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Gratien und Reubell folgten auf das schnellste dem Herzoge und erreichten schon am 5., ersterer bei Nienburg, letzterer bei Hoya, die Weser. Der Herzog befand sich durch die Eile, mit welcher der Feind seinen Marsch ausgeführt hatte und es ihm gelungen war, uns so nahezukommen, von neuem in der größten Gefahr. Jeder Verzug konnte, obwohl wir beinahe am Ziele waren, Untergang bringen. Er fand es daher bei einer so mißlichen Lage am ratsamsten, den nachfolgenden Feind über die wahre Richtung seines Marsches irrezuleiten, aber er sah dabei zugleich ein, daß die Mannschaft, welche dieses Wagestück unternehme, als ein verlorener Posten, als aufgeopfert betrachtet werden müsse. Aber die Not erheischte ein solches Opfer. Major Korfes ward daher mit 60 Husaren, welche der Rittmeister von Hirschfeldt und die Leutnants Schulz und Adoneit führten, 60 Jägern unter dem Kapitän von Voß und den Leutnants von Wolffradt und Kunowsky, einer Haubitze und einem Sechspfünder, welche Leutnant Platz befehligte, von Altsyke nach Bremen entsendet, woselbst er sich für die Avantgarde des schon auf dem Wege dahin begriffenen Korps ausgeben und für dasselbe das Erforderliche requirieren sollte. Aus dem Husarenregimente hatte man jedoch nicht die beste Mannschaft zu diesem Unternehmen gewählt, vielleicht aus dem Grunde, weil man sie schon für verloren ansah; die Infanterie bestand größtenteils aus Freiwilligen, der nachherigen 12. Kompagnie des braunschweig-englischen Regiments. Korfes' Klugheit wurde es anheimgegeben, Bremen zur günstigsten Zeit zu verlassen und uns nachzukommen. Durch diese List einigermaßen gedeckt, marschierte das Korps weiter, kam während der Nacht in dem oldenburgischen Städtchen Delmenhorst an und erreichte den 6. morgens Huntebrück, wo es die Hunte passierte. Auf diesem Nachtmarsche fand ein lächerlicher Zufall statt, welchen zu erzählen ich nicht unterlassen kann. Fast bis zur Apathie erschöpft, bewegten sich Menschen und Pferde mechanisch in einer langen Kolonne fort; jeder folgte stumm seinem Vordermann, stand still, wenn dieser im Marschieren innehielt, und bewegte sich weiter, wenn derselbe wieder fortschritt. An der Spitze des Zuges ritt der Kommandeur, vom Schlummer überwältigt, hin- und herschwankend. Das müde Pferd ging immer langsamer und blieb, als es sich nicht mehr angetrieben fühlte, endlich stehen – der folgende tat dasselbe, und bald stand die ganze Kolonne still; ein jeder glaubte, daß an der Tete irgendein Hindernis eingetreten sei, welches den Marsch aufhalte. Hierzu kam die Dunkelheit der Nacht, welche kaum fünf Schritte vor sich zu sehen gestattete, weshalb wir nur blindlings fortzutappen vermochten. Auch ließ die Enge des Dammes, auf dem wir einherzogen, nicht zu, neben der Kolonne sich vorwärtszubewegen; ein jeder wartete daher in dumpfer Stille das Vorrücken geduldig ab. Als man aber eine kleine Weile schon haltgemacht hatte und die Müdigkeit in dieser Ruhe sich noch fühlbarer äußerte, sank einer nach dem andern platt auf den Weg hin und schlummerte ein. So mochten wir wohl eine halbe Stunde zugebracht haben, als glücklicherweise der Herzog, welcher vorangeritten war und unser Ausbleiben nicht begreifen mochte, zurückkehrte. Zu seinem großen Erstaunen fand er die lange Kolonne schlafend. Die an der Spitze Befindlichen rüttelte er sogleich auf, zürnte, lachte und ermunterte den einen und den andern der Soldaten, ihn bei Namen nennend, zur Beharrlichkeit und Ausdauer.

Mit dem Übergang über die Hunte waren wir fast am Ziel. Denn bei dem nur zwei Stunden von Huntebrück an der Ausmündung jenes Flusses in die Weser liegenden Marktflecken Elsfleth, sollten Schiffe das Korps aufnehmen und dasselbe den auf dem Meere harrenden Engländern zuführen. Die sämtlichen auf dem Marsche requirierten Wagen befahl der Herzog jetzt zurückzuschicken. Fröhlich jagten die entlassenen Bauernburschen, ungeachtet der Müdigkeit ihrer Pferde, als ob sie fürchteten, daß uns ihr Entfernen reuen würde, von dannen. Ich erhielt den Auftrag, mit meiner Kompagnie und einer Kanone an der Fährstelle, bei welcher die Mannschaft über die Hunte gegangen war, stehen zu bleiben, um die in Elsfleth vorzunehmende Einschiffung zu decken. Bei dem durch die Zeitverhältnisse gehemmten Handel waren viele Schiffe nicht sogleich segelfertig und ohne Ballast, welches manche Verzögerung verursachte. Ich blieb den Tag über auf dem mir angewiesenen Posten, ohne jedoch den Feind zu erblicken. Bis zum Abend harrte ich des Befehls zum Nachkommen. Da ich durch mehrere Schiffer erfuhr, daß die Truppen bereits embarkiert und schon verschiedene Abteilungen die Weser hinaufgesegelt seien, und noch immer kein Befehl erschien, so schickte ich den Leutnant von Sternfeldt nach Elsfleth, um mir Verhaltungsmaßregeln über das etwaige Einziehen des mir anvertrauten Postens zu erbitten. Nachts 11 Uhr erhielt ich darauf die Order, mit meiner Kompagnie augenblicklich nach Elsfleth zu kommen, wohin ich sofort den Weg antrat und um Mitternacht den Ort erreichte. Der Herzog hatte sich noch nicht eingeschifft; ich fand ihn auf der Reede beschäftigt, weitere Anordnungen zu treffen. Als ich mich bei ihm meldete, klopfte er mich freundlich auf die Schulter und sagte: »Es ist gut, daß Sie kommen, mein Kind; aber für Ihre Mannschaft sind hier keine Schiffe mehr aufzutreiben; Sie müssen weiter nach Brake gehen; dort werden Sie noch einige finden. Kommen Sie ja bald nach Helgoland!« Er entließ mich sodann, und ich ging nach meiner Kompagnie, den Befehl ihr zu verkünden.

Obgleich die Nacht hereingebrochen und ein großer Teil des Korps schon embarkiert war, so schien das Treiben und das Gewirre in der Nähe des Einschiffungsplatzes gar kein Ende nehmen zu wollen. Fuhrwerke und Pferde standen dort bunt durcheinander; Reitknechte, Marketenderweiber, Soldaten von jeder Waffe bildeten ein Chaos eigentümlicher Art. In demselben bemerkte ich viele Juden, welche herbeigeeilt waren, um die Pferde und Sachen, die wir nicht mitnehmen konnten, einzuhandeln. Mit der Laterne in der Hand musterten sie die Pferde vom Kopf bis zu den Füßen. Sie boten aber Spottpreise, welche angenommen werden mußten, indem keiner von uns auf langes Fordern und Ablassen eingehen konnte. Die Husarenpferde wurden mit Sattel und Zaumzeug hier und besonders in Brake im Durchschnitt zu einem Louisdor das Stück verkauft; freilich waren sie durch den Marsch gänzlich abgetrieben und die meisten derselben, da sie während der ganzen Zeit nur wenige Stunden abgesattelt gewesen, so stark gedrückt, daß ihre Nähe einen pestilenzialischen Gestank verbreitete, doch konnte einige Ruhe sie bald wiederherstellen und ihnen ein gutes Ansehen geben. Sie waren sämtlich, mit Ausnahme weniger, von guter polnischer Rasse. Selbst für die Pferde der Offiziere ward nicht viel mehr bezahlt; drei bis sechs Louisdor für ein solches zu bekommen, war schon ein hoher Preis. Für die zuletzt sich Einschiffenden fiel aber derselbe sehr, denn die Käufer benutzten die Eile, mit welcher die Einschiffung betrieben werden mußte, und die Unmöglichkeit, in den Fahrzeugen die Pferde mitzunehmen. So erhielt der damalige Leutnant Häusler für vier dem Major von Reichmeister zugehörige Pferde samt Wagen 10 Pfund Tabak; des Herzogs Marstall, welcher aus 16 Reitpferden und 4 schönen Kutschpferden bestand, mußte gleichfalls zurückgelassen werden. Dem Herzoge tat es weh, auch das Pferd, welches sein Vater in der Schlacht bei Auerstädt geritten hatte, nicht mitnehmen zu können; es führte den Namen Juno.

Dem Befehle zufolge setzte ich mich früh am Morgen des anderen Tages (7. August) mit der Kompagnie in Marsch nach Brake, einem Marktflecken, woselbst die größeren Schiffe gelichtet werden, welche nicht nach Elsfleth kommen können. Dort gelang es mir nach langem Mühen, zwei große sogenannte Weserböcke aufzutreiben. Die Eigentümer versicherten zwar, daß die Fahrzeuge nicht in gehörigem Stande wären, besonders bei dem androhenden Wetter die Fahrt nach Helgoland zu machen; ich hielt diese Vorstellungen aber nur für Demonstrationen ihrer Unbereitwilligkeit und zwang sie, sofort die Schiffe zur Fahrt bereitzumachen. Dies geschah. Und als die Sonne kaum untergegangen und die Dämmerung anbrach, war ich mit meiner Mannschaft schon eine geraume Strecke von Brake auf den Fluten der Weser. Aber immer trüber und dunkler ward es gegen die Nacht. Ein mächtiger Sturm brauste plötzlich heulend daher und peitschte die Wogen des Stroms aufwärts. Unsere Schiffe fingen an, gewaltig zu schwanken; kaum mochten wir noch eine kleine Strecke weit gekommen sein, als das Steuerruder an einem der Fahrzeuge brach und wir schnell den Anker fallen lassen mußten. Eine dichte Finsternis umgab uns, mit jeder Minute wuchs der Sturm; die Wogen stiegen hoch; hin und her wurden wir geworfen, jeden Augenblick befürchtend, daß das Ankertau zerreißen würde.

Das Frührot verscheuchte endlich die furchtbare, lange Nacht; der Sturm ließ gegen Morgen (8. August) nach; mit Mühe schleppten wir uns nach einem naheliegenden Dorfe, wo ich ein befrachtetes Schiff antraf, das ich ausladen ließ. Nachdem ich mehrere Matrosen, ihnen eine gute Belohnung zusichernd, für die Bedienung des Schiffes gewonnen hatte, auch mir die notwendigen Lebensmittel zum Unterhalt meiner Leute geliefert worden waren, schiffte ich mich von neuem mit der Hälfte der Kompagnie ein, dem andern Fahrzeuge, auf welchem die übrige Mannschaft derselben sich befand, jetzt rasch nachfolgend. Aber wir sollten, bevor wir das Meer erreichen würden, noch nicht allen Gefahren entgangen sein. Noch erwartete uns feindliches Geschoß. Der dänische General von Ewald, derselbe, welcher mit Gratien den tapferen Schill und seine mutige Schar erst vor wenigen Wochen in Stralsund durch Übermacht bezwungen hatte, war von Cuxhaven, woselbst die Engländer wieder zu landen versucht, auf die Nachricht von dem Anmarsch des Herzogs nach Bederkesa mit seinem Korps geeilt, wähnend, daß wir der Elbe zu unsere Richtung nehmen würden. Hier erhielt er von dem in Hamburg kommandierenden französischen General Dumas und dem westfälischen Gouvernement die Aufforderung, die gegen den Herzog unternommene Operation zu unterstützen und zur Vernichtung der Schar auf das kräftigste mitzuwirken. Diesem zufolge ging er, als ihm von unserer Einschiffung in Elsfleth und Brake Kunde geworden sein mochte, von Bederkesa nach Bremerlehe, einem am äußersten Ausflusse der Weser liegenden Marktflecken, bei welchem unsere Schiffe vorbeisegeln mußten, und errichtete dort an der Küste eine Batterie. Der Herzog, welcher bei der Einschiffung in Elsfleth der letzte gewesen, war noch vor Bremerlehe an Bord der amerikanischen Brigg The Shepherdess (die Schäferin) gegangen. Als nun dieses Schiff mit noch einigen anderen Fahrzeugen, welche gleichsam die Arrièregarde der kleinen Flotte bildeten, in die Nähe der von den Dänen errichteten Batterien kam, schossen dieselben auf das heftigste nach unseren Schiffen, besonders nach dem, auf welchem der Herzog sich befand. Die Kugeln taten aber nicht den gehofften Schaden, da die Batterie wohl noch 200 Schritte vom Strande entfernt lag. Als wir dieselbe passiert hatten, folgten uns die Dänen mit ihrem Geschütze längs der Küste und feuerten, wiewohl gleichfalls vergeblich, auf die dahinsegelnden Schiffe. Glücklich erreichten wir die Mündung der Weser; vor uns lag die Nordsee; die Freiheit war jetzt errungen. Napoleon rief aus, als man ihm von dem glücklichen Gelingen des kühnen Unternehmens des Herzogs in Schönbrunn berichtete: »Ah, c'est un vaillant guerrier!«

Durch Nachlässigkeit der Schiffer gerieten indes zwei Fahrzeuge auf den Strand und fielen in die Hände der Dänen. Das eine derselben hatte die aus einem Kammerdiener, zwei Leibjägern und fünf Reitknechten bestehende Dienerschaft des Herzogs, wie auch dessen mit 6000 Talern gefüllte Schatulle und das Gepäck der meisten Offiziere an Bord; das andere war mit bedeutenden Vorräten an Fleisch, Brot und Wein befrachtet, und befand sich auf demselben ein Kommando von 3 Mann. Nicht nur diese, wie die schon früher in Gefangenschaft geratenen Soldaten des Korps, sondern auch die beiden Leibjäger und die Stallknechte des Herzogs wurden, obgleich nicht Militärs, nach den Galeeren von Cherbourg und Brest gebracht. Zwei der letzteren starben jedoch auf dem Transport dahin in Mainz und zwar in demselben Gefängnisse, in welchem Schinderhannes gesessen hatte.

Am 9. gewahrten wir, noch in der Nähe der nördlichsten Küste Oldenburgs lavierend, ein kleines englisches Kriegsgeschwader, das der Gouverneur von Helgoland, welchen der Herzog durch den Leutnant Pott von unserer Ankunft hatte benachrichtigen lassen, unter dem Befehle des Lord George Steward uns entgegensandte. An der Spitze erschien die königliche Brigg Mosquido, auf welche der Herzog sich begab. Mit Kanonensalven empfingen die Schiffe den Helden und seine schwarze Schar.

Am Morgen des 10. August erblickten wir die Insel Helgoland, einen Felsen, der mit seinem weiß und rötlichen Gestein sich immer majestätischer aus den dahinrollenden Wogen des Meeres erhebt, je näher der Schiffer ihm kommt, und dessen steile Abhänge von weitem hohen Festungswerken gleichen. Das felsige Eiland ist gleichsam der Wachtposten an der Ausmündung der Elbe und Weser, von welchem ab damals der Schleichhandel mit Kolonialwaren nach Deutschland und Nordholland in ungeheurer Ausdehnung betrieben wurde. Es war zugleich ein bedeutender Waffenplatz, von welchem die naheliegenden, mit französischen Douanen besetzten Küsten nicht selten alarmiert wurden, ein sicheres Asyl für so manchen Verfolgten, der Haß und Rache dem Welschtum im deutschen Vaterlande geschworen hatte. Freudig gingen wir dort vor Anker. Durch unsere Ankunft war die Lebhaftigkeit, welche auf dem untern Teile der Insel, dem Vorlande, herrschte, unendlich vermehrt. Süß war der gemeinschaftliche Genuß unseres errungenen Triumphs. In dem kurzen Zeiträume von 14 Tagen hatten wir 62 Meilen zurückgelegt und uns mitten durch weit überlegene feindliche Scharen siegreich einen Weg hierher gebahnt. – Noch an demselben Abend landete auch der Major Korfes, der durch seine Einsicht, Kenntnisse und Bravheit dem Korps die wesentlichsten Dienste geleistet hatte. Nicht besser und authentischer können die Begebnisse seines von Altsyke nach Bremen entsendeten Detachements, dessen bereits oben Erwähnung geschehen ist, geschildert werden, als es in einer Relation darüber der obengenannte damalige Leutnant, jetzt Oberstleutnant von Wolffradt getan.

»Als wir uns Bremen«, berichtet derselbe, »bis auf einige hundert Schritt genähert hatten, vernahmen wir plötzlich zu unserm größten Erstaunen, denn wir wußten, daß in der nahen Stadt kein Feind sei, eine Kanonade. Es wies sich aber nachher aus, daß es Freudenschüsse über unsere Ankunft gewesen waren, welche man indes übel angebracht hatte, denn die Schüsse konnten ebensogut einem in der Nähe befindlichen Feinde zur Benachrichtigung dienen. Auf das herzlichste bewillkommneten uns die Bremenser als echte Deutsche und drückten ihre Freude, einmal Kämpfer für die gute Sache in ihren Mauern zu begrüßen, in Wort und Tat aus. Weniger angenehm mag unsere Ankunft dem hohen Senat gewesen sein. Das Stadtoberhaupt erklärte unserm Anführer, es wäre soeben das bevorstehende Eintreffen eines feindlichen Armeekorps von mehreren tausend Mann unter dem General Gratien vom rechten Weserufer her angemeldet. ›So muß ich den Herrn General notwendigerweise hier erwarten,‹ entgegnete Korfes und stellte uns mitten in der Stadt am linken Weserufer zu beiden Seiten einer Brücke auf.

Die Nacht verging ruhig am Biwakfeuer, welches wir uns in den Straßen anzündeten. Die aufgehende Sonne verkündete einen heißen Sommertag; den Morgen rasteten wir noch in der Stadt, und als Korfes den Herzog weit genug vorgerückt und nichts mehr dessen Einschiffung Hinderndes zu befürchten glaubte, brachen wir am Nachmittage gegen 5 Uhr nach Delmenhorst auf, um dem Korps eiligst zu folgen. Kaum hatten wir auf dem durch hohe Hecken eingeschlossenen, dahin führenden Landwege, an zerstreuten Gehöften vorbei, eine Stunde zurückgelegt, als wir in unserer Front mehrere in kurzen Intervallen sich wiederholende Kanonenschüsse hörten. Wir waren auf die 2000 Mann starke Avantgarde des Generals Reubell gestoßen, denn das Eintreffen Gratiens in Bremen war nur ein Gerücht gewesen, da derselbe schon in Nienburg den Befehl erhalten, infolge der Landung der Engländer sich ungesäumt nach Holland zu wenden. Reubell war mit seinen Truppen bei Hoya, ungeachtet die dortige Brücke abgebrochen worden, über die Weser gegangen und, irrigerweise glaubend, daß der Herzog es sei, welcher mit dem ganzen Korps nach Bremen sich gewandt habe, dem Major Korfes gefolgt. Unser Häuflein machte halt. An der Infanterie vorbei zogen jetzt die Husaren auf dem Wege zurück, den wir gekommen waren. Eine in jenem Augenblicke uns allen unerklärliche Bewegung. Mit einem so überlegenen Feinde in einen ernstlichen Kampf sich einzulassen, wäre tollkühn gewesen. Korfes stellte inzwischen einige unserer Tirailleure auf einem vom Wege links liegenden Anger auf, welche mit den Westfalen, ohne sich jedoch zu weit vom Haupttrupp entfernen zu dürfen, sich sogleich engagierten. Mehrere Kartätschenschüsse des Feindes trafen auch nicht einen Mann der Unsrigen, denn die hohen Hecken verhinderten, uns gegenseitig zu erkennen. Unser Anführer ließ hierauf die Haubitze abprotzen und gleichfalls mit Kartätschen gegen den Feind feuern, welches zur Folge hatte, daß derselbe sein Feuer einstellte. Jetzt ließ Korfes in größter Eile wieder aufprotzen und uns den Rückzug antreten; die Geschütze mußten voran, dann die Infanterie sektionsweise im Trabe und in guter Ordnung. Wir richteten unsern Marsch, rechts von der Straße ablenkend, nördlich dem Ochumflusse zu und fanden bald einen Nebenweg, der, wie Korfes in Erfahrung gebracht hatte, zu einer Furt dieses kleinen Flusses führt. Ein auf dem Felde befindlicher großer, mit vier Pferden bespannter Leiterwagen, welchen wir nach etwa einer Viertelstunde antrafen, wurde sogleich in Beschlag genommen und mit so viel Fußgängern, als Platz auf demselben finden konnten, besetzt, um unsern Marsch zu beschleunigen. Glücklich waren wir so dem Feinde entschwunden, der uns auch zu unserer größten Verwunderung nicht weiter verfolgte und nur ein paar auf der Straße zurückgelassene Wagen erbeutete.

Bald kamen wir an die aus ihren Ufern getretene Ochum, welche, obgleich sie sonst wohl für Fußgänger zu passieren sein mochte, doch an jenem Tage eine solche Höhe erreicht hatte, daß beim Durchfahren die Munition der Artillerie naß und unbrauchbar wurde. Doch brachte man die Geschütze und auch den Leiterwagen, ohne umzuwerfen, glücklich hindurch. Wer nicht auf dem Wagen oder dem Geschütz saß, half sich, so gut er konnte. Ich sah mich genötigt, einige 20 Schritt weit zu schwimmen, ehe ich festen Grund erreichen konnte. Beim Übergange sollen ein Volontär von Schnude aus Brieg in Schlesien und vier Mann ertrunken sein. Wir vermißten dieselben bald nachher; doch ist es auch möglich, daß sie, bevor wir den Fluß erreichten, zurückgeblieben sind. Man hat seitdem von ihnen nichts weiter gehört.

Als wir den Fluß im Rücken hatten, durften wir auf einige Sicherheit rechnen. Korfes äußerte seine Freude, uns aller Wahrscheinlichkeit nach gerettet zu sehen. Man soll aber den Tag nicht vor dem Abend loben, wenngleich die sinkende Sonne uns dessen nahes Ende verkündet. Wir marschierten jetzt der Weser zu und gelangten nach völligem Einbruche der Nacht an ein ungefähr dreiviertel Meilen unterhalb Bremen gelegenes Dorf, Seehausen, vor dessen Eingange wir in einiger Entfernung hielten. Nachdem Korfes durch eine in das Dorf abgesandte Patrouille die Nachricht erhalten hatte, daß kein Feind alldort anzutreffen sei, beschloß er, in dasselbe einzurücken und die Nacht dort zu bleiben. Doch bevor wir hineinmarschierten, sollte uns leider noch ein Unfall treffen. Von Müdigkeit überwältigt, war der Spitzenreiter vor dem Sechspfünder während des Haltens auf dem Pferde eingeschlafen. Beim Wiederanziehen des Geschützes kam, in der tiefen Finsternis, dasselbe durch die Unachtsamkeit des noch schlaftrunkenen Reiters aus dem Gleise und stürzte in einen Pfuhl plötzlich hinab; ein Artillerist ward unter die Kanone geschleudert und büßte sein Leben ein. Nur wenige Minuten vorher hatte ich auf dem Protzkasten des Geschützes gesessen.

Die in der Entfernung lodernden Wachtfeuer der Westfalen zeigten uns deutlich die Stellung Reubells an. Daß er uns nicht aufgegeben habe, sondern uns mit Anbruch des Tages nachsetzen werde, um das von ihm so sehr Versäumte einigermaßen wieder gutzumachen, konnten wir mit Recht vermuten. Ihm zu entgehen, blieb uns nur der Ausweg übrig, mittelst eines Schiffes auf der Weser so schnell als möglich aus seinem Bereiche zu kommen. Und diese Hoffnung hatte unsern Anführer nicht betrogen. Nachdem die notwendigen Posten ausgestellt waren, und während wir in einem geräumigen Bauernhause am Feuer unsere Kleider trockneten, mit Trank und Speise uns stärkend, hatte Korfes Erkundigungen eingezogen, wie weit die Weser von dem Dorfe entfernt sei, und ob nicht Schiffe in dessen Nähe anzulegen pflegten. Glücklicherweise lag gerade ein sogenannter Weserbock in der Mitte des nicht eine Viertelstunde entfernten Flusses. Kaum hatte Korfes dieses in Erfahrung gebracht, so bestieg er in Begleitung von zwei Mann ein Boot und ließ sich zu dem Fahrzeuge hinübersetzen; den Schiffer veranlaßte er durch Drohungen und Versprechungen, augenblicklich die Anker zu lichten, sein Schiff dicht an das Ufer zu legen und zu unserer Disposition zu stellen. Sobald der Tag anbrach, wurde zuvörderst die verunglückte Kanone, welche wir mitzunehmen doch nicht imstande waren, vernagelt und ein Rad von derselben abgezogen; sodann schiffte man die Haubitze samt dem verwaisten Protzkasten des Sechspfünders und Lebensmittel auf einige Tage ein und zuletzt die auf 60 bis 70 Köpfe geschmolzene Mannschaft, deren Stärke ich jedoch nicht ganz genau anzugeben vermag. Leider blieb die von uns abgeschnittene Kavallerie zurück, welche sich, wie ich später erfuhr, zerstreut hatte, und deren Anführer, Rittmeister von Hirschfeld, bald nachher Gelegenheit fand, mit mehreren seiner Leute nach England zu entkommen. Nachdem wir sämtlich eingeschifft waren, wurde das Fahrzeug von oben dergestalt geschlossen, daß die Mannschaft nicht gesehen werden konnte. So glitten wir – ein günstiger Wind schwellte die Segel – sanft die Weser hinab, am Montage den 7. August früh morgens gegen 5 Uhr.

Ungeachtet unserer noch immer bedenklichen Lage und der Unbehaglichkeit des Aufenthalts in einem kleinen, zum Teil mit Frachtgütern beladenen Flußschiffe, dessen Raum so viele Menschen aufeinandergedrängt in sich faßte, brachten wir die Zeit mit Essen, Trinken, Kartenspielen und – bei der ungeheuren Erschöpfung aller – auch mit Schlafen hin. Nachts wurde mitten im Flusse geankert und die nötigen Wachen auf dem Schiffe ausgestellt. Mittwoch, den 9. August, um die Mittagszeit erblickten wir wenige Stunden südlich von Bremerlehe eine größtenteils aus Flußschiffen bestehende Flottille, unter derselben eine Brigg, welche vor uns gegen den Wind lavierte. Es waren unsere Kameraden, die sich zu Elsfleth und Brake glücklich eingeschifft hatten. Bald befanden wir uns mitten unter ihnen. Die Brigg trug unsern geliebten Herzog.«

*

Während der kurzen Zeit, in welcher wir auf Helgoland verweilten, waren von seiten des englischen Gouvernements zu unserer Überfahrt nach England Anstalten getroffen. Das Korps wurde auf Transportschiffe verteilt, deren Anzahl nur sehr gering war. Ich stellte unangenehme Betrachtungen über den so beschränkten Raum in dem mir angewiesenen Schiffe an, mit welchem ich mich begnügen sollte, und sann beim Anblick unserer Schlafstätte darüber nach, wo ich mein Haupt für die Nächte während der Überfahrt hinlegen sollte, als ein Seeoffizier an Bord sprang, mir mit freundlichem Händedruck das Anerbieten machend, mich, wenn es zu eng in dem kleinen Schiffe für uns alle sein würde, mit 30 Mann meiner Kompagnie auf seinem Kriegskutter aufnehmen zu wollen. Ich dankte dem braven Seemann herzlich, so gut ich mich in seiner Muttersprache nur auszudrücken vermochte, und willigte gern ein. Sofort verließ ich das enge Transportschiff und begab mich mit einer Abteilung meiner Leute an Bord des Kutters. Gegen Abend gingen wir mit günstigem Winde unter Segel, unser Schiff flog schnell wie ein Vogel auf den Wogen dahin, bald hatten wir Helgoland weit hinter uns. Aber in der Nacht erhob sich ein Sturm, der unser Schiff auf dem wild empörten Elemente mit furchtbarer Gewalt umherwarf. Am Morgen des folgenden Tages sahen wir uns von den andern Schiffen unserer kleinen Flotte getrennt. Außer mir nebst einigen andern Offizieren unseres Korps und meinen Leuten befand sich noch der Oberst von Wellingerode auf dem gleichfalls engen Fahrzeuge; an einen Platz in der Kajüte war leider nicht zu denken, und mußte ich den Tag auf dem Verdecke, die Nacht aber in dem großen Boote unter dem Maste zubringen. Zu dieser Unbequemlichkeit gesellte sich die Seekrankheit, welche mich zwei Tage lang auf das furchtbarste peinigte. Das stürmische Wetter legte sich am 12.; es hatte uns nach dem Texel hin verschlagen, dessen Sandbänke sich zeigten.

Endlich am 13. erblickten wir die englische Küste. Wir segelten längs derselben, uns ihr nähernd, hin; mit jeder Viertelstunde wurden die Gegenstände auf derselben unsern Augen deutlicher; freundliche Dörfer, grüne Wiesen, dunkle Gebüsche flogen bald in wechselnder Mannigfaltigkeit an uns vorüber; die Glockenspiele der Kirchtürme hörten wir schon ertönen, und es drängte mich, den Boden zu betreten, nach welchem ich mich so oft gesehnt hatte. Aber wir konnten erst am 14. abends auf der Reede von Great Yarmouth die Anker werfen; der Kapitän begab sich sogleich ans Land und brachte mir die Weisung, mit meinen Leuten auf das Wachtschiff The Roebuck, eine alte, ausgediente Fregatte, zu gehen, um darauf so lange zu bleiben, bis weitere Befehle von London eingetroffen sein würden. Am 15. erfolgten dieselben; ich fuhr an das Land und betrat endlich den Boden von Großbritannien. Die Engländer maßen unsere abgetragenen schwarzen Uniformen mit sonderbaren Blicken; wir würden ihnen gleichgültig erschienen sein, wenn nicht der Ruf von unserm Zuge, von unserm fürstlichen, ihrem Königshause so nah verwandten Führer in ihnen viele Teilnahme erweckt und sie zu einer nicht ungastlichen Begegnung bewogen hätte.

Von den andern Schiffen, auf welchen sich die übrigen Abteilungen des Korps befanden, liefen nur noch zwei im Hafen von Yarmouth ein; die übrigen derselben waren nach andern Häfen verschlagen worden. So landete der Herzog am 14. bei Great Grimsby, einer einst reichen Seestadt am Eintritte der Humber in das Meer. Er hatte sich von dort sogleich nach London begeben. Von daher kam bald die Order, welche uns sämtlich die Insel Wight im Kanal zum einstweiligen Standquartiere anwies. Wir wurden nun von neuem auf Schiffe verteilt, um dorthin zu gelangen. Zuerst ging ich mit einigen fünfzig Mann Infanterie und einer Anzahl Husaren an Bord der Kriegsbrigg The Vixen, allein dieselbe ward noch im Hafen von einem andern Schiffe, dessen Ankertau gerissen war, am Bugspriet so sehr beschädigt, daß sie zur Ausbesserung zurückgelassen werden mußte.

Dieser Vorfall verzögerte unsere Abfahrt um einige Tage; erst am 24. konnten wir uns einschiffen, den 25. lichteten wir endlich die Anker. Das Fahrzeug, auf welchem ich mich befand, The Kingstown, ein großes Transportschiff, war nur für 300 Mann eingerichtet. Aber dessenungeachtet mußte es über 500 aufnehmen, so daß der Platz äußerst beschränkt wurde und die Leute nicht nur in den Zwischendecken gleich Heringen zusammengepackt lagen, sondern auch viele nicht einmal dort bleiben konnten und sich genötigt sahen, auf dem Verdeck zu biwakieren. Ebensowenig waren wir mit den zu unserer Verpflegung auf dem Schiffe erforderlichen Anordnungen hinlänglich bekannt. Auf dem Kutter hatte der Kapitän während der Fahrt von Helgoland freilich sparsam, doch freundlich die Offiziere bewirtet, und ich glaubte daher, daß solches auch hier stattfinden würde. Aber wie sehr hatte ich mich getäuscht! Niemand bekümmerte sich um uns auf dem Schiffe. Der Schiffskapitän nahm fast keine Notiz von unserm Dasein; der Steward warf morgens ein Stück rohes Fleisch und einen Haufen harten Schiffszwieback in die Kajüte, und damit war alles für den Tag geschehen. Wir konnten uns freilich selbst die Schuld beimessen, da es von uns leider versäumt worden, uns hierüber unterrichten zu lassen. Wir hatten daher keine Kenntnis davon, daß auf den Schiffen den embakierten Landtruppen nur die Rationen geliefert werden, sie aber für das Kochen selbst sorgen müssen. Die Offiziere pflegen deshalb einen Stock zu bilden, d. h. einen Fonds zusammenzuschießen, aus dem noch einige andere Vorräte angekauft werden, welche so wie die Führung der Menage einer unter ihnen dann verwaltet und besorgt.


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