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Wir haben, wenn wir in einer verständlichen Beziehung zum Leben bleiben wollen, aus der Prosa unserer gewöhnlichen Sprache den erhöhten Ausdruck zu gewinnen, in welchem die dichterische Absicht allvermögend an das Gefühl sich kundgeben soll. Ein Sprachausdruck, der das Band des Zusammenhanges mit der gewöhnlichen Sprache dadurch zerreißt, daß er seine sinnliche Kundgebung auf fremdhergenommene, dem Wesen unserer gewöhnlichen Sprache uneigentümliche – wie die näher bezeichneten prosodisch-rhythmischen – Momente stützt, kann nur verwirrend auf das Gefühl wirken.
In der modernen Sprache finden nun keine anderen Betonungen statt als die des prosaischen Sprachakzentes, der nirgends auf dem natürlichen Gewichte der Wurzelsilben eine feste Stätte hat, sondern für jede Phrase von neuem dahin verlegt wird, wo er dem Sinne der Phrase gemäß zu dem Zwecke des Verständnisses einer bestimmten Absicht nötig ist. Die Sprache des modernen gewöhnlichen Lebens unterscheidet sich von der dichterischen älteren Sprache namentlich aber dadurch, daß sie um des Verständnisses willen einer bei weitem gehäufteren Verwendung von Worten und Phraseabsätzen bedarf als diese. Unsere Sprache, in der wir uns im gewöhnlichen Leben über Dinge verständigen, die – wie sie von der Natur überhaupt fernab liegen – von der Bedeutung unserer eigentlichen Sprachwurzeln gar nicht mehr berührt werden, hat sich der mannigfaltigsten, verwickeltsten Windungen und Wendungen zu bedienen, um die, mit Bezug auf unsere gesellschaftlichen Verhältnisse und Anschauungen abgeänderten, umgestimmten oder neu vermittelten, jedenfalls unserem Gefühle entfremdeten Bedeutungen ursprünglicher oder von fremdher angenommener Sprachwurzeln zu umschreiben und ihr konventionelles Verständnis zu ermöglichen. Unsere zur Aufnahme dieses vermittelnden Apparates unendlich gedehnten und zerfließenden Phrasen würden vollkommen unverständlich gemacht, wenn der Sprachakzent in ihnen sich durch hervorgehobene Betonung der Wurzelsilben häufte. Diese Phrasen können dem Verständnisse nur dadurch erleichtert werden, daß der Sprachakzent in ihnen mit großer Sparsamkeit nur auf ihre entscheidendsten Momente gelegt wird, wogegen natürlich alle übrigen, ihrer Wurzelbedeutung nach noch so wichtigen Momente, gerade ihrer Häufung wegen, in der Betonung gänzlich fallengelassen werden müssen.
Bedenken wir nun recht, was wir unter der zur Verwirklichung der dichterischen Absicht notwendigen Verdichtung und Zusammendrängung der Handlungsmomente und ihrer Motive zu verstehen haben, und erkennen wir, daß diese wiederum nur durch einen ebenso verdichteten und zusammengedrängten Ausdruck zu ermöglichen sind, so werden wir dazu, wie wir mit unserer Sprache zu verfahren haben, ganz von selbst gedrängt. Wie wir von diesen Handlungsmomenten, und um ihretwillen von den sie bedingenden Motiven, alles Zufällige, Kleinliche und Unbestimmte auszuscheiden hatten; wie wir aus ihrem Inhalte alles von außen her Entstellende, pragmatisch Historische, Staatliche und dogmatisch Religiöse hinwegnehmen mußten, um diesen Inhalt als einen reinmenschlichen, gefühlsnotwendigen darzustellen, so haben wir auch aus dem Sprachausdrucke alles von diesen Entstellungen des Reinmenschlichen, Gefühlsnotwendigen Herrührende und ihnen einzig Entsprechende in der Weise auszuscheiden, daß von ihm eben nur dieser Kern übrigbleibt. – Gerade das, was diesen reinmenschlichen Inhalt einer sprachlichen Kundgebung entstellte, ist es aber, was die Phrase so ausdehnte, daß der Sprachakzent in ihr so sparsam verteilt, und dagegen das Fallenlassen einer unverhältnismäßigen Anzahl unzubetonender Wörter notwendig werden mußte. Der Dichter, der diesen unzubetonenden Wörtern ein prosodisches Gewicht beilegen wollte, gab sich deshalb einer vollkommenen Täuschung hin, über die ihn ein gewissenhaft skandierender Vortrag seines Verses insofern aufklären mußte, als er durch diesen Vortrag den Sinn der Phrase entstellt und unverständlich gemacht sah. Wohl bestand dagegen allerdings die Schönheit eines Verses bisher darin, daß der Dichter aus der Phrase soviel wie möglich alles das ausschied, was als erdrückende Hülfe vermittelnder Wörter den Hauptakzent zu massenhaft umgab: er suchte die einfachsten, der Vermittelung am wenigsten bedürftigen Ausdrücke, um die Akzente sich näherzurücken, und löste hierzu, soviel er konnte, auch den zu dichtenden Gegenstand aus einer drückenden Umgebung historisch-sozialer und staatlich-religiöser Verhältnisse und Bedingungen los. Nie vermochte zeither der Dichter dies aber bis zu dem Punkte, wo er seinen Gegenstand unbedingt nur noch an das Gefühl hätte mitteilen können – wie er den Ausdruck auch nie bis zu dieser Steigerung brachte; denn diese Steigerung zu höchster Gefühlsäußerung wäre eben nur im Aufgehen des Verses in die Melodie erreicht worden – ein Aufgehen, das, wie wir sahen – weil wir es sehen mußten, nicht ermöglicht worden ist. Wo der Dichter aber, ohne des Aufgehens seines Verses in die wirkliche Melodie, den Sprachvers selbst zu bloßen Gefühlsmomenten verdichtet zu haben glaubte, da wurde er, wie der darzustellende Gegenstand, weder vom Verstande mehr noch aber auch vom Gefühle begriffen. Wir kennen Verse der Art als Versuche unserer größten Dichter, ohne Musik Worte zu Tönen zu stimmen.
Nur der dichterischen Absicht, über deren Wesen wir uns im Vorhergehenden bereits verständigt haben, kann es bei ihrem notwendigen Drange nach Verwirklichung zu ermöglichen sein, die Prosaphrase der modernen Sprache von all dem mechanisch vermittelnden Wörterapparate so zu befreien, daß die in ihr liegenden Akzente zu einer schnell wahrnehmbaren Kundgebung zusammengedrängt werden können. Eine getreue Beobachtung des Ausdruckes, dessen wir uns bei erhöhter Gefühlserregung selbst im gewöhnlichen Leben bedienen, wird dem Dichter ein untrügliches Maß für die Zahl der Akzente in einer natürlichen Phrase zuführen. Im aufrichtigen Affekte, wo wir alle konventionellen, die gedehnte moderne Phrase bedingenden Rücksichten fahrenlassen, suchen wir uns immer in einem Atem kurz und bündig so bestimmt wie möglich auszudrücken: in diesem gedrängten Ausdrucke betonen wir aber auch – durch die Kraft des Affektes – bei weitem stärker als gewöhnlich, und zumal rücken wir die Akzente näher zusammen, auf denen wir, um sie wichtig und dem Gefühle ebenso eindringlich zu machen, als wir unser Gefühl in ihnen ausgedrückt wissen wollen, mit lebhaft erhobener Stimme verweilen. Die Zahl dieser Akzente, die unwillkürlich während der Ausströmung eines Atems sich zu einer Phrase oder zu einem Hauptabschnitte der Phrase abschließen, wird stets im genauen Verhältnisse zum Charakter der Erregtheit stehen, so daß z. B. ein zürnender, tätiger Affekt auf einem Atem eine größere Zahl von Akzenten ausströmen lassen wird, während dagegen ein tief und schmerzlich leidender in wenigeren, länger tönenden Akzenten die ganze Atemkraft verzehren muß. –
Je nach der Art des kundzugebenden Affektes, in den sich der Dichter sympathetisch zu versetzen weiß, wird dieser daher die Zahl der Akzente einer, durch den Atem sich bestimmenden, durch den Inhalt des Ausdruckes entweder zur vollen Phrase oder zum wesentlichen Phrasenabschnitte sich gestaltenden, Wortreihe feststellen, in welcher die übermäßige Zahl von, der komplizierten Literaturphrase eigentümlichen, vermittelnden und verdeutlichenden Nebenwörtern in dem Maße verringert worden ist, daß diese den für den Akzent nötigen Atem, trotz ihrer fallengelassenen Betonung – dennoch ihrer numerischen Häufung wegen, nicht unnütz aufzehren. – Das für den Gefühlsausdruck so Schädliche in der komplizierten modernen Phrase bestand nämlich darin, daß die zu große Masse unzubetonender Nebenwörter den Atem des Sprechenden in der Weise in Anspruch nahm, daß er, bereits erschöpft oder aus sparender Vorsicht, auch auf dem Hauptakzente nur kurz verweilen konnte und so das Verständnis des hastig akzentuierten Hauptwortes nur dem Verstande, nicht aber dem Gefühle mitteilen durfte, welches sich nur der Fülle des sinnlichen Ausdruckes gegenüber zur Teilnahme anlassen kann. – Die von dem Dichter bei gedrängter Redefassung beibehaltenen Nebenworte werden, in ihrer minderen, gerade nur notwendigen Zahl, zu dem durch den Sprachakzent betonten Worte sich so verhalten, wie die stummen Mitlauter zu dem tönenden Vokale, den sie umgeben, um ihn unterscheidend zu individualisieren und aus einem allgemeinen Empfindungsausdrucke zum verdeutlichenden Ausdrucke eines besonderen Gegenstandes zu verdichten: eine vor dem Gefühle durch nichts gerechtfertigte starke Häufung der Konsonanten um den Vokal benehmen diesem seinen Gefühlswohllaut ebenso, wie eine bloß durch den vermittelnden Verstand veranlaßte Häufung von Nebenwörtern um das Hauptwort dieses dem Gefühle unkenntlich macht. Dem Gefühle ist Verstärkung des Konsonanten durch Verdoppelung oder Verdreifachung nur dann von Notwendigkeit, wenn dadurch der Vokal eine so drastische Färbung erhält, wie sie wiederum der drastischen Besonderheit des Gegenstandes, den die Wurzel ausdrückt, entspricht; und so wird eine verstärkte Zahl der beziehungsvollen Nebenwörter nur dann vor dem Gefühle gerechtfertigt, wenn durch sie das akzentuierte Hauptwort in seinem Ausdrucke besonders gesteigert, nicht aber – wie in der modernen Phrase – gelähmt wird. – Wir kommen hiermit auf die natürliche Grundlage des Rhythmos im Sprachverse, wie er in den Hebungen und Senkungen des Akzentes sich darstellt, und wie er einzig durch Steigerung zum musikalischen Rhythmos in höchster Bestimmtheit und unendlichster Mannigfaltigkeit sich äußern kann.
Welche Zahl von Hebungen des Tones wir, dem Charakter der auszudrückenden Stimmung gemäß, für einen Atem, somit für eine Phrase oder einen Phrasenabschnitt, auch zu bestimmen haben, nie werden diese Hebungen selbst von ganz gleicher Stärke sein. Eine vollkommen gleiche Stärke der Akzente gestattet zuvörderst der Sinn einer Rede nicht, welche stets bedingende und bedingte Momente in sich schließt und je nach ihrem Charakter das bedingende gegen das bedingte oder umgekehrt das bedingte gegen das bedingende hervorhebt. Aber auch das Gefühl gestattet eine gleiche Stärke der Akzente nicht, weil gerade das Gefühl nur durch leicht merkbare, sinnlich scharf bestimmte Unterscheidung der Ausdrucksmomente zur Teilnahme erregt werden kann. Wenn wir zu erkennen haben, daß diese Teilnahme des Gefühles endlich am sichersten nur durch Modulation des musikalischen Tones zu bestimmen ist, so wollen wir für jetzt dieser Steigerung noch nicht gedenken, sondern uns nur den Einfluß vergegenwärtigen, den die ungleiche Stärke der Akzente zunächst auf den Rhythmos der Phrase ausüben muß. – Sobald wir die zusammengedrängten, und aus einer drückenden Umgebung von Nebenwörtern befreiten, Akzente nach ihrer Unterscheidung als stärkere und schwächere kundgeben wollen, so können wir dies nur auf eine Weise, die vollständig den guten und schlechten Hälften des musikalischen Taktes oder – was im Grunde dasselbe ist – den guten und schlechten Takten einer musikalischen Periode entspricht. Diese guten und schlechten Takte oder Takthälften machen als solche sich dem Gefühle aber nur dadurch kenntlich, daß sie unter sich in einer Beziehung stehen, die wiederum durch die kleineren zwischenliegenden Bruchteile des Taktes vermittelt und verdeutlicht wird. Gute und schlechte Takthälfte, sobald sie ganz nackt nebeneinander stehen – wie in der kirchlichen Choralmelodie – könnten an sich nur dadurch dem Gefühle sich kenntlich machen, daß sie sich ihm als Hebung und Senkung des Akzentes darstellten, wodurch die schlechte Takthälfte in der Periode den Akzent vollkommen verlieren müßte und als solcher gar nicht mehr gelten könnte: nur dadurch, daß die zwischen der guten und schlechten Takthälfte liegenden Taktbruchteile rhythmisch zum Leben und zum Anteile an dem Akzente der Takthälften gebracht werden, läßt sich auch der schwächere Akzent der schlechten Takthälfte als Akzent zur Wahrnehmung bringen. – Die akzentuierte Wortphrase bedingt nun aus sich die charakteristische Beziehung jener Taktbruchteile zu den Takthälften, und zwar aus den Senkungen des Akzentes und dem Verhältnisse dieser Senkungen zu den Hebungen. Die an sich unbetonten Worte oder Silben, die wir in die Senkung setzen, steigen im gewöhnlichen Sprachausdrucke durch anschwellende Betonung zum Hauptakzente hinauf und fallen von diesem durch abnehmende Betonung wieder herab. Der Punkt, bis zu dem sie herabfallen und von dem sie von neuem zu einem Hauptakzente wieder hinaufsteigen, ist aber der schwächere Nebenakzent, der – wie dem Sinne der Rede, so auch ihrem Ausdrucke gemäß – durch den Hauptakzent bedingt wird wie der Planet durch den Fixstern. Die Zahl der vorbereitenden oder nachfallenden Silben hängt allein von dem Sinne der dichterischen Rede ab, von der wir annehmen, daß sie sich in höchster Gedrängtheit ausdrückt; je notwendiger aber dem Dichter es erscheint, die Zahl der vorbereitenden oder nachfallenden Silben zu verstärken, desto charakteristischer vermag er dadurch den Rhythmos zu beleben und dem Akzente selbst besondere Bedeutung zu geben – wie er auf der anderen Seite den Charakter der Akzente wiederum dadurch besonders zu bestimmen vermag, daß er ihn ohne alle Vorbereitung und Nachfall dicht neben den folgenden Akzent setzt.
Sein Vermögen ist hierin unbegrenzt mannigfaltig: vollkommen kann er sich dessen aber nur bewußt werden, wenn er den akzentuierten Sprachrhythmos bis zum musikalischen, von der Tanzbewegung unendlich mannigfaltig belebten, Rhythmos steigert. Der rein musikalische Takt bietet dem Dichter Möglichkeiten für den Sprachausdruck dar, denen er für den nur gesprochenen Wortvers von vornherein entsagen mußte. Im nur gesprochenen Wortverse mußte der Dichter sich darauf beschränken, die Zahl der Silben in der Senkung nicht über zwei auszudehnen, weil bei drei Silben der Dichter es nicht hätte vermeiden können, daß eine dieser Silben bereits als Hebung zu betonen gewesen wäre, was seinen Vers natürlich sogleich über den Haufen geworfen hätte. Diese falsche Betonung hätte er nun nicht zu fürchten gehabt, sobald ihm wirkliche prosodische Längen und Kürzen zu Gebote gestanden hätten; da er aber die Betonungen nur auf den Sprachakzent verlegen konnte und dieser dem Verse zulieb als auf jeder Wurzelsilbe möglich angenommen werden mußte, so konnte er über kein kenntliches Maß verfügen, welches den wirklichen Sprachakzent so unfehlbar nachgewiesen hätte, daß nicht auch Wurzelsilben, denen der Dichter keine Betonung beigelegt wissen wollte, mit dem Sprachakzente belegt worden wären. Wir sprechen hier natürlich von dem geschriebenen, durch die Schrift mitgeteilten und der Schrift nachgesprochenen Verse: den, der Literatur unangehörigen, lebendigen Vers haben wir aber ohne rhythmisch-musikalische Melodie gar nicht zu verstehen, und wenn wir die auf uns gekommenen Monumente der griechischen Lyrik ins Auge fassen, so erfahren wir gerade an diesen, daß der von uns nur noch gesprochene griechische Vers, wenn wir ihn nach unwillkürlicher Sprachakzentuation aussprechen, uns eben die Verlegenheit bereitet, Silben durch den Akzent zu betonen, die in der wirklichen rhythmischen Melodie, als im Auftakte mit inbegriffen, an sich unbetont blieben. In dem bloß gesprochenen Verse können wir nicht mehr als zwei Silben in der Senkung verwenden, weil uns mehr als zwei Silben sogleich den richtigen Akzent entrücken würden und wir bei der hieraus erfolgenden Auflösung des Verses uns sogleich in die Notwendigkeit versetzt sehen müßten, ihn nur noch als flüchtige Prosa auszusprechen.
Es fehlt uns für den gesprochenen oder zu sprechenden Vers nämlich das Moment, das uns die Zeitandauer der Hebung in der Weise fest bestimmte, daß wir nach ihrem Maße die Senkungen wieder genau berechnen könnten. Wir können die Dauer einer akzentuierten Silbe nach unserem bloßen Aussprachevermögen nicht über die doppelte Dauer unbetonter Silben erstrecken, ohne der Sprache gegenüber in den Fehler des Dehnens oder – wie wir es auch nennen – Singens zu verfallen. Dieses »Singen« gilt da, wo es nicht wirklich zum tönenden Gesange wird und somit die gewöhnliche Sprache vollkommen aufhebt, in dieser gewöhnlichen Sprache mit Recht als Fehler; denn es ist als eine bloße tonlose Dehnung des Vokales, oder gar des Konsonanten, durchaus unschön. Dennoch liegt diesem Hange zum Dehnen in der Aussprache da, wo er nicht eine bloße dialektische Angewöhnung ist, sondern bei gesteigerter Erregtheit sich unwillkürlich zeigt, etwas zugrunde, was unsere Prosodiker und Metriker sehr wohl zu beachten gehabt hätten, wenn sie sich griechische Metren erklären wollten. Sie hatten nur unsern, von der Gefühlsmelodie losgelösten, hastigen Sprachakzent im Ohre, als sie das Maß erfanden, nach welchem allemal zwei Kürzen auf eine Länge gehen sollten; die Erklärung griechischer Metren, in denen zuweilen sechs und noch mehr Kürzen sich auf zwei oder auch nur eine Länge beziehen, hätte ihnen sehr leichtfallen müssen, wenn sie den im musikalischen Takte lang ausgehaltenen Ton auf der sogenannten Länge im Gehöre gehabt hätten, wie ihn jene Lyriker mindestens noch im Gehöre hatten, als sie zu bekannten Volksmelodien den Wortvers variierten. Dieser ausgehaltene, rhythmisch gemessene Ton ist es, den der Sprachversdichter jetzt aber nicht mehr im Gehör hatte, wogegen er nur noch den flüchtig verweilenden Sprachakzent kannte. Halten wir nun aber diesen Ton fest, dessen Dauer wir im musikalischen Takte nicht nur genau bestimmen, sondern auch nach seinen rhythmischen Bruchteilen auf das mannigfaltigste zerlegen können, so erhalten wir an diesen Bruchteilen die rhythmisch gerechtfertigten und nach ihrer Bedeutung gegliederten, melodischen Ausdrucksmomente für die Silben der Senkung, deren Zahl sich einzig nur nach dem Sinne der Phrase und der beabsichtigten Wirkung des Ausdruckes zu bestimmen hat, da wir im musikalischen Takte das sichere Maß gefunden haben, nach welchem sie zum unfehlbaren Verständnisse kommen müssen.
Diesen Takt hat der Dichter aber nach dem von ihm beabsichtigten Ausdrucke allein zu bestimmen; er muß ihn selbst zu einem kenntlichen Maße machen, nicht etwa als ein solches sich aufnötigen lassen. Als ein kenntliches bestimmt er es aber dadurch, daß er die gehobenen Akzente ihrem Charakter nach, ob starke oder schwächere, in der Art verteilt, daß sie einen Atem- oder Phrasenabschnitt, dem ein folgender zu entsprechen vermag, bilden und dieser folgende als notwendig für den ersten bedingt erscheint; denn nur in einer notwendigen, verstärkenden oder beruhigenden Wiederholung stellt sich ein wichtiges Ausdrucksmoment dem Gefühle verständlich dar. Die Anordnung der stärkeren und schwächeren Akzente ist daher maßgebend für die Taktart und den rhythmischen Bau der Periode. – Stellen wir uns eine solche maßgebende Anordnung, als aus der Absicht des Dichters sich herleitend, mit Folgendem vor.
Nehmen wir einen Ausdruck an, der von der Beschaffenheit ist, daß er einem Atem die Betonung von drei Akzenten gestattet, von denen der erste der stärkste, der zweite (wie meist immer in diesem Falle anzunehmen ist) der schwächere, der dritte dagegen wieder ein gehobener sein soll, so würde der Dichter unwillkürlich eine Phrase von zwei geraden Takten anordnen, von denen der erste auf seiner guten Hälfte den stärksten, auf seiner schlechten Hälfte den schwächeren, der zweite Takt auf seinem Niederschlage aber den dritten, wiederum gehobenen Akzent enthalten würde. Die schlechte Hälfte des zweiten Taktes würde zum Atemholen und zum Auftakte des ersten Taktes der zweiten rhythmischen Phrase verwendet werden, welche eine entsprechende Wiederholung der ersten enthalten müßte. In dieser Phrase würden die Senkungen sich so verhalten, daß sie als Auftakt zu dem Niederschlage des ersten Taktes hinaufstiegen, als Nachtakt von diesem zu der schlechten Takthälfte hinabfielen und von dieser als Auftakt zu der guten Hälfte des zweiten Taktes wieder hinaufstiegen. Die durch den Sinn der Phrase etwa geforderte Verstärkung auch des zweiten Akzentes würde (außer durch die melodische Hebung des Tones) rhythmisch leicht auch dadurch zu ermöglichen sein, daß entweder die Senkung zwischen ihm und dem ersten Akzente oder auch der Auftakt zu dem dritten gänzlich ausfiele, was gerade diesem Zwischenakzente eine gesteigerte Aufmerksamkeit zuziehen müßte. –
Möge diese Andeutung, der leicht zahllose ähnliche hinzuzufügen wären, genügen, um auf die unendliche Mannigfaltigkeit hinzuweisen, die dem Sprachverse für seine stets sinnvolle rhythmische Kundgebung zu Gebote steht, wenn in ihm der Sprachausdruck, ganz seinem Inhalte gemäß, sich zum notwendigen Aufgehen in die musikalische Melodie in der Weise anläßt, daß er diese als die Verwirklichung seiner Absicht aus sich bedingt. Durch die Zahl, Stellung und Bedeutung der Akzente, sowie durch die größere oder mindere Beweglichkeit der Senkungen zwischen den Hebungen und ihre unerschöpflich reichen Beziehungen zu diesen, ist aus dem reinen Sprachvermögen heraus eine solche Fülle mannigfaltigster rhythmischer Kundgebung bedingt, daß ihr Reichtum und die aus ihnen quellende Befruchtung des rein musikalischen Vermögens des Menschen durch jede neue, aus innerem Dichterdrange entsprungene Kunstschöpfung nur als unermeßlicher sich herausstellen muß.
Wir sind durch den rhythmisch akzentuierten Sprachvers bereits so dicht auf den gehaltenen Gesangston hingewiesen worden, daß wir dem hier zugrundeliegenden Gegenstande jetzt notwendig näher treten müssen.
Behalten wir fortgesetzt das eine im Auge, daß die dichterische Absicht sich nur durch vollständige Mitteilung derselben aus dem Verstande an das Gefühl verwirklichen läßt, so haben wir hier, wo die Vorstellung des Aktes dieser Verwirklichung durch jene Mitteilung uns beschäftigt, alle Momente des Ausdruckes genau nach ihrer Fähigkeit zu unmittelbarer Kundgebung an die Sinne zu erforschen, denn durch die Sinne unmittelbar empfängt einzig das Gefühl. Wir hatten zu diesem Zwecke aus der Wortphrase alles das auszuscheiden, was sie für das Gefühl eindruckslos und zum bloßen Organe des Verstandes machte; wir drängten ihren Inhalt dadurch zu einem reinmenschlichen, dem Gefühle faßbaren zusammen und gaben diesem Inhalte einen ebenso gedrängten sprachlichen Ausdruck, indem wir die notwendigen Akzente der erregten Rede durch dichte Annäherung aneinander zu einem das Gehör (namentlich auch durch Wiederholung der Akzentenreihe) unwillkürlich fesselnden Rhythmos erhoben.
Die Akzente der so bestimmten Phrase können nun nicht anders, als auf Sprachbestandteile fallen, in welchen der reinmenschliche, dem Gefühle faßbare Inhalt am entschiedensten sich ausdrückt; sie werden daher stets auf diejenigen bedeutsamen Sprachwurzelsilben fallen, in welchen ursprünglich nicht nur ein bestimmter, dem Gefühle faßlicher Gegenstand, sondern auch die Empfindung, die dem Eindrucke dieses Gegenstandes auf uns entspricht, von uns ausgedrückt wurde.
Ehe wir unsre staatlich-politisch oder religiös-dogmatisch, bis zur vollsten Selbstunverständlichkeit umgebildeten Empfindungen nicht bis zu ihrer ursprünglichen Wahrheit gleichsam zurückzuempfinden vermögen, sind wir auch nicht imstande, den sinnlichen Gehalt unserer Sprachwurzeln zu fassen. Was die wissenschaftliche Forschung uns über sie enthüllt hat, kann nur den Verstand belehren, nicht aber das Gefühl zu ihrem Verständnisse bestimmen, und kein wissenschaftlicher Unterricht, wäre er auch noch so populär bis in unsere Volksschulen hinabgeleitet, würde dieses Sprachverständnis zu erwecken vermögen, das uns nur durch einen ungetrübten liebevollen Verkehr mit der Natur, aus einem notwendigen Bedürfnisse nach ihrem reinmenschlichen Verständnisse, kurz aus einer Not kommen kann, wie der Dichter sie empfindet, wenn er dem Gefühle mit überzeugender Gewißheit sich mitzuteilen gedrängt ist. – Die Wissenschaft hat uns den Organismus der Sprache aufgedeckt; aber was sie uns zeigte, war ein abgestorbener Organismus, den nur die höchste Dichternot wiederzubeleben vermag, und zwar dadurch, daß sie die Wunden, die das anatomische Seziermesser schnitt, dem Leibe der Sprache wieder schließt, und ihm den Atem einhaucht, der ihn zur Selbstbewegung beseele. Dieser Atem aber ist – die Musik. – –
Der nach Erlösung schmachtende Dichter steht jetzt im Winterfroste der Sprache da, und blickt sehnsüchtig über die pragmatisch prosaischen Schneeflächen hin, von denen das einst so üppig prangende Gefilde, das holde Angesicht der liebenden Mutter Erde bedeckt ist. Vor seinem schmerzlich heißen Atemhauche schmilzt aber da und dort, wohin er sich ergießt, der starre Schnee, und siehe da! – aus dem Schoße der Erde sprießen ihm frische grüne Keime entgegen, die aus den erstorben gewähnten alten Wurzeln neu und üppig emporschießen – bis die warme Sonne des nie alternden neuen Menschenfrühlings heraufsteigt, allen Schnee hinwegschmilzt und den Keimen die wonnigen Blumen entblühen, die mit lächelndem Auge froh die Sonne begrüßen. –
Jenen alten Urwurzeln muß, wie den Wurzeln der Pflanzen und Bäume – solange sie noch in dem wirklichen Erdboden sich festzuhalten vermögen, eine immer neu zeugende Kraft inwohnen, sobald auch sie aus dem Boden des Volkes selbst noch nicht herausgerissen worden sind. Das Volk bewahrt aber unter der frostigen Schneedecke seiner Zivilisation, in der Unwillkür seines natürlichen Sprachausdruckes die Wurzeln, durch die es selbst mit dem Boden der Natur zusammenhängt, und jeder wendet sich ihrem unwillkürlichen Verständnisse zu, der aus der Hatz unseres staatsgeschäftlichen Sprachverkehres sich einer liebevollen Anschauung der Natur zukehrt und so dem Gefühle diese Wurzeln durch einen unbewußten Gebrauch von ihren verwandtschaftlichen Eigenschaften erschließt. Der Dichter ist nun aber der Wissende des Unbewußten, der absichtliche Darsteller des Unwillkürlichen; das Gefühl, das er dem Gefühle mitteilen will, lehrt ihn den Ausdruck, dessen er sich bedienen muß: sein Verstand aber zeigt ihm die Notwendigkeit dieses Ausdruckes. Will der Dichter, der so aus dem Bewußtsein zu dem Unbewußtsein spricht, sich Rechenschaft von dem natürlichen Zwange geben, warum er diesen Ausdruck und keinen anderen gebrauchen muß, so lernt er die Natur dieses Ausdruckes kennen, und in seinem Drange zur Mitteilung gewinnt er aus dieser Natur das Vermögen, diesen Ausdruck als einen notwendigen selbst zu beherrschen. – Forscht nun der Dichter nach der Natur des Wortes, das ihm von dem Gefühle als das einzige bezeichnende für einen Gegenstand, oder eine durch ihn erweckte Empfindung, aufgenötigt wird, so erkennt er diese zwingende Kraft in der Wurzel dieses Wortes, die aus der Notwendigkeit des ursprünglichsten Empfindungszwanges des Menschen erfunden oder gefunden ward. Versenkt er sich tiefer in den Organismus dieser Wurzel, um der gefühlszwingenden Kraft innezuwerden, die ihr zu eigen sein muß, weil sie aus ihr so bestimmend sich auf sein Gefühl äußert – so gewahrt er endlich den Quell dieser Kraft in dem reinsinnlichen Körper dieser Wurzel, dessen ursprünglichster Stoff der tönende Laut ist.
Dieser tönende Laut ist das verkörperte innere Gefühl, das seinen verkörpernden Stoff in dem Momente seiner Kundgebung nach außen gewinnt, und zwar gerade so gewinnt, wie er sich – nach der Besonderheit der Erregung – in dem tönenden Laute dieser Wurzel kundgibt. In dieser Äußerung des inneren Gefühles liegt nun auch der zwingende Grund ihrer Wirkung durch Anregung des entsprechenden inneren Gefühles des anderen Menschen, an den jene Äußerung gelangt; und dieser Gefühlszwang, will ihn der Dichter auf andere so ausüben, wie er ihn selbst empfand, ermöglicht sich nur durch die vollste Fülle in der Äußerung des tönenden Lautes, in welchem sich das besondere innere Gefühl am erschöpfendsten und überzeugendsten einzig mitteilen kann.
Dieser tönende Laut, der bei vollster Kundgebung der in ihm enthaltenen Fülle ganz von selbst zum musikalischen Tone wird, ist für die besondere Eigentümlichkeit seiner Kundgebung in der Sprachwurzel aber durch die Mitlauter bestimmt, die ihn aus einem Momente allgemeinen Ausdruckes zum besonderen Ausdrucke dieses einen Gegenstandes oder dieser einen Empfindung bestimmen. Der Konsonant hat somit zwei Hauptwirksamkeiten, die wir ihrer entscheidenden Wichtigkeit wegen genau zu beachten haben.
Die erste Wirksamkeit des Konsonanten besteht darin, daß er den tönenden Laut der Wurzel zu bestimmter Charakteristik dadurch erhebt, daß er sein unendlich flüssiges Element sicher begrenzt und durch die Linien dieser Umgrenzung gewissermaßen seiner Farbe die Zeichnung zuführt, die ihn zur genau unterscheidbaren, kenntlichen Gestalt macht. Diese Wirksamkeit des Konsonanten ist demnach vom Vokale ab nach außen gewandt. Sie geht darauf hin, das vom Vokale zu Unterscheidende bestimmt von ihm abzusondern, zwischen ihm und dem zu Unterscheidenden sich gleichsam als Grenzpfahl hinzustellen. Diese wichtige Stellung nimmt der Konsonant vor dem Vokale, als Anlaut, ein; als Ablaut, nach dem Vokale, ist er insofern von minderer Wichtigkeit für die Abgrenzung des Vokales nach außen, als dieser in seiner charakteristischen Eigenschaft sich bereits vor dem Mitklingen des Ablautes kundgegeben haben muß und dieses somit mehr aus dem Vokale selbst als sein ihm notwendiger Absatz bedingt wird; wogegen er allerdings dann von entscheidender Wichtigkeit ist, wenn der Ablaut durch Verstärkung des Konsonanten den vorlautenden Vokal in der Weise bestimmt, daß der Ablaut selbst zum charakteristischen Hauptmomente der Wurzel sich erhebt.
Auf die Bestimmung des Vokales durch den Konsonanten kommen wir nachher zurück; für jetzt haben wir die Wirksamkeit des Konsonanten nach außen uns vorzuführen, und diese Wirksamkeit äußert er am entscheidendsten in der Stellung vor dem Vokale der Wurzel, als Anlaut. In dieser Stellung zeigt er uns gewissermaßen das Angesicht der Wurzel, deren Leib als warmströmendes Blut der Vokal erfüllt und deren, dem betrachtenden Auge obliegende, Rückseite der Ablaut ist. Verstehen wir unter dem Angesichte der Wurzel die ganze physiognomische Außenseite des Menschen, die uns dieser beim Begegnen zuwendet, so gewinnen wir eine genau entsprechende Bezeichnung für die entscheidende Wichtigkeit des konsonierenden Anlautes. In ihm zeigt sich uns die Individualität der begegnenden Wurzel zunächst, wie der Mensch zunächst durch seine physiognomische Außenseite uns als Individualität erscheint, und an diese Außenseite halten wir uns so lange, bis das Innere durch breitere Entwickelung sich uns hat kundgeben können. Diese physiognomische Außenseite der Sprachwurzel teilt sich – sozusagen – dem Auge des Sprachverständnisses mit, und diesem Auge hat sie der Dichter auf das wirkungsvollste zu empfehlen, der, um von dem Gefühle vollständig begriffen zu werden, seine Gestalten dem Auge und dem Ohre zugleich vorzuführen hat. Wie nun aber das Gehör eine Erscheinung unter vielen anderen als kenntlich und Aufmerksamkeit fesselnd nur dadurch fassen kann, daß sie sich ihm in einer Wiederholung vorführt, die den anderen Erscheinungen eben nicht zuteil wird, und durch diese Wiederholung ihm als das Ausgezeichnete hinstellt, das als ein Wichtiges seine vorzügliche Teilnahme erregen soll, so ist auch jenem »Auge« des Gehöres die wiederholte Vorführung der Erscheinung notwendig, die sich als eine unterschiedene und bestimmt kenntliche ihm darstellen soll. Die nach der Notwendigkeit des Atems rhythmisch gebundene Wortphrase teilte ihren inhaltlichen Sinn nur dadurch verständlich mit, daß sie durch mindestens zwei sich entsprechende Akzente, in einem das Bedingende wie das Bedingte umfassenden Zusammenhange, sich kundgab. In dem Drange, das Verständnis der Phrase als eines Gefühlsausdruckes dem Gefühle zu erschließen, und im Bewußtsein, daß dieser Drang nur durch die erregteste Teilnahme des unmittelbar empfangenen sinnlichen Organes zu befriedigen ist, hat nun der Dichter die notwendigen Akzente des rhythmischen Verses, um sie dem Gehöre auf das wirkungsvollste zu empfehlen, in einem Gewande vorzuführen, das sie nicht nur von den unbetonten Wurzelwörtern der Phrase vollkommen unterscheidet, sondern diese Unterscheidung dem »Auge« des Gehöres auch dadurch merklich macht, daß es sich als ein gleiches, ähnliches Gewand beider Akzente darstellt. Die Gleichheit der Physiognomie der durch den Sprachsinn akzentuierten Wurzelworte macht diese jenem Auge schnell kenntlich und zeigt sie ihm in einem verwandtschaftlichen Verhältnisse, das nicht nur dem sinnlichen Organe schnell faßlich ist, sondern in Wahrheit auch dem Sinne der Wurzel innewohnt.
Der Sinn einer Wurzel ist die in ihr verkörperte Empfindung von einem Gegenstande; erst die verkörperte Empfindung ist aber eine verständliche, und dieser Körper ist sowohl selbst ein sinnlicher als auch ein nur von dem entsprechenden Gehörsinne entscheidend wahrnehmbarer. Der Ausdruck des Dichters wird daher ein schnell verständlicher, wenn er die auszudrückende Empfindung zu ihrem innersten Gehalte zusammendrängt, und dieser innerste Gehalt wird in seinem bedingenden wie bedingten Momente notwendig ein verwandtschaftlich einheitlicher sein. Eine einheitliche Empfindung äußert sich aber unwillkürlich auch in einem einheitlichen Ausdrucke, und dieser einheitliche Ausdruck gewinnt seine vollste Ermöglichung aus der Einheit der Sprachwurzel, die sich in der Verwandtschaft des bedingenden und des bedingten Hauptmomentes der Phrase offenbart. Eine Empfindung, die sich in ihrem Ausdrucke durch den Stabreim der unwillkürlich zu betonenden Wurzelworte rechtfertigen kann, ist uns, sobald die Verwandtschaft der Wurzeln durch den Sinn der Rede nicht absichtlich entstellt und unkenntlich wird – wie in der modernen Sprache –, ganz unzweifelhaft begreiflich; und erst wenn diese Empfindung in solchem Ausdrucke als eine einheitliche unser Gefühl unwillkürlich bestimmt hat, rechtfertigt sich vor unserem Gefühle auch die Mischung dieser Empfindung mit einer anderen. Eine gemischte Empfindung dem bereits bestimmten Gefühle schnell verständlich zu machen, hat die dichterische Sprache wiederum im Stabreime ein unendlich vermögendes Mittel, das wir abermals als ein sinnliches in der Bedeutung bezeichnen können, daß auch ein umfassender und doch bestimmter Sinn in der Sprachwurzel ihm zugrunde liegt. Der sinnig-sinnliche Stabreim vermag den Ausdruck einer Empfindung mit dem einer anderen zunächst durch seine reinsinnliche Eigenschaft in der Weise zu verbinden, daß die Verbindung dem Gehöre lebhaft merklich wird und als eine natürliche sich ihm einschmeichelt. Der Sinn des stabgereimten Wurzelwortes, in welchem bereits die neu hinzugezogene andere Empfindung sich kundgibt, stellt sich, durch die unwillkürliche Macht des gleichen Klanges auf das sinnliche Gehör, an sich aber schon als ein verwandtes heraus, als ein Gegensatz, der in der Gattung der Hauptempfindung mit inbegriffen ist und als solcher nach seiner generellen Verwandtschaft mit der zuerst ausgedrückten Empfindung durch das ergriffene Gehör dem Gefühle, und durch dieses endlich selbst dem Verstande, mitgeteilt wird.»Die Liebe bringt Lust und – Leid.«
Das Vermögen des unmittelbar empfangenden Gehöres ist hierin so unbegrenzt, daß es die entferntest von sich abliegenden Empfindungen, sobald sie ihm in einer ähnlichen Physiognomie vorgeführt werden, zu verbinden weiß und sie dem Gefühle als verwandte, reinmenschliche, zur umfassenden Aufnahme zuweist. Was ist gegen diese allumfassende und allverbindende Wundermacht des sinnlichen Organes der nackte Verstand, der sich dieser Wunderhülfe begibt und den Gehörsinn zum sklavischen Lastträger seiner sprachlichen Industriewarenballen macht! Dieses sinnliche Organ ist gegen den, der sich ihm liebevoll mitteilt, so hingebend und überschwenglich reich an Liebesvermögen, daß es das durch den wählerischen Verstand millionenfach Zerrissene und Zertrennte als Reinmenschliches, ursprünglich und immer und ewig Einiges wiederherzustellen und dem Gefühle zum entzückendsten Hochgenusse darzubieten vermag. – Naht euch diesem herrlichen Sinne, ihr Dichter! Naht euch ihm aber als ganze Männer und mit vollem Vertrauen! Gebt ihm das Umfangreichste, was ihr zu fassen vermögt, und was euer Verstand nicht binden kann, das wird dieser Sinn euch binden und als unendliches Ganzes euch wiederzuführen. Drum kommt ihm herzhaft entgegen, Aug in Aug; bietet ihm euer Angesicht, das Angesicht des Wortes – nicht aber das welke Hinterteil, das ihr schlaff und matt im Endreime eurer prosaischen Rede nachschleppt und dem Gehöre zur Abfertigung hinhaltet – wie als ob es eure Worte um den Lohn dieses kindischen Geklingels, das man Wilden und Albernen zur Beschwichtigung vormacht, ungestört durch seine Pforte zu dem neu zersetzenden Hirne einlassen solle. Das Gehör ist kein Kind; es ist ein starkes liebevolles Weib, das in seiner Liebe den am höchsten zu beseligen vermag, der in sich ihm den vollsten Stoff zur Beseligung zuführt.
Und wie wenig boten wir bis jetzt noch diesem Gehöre, da wir ihm soeben nur den konsonierenden Stabreim zuführten, durch den allein schon es uns das Verständnis aller Sprache erschloß! Forschen wir weiter, um zu sehen, wie dieses Sprachverständnis durch die höchste Erregung des Gehöres sich zum höchsten Menschenverständnisse zu erheben vermag. –
Wir haben nochmals zu dem Konsonanten zurückzukehren, um ihn in seiner zweiten Wirksamkeit uns vorzustellen. –
Die befähigende Kraft, selbst die anscheinend verschiedensten Gegenstände und Empfindungen dem Gehöre durch den Reim des Anlautes als verwandt vorzuführen, erhält der Konsonant, der hierin seine Wirksamkeit nach außen kundgab, wiederum nur aus seiner Stellung zu dem tönenden Vokale der Wurzel, in der es seine Wirksamkeit nach innen, durch Bestimmung des Charakters des Vokales selbst, äußert. – Wie der Konsonant den Vokal nach außen abgrenzt, so begrenzt er ihn auch nach innen, d. h., er bestimmt die besondere Eigentümlichkeit seiner Kundgebung durch die Schärfe oder Weichheit, mit der er ihn nach innen berührt.Der Sänger, der aus dem Vokale den vollen Ton zu ziehen hat, empfindet sehr lebendig den bestimmenden Unterschied, den energische Konsonanten – wie K, R, P, T – oder gar verstärkte – wie Schr, Sp, St, Pr – und schlaffere weiche – wie G, L, B, D, W – auf den tönenden Laut äußern. Ein verstärkter Ablaut – nd, rt, st, ft – gibt da, wo er wurzelhaft ist – wie in »Hand«, »hart«, »Hast«, »Kraft« –, dem Vokale mit solcher Bestimmtheit die Eigentümlichkeit und Dauer seiner Kundgebung an, daß er diese letzte als eine kurze, lebhaft gedrängte, geradesweges bedingt und daher als charakteristisches Merkmal der Wurzel zum Reime – als Assonanz – sich bestimmt (wie in »Hand und Mund«). Diese wichtige Wirkung des Konsonanten nach innen bringt uns aber in so unmittelbare Berührung mit dem Vokale, daß wir jene Wirkung zu einem großen Teile wiederum nur aus dem Vokale selbst begreifen können, auf den wir, als den eigentlichen rechtfertigenden Inhalt der Wurzel mit unwiderstehlicher Notwendigkeit hingewiesen werden.
Wir bezeichneten die umgebenden Konsonanten als das Gewand des Vokales, oder bestimmter, als seine physiognomische Außenseite. Bezeichnen wir sie nun, und zumal um ihrer erkannten Wirkung nach innen willen, noch genauer als das organisch mit dem Innern des menschlichen Leibes verwachsene Fleischfell desselben, so erhalten wir eine getreu entsprechende Vorstellung von dem Wesen des Konsonanten und des Vokales, sowie von ihren organischen Beziehungen zu einander. – Fassen wir den Vokal als den ganzen inneren Organismus des lebendigen menschlichen Leibes, der aus sich heraus die Gestaltung seiner äußeren Erscheinung so bedingt, wie er sie dem Auge des Beschauenden mitteilt, so haben wir den Konsonanten, die sich als diese Erscheinung eben dem Auge darstellen, außer dieser Wirksamkeit nach außen, auch die wichtige Tätigkeit zuzusprechen, die darin besteht, daß sie dem inneren Organismus durch die verzweigte Zusammenwirkung der Empfindungsorgane diejenigen äußeren Eindrücke zuführen, die diesen Organismus für seine Besonderheit im Äußerungsvermögen wiederum bestimmen. Wie nun das Fleischfell des menschlichen Leibes eine Haut hat, die es nach außen vor dem Auge begrenzt, so hat es auch eine Haut, die es nach innen den inneren Lebensorganen zuwendet: mit dieser inneren Haut ist es von diesen Organen aber keinesweges vollständig abgesondert, sondern an ihr hängt es vielmehr mit diesen in der Weise zusammen, daß es von ihnen seine Nahrung und sein nach außen zu wendendes Gestaltungsvermögen gewinnen kann. – Das Blut, dieser nur in ununterbrochenem Fließen lebengebende Saft des Leibes, dringt von dem Herzen aus, vermöge jenes Zusammenhanges des Fleischfelles mit den inneren Organen, bis in die äußerste Haut dieses Fleisches vor; von da aus fließt es aber, mit Hinterlassung der nötigen Nahrung, wieder zurück zum Herzen, welches nun, wie in Überfülle inneren Reichtumes, durch den Atem der Lungen, die dem Blute zur Belebung und Erfrischung den äußeren Luftstrom zuführten, diesen von seinem bewegten Inhalte geschwängerten Luftstrom, als eigenste Kundgebung seiner lebendigen Wärme, nach außen unmittelbar selbst ergießt. – Dieses Herz ist der tönende Laut in seiner reichsten, selbständigsten Tätigkeit. Sein belebendes Blut, das er nach außen zum Konsonanten verdichtete, kehrt, da es in seiner Überfülle durch diese Verdichtung durchaus nicht aufgezehrt werden konnte, von diesem zu seinem eigensten Sitze zurück, um durch den das Blut wiederum unmittelbar belebenden Luftstrom sich selbst in höchster Fülle nach außen zu wenden.
Nach außen wendet sich der innere Mensch als tönender an das Gehör, wie seine äußere Gestalt sich an das Gesicht wandte. Als diese äußere Gestalt des Wurzelvokales erkannten wir den Konsonanten, und wir mußten, da Vokal wie Konsonant sich an das Gehör mitteilen, dies Gehör uns nach einer hörenden und sehenden Eigenschaft vorstellen, um diese letzte für den Konsonanten, gleichsam den äußeren Sprachmenschen, in Anspruch zu nehmen. Stellte sich dieser Konsonant, den wir nach seiner äußersten und wichtigsten, sinnlichen wie sinnigen, Wirksamkeit im Stabreime uns vergegenwärtigten, nun dem »Auge« des Gehöres dar, so teilt sich dagegen jetzt der Vokal, den wir nach seiner eigensten lebengebenden Eigenschaft erkannten, dem »Ohre« des Gehöres selbst mit. Nur aber, wenn er nach seiner vollsten Eigenschaft, ganz in der selbständigen Fülle, wie wir sie den Konsonanten im Stabreime entfalten ließen, nicht nur als tönender Laut, sondern als lautender Ton sich kundzugeben vermag, ist er imstande, jenes »Ohr« des Gehöres, dessen »Sehkraft« wir nach höchster Fähigkeit für den Konsonanten in Anspruch nahmen, nach der unendlichen Fülle seines hörenden Vermögens in dem Grade zu erfüllen, daß es in das notwendige Übermaß von Entzücken gerät, aus welchem es das Empfangene an das zu höchster Erregung zu steigernde Allgefühl des Menschen mitteilen muß. – Wie sich uns zu vollster, befriedigendster Gewißheit nur derjenige Mensch darstellt, der unserem Auge und Ohre zugleich sich kundgibt, so überzeugt auch das Mitteilungsorgan des inneren Menschen unser Gehör nur dann zu vollständigster Gewißheit, wenn es sich dem »Auge und dem Ohre« dieses Gehöres gleichbefriedigend mitteilt. Dies geschieht aber nur durch die Wort-Tonsprache, und der Dichter wie der Musiker teilte bisher nur den halben Menschen mit: der Dichter wandte sich nur an das Auge, der Musiker nur an das Ohr dieses Gehöres. Nur das ganze, sehende und hörende, das ist – das vollkommen verstehende Gehör, vernimmt aber den inneren Menschen mit untrüglicher Gewißheit. –
Jene zwingende Kraft, die der Sprachwurzel innewohnte und den nach sicherstem Gefühlsausdrucke suchenden Dichter mit Notwendigkeit bestimmte, sich gerade dieses einen, seiner Absicht einzig entsprechenden Wurzelwortes zu bedienen, erkennt dieser Dichter nun mit überzeugendster Gewißheit in dem tönenden Vokale, sobald er ihn in seiner höchsten Fülle als wirklichen atembeseelten Ton sich vorführt. In diesem Tone spricht sich am unverkennbarsten der Gefühlsinhalt des Vokales aus, der aus innerster Notwendigkeit gerade in diesem und keinem anderen Vokale sich äußern konnte, wie dieser Vokal, dem äußeren Gegenstande gegenüber, gerade diesen und keinen anderen Konsonanten aus sich nach außen verdichtete. Diesen Vokal in seinen höchsten Gefühlsausdruck auflösen, ihn nach höchster Fülle im Herzensgesangstone sich ausbreiten und verzehren lassen, heißt für den Dichter soviel, als das bisher willkürlich und deshalb beunruhigend Erscheinende in seinem dichterischen Ausdrucke zu einem Unwillkürlichen, das Gefühl so bestimmt Wiedergebenden als bestimmend Erfassenden machen. Volle Beruhigung gewinnt er daher nur in der vollsten Erregtheit seines Ausdruckes; dadurch, daß er sein Ausdrucksvermögen nach der höchsten, ihm inwohnenden Fähigkeit verwendet, macht er es einzig zu dem Organe des Gefühles, das dem Gefühle wiederum unmittelbar sich mitteilt; und aus seinem eigenen Sprachvermögen erwächst ihm dieses Organ, sobald er es nach seiner ganzen Fähigkeit ermißt und verwendet. –
Der Dichter, der zu möglichst bestimmter Mitteilung einer Empfindung bereits die nach Sprachakzenten geordnete Reihe im musikalischen Takte sich kundgebender Worte durch den konsonierenden Stabreim zu einem, dem Gefühle leichter mitteilbaren, sinnlichen Verständnisse zu bringen suchte, wird dies Gefühlsverständnis nun immer vollkommener ermöglichen, wenn er die Vokale der akzentuierten Wurzelworte, wie zuvor ihre Konsonanten, wiederum zu einem Reime verbindet, der ihr Verständnis dem Gefühle auf das bestimmendste erschließt. Das Verständnis des Vokales begründet sich aber nicht auf seine oberflächliche Verwandtschaft mit einem gereimten anderen Wurzelvokale, sondern, da alle Vokale unter sich unverwandt sind, auf die Aufdeckung dieser Urverwandtschaft durch die volle Geltendmachung seines Gefühlsinhaltes vermöge des musikalischen Tones. Der Vokal ist selbst nichts anderes als der verdichtete Ton. seine besondere Kundgebung bestimmt sich durch seine Wendung nach der äußeren Oberfläche des Gefühlskörpers, der – wie wir sagten – dem Auge des Gehöres das abgespiegelte Bild des äußeren, auf den Gefühlskörper wirkenden, Gegenstandes darstellt; die Wirkung des Gegenstandes auf den Gefühlskörper selbst gibt der Vokal durch unmittelbare Äußerung des Gefühles auf dem ihm nächsten Wege kund, indem er seine von außen empfangene Individualität zu der Universalität des reinen Gefühlsvermögens ausdehnt, und dies geschieht im musikalischen Tone. Was den Vokal gebar und ihn zu besonderster Verdichtung zum Konsonanten nach außen bestimmte, zu dem kehrt er, von außen bereichert, als ein besonderer zurück, um sich in ihm, dem nun ebenfalls Bereicherten, aufzulösen: dieser bereicherte, individuell gefestigte, zur Gefühlsuniversalität ausgedehnte Ton ist das erlösende Moment des dichtenden Gedankens, der in dieser Erlösung zum unmittelbaren Gefühlsergusse wird.
Dadurch, daß der Dichter den Vokal des akzentuierten und stabgereimten Wurzelwortes in sein Mutterelement, den musikalischen Ton, auflöst, tritt er mit Bestimmtheit nun in die Tonsprache ein: von diesem Augenblicke an hat er die Verwandtschaft der Akzente nicht mehr nach einem, jenem Auge des Gehöres erkennbaren, Maße zu bestimmen, sondern die für das schnelle Empfängnis des Gefühles als notwendig erforderliche Verwandtschaft der zu musikalischen Tönen gewordenen Vokale bestimmt sich nun nach einem Maße, das nur jenem Ohre des Gehöres erkennbar, in seiner empfängnisfähigen Eigentümlichkeit sicher und gebieterisch begründet ist. – Die Verwandtschaft der Vokale zeigt sich schon für die Wortsprache als eine ihnen allen ungleiche mit solcher Bestimmtheit, daß wir Wurzelsilben, denen der Anlaut fehlt, allein schon aus dem Offenstehen des Vokales nach vorn als stabzureimende erkennen und hierin keinesweges durch die volle äußere Ähnlichkeit des Vokales bestimmt werden; wir reimen z. B. »Aug und Ohr«.Wie vortrefflich bezeichnet in diesem Reime die Sprache, die zwei nach außen offenliegendsten Empfängnisorgane durch die nach außen ebenfalls offenliegenden Vokale; es ist, als ob diese Organe hierin, als mit der ganzen Fülle ihrer universellen Empfängniskraft aus dem Inneren unmittelbar und nackt nach außen gewandt, sich kundgäben. Diese Urverwandtschaft, die in der Wortsprache als ein unbewußtes Gefühlsmoment sich erhalten hat, bringt die volle Tonsprache dem Gefühle zum untrüglichen Bewußtsein; indem sie den besonderen Vokal zum musikalischen Tone erweitert, teilt sie seine Besonderheit unserem Gefühle als in einem urverwandtschaftlichen Verhältnisse enthalten und aus dieser Verwandtschaft geboren mit und läßt uns als die Mutter der reichen Vokalfamilie das unmittelbar nach außen gewandte reinmenschliche Gefühl selbst erkennen, das sich nur nach außen wendet, um wiederum unserem reinmenschlichen Gefühle sich mitzuteilen.
Die Darstellung der Verwandtschaft der zu Tönen gewordenen Vokallaute an unser Gefühl kann daher nicht mehr der Wortdichter bewerkstelligen, sondern der Tondichter.