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So sprach Ballmann, der Ehren-Advokat, mit heiligem Feuer, den Angeklagten in die Hölle verdammend, und von den Zuhörern hätte danach keiner einen Heller für seine Freiheit gegeben, bis sein Vertheidiger, derselbe, der schon einmal seinen Prozeß geführt, das Wort ergriff, um ihn wieder rein zu waschen von dem Sündenkoth, mit dem ihn Ballmann beworfen.
Dieser Mann, nicht minder beredt als der letztere, rief Gott zum Zeugen für die Wahrheit seiner Worte, und die flossen wie ein sprudelnder Quell über seine Zunge.
Er ging zurück auf die Jugend des Angeklagten, schilderte ihn als den Sohn eines reichen Fabrikanten, dem die zärtlichen Eltern die sorgfältigste Erziehung widmeten. Er schilderte ihn als fleißigen Studenten, als einen von Allen wegen seines Herzens geschätzten Jüngling, der frisch und froh in's Leben ging.
Da habe ihm frühzeitig das Schicksal ein Mädchen in den Weg geführt, für das er mit seinem guten, arglosen Herzen entbrannte. Die Eltern hätten seiner Unerfahrenheit nichts in den Weg gelegt, sie sei nach kurzer Verlobung sein Weib geworden.
Bald nach der Hochzeit aber habe das Fallissement des großen Fabrikherrn auch den Sohn wie ein Blitz zu Boden geschleudert und dem schuldlos verarmten jungen Mann habe jetzt sein Weib die wahre Physiognomie gezeigt. Sie besaß wenig oder nichts – er hatte ja nie danach gefragt! Aber ein Satan von Schwiegermutter, so eine von der allerschlimmsten Sorte, verbündete sich mit ihr, um den Unglücklichen aus der eigenen Wohnung zu jagen, ihn wie einen Bettler zu behandeln.
»Nur wenige Züge aus dem ersten ehelichen Leben dieses jungen Weibes werden genügen, Ihnen dasselbe in seiner ganzen Schlechtigkeit zu zeigen!« rief der Redner. Und jetzt entrollte auch er ein Bild von ihrer Untreue als Gattin, ihrer Pflichtvergessenheit als Mutter.
Er scheute vor keinem Argument zurück, schilderte unerschrocken ihr Verhältniß zu einer hohen Persönlichkeit und ihre Untreue selbst gegen diese. Auch er sprach von dem Ehescheidungsprozeß, in dem sie moralisch als die Schuldige befunden worden, da ihr das Kind, ein Mädchen, abgesprochen worden. Endlich schlug er auch Ballmann selbst nieder, indem er sich anheischig machte zu beweisen, daß sie mit ihm ein Souper eingenommen an demselben Abend, an welchem sie jenes Landhaus verkauft, das sie der Freigebigkeit der bereits erwähnten hohen Persönlichkeit zu danken hatte und dessen Werth ihr eine sichere Existenz hätte bereiten können.
Dürfe man die Lebensweise des Angeklagten als Gatten bemäkeln, so falle alle Schuld auf das Weib, das man soeben gegen besseres Wissen als einen Engel an Unschuld gefeiert. Die Schuld falle auf sie und die Schwiegermutter des Angeklagten, für deren edlen Charakter man sich ebenfalls so echauffirt.
»Sehen Sie dieses Weib da,« rief er, auf Mrs. Blount zeigend. »Ihre Tochter war vermöge ihrer lockeren Grundsätze als Maitresse eines hohen Herrn in, ich möchte sagen, glänzenden Verhältnissen; sie brauchte auch nicht zu darben, als diese Verbindung gelöst wurde. Warum ließ sie die eigene Mutter auf eine Stufe hinabsinken, auf der sie, dem Laster der Trunksucht verfallend, öffentlich zum Spott der Gassenjugend ward? Wo war die Tochter, diese gepriesene Unschuld, als die Mutter bei ihren Landsleuten, den amerikanischen Familien, betteln ging, die sie einst als ihres Gleichen gekannt. Und warum ging sie betteln? Diese so hoch gepriesene Unschuld, die den Rest des Vermögens ihrer Mutter verschwendet, begab sich auf Reisen; während ihres Scheidungsprocesses trieb sie sich notorisch in der Welt umher mit einem fremden Abenteurer, sie kehrte, das eigene Kind verleugnend, nur einmal flüchtig zurück, um ihr Besitzthum zu verkaufen, um dann, auch die Mutter obdachlos zurücklassend, wieder in die Arme ihres Geliebten nach Paris zu eilen, wo man sie an seiner Seite überall, und – als er sie verlassen – in den Restaurants der Boulevards ihre Existenz suchen sah.
»Und verlangen Sie Beweise hiefür? Sie selbst mag sie Ihnen geben!« rief er, zur Tribüne hinaufschauend. »Sie sehen sie dort, eine fahrende Abenteurerin, die nichts mehr besitzt als was ihr der Zufall spendet, versteckt unter den Zuhörern der Tribüne, um der Verurtheilung des Gatten beizuwohnen! Ich erkannte sie schon bei Beginn der Sitzung.«
Aller Augen wandten sich zum Publikum. Man suchte sie und glaubte sie in einer weiblichen Gestalt im Hintergrunde der Tribüne zu erkennen, die den ihre Stirn beschattenden Schleier erschreckt über das Antlitz zog. Niemand sah die Unruhe der Mrs. Blount auf der Zeugenbank, wo sie stumpfsinnig des Redners Worte über sich hatte dahin rollen lassen.
»Ich komme jetzt auf das Vergehen, das man dem Angeklagten zur Last legt,« fuhr er fort, zufrieden lächelnd über den Eindruck seiner Worte. »Welches sind die Beweise, die man gegen ihn erbracht? Daß der Angeklagte an jenem Morgen durch das Zimmer gegangen, aus welchem der Geldbrief verschwand, durch ein Gemach, das in einer Flucht mit vier anderen Bureau-Zimmern zusammenhing? Können nicht andere denselben Weg gegangen sein? ... Daß man in dem stets unverschlossenen, Jedermann zugängigen Treppenverschlage der Wohnung, die der Angeklagte inne gehabt, das leere Couvert fand, das von dem Pfeiffer als jenes mit dem Inhalt verschwundene erkannt wurde? Und wer fand es? Er selbst und dieselbe bis zum Bettelweib herabgesunkene Schwiegermutter, die alle Zeit der Dämon des Angeklagten gewesen.
»Wo ist der Beweis, daß dieses Couvert wirklich dasselbe? Die Adresse war von der Hand des Pfeiffer. Kann dieselbe Hand dieselbe Adresse nicht noch einmal geschrieben und in Verabredung mit der Zeugin unter dem Treppenverschlage versteckt, sie in Verabredung mit ihr gefunden haben, um von dem Angeklagten, den sie noch für einen reichen Mann hielten, Geld zu erpressen? Oder zu welchem Zweck anders kam Dr. Ballmann zu ihm, um ihn aufzufordern, die Sache gütlich zu begleichen?
»Man wird mir einwenden: die amtlichen Siegel befinden sich noch auf dem Couvert! Zugegeben! Aber kann ein Beamter, der so viele Jahre im Besitz dieses Siegels gewesen, dasselbe nicht noch besitzen? Kann er in dem Falle nicht jederzeit eine Adresse auf ein Couvert schreiben, die Siegel darauf setzen und es für das ihm damals mit dem Inhalt entwendete ausgeben?
»Es ist sonnenklar, daß das Ganze nichts als ein schnöder Erpressungsversuch zweier in die tiefste Noth Versunkenen ist, die sich durch diesen aus ihrem Elend zu helfen beabsichtigten; ich erwarte also die vollständigste Freisprechung des mit so schreiendem Unrecht Beschuldigten.«
Der Staatsanwalt vermochte diese Möglichkeit nicht vollends zu bestreiten, das Resumé des Präsidenten war ein sehr kleinlautes, und dem Angeklagten ward nach kurzer Berathung der Geschworenen seine Freisprechung verkündet.
Lautes Schluchzen folgte der Verkündigung des Urtheils. Mrs. Blount brach in Verwünschungen über die Ungerechtigkeit der Richter aus. Sie ward gewaltsam zum Saal hinausgebracht.
Lenning drückte mit Freudenthränen seinem Verteidiger die Hand. Er ging, entlastet wegen Mangels an Beweisen durch Richterspruch, nicht so durch die moralische Ueberzeugung selbst derer, die ihn seiner Schuld nicht zu überführen vermochten.
Draußen vor dem Gerichtshause warf er sich in einen Fiaker. Mrs. Blount, die, ihre Thränen mit dem alten Flortuch trocknend, auf dem Platze stand, ballte ihm unter lauten Flüchen die Hände nach.
Sie schwieg erst als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, dann aber jauchzte sie auf, umhalste eine halb verschleierte Frau in schlichter Kleidung, nannte sie unter neuen Thränen my darling und ließ sich kaum beruhigen, als diese, um der Aufmerksamkeit der aus dem Gerichtshause Kommenden zu entgehen, sie am Arm ergriff und mit sich schleppte.
»Eliza, Du ... endlich!« rief sie an der stilleren Gassen-Ecke. »Du hast es mit angehört, wie sie diesen Elenden für unschuldig erklärt, der Dein und mein Dasein verwüstet! ... Aber Du bist endlich wieder da und jetzt kann ich wieder froh sein! Du wirst mir zu essen und zu trinken geben! O, ich wußte ja, daß Du endlich kommen würdest!«
Sie gab sich keine Zeit, in der Tochter Antlitz zu suchen; sie war nur getröstet in dem Gedanken, daß ihre Noth ein Ende haben werde; und ihre Hand fortwährend halb ausstreckend, als könne sie nicht erwarten, daß sie ihr etwas geben werde, schluchzte sie unter Freudenthränen.
»Schweig!« Die Hand der Tochter preßte heftig ihren Arm, als sie zu neuen Ausbrüchen gegen Lenning anhob. Eliza's welkes, leidendes Antlitz wandte sich mit Abscheu vor dem Branntweinsathem ab, den die Alte ihr entgegenhauchte. »Was willst Du von mir?« rief sie, ihren Arm pressend und ängstlich umher blickend. »Wo hast Du das Geld, das ich Dir hier zurück gelassen? Man sagte mir bei meiner Ankunft in dem Bankhause, es sei von Dir längst abgeholt bis auf das Letzte! ... Wo hast Du das Geld gelassen? Sprich!«
Mrs. Blount starrte sie blöd an mit einer die Lider überquellenden Feuchtigkeit in den Augen, die sie mit dem Rücken der Hand fortwischte; sie verstand die Tochter nicht, und Eliza sah erst jetzt die ganze Verwüstung in der Mutter Antlitz. Ekel und Grauen überfielen sie, zugleich eine Hoffnungslosigkeit, in der sie muthlos die Hand von dem Arm der Alten sinken ließ.
»Ich kam um dieses Geld!« wiederholte sie. »Ich bin in Noth, und Du hast es ... vertrunken!« Sie faltete verzweifelt die Hände und maß die Alte voll Abscheu. »Verschwendet hast Du das Geld, das ich Dir ließ ... Vertrunken!«
»Wer ... Ich? ... Es ist eine Lüge, wenn Dir Einer gesagt hat, ich trinke!« rief Mrs. Blount, die Hände erhebend – »Dieser elende Advokat da drinnen in dem Hause hat gelogen! Ich wartete Tage, Wochen, Monde! Du wolltest ja bald zurück sein! Ich zahlte von dem Geld ... Ja, ich erinnere mich noch ganz genau.« – Sie fuhr sich wieder mit der Rückseite der Hand über die ewig thränenden Augen – »Ich bezahlte von dem Gelde bis nichts mehr da war, denn Du hattest ja viel Schulden noch. Ich dachte immer, Du würdest kommen, aber ... Siehst Du, und endlich wollt' mich Mr. Atkinson auch nicht mehr haben! Seitdem zahlen er und andere Landsleute mir wöchentlich ein paar Pfennige, wenn ich komme und davon muß ich leben. Wie kannst Du da sagen, daß ich trinke! ... Aber gieb Du mir jetzt; ich hab's um Dich verdient, denn meine Schuld ist's nicht, wenn der Lenning, der Schuft, so davongekommen.«
Sie streckte wieder die Hand aus. Die Tochter blickte rathlos hinaus.
»Ich gehe mit Dir, Eliza! Du darfst mich nicht wieder so verlassen!« Die Alte wollte ihre Hand ergreifen. »Sie sagten da drinnen, Du seiest in Paris gewesen; da hast Du an mich freilich nicht gedacht.«
»Nein, ich kann Dich nicht brauchen!« Eliza wehrte ihr mit Widerwillen ab als sie von ihr bedrängt ward. »Ich will Dich morgen aufsuchen; sag' mir nur, wo ...«
Ein junger Mann in genial unordentlichem Kostüm trat eben suchend um die Ecke des Gerichtsgebäudes und winkte ihr. Eliza ward unruhiger. Die Angst stieg in ihr. Die Alte packte sie wieder.
»Wo Du mich finden kannst, darling? Ja, das weiß ich selber nie!« lachte Mrs. Blount. »Drei Tage hatten sie mich eingesperrt, um mich auszufragen; sie meinten, ich werde vergessen wiederzukommen; aber dahin kann ich Dich nicht führen. Ich gehe ja mit Dir, Eliza!«
Diese überlegte hastig. Sie suchte in ihrer Tasche und reichte ihr einige kleine Münzen.
»Da nimm!« rief sie eilig, um sie los zu werden. »Vertrinke das meinetwegen! Ich habe nur dort Jemanden zu sprechen. Erwarte mich hier! Ich komme zurück!«
Mrs. Blount nahm das Geld. Unschlüssig schaute sie der Tochter nach; dann das Geld zählend, sah sie nicht, wie diese mit dem auf sie Wartenden um das Gebäude verschwand und in einem der Fiaker davonfuhr.
Eine Stunde lang stand Mrs. Blount, noch auf die Tochter wartend, bis ihr der Boden heiß ward und sie sich erinnerte, sie habe ja Geld. Vor sich hin murmelnd ging sie stumpfsinnig ihres Weges und vergaß die Tochter in ihrem wieder auftauchenden Ingrimm über Lenning's Freisprechung.
* * *
Ende des zweiten Bandes.