöhnlichen Gang weiter, nahm mechanisch einige Stücke Weißbrot für die Schwäne vom Büffett und wanderte in den Park. Sie hatte ihren Hut vergessen, und ihre Hände waren bloß. Es war ein so wunderschöner, frischer Tag, die ersten, halb geöffneten Rosenknospen streckten ihren Purpurmund, ihre vollen, duftigen Lippen aus dem Hage, als wollten sie die Vorübergehenden küssen, die Springaufglocken läuteten das Blumenfest der Natur ein, der Cytisus hing seine Goldtrauben in den Weg, und die Luft warf sich mit auf Zweigen gewachsenen Schneeballen, um sich kühl zu erhalten. Reseda duftete mit Kalikanthus um die Wette, und der Hibiskus ließ die feine Zugluft auf seinen Trompetenblüten Reveille blasen. Es war wunderschön, – und Luisens Herz lag dürr und glühend, trocken und festgeschnürt in ihr, sie konnte sich nicht freuen, sie fühlte heute zum erstenmal schmerzlich, daß sie ein Herz habe. – Die Schwäne sahen kaum die bekannte Gestalt heran kommen, als sie eilig an das Ufer ruderten, ihre langen Hälse emporstreckten und mit den stumpfen Schwänzen wedelten wie befreundete Hunde. Luise sah nichts davon. Sie warf ihnen die Stücke hinein ohne darüber zu lächeln, wenn einer der Vögel seine Beute im Triumphe davontrug und den ganzen Schwarm verfolgend hinter sich her zog. Der Brocken war oft noch nicht durchgeweicht, das Tier schüttelte den Kopf und zerriß die Speise dadurch in Fetzen, die von den andern aufgeschnappt und einander streitig gemacht wurden. Es war dann nichts zu sehen als ein Gewühl blendendweißer ineinander verschränkter Schlangen, die aus weißen, nicht unterscheidbaren Körpern herauswuchsen. Luise hatte heute keinen Sinn für dies lebendige Treiben, das große Wellenringe an das Ufer rollen ließ; sie ging weiter. Es zog sie nach der Steinbank und drängte sie mit gleicher Gewalt von dem Platze ab. – Unfern davon stand eine alte, breitgliedrige Eiche. Sie hatte zu früh Äste gemacht und wahrscheinlich in ihrer Jugend in gedrückter Sonne gestanden. Kaum fünf Fuß vom Boden verbreiteten sich die Stammteile, und das Laubdach hing fast bis zum Rasen herab. Es war ein düstrer, aber doch freundlicher Ort, die Natur hatte selbst eine Laube geschaffen, in der sich die Liebe wie der Schmerz verbergen konnte. Der Baum bildete eine Kapelle, die Bank von Birkenstäben war der Altar und die Vögel oben zwischen den Blättern die Chorknaben. Sie steckten ihre neugierigen Schnabelgesichter hervor, als Luise eintrat, und sangen und piepten leiser, als wüßten sie, daß ihr ein lauter Ton wehthun müsse. Ein schlanker Pirol schlüpfte vorüber und fing eine Biene; er verzehrte seine Kost auf einem Zweige, und Luise mochte denken, daß die andern kleinen Burschen, die sie mit ihren mitleidigen Kohlenaugen ansahen, auch hungrig sein könnten. Sie schüttete die Krumen aus ihrer Tasche auf den Sand, und ein behäbiger Fink war bald der erste Wagehals, der sich einen Bissen holte. Nach und nach kamen seine Gefährten ebenfalls herab und wagten dann auch wieder laut zu singen.
»O, ihr kleinen Näscher seid glücklich!« seufzte Luise, »ihr dürft lieben, wen ihr lieb habt.«
Sie setzte sich auf die Bank, und dem Tempel fehlte nun auch nicht mehr das Heiligtum – oder das Opfer.
Hätte jemand jetzt das edle, bleiche Gesicht des Mädchens gesehen, so hätte er ähnliche Phänomene beobachten können, wie man sie beim Schmelzen von Metallen wahrnimmt. Es brodelte und wallte darin, die harten Erzstücke, der Gehorsam und die Willenslosigkeit, die Rücksichten für andere und das Vergessen seiner selbst, wurden von wilden, mächtigen Flammen umleckt, die sich Bahn brachen in alle Risse und Fugen, das Gestein verglasten und das Metall herauslockten. Die zähe Masse hob und senkte sich, mitunter war es, als ob ein Abgrund sie einschlürfe, die Oberfläche ward dunkel, und eine Wolke verbarg alles, aber wieder schlugen die Flammen heftiger noch aus dem Schmelzofen empor, es war ein Ringen, als sollten die Mauern zersprengt werden, die Erze gerieten in Fluß, der Silberblick zuckte zwischen den Schlacken heraus, huschte über die wogende Masse und – dieser Silberblick sagte, daß in der Einsamkeit der Eichenkapelle ein Charakter geboren worden.
Luise kniete nieder, sie hatte keine Worte, sie selbst war ein Gebet, ein wundersam tröstendes und kräftigendes Gebet. Die Last war von ihrem Herzen gewälzt, sie atmete wieder ruhig, und das Blut schoß nur rascher durch ihre Adern, weil sie mutiger und verlangender war als vorher, weil sie Willen genug in sich fühlte dem, was kommen sollte, die Stirn zu bieten und die Lenkseile ihres Schicksals selbst in die Hände zu nehmen. Sie war ein Dankgebet, und die Blätter rauschten nicht, die Vögel schwiegen, die Natur hielt ihren Atem zurück, eine heilige Stille schwamm über der Erde …
Da kamen Schritte, Schritte eines einzelnen Mannes heran, der Sand knirschte unter seinen Füßen, als sollte ihn das Geräusch anmelden. Luise überlief ein Frösteln, sie drückte ihr Antlitz noch einmal in die Hände und murmelte: »Schon jetzt …?« – Die Zweige wurden auseinander gebogen, der Mann trat ein, blieb aber in der Entfernung stehen, als er die Knieende erblickte. Luise hörte seine Atemzüge neben den ihren. Sie erhob sich endlich, um – Tetarskoff entschlossen zu empfangen. Sie wendete sich langsam, und – Richard trat ihr entgegen.
»Luise«, sagte er bestürzt, »ich komme um …«
»O, sagen Sie mir nicht lebewohl! Ich weiß, daß Sie nun werden fort wollen, daß Sie nicht bleiben mögen, weil Sie glauben, daß ich geopfert werden muß. Nennen Sie es auch nicht Herzlosigkeit, verkennen Sie mich nicht, wenn ich mich weigre, mich für meine Eltern hinzugeben. Ich übernähme dadurch ja auch Pflichten gegen einen anderen, die ich nicht erfüllen könnte. Meine Weigerung thut nur scheinbar Böses, ich thue dabei nichts, aber ich wäre unehrlich, wenn ich Herrn Tetarskoff ein Ja gäbe, wo alles in mir nein sagt. Ich mag recht unglücklich sein, aber unehrlich macht mich das Unglück nicht, ich thue, was ich muß.«
Sie sprach das mit ihrer sanften, melodischen Stimme einfach, aber fest, es war an ihrem Entschlusse nichts zu rütteln, sie fürchtete weder das Urteil der Menschen noch den Zorn ihrer Mutter, eine höhere Stimme, die der Natur, hatte gesprochen, Luise war in sich einig, sie konnte nicht mehr widerlegt werden. – Für Richard klang noch mehr heraus. Sie wußten beide, daß sie einander liebten, nun war es auch so gut wie gesagt; im höchsten Augenblicke der Entscheidung gab es keine alberne Scheu mehr, ein großer Entschluß läßt auch den zweiten reifen.
Luise sah nun erst, daß Richards Gesicht von Freude strahlte, und glaubte natürlich, daß ihre Erklärung in Bezug auf Tetarskoff dieses Entzücken hervorgerufen habe. Sie näherte sich ihm, legte ihre Hand auf seinen Arm und fuhr fort: »Freuen Sie sich nicht, der Kampf that mir viel Weh, und es ist wohl noch nicht das letzte. Ich habe zum Troste nur das Bewußtsein, ein Unrecht nicht gethan zu haben, aber ich habe auch nicht eine Hoffnung mehr …«
»Nein, keine Hoffnung, aber Gewißheit, süße, selige Gewißheit!« rief Heeren, der nun endlich Worte gewann. »Mein Vater … Herr Tetarskoff hat Sie nie für sich, er hat Sie immer für mich fordern wollen. Werden Sie mich nun auch ausschlagen, werden Sie das auch ein unerfüllbares Opfer nennen?«
»Herr Tetarskoff ist Ihr Vater? Und Sie sagten mir nichts davon?« rief Luise und trat einen Schritt zurück.
»Ich weiß es selbst erst seit diesen Mittag! – Aber eine Antwort, eine Silbe nur für meine Frage …«
»O Gott, Richard …!« flüsterte Luise fassungslos, der Sprung war für ihr Gefühl zu groß, sie lag an seiner Brust, aber sie war ohne Besinnung.
– Im Schlosse langte unterdes auf triefendem Pferde ein Kurier an. Er brachte einen Brief für Cecile, der folgende Zeilen enthielt:
»Der Kampf der enterbten Hehlen gegen die durch Betrug und gemeine Intrige besitzenden soll nicht durch die Lächerlichkeit einer versöhnenden Heirat beendet werden. Haben Sie, was freilich bei Wesen Ihrer Art nicht sein muß, nur einen Funken von Ehrgefühl in sich, so werden Sie sich dagegen sträuben, Sie werden lieber untergehn und hassen dürfen, als die Hand Ihrer Tochter meinem Bruder Richard geben. Die Gründe dafür liegen in folgendem:
»Um Sie zu stürzen, wurde seit Jahren Plan auf Plan entworfen und zum Teile ausgeführt. Ich kam nur in Ihr Haus, um Clarisse zu verführen und dann dem Elende preiszugeben, Sie sollten auch in Ihren Kindern vernichtet werden. Mein Vater, den Sie Tetarskoff nennen, und den Sie früher schon als Drechsler Hennings kannten, leitete alles, er arrangierte auch Ihren Ruin. Sie sind rettungslos verloren, er zögert nur, den Schlag zu führen, weil er die Schwester meiner Begleiterin für seinen Sohn verlangen will. Denken Sie an die Schmach Ihrer Tochter Clarisse, denken Sie an das voraus berechnete Elend, das wir über Sie bringen wollten, und nun thun Sie, was Sie müssen!
»Um Ihnen alles aufzuklären, noch die Nachricht, daß Hennings-Tetarskoff der Sohn jenes Grafen Hugo Hehlen, des citoyen français ist, den Ihr Vater im Vereine mit Ihrer Mutter, um sein Erbe betrog. Richard Heeren ist mein Bruder und wie ich der Sohn von Franz Hehlen, der eins ist mit Tetarskoff. – Christian Schneider.«
– Das konnte alles wahr sein. Je mehr sie nachdachte, desto gewisser schien es ihr. Die frühere Szene mit der Uhr, die von heute mit der Elfenbeinschnitzerei … Hennings war Tetarskoff und konnte ebensogut Franz Hehlen sein. Und nicht er, sondern Heeren, der Sekretär, sollte Luisen haben? Aber dann war ja auch dieser ein Graf Hehlen …! Nur Clarisse …! Das Wort »Begleiterin«, das Schneider unterstrichen hatte, wollte ihr nicht aus dem Sinne. – Ehe sie aber noch irgend überlegen konnte, traf ein zweiter Kurier ein. Sie erkannte die Handschrift, riß den Brief auf und las:
»Liebe, liebe Mama, könnte ich doch das Wetter abwenden, das sich über Dir zusammenzieht, vielleicht wärest Du dann versöhnt und nenntest mich wieder, o nur ein einzigmal, Deinen lieben Sausewind! Es hat mich so lang' niemand Sausewind genannt, ich möcht's wohl wieder hören und mir dabei einbilden, ich sei wieder Clarisse Hehlen und spiele mit Luise auf dem Parkrasen meine wilden Spiele. – Ja, von Luise muß ich Dir in aller Eile schreiben, ich hätte es sonst nicht gewagt, ich hätte nicht gewagt, an meine – Mutter zu schreiben, wenn die böse Tochter nicht vielleicht etwas für ihre gute Schwester thun könnte. Das darf ich doch, wenn ich auch für Dich tot bin. Ich bin recht arm und nicht glücklich gewesen, aber das that doch am meisten weh. Weißt du das, Mama? – Gib Luise nur recht rasch Richard Hehlen; Tetarskoff war böse, aber er ist jetzt gut, – o was muß meine kleine Luise lieb geworden sein, er vergöttert sie, der alte starre Mann. Er hat sogar geweint, und weißt Du, Mama, wenn ein Mann weint, dann ist er immer gut. Ich glaube, daß die beiden recht füreinander passen. Aber gib sie rasch zusammen, denn ich habe große Not Christian zurückzuhalten, er will durchaus nach Hehlenried, und dann ist alles verdorben. Er kann so sehr boshaft sein, mich hat er überreden wollen, er habe mich nie lieb gehabt, sein Plan sei nur gewesen mich schlecht zu machen. Handle rasch, wenn dadurch noch etwas gut zu machen ist, denn ich kann ihn nicht zwingen, wenn er erst zu euch will, – und ich darf ja doch nicht mitkommen, ich bin ja tot. Schenke mir nur einen einzigen freundlichen Gedanken, wenn Du durchaus nicht mehr liebhaben kannst Deine arme Clarisse.«
Die stolze Frau war geknickt, zwiefach gebrochen. Der Brief ihrer verlorenen Tochter schnitt ihr durchs Herz, es war noch der alte Ton, sie trug noch die alten unversieglichen Schätze unbändiger Naturkraft in sich, aber wie tief mußte sie auch darum wieder ihre Lage fühlen, wie mächtig mußte ihre Sehnsucht sein. In solcher Weise, begleitet von solchen Schrecken, hatte Cecile sich auch im schlimmsten Falle den Untergang ihres Hauses nicht gedacht. Es drängte sie in den Garten zu Luise. War es aber nicht schon zu spät? Was war geschehn? Und wenn Schneider, diese widerliche, boshafte Larve, die einzige Person, die sie so recht aus voller Seele hassen konnte, wirklich kam? … Diesmal war sie aus dem Gleichgewichte gehoben, sie fühlte sich todmüde und sollte handeln.
… Es näherten sich laute Stimmen, ein Diener riß die Flügelthüren auf, und herein trat zunächst Luise am Arme Richards, hinter ihnen Tetarskoff mit Hugo und Craw.
Luise flog auf ihre Mutter zu, aber sie wäre niedergesunken, als sie ihr in das regungslose, verzogne Gesicht sah, wenn Richard sie nicht aufgefangen hätte.
»Graf Hehlen, lesen Sie hier!« sagte Cecile mit tonloser Stimme und reichte Tetarskoff den Brief Christians.
»Graf Hehlen …?« fragte Hugo erstaunt.
»Ich war es, oder ich konnte es sein; es ist aber besser, daß der Name erlischt, er war nicht mehr rein.«
»Aber Richard … Herr Heeren, wie wir ihn bisher genannt, Ihr Sohn, wie ich höre, führt hoffentlich den Namen seiner Väter?« fragte Cecile gespannt.
»Er bleibt Richard Heeren und wie ich hoffe, der Bräutigam Ihrer Tochter Luise, die ihn liebt …«
»Aber lesen Sie doch nur, und dann fragen Sie, was ich thun muß!« sagte Cecile, die immer noch nicht so weit war, ein entschiedenes Wort zu sprechen. Sie fand keinen Gedanken in sich, alles lag wirr durcheinander, Schmerz, Zorn, Entrüstung, Trauer, Hohngelächter und Klugheit. Die Notwendigkeit allein sah ihr kalt und ernst in das Gesicht, in der einen Hand den Untergang, in der andern die Rettung bietend. Sie hatte zu wählen. Die Rettung war nicht einmal unehrenhaft, Luise liebte ja Richard. Aber dieser Mensch blieb für die Welt ein Plebejer, wenn sich sein Vater nicht umstimmen ließ, und das war nicht zu erwarten. Sie hatte auch noch nicht gefragt, wie dieser seine Herkunft überhaupt beweisen wolle. Er war von ihrer Anrede überrascht gewesen, hatte sich aber doch bald wieder gefaßt und ruhig geantwortet; machte er nun keine Ansprüche geltend, so fiel ihr jenes bedeutende Reservekapital zu, und sie war im stande, ihm die Spitze zu bieten. Im ärgsten Falle blieb ihr endlich noch übrig zu sagen, daß die Liebe ihrer Tochter sie besiegt, sie ging aus einem Lager der Gesellschaft in ein anderes und konnte trotz alledem der Welt gegenüber eine Position nehmen …
Tetarskoff hatte den Brief durchgelesen, und die Freude auf seinem Gesichte war erloschen, er starrte schmerzlich bewegt vor sich hin.
»Wie wollen Sie beweisen, daß Sie Franz Hehlen sind?« fragte Cecile, seine Verwirrung benutzend.
»Sie selbst gaben mir die Aktenstücke neulich als Novellenstoff mit nach Sauseneck«, sagte Craw. »Und da ich wollte, daß Luise und Richard, von deren Liebe ich wußte, vereint werden, lieferte ich die Papiere aus.«
»Schändlich!« rief Cecile.
»Nicht so schlimm, als Sie jetzt meinen, da es Ihrem Kousin nur darum zu thun war, persönlich von der Richtigkeit seiner Vermutungen überzeugt zu sein. Richard mußte Luise haben, der Grafentitel und die Papiere wurden den Flammen geopfert …«
»Dann bin ich Herrin …!« rief Cecile. »Herr Tetarskoff, Sie sollen befriedigt werden!«
»Die Sache liegt nicht ganz so, wie Sie meinen«, sagte Tetarskoff mit Überlegenheit. »Dieser Brief meines Sohnes, der mich in gerechte Trauer versenkt, ließ mich Ihnen im Augenblicke nicht gleich die treffende Antwort geben. Wollen Sie mir fünf Minuten in Ihrem Kabinett schenken, so sollen Sie bald mit dem Arrangement, das ich in Ihrem Namen übernommen, wie es mir bis auf Ihre Zustimmung als Haupt der Familie Hehlen zukommt, vollständig zufrieden sein. Fürchten Sie nichts, ich beanspruche diese Würde nur momentan, und nur, um die Macht der Verhältnisse ziviler wirken lassen zu können.«
Die Gräfin zögerte einen Augenblick, ging aber dann mit ihm in ihr Boudoir. Als sie nach einer Viertelstunde, die für Richard und Luise eine Ewigkeit währte, herauskam, hatte sie zwei Papiere in der Hand, – den Totenschein Franz Hehlens und seiner Mutter; der Tod seines Vaters war längst konstatiert.
»Nun, wenn ihr euch liebt, so sollt ihr euch haben!« sagte sie dem Paare.
»… Nein, und abermals nein!« rief eine schneidende Stimme zu der eben wieder aufgerissnen Thüre herein.
Der Rufende machte einen hastigen Schritt über die Schwelle, ballte die Fäuste, drohte Tetarskoff und Cecile, stieß noch einen dumpfen Laut aus und brach dann in sich selbst zusammen.
Hinter ihm war eine schöne Frau gekommen, die im Vorzimmer stehen blieb und weinte. Cecile, Hugo und Luise starrten mehr diese Frau als den Mann, – mehr Clarisse als Schneider an, aber ehe Christian noch niederfiel, riß sich Luise aus den Armen Richards, lief an dem Manne vorbei und umarmte ihre Schwester: »Mama, das ist Clarisse«, rief sie, »meine liebe Clarisse! Nun ist alles gut!«
Schneider zuckte, wie von einem gräßlichen Schmerze emporgeschnellt, am Boden und wurde dann starr, – er hatte vergessen, daß er herzkrank sei, daß er nicht heftig werden dürfe: sein Herz war geborsten, er war tot.
Was nun kam? Tetarskoff wohnt mit Richard und Luise in Hehlenried, Hugo lebt in Berlin, Cecile in Sorrent und Craw wird Clarisse, die bei ihrer Schwester geblieben ist, je eher je lieber als seine Frau nach Sauseneck führen.
Druck vom Bibliographischen Institut in Leipzig.