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Henry Norton hatte schon am Morgen seiner Ankunft in Nizza das Glück, der schönen Frau auf der mit Bambus bestellten Treppe des Hôtel du Louvre zu begegnen, als Stella allein ihre Ausfahrt auf die Promenade des Anglais machen wollte. Sie wechselten leise einige hastige Worte. Norton begleitete sie in den kleinen Vorgarten. Unter dem Schatten des Eucalyptus trennten sie sich. Er schritt in's Haus zurück; sie bestieg den Fiaker.
»Ist Norton noch nicht bei Dir gewesen?« fragte sie, als sie zurückgekehrt, ihren Gatten ... »Sehr unrecht! Er begegnete mir unten; er wohnt in unserem Hôtel und war erfreut, Dich schon hier zu finden. Ich glaube, er ist sehr stolz.«
»Auf seine Millionen natürlich!«
»Auch auf seine Person, so scheint es. Auf mich macht er keinen Eindruck. In Trouville gefiel er mir besser.« Stella lachte in dem Spiegel über ihre eigenen Worte. »Ich sagte ihm, wir würden heute im London-House dejeuniren.«
Carl stand am Fenster und escomtirte bereits alle die Summen, die er durch und mit Norton gewinnen werde, und die rechneten sich alle nach Pfunden.
Norton fand ihn und Stella an dem bezeichneten Ort. Er begrüßte Carl mit steifer Artigkeit und berührte nur mit einigen trockenen Worten den Umstand, daß er ihn nicht in Trouville gesehen. Er richtete sich auch in der Unterhaltung mehr an Stella als an ihn, warf selbstgefällige Blicke auf die übrige Gesellschaft, die sich im Restaurant sammelte, sprach vom Theater, von Regatten, Wettrennen und allem Anderen, nur nicht von Geschäften, hoffte ihnen am Abend im italienischen Theater zu begegnen, entschuldigte sich mit einem Rendezvous und entfernte sich. Carl war sehr enttäuscht. Stella meinte, er sei offenbar zu sehr Gentleman, um gleich von merkantilen Dingen angesichts aller Leute zu sprechen ...
Norton suchte sie am Abend in ihrer Loge im Theater. Er behandelte Carl auch hier mit einer aristokratischen Ueberlegenheit, die diesen verletzte, und fand Gelegenheit, mit Stella im Foyer ungehört einige Worte zu tauschen. Stella erregte durch ihre Toilette die Sensation, die sie beabsichtigt, und Nortons Eitelkeit gefiel sich darin, dieser neu auftauchenden Schönheit zuerst öffentlich den Hof zu machen, sie gewissermaßen zu affichiren.
Es soll hier nicht erzählt werden, mit welcher, selbst im Hotel beobachteten Unbesonnenheit das junge Weib den Gatten hier betrog, wo sie keine auch nur scheinbare Bande an die Gesellschaft fesselten. Sie machte auch außerhalb ohne Unterscheidungsbedürfniß Bekanntschaften mit fremden Damen, sie ward im Restaurant français und in den Spielsälen von Monte Carlo mit ihnen gesehen und natürlich auch mit ihnen verwechselt. Aber sie fand in diesen unqualifizirbaren Kreisen die Zerstreuung, den Anhalt, den ihr die bessere Gesellschaft verweigerte. Die letzte Begegnung mit Hanna hatte sie herausgefordert, dieser Gesellschaft die Fehde zu erklären. Aber selbst Norton ward dieses leidenschaftlichen Weibes müde und reiste nach Sicilien, ohne ihrem Gatten ein Lebewohl gesagt, viel weniger mit ihm von geschäftlichen Dingen gesprochen zu haben.
Das Unglück wollte, daß ihr auch Juliane hier begegnen mußte, die ihr erzählte, sie habe durch eine Intrigue ihr Engagement verloren und reise mit ihrem »Bräutigam«, einem reichen Bankierssohn. Juliane machte Aufwand; sie hatte sich am Theater das Air einer Dame von Welt angewöhnt. Stella glaubte, sich ihrer hier nicht schämen zu brauchen, und erschien mit ihr auf der Promenade, vernachlässigte sie aber bald wieder, denn andere Bekannte begegneten ihr auf der englischen Promenade, liebe Bekannte, an die sie alte Erinnerungen fesselten.
Constanze Neuhaus war ihr jubelnd entgegengeeilt. Sie schien in glänzenden Umständen und glücklich zu sein, denn sie war in großer Toilette und erregte Aufsehen bei den Spaziergängern durch ihr rothgoldiges Haar, mit dem sie hier zu wuchern schien. Mit großer Freudigkeit preßte sie Stella's Hand; sie fragte nach Hunderterlei, deutete dann auf eine Dame, die sie erwartet zu haben schien, und Stella erkannte in dieser Constanze's Unzertrennliche, die Baronin von Wolffen, deren Toilette allerdings gegen die ihrige zurückstand.
»Wie froh ich bin, gerade Dich hier zu finden!« versicherte Constanze. »Wir sind gestern erst hier eingetroffen, mein Mann und ich. Wir kommen von Palermo; Frau von Wolffen hatte mir versprochen, mit uns hier zusammenzutreffen.«
»Dein ... Mann?« Stella schaute so überrascht.
»Du weißt gar nicht, daß ich verheirathet bin? Freilich, wenn man so in der großen Welt hier draußen lebt wie Du! Mein Mann ist allerdings nicht jung und hübsch wie der Deinige, aber er ist gut, sehr gut und gewährt mir Alles, was ich wünsche. Unglücklicherweise ist er kränklich, aber es war mir erwünscht, daß der Arzt ihn gerade hierher sandte ... Hoffentlich sehen wir uns jetzt oft, täglich, wenn Du wünschst; es ist ja so schön hier, ein wahrer Himmel! ... Nicht wahr, liebe Ernestine,« wandte sie sich an diese, »es ist himmlisch hier! Und welche Gesellschaft!«
Frau von Wolffen schien in einer gewissen Abhängigkeit von Constanze. Sie nickte automatisch und mit süßsaurem Lächeln.
»Apropos, unsere Männer werden auch zufrieden sein, sich hier zu begegnen«, fuhr Constanze fort. »Mein Mann war ja früher der Disponent der Holstein'schen großen Fabrik; er heißt Blume; Du mußt ihn ja auch aus Deiner Kinderzeit kennen!«
»Herr Blume!« Stella war in der That überrascht. Carl hatte von diesem Mann stets nur mit Entrüstung gesprochen. Indeß was kümmerte sie das; die Freundin war ihr so willkommen, sie verstand sich mit ihr so gut; diese war offenbar in den besten Verhältnissen und theilte ihre Neigungen. Sie schloß sich an sie und beide traten wieder in die alte Intimität.
Stella sprach ihrem Gatten anfangs nichts von ihrer Begegnung. Dergleichen kümmerte ihn nach ihrer Meinung nicht. Indeß ihm konnte Blume's Anwesenheit hier nicht unbekannt bleiben. Er sah schon in den nächsten Tagen seinen alten Lehrmeister, auf den Arm eines Dieners gestützt, mit schwindendem Rückenmark ohne eigene Wegsteuer über die Promenade schleichen, und empfand eine ingrimmige Genugthuung darüber, daß gerade ihm es so ergehen müsse.
Er erzählte Stella davon. Sie hörte kaum darauf; sie kümmerte sich ja kaum noch um ihn. Sie wisse, daß Blume hier sei mit seiner Frau, die eine Jugendfreundin von ihr. Herr Blume müsse sehr reich sein, denn seine Gattin mache viel glänzendere Toilette als sie selbst und werde hier sehr beachtet. Wenn es nach ihm ginge, dürfte man auch hier mit keinem Menschen verkehren, setzte sie hinzu; Constanze sei ihr eine recht, recht liebe Freundin und sie könne sich um seine Feindschaft mit Blume nicht kümmern.
Carl knirschte mit den Zähnen. Sie sprach so lieblos. Dem unglücklichen Gatten war ja endlich schon ein Licht aufgegangen, vor dem er sich selber schämte. Er hatte Verdacht gegen Norton gefaßt. Sein Benehmen gegen diesen hatte ein kaltes, auf Norton's Seite fast beleidigendes Verhältniß Beider zur Folge gehabt, und Stella hielt es bereits für unnöthig, sich ganz vor ihm zu rechtfertigen. Es war ihr gleichgültig, was er dachte.
Carl lebte wie in einer Betäubung. Er führte sie auf ihr Verlangen auch ferner nach Monte Carlo, er war noch schwach genug, ihrer Spielsucht die Summen zu opfern, welche das Hazard verschlang, wenn sie ihm vorwarf, er habe ja selber in Trouville bei dem langweiligen Baccarat so viel verspielt. Er verlor indeß mehr und mehr die Besinnung in dem Wirbel, in welchen ihn Stella fortriß, und klammerte sich endlich an der trostlosen Ueberzeugung fest, daß er ein verlorener Mann sei, wenn es so weiter gehe.
Stella hatte auch in Monte Carlo eine neue Bekanntschaft gemacht, die sie zu unverzeihlichen Tollheiten trieb. Der Tenor des Theaters, für den alle Frauen schwärmten, ein schöner Mann, der von sehr achtbarer Familie sein sollte, sein Vermögen durchgebracht, dann in Mailand seine Stimme ausgebildet, Sennor Donato, ein Spanier, hatte es ihrem Herzen angethan.
Sie hatte keine Ruhe mehr in Nizza und eilte täglich nach Monte Carlo. Wenn Carl am Morgen erwachte, war sie mit Constanze schon mit dem ersten Zuge hinüber gefahren, wo sie unter Anleitung der Gräfin Mompach, die, ein gewohnter Gast des »Casino«, am grünen Tisch ihr Geld verspielte; und wenn Carl Abends sein Lager schon gesucht, traf sie in der Nacht mit dem letzten Zuge erst wieder ein, wenn sie nicht erst am andern Vormittag kam.
Carl sprach endlich das Machtwort: wir reisen nach Hause! ... Und Stella hörte wohl das Wort, sie verlachte aber seine Autorität.
»Ich bleibe!« antwortete sie kühl. »Ich will nicht zurück unter alle diese schlechten, mir verhaßten Menschen! Geh meinetwegen ohne mich! Es wird auch wohl Zeit sein, Deine Geschäfte zu beginnen, in denen ich Dir ja doch nicht helfen kann. Laß mir nur einiges Geld hier; ich werde mich schon behelfen.«
Seiner Seele hatte sich eine unerträgliche Angst bemächtigt. Die Ueberzeugung, daß er betrogen werde, die Einsicht, daß er diesem Weibe nicht gewachsen, gaben ihm wohl den Muth zu einem Entschluß, aber die Vorstellung, wie er es fertig bringen sollte, ohne sie zu leben, raubte ihm den Muth zur Ausführung desselben. Er, der gewohnt, sie zur Seite zu haben, sie mit all dem Ungemach, das sie ihm bereitete, das er aber so gern verzieh – wie sollte er existiren ohne sie! Wie die furchtbare Macht der Gewohnheit überwinden, die ihn in kurzer Ehe schon so unselbständig gemacht!
Er ging umher wie ein Sinnberaubter. Er sah sie nur zeitweise noch bei sich. Doch das war ihm recht. So konnte er sich gewöhnen, ohne sie zu sein. Aber sein Herz pochte halbe, ganze Tage lang, als habe er ein Verbrechen begangen; dann wieder stockte es, der Athem fehlte ihm. Die Angst trieb ihn hin und her. Er strich stundenlang am Ufer auf und ab, ohne Ruhe zu finden.
Er fragte sich, wo sie sein könne, wenn sie ausblieb, fuhr ihr nach, suchte sie, fand sie nicht oder sah sie in der heitersten Gesellschaft, unnahbar für ihn, den man wie einen Lächerlichen empfangen haben würde. Ihr Blick selbst schreckte ihn zurück, wenn sie ihn auftauchen sah.
Warum konnte er nicht sein wie sie! Warum suchte er nicht Zerstreuung, Entschädigung in den Armen einer dieser Vielen, die nur hierher gekommen zu Anderer Belustigung! ... Aber das wäre noch viel schlimmer gewesen! Und er mit seinem zerrissenen, aus so viel Wunden blutenden Herzen, welch' jämmerliche Rolle hätte er als Roué gespielt!
Er wollte fort, ja! ... Aber vorher fuhr er noch einmal nach Monte Carlo. Er setzte sich Abends in eine Loge des Theaters. Stella war nicht da.
Wo war sie? Donato sang doch; er sang so schön, daß er es nicht zu ertragen vermochte. Sein Herz wollte brechen. Er mußte hinaus und fuhr wieder zurück.
Stella empfing ihn zu seiner Ueberraschung im Hotel. Sie war sehr abgespannt, lag mit aufgelöstem Haar, die üppigen Glieder kaum bedeckt von dünner Hausrobe, auf dem Divan, antwortete seinem Gruß kaum und dachte nicht daran, ihre Lage zu ändern. Sie hatte mit Donato in Nizza gespeist, während Carl sie in Monte Carlo gesucht. Donato war am Abend zur Vorstellung zurückgereist. Er war ihr Alles, sie hätte Himmel und Erde für ihn hingegeben, für denselben Mann, dem sich schon ihre Mutter geopfert!
Aber sie wußte nichts davon, und er, der inzwischen sich von so viel anderen Weibern hatte lieben lassen, was fragte er nach ihrer Herkunft! Donato, der eben erst dreißig Jahre zählte, beurtheilte die Frauen nur nach ihrer Fähigkeit zu lieben und nach ihrem Vermögen. Donato verachtete sie alle, weil sie es so wollten; er zertrat die Blumen, die sie ihm spendeten, wie die Geberinnen unter seinen Füßen; ihre Blicke, ihre Briefe waren ihm werthlos wie Scheidemünze.
»Wann gedenkst Du denn zu reisen?« fragte Stella, als sie ihn so geistesabwesend und unglücklich sah.
Er antwortete nicht. Die Stirn in der Hand, saß er am Tisch.
»Ich habe mich schon umgesehen und ein hübsches kleines Logis gefunden; es kostet wenig. Du kannst mich ja von hier wieder abholen, wenn Du mit Deinem Geschäft im Gange und Sehnsucht nach mir haben solltest. Ich glaube selbst, daß ich für die Dauer hier auch nicht aushalten werde. In drei Tagen kannst Du ja zu Hause sein ... Grüße Deine Mutter!« setzte sie herzlos lachend hinzu.
Der Stich that weh. Carl hatte in den letzten Wochen wieder oft an die Mutter gedacht. Er hatte ihr keinen Brief geschrieben, keinen von ihr empfangen. Im Herzen hatte er die arme Frau noch immer so gern, und dieses Herz gestand ihm endlich, daß sie nicht Unrecht gehabt. Aber er liebte sein Weib trotz Allem noch immer.
»Juliane hat mir heute viel von daheim erzählt; sie bekommt immer Briefe von da«, plauderte Stella, das Haar um die Finger ringelnd und sich auf dem Divan wälzend. »Denke Dir, ihre Schwester Marion, die wieder frei gekommen, lebt mit meinem ehrenwerthen Herrn Vater!« Sie scheute sich nicht, darauf die Sprache zu bringen. »Du begreifst also, wie wenig es mich nach Hause zieht, obgleich ich diesen Mann kaum noch kenne. Ich darf ihn sogar überhaupt nicht mehr kennen, denn die Gräfin Mompach, die übrigens auch hier ist, ganz herabgekommen sein soll und am Spieltisch ihr Glück sucht ... hat ihm wegen Unterschlagung einen Kriminalprozeß angehängt. Er soll ihr das Haus an einen Anderen verkauft und sie dabei betrogen haben. Schlimm genug, wenn man sich seiner eigenen Eltern schämen muß! Ich bin hier also besser aufgehoben, als daheim. Ich höre hier nichts von all Dem. Du kannst mir ja zuweilen schreiben. Es ist sogar nothwendig, daß Du Dich einmal zu Hause umsiehst.«
Sie erhob sich fröstelnd, denn draußen wehte der Mistral, und setzte sich an die Kaminflamme, die knisternd das gelbe, knorrige Olivenholz verzehrte ...
Am nächsten Morgen, als sie noch im Bette lag, kam Carl nach einer schlaflos verbrachten Nacht, um ihr Lebewohl zu sagen. Er hatte Thränen im Herzen und in den Augen, als er im Morgengrauen zu ihr trat, und ihr war's lieb, daß das Halbdunkel diese ihr lästige Scene schützte. Sie hob die warmen Arme aus dem Bette, legte sie um seinen Nacken und küßte ihn gleichgültig; dann schob sie ihn von sich.
»Laß uns mit Vernunft scheiden«, sagte sie schlaftrunkenen Auges. »Es ist ja nicht für immer! Wenn wir uns wiedersehen, wirst Du nachsichtiger sein mit einem armen jungen Weibe, das ja die Welt nicht wie ein Kloster betrachtet. Du selbst trugst die größte Schuld; Du hättest ganz anders gegen mich sein müssen! Du legtest Alles viel schlimmer aus als es war ... Grüße hab' ich Dir nicht mitzugeben, denn ich habe ja Niemanden daheim ... Leb also wohl!«
Sie barg die Arme wieder unter der Decke, schloß die Augen, und Carl wankte hinaus ohne zurückzublicken.
Sie horchte noch, bis der Wagen vor dem Hôtel davon rollte, und lag wenige Minuten darauf im süßesten Schlummer.
Sie hatte sich für den Mittag mit einigen der Damen aus Trouville, mit denen sie sich hier schnell versöhnt, verabredet, und am Abend kam Donato, da in Monte Carlo an diesem Tage keine Oper war.
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