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Am nächsten Mittag war Stella eben im Begriff, auf die Promenade zu gehen, als sie in einer ihr angemeldeten älteren Dame mit Schrecken Frau Holstein erkannte.
Stella vermochte kein Wort zu ihrem Empfang hervor zu bringen. Diese Frau hatte sie als Kind gesehen, sie hatte vor derselben stets Respekt empfunden, jetzt stand sie mit dem Gefühl einer Sünderin vor ihr.
Frau Holstein, in Trauer gekleidet, mit tief vergrämtem Antlitz, erkannte beim ersten Blick die Macht der Gegnerin, mit der sie zu kämpfen hatte. Sie hatte Stella lange nicht gesehen, keine Vorstellung von ihrem Aeußeren gehabt.
Dieses Weib war gefährlich! Ihr Muth, ihr Vertrauen sanken; sie faßte sich und zeigte ihr eine freundliche Miene.
»Sie ahnen vielleicht, Frau Richter, was mich hierher führt,« begann sie, dieser gegenüber sitzend. »Ich komme, um mich an das gute Herz zu wenden, das ich in Ihnen stets gewürdigt, als Sie noch ein Kind waren. Es gilt Ihr Wohl und das meines Sohnes, das zu retten mir den schweren Entschluß eingeben konnte ...«
»Ich stehe Ihnen in Allem zu Diensten!« Stella zeigte bei den Worten die verbindlichste Miene. »Ich bitte Sie im Voraus, Frau Holstein, die Versicherung anzunehmen, daß ich, seit ich – leider sehr spät – erfuhr, Carl habe mir gegen Ihren Wunsch sein Herz gewidmet, ihm erklärt, ich entsage demselben, denn nichts könne mich zwingen, in eine Familie einzutreten, in der ich nicht willkommen bin.«
Frau Holstein blickte sie erstaunt an. Sie hatte eine ganz andere Sprache erwartet.
»Ihre Worte überraschen mich allerdings«, sagte sie, noch mit Zweifel in Stella's Zügen suchend. »Seien Sie versichert, was mich zu diesem Schritt bestimmte, ist nur die traurige Ueberzeugung, daß Carl mit seinem unzuverlässigen Wesen, seiner unseligen Schwäche, die ihn zu keiner ernsten Thätigkeit erstarken läßt, sich und Sie unglücklich machen wird! O, wäre er in Allem von der Bestimmtheit, mit welcher er meinen Bitten sein Ohr verschließt! Ja, hätte ich die Hoffnung, in ihm dereinst einen mannhaften Karakter ...«
»Frau Holstein«, unterbrach sie Stella, »es bedarf keiner Worte meinerseits! Carl selbst, den ich lieb habe, ich gestehe es, wird Ihnen bestätigen müssen, daß ich gestern hier an diesem Platze ihm erklärte, ich sei bereit, zu entsagen; daß ich ihn selbst beschwor, den Bitten seiner Mutter Gehör zu geben. Begehren Sie mehr? Was soll ich thun?«
Die arme Frau fühlte sich dieser Frage gegenüber rathlos. Sie glaubte an das, was sie soeben gehört, denn Stella sprach mit solcher Festigkeit. Sie empfand aber ihr Unglück doppelt, denn Carl liebte mit einer solchen Leidenschaft ein Weib, das doch so leicht zu entsagen bereit.
Carls Gefahr wuchs dadurch in ihren Augen. War Stella so, wie sie glauben mußte nach dem, was man ihr über sie gesagt, so war in ihren Händen der Sohn um so rettungsloser verloren.
Thränen feuchteten ihre Augen.
»Ich muß Ihnen danken,« sagte sie ergeben. »Alles, was ich von Ihnen danach noch begehren kann, ist ja die Bitte, sich mit meinen Bemühungen zu vereinen ...«
»Ich komme Ihnen auch hierin entgegen,« rief Stella, sie unterbrechend. »Alles was ich zu thun vermag, ist: morgen schon diese Stadt zu verlassen, aber heimlich. Carl soll nicht erfahren, wohin ich gehe.«
»O, tausend Dank! ... Auf meinen Knieen will ich Ihnen ja diesen Dank sagen!«
»Carl wird mich vergessen!« Stella seufzte und führte das Taschentuch an die Augen. »Sie haben mein Versprechen; ich werde es halten, Frau Holstein; aber haben Sie Mitleid mit mir ...«
Sie reichte ihr hastig, abgewendet die Hand, sie beschwörend, sie zu verlassen.
Frau Holstein stand einige Sekunden unschlüssig. Was sie gewollt: daß Stella ihrem Sohn entsage, das war ihr so bereitwillig versprochen. Daß Stella fortreise, es war das Aeußerste, was sie hätte begehren können.
Sie fühlte plötzlich, wie Stella ihre Hand losriß und mit dem Tuch vor den Augen zum anderen Zimmer schwankte.
»Ich halte mein Wort! Ich reise!« hörte sie Stella schluchzen.
Frau Holstein stand allein. Sie konnte ihr selbst den Dank nicht mehr sagen, zu dem ihr Herz sich gedrängt fühlte.
Sie entfernte sich; aber draußen, als sie heimwärts eilte, kam ihr die trostlose Ueberzeugung, daß sie von Anfang nur mit dem Sohn zu kämpfen gehabt und wie sie jetzt wußte, um ein Weib, das ihn so leicht aufzugeben im Stande war ...
Eine Viertelstunde später befand sich Stella auf der Promenade. Sie hatte der alten Dame eine Komödie vorgespielt. Sie wollte allerdings reisen. Schon seit sie von der Mutter Widerstand gehört, auf den sie hatte gefaßt sein können, war es ihr Plan, sich außerhalb des Landes mit Carl zu verheirathen.
Sie hatte überhaupt seit dem Vorfall mit Constanze Neuhaus einen Abscheu vor dem Trau-Act so öffentlich in der Kirche.
Carl fand sie auf der Promenade; er geleitete sie nach Hause.
»Deine Mutter ist heute bei mir gewesen!«
Carl erschrak.
»Sie begehrte, ich solle Dir entsagen!«
»Und was antwortetest Du?«
»Ich sei bereit, wenn sie überzeugt sei, daß ich Dich unglücklich machen werde.«
»Meine Mutter hat sich nicht in meine Angelegenheiten zu mischen.«
»Du hast mich kompromittirt, Carl, indem Du einen Brief Deiner Mutter, der mich betraf, offen vor Deinen Gehülfen auf Deinem Pulte liegen ließest! Alle Welt weiß jetzt, daß Deine Mutter unsere Verbindung zu hintertreiben sucht.«
»Ich war zerstreut. Zürne mir deshalb nicht. Alle Welt soll dafür auch sehen, daß wir uns dennoch heirathen.«
»Ich darf Dich nicht unglücklich machen. Ich versprach es Deiner Mutter!«
»Schweig mir von ihr!« rief Carl, heftig auffahrend. »Bin ich ein Schulbube, der vor der Ruthe zittert?«
»Ich will Dir wenigstens Zeit zur Ueberlegung lassen. Du sollst Dich Deinen Geschäften widmen, während ich fort bin.«
Carl erschrak.
»Du ... fort?«
»Ja, ich verreise ... nach England zu einer Freundin. Wenn ich zurückkehre ...«
»Hast Du auch das der Mutter versprochen?«
Stella schwieg.
»Die Mutter soll ihren Willen haben! Reise Du nach England; ich aber ... ich folge Dir! Wir kehren als Mann und Weib zurück.«
Stella stand am Fenster und schaute hinaus. Ein zufriedenes Lächeln flog über ihr Gesicht. Sie schwieg.
In Carl schien ein Entschluß gereift zu sein, der seiner ganzen unerträglich gewordenen Situation ein Ende machen sollte. Seine Aufregung sänftigte sich; er trat zu ihr, zog sie vom Fenster und legte den Arm um ihren Nacken. Sie schaute ihm mit tiefem Ernst in's Gesicht.
»Willst Du Deiner Mutter eingestehen, daß ich Alles, Alles aufgeboten habe, selbst gegen mein eigenes Herz, um Dich ihrem Willen zu beugen?«
»Ja!« Er preßte einen Kuß aus ihre Lippen und lachte über die Feierlichkeit ihrer Miene.
»Willst Du mir versprechen, mich allein und in aller Heimlichkeit abreisen zu lassen?«
»Gern!«
»Nun, dann ...«
Sie erfaßte plötzlich und in leidenschaftlicher Aufwallung mit beiden Händen seinen Kopf, beugte sich an sein Ohr und flüsterte ihm einige Worte zu.
Carl jubelte laut auf. Er nahm sie triumphirend in seine Arme und trug sie im Zimmer umher.
»Wenn wir wieder kommen, werde ich Ruhe vor Dir und vor mir selber haben, und dann geht's an die Geschäfte!« rief er entzückt. »Ich habe eine Idee, um die mich selbst der große Herr Moritzsohn beneiden soll, der mir meine Fabrik gestohlen!«
Stella lachte laut auf. Carl erschien ihr so komisch, wenn er von Geschäften sprach. Sie dachte eben daran, wie er als Knabe sie einst ebenso auf den Arm gehoben und geschworen, sie müsse seine Frau werden.
* * *