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Sechstes Kapitel.

Der Schlüssel.

Es lag eine eigentümliche Verklärung auf den Zügen des alten Herrn, und sein ausdrucksvolles, gesammeltes Gesicht verfehlte nicht seine Zuhörer, die ihn fast immer nur in leidenschaftlichem Affekte gesehn hatten, noch mehr zu spannen. Craw stützte den Kopf in die flache Hand, er hatte erreicht, was er beabsichtigt, und nun verfiel er wieder in seine gewöhnliche Melancholie: er konnte nur so lang' freudig an einem Werke teilnehmen, als er thätig sein mußte, war die Krisis da und konnte die Auflösung ohne seine Vermittelung kommen, so war auch seine Kraft dahin. Er war gespannt, aber doch teilnahmlos. Richard dagegen harrte den Aufschlüssen, die ihn freilich auch viel näher angingen, ungeduldig und atemlos entgegen. Craw wollte die Geschichte Tetarskoffs, Richard die Geschichte selbst.

»Aus meiner Kindheit«, begann der Erzähler, »sind mir nur wenige Momente erinnerlich geblieben. Der Tod schnitt Faden um Faden an dem Netze, das mich hielt, durch, und die Gutmütigkeit einzelner Menschen nur war zuletzt der Fallschirm, der mich mit heiler Haut in die Gesellschaft brachte. Ich muß sehr schwächlich gewesen sein, denn meine ganze Entwickelung war noch in meinem achten Jahre enorm zurück. Ich unterschied wenig, und vom Fassen konnte gar nicht die Rede sein. Es lag alles zurückgedrängt und dumpf in mir; Laute der Empfindung, des Gefühles waren die einzigen, die ich artikulieren konnte. Mein Vater schwebt mir nur in einer Szene vor. Er hatte ein edles, scharf geschnittnes Gesicht, keinen Bart und blonde Haare; er trug Uniform und nahm damals Abschied von mir und meiner Mutter. Dieser erinnere ich mich lebhafter. Sie war schlank und schön, von besonderer Pracht aber waren ihre Haare. Ich habe mich als Knabe oft hinein gewickelt und sie neckend aus dem Versteck heraus gerufen: ›Suche mich, ich bin fort!‹ Sie hatte große, lebhafte Augen, die aber in der Zeit, in die mein Wissen reicht, gar oft voll Thränen waren. Es verging fast ein Jahr nach dem Abschiede meines Vaters, ohne daß wir viel aus unsrer Mansarde heraus kamen. Draußen war Krieg, mein Vater war Soldat und stand im Felde, aber auch an dem Orte, wo wir lebten, in Paris, ging es wild her, und meine Mutter schloß oft die Vorhänge unsrer Fenster und ließ mich nicht auf die Straße hinuntersehn, von der das Geheul vieler Menschen heraufdrang. Es war die Zeit, in der die Guillotine die Staatsmaschine plastisch darstellte und der Henker Premierminister war. Meine Mutter arbeitete viel; wir waren arm und der Sold meines Vaters gering, – sie mußte sich und mich durch ihre Nadel erhalten. Endlich hatte der Krieger eine Auszeichnung und einen höheren Grad erhalten, es kam ein Brief, der uns zu ihm in das Lager forderte. Meine Mutter jubelte, und ich mit ihr, ohne recht zu wissen, was sie so stolz und froh machte. Ich weiß auch, daß Männer von anscheinender Bedeutung sie damals zu besuchen kamen und behaupteten, die Ehre des Vaterlandes fordere, daß sie in eine andere Lage versetzt würde. Wir reisten mit allem ab, was wir besaßen, und dessen war freilich nicht mehr, als auf einem Karren Platz hatte, begegneten zuerst vielen Soldaten, die zum Heere zogen, später aber Wagen mit Verwundeten, von denen wir hörten, daß kürzlich ein Gefecht vorgefallen, das zwar für die Unsrigen glücklich geendet, aber große Verluste gekostet habe. Die Mutter fragte nach ihrem Manne, und ein alter Sergeant mit grauem Barte und einem blutigen Tuche um den Kopf, dessen Erscheinung mir noch ganz gegenwärtig ist, meinte kopfschüttelnd, den würden wir wohl kaum noch lebend finden, denn von seinem Bataillone seien nur wenige Mann übriggeblieben. Meine Mutter trieb zur Eile, aber wir kamen doch zu spät, um auch nur seine Leiche zu sehn. In seiner Tasche waren Briefe an meine Mutter und einige andere gefunden worden, die man uns übergab. Die Bemühungen der Kameraden des Gebliebenen, seine Witwe zu trösten oder auch nur zu beruhigen, waren vergebens; die Armee rückte weiter, und wir blieben in einem Meierhofe zurück, wo meine Mutter fast ein halbes Jahr krank lag. Sie hatte die Briefe meines Vaters an ihre Adresse gesandt und jedem einige Zeilen beigefügt. Auf den einen kam nach langer Frist Antwort, und zwar eine günstigere, als die Mutter erwartet zu haben schien. Sie hatte früher oft bittre Worte über die deutschen Verwandten meines Vaters gebraucht, jetzt entschuldigte sie ihr langes Schweigen durch die Entfernung und sagte mir oft, daß nun wenigstens meine Zukunft gesichert sei, wenn auch die ihre für immer vernichtet. Endlich war sie so weit, daß ihr Körper ihrer Ungeduld Schritt zu halten versprach. Wir reisten, eine alte Frau als Dienerin mit uns, auf Umwegen, die den Kriegsschauplatz vermieden, nach Deutschland. Alles ging gut, bis in einer Stadt, die ich für Regensburg halte, – wenigstens kam sie mir beim ersten späteren Wiedersehn so vor, obgleich meine Erkundigungen ohne Resultat blieben, – meine Mutter, von den Strapazen der Reise über ihre Kräfte angestrengt, abermals erkrankte. Der Arzt erklärte ihr, daß er keine Hoffnung habe sie zu retten und beschleunigte dadurch noch ihr Ende, denn sie war trostlos, bat den Mann, ihr nur noch Wochen Frist zu geben und starb endlich, indem sie mich und das Vollbringen der Reise der Alten ans Herz legte. Aus dem Überzuge eines Lederkissens hatte sie die Tasche gemacht, die Sie hier sehn, und die Papiere, die ebenfalls auf dem Tische liegen, sorgfältig hineingesteckt. Diese Tasche und ein kleines Kästchen, dessen Inhalt ich nicht kannte, das aber ihre wenigen Kostbarkeiten umschloß, war mein Erbteil. Es war noch eine Summe in Gold dagewesen, die meiner Mutter von einem Offiziere als ein Besitz meines Vaters ausgehändigt worden, aber der Aufenthalt, der Arzt und die Kosten der Beerdigung verzehrten einen Teil davon, und den Rest beanspruchte die Alte, ich weiß nicht ob mit Recht. Jedenfalls vollzog sie die Wünsche meiner Mutter nicht. Sie ließ mir die Tasche, das Kästchen und einen Teil des Leinenzeugs sowie meine Kleider, schloß einen Akkord mit einem Schiffer und schickte mich mit einer Adresse wie einen Warenballen zu Schiffe ab. Der Strom war die Donau, und mein Bestimmungsort Wien. – Ich stand auf einmal ganz allein in der Welt. Diese Todesfälle und dies plötzliche Hinausgeschleudertsein legten offenbar den Grund zu der Gehirnentzündung, die wenige Zeit darauf durch wiederholte Rückfälle mein Gedächtnis vollständig zerrüttete und auch mich an den Rand des Grabes brachte. – Die Treulosigkeit der Dienerin bildet übrigens noch nicht den Schlußstein in der Reihe meines Unglücks. Ich kam nach Wien, der Schiffer führte mich selbst an den Ort meiner Bestimmung. Er sprach eine Sprache, die ich nicht verstand, die deutsche. Ich sah nur, daß die reichgekleideten Diener, die ich für Offiziere hielt, die Köpfe zusammen steckten, als wir im Vorzimmer einer prächtigen Wohnung standen, daß der Schiffer für mich zu bitten schien, und daß endlich ein kleiner Mann mit einem guten Gesichte dazu kam, der den Streit beendete. Er nahm mich an der Hand und führte mich durch einige prächtig dekorierte Zimmer, dann durch ein Kabinett voller glänzender Waffen in ein Schlafgemach, auf dessen Bette ein alter Herr ganz steif und starr lag. Ich hätte lieber draußen die Büchsen, Schwerter und Dolche betrachtet als dieses fahle Gesicht, dessen eine Seite regungslos war, während die andere beständig zuckte. Gleichwohl fesselte mich etwas daran, die Augen des Mannes glichen denen meines Vaters, wenn sie auch nicht so frisch und durchdringend waren. Ich hatte meine Ledertasche und das Kästchen in der Hand; als der kleine Mann, der Kammerdiener des Kranken, diesen auf mich aufmerksam gemacht hatte, reichte ich ihm meine Schätze auf die Decke. Er griff mit der linken Hand, die rechte war gelähmt, danach und als er das schwarze Siegel an dem Kästchen sah und das darauf ausgeprägte Wappen erkannt hatte, bemächtigte sich seiner eine heftige Bewegung. Es war gräßlich anzusehen, wie das linke Auge im Kopfe rollte und blitzte, während das rechte tot und kalt blieb. Ich fing aus Furcht an zu weinen. Sprechen konnte der Kranke nicht, aber durch Zeichen gab er dem Diener zu verstehn, daß er mich auf das Bett heben solle. Nun sah er mich lange Zeit fest an, ich wagte mich nicht zu rühren, sein Gesicht wurde immer freundlicher, er versuchte zu blinzeln und zu nicken, dann streichelte er mich und zog mich zu sich herab, so daß ich ihn küssen mußte. Plötzlich aber schien ihn ein Gedanke furchtbar zu ängstigen, er strengte sich so sehr an, einen Laut hervorzubringen, daß sein Gesicht wie mit Blut unterlaufen aussah. Zugleich machte er heftige Zeichen in der Luft, er wollte etwas, aber niemand verstand ihn. Das ganze Haus rannte hin und her, eine Menge von Menschen wurde herbeigeholt, so daß ich mich in dem Tumulte in eine Ecke verkroch und nur von Zeit zu Zeit nach der lividen Maske auf dem Bette zu sehn wagte. – Der Kranke fuhr fort, heftig zu agieren und wurde zuletzt so wütend, daß Schaum auf seine Lippen trat. Umsonst suchte man ihn zu beruhigen, auch die Ärzte kamen und warnten vergebens; – an mich dachte niemand mehr, ich war so matt und müde, so grenzenlos überspannt, daß ich endlich in meiner Ecke einschlief und nicht eher erwachte, bis ein Diener mich hervorzog. Den Kranken hatte unterdes ein neuer Schlaganfall getroffen, auch er war tot. Ich sah nach meiner Tasche und meinem Kästchen, aber sie waren nicht mehr da. Wir mußten hinaus, die Leiche ward sogleich in das Vorzimmer gestellt und alle Thüren mit Siegeln verschlossen.

»Es fehlte nicht viel, daß man mich ganz einfach auf die Straße gesetzt und meinem Schicksal überlassen hätte, wenn nicht der alte Kammerdiener trotz seines Schmerzes sich meiner angenommen. Er verstand auch ein wenig französisch und fragte mich aus, aber er konnte keinen Zusammenhang in meine Reden bringen und hielt mich zuletzt meiner konfusen Antworten wegen für einen Simpel. Unterdes kam ein vornehmer Herr mit einer stolzen Dame und mehreren Kindern an; er tobte, als er vernahm, daß die Siegelung auf den Antrag des alten Ignaz vorgenommen worden, und daß dieser den Gerichten mehrere Schriftstücke überliefert, aber es war nicht mehr zu ändern. Er mußte seinen Zorn darauf beschränken den alten Diener aus dem Hause zu weisen. Das geschah denn auch, und ich lief dem Alten nach. – Als die Leiche fortgeführt wurde, ging ich mit ihm weit hinten im Zuge, denn wir durften nicht unter der Dienerschaft erscheinen. Es gab dabei geharnischte Männer, hinter dem Sarge wurden Orden getragen und ein prächtig geschirrtes Pferd geführt. Lange Reihen von Soldaten waren auf einem freien Platze aufgestellt, die drei Salven in die Luft abfeuerten. Bis dahin war der Sarg getragen worden, dann wurde er auf einen Wagen gestellt und nur mit geringer Begleitung weiter gefahren. Auch wir kehrten in die Stadt zurück. Ignaz war sehr erschöpft und durch die Kränkung, die er als Lohn für langjährigen Dienst und treue Erfüllung der Bestimmungen des Verstorbenen erfahren mußte, niedergebeugt. Er schickte mich, weil er selbst nicht wagte das Haus zu betreten, etwa zwei Wochen später wieder in die Wohnung des Toten. Ein Mädchen brachte mich dahin. Die Siegel waren abgenommen, die Zimmer voller Menschen, die Mobilien des Verstorbenen wurden nach dessen letztwilliger Verfügung öffentlich versteigert. – Ich mischte mich unter die Bietenden und sah nicht ohne Betrübnis, wie all die schönen Sachen bald von diesem, bald von jenem erworben und fortgeschleppt wurden. Silbergerät, japanische Vasen und riesige Schalen von chinesischem Porzellan, kostbare Waffen aller Art, Damaszenerklingen, kunstvoll eingelegte Büchsen und Pistolen, Säbel und Dolche, deren Scheiden mit Steinen besetzt waren, reizten die Bewunderung und die Liebhaberei der Anwesenden. Ich hatte mich aus Neugier vorgedrängt und befand mich dicht an dem Tische der Auktionatoren. An demselben Tische saß auch jener Mann, der den alten Ignaz fortgejagt hatte, mit finstrem Gesichte in seinen Fauteuil zurückgelehnt. Ich konnte kaum von ihm wegsehn, und doch zitterte ich, wenn sein Blick mich streifte. So ging es drei Tage fort, der Mann war an seinem Platze, und ich ebenso regelmäßig an dem meinen. Endlich war die Auktion ihrem Ende nah', es kamen nicht mehr so viele Menschen, auch waren nur noch zwei Gerichtspersonen am Tische beschäftigt. Es wurde eine Menge alten Trödels auf den Tisch geworfen, und unter diesem sah ich Kleider von mir, die der Schiffer abgegeben hatte, und die unter die andern Sachen gekommen waren. Ich reklamierte, aber so leise, daß das Geschrei der bietenden Trödler mich übertäubte. Ein Teil meiner Sachen blieb in der Hand eines Juden und wurde über die Köpfe weg nach der Thüre zu gelangt. Ich sah ihnen traurig nach, aber ich weinte nicht. Dann kam eine Jacke, die mir die Mutter aus einem Uniformrocke meines Vaters gemacht; es war mein bestes Stück. Diesmal wagte ich laut zu bitten, daß man mir mein Eigentum lasse. Ich bat flehentlich, meine Sprache fiel auf, und der finstre Mann warf mir einen überraschten, stechenden Blick zu; es war das erste Mal, daß er mich besonders zu bemerken schien. Der Auditeur sagte ebenfalls französisch zu dem Herrn: ›Es ist eine so große Kleinigkeit!‹ – Der Herr blieb stumm, der Hammer fiel, meine Jacke war verkauft. Meine Augen füllten sich mit Thränen, ich zitterte am ganzen Körper, und als das Kleidungsstück an mir vorbeigetragen wurde, küßte ich den herabhängenden Ärmel. Die Leute lachten, und ich schluchzte.

»Die Menge verlief sich immer mehr. Eine Bonne brachte ein kleines, sehr hübsches Kind herein, ein Mädchen von etwa zwei Jahren, das eine kleine Haube von Spitzen mit schwarzem Bande aufgeputzt auf dem Köpfchen hatte und sehr lebhaft war. Es stieß beim Anblicke des Herrn einen Freudenschrei aus und ruhte nicht, bis es auf seinen Knieen saß. Mit dem eigentümlichen Zuge meines Alters näherte ich mich dem »Schwesterchen« und vergaß über der Freude das Kind zu betrachten und seinen Bewegungen zu folgen, fast meine Verluste … Da erblickte ich plötzlich mein Kästchen. Das Siegel war noch unverletzt, man hatte es bei der Anfertigung des Inventariums übersehen. Ich griff danach, aber man wies mich zurück und drohte mir, mich herausbringen zu lassen. Ich hielt mir die Hände auf dem Rücken fest, rief aber immerfort: ›Das ist mein, das ist wahrhaftig mein!‹ Der Auditeur zeigte dem Herrn das Wappen, dieser sagte barsch ein paar Worte, riß das Siegel durch und warf das Kästchen auf die Platte, so daß die darin bewahrten Gegenstände herausfielen. Umwickelt war alles mit einer prächtigen Haarflechte, die ich sogleich als das Haar meiner Mutter erkannte. Sie ging durch den Wurf auf, und es rollten zwei goldne Trauringe, ein Armband, mehrere Ringe mit Steinen, drei oder vier Medaillen und eine kleine goldne Uhr an einer feinen venezianischen Kette heraus. Der andern Sachen erinnerte ich mich nicht besonders, legte also auch keinen Wert darauf, aber diese Uhr hatte meine Mutter immer getragen, ich hatte mit der Kette gespielt und die Emailplatte mit dem umgestürzten Blumenkorbe hundertmal geküßt, – durfte man mir diese Uhr auch nehmen? – ›Das ist ja ein kleiner Schatz, der Junge ist nicht dumm!‹ sagte eine von den Gerichtspersonen zu dem Herrn, der die Trauringe aufmerksam betrachtete und mir nun Blick um Blick zuwarf, als wolle er mich töten. Dieser gab wieder einen kurzen Befehl. Die neugefundenen Gegenstände wurden ausgeboten und wie die andern versteigert. Das kleine Mädchen aber hatte die Uhr an der Kette herangezogen und wollte sie nicht wieder loslassen. Ich drängte mich an das Kind heran und bat so viel ich nur konnte, es möge mir meine Uhr, die Uhr meiner Mutter, wiedergeben. Die Kleine verstand mich, ich hatte gehört, daß sie Worte meiner Sprache gegen ihren Vater brauchte, aber sie weigerte sich, meine Bitte zu erfüllen, und als ich sie berührte, fing sie an zu weinen. Der Herr stieß mich zurück, warf mir die Haarflechte zu und erstand die Uhr für seine Tochter. Damit erhob er sich und ging. Ich schluchzte noch ein paarmal nach meiner Uhr, brach dann zusammen und wand mich in Krämpfen auf dem Boden …

»Ich sah dies Mädchen später wieder, und abermals in Trauer, der Herr, der so erbarmungslos gegen mich gewesen, war gestorben. Aber es lag eine lange Zeit dazwischen, ich erkannte sie erst später an der Uhr und bekam erst da mein Gedächtnis wieder. Alles, was ich Ihnen hier erzählt habe, hat viele Jahre lang tot in mir gelegen, ich mochte sinnen, wie ich wollte, der Traum meiner Kindheit war begraben. Mächtige Erschütterungen und das Wiedererscheinen der Uhr in einem aufgeregten Momente zerstreuten die Nebel, und ich wußte alles wieder. Das Mädchen war Cecile Hehlen, der Mann ihr Vater.«

Seine beiden Zuhörer stießen einen Ruf des Erstaunens hervor.

Tetarskoff fuhr fort.

»Was darauf mit mir vorgegangen ist, weiß ich nicht. Ich fand mich in einer öffentlichen Anstalt wieder, mußte aufs neue sprechen lernen und vegetierte so, bis ein Bürger aus einer größeren Provinzialstadt, ein kinderloser, wohlhabender Mann, sich des Ismael, der nicht einmal eine Hagar hatte, annahm. Wahrscheinlich hatte jener vornehme Herr, dem ich eine unbequeme Person war, Sorge getragen, mich dem alten Kammerdiener zu entreißen und unter dem Haufen andrer Kinder zu verstecken. Man nannte mich Fritz Hennings, weil das eine Hemde, das mir geblieben, F. H. gezeichnet war; mein Rufname aber war nach dem meiner Mutter: François, wie hier aus diesem Auszuge der Zivilstandsregister des dritten Arrondissements in Paris ersichtlich.

»Es war, als ob sich nun die ganze zurückgedrängte Entwickelung mit einemmal Luft brechen wolle. Meine Fortschritte waren erstaunlich, und ein nicht geringes Talent für plastische Kunst machte sich immer mehr geltend. Ich formte aus Thon, Wachs und Holz Gestalten, die in meiner Umgebung Bewunderung erregten, ehe ich noch irgend einen Unterricht im Zeichnen erhalten hatte. Meine Geschicklichkeit interessierte bald eine Menge von Menschen für mich, meine Lehrer erwarb ich mir selbst, sie gaben mir Unterricht, weil es ihnen Freude machte, mich zu belehren. Außer diesen geregelten Stunden erhielt ich noch durch einen besondern Umstand Kunde von allerhand Dingen, die eigentlich damals noch außerhalb meines Gesichtskreises lagen. Ein verwundeter französischer Offizier wohnte lange Zeit in dem Hause meines Pflegevaters und verheiratete sich, da er kampfunfähig geworden, im Orte. Er war ein gebildeter Mann, ein begeisterter Verehrer der Freiheit im damaligen Sinne des Wortes, der, um für diese Freiheit zu kämpfen, seine wissenschaftliche Laufbahn aufgegeben hatte. Er brachte mir die französische Sprache, für die ich ein mir jetzt sehr erklärliches Geschick hatte, spielend bei und nährte mich außerdem mit den Grundsätzen und Gedanken der Philosophie Voltaires, Rousseaus und Diderots, die er auf seine eigne Weise weitergebildet hatte. Er stand eigentlich schon mit einem Fuße in unsrer Zeit. Ich hatte ihn überaus lieb, und wie ich bei dem Drechsler und Bildschnitzer, zu dem man mich »in die Lehre« gethan, den Tag hinbrachte, gehörten dem Franzosen meine freien Abende.

»Es war indes noch eine andere Sache, die mich in dieser Gedankenbahn befestigte und mich früh schon in die praktische, schwere Seite der aufgesognen Ansichten einweihte. An dem Orte lebte eine alte Person, eine Fromme, die sich's, wie fast alle Personen ihrer Art, zum Verdienste machte, ein armes junges Geschöpf unter dem Vorwande, es zu allem Guten anzuhalten, um seine Jugend zu betrügen. Ihre Nichte war zwar, wie sie oft genug laut verkündete, die einzige Erbin ihres nicht unbedeutenden Vermögens, aber diese mußte die ferne Aussicht durch Entsagungen jeder Art im voraus bezahlen und wurde wenig anders gehalten als eine Magd. Gertruds Eltern waren gleich den meinen früh gestorben, aber mein Los unter Fremden war dem ihren gegenüber noch beneidenswert. Wie wir einander näher kamen, wie sich nach und nach in sehr jungen Jahren schon ein ernstes Verhältnis zwischen uns entspann, ist hier ohne Interesse. Genug, wir hatten uns Herz und Hand versprochen, ohne daß jemand etwas davon ahnte. Da starb, ich war eben achtzehn Jahr geworden, – soviel konnte ich mich erinnern und nach den Jahreszahlen ausrechnen, – mein Meister, und seine Witwe erbte seine Gildengerechtigkeit. Die Frau war etwa zweiundzwanzig Jahre alt und hatte seit jeher eine besondre Vorliebe für mich gehabt. Da ich fast gleichzeitig mit dem Todesfalle mein Meisterstück geliefert hatte und vorläufig den Gang der Geschäfte regelte, trat sie immer kecker heraus und machte mir endlich offne Anerbietungen, weil sie wahrscheinlich glaubte, daß ich zu blöde sei, sie zu verstehn. Die Partie war so ziemlich das, was man für einen jungen, mittellosen Menschen ein ›Glück‹ nennt. Ich konnte kostenlos in die Gilde kommen, eine Menge von Vorräten finden und nach Herzenslust studieren und arbeiten. Wäre nicht zu derselben Zeit Gertrud ein Antrag gemacht worden, der ihr in anderer Richtung ebenso große Vorteile bot, so hätte ich wahrscheinlich die Entscheidung hinzuziehen gesucht. Nun drängte aber dort die Tante, hier die Frau, wir besprachen uns und handelten in Übereinstimmung. Ich dankte der Witwe für ihre gute Meinung, und sie wies mir dafür die Thüre; Gertrud gab dem Senator einen Korb und erhielt dafür von der Alten die Erlaubnis mit mir, dem Landläufer, vor den Altar zu treten in der Form eines Fluches. Diese Entrüstung war das einzige Glück, das wir dabei hatten, denn wäre es ihr eingefallen zu widersprechen, so hätte es neue Schwierigkeiten gegeben. So aber war sie in der ersten Wut Willens das widerspenstige Ding, meine Gertrud, um jeden Preis los zu werden. Ich war sehr zufrieden damit, und da meine Jugend in jenen Tagen der Erschöpfung durch den Krieg gar kein Gewicht in die Schale warf, waren wir bald vereint. Man höhnte uns, denn wir hatten nichts als unsre Arbeitskraft; alle meine wohlhabenden Beschützer zogen die Hand von uns ab, überhäuften mich mit Vorwürfen und trieben mich rasch aus dem Orte, wo ohnehin meines Bleibens nicht sein konnte, da die Gilde einen wilden Schößling nicht neben sich leiden mochte. Von daher datiert mein Haß gegen die Reichen. Ich mochte nichts besitzen, ich wollte von der Hand in den Mund leben. Das führte ich durch und war jahrelang glücklich dabei; ich vergaß das Elend der Menschen wenigstens im Kreise meiner Familie. Wir waren auf unsern Wegen, einen Platz suchend, wo wir uns fixieren konnten, nach Hehlenried gekommen und hatten uns hier niedergelassen, weil weit und breit kein ordentlicher Drechsler zu finden war. Gertrud, mein einfaches, redliches Weib, ein Wunder von Sanftmut, eine musterhafte Gattin, gebar mir hier nacheinander drei Söhne. Der jüngste starb bald nach der Geburt, der zweite warst du, Richard, und der älteste heißt Christian und lebt ebenfalls noch.«

»Ich habe einen Bruder, von dem ich nie gehört?« rief Richard im Tone des Vorwurfs.

»Warte das Ende ab, ehe du urteilst! – Christian bekam die Blattern und ward schwächlich, auch Gertrud kränkelte, aber im ganzen blieben wir heiter und getrost. Nun war Christian ein auffallend gewecktes Kind, ich glaubte nicht früh genug die Erziehung beginnen zu können und wollte ihm den Kampf gegen Angelerntes, Dumpfes und Verbrauchtes ersparen. Mein Fehler war, daß ich mich nicht so sehr bemühte, ihm Liebe für das Gute, als Haß gegen das Schlechte einzuflößen. Er war fertig im Hassen, ehe er noch eine Spur von Liebe zu den Menschen in sich trug. Mich selbst verbitterte diese Lehre des Hasses, und ich war auch an meinem Herde nicht mehr so freundlich und lebensfroh. Einzelne kleine Vorfälle trieben die Sache auf die Spitze, Gertrud kränkelte nicht mehr, sie wurde krank, und ich, der ich unterdes durch Zufall mit der jetzigen Gräfin zusammengetroffen war, verlor meine Zeit damit, der jungen Dame meine Grundsätze geläufig machen zu wollen. Daß ich so viel außer dem Hause war, nahm Gertrud, durch ihre Krankheit verstimmt und verdrießlich gemacht, für Vernachlässigung, eine Brutalität, die Graf Hugo Hehlen gegen sie verübte, beschleunigte den Gang der Krankheit … Gertrud liegt neben ihrem Sohne auf dem hiesigen Kirchhofe, dicht an dem Begräbnisplatze der Hehlen. Wenige Zeit darauf erfuhr ich, daß Cecile und jene Kleine aus meiner Kinderzeit identisch seien. Hugo tötete meine Frau, und Cecile hatte mir schon als Kind tiefes Weh bereitet. – Behalten Sie das im Gedächtnisse, Baron Craw. – Alles Vergessene kam zurück, ich war außer mir und begreife heute noch kaum, wie ich es über mich gewinnen konnte damals nicht zu morden. Aber daß ich mich rächen wollte, vergaß ich seit jenem Tage nie.

»Kurze Zeit vorher war mir durch einen Juden die Offerte gemacht worden, mich in Petersburg zu etablieren. Ich schlug es anfangs aus, nahm den Antrag aber gleich nach der Katastrophe selbst wieder auf. Gertrud hatte einige hundert Gulden in der Lotterie gewonnen, die grade hinreichend schienen, meine Reise zu bestreiten und für den ersten Moment meine Ausgaben zu decken, denn ich zog es vor, den Plan auf eigne Gefahr auszuführen und mich nicht in die Hände eines jener Seelenverkäufer zu geben, die damals in Rußland einen vollständigen Wucher mit Handwerkern trieben. Ich machte zu Geld, was mir beschwerlich gewesen wäre, nahm meine Kinder und eine Wärterin …«

»Welche Lore Steinerbach hieß und aus Sauseneck war«, sagte Craw.

»Woher wissen Sie das?«

»Das ist leicht erklärt! Die Tochter dieser Frau war meine Amme. Diese hatte mir früher öfters Briefe ihrer Mutter gebracht, die einer Ihrer Arbeiter geschrieben haben mag. Ich dachte nicht mehr daran, als aber der Einfall, Sie wären Richards Vater, heute früh wieder stärker als je in mir auftauchte, schien es mir, als ob ich in jenen Briefen Ihren richtigen und angenommenen Namen gelesen hätte. Ich ließ nachfragen, und die Briefe fanden sich wirklich noch vor, daher wußte ich schon heute früh einen Teil dessen, was Sie uns jetzt erzählen.«

»Es ist ein wahres Glück daß Sie nicht eher an diese Zettel dachten. Sie hätten wahrscheinlich viel schlecht gemacht, um alles gut zu machen.«

»Kaum!« sagte Craw. »Ich wußte und weiß noch viel anderes, aber ich kann schweigen.«

»So kamen wir also nach St. Petersburg. Der Jude hatte nicht gelogen. Ich bekam Vorschüsse und Bestellungen in Menge; ehe noch ein Monat vorüber war, hatte ich meine Werkstatt schon in vollem Gange. Einerseits war es unmöglich, dort in meiner früheren Weise knapp zu erwerben, andrerseits hatte ich auch einen großen Plan im Hintergrunde, der damals sehr jugendlich poetisch aussah, heute aber ernst genug geworden ist. Ich wollte Hehlenried haben und dazu bedurfte es großer Summen. Ich erwarb sie. Aus meiner Werkstatt wurde im Laufe dreier Jahre eine große Fabrik. Ich trat in Verbindung mit einem Franzosen, du Brèsmenil, der Leute aus Paris herbeirief, wie ich deren zum Teil selbst bildete, zum Teil aus Deutschland heranzog. Unser Umsatz in künstlich geschnitzten Schachspielen allein war unglaublich. Bald konnten wir neue Unternehmungen beginnen und mit großem Kapitale durch alle Windungen des Geldmarktes agieren. Wir hatten Glück, beteiligten uns an allem und gewannen fast überall so, daß kleine Verluste, die etwa dazwischen liefen, kaum erwähnt zu werden verdienen. Ich war in kurzer Zeit reich geworden, hatte aber unterdes auch begriffen, daß es nicht allein keine Rache, sondern ein höchst alberner Streich wäre, wenn ich mit meinen Wechseln in der Tasche nach Hehlenried zöge und wie ein Poltron fragte: ›Was kostet der Plunder?‹ So hatte ich mir mein Auftreten als Reicher gedacht, als ich arm war. Von dieser Jugendlichkeit kam ich indes natürlich ab, zog durch unsre Korrespondenten Nachrichten ein und beschloß zu lavieren. – In diese Zeit fällt eine Nachricht, die meiner Weltanschauung eine neue Richtung und meinem Hasse gegen die Herrn von Hehlenried neue Schärfe gab.

»Unter unseren französischen Drechslern gab es nette, strebsame Menschen; einer von ihnen machte den Vorschlag einen Tag der Woche zu Versammlungen zu benutzen, die uns untereinander näher rücken und ebensosehr für fachmäßige Weiterbildung als für gesellige Unterhaltung bestimmt sein sollten. Zunächst galt dies allerdings nur dem Kreise der Arbeiter selbst und ihren Familien, aber sowohl mein Kompagnon als ich waren der Ansicht, daß wir uns nicht ausschließen dürften. Unsre Gegenwart hinderte nicht, sie diente höchstens dazu, eine gewisse Haltung in den Verkehr zu bringen. Alles, was zu uns gehörte, fand sich in der Regel ein, und die bunten Lebensbilder der Glieder unsrer Gesellschaft, zum Teil recht abenteuerliche Schicksale, bildeten oft die Tapeten für unsern Abend, – wir putzten uns damit unser Zusammensein in einer fremden Welt zur Heimat heraus. Als wir einander hinlänglich kannten, und die Elemente, die sich nicht sonderlich wohl dabei fühlten, freiwillig fort blieben, ging mein Vertrauen so weit, auch meine Geschichte zu erzählen. Ich hatte kaum den Namen Hehlen genannt, als die Frau unsres Werkmeisters, eine kleine Französin, die noch immer gefallsüchtig war, obgleich ihre Zeit längst vorüber, dazwischen rief: »Von den Hehlen weiß ich sehr viel!« Ich fragte natürlich, was und woher sie etwas wisse, und es fand sich wirklich, daß die Person durch ihre Mutter und deren Beziehungen zu einer Gräfin Hehlen in den Stand gesetzt war, meine Jugendgeschichte zu ergänzen.

»Adelaide Trauchburg, ein überaus schönes Mädchen, einer alten deutschen Grafenfamilie entsprossen, lebte mit ihren Eltern zu einer Zeit in Paris, wo die Nachklänge der wilden Galanterie aus den Tagen der Ludwige sich unter den Auspizien der Österreicherin mit dem Gemurre, dem Morgengetöse der Revolution mischten. Am Hofe gab es noch immer Feste, und die galante Tradition hatte ihre Verehrer und Verehrerinnen. Adelaide gehörte unter diese, und Caton Legrange, ihre Zofe, die Mutter der Frau des Werkmeisters, war ihre Vertraute in einer großen Zahl von Intrigen und Liebesavantüren, die nicht immer sehr in den Schranken einer Tändelei geblieben zu sein scheinen. Ein Interesse, das einen soliden materiellen Hintergrund hatte, faßte sie für einen ebenfalls in Paris lebenden Landsmann, einen jungen Grafen Hehlen, den präsumtiven Majoratserben von Hehlenried. Seine Person wie sein Vermögen waren in gleicher Weise angenehm und begehrenswert, die Dame warf ihre Netze aus, und es gelang ihrer pikanten Erscheinung in der That ihn anzulocken. Er machte ihr den Hof, aber der Zufall wollte, daß er einst ein junges Mädchen aus der Bürgerklasse vor den Insulten mehrerer Hofherren rettete und dadurch selbst mit diesem Mädchen in Beziehungen kam. Adelaide, die in dem Benehmen des Grafen eine Änderung bemerkte, schickte Spione ins Feld und erfuhr bald seine Stellung im Hause des Apothekers und seine Neigung für dessen Tochter. Sie fürchtete nicht, daß ihre Hoffnungen durch eine ›Bürgerdirne‹ vereitelt, aber daß ihre Erfüllung verzögert werden könnte. Um diese ›Zerstreuung‹ aus dem Wege zu räumen, schrieb sie anonyme Warnungen an den Apotheker, worin sie eine Anzahl erdichteter Abenteuer und schlauer Verführungen von seinem täglichen Gaste erzählte und ihn mahnte, die Ehre seiner Tochter zu bewachen. Es gelang dem Grafen nur schwer, das Mißtrauen des Alten zu besiegen, da ein irgend gutes Ende für dies Verhältnis wirklich nicht leicht abzusehn war. Der Graf selbst wußte sich nicht zu helfen und kam um so mehr in ein Gedränge widerstrebender Gefühle, als ihm durch die Intrigen der schönen Adelaide von seinem Vater der gemessene Befehl ward, um die Hand dieser Dame anzuhalten. Diese war indes leichtsinnig genug, während sie hier einen Gemahl zu erobern suchte, ihre Liebhaber nicht zu vernachlässigen. Ihre Zofe hatte eine Vorliebe für den Grafen, sie gönnte ihm ein besseres, seinem ehrenhaften Charakter gemäßeres Weib als ihre Herrin. Dieser Zug in einem Wesen, das selbst nicht eben übertrieben dezent zu leben gewohnt war, wie die Tochter naiv gestand, spricht sehr für den Mann und in gleicher Weise gegen die Dame. Die Zofe war untreu. Als die Entwirrung des Verhältnisses durch neue kategorische Forderungen von seiten des alten Grafen immer näher gedrängt wurde, als sogar mißliebige Bemerkungen und Drohungen eintrafen, die Bezug auf die ›Bürgerdirne‹, auf das ›gemeine Frauenzimmer‹ nahmen, und der Graf als gehorsamer Sohn den ihm befohlenen Schritt thun wollte, verriet Caton einen Teil der Geheimnisse ihrer Herrin und verschaffte ihm sogar Gelegenheit, sich selbst von der Wahrheit ihrer Aussagen zu überzeugen. Er überraschte die ihm bestimmte Braut im Garten von Versailles in äußerst zweideutiger Gesellschaft und berichtete darüber nach Hause. Man war ihm aber zuvorgekommen und hatte den Vorfall vollständig umgekehrt, dem alten Grafen über den üblen Lebenswandel seines Sohnes falsche Notizen gegeben und ihn darauf aufmerksam gemacht, daß nur eine rasche Heirat ihn wieder in das rechte Geleise bringen könne. Der junge Mann antwortete, daß ihm eine Heirat recht wäre, aber die mit der Tochter des Apothekers. Dies Begehren wurde als Beweis für die Tiefe seines Gesunkenseins ausgebeutet, und der Alte, ein Mann der seinen Sohn liebte, so beschränkt er auch immer war, wußte nichts Besseres zu thun, als seinen zweiten Sohn mit dem Auftrage nach Paris zu schicken, alle Mittel anzuwenden, die Heirat seines Bruders mit Adelaide Trauchburg zu stande zu bringen. Nun entspann sich die eigentlich schlechte Intrige. Adelaide fand in dem Grafen Wenzel einen warmen Anbeter, er war zwar weder so schön noch so liebenswürdig als sein Bruder, aber er war jedenfalls leichter zu fesseln. Als jüngerer Sohn einer Majoratsfamilie war sein Besitz zu gering, als daß die Trauchburgs eine Verbindung mit ihm gern gesehn hätten, aber man konnte vielleicht eine Enterbung des älteren Sohnes durchsetzen, und dahin arbeitete seit da Graf Trauchburg, Adelaide und der eigne Bruder des jungen Hehlen. Die Revolution brach aus, Hugo Hehlen nahm warmen Anteil an dem Vordringen der Zeit, Wenzel Hehlen gab sich denselben Schein, schrieb aber zugleich Anklage auf Anklage nach Deutschland und verleumdete seinen Bruder dergestalt, daß eine persönliche Mission, die der alte Trauchburg übernahm, den Boden schon vorbereitet fand, um dem Projekte Worte geben zu dürfen. Hugo hatte keine Ahnung von diesem Treiben und hielt es, selbst, nachdem die Legrange ihn gewarnt, für unmöglich, daß eine blinde Leidenschaft für ein Wesen wie Adelaide und schmutzige Habsucht zu einem Verbrechen eines Bruders gegen den andern führen könne. Er war eben eine biedre, deutsche und ritterliche Natur, die sich schon durch den Gedanken an solche Scheußlichkeit zu beflecken glaubte. Man fing seine Briefe an den alten General, seinen Vater, auf oder schob andere unter, so daß Vater und Sohn einander mißverstehen mußten. Ein Aufsatz über die Verwerflichkeit der Majorate, den Hugo zunächst im Interesse seines Bruders geschrieben und auch an seinen Vater geschickt hatte, wurde von seinen Feinden auf die abscheulichste Weise mißbraucht. Wenzel heuchelte sich in seinen adligen Gefühlen verletzt zu fühlen und spielte den Uneigennützigen. Die bestochene Umgebung des alten aristokratischen Haudegen sagte diesem, daß der Plan zur Auflösung des Majorates von Hugo nur entworfen worden, um das Gesetz über die Ebenbürtigkeit der Gemahlinnen, das im Statut vorgesehn war, zu umgehn und einen Teil des alten Besitzes seiner ›gemeinen Liebschaft‹ zuzuwenden. Der alte Herr geriet über solche Ausartung in großen Zorn und forderte seinen Sohn vor ein Familiengericht. Dieser wollte gehorchen, aber die Einflüsterungen seines schlauen Bruders, der ihm sagte, daß man ihn nie wieder zurücklassen würde, so daß ihm seine Geliebte für immer verloren sei, bewegten ihn für den Augenblick wenigstens die Reise zu verschieben und respektsvoll aber bestimmt seine Bedenken über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gegen ihn zu äußern. Der Alte wurde über diese Hartnäckigkeit wütend, citierte einen Advokaten und siehe da, es fand sich in der That ein Paragraph des Statuts, der eine Ausschließung von der Succession möglich machte. Indes mußte doch noch etwas geschehn, ehe der heftige, aber sonst rechtschaffene Mann den entscheidenden Schritt that. – Adelaide hatte sich noch immer nicht von dem Gedanken trennen können den schönen Kavalier zu erobern. Sie ließ ihm durch die Legrange einen Brief zugehn, in welchem sie ihn von dem drohenden Wetter in Kenntnis setzte und ihm die Vermittelung ihrer Familie anbot. Sie glaubte ihn durch diesen Akt zu versöhnen und zu gewinnen. Sie irrte, er verachtete sie zu sehr und war unklug genug den Brief wieder zurück zu schicken. Er blieb in den Händen der Legrange, die ihrer Herrin nur sagte, daß er ihr melden ließe, sie möge sich nicht weiter bemühen. Damit war Weg und Steg zur Versöhnung abgebrochen. Adelaide sorgte nun dafür, daß die Entscheidung rasch erfolgte. Ein letzter drohender Brief des Alten ward gegen einen halb freundlichen vertauscht, der zwischen den Zeilen zu verstehn gab, daß er der vollbrachten That gegenüber nicht unerbittlich gewesen wäre, aber jetzt, wo das Unheil noch zu verhüten ginge, mit aller Kraft dagegen auftreten müsse. Wenzel riet Hugo auf Anstiften Adelaidens sich heimlich mit der Apothekerstochter zu vermählen. Dies geschah, und eine Stunde darauf war Graf Trauchburg schon mit der Nachricht unterwegs. Der Plan war gelungen, die Enterbungsakte wurde vollzogen, Wenzel zum Nachfolger designiert und zugleich seine Brautschaft mit Adelaide Trauchburg öffentlich erklärt. Hugo empfing diese Wetterschläge als Hochzeitsgeschenk. Seine Quellen versiegten, die Rente, die man ihm ausgesetzt, wies er zurück, er wollte von den Menschen, die ihn auf so schandbare Weise hintergangen, nichts haben, aber arm, wie er war, mußte er an Erwerbsmittel denken und nahm deshalb in Frankreich Militärdienste. – Dies ist das hochadlige Komplott, durch welches der rechtmäßige Erbe von Hehlenried um die Liebe seines Vaters und sein Gut betrogen worden, – ich aber bin Franz Hehlen, sein Sohn!«

»Bravo!« sagte Craw. »Das ist immerhin schon ein Bewußtsein, wofür man wohl in der Geschwindigkeit ein Dutzend Menschen ruinieren kann, vorausgesetzt, daß sie selbst die Schuld tragen. An kommenden Generationen aber rächt sich bekanntlich niemand als der Gott des Alten Testaments und das preußische Hochverratsgesetz. Ich verstehe Ihren Haß; wie Sie ihn aber rechtfertigen wollen, weiß ich immer noch nicht. Ich hätte vielleicht nicht anders gehandelt, aber ob mit Recht, das bleibt eine Frage.«

»Ich bin ein Hehlen?« rief Richard, »ich ein Hehlen!«

»Dem Anscheine nach ja, lieber Freund, aber kein stiftsfähiger«, sagte Craw trocken. »Die Sache verwickelt sich, oder sie entwirrt sich vielmehr. Du bist und bleibst Luisens Kousin, damit bist du ja auch wohl abgefunden!«

Seine Ironie dämpfte Richards Freude um ein Beträchtliches, die Verwandtschaft war ihm einen Augenblick später schon wieder unangenehm und darum verdächtig und zweifelhaft. Er sah bald seinen Vater, bald Craw mit jener Unschlüssigkeit an, die uns immer bewältigt, wenn wir eine Nachricht erhalten, von der sich nicht mit Gewißheit sagen läßt, ob sie gut oder schlecht.

Tetarskoff, wie wir ihn immer noch nennen wollen, unterbrach sein stummes Spiel und fuhr in seiner Erzählung fort.

»Meine Erinnerungen bestätigten die Richtigkeit der Angaben jener Frau, und die Beweise dafür mußten in der Ledertasche enthalten sein, die ich seit meinem Besuche bei meinem Großvater, dem alten General Hehlen, nicht wieder gesehn hatte. Daß sie sich noch vorgefunden haben, erkläre ich mir, da ich durch jahrelanges Forschen mit der Geschichte des Hauses genau bekannt geworden, leicht genug. – Dem alten General war es gegangen wie König Lear. Sein Sohn Wenzel war undankbar und mehr noch dessen Frau. Der Greis bereute den Schritt, aber er konnte sich nicht entschließen mit seinem Sohne, dem citoyen, wieder in Verkehr zu treten. Für alle Fälle bestimmte er in seinem Testamente, daß sein ganzer Nachlaß verkauft und die Summe wie das gesamte Allodialvermögen dem Verschollenen oder dessen Erben reserviert bleiben solle. Es wäre längst gelungen, diesen seither enorm angewachsenen Besitz in Ceciles Hände zu bringen, wenn ich nicht anfangs durch bloße Andeutungen, später aber durch meinen Sohn Christian direkt hätte Ansprüche laut werden lassen, die den Gerichten das Übertragen unmöglich machten. Graf Wenzel hatte die einzige Waffe, die man gegen ihn mit Erfolg brauchen konnte, in dem Heiratskontrakte und in den Auszügen aus den Zivilstandsregistern in der Hand; er konnte sie vernichten, aber er that es nicht, weil er vielleicht im Falle des Sterbens seiner Söhne eine Restitution üben wollte. Später gelang ihm die Auflösung des Majorats, und zwar so gut, daß es Cecile, die noch zuletzt gern durch einen Widerruf jenes Aktes meine Ansprüche vereitelt hätte, unmöglich wurde ihren Plan durchzuführen, Wenzels Kinder starben bis auf Cecile, die Restitution hatte nun kein adliges, kein Familieninteresse mehr, ein menschliches hatte ihn dabei nie beseelt, die Papiere blieben also im Archive und konnten später dazu dienen, den Nachweis über den Tod aller Erben des Enterbten zu führen. Es ist natürlich, daß er dies Mittel nicht benutzte, solang' er Reklamationen zu fürchten hatte. Er starb, und nun wußte außer mir niemand von dem Vorhandensein der Papiere.

»Der General war durch mein plötzliches Erscheinen und vielleicht durch irgend eine Ähnlichkeit meines Gesichtes mit dem seines Sohnes so erschüttert worden, daß er gewiß neue Bestimmungen treffen und kurz vor seinem Tode noch den Notar sprechen wollte. Ihr wißt, wie seine Aufregung seinen Todeskampf abkürzte.

»Mir war es eine Gewißheit, daß ich Franz Hehlen sei, aber ich trat mit meinen Ansprüchen nicht offen heraus, weil ich nichts besitzen mochte, was ich nicht selbst erworben hatte. Ich sah, daß die Wirtschaft hier in Hehlenried mir in die Hände arbeite, daß ich triumphieren würde, aber ich wollte auch hierbei selbst thätig sein; ich wollte nicht gerächt werden, sondern mich rächen.

»Um Familienanhänglichkeit und Familienzwiste unmöglich zu machen, trennte ich mich von meinen Söhnen und diese voneinander. Richard war noch so jung, daß er die Existenz seines Bruders Christian ganz und gar vergaß. Sie sollten allein stehn und sich ihre Gasse selbst hauen. Ich nahm einen andern Namen an, und jeder meiner Söhne führte einen verschiedenen. Bei Christian gelang mir die Entfremdung vollständig, er wurde immer härter und bittrer, er riß sich von aller Empfindung los, sein Ich einerseits und das Allgemeine als Individuum aufgefaßt andrerseits waren seine Welt. Er wurde ein tüchtiger Gelehrter, ein hitziger Politiker, aber nicht, was ich auf diesem Wege anzustreben hoffte, ein Mensch. Er war der Gesellschaft feindlich, wie ich gewollt, aber er verwechselte zuletzt die Gesellschaft mit der Menschheit und übertrug seinen Haß auf alles. Ich hoffte ihn dadurch, daß ich seinem Hasse ein bestimmtes Ziel gab, in eine andre Bahn zu leiten und verwendete ihn direkt für meine Zwecke. Der Stolz der Hehlen mußte gebrochen, ihre Aussicht auf künftigen Glanz zertrümmert werden. Sie sollten untergehn. Ich erzählte ihm, was uns von dieser Familie gekommen, und in welchen Beziehungen sie zu uns stehe. Er ging mit der Anweisung hierher, als Hauslehrer die beiden Töchter Ceciles zu korrumpieren. – Ich gestehe es ein, ich war damals selbst in meinem Hasse versunken. – Er entführte auch richtig Clarisse, aber es kam nicht dazu, daß sie dann verlassen und dem Elende preisgegeben wurde. Das Mädchen brachte uns durch seinen großartigen, ich möchte fast sagen genialen Leichtsinn eine derbe Niederlage bei. Ihr Verhältnis zu Christian war ein rührendes, ich war nicht besiegt, aber entschieden schon damals geschwächt. – Ohne es zu wissen, hatte mein Pfeil die empfindlichste Stelle getroffen. Clarisse war der Liebling der Gräfin, ihr Verlust jagte sie in den Strudel hinaus. In voller Hast wurden jene unsinnigen Pachtkontrakte geschlossen, die von seiten der Pachter von vornherein Betrügereien waren; ungeheure Summen wurden in Festen und Reisen verschwendet, Rechnung wurde nie gelegt, nie etwas nachgesehn, kurz ich, der ich Cecile niemals aus den Augen ließ, sah jeden Augenblick, was kommen mußte und wirklich kam. Ich war vorbereitet. Inzwischen nach Paris übergesiedelt, rettete ich von dort aus einen Gutsbesitzer wenige Meilen von hier durch Vorschüsse vom Untergange, machte durch die dritte Hand Cecile mit der Sachlage bekannt und gab ihr endlich durch jenen Geretteten Winke, die ihr sagten, daß ich nicht abgeneigt sei, auch sie dem Verderben zu entreißen. Ich wollte ihr noch Frist geben, das war eine Konzession, die ich im geheimen Clarisse machte. Ich demütigte sie vorläufig nur dadurch, daß sie an verschiedenen Thüren Kunde von dem Werte des Geldes erwerben mußte. Sie litt damals sehr, und ich war hier überrascht, daß sie sich wieder zu einer so großen Festigkeit emporarbeiten konnte. Das Unglück, die Hoffnungslosigkeit hat sie gehoben.

»Nun mußte Richard auf die Bühne. Ich hatte ihn für die Rolle, die ich ihm seinen natürlichen Anlagen nach bestimmte, erzogen. Er war nicht von so hartem Holze wie Christian. Ich versuchte den Widerspruch in ihm wach zu reizen, aber es war vergebens, er haßte nichts, er kämpfte niemals, also war er nicht für den Kampf geschaffen und mußte dem Streite fern bleiben. So schloß ich. Da aber Christian die Papiere nicht gefunden hatte, und ich außerdem nicht darauf dringen mochte, daß er sie ernstlich suche, weil er sie gewiß verbrannt hätte, um uns die Rückkehr in Verhältnisse, die er verabscheute, unmöglich zu machen, so bedurfte ich Richards in einer andern Lage. Er mußte als Sekretär in das Haus der Feinde, seine ganze Aufgabe bestand im Suchen der Papiere. Das unterschlagene Kodizill, das Wenzel durch Bestechung der Testamentsexekutoren seines Vaters beiseite geschafft hatte, kam auf diese Weise in meine Gewalt. Die Ausdrücke darin sind so eigentümlich, daß es noch fünfzig Jahre dauern kann, ehe Cecile einen Heller von dem Legate ausgezahlt erhält, wenn wir es nicht wollen. Und so lang' kann sie nicht warten, daher ist ihre Lage in der That hoffnungslos. Die Zeit hat mitgeholfen, es ging rascher zu Thal, als ich hoffen konnte. Ich kam endlich hier an, um das Gut meiner Väter in Besitz zu nehmen, ich hatte es mit meinem Schweiße erkauft, mein Recht war ein doppeltes. Ich fuhr hier ein, in dasselbe Dorf, wo ich jahrelang kümmerlich erworbenes Brot gegessen hatte, ich zog ein als ein Sieger. Ich war an jenem Abend unsäglich stolz, und es wäre vielleicht manches anders gekommen, wenn ich nicht im Vorbeifahren am Friedhofe daran gedacht hätte, daß dort oben meine Gertrud neben ihrem Kinde schlummere. Ich stieg aus und ging hinauf, die Erinnerung stimmte mich weich, ich war in traurig schöne Träume verloren, als mir plötzlich Luise in den Weg trat. Sie gleicht Cecile, wie ich sie einst kannte, und ich hatte ja eben jener Zeit gedacht. Die Träume überwältigten mich, ich gab alles auf und dachte immerwährend an das liebliche Mädchen, das mich, in dem Augenblicke, wo ich ihre Familie zu stürzen kam, stärkte und pflegte wie einen Freund. Sie wußte damals nichts von meinem Vorhaben, aber sie hätte wissend nicht anders gehandelt. Wie ein Blitz kam mir der Einfall, Richard und Luise zu vereinen. Um dies aber ohne Störung zu können, mußte ich Christian, der seit der Junischlacht Cavaignacs aus Paris geflüchtet ist und durch mich in Deutschland ein Asyl gefunden hat, entfernen oder umstimmen. Daher meine schleunige Reise. Er schien zu merken, daß ich Versöhnungspläne in mir trage, und war hartnäckig willens hierher zu kommen und Zeuge des Triumphes zu sein, aber ich zog Clarisse, die, ohne daß er es selbst weiß, großen Einfluß auf ihn hat, ins Vertrauen und hoffe, daß er aus der Schußweite gebracht ist. – Das Rennen machte ich aus Stolz mit und nahm Ihr Anerbieten, Baron Craw, mir ein sichres Pferd zu leihen, gern an. Ich mochte vor Cecile in keiner Weise die Waffen strecken. – Das Benehmen Luisens heute früh und gewisse Winke von ihrer Mutter brachten mich erst vor kurzer Zeit auf den vorübergehenden Gedanken Luise mir selbst zu behalten, da ich von eurer Liebe nichts wußte. Daß ihr euch lieben könntet und müßtet, sobald die Verhältnisse nur einige Hoffnung boten, davon war ich überzeugt, da ich aber deine Stellung im Hause kannte, hielt ich's nicht für wahrscheinlich, daß sich wirklich ein Verhältnis angesponnen. Ich glaubte der Vorfall mit Christian habe Cecile vorsichtiger gemacht. Das ist nun vorbei, du sollst Luise haben, ich verpfände mein Wort dafür. Aber auch das Versprechen, das ich mir gegeben habe, die Hehlen zu vernichten, will ich erfüllt sehen.«

Er stand auf, nahm eine Handvoll unnützer Papiere und entzündete im Kamine ein kleines Feuer, dann warf er die Aktenstücke, nach denen er sich so lange Zeit gesehnt, hinein.

Craw sprang hinzu und riß sie aus den Flammen. »Um alle Welt, was thun Sie? Wir bedürfen dieses Krames noch, um den Schatz zu heben!«

»Auch dafür ist gesorgt! Der Beweis, daß ich und meine Mutter in einem belgischen Dorfe vor mehr als dreißig Jahren gestorben sind, kostet 10,000 Frank. Ich bewahre ihn in meinem Portefeuille. Ich habe mir für diese Fälschung den ärgsten Schuft von einem Maire ausgesucht, den ich finden konnte, und ihn durch diese kleine Summe zu einem ordentlichen Manne gemacht. Die Summe war für ihn groß, ich schnitt die Ursache, die ihn zu Schurkereien trieb, damit ab, und ohne Ursache keine Folge.«

Er warf die Papiere wieder in das Feuer und sagte lächelnd: »Da brennt meine Grafenkrone lichterloh, die Hehlen sind tot! Sie müssen gestehn, Baron Craw, daß ich konsequent bin. – Ich nehme Hehlenried, Richard bekommt Luise, und am Hochzeitstage schenke ich Cecile die beiden Totenscheine, die sie wieder reich machen. Aber Hehlenried bekömmt sie nicht zurück. Sie muß hinaus, Luise darf und soll bleiben, wo sie gespielt und gescherzt, getrauert und geliebt. – Ist nun nicht alles gut?«

Richard umarmte seinen Vater.

»Aber die Moral«, rief Craw, »die Moral von der ganzen Sache? Ihre Geschichte zeigt, wie die adlige Tradition, der soziale Wirrwar, Schurken bildet, sie weist aber auch nach, daß die Theorie der Entblößung von allem Hergebrachten, in der Gesellschaft angewendet, Bösewichter erzieht. Haben Sie gesiegt? haben Ihre Pläne irgend jemand gut gemacht, haben sie Segen gebracht? Der Verstand hat in Ihren Feinden gethan, was er mit seinen Prämissen thun mußte, er hat in Ihnen und Christian das Gleiche vollbracht; jene hatten ganz bestimmt unrecht, Sie haben in Ihren Grundsätzen bis auf den Haß allerwahrscheinlichst recht, – und doch trafen die Antipoden in der Kunst zu verderben zusammen. Gesiegt über beide Prinzipe der Starrheit und der Formfestigkeit hat das vagierende Element, das Gefühl. Luise und Richard ließen sich nicht modeln, sie thaten von allen hierbei thätigen Personen einzig und allein das Rechte, und sie vollbrachten es so gut als thatlos. Wo ist nun der Zug der Natur unverfälscht geblieben? Weder in dem Graus des Bruderbetruges, noch in Ihrer Rache, in Ihrer Erziehung zum Hasse und Ihrer Art von Ausbildung der Individualität, er steckte ganz einfach in dem gewöhnlichsten aller Gefühle, in dem verstandlosesten, in der Liebe.«

»Lassen Sie es nur«, sagte Tetarskoff heiter, »der Sieg ist die Hauptsache, der Sieger kümmert uns nicht!«

»Und Christian, mein Bruder …?« fragte Richard.

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