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Als Lessing in seinem »Laokoon« sich bemühte, die Grenzen der Dichtkunst und Malerei aufzusuchen und zu bezeichnen, hatte er die Dichtkunst im Auge, die selbst bereits nur noch Schilderei war. Er geht von Vergleichs- und Grenzlinien aus, die er zwischen dem plastischen Bildwerke, welches uns die Szene des Todeskampfes Laokoons darstellt, und der Schilderung zieht, welche Virgilius in seiner »Aeneis«, einem für die Lektüre geschriebenen Epos, von derselben Szene entwirft. Berührt Lessing im Laufe seiner Untersuchung selbst den Sophokles, so hat er dabei wiederum nur den literarischen Sophokles im Sinne, wie er vor uns steht, oder wenn er das lebendig aufgeführte tragische Kunstwerk des Dichters selbst in das Auge faßt, stellt er dies unwillkürlich auch außer allem Vergleich mit dem Werke der Bildhauerei oder Malerei, weil nicht das lebendige tragische Kunstwerk diesen bildenden Künsten gegenüber begrenzt ist, sondern diese ihrer kümmerlichen Natur nach zu jenem gehalten, ihre notwendigen Schranken finden. Überall da, wo Lessing der Dichtkunst Grenzen und Schranken zuweist, meint er nicht das unmittelbar zur Anschauung gebrachte, sinnlich dargestellte dramatische Kunstwerk, das in sich alle Momente der bildenden Kunst nach höchster, nur in ihm erreichbarer Fülle vereinigt und aus sich erst dieser Kunst höhere künstlerische Lebensmöglichkeit zugeführt hat, sondern den dürftigen Todesschatten dieses Kunstwerkes, das erzählende, schildernde, nicht an die Sinne, sondern an die Einbildungskraft sich kundgebende Literaturgedicht, in welchem diese Einbildungskraft zum eigentlichen darstellenden Faktor gemacht worden war, zu dem sich das Gedicht nur anregend verhielt. –
Eine solche künstliche Kunst erreicht irgendwelche Wirkung allerdings nur durch genaueste Beobachtung von Grenzen und Schranken, weil sie sorgsam darauf bedacht sein muß, durch vorsichtigstes Verfahren die unbegrenzte Einbildungskraft, die statt ihrer die eigentliche Darstellerin zu sein hat, vor jeder ausschweifenden Verwirrung zu bewahren, um sie dagegen auf den einen gedrängten Punkt hinzuleiten, in welchem sie den beabsichtigten Gegenstand sich so deutlich und bestimmt wie möglich vorzustellen vermag. An die Einbildungskraft einzig wenden sich aber alle egoistisch vereinzelten Künste, und namentlich auch die bildende Kunst, die das wichtigste Moment der Kunst, die Bewegung, nur durch den Appell an die Phantasie ermöglichen kann. Alle diese Künste deuten nur an; wirkliche Darstellung wäre ihnen aber nur durch Kundgebung an die Universalität der Kunstempfänglichkeit des Menschen, durch Mitteilung an seinen vollkommenen sinnlichen Organismus, nicht an seine Einbildungskraft möglich, denn das wirkliche Kunstwerk erzeugt sich eben nur durch den Fortschritt aus der Einbildung in die Wirklichkeit, das ist: Sinnlichkeit.
Lessings redliches Bemühen, die Grenzen jener getrennten Kunstarten, die eben nicht mehr unmittelbar darstellen, sondern nur noch schildern konnten, zu bezeichnen, wird nun heutzutage von denen auf das Geistloseste mißverstanden, denen der ungeheure Unterschied zwischen diesen Künsten und der eigentlich wirklichen Kunst unbegreiflich bleibt. Indem sie immer nur diese einzelnen, an sich für die unmittelbare Darstellung ohnmächtigen, Kunstarten vor Augen haben, können sie natürlich die Aufgabe jeder derselben – und somit (wie sie wähnen müssen) der Kunst überhaupt – nur darein setzen, daß so ungestört wie möglich die Schwierigkeit überwunden werde, der Einbildungskraft durch Schilderung einen festen Anhaltepunkt zu geben; die Mittel zu dieser Schilderung häufen kann sehr richtig die Schilderung nur verwirren, und die Phantasie, indem sie durch Vorführung ungleicher Schilderungsmittel beängstigt oder zerstreut wird, von der Erfassung des Gegenstandes nur ablenken.
Reinheit der Kunstart wird daher das erste Erfordernis für ihre Verständlichkeit, wogegen Mischung der Kunstarten diese Verständlichkeit nur trüben kann. In der Tat kann uns nichts Verwirrenderes vorkommen, als wenn z. B. der Maler seinen Gegenstand in einer Bewegung darstellen wollte, deren Schilderung nur dem Dichter möglich ist; vollkommen widerwärtig erscheint uns aber gar erst ein Gemälde, in welchem die Verse des Dichters einer Person in den Mund geschrieben sind. Wenn der Musiker – d. h. der absolute Musiker – zu malen versucht, so bringt er weder Musik noch ein Gemälde zustande; wollte er aber die Anschauung eines wirklichen Gemäldes durch seine Musik begleiten, so dürfte er sicher sein, daß man weder das Gemälde noch seine Musik verstehen würde. Wer sich die Vereinigung aller Künste zum Kunstwerke nur so vorstellen kann, als ob darunter gemeint sei, daß z. B. in einer Gemäldegalerie und zwischen aufgestellten Statuen ein Goethescher Roman vorgelesen und dazu noch eine Beethovensche Symphonie vorgespielt würde,So in der Tat stellen sich kindisch-kluge Hofliteraten das von mir bezeichnete »vereinigte Kunstwerk« vor, wenn sie dies für einen Akt des »wüsten Durcheinanderwerfens« aller Kunstarten ansehen zu müssen glauben. Ein Königlich-Sächsisch-Staatsministerieller Kritiker findet aber auch für gut, meinen Appell an die Sinnlichkeit als groben »Sensualismus« aufzufassen, worunter er natürlich Bauchgelüste verstanden wissen will. – Man kann den Blödsinn dieser Ästhetiker nur durch ihre lügnerische Absicht erklären. – der hat allerdings recht, wenn er auf Trennung der Künste besteht und es jeder einzelnen zugewiesen lassen will, wie sie sich zu möglichst deutlicher Schilderung ihres Gegenstandes verhelfe. Daß aber von unsern modernen Staatsästhetikern auch das Drama in die Kategorie einer Kunst art gestellt, und als solche dem Dichter als besonderes Eigentum in dem Sinne zugesprochen wird, daß die Einmischung einer anderen Kunst, wie der Musik, in dasselbe der Entschuldigung bedürfe, keinesweges aber als gerechtfertigt anzusehen sei, das heißt aus der Lessingschen Definition eine Konsequenz ziehen, von deren Berechtigung in dieser nicht eine Spur vorhanden ist. Diese Leute sehen aber im Drama nichts anderes als einen Literaturzweig, eine Gattung der Dichtkunst wie Roman oder Lehrgedicht, nur mit dem Unterschiede, daß jenes, anstatt bloß gelesen, von verschiedenen Personen auswendig gelernt, deklamiert, mit Gesten begleitet und von Theaterlampen beleuchtet werden soll. Zu einem auf der Bühne dargestellten Literaturdrama würde sich eine Musik allerdings fast ebenso verhalten, als ob sie zu einem aufgestellten Gemälde vorgetragen würde, und mit Recht ist daher das sogenannte Melodrama als ein Genre von unerquicklichster Gemischtheit verworfen worden. Dieses Drama, das unsere Literaten einzig im Sinne haben, ist aber ebensowenig ein wahres Drama als ein KlavierEine Violine zum Klavier gespielt, vermischt sich ebensowenig mit diesem Instrumente, wie die Musik zu einem Literaturdrama sich mit diesem vermischen würde. ein Orchester, oder gar ein Sängerpersonale ist. Die Entstehung des Literaturdramas verdankt sich ganz demselben egoistischen Geiste unserer allgemeinen Kunstentwickelung wie das Klavier, und an ihm will ich diesen Gang in Kürze recht deutlich machen.
Das älteste, echteste und schönste Organ der Musik, das Organ, dem unsere Musik allein ihr Dasein verdankt, ist die menschliche Stimme; am natürlichsten wurde sie durch das Blasinstrument, dieses wieder durch das Saiteninstrument nachgeahmt: der symphonische Zusammenklang eines Orchesters von Blas- und Streichinstrumenten ward wieder von der Orgel nachgeahmt; die unbehülfliche Orgel aber endlich durch das leicht handhabbare Klavier ersetzt. Wir bemerken hierbei zunächst, daß das ursprüngliche Organ der Musik von der menschlichen Stimme bis zum Klavier zu immer größerer Ausdruckslosigkeit herabsank. Die Instrumente des Orchesters, die den Sprachlaut der Stimme bereits verloren hatten, vermochten den menschlichen Ton, in seinem unendlich mannigfaltigen und lebhaft wechselnden Ausdrucksvermögen, noch am genügendsten nachzuahmen; die Pfeifen der Orgel konnten diesen Ton nur noch nach seiner Zeitdauer, nicht aber mehr nach seinem wechselnden Ausdrucke festhalten, bis endlich das Klavier selbst diesen Ton nur noch andeutete, seinen wirklichen Körper aber der Gehörphantasie sich zu denken überließ. So haben wir im Klavier ein Instrument, welches die Musik nur noch schildert. Wie kam es aber, daß der Musiker sich endlich mit einem tonlosen Instrumente begnügte? Aus keinem anderen Grunde, als um allein, ganz für sich, ohne gemeinsames Zusammenwirken mit anderen, sich Musik machen zu können. Die menschliche Stimme, die an und für sich nur in Verbindung mit der Sprache sich melodisch kundzugeben vermag, ist ein Individuum; nur das übereinstimmende Zusammenwirken mehrerer solcher Individuen bringt die symphonische Harmonie hervor. Die Blas- und Streichinstrumente standen der menschlichen Stimme auch darin noch nahe, daß auch ihnen dieser individuelle Charakter zu eigen blieb, durch den jedes von ihnen eine bestimmte, wenn auch noch so reich zu modulierende Klangfarbe besaß, und zur Hervorbringung harmonischer Wirkungen zum ebenfalls gemeinsamen Zusammenwirken genötigt war. In der christlichen Orgel waren bereits alle diese lebendigen Individualitäten in tote Pfeifenregister gereiht, die auf den befehlenden Tastentritt des einen und unteilbaren Spielers ihre mechanisch hervorgetriebenen Stimmen zur Ehre Gottes erhoben. Auf dem Klaviere endlich konnte der Virtuos ohne die Beihülfe irgendeines anderen (der Orgelspieler hatte noch des Balgentreters bedurft) eine Unzahl von klopfenden Hämmern zu seiner eigenen Ehre in Bewegung setzen, denn dem Zuhörenden, der an einer tönenden Musik sich nicht mehr zu erfreuen hatte, blieb nur noch die Bewunderung der Fertigkeit des Tastenschlägers als Amüsement übrig. – Wahrlich, unsere ganze moderne Kunst gleicht dem Klaviere: in ihr verrichtet jeder einzelne das Werk einer Gemeinsamkeit, aber leider eben nur in abstracto und mit vollster Tonlosigkeit! Hämmer – aber keine Menschen! –
Wir wollen nun das Literaturdrama, in das unsere Staatsästhetiker mit so puritanistischem Hochmute der herrlich atmenden Musik den Eintritt versperren, vom Standpunkte des KlavieresMir gilt es wahrlich nicht bedeutungslos, daß derjenige Klaviervirtuos, der in unseren Tagen nach jeder Seite hin die äußerste Spitze des Virtuosentumes kundtat, daß der Wundermann des Klavieres, Liszt, gegenwärtig mit so wuchtvoller Energie dem tönenden Orchester und, gleichsam durch dieses Orchester, der lebendigen menschlichen Stimme sich zuwendet. aus rückwärts bis auf den Ursprung dieses Klaviers verfolgen, und was gilt es? Wir treffen endlich auf den lebendigen menschlichen Sprachton, der mit dem Gesangtone ein und dasselbe ist, und ohne den wir weder Klavier noch Literaturdrama kennen würden. –