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Nachdem wir den 27. nachmittags 4 Uhr von Halle aufgebrochen waren, marschierten wir die Nacht und den folgenden Tag hindurch, kaum vier Stunden im ganzen rastend, und langten den 28. abends gegen 11 Uhr im Biwak bei Hettstedt, einem Städtchen im Mansfeldischen, an. Den 29. setzten wir den Marsch fort und erreichten noch vor Mittag Quedlinburg.
Die Klugheit und Vorsicht geboten es, den Feind über die Richtung des Weges, welchen wir nahmen, möglichst irrezuführen, auch Nachrichten über den etwaigen Anmarsch desselben einzuziehen.
Der Herzog entsandte deshalb stets von beiden Seiten des dahinziehenden Korps Kavalleriedetachements auf ziemlich weite Entfernung, welche an gewissen bestimmten Punkten wieder zu ihm stoßen mußten. Demgemäß war auch eine solche Patrouille von Halle aus gegen Bernburg entsandt worden, die in dieser Gegend Gerüchte von der Aufkündigung des Waffenstillstandes und dem Heranrücken von 20 000 Mann Österreicher und Braunschweiger verbreiten mußte, bei Könnern die Saale überschritt und in Quedlinburg sich wieder mit uns vereinigte. Gleichermaßen war eine andere in die Gegend von Merseburg und eine dritte unter dem Rittmeister von Wulffen nach Blankenburg abgeschickt, um dort die Ankunft eines österreichischen und braunschweigischen Korps, das auf Kassel rücken würde, zu verkünden. Gegen 1 Uhr nachmittags langte die über Könnern zurückkehrende Patrouille im vollen Trabe an und überbrachte dem Herzoge die Nachricht, daß das fünfte, beinahe 3000 Mann zählende westfälische Regiment, auf dem Marsche von Magdeburg nach der Weser begriffen, am Mittag bereits in Halberstadt eingerückt sei und dort die Nacht hindurch bleiben werde. Die Umgehung der Stadt von seiten des Korps war unmöglich; es würde selbige auch zu nichts geführt haben, da wir dann eine bedeutende Macht in unserer Flanke und zugleich dicht auf unseren Fersen zurückgelassen hätten.
Ein mutiger Angriff blieb uns nur übrig. Doch solchen auszuführen, dazu war Eile nötig, damit die Westfalen nicht von unserem Anmärsche zu früh benachrichtigt würden und Zeit gewännen, sich in Verteidigungszustand zu setzen oder gar den Rückmarsch nach Magdeburg anzutreten, welcher uns gleichfalls die größte Gefahr bringen Konnte.
Das Korps war außerhalb der Stadt auf dem Schützenhofe gelagert. Einige tausend Rationen, von der städtischen Behörde requiriert, wurden von den Einwohnern hierher geschafft, und unsere Leute benutzten die von dem eben beendeten Freischießen noch stehen gebliebenen Tische und Bänke bei dem einzunehmenden Mahle; laut herrschte die Freude in ihren Reihen. Eine Vergangenheit, eine Zukunft gab es für unsere am Augenblick hängenden Krieger nicht mehr. Das Ganze, ein schönes Bild des wahren Soldatenlebens, erinnerte lebhaft an Wallensteins Lager. Aber ach! wie so manchen unter euch, ihr Braven, der hier noch neckend eine schöne Quedlinburgerin umfing und sie kosend an sein Herz drückte, hielt nach wenigen Stunden der Tod in seiner kalten Umarmung. – Plötzlich mahnte der Ruf des Hornes zum Aufbruch; wir traten an, die Glieder wurden geordnet, und fort ging es, Halberstadt zu, welches wir gegen sechs Uhr erreichten.
Anfangs schien es, daß man unsere Ankunft alldort nicht ahnte und wir den Feind überraschen würden. Als wir aber in die Nähe der Tore kamen, sahen wir, daß die Westfalen, welche, wie wir erfahren hatten, keine Artillerie mit sich führten, zur Gegenwehr die kräftigsten Anstalten zu machen schon beschäftigt waren. Die Mauer, welche die Stadt rings umgibt, und die auf jener befindlichen, ziemlich nahe voneinander liegenden Rondelle wurden mit Mannschaft besetzt, die Eingänge der noch mit Türmen aus den Zeiten früherer Jahrhunderte versehenen gewölbten Tore verbarrikadiert; auf einen entschlossenen Widerstand schien alles hinzudeuten. Einige Gensdarmen nahten sich uns zuerst; nachdem sie mehrere Schüsse gewechselt hatten, zogen sie sich wieder zurück, worauf der Kommandeur des westfälischen Regiments, Oberst Graf von Wellingerode, einige Kompagnien uns entgegenrücken ließ, vielleicht von der Meinung befangen, daß das ganze Korps noch nicht eingetroffen und nur die Avantgarde desselben erst im Anmarsch begriffen sei. Einige wohlangebrachte Granaten und Kartätschenschüsse trieben sie, von uns verfolgt, in die Tore zurück, deren Eingänge nun, so gut es die Eile gestattete, geschlossen und verrammelt wurden. Der Herzog ordnete hierauf das Korps, und kampfesmutig harrten wir des Befehls zum Angriff auf die Stadt. Eine Kolonne, unter Führung des Majors Korfes, aus dem ersten Infanteriebataillon, der Scharfschützen – oder der grünen Jägerkompagnie und der Artillerie gebildet, marschierte gegen das Kühlinger Tor und detachierte eine Kompagnie zur Beobachtung des nach Magdeburg führenden Breiten Tors; eine zweite Kolonne, vom Herzog selbst kommandiert, es war das zweite Infanteriebataillon, rückte gegen das Harsleber Tor und entsandte zwei Kompagnien unter dem Kapitän von Rabiel gegen das Johannistor. Des Korps drittes Bataillon beobachtete das nach Braunschweig führende Tor und bildete, auch die Bagage bewachend, zugleich die Reserve.
Einer jeden Kolonne folgten Husaren und ein Zug Ulanen. Kavalleriedetachements waren gleichfalls auf den nach Magdeburg und Braunschweig führenden Heerstraßen aufgestellt. Der Sturm begann. Die Unerschrockenheit und der Mut unserer Soldaten zeigte sich bei jedem wiederholten Angriffe. Aber das mörderische Feuer von den Mauern und aus den über den Toren befindlichen Türmen kostete uns viele Tote und Verwundete; alle Anstrengungen, das Kühlinger Tor aufzubrechen, waren fruchtlos, und nur ein Mittel, in dasselbe dringen zu können, blieb übrig: es mit Geschütz zu sprengen. Sogleich wurde unsere halbe Batterie aufgefahren, die Kanonen gerichtet und das Feuern eröffnet. Doch vergebens sollten unsere Bemühungen sein. Schon sind die beiden ältesten Offiziere der Scharfschützenkompagnie schwer verwundet, ein großer Teil des übrigen Fußvolks und der Artillerie liegt tot auf dem Platze oder ist kampfunfähig geworden, und beinahe verlassen steht das Geschütz. Schon werden die Kämpfenden mutlos und verzweifeln an dem Gelingen, als Major Korfes, dem das Pferd unter dem Leibe getötet ist, einen zweiten Versuch macht und, durch sein Beispiel von neuem die Weichenden ermutigend, mit Hilfe der Offiziere die Geschütze selbst bedient und richtet. Ihm, einem erfahrenen Artillerieoffizier, gelingt es, durch den dritten Schuß das Tor zu sprengen. Sogleich stürzen die Jäger hinein, entfernen unter einem dichten Kugelregen die mit Dünger beladenen Wagen und andere Hindernisse und stürmen mit dem Rufe: »Sieg oder Tod!« in die Stadt.
Die zweite Kolonne am Harsleber Tore hatte sich unter großem Verluste an Toten ebenfalls vergeblich bemüht, in dasselbe einzudringen, bis es endlich dem Leutnant von Hertell gelang, die zur Verbarrikadierung des Tores gebrauchten hölzernen Gerätschaften in Brand zu stecken, wodurch aber der Eingang sowohl als der Ausgang fortwährend versperrt wurde, da die Hitze des hell lodernden Feuers eine Annäherung nicht zuließ. – Glücklicher war der Kapitän von Rabiel, welchem es, obwohl nach einer äußerst bedeutenden Einbuße, gelang, eine Nebenpforte am Johannistore mit Äxten aufhauen zu lassen und nun in die Stadt zu dringen.
Während man also voll von Erbitterung kämpfte, war die Nacht hereingebrochen. Der Herzog hatte sich sogleich an die Spitze der zuerst durch das Kühlinger Tor Stürmenden gestellt, denn es lag einmal in des Fürsten Natur, daß, je größer die Gefahr, auch um so größer sein Mut wurde. Seine Nähe inmitten des Kugelregens, sein Zureden, seine Ermahnungen feuerten unsere Soldaten zur Beharrlichkeit und Ausdauer in dem noch mehr zunehmenden Kampfe an. Sobald die Jäger die den Toren zunächst gelegenen Straßen vom Feinde ein wenig gesäubert hatten, brachen einige Züge Kavallerie in die Stadt ein und beförderten die Verbindung der durch das Johannistor jetzt eingedrungenen Kolonnen mit den ihnen vom Kühlinger Tore entgegenkommenden. Sie stießen zuerst auf einen Teil der feindlichen Reserve, deren Stärke wohl mehrere hundert Mann betragen mochte, die, in der Dunkelheit sich verloren achtend, nach einem schwachen Widerstande die Waffen wegwarf und sich ergab.
Mit dem Eindringen der Unsrigen in die Stadt hatte ein hartnäckiges Kämpfen in verschiedenen Gassen begonnen. Aus vielen Häusern schossen die Westfalen auf uns herab; doch unsere Leute überwanden standhaft und entschlossen alle Hindernisse. Unter dem donnernden Rufe: »Es lebe unser Herzog! es leben die Schwarzen!« drangen sie unaufhaltsam vor, erbrachen die Häuser, aus welchen auf sie gefeuert wurde, und streckten die sich hartnäckig wehrenden Feinde mit dem Bajonett nieder. Freilich fielen einige Exzesse und Erpressungen hierbei vor, die indes bei Soldaten, welche sich in einem so aufgeregten Zustande befinden, wohl nicht zu streng zu rügen sind. Noch einmal versuchten mehrere westfälische Kompagnien, am Ausgange der Schmiedestraße vorzudringen. Ein blutiger Kampf begann, in welchem wir sowohl als unsere Gegner einen beträchtlichen Verlust an Toten und Verwundeten erlitten; ja, zweifelhaft blieb eine geraume Zeit hindurch, wer siegen werde. Da läßt der Major Korfes eine Haubitze auffahren; Unordnung und Verderben bringen die Kugeln in die feindlichen Glieder; die Westfalen, zurückgeworfen, weichen, verfolgt von der Kavallerie. In der Nähe des Domplatzes setzen sie sich von neuem, doch erliegen sie einem abermaligen Angriffe und werden genötigt, sich am Burcharditore zu ergeben. – Unsere Husaren unter dem tapferen Major von Schrader hatten kurz vorher den Chef des Regiments durch ein kühnes Wagstück der beiden Leutnants von Girsewald, welche denselben fast aus der Mitte seiner Leute gerissen, wie auch den Kommandanten der Stadt, Stockmayer, nach hartnäckigem Widerstande gefangengenommen. Einige Trupps der Westfalen warfen sich in die Häuser und fingen an, sich in denselben zu verteidigen; allein auch sie mußten bald kapitulieren. Am längsten hielten sich mehrere hundert Mann in einem an dem Breiten Tore gelegenen großen Hause, in dessen Besitz sie bis zum Morgen des nächsten Tages blieben. Ungefähr bis 2 Uhr des Nachts dauerte der Kampf; die Stadt war endlich unser, der Feind vernichtet; alle seine Offiziere, ungefähr 80 an der Zahl, und 2000 Mann befanden sich in unserer Gewalt; sein Verlust an Toten und Verwundeten mochte wohl über 600 Mann betragen; unter ihnen waren einige 20 Gensdarmen, auf welche man einen besonderen Haß und Groll hatte. Über 100 Mann entkamen durch eine unbewachte kleine Pforte in der Stadtmauer. Unser Verlust belief sich auf 400 Tote und Verwundete. Unter den vierzehn Offizieren, welche verwundet waren, zählte ich zu meiner innigsten Betrübnis meinen teuren Freund, den Major von Scriver, einen so ausgezeichneten Krieger, daß dessen Verlust für das Korps mit Recht unersetzlich genannt werden konnte. Bei dem ersten Angriffe auf das Kühlinger Tor traf ihn eine Kugel in den Leib; der Leutnant von Döbell von seiner Kompagnie wurde gleichfalls in die Hüfte geschossen. Außer diesen beiden wurden verwundet: die Kapitäne von Lüder, Genderer, von Kersten, von Radonitz und von Otto, die Leutnants W. Berner, Derselbe starb infolge der Verwundung während der Überfahrt des Korps nach der Insel Helgoland; die sterbliche Hülle des Tapferen ruht in den Fluten des Deutschen Meeres. G. von der Heyde, W. von Girsewald, von Dobschütz, von Normann, J. von der Heyde und C. Berner. Im Verhältnis der Stärke des Korps war allerdings unser Verlust – vier Offiziere blieben tot auf dem Platze – beträchtlich, doch in Berücksichtigung der Umstände, unter welchen das Gefecht stattfand, nur als gering zu achten. Und wenn man erwägt, daß der Feind bei weitem mehr Mannschaft wie wir zählte und durch hohe Mauern gedeckt war, so ist wohl dieser Sieg als eine wahrhaft kühne Waffentat anzusehen. Daß wir ihn hauptsächlich durch die beispiellose Bravour unseres Fußvolks errungen, ist außer allem Zweifel, was ihn indes mit erringen half, war die Artillerie, welche uns unsern Angriff gleichsam vorbereitete, wie auch die Kavallerie des Korps. Waren doch unter den toten Offizieren drei aus den Reihen der letzteren: die Leutnants Sperling, Hagemann und Weigand. Ersterer, der Sohn des Postmeisters in Nachod, büßte sein Leben dadurch ein, daß er im verwegensten Mute bei der Stürmung des Kühlinger Tors im heftigsten Kugelregen bis zu dem Tore selbst ritt und in eine der in der Mauer befindlichen Öffnungen sein Pistol abfeuerte. – Von der Infanterie blieb der Leutnant von Kessinger. Mehrere der verwundeten Offiziere waren in ein dem nach Braunschweig führenden Tore naheliegendes Haus gebracht worden. Es traf sich zufällig, daß es ein Domizil schmiegsamer Jungfrauen war, daher die Leidenden unter den weichen Händen dieser barmherzigen Schwestern eine sehr sorgfältige und sanfte Pflege fanden. – Die Nacht war weit vorgerückt, der Morgen begann schon anzubrechen, und Sieger und Besiegte sanken, vom heißen Kampfe erschöpft, in buntem Gemisch friedlich nebeneinander in tiefen Schlaf. Es war mir eine Anzahl Gefangener übergeben worden, welche die meiner Mannschaft wenigstens um das Dreifache überstieg. Sorgsam stellte ich einige Posten aus, ließ die übrigen ruhen und lagerte mich, die Zügel meines Pferdes um die Hand geschlungen, in einem Graben, mit dem festen Vorsatz, selbst zu wachen. Aber die Müdigkeit hatte mich überwunden. Schon schenkte die Sonne ihr goldenes Licht der Erde, und erst ihre Strahlen wurden die Wecker meiner müden Augen. Aus dem tiefen Schlummer fuhr ich erschrocken auf, während meine Schildwachen schlummernd neben den gleichfalls noch des Schlafes pflegenden Gefangenen lagen und mein Pferd seinen Hunger in einem nahen Kornfelde stillte. -
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Der Leser dieser Darstellungen scheide noch nicht von dem blutigen Kampfplatze, noch einmal durchblicke er die Gassen Halberstadts, denn ein zweites Bild jener Nacht soll seinen Augen vorgeführt werden, das, von einem andern Standpunkte aufgenommen, ihm treu und wahr die Schrecknisse schildert, welche die in ihre Häuser geflüchteten Einwohner der erstürmten Stadt während des Kampfes erlebten. Das Bild ist von einem Geistlichen und ergänzt die obige Schilderung.
Am 29. Juli, einem Sonnabend, rückte kurz vor Mittag das fünfte westfälische Infanterieregiment unter dem Befehl des Grafen von Wellingerode von Magdeburg hier ein. Wie beim Militär gewöhnlich, hielt es seinen Einzug mit allem ihm nur zu Gebote stehenden Glanz über den Breiten Weg und beide Marktplätze; es schien vollständig und im besten Stande zu sein, führte aber zu seinem großen Unglück gar keine Artillerie bei sich. Nachdem dasselbe am Domplatze sich aufgelöst hatte, um sich in die angewiesenen Quartiere zu begeben, erschienen auch in meiner Eltern Behausung, damals noch der meinigen, zwei Soldaten als Einquartierung, ziemlich kleine und schwachgebaute Leute, wie man sie ehemals in der preußischen Armee nur unter der leichten Infanterie antraf. Sie schienen indes doch der Sache, die sie bald verfechten sollten, so ziemlich ergeben zu sein, und mehr konnte man schwerlich verlangen unter einer Regierung, die, wie die damalige westfälische, bei ihren Untertanen in dem entschiedensten Mißkredit stand.
Nachmittags vier Uhr, als auf den Straßen der Stadt alles still und ruhig war, nirgends ein sichtbarer Anschein zur Störung der Ruhe sich zeigte oder mir wenigstens nicht bemerklich wurde, mahnte mich die Zeit an meinen gewöhnlichen Spaziergang, der nach den zerstreuenden Arbeiten der Woche für mich das beste, ungern entbehrte Mittel zur Sammlung und Vorbereitung auf die sonntäglichen Arbeiten war. Ohne einer Bedenklichkeit Raum zu geben, ging ich an die Spiegelsberge, wo ich eine gute Stunde einsam zubrachte. Dann trat ich den Rückweg zur Stadt an, dessen erstere, kleinere Hälfte ich auch ruhig vollendete. Vor der Brücke aber, welche noch unterhalb der Ziegelhütte über den Goldbach führt, machte jemand – ich weiß nicht mehr, wer – mich, der ich nicht sonderlich in die Ferne sehe, aufmerksam, und ich erblickte nun von einer der dort befindlichen kleinen Erderhöhungen, in der Nähe des Dorfes Harsleben, eine kleine halbe Meile entfernt, einen langen Zug schwarzgekleideter Krieger zu Fuß und zu Pferde, welcher, von Quedlinburg herkommend, sich ohne Geräusch und dem Anschein nach in gemessener Ruhe auf die Stadt zu bewegte.
Nachdem ich ein paar Minuten lang dem Marsch der kleinen Heeresmacht zugesehen hatte, setzte ich meinen Weg fort, um noch vor jenen die Tore zu erreichen.
Als ich der Stadt näherkam, fand ich auf einer Erhöhung des sogenannten Landgrabens, dem Ende des dort sich abgesondert gegen die Spiegelsberge ins Feld hin erstreckenden Gartens östlich gegenüber, eine westfälische Feldwache aufgestellt und um dieselbe eine Anzahl Bürger, welche das Anrücken der Truppen des Herzogs von Braunschweig – denn das waren die schwarzen Krieger – beobachteten. Die gewisse Nachricht von diesem Anmarsch war wohl eine Stunde früher Schon zu Mittag war der westfälische Kommandeur durch eigene Boten aus Quedlinburg benachrichtigt worden, daß der Herzog von Braunschweig dort angelangt sei, sich auf dem sogenannten Cleers (einem weiten Anger dicht an der Stadt) gelagert habe und nachmittags nach Halberstadt aufbrechen werde. und zu ganz gelegener Zeit in die Stadt gekommen, als das westfälische Regiment um fünf Uhr abends eben zu dem Appell auf dem Domplatze versammelt stand. Alles war hastig auseinandergestoben, um in den Quartieren sich zu rüsten, und hatte sich binnen kurzer Zeit marschfertig gestellt. Im Harsleber Tor begegneten mir bereits einige Kompagnien, welche dem Feinde außerhalb der Stadt entgegeneilten. Meine Blicke hafteten auf einigen der dicht an mir hinziehenden Anführer, in deren Gesichtszügen eine feste Entschlossenheit, obwohl nicht ohne eine merkliche Spannung, zu lesen war.
In der Stadt fand ich die Einwohner in wechselseitiger Mitteilung und Erwartung der Dinge zahlreich vor den Häusern versammelt. Ich verweilte bei einigen Bekannten in der Nähe der Martinikirche, auf deren Turm sich ebenfalls mehrere Personen begaben. Ehe ich aber noch diesem Beispiele nachfolgen mochte, hörte man schon das Geschütz der Angreifenden donnern und Kugeln über die Häuser hinwegpfeifen, worauf die Gruppen sich bald trennten und jedermann seine Wohnung aufsuchte.
Die Westfalen, welche anfangs den Herzog von Braunschweig im freien Feld anzugreifen bereit schienen, hatten nämlich kaum ihren Feind und besonders dessen Reiterei und Geschütz näher ins Auge gefaßt, als sie ihr Vorhaben aufgaben und sich hinter den Mauern der Stadt zu verteidigen beschlossen. Halberstadt galt bekanntlich noch während und nach dem Dreißigjährigen Kriege für eine Festung; die Wälle waren zwar seit dem Siebenjährigen Kriege abgetragen, die Mauer aber befand sich in gutem Stande und hatte, außer mehreren Türmen, eine mannshohe, überall mit den gehörigen Schießscharten versehene, zur Verteidigung sehr geeignete Brustwehr. Mauern und Türme wurden von den Westfalen besetzt, und die Tore in Eile verrammelt, so daß dem Herzog von Braunschweig, wollte er anders nicht den Feind im Rücken lassen, nichts übrigblieb, als die Stadt mit Gewalt zu nehmen.
Es war jetzt etwa sieben Uhr abends und also noch heller Tag; ich beobachtete aus meiner am Markt unfern des Schulhofs gelegenen elterlichen Wohnung die weiteren Ereignisse. Bei dem zunehmenden Kugelregen wurden die vorher belebten Straßen bald menschenleer; nur unserer Wohnung gegenüber verweilte noch eine kleine Zahl Bürger der geringeren Klasse, welche nicht abgeneigt schienen, dem westfälischen Anführer, der sich mehrmals auf dem Markt zeigte, über sein die Stadt dem Verderben aussetzendes Verfahren Vorstellungen zu machen. Doch unterblieben diese, das Feuer der Braunschweiger wurde immer stärker, und so zerstreuten sie sich unverrichteter Sache.
Wie ausgestorben waren jetzt die vor einer halben Stunde noch so voll gedrängten Straßen. Nur der westfälische Anführer in seiner hellscheinenden, kurzen, weißen Uniform sprengte, sich von einem Punkt zum andern begebend, von Zeit zu Zeit vorüber. Gensdarmen jagten in wilder, verstörter Hast vorbei und verschwanden. Immer heftiger wurde der Angriff, und immer lauter erfüllte das eigentümliche Pfeifen und Zischen der Kugeln und Granaten die Lüfte über der so schrecklich überraschten, in ängstlichem Schweigen daliegenden Stadt.
Was man in diesen unglücklichen Augenblicken am nächsten befürchten mußte, war Brand, und es gereichte daher zu einer Art von Trost, daß, als das Beschießen schon eine Weile fortgedauert hatte, die Wächter des Martiniturmes noch immer schwiegen und überall kein Zeichen einer Feuersbrunst zu bemerken war. Doch jetzt tönte hell und vernehmlich vom nahen Turm herab das gewohnte Feuersignal, ohne daß sich die Straßen nach sonst üblicher Weise beleben wollten. Mein Vater eilte an die Hauptwache, um Erkundigung einzuziehen und Vorkehrungen zu treffen; er kehrte nach einiger Zeit mit der Nachricht zurück, daß in einem Hause an der Schmiedestraße eine Granate gezündet habe, dem weiteren Schaden jedoch glücklich vorgebeugt sei.
Nach einer neuen Weile ängstlichen, besorgten Harrens hörten wir bei eben sinkender Dämmerung, dem Anschein nach ganz in der Nähe, das dumpfe Gekrach von Kanonenschüssen, die aus sehr geringer Entfernung auf einen hohlen Gegenstand anschlugen. Es waren die hölzernen Flügel des Kühlinger Tores, welches die Braunschweiger zu sprengen beschäftigt waren. Als die sich ununterbrochen folgenden Salven nach einiger Zeit plötzlich einhielten, zweifelten wir nicht, daß das an sich nicht feste Tor erbrochen sei.
Bald zeigte sich die Bestätigung, denn es ließen sich am Ausgange der Kühlinger Straße, in der Gegend der Kronenapotheke, einzelne schwarze Krieger, im Gefecht mit westfälischen Soldaten, blicken, von welchen letzteren ein kleines Kommando am andern Ausgange des Marktes, in der Gegend des Ratskellers, aufgestellt war. Ein einziger kühner Braunschweiger soll sich diesem etwa sechzehn Mann zählenden Trupp in der Mitte des Marktes gegenübergestellt und ihn durch seine Schüsse zum Rückzuge gezwungen haben. Ich erinnere mich dieses Umstandes nicht mehr, wohl aber, wie ein westfälischer Gensdarm, der von der Schuhstraße nach der Kühlinger Straße hinsprengen wollte, beim Umbiegen um die Ecke des Marktes einen Braunschweiger in schußfertiger Stellung, kaum fünfzig Schritte vor sich, erblickte, ganz außer sich vor Schrecken das Pferd herumwarf und sich, von mehreren Braunschweigern verfolgt, wieder in der Schuhstraße verlor. Die Dunkelheit wurde schon so stark, daß man zwar den Blitz der in einer Entfernung von hundert Schritten auf der südlichen Seite des Marktes abgeschossenen Gewehre sah, die Schießenden aber nicht deutlich erkannte. Um so mehr benutzten wir einen Augenblick, wo es ruhiger wurde, sämtliche Fensterläden nach der Straße in gewohnter Weise verschließen zu lassen.
Jetzt also begann die an sich kurze, für uns aber lange und schreckliche Sommernacht, in welcher an Schlaf oder Niederlegen nicht zu denken war. Unser in der Tiefe des Hauses gelegenes Wohnzimmer ersparte uns indes die Unannehmlichkeit, gleich vielen Einwohnern, besonders kleinerer und stark ausgesetzter Häuser, die Nacht im Keller zubringen zu müssen. Ich trat einigemale an eines der unverschlossenen Fenster des zweiten Stockwerks; es war mondhell, aber die Gebäude warfen ihre langen Schatten über den Markt, und ich konnte nichts als ein verworrenes Menschengetümmel an dem entfernten Teile desselben wahrnehmen. Es war um so zweckloser, hier zu verweilen, da bereits mehrere Kugeln sowohl durch das Dach des Hauses als durch die Fenster des zweiten Stockwerks geflogen waren. Fast nur durch das Gehör habe ich daher die Ereignisse dieser Schreckensnacht in meiner Umgebung wahrgenommen; sie waren ungefähr folgende:
Bald nach der eingetretenen Dunkelheit, und nachdem die braunschweigischen Truppen nicht allein durch das Kühlinger, sondern auch durch das Johannistor in die Stadt eingedrungen waren, füllte sich auch der Marktplatz unter schrecklichem Lärm immer mehr mit Kriegern an. Das Getöse und Stampfen der Reiterei sowie der ganz nah ertönende Schall der Signalhörner eines Jägerkorps verrieten, daß es die schwarzen Krieger waren, welche die Nacht hindurch den Markt behaupteten und von hier aus gegen andere Teile der Stadt vorrückten. Wenn die Truppen sich geordnet und zum Kampf ermuntert hatten – alles unter furchtbarem Getöse und lautem, wildem Zurufen –, wurde es wohl eine Zeitlang fast still, und man konnte aus der immer weiteren Entfernung der scharfen, weitschallenden Hörnertöne ihr Vorrücken abnehmen, auch das Knallen des kleinen Gewehrfeuers aus den entlegneren Teilen deutlich hören; bald aber erwachte das Getöse in der Nähe lauter und wilder als vorher, sei es nun, daß die Angreifenden zurückkehrten, oder daß andere Abteilungen den leeren Platz einnahmen. Ein andermal schien es, als handle es sich um das Leben eines Gefangenen, den eine Partei retten, die andere durchaus umbringen wollte. Hundert wilde Männerstimmen tobten mit so entsetzlicher Wut und Heftigkeit gegeneinander ein, daß keine Beschreibung es darstellen mag. Die Sache hat sich, soviel ich habe erfahren können, so verhalten: Ein westfälischer Gensdarm war von den schwarzen Kriegern auf der Westseite des Marktes umringt, welche ihm gebieterisch zuriefen, daß er um Pardon flehen solle, was jener aber hartnäckig verweigerte, worauf er unter greulichem Schimpfen und Toben endlich niedergemacht wurde. Es war ein schrecklicher Gedanke, nur durch eine Wand von solchen Wütenden geschieden und in ihrer Gewalt zu sein. Mir war nicht unbekannt, welchem Schicksal eine mit Sturm eingenommene Stadt gewöhnlich ausgesetzt ist, und daß die schwarzen Krieger das Feld oder hier vielmehr die Stadt behaupten würden, war vorauszusehen bei den schon von ihnen errungenen Vorteilen und bei dem Ungestüm und der Todesverachtung, womit sie zu Werke gingen, und der keine Gegenwehr auf die Länge zu widerstehen vermochte. Ein Umstand gereichte uns indes zu ziemlichem Vorteil. Der obere Teil des Breiten Wegs, in der Nähe des gleichbenannten Tores, war von einer bedeutenden Abteilung Westfalen besetzt, welche dort, hinter Wagen, Schränken und anderem aus den Häusern zusammengetragenen Gerät verschanzt, den angreifenden schwarzen Kriegern den hartnäckigsten und längsten Widerstand entgegensetzten. Ihre Kugeln flogen die ganze Nacht hindurch vor unserm Hause vorüber, nach dem Martinikirchhof zu, und wir hörten das Pfeifen derselben fast in so regelmäßigen Zwischenräumen als die Bewegungen eines Uhrwerks erfolgen. Niemand zeigte daher große Lust, sich dem ganzen, gegen den Breiten Weg hin offenen Teil des Marktes zu nähern; der Sammelplatz der schwarzen Krieger war vielmehr der uns entferntere, vom Breiten Wege nicht zu bestreichende Teil dieses öffentlichen Platzes, und wir blieben in unserer Wohnung meistens ungestört. Nur früherhin, ehe die fremden Truppen die Lage der Plätze und Straßen recht innehaben mochten, wurde einigemal flüchtig angeklopft, ohne daß wir öffneten, bis endlich, etwa um zehn Uhr, jemand sein Verlangen, eingelassen zu werden, so nachdrücklich kundgab, daß wir es für das beste hielten, ihm zu willfahren. Es war ein schwarzer Krieger, ein Husar, dessen Ansehen immer sehr roh und plump geblieben sein würde, wenn er auch der Branntweinflasche weniger stark zugesprochen gehabt hätte, als es wirklich geschehen war. Indem er völlig taumelnd eintrat, meldete er uns, daß ihm beim Angriff sein Pferd erschossen sei; er wolle sich nun bei uns ausruhn, da er doch, wie er meinte, brav mitgemacht habe. Noch genossener Ruhe sollten wir ihm dann etwas geben. Von den Gegenständen, die ihm beliebten, konnte er nur noch das Wort Kattun hervorbringen; die stammelnde Zunge versagte den weiteren Dienst, er sank wie tot in einen Stuhl und schlief ununterbrochen bis gegen den folgenden Mittag hin. So wenig erwünscht seine Gesellschaft an sich uns sein konnte, so war sie uns doch in einer Hinsicht nicht ganz unlieb; er hatte, wie gewöhnlich plumpe Menschen, gerade kein bösartiges Ansehn, und wir hofften, daß, im Fall wir härteren Angriffen ausgesetzt wären, seine Gegenwart uns dann zum Vorteil gereichen würde.
Fünf Stunden lang hatte ununterbrochen, bald uns näher, bald entfernter, dies nächtliche Kampfgetöse angehalten, mit jeder neuen Stunde, die uns ohne persönlichen Unfall verschwand, waren wir ruhiger geworden und zuletzt vom Wachen abgespannt und eben nicht mehr allzu weit davon entfernt, diese neue Lage gewohnt zu werden, als es endlich noch vor zwei Uhr morgens ruhig wurde. Alles Schreien und Lärmen verstummte nach und nach gänzlich, alle Abteilungen des westfälischen Regiments waren von den schwarzen Kriegern besiegt und gefangen, einzig die am Breiten Tore ausgenommen, deren Schießen noch immer fortwährte. Der Morgen des 30. Juli fing an zu dämmern, und seine ersten Strahlen weckten in mir eine halb tröstliche, halb widrige Empfindung; letztere, als sich nun erst alles Vorgefallene und der weiteren Entscheidung noch Entgegenreifende als klare, gewisse Wirklichkeit aufdrängte; im ungewissen, täuschenden Dunkel der Nacht wird es der Seele leichter, zu zweifeln; Erscheinung und trüglicher Schein sind da minder scharf geschieden, und wohl mag man auf Augenblicke das eine für das andere nehmen.
Nach dem anhaltenden Kampfe der Nacht erwartete ich, den nun vom Tage erhellten Marktplatz mit Leichnamen bedeckt zu finden. Er war leer – nur tote Pferde erblickte man in geringer Entfernung am Breiten Wege. Einige schwarze Krieger waren unserer Wohnung gegenüber beschäftigt, eine Kanone oder Haubitze gegen das Breite Tor zu richten, hielten sich aber so viel wie möglich hinter den Häusern, welche den Markt östlich begrenzen, außer der Schußlinie des Breiten Weges. Weiter den Breiten Weg hinauf waren ebenfalls zwei Geschütze aufgefahren und Häuser von den schwarzen Kriegern besetzt, welche nach dem Tore hinaufschossen, während die Westfalen noch immer ihre Kugeln heruntersendeten. Ein braunschweigischer Offizier, welcher sich auf den Damm (bei uns Fahrweg genannt) in die Schußlinie stellte, ward an beiden Beinen getroffen, sank laut schreiend um und wurde hinweggetragen. Eine andere vom Breiten Wege herkommende Kugel tötete einen Bäckerburschen, der sich unvorsichtig auf dem Martinikirchhofe dahin stellte, wo derselbe gegen den Breiten Weg zu offen ist. Um halb sechs Uhr endlich hörte das Schießen und aller Widerstand der Westfalen auf, und der Markt belebte sich mit Menschen, welche ihren Geschäften nachgingen.
Es war Sonntag, und ich hatte schon früh um sechs Uhr in einer hiesigen Hospitalkirche zu predigen, wozu ich mich auch bereithielt, wiewohl es mir schwer geworden sein möchte. Ich wurde aber noch kurz vor Ablauf der Zeit benachrichtigt, daß für heute an keinen Gottesdienst zu denken sei. Er ist an diesem Tage in allen Kirchen der Stadt unterblieben, was am 19. Oktober 1806 beim Einrücken der Franzosen bloß in einigen Gemeinden der Fall war.
Schwer möchte es mir werden, die Szenen dieses Tages in der eroberten Stadt zu schildern, die weit bunter und mannigfaltiger als am Tage des Angriffs waren. Hier wurden Tote zusammengefahren und begraben, Verwundete in die Hospitäler gebracht, westfälische Soldaten, die sich in den Häusern versteckt gehalten hatten, kamen zum Vorschein und überlieferten ihre Gewehre. Dort wurde auf dem Holzmarkt das Gepäck des westfälischen Regiments dem Volke preisgegeben, Kisten und Kasten mit Gewalt aufgeschlagen, wobei einige Einwohner im Wegtragen der Habseligkeiten, Uniformen usf. große Emsigkeit bewiesen und zum Teil sehr schwer bepackt einhergingen. Knaben bemächtigten sich vor allen Dingen des Pulvers, womit sie an den nächsten Sonntagen den Kampf der Westfalen und schwarzen Krieger von neuem aufführten, doch so vernünftig waren, das Schauspiel nicht in, sondern außer der Stadt zu geben. Anderwärts ging es nicht so vergnügt zu: schwarze Krieger drangen in die Häuser, erpreßten Geld, Uhren usf., sie stürmten aufs Rathaus, wo sie besonders dem damaligen Maire hart begegneten. An den westfälischen Gensdarmen, von denen einige geblieben, die anderen gefangen waren, ließen sie ihren Zorn mit heftigen Worten und mitunter tätlich aus. Im ganzen aber waren die begangenen Exzesse mit dem, was andere erstürmte Städte erfahren haben, nicht zu vergleichen, was man größtenteils der Pietät des Herzogs Friedrich Wilhelm von Braunschweig gegen seinen verstorbenen Vater verdankte, der für Halberstadt immer eine besondere Vorliebe gehabt hatte.
Auch in unsere, dem Andrange ohnehin ausgesetzte Wohnung fielen von Zeit zu Zeit schwarze Krieger ein, von denen mehrere das erkaufte Tuch wie mitten im Frieden ruhig bezahlten, andere hingegen eigenmächtig Requisitionen machen wollten. Auf die bestimmte Erklärung jedoch, daß man die Gesinnungen ihres Herzogs wohl kenne und nur solchen Requisitionen Folge leisten werde, die von seiten der Stadt selber gemacht werden würden, entfernten sie sich zum Teil ruhig, zum Teil murrend, doch ohne irgend Gewalt zu versuchen. Andere verlangten und erhielten Kleinigkeiten: Hier hörte man offene Äußerungen: »Aus Rache«, sagte der eine, »bin ich zum Herzoge von Braunschweig gegangen; ich hatte mein schönes Eigentum in der Mark; Haus und Hof haben mir die Franzosen aufgefressen und mich zum Bettler und Landstreicher gemacht, ich habe ihnen Rache geschworen und werde es halten.« Ein anderer sagte: »Wir streiten fürs Vaterland, quälen uns bei Tage und liegen nachts auf bloßer Erde, und ihr könntet uns ein Hemd versagen, damit uns das Ungeziefer nicht verzehre?« Ein dritter von kleinem, aber gedrungenem Wuchs, mit schwarzen Augen und Mordlust kündenden Mienen sang ein bekanntes phantastisches Kriegslied, pochte auf seine Taten, rühmte: »Gestern war meine Lanze weiß, heute ist sie rot!« Er schien kein leerer Prahler, sondern wirklich durchs Kämpfen und Morden zum Kämpfen und Morden begeistert. Eine solche Kampf- und Mordlust nimmt sich in Werken der Dichtkunst und allenfalls auf dem Theater besser aus als im wirklichen Leben. Einen sehr wohltätigen Eindruck machte auf uns ein braunschweigischer Offizier, wie es schien – denn leider weiß ich seinen Namen nicht – einer der höheren, in dem sich der feste, entschlossene Krieger mit dem schlichten, anspruchslosen, zuvorkommenden Bürger vereinigte. Dieser war es auch, der seinen von uns über Nacht beherbergten Mitstreiter, welcher den ganzen Tag durchschlafen zu wollen schien, selbst aufweckte und nach genossenem Frühstück zu seinem Korps zurückschickte, ohne daß er von uns noch weiter Kattun begehrte. Gern verziehen wir es dem braven und überaus höflichen Manne, daß er der Wahrheit nicht getreu blieb; denn seiner Aussage nach wollte der Herzog geradezu auf Kassel marschieren, um den König Hieronymus davonzujagen, wozu er diesmal stark genug sei. Wir wußten recht gut, wie wenig hieran zu denken und in welcher gefährlichen Lage der Herzog von Braunschweig noch immer war, konnten es ihm aber um so weniger verübeln, daß er die Dinge anders und günstiger darzustellen suchte.