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13.

Am nächsten Morgen, als Stella noch schlummerte, trat Richter seine gewohnte Promenade in den Wald an.

Ein Mann wie er, an rastlose Thätigkeit gewöhnt, hatte das Bedürfniß, seine Muskeln zu üben. Die Beschäftigungslosigkeit, die langweilige Stille in dem kleinen Badeort wurden ihm oft unheimlich, aber er selbst überredete sich, ihm sei eine Pause nothwendig, und Stella bedurfte der so kräftigenden Luft, obgleich er die Wirkung derselben gerade an ihr vermißte.

Er verspätete sich heute; seine neuen Baupläne gingen ihm durch den Kopf. Er hatte hier die Muße, sie auszuarbeiten, um fertig damit nachhause zu kommen.

Stella hatte sich inzwischen bereits erhoben, als ihr Gatte das Haus verlassen. In ihr war ein Gefühl moralischer Vernichtung, das ihr die Brust zusammenpreßte, ihr Gehirn schwindeln machte, und zugleich ein düstrer Trotz. Sie schien bereit zu Allem.

Helmine erschien, als sie sich kaum angekleidet. Stella's finsterer Blick dankte ihr wenig für das, was sie ihr am Abend gesagt. Aber auch Helminen's Antlitz zeigte Unruhe.

»Ich komme schon von ihr!« begann sie, sich erschöpft auf einen Sessel werfend. »Ich fand sie glücklicherweise allein. Sie nahm mich mit Empfindlichkeit auf. Sie habe mich gestern schon auf der Veranda erkannt; sie, meine Cousine, habe zurückstehen müssen vor der Frau Richter, die ich zuerst aufgesucht. Sie war ganz anders, als sie sich mir beim letzten Male zeigte, heftig, gereizt, beinahe feindlich. Sie habe Niemanden auf der Welt, der es ehrlich mit ihr meine; sie sehe nicht ein, warum sie immer die Aufopfernde, Edelmüthige spielen solle.

»Ich wußte in der That nicht, wie ich in dieser Stimmung mit ihr zurecht kommen sollte. Ich sagte ihr, ich habe sie eigentlich im Kurhause gesucht, sei zu ermüdet gewesen, um sie im Tanz zu stören, mein Kostüm habe mir das Betreten des Saales nicht gestattet; ich komme deshalb schon frühmorgens, sei überhaupt nur hier, um sie zu sehen ... Sie lachte mir in's Gesicht. Ich versicherte ihr, wir hätten gestern Abend nur von ihr gesprochen; Dir selbst liege daran, Dich mit ihr zu versöhnen. Du habest ihr ja kein Leid zugefügt.

»Sie wies auch das zurück. Sie hasse Dich einmal, und mehr als je, seit Du ihr hier in den Weg getreten. Sie sehe es an Fürth's Wesen und Benehmen, daß er keine Ruhe habe, seit er Dich wieder gesehen. Sie wisse, daß er trotz aller seiner Weitläufigkeiten noch immer an Dich denke; die Anderen alle seien ihr gleichgiltig, nur Dich hasse sie.

»Ich suchte sie zu beruhigen, stellte ihr vor, wie glücklich Du mit Deinem Gatten lebtest ... ›Glücklich!‹ rief sie. ›Um so mehr verabscheue ich sie! Liebte sie ihn noch ... und weiß ich denn, ob's nicht so ist? ... ich würde sie weniger hassen, denn Erwin ist gewohnt, Alles mit Füßen zu treten, was ihn wirklich liebt; ich kenne ihn. Gerade dies macht sie mir doppelt gefährlich! Ich dachte schon an Scheidung von ihm, aber ich würde es nicht überleben können, wenn er nicht mehr mir gehörte. Ich denke nicht mehr daran; ich weiß schon, was ich thue, um mir Ruhe zu verschaffen! Sie soll sich in Acht nehmen vor mir!‹

»So sah ich endlich alle meine Mittel erschöpft,« schloß Helmine mit sinkender Stimme, »und ich weiß kein anderes mehr, als das eine: räume dieser Unversöhnlichen den Platz! Reiset ab, alle Beide! Ich bleibe noch einige Tage hier, um in ihrer Nähe zu sein. Sie wird vernünftiger werden, wenn sie Dich nicht mehr sieht!«

Stella, am anderen Fenster ihr gegenübersitzend, hatte schwer bedrückt ihrem Vorschlage zugehört. Dieser Haß eines jungen Weibes, dem sie doch kein Leid zugefügt, ward ihr mit jedem Worte der Freundin unheimlicher.

Sie nickte zustimmend als Helmine zu Ende war.

»Ich will noch heute mit Richter sprechen,« sagte sie mit müder Stimme. »Es wird so besser sein!«

Eben trat dieser, von seiner Promenade zurückkehrend, in's Zimmer, begrüßte Helmine mit treuherzigem Handschlag, trat dann zu Stella und heftete eine goldrothe Rose an ihren Busen.

Er trug Briefe in der Hand, die ihm der Portier übergeben, darunter ein Schreiben mit dem Regierungssiegel.

»Keine Ruhe, armes Herz!« Er streichelte Stella die Wange. »Unser neues Projekt ist genehmigt; der Verwaltungsrath erwartet mich schleunigst; ich muß heute noch fort und Dich, Du Aermste, muß ich mit mir schleppen, denn ich vermöchte es nicht, ohne Dich wochenlang daheim zu sein.«

Helmine blickte gespannt auf Stella. Sie sah, wie diese ausathmete.

»Ich bin bereit!« hörte sie Stella sagen.

»Was mir da einfällt!« rief Richter, die Hand an die Stirn legend. »Es hat mich da gestern einer der großen Grundbesitzer hier in der Nachbarschaft um meinen Rath wegen einer wichtigen Kanalanlage gebeten. Ich versprach, zu ihm zu kommen; das Honorar würde einen Theil unserer Reisekosten decken. Ich mache es kurz, nehme auf der Stelle einen Wagen, fahre zu ihm hinaus und bin vor dem Abend wieder zurück. Im Nothfalle brechen wir erst Morgen in aller Frühe von hier auf ... Ist Dir's recht?«

Stella nickte zerstreut. Richter, Geschäftsmann durch und durch, griff nach seinem Paletot. Er hatte keine Muße, zu bemerken, wie bleich heute seine Gattin.

»Also auf Wiedersehen! Ich weiß Dich während dieser wenigen Stunden in guten Händen!«

Er drückte Stella an sich, reichte Helminen die Hand und stürmte hinaus.

»Es ist besser so!« hauchte Stella mit einem trostsuchenden Blick auf ihre Freundin.

Diese erhob sich. Sie betrachtete Stella, den Arm um ihren Nacken legend, mit sichtbarer Rührung.

»Du wirst zu thun haben mit den Vorbereitungen zur Abreise,« sagte sie weich. »Wir trennen uns hoffentlich nicht auf lange. Erhalte ich hier günstige Nachrichten über des Vaters Befinden, so folge ich Dir. Jetzt muß ich Dich verlassen; ich sehe Dich heute Mittag.«

Helmine ging.

Stella blieb sinnend inmitten des Zimmers stehen, die Hand an die Stirn gepreßt. Diese Nacht, die sie verlebt! ...

Helmine hatte recht: es wäre besser gewesen, sie wäre hundert Meilen von hier entfernt.

Der ganze Tag gehörte jetzt ihr. Richter konnte vor dem Abend nicht zurückkehren. Sie wollte die Wohnung nicht verlassen.

Hanna zu begegnen wagte sie nicht seit sie wußte, welcher Feindseligkeit dieses Weib fähig, das einen durch Frauengunst verwöhnten Gatten gegen alle Welt vertheidigen zu müssen glaubte.

Und gerade gegen sie richtete sich all' ihr Zorn seit sie sich in den Besitz von Briefen ihrer vermeintlichen Gegnerin zu setzen gewußt ...

Ein Schauder durchfröstelte Stella bei dem Gedanken an diese. Sie wollte sich an das Zusammensuchen ihrer Garderobe begeben, um ihrerseits keine Verzögerung in der Abreise zu verursachen, aber ihre Hände zitterten, ihre Füße waren so unsicher.

Sie wollte erst Ruhe finden. Niemand außer Helminen sollte sie heute stören. Eine Viertelstunde verging.

Sie trat zur Thür, um dieselbe abzuschließen. Kaum aber einen Schritt vor derselben, vernahm sie ein Pochen.

Sie schwieg furchtsam, ihr Arm sank. Es mußte Helmine sein, die schon zurückkehrte.

Die Thür öffnete sich. Eine Männergestalt erschien in derselben ... Erwin!

Stella stand wie eine Bildsäule. Erwin überschritt mit einer respektvollen Verbeugung die Schwelle und schloß die Thür hinter sich.

»Herr von Fürth ...!«

Stella vermochte mit zitternden Lippen nichts weiter hervorzubringen. Sie wich zurück und stützte sich, ihn anstarrend, auf die Lehne eines Sessels.

»Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau, wenn ich hier eindringe,« sagte Erwin mit ernster Miene und fester Stimme. »Mein Besuch galt Ihrem Herrn Gemahl. Niemand begegnete mir im Hotel, der mir hätte sagen können ...«

Stella blickte auf ihn mit finsterem Gesicht und dem Ausdruck der Entrüstung.

»Sie sprechen die Unwahrheit!« unterbrach sie ihn, sich aufrichtend. »Gab Ihnen mein Gatte die Berechtigung ...?«

Erwin stutzte. Er verlor seine Ruhe.

»Nicht ausdrücklich! Die Gebräuche der Gesellschaft aber dürften mich berechtigen ...

»Die Ehre seiner Gattin zu beleidigen?« rief Stella mit aufflammendem Auge.

»Die Unwahrheit ist nicht meine Gewohnheit, und so stehe ich nicht an, zu bekennen, daß ich unter dem Vorwand einer flüchtigen Bekanntschaft mit Ihrem Gemahl ...«

»Die zu suchen schon eine Beleidigung für ihn und seine Gattin war!«

»Sie sind streng! Aber ich bestreite dies nicht. Ich suchte jede Gelegenheit, Ihnen nahe zu kommen, um Ihre Verzeihung zu erflehen.«

»Sie verletzen Ihre Gattin, verletzen mich durch Ihr Erscheinen hier! Ist diese Schwelle hier die einer Unglücklichen, sie sollte Ihnen unnahbar sein; ist sie die einer Glücklichen, wie wagen Sie, dieselbe zu entweihen! Bin ich bereits schuldlos ein Gegenstand des Hasses, der Verfolgung Ihrer Gattin, muß ich auch der Ihrer ... Unerschrockenheit sein? Mein armseliges Leben fand einen äußeren Abschluß, den Sie achten sollten; was hier innen zertrümmert wurde, ich verzeihe es, verzieh es längst mit der Verachtung, die ich einem ... Ehrlosen schuldig bin!«

Stella wandte ihm zitternd vor Aufregung den Rücken.

Erwin war gefaßt gewesen auf einen Empfang wie diesen. Er sah die schöne Gestalt von ihm abgewendet und blickte lange schweigend auf sie.

»Ich kam nicht, um mich zu rechtfertigen, nur um Vergebung zu erbitten. Ich war nicht gewöhnt an Mißgeschick, es fand mich schwach und feig, bereit, in elender Verzagtheit und Blindheit gleich einem Versinkenden die einzige Hand zu ergreifen, die sich ihm ausstreckte. Die Buße, die ich dadurch auf mich herabrief, ist genug für mich; häufen Sie nicht noch mehr auf mich! Ihr Herz ist edel und gut ...«

»Und das ermuthigte Sie, zu thun, was Sie an einem minder guten Herzen zu freveln vielleicht nicht den Muth gehabt haben würden?«

»Vielleicht! Auch das bekenne ich! ... Ich bin waffenlos gegen Sie! Ich kam hierher, mich dessen völlig bewußt!«

»Sie erwarteten von mir mehr, als ich mir selber zu gewähren vermag, die Verzeihung für die Schwäche gegen einen Mann, der ...«

Sie wandte sich entschlossen zu ihm zurück.

»Jede Sekunde Ihres Verweilens hier ist eine neue Beleidigung für mich, ich wiederhole es!« rief sie hoch aufgerichtet. »Jeder Blick, jedes Wort, dessen ich Sie noch würdige, ist eine Beleidung meines Gatten, dem Sie sich zu nähern die Kühnheit hatten! Gehen Sie von hier mit dem Armsünder-Bewußtsein, daß mit dem Weibe, das Sie selbst Ihre Buße nannten, Gottes eigene Hand Sie gestraft hat!«

Erwin schien bei diesen Worten in sich zu erbeben. Er legte die Hand an die Stirn, ließ sie herabfallen, senkte das Haupt und schritt ohne Abschied hinaus. Er hatte sich in dem einen Blick getäuscht, den er gestern Abend von ihr erhascht zu haben glaubte.

Sein Hinaustreten war ein berechnet theatralisches.

Stella sah ihn sich entfernen mit stolzem Siegesbewußtsein. Kaum aber schloß sich die Thür hinter ihm, als Alles, was die Nacht hindurch Stürmisches in ihrer Seele vorgegangen, sich von Neuem zu einem Vernichtungskampf gegen einander erhob.

All' die Leidenschaft, die sie für diesen Mann empfunden, überwältigte ihren Groll trotz der Qualen, die er ihr bereitet, und Schach dieser Unversöhnlichen, von der sie kaum Gnade zu erwarten! schrie es in ihr. Dieses drückende, elende Band, das sie an Richter fesselte, zerriß vor ihren Augen; es war unhaltbar geworden, es mußte zerreißen.

Namenlose Angst stieg aus ihrem Herzen auf und wallte siedend zur Stirn. Sie sank zusammen, sie schrie auf; sich selbst unbewußt rief sie einen Namen: Erwin! und ihre Arme streckten sich flehend zur Thür.

Sich nicht verloren gebend, stand dieser lauschend noch draußen. Er trat wieder ein. Er beugte sich über sie, und sie schlang mit der Angst einer Verzweifelten die erhobenen Hände um seinen Nacken und ließ sich von seinen Küssen, seinen Armen an seine Brust ziehen ...

Am Nachmittage fand Helmine sie in schmuckloser Reisekleidung. Helmine war in hoher Aufregung. Argwöhnisch schaute sie auf Stella.

»Du bist reisefertig?« sagte sie, im Zimmer umherblickend.

»Wie Du siehst! Hoffentlich reisen wir heute noch!«

»Es wäre gut!«

Stella blickte erschreckt auf sie. Helminens Auge begegnete ihr so strafend.

»Ist es wirklich begründet? ... Er war hier ... bei Dir

Stella's Antlitz bedeckte sich mit hoher Gluth. Die Hände zitterten in ihrem Schooß.

»Ich bedarf keiner Bestätigung! Was thatest Du?«

Stella erhob sich zitternd von dem Sessel, auf den sie gesunken. Sie antwortete nicht.

»Es war eine Unverschämtheit von ihm! ... Das Schlimmste aber ist: Hanna hat von ihrem Fenster aus ihn hier eintreten sehen. Sie ist außer sich! Sie sah auch Richter vorher im Fiaker davonfahren.«

Stella sprang auf. Sie preßte beide Hände gegen die Schläfe.

»Sprich mir nicht von ihr!« rief sie außer sich. »Mir ist, als müßte mir der Kopf zerspringen! ... O, ich wollt', ich wäre schon fort ... weit fort von hier; ich ertrage es ja nicht! ...«

Sie schritt, die Hände ringend, im Zimmer umher. Helmine schaute ihr sprachlos nach; sie zitterte vor dem, was zweifellos geschehen, vor dem, was ebenso unfehlbar die Folge sein mußte.

»Ich bin hier überflüssig! Wär' ich daheim geblieben!« Sie sah, wie Stella auf ihren Platz zurück sank, die Arme auf den Tisch fallen ließ und ihr Antlitz auf demselben barg.

Schweigend verließ sie das Zimmer.

Als Richter am Abend heimkehrte, fand er seine Gattin, wie sie in ihren weißen Nachtgewande im dunklen Zimmer auf dem Sopha saß.

Sie kam ihm nicht entgegen, ihre nackten Arme blieben auf ihrer Brust gekreuzt; sie nickte ihm stumm ihren Gruß.

»Was ist Dir, Kind?« rief er besorgt. »Du bist wieder krank! Ich hätte nicht fort sollen! ... Warum ist denn Helmine nicht bei Dir?«

Er legte mit Herzlichkeit den Arm über ihren Nacken und küßte sie auf die Stirn.

»Wie kalt Du bist! Gestehe, Du fühlst Dich unwohl.«

»Vielleicht,« hauchte sie, die Stirn wieder senkend, während sie die Hände in den Schooß legte und ein Frösteln verheimlichte. »Das Licht that meinen Augen weh. Ich wollte das Lager nicht suchen, eh Du heimgekehrt ... Nein, nein! Nicht das Licht!« wehrte sie ihm, als er die Kerze anzünden wollte. »Es macht mir Kopfweh!«

Richter gab lächelnd nach. Er setzte sich zu ihr, plauderte ihr von seinem Ausflug, während er ihre Hand in die seinige nahm.

»Deine Nerven sind krank, armes Kind! schmeichelte er. »Es ist auch schon spät! Komm, ich führe Dich zu Bette!«

Sie gab ihm nach; er hob sie auf und führte sie in das Schlafgemach, wo sie sich langsam und träge auskleidete und wie ein verschüchtertes Kind zu Bette bringen ließ.

* * *


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