Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5.

Als das Comtoir geschlossen, ließ sich Blume bei Frau Holstein melden, wie er es gewohnt, wenn er ihr Geschäftliches mitzutheilen hatte. Er fand sie wie immer am Tische sitzend, beim Schein der grün verdeckten Lampe arbeitend oder lesend, während die Thee-Maschine vor ihr summte; Frettchen neben ihr auf dem niederen Schemel, deren Stricknadeln in dem Lichte blitzten, immer lauschend, um den geringsten Wunsch der kranken Herrin zu erhorchen.

Blume nahm mit seiner gewohnten eckigen Weise, die seine Ungewohnheit in Damengesellschaft verrieth, ihr gegenüber Platz. Frau Holstein's von Leiden abgespanntes Gesicht mit den müden, frommen Augen schaute, wie seit einiger Zeit immer, furchtsam auf ihn; sie war auf Unangenehmes gefaßt, wenn Blume nicht gleich durch seine Miene das Gegentheil verkündete. Der Letztere bestätigte auch ihre Sorge; er sprach vorläufig abwartend von gleichgültigen Dingen. Frau Holstein gab deshalb Frettchen einen Auftrag an die Küche.

»Sie bringen heute nichts Gutes, lieber Blume!« Sie legte die weiße, welke Hand auf den Tischteppich und schaute bekümmert vor sich. »Gab Carl etwa wieder Anlaß zur Unzufriedenheit?«

»Es thut mir leid, aber es nutzt nichts mehr, hinterm Berge zu halten!« Blume legte sein Portefeuille auf den Tisch, aus welchem er sonst die eingegangenen Bestellungen so selbstgefällig vorzutragen gewohnt. »Sie wissen, wie viel wir schon für Carl während des letzten Jahres bezahlt an Moritzsohn und die Anderen. Heute mußte ich, ohne eine Miene zu verziehen, dies einlösen« – er legte der armen Frau die Tratte vor – »und wenn das so fortgeht, ist unsere Kasse zu klein. Das Schlimmste ist, daß er selber nichts davon hat.«

Blume schwieg. Er sah die Augen der armen Frau sich mit Thränen füllen.

»Ich will gern und unermüdlich Alles erfüllen, was ich meinem seligen Chef und Freunde auf seinem Sterbebette gelobt, aber ich sehe, es haben alle meine Vorstellungen keinen Erfolg. Er ist nicht 'mal – Sie verzeihen den Ausdruck: ein Taugenichts; es kann mich in Verzweiflung bringen, wenn ich den besten, von Herzen bravsten Jungen von der Welt so am Gängelbande von Jedem sehe, der ihn mißbrauchen will! Sag' ich ihm zum Beispiel: Carl, hüte Dich vor Diesem und thue lieber Das, so thut er das in einer Weise, daß ich gewünscht hätte, er hätte lieber das erstere gethan. Sag' ich ihm: sieh, man hütet sich vor Diesem am besten dadurch, daß man so und so handelt, so macht er meinen Rath zu Schanden, indem er das Gute, das ich ihm gerathen, in kindischem Trotz zur Carricatur macht. Das Geldausgeben ist ihm ein Bedürfniß und dabei jede Summe ihm eine Null.«

Frau Holstein hörte mit niedergeschlagenen Augen, mit Thränen im Herzen. Sie wagte nicht, etwas zu entgegnen, nicht einmal die Bemerkung, ob Blume in seinem guten Wollen die richtigen Wege einschlage. Sie wußte ja keinen anderen.

»So sehr es mich schmerzt,« fuhr er fort, »mir bleibt nur ein Rath: den Carl in's Ausland, in das Comtoir eines unserer Geschäftsfreunde, zum Beispiel in das Norton's, zu senden und ihm zu sagen: du erhältst die und die Summe, jedes Mehr straft dich damit, daß du dir die Rückkehr in die Heimath verschließest.«

»Ich will mit ihm sprechen, Herr Blume! Er ist so willig, so gut, wenn ich ihm in die Seele rede ... Lassen Sie mich noch einmal mit ihm sprechen!«

Blume hatte nichts hiegegen einzuwenden. Er kannte den Erfolg, aber er wollte dem Mutterherzen die Zuversicht auf den eigenen Einfluß nicht verkürzen.

Er entfernte sich, ging an seinen Stammtisch, schaute, als er über den Fabrikhof schritt, zu Carls Fenstern hinauf und sah diese, wie gewöhnlich, dunkel.

»Sie wird heute wohl nicht mehr mit ihm sprechen!« Damit ging er.

Acht Tage verstrichen ohne gegenseitige Wiederannäherung der Beiden im Comtoir. Blume wußte, daß die Mutter ihrem Sohne die ernstesten Vorstellungen gemacht, aber eben in der Mütter Weise so umständlich, daß diese über ihrer Langweiligkeit die Wirkung verloren. Carl hatte bei Beginn der Ermahnungen die volle Gerechtigkeit der Vorwürfe gefühlt, es dann aber unausstehlich langweilig gefunden, um das Geld so viel Reden zu machen.

Blume seinerseits ließ unerbittliche Geschäftsstrenge walten und Carl hielt Das für beleidigend von Seiten eines Gehülfen gegen den Sohn des Hauses.

Eines Mittags fand Moritzsohn Gelegenheit, Herrn Blume zu erzählen, es sei die Gründung einer großartigen Maschinenfabrik unter Nowinkow's Auspicien beabsichtigt, und fragte, ob etwa die Holsteinsche Fabrik unter günstigen Umständen zu haben sei; natürlich solle ihm, Blume, seine Stellung nicht nur garantirt, sondern auch aufgebessert werden.

Blume dachte darüber nach, fand das Project günstig und brauchte, ohne Carls Wissen, eine ganze Woche, um Frau Holstein dasselbe anschaulich zu machen. Es war der alten Dame ein unfaßbarer Gedanke, die Schöpfung ihres verstorbenen Gatten zu veräußern. Blume machte ihr einleuchtend, daß der Zweck dieser Schöpfung nur der Gewinn, das Geld gewesen sei. Die Fabrik stehe auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit und könne nur wieder bergab gehen. Er spielte auf ihre Zukunft unter Carls Leitung an.

Carl, dem das Comtoir zum Ekel geworden, ging inzwischen seinen Zerstreuungen nach und ward durch Marions Fürsorge in einen Kreis von käuflichen Weibern gezogen, an denen er die wohlfeile Erfahrung machte, daß Stella doch von Allen nicht erreicht werde. Es kamen neue Wechsel in Umlauf, durch die er die Bedürfnisse auch von Julianens künstlerischen Kolleginnen bestritt, ganze Logen in den Theatern und die Soupers nach den Vorstellungen bezahlte.

Das gab auch bei der trostlosen Mutter den Ausschlag. Die Fabrik ging in andere Hände über.

Frau Holstein brach an dem Abend, als sie vom Notar kam, bei dem sie den Vertrag unterschrieben, in heiße Thränen aus. Sie nannte sich das unglücklichste Weib und fand keinen Trost über eine That, die ihr doch von ihrem eigenen Geschäftsführer und Rathgeber als unvermeidlich geschildert worden.

Blume hatte ihr reinen Wein eingeschenkt. Er hatte ihr gesagt, wer der böse Dämon ihres Sohnes, aber er hatte ihr verschwiegen, daß er selbst ihn an Marion gewiesen. Man hatte ihm gesagt, daß Carl selbst schon vorher Marion und Juliane, seine beiden Kindheitsgespielinnen, wieder gefunden. Und das tröstete ihn.

Für die unglücklichen Eltern dieser beiden Mädchen hatte Frau Holstein so unermüdlich gesorgt, als das Laster des Vaters die Familie in das tiefste Elend geführt. Sie hatte Marion zu sich in's Haus genommen, Juliane in eine Nähschule geschickt. Sie hatte die Neigung eines ihrer Werkführer für Marion unterstützt und sogar für die häusliche Einrichtung zu sorgen versprochen; aber Marion wies damals den Mann zurück, sie hielt auch im Hause nicht aus und ging.

Frau Holstein hatte dem Vater der Mädchen ein anständiges Begräbniß bereitet, hatte die Wittwe noch unterstützt, als sie mit ihrem Gemüsekram nicht bestehen konnte, hatte Frettchen zu sich genommen, und aus Dank dafür rissen sie ihr den eigenen Sohn in's Verderben.

Frettchen litt darunter nicht minder als die arme Frau. Sie hatte vom Schlafgemach der letzteren, hinter der Portiere sitzend, Alles angehört, was Blume von Marion erzählt.

Und jetzt saß sie an diesem verhängnißvollen Verkaufsabend zu Füßen der unglücklichen Frau; sie hörte sie weinen und sie weinte selbst. Ihr war's, als ruhe auch auf ihr eine unverlöschbare Schande, als habe sie Theil an der Schuld ihrer Schwestern.

Lange hatte sie die letzteren nicht mehr gesprochen; gesehen hatte sie Marion allerdings, als diese in einem Fiaker in vornehmer Toilette vorüber gefahren. Marion hatte die arme kleine Schwester bemerkt, aber sich abgewandt und hinter den Sonnenschirm versteckt, und Juliane war ihr ausgewichen, wenn sie ihr begegnet.

Das Herz voll Thränen wie ihre Herrin, hockte sie neben derselben. Sie wagte kein Wort des Trostes, wagte nicht einmal durch Schluchzen ihre Anwesenheit zu verrathen. Sie war ja die Schwester dieser sündhaften Marion! ...

Als Frau Holstein sich erhob, um in ihr Schlafgemach zu gehen und sich auszuweinen, saß Frettchen allein. Ihr war's so bange. Der Lärm aus der Fabrik drang noch herüber in die Todesstille des Zimmers. Die Wanduhr machte ein so schauerliches Tiktak. Frettchen schaute auf das Zifferblatt.

Sie waren noch da, alle die Arbeiter ... Weymar auch! ... Marion war ihre Schwester, aber es gab kein Band mehr zwischen ihr und dieser Verlorenen ... Ob sie selbst auch wohl so geworden wäre wie die Schwestern, wenn sie nicht mit ihrem Körper das Unglück gehabt hätte? ... O nein! ... Freilich gab es Manches, was zu Gunsten dieser Verirrten sprach, die Trunksucht des Vaters, die bittere Noth, die bösen Beispiele ... aber der schändliche Undank gegen die arme Frau Holstein! ...

Frettchen sprang auf. War Marion schon ehrlos, so gab's ja keine Schande mehr für sie! Weymar haßte Marion; er sollte den unglücklichen Carl aus ihren Händen retten! Sie wußte etwas von Marion, die ja schon lange nichts getaugt; sie durchschaute das jetzt erst.

Schon als Marion bei der Gräfin Mompach gewesen, hatte sie eines Abends, als sie ihren Ausgang gehabt, ein schönes Halsband mit blauen und weißen Steinen mitgebracht. Sie hatte es ihr, Frettchen, heimlich zur Aufbewahrung gegeben; der Vater dürfe es nicht sehen, denn der sei im Stande, es zu vertrinken. Es gehöre der Gräfin, sie habe den Auftrag, es zum Goldarbeiter zu bringen.

Das Halsband hatte Wochen lang in Frettchens Lade tief versteckt gelegen. Frettchen hatte Marion daran erinnert; diese hatte ihr unfreundlich geantwortet, sie solle schweigen. Dann, lange Zeit darauf, hatte Marion es ihr abgefordert, war damit zu Seba hinübergegangen und als sie von der zurückgekehrt, hatte sie Geld gezählt und davon einem jungen Mann gegeben, der Marion, wenn die Gräfin verreist und sie bei ihren Eltern war, sogar heimlich spät Abends in ihrer Kammer besuchte ... O, Marion hatte nie etwas getaugt und man konnte noch Schreckliches an ihr erleben, wenn ihr nicht Einhalt gethan ward! Sie war ihre Schwester nicht mehr; Carl mußte gerettet werden.

Frettchen schlich aus dem Zimmer, durch den Garten in den Fabrikhof, und wartete hier, bis die Arbeiter in ganzen Haufen durch das Gitterthor zogen. Weymar sah, wie sie ihm winkte, und trat mit ihr in den Schatten der großen Steinpfosten ...

Acht Tage später verließ Frau Holstein ihr Haus, um in die innere Stadt zu ziehen. Die Fabrik sollte übergeben werden; sie vermochte nicht, das mit anzusehen, und trennte sich von Blume, der bei dem Wechsel nicht zu kurz kam und auch seit dem Verkauf so förmlich gegen sie geworden war.

Sie war allein die kranke Frau. Carl war nach England auf das Comtoir von Norton & Comp. geschickt und hatte mit Trotz, ohne Rührung von der Mutter Abschied genommen; Frettchen saß in der neuen Wohnung ihrer Herrin und weinte wieder die ganze Nacht hindurch, wenn sie ihr einsames Lager gesucht. Sie hatte Reue, die Aermste; sie hatte übereilt gehandelt.

So wie das jetzt Alles gekommen, war es nicht nöthig gewesen, die Schwester Weymars Rache zu überantworten. Die Fabrik war ja doch verkauft und Carl nach England geschickt.

Marion war verhaftet, das Halsband war in Süß Oppenheims Magazin gefunden, die Gräfin Mompach hatte es schon nach der Beschreibung als das ihrige erkannt. Sie und Seba waren vor Gericht geladen.

Frettchen sollte jetzt gegen die eigene Schwester zeugen ... Viel lieber wollte sie sich das armselige, freudlose Leben nehmen! ... Sie hatte keine Ruh bei Tage, keinen Schlummer in ihren Nächten mehr ... Eher in's Wasser als zum Gericht, um ihre Schwester in's Zuchthaus zu bringen!

* * *


 << zurück weiter >>