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Am frühesten Morgen des nächsten Tages wurde Maxentius durch einen Eilboten geweckt, welchen Rufus mit der Meldung sandte, Constantin stelle sich in Schlachtordnung auf; jeden Augenblick könne der Kampf entbrennen.
»Gut,« erwiderte der Tyrann, »ich werde die Siegesnachricht meines Feldherrn im Circus erwarten. Sage dem Rufus, er solle Bedacht nehmen, den Constantin lebendig in seine Gewalt zu bekommen; wie Herkules den erymantischen Eber, so will ich den Schurken im Triumphe aufführen.«
Die frisch eingetroffenen Legionen, wie auch die Prätorianer waren lauter alte, kampfgeübte Kerntruppen; dazu kam die kaiserliche Leibgarde der Herkulier, 6000 Mann stark. So besaß Maxentius ein Heer, an Zahl dem Gegner weit überlegen, an Uebung und Gewandtheit dem Feinde wenigstens ebenbürtig, durch keine anstrengenden Märsche erschöpft. Die theilweise Entmuthigung war durch das Eintreffen der afrikanischen und sicilischen Legionen geschwunden, die mit unermeßlichem Jubel ihren alten Feldherrn Rufus wieder begrüßt hatten. Das ganze Heer war dem Maxentius mit Begeisterung ergeben, da er es stets nach dem Grundsatze des Kaisers Septimius Severus behandelt hatte: »Bereichere die Soldaten, und frage weiter nach Niemand.« Noch gestern hatte er ihnen, wie es bei solchen Gelegenheiten üblich war, für den Jahrestag seiner Thronbesteigung das donativum oder Geldgeschenk, aber im doppelten Betrage, auszahlen lassen. So durfte er, auch ohne die Weissagungen der Sterndeuter und des Magiers, seines Sieges gewiß sein und konnte daher alle seine Gedanken auf die Feier seines heutigen Festes richten.
In safrangelbem Leibrock, der mit breiter Stickerei in Gold und eingefügten Juwelen besetzt war, darüber den weiten, faltenreichen Purpurmantel, das goldene Strahlendiadem um die Stirne, in der Hand den Elfenbeinscepter mit dem Adler auf der Spitze, selbst die Schuhe mit Edelsteinen bedeckt, so trat Maxentius zur festgesetzten Stunde aus seinen Gemächern hervor und nahm mit verachtungsvoller Herablassung die tiefehrfürchtigen Glückwünsche und Begrüßungen der in weißer Festtoga ihn erwartenden Senatoren und Ritter entgegen.
Unter den schmetternden Fanfaren der Musik und dem Jubelgeschrei der Menge setzte sich der Festzug vom Palatin durch den Triumphbogen des Titus, vorüber am Doppeltempel der Roma und Venus, in Bewegung. Der Kaiser selbst fuhr stehend, einen Palmzweig in der Hand, gleich einem Triumphator, von den Feldzeichen seiner Leibgarde umgeben, in einem mit sechs prächtigen Schimmeln bespannten Siegeswagen, der von Goldplatten in getriebener Arbeit und von Elfenbein strahlte; in einem folgenden Wagen saß seine Gemahlin, in all dem Glanze der golddurchwirkten Gewänder traurig, wie ein mit Blumen bekränzter Grabstein, – heute doppelt traurig in der Erinnerung an den herrlichen Jüngling, den das schwarze Verhängniß aus ihren Mutterarmen gerissen. Die Senatoren und Ritter, die Priester mit den Statuen der Götter nebst den weiß gekleideten vestalischen Jungfrauen, die vornehmen Hofbeamten in rother goldgestickter Livrée und das übrige Gefolge von Rang schlossen sich, die Männer zu Pferde, die Frauen in Sänften oder in eleganten Kutschen, dem kaiserlichen Wagen an. Trotz seiner Abmahnung hatte Heraclius seine Gattin Sabina nicht von der Theilnahme an der Feier zurückzuhalten vermocht; Sabinus, der im Gefolge des Kaisers seinen Platz hatte, würde um keinen Preis auf das Vergnügen des heutigen Tages verzichtet haben. Unzählig war die Volksmenge, welche dem Zuge voraufging und nachfolgte oder von den Treppen und Brüstungen der Tempel und Paläste zuschaute; Tausende waren schon in der Frühe, lange vor dem Dämmern des Tages, hinausgezogen, um einen möglichst günstigen Platz zu gewinnen. –
Die Nacht, welche für Irene in heißen Gebeten verflossen war, hatte von ihrer Seele die letzten Schlacken des Irdischen abgelöst. Wohl dachte sie noch an ihren Sohn, allein dieser Gedanke störte den Frieden ihres Herzens jetzt nicht mehr. Wenn der Adler sich von der Erde hoch über die Wolken emporgeschwungen, dann kreist er, den Blick zur Sonne gerichtet, ruhig und ohne Flügelschlag im reinen Aether. Auf die hingeworfene Frage eines der Gefangenen, wann wohl der Kampf beginnen werde, gab sie, ein Lächeln seliger Verklärung auf ihren Zügen, zur Antwort:
»Christus, der Vorsitzende der Spiele, hat bereits seinen Platz eingenommen; der hl. Geist hat seine Streiter mit dem Oele seiner Gnade gesalbt und sie mit himmlischen Waffen ausgerüstet, und in unabsehbaren Reihen harren die Zuschauer, die Heiligen des Himmels, auf den Beginn des Kampfes. Die Todespforte ist in ein Triumphthor verwandelt; Engel aber in leuchtenden Gewändern stehen an demselben bereit, die Sieger vor den obersten Kampfrichter, vor das Antlitz Gottes zu führen, um aus seiner Hand die Preise, den Palmzweig und den Kranz der Glorie, zu empfangen.« [R1]
Schlaflos, wie Irene in dem Verließ des Cireus, hatte Valeria in der Hütte des Mincius die Nacht zugebracht. So glücklich sie über die Rettung ihres Vaters und dessen wunderbar schnelle Erholung war, so quälend war für sie der Gedanke an Irene. Sie konnte sich gar nicht darein finden, daß sie ihre mütterliche Freundin verlieren sollte, und doch brachte jede Stunde sie dem schrecklichen Augenblick näher. Die Vorstellung, welch' einen Schmerz es dem Sohne bereiten werde, wenn er, voll des Glückes, nach dem errungenen Siege zu seiner Mutter eile und, statt sie in seine Arme schließen zu können, die Nachricht vernehmen müsse, daß sie vor wenigen Stunden dem Schwerte der Henker zum Opfer gefallen sei, zerschnitt ihr die Seele.
Sie hatte dem Candidus die Bulla mit dem vom Blute seines Vaters gefärbten Schwamm zu überreichen; wie sollte sie Worte finden, den edlen Jüngling in seinem namenlosen Schmerze zu trösten?
Nicht einmal ein Andenken an die Hingeschiedene vermochte sie ihm zu bieten!
Ja doch! Wenn sie zum Circus eilte, konnte es ihr mit den übrigen Gläubigen gelingen, das Blut der Martyrer in Tücher und Schwämme zu sammeln und so mit dem Blute des Vaters in der goldenen Bulla das der Mutter zu vereinigen. Und konnte sie nicht zudem die Leiche Irene's in das für ihren eigenen Vater bestimmte Grab legen, gesondert von den andern Martyrern, welche in einem polyandrium, in einer gemeinsamen Gruft beigesetzt werden sollten, um so Candidus wenigstens an das Grab seiner Mutter führen zu können? – Wohl dachte Valeria an die Gefahr einer abermaligen Begegnung mit Sabinus; allein Heraclius war mit seinem Sohne jedenfalls im Gefolge des Kaisers, und unter der großen Volksmenge konnte sie mit der nöthigen Vorsicht sich wohl seinen Blicken entziehen.
Als sie in der Frühe dem Vater ihren Wunsch mittheilte, erhob dieser zwar ernste Bedenken, gab aber doch endlich nach, als Rustica um das Haupt Valeria's eine Kopfhülle legte, wie die Weiber aus dem Volke sie zu tragen pflegten und wodurch sie vor dem Erkennen mehr geschützt wurde. –
Es war ein prachtvoller Herbstmorgen. Vom Albanergebirge her wehte ein frischer, kräftiger Luftzug; die Morgensonne leuchtete vom wolkenlosen Himmel auf die Festprocession nieder und spiegelte sich blitzend in dem reichen Goldschmuck und den blanken Waffenrüstungen des militärischen Gefolges. Maxentius zweifelte nicht, daß das ihm freundlich lächelnde Glück solch' prächtigen Sonnenschein eigens für seine heutige Feier gesandt habe; er dachte nicht daran, daß die Sonne nicht bloß ihm leuchte.
Schaaren von Landleuten, die den Festzug mit freudigem Zuruf empfingen, standen einzeln und in Gruppen zwischen den Monumenten und Laubgruppen der Appia, in ihren bunten, grellfarbigen Trachten gleichsam lebendige Blumenkränze, die Straße entlang.
Nur zwei Männer, ein älterer und ein jüngerer, welche etwas abseits von der Straße, nahe beim Grabmale der Cornelier standen, hatten kaum ein Auge für die vorüberziehende Pracht, und wenn sie flüchtig hinschauten, war der Blick ein ernster und finsterer. Der ältere war der greise Diakon Severus [R2], der sich bei den Katakomben des Callistus eingefunden hatte, um die letzten Anordnungen für die Bestattung der Martyrer zu treffen; den jüngeren, mit aufgeschürztem Leibrock, kennzeichnete die lange Picke, auf welche er sich stützte, als einen der fossores. Es war Mincius, der die Nacht über an der Ruhestätte für die Martyrer gearbeitet hatte und jetzt eben hinaufgestiegen war, sich nach vollendetem Werke an der erquickenden Morgenluft zu erfrischen.
»Es ist und bleibt Schade,« bemerkte der Todtengräber, »daß wir gestern der saubern Bande nicht den Rückweg verschüttet haben. Eine Stunde Gefängniß wäre für sie die rechte Strafe gewesen. Auch der Sohn des Kanzleipräfekten Heraclius war dabei, und ich hätte besonders gern die Bekanntschaft dieses Herrchens gemacht.«
»Ueberlassen wir Gott die Strafe, mein Sohn,« entgegnete der Greis, »sowie das Maß und die Zeit!«
»Ich weiß, daß du Recht hast, mein Vater. Allein wenn ich all' den Frevel betrachte, den man ungestraft an uns verübt; wenn ich die Pracht und Hoffart anschaue, mit welcher der Kaiser jetzt wieder in den Circus zieht, um die heiligen Glieder Christi vom Schwerte seiner Henker hinschlachten zu lassen, dann möchte ich doch manchmal …«
»Ward nicht Balthaser, der König von Babylon, in derselben Nacht erschlagen, in welcher er die hl. Gefäße des Tempels zu Jerusalem bei seinem Gastmahle entweihte?«
»Als Daniel die geheimnißvollen Schriftzeichen an der Wand deutete. Allein bei dem heutigen Feste,« fuhr Mincius fort, während heiliger Unmuth aus seinen Augen leuchtete, »sind es nicht Becher von Metall, sondern die lebendigen Gefäße des heiligen Geistes; und nicht Wein, sondern das Blut der Martyrer ist es, das vergossen wird.«
»Und wenn Gott es will,« sprach der Greis, indem er Constantin's gedachte, »erscheint auch heute ein geheimnißvolles Schriftzeichen, das Maxentius und seine Gäste nicht verstehen.«
»Aber dann werden die heiligen Gefäße zerbrochen und ihr Blut schon vergossen sein.«
»Wer weiß es, mein Sohn, wer weiß es? Hat Gott nicht oftmals die Seinen dem Rachen des Todes entrissen?« –
Unterdessen hatte der Kaiser, vom Jauchzen des Volkes begrüßt, durch das Hauptportal seinen Einzug in den Circus gehalten und auf dem Podium mit seinem nächsten Gefolge, mit den Senatoren und den vestalischen Jungfrauen Platz genommen. Von seinem erhöhten Throne, dem pulvinar, ließ er seine Blicke über den weiten, stattlichen Bau schweifen, und ein Lächeln stolzer Zufriedenheit spielte um seine Lippen: er hatte Rom um ein herrliches Bauwerk bereichert, das seinen Ruhm der fernsten Nachwelt verkünden sollte. Die in zehn Stufen aufsteigenden Sitzreihen, mit den kostbarsten Marmorarten geschmückt, konnten gegen zwanzig tausend Menschen fassen, und wenn Maxentius allerdings heute die Plätze weniger besetzt fand, als er erwartet haben mochte, weil die Besorgniß vor den bevorstehenden Ereignissen denn doch bei Vielen die Neugierde überwogen hatte, so trübte dieses kaum einen Augenblick die Freude des Kaisers an seinem Werke. Mitten durch die Arena, ihre ganze Länge hinunter, zog sich die mit Statuen, Säulen und Tempelchen geschmückte spina, jene Langmauer, um welche die Wagenlenker in siebenmaliger Wiederkehr zu fahren hatten. In der Mitte der spina erhob sich der Obelisk, welchen Domitian um das Jahr 90 nach Chr. nach Rom gebracht und den Maxentius jetzt in seinen Circus verpflanzt hatte.
Heute stehen von dem Baue, den der Tyrann mit dem Blute der Martyrer einzuweihen im Begriffe stand, nur mehr die Umfassungsmauern und die Thürme des Einganges; noch sieht man die Todespforte, die porta libitinensis, durch welche die Leichen hinausgeschleppt wurden. Tiefe, öde Stille lagert über der grasbewachsenen Stätte, und in den mit Schutt bedeckten Gängen und Gewölben haben die Füchse ihre Höhlen gegraben. Mächtige Ruinen in der Nähe erinnern an den Tempel des Romulus und an andere Prachtbauten, die den Circus umgaben; über Allem ragt, auf der Höhe der hier stark ansteigenden appischen Straße, das Grabmal der Metella, um dem ernsten Bilde der Zerstörung einen noch ernsteren Abschluß zu geben. –
Die Feier der Einweihung des neuen Circus begann mit der Enthüllung der Statue des Romulus, dem zu Ehren der Kaiser den Bau aufgeführt hatte.
Für die Kaiserin war ein eigener, hoher Thron errichtet worden, der von einem Baldachin aus Purpur und Goldstickereien überschattet, mit kostbaren orientalischen Teppichen und mit Kränzen geschmückt war; auf goldenen Dreifüßen brannte der Weihrauch in den duftigsten Wohlgerüchen. Von hier aus konnte sie, umgeben von ihren Sklavinnen, der Enthüllung der Statue ihres Sohnes in unmittelbarer Nähe zuschauen.
Als die fallende Hülle ihr das Bild zeigte, das kalte, weiße Marmorbild mit den bekannten, theueren Zügen in starrer Versteinerung, streckte die Kaiserin unwillkürlich, von ihrem Schmerz übermannt, die Arme aus, als hätte sie die Statue umschlingen und aus ihrer Mutterbrust Leben in den todten Stein überströmen lassen wollen. Dann aber stützte sie seufzend das Haupt auf ihre Hand und starrte voll trüben Wehes vor sich hin, ohne auf die Sklavinnen zu achten, die besorgt sich um ihre Herrin drängten, die einzigen, welche unter den Tausenden von Schaulustigen sich um das Herzleid einer Mutter, um den Schmerz einer Kaiserin kümmerten.
Der Enthüllung der Statue folgte die religiöse Ceremonie der Einweihung des Circus, indem die Priester unter Gebeten und Gesängen in Procession goldene und silberne Statuen der Götter, sowie die Brustbilder des Maxentius und der Angehörigen des kaiserlichen Hauses durch den Circus trugen und die Mauern desselben mit Weihwasser besprengten. Bei der Länge der Rennbahn nahm der Akt eine ziemliche Zeit in Anspruch. [R3]
»Beim Herkules!« flüsterte ungeduldig Sabinus seinem Nachbar zu, »die frommen Herren könnten sich das sparen! Ich hätte an des Kaisers Stelle lieber einige hundert Gladiatoren mit einander fechten lassen. Das Kampfgebrüll derselben ist viel wohlklingender, als dies Geplärre, und wenn das frische Blut umherspritzt, so gefällt das Göttern und Menschen mehr, denn ein See voll Weihwasser.« –
Der laute Lärm und das Jubelgeschrei, mit welchem das Volk das Erscheinen des Kaisers im Circus begrüßt hatte, war für die Bekenner die Botschaft gewesen, daß nunmehr die Stunde des Martyriums herannahe. Gefaßt, ja freudig, schauten sie dem Tode in's Angesicht. Der Anblick der Soldaten, die sich mit gezogenen Schwertern an dem Eingang des abgesperrten Raumes aufstellten, um auf das gegebene Signal über ihre Opfer herzufallen, hatte für sie nichts Schreckliches. Noch einmal gaben sie einander den Friedenskuß und ermuthigten sich gegenseitig zu standhaftem Bekenntnisse des Namens Christi. Und wäre unter ihnen Einer gewesen, dem im Angesichte des Todes das Herz gezittert hätte, ein Blick auf Irene würde ihm den vollen Muth des Martyriums zurückgegeben haben. Sie, die das schwerste Opfer zu bringen hatte, stand, ein Lächeln himmlischer Verklärung auf ihrem Antlitz, wie eine Mutter zwischen ihren Kindern, und wenn von Zeit zu Zeit sich ihre Arme zum Gebete erhoben und ihr Auge in seliger Verzückung, hinaus über alles Irdische, den Himmel offen zu sehen schien, dann loderte an der Gluth ihrer begeisterten Opferfreudigkeit auch bei den Uebrigen die Flamme edelsten Bekenntnißmuthes höher auf. –
Endlich waren die Vorfeierlichkeiten im Circus beendigt und Aller Augen richteten sich bald auf die Kaiserloge, von wo Maxentius durch das Hinabwerfen eines weißen Tuches in die Arena das Zeichen zum Beginne der Wettkämpfe geben mußte, bald auf die Schranken am oberen Ende des Circus, wo die Wagenlenker nur mit größter Mühe ihre stampfenden und kampfbegierigen Rosse im Zaume zu halten vermochten.
Maxentius hatte der Enthüllung der Statue und dem Anfange der Festprocession zugeschaut; dann war er verschwunden, wahrscheinlich weil der religiöse Pomp nicht minder ihn, wie das Volk langweilte. Nunmehr mußte er jedoch am Platze sein, um das Zeichen zu geben.
Allein Minute um Minute verging: der Herrscher erschien nicht. Die Spannung und Ungeduld der Tausende ringsum auf den über einander aufsteigenden Sitzen wuchs mit jedem Augenblicke und machte sich endlich in Ausrufen und Stampfen mit den Füßen Luft. Denn im Amphitheater und im Circus, wo in den Ungeheuern Massen der Einzelne verschwand, durfte auch einem strengeren Herrscher gegenüber sich das Volk Manches herausnehmen, und selbst tyrannische Kaiser nahmen dort ängstlich Rücksicht auf Stimmung und Aeußerungen, auf Lob und Tadel der Menge.
Nach und nach nahm die Unruhe des Volkes einen andern Charakter an: die Kunde, Constantin habe den Rufus angegriffen und die Schlacht sei entbrannt, eilte von Mund zu Mund und brachte die Tausende im Circus in die lebhafteste Unruhe und Aufregung.
Die Sache wurde noch schlimmer, als einer der Hofbeamten, um das Volk zu beschwichtigen, statt des Kaisers das Signal zum Beginnen der Rennfahrt gab. [R4]
Auf das Zeichen fielen die Schranken, und in wilder Jagd schossen die sechs Viergespanne, wie der abgeschnellte Pfeil, dahin in die Rennbahn. Vornübergebeugt auf ihrer Biga stehend, flogen die Wettfahrer mit schäumenden Rossen neben einander, vor einander die lange Straße hinunter und trieben mit Peitschenknall und Zuruf die Renner zu Windeseile; es war ein prächtiges Schauspiel.
Aber wenn die Römer sonst mit jeder Fiber den in aufwirbelnden Staubwolken dahinstürmenden Wagen folgten, durch Zurufen, Händeklatschen, Tücherschwenken um die Wette die Kutscher ihrer Farbe anspornten, sich bis zum rasenden Wahnsinn immer wilder aufregten, falls das vorderste Viergespann von dem nächsten überholt wurde, jenes wieder die Spitze gewann, ein Wagen beim Umbiegen um die Spina an der vierthürmigen Meta oder Steinsäule zerschellte, – heute hatte das Spiel keinen Reiz für das Volk, und während schon ein großer Theil sich nach den Ausgängen des Circus drängte, begannen die übrigen immer wilder, immer lauter nach der Kaiserloge hin zu pfeifen und zu schreien.
»Fort mit den Rossen!« hieß es; »wo ist der Kaiser? was ist geschehen? gebt uns Nachricht!«
Endlich trat ein Herold vor und gebot mit seinem Stabe Schweigen. Die Wagenlenker hielten ihre Pferde; Alles lauschte gespannt.
Mit lauter Stimme verkündigte er, daß der göttliche Maxentius es nicht über das Herz habe bringen können, seine tapferen Legionen allein gegen jenen Unverschämten kämpfen zu lassen, der es wage, seine Hand wider die geheiligte Hauptstadt des Reiches zu erheben und die Feste des römischen Volkes durch Waffenlärm zu stören. So sei beim der heldenmüthige Kaiser an die Spitze seiner Truppen geeilt, um den Ruhm Cäsar's zu überholen; denn er brauche bloß zu kommen, um zu siegen.
Die Einen beantworteten die prahlerischen Worte des Herolds mit Hohngelächter, die Andern erwogen mit Schrecken, daß es bedenklich genug um die Entscheidung stehen mußte, wenn Maxentius die Spiele verließ, um persönlich an die Spitze der Legionen zu eilen; Alle hatten nur den Einen Gedanken, jetzt so schnell als möglich nach Rom zurückzukehren.
In wenigen Augenblicken stand der weite Circus leer, und in einem dichten Knäuel wälzte sich die ungeheuere Masse von mehr denn zehntausend Menschen, sich gegenseitig stoßend und drängend, der Stadt zu. Es war, als ob Constantin nicht von der entgegengesetzten Seite Rom angreife, sondern auf der appischen Straße heranziehe und die vor ihm fliehende Menge verfolge. Männer, Weiber und Kinder schrieen wirr durcheinander; undurchdringliche Staubwolken wälzten sich mit dem Volke der Stadt zu, und die Sonne, die am Morgen so freundlich gelächelt, sandte jetzt glühende Strahlen auf die Flüchtlinge, die bei aller Eile nicht eilig genug zur Stadt gelangen konnten.
Sabina hatte in der ungeheuren Verwirrung vergebens ihren Sohn gesucht, vergebens nach ihren Sklaven und Sänftenträgern geschrieen; es blieb ihr nichts anderes übrig, als in ihren Festkleidern zu Fuß durch den unergründlichen Staub in der brennenden Sonnenhitze keuchend und schweißtriefend mit der übrigen Masse der Stadt zuzueilen. –
Als Maxentius auf die von Rufus eingelaufenen Meldungen über den Stand der Schlacht sich entschloß, persönlich an die Spitze seiner wankenden Legionen zu eilen, schmeichelte er sich noch mit der Hoffnung, sofort durch sein Erscheinen das Schicksal des Tages zu wenden. Dennoch aber rief er, davonreitend, dem Aufseher der Gefangenen den Befehl zu, die Christen niedermetzeln zu lassen, falls bis zum Abend nicht die Siegesnachricht eingetroffen sei. Wenn es mir schlimm gehen sollte, dachte er, sollen wenigstens diese Hunde sich nicht über mein Unglück freuen.
Sabinus hätte gerne den Herrscher allein die Lorbeeren des Tages pflücken lassen. So sehr er sich bis dahin in die Nähe des Maxentius gedrängt und einen Blick der Huld von ihm zu erhaschen getrachtet hatte, jetzt versuchte er, schleunigst zu entwischen; allein ein Wink des Kaisers nöthigte auch ihn, sich dem kleinen Gefolge anzuschließen. In rasendem Ritte ging es die appische Straße dahin der Stadt zu; die Reiterposten des Heraclius mußten jetzt umgekehrt dem Rufus den Befehl überbringen, um jeden Preis sich zu halten, bis der Kaiser auf dem Kampfplatze erscheine.
Von der Auhöhe aus, auf welcher das Grabmal der Cornelier steht, schauten der Diakon Severus und der junge Fossor der vorübersprengenden Schaar nach: – sie konnten nicht zweifeln, was das zu bedeuten hatte.
Der greise Diakon faltete die Hände, hob seine Augen zum Himmel und sprach mit erschütterndem Ernst das Eine Wort:
»Balthasar!«
F1: Der Vergleich des Lebens überhaupt, und besonders des Martyrium's mit den Kämpfen in der Rennbahn oder im Amphitheater war den Christen ein sehr geläufiger; hatte ja schon der hl. Paulus ihn wiederholt gebraucht. Sehr anschaulich schildert die hl. Perpetua uns die Vision eines solchen Kampfes die für sie die Ankündigung ihres bevorstehenden Martyrium's war, also: »Tags bevor wir mit den wilden Thieren kämpfen sollten, sah ich in einem Gesichte, wie der Diakon Pomponius hieher kam und heftig an die Pforte des Gefängnisses pochte: ich ging und öffnete ihm, und er sprach zu mir: »Perpetua, wir erwarten dich; komm'!« Und er faßte mich bei der Hand und wir gingen durch wüste und unwegsame Orte. Endlich kamen wir fast athemlos zum Amphitheater; er führte mich mitten in die Arena und sprach zu mir: »Habe keine Furcht; ich bin hier bei dir und arbeite mit dir.« Nach diesen Worten ging er fort. Als ich aufschaute, sah ich eine ungeheuere Volksmenge in gespannter Erwartung. Und da ich wußte, daß ich zu den wilden Thieren verurtheilt sei, wunderte ich mich, daß keine Bestien losgelassen wurden. Da trat wider mich ein Aegyptier vor, von häßlichem Aussehen, begleitet von seinen Helfershelfern, um mit mir zu kämpfen. Auch zu mir kamen Jünglinge, schön von Gestalt, mir Helfer und Genossen. Diese begannen mich mit Oel zu salben, wie es zum Zweikampf zu geschehen pflegt. Und ein Mann von wunderbarer Größe, so daß er die Zinnen des Amphitheaters überragte, trat auf, angethan mit kostbaren Gewändern, in der Hand einen Stab und einen grünen Zweig mit goldenen Aepfeln. Nachdem er Ruhe geboten, rief er: »Wenn dieser Aegyptier jenes Weib besiegt, wird er es mit dem Schwerte tödten; wenn es aber ihn überwindet, soll es diesen Zweig empfangen.« Damit zog er sich zurück; wir aber gingen aufeinander los und begannen zu kämpfen. Ich faßte den Aegyptier beim Kopfe; er stürzte auf das Gesicht, und ich setzte ihm den Fuß auf den Nacken. Da rief mir das Volk Beifall zu, und meine Genossen stimmten Lieder an; ich aber trat zu dem Kampfrichter und empfing den Zweig. Und er küßte mich und sprach zu mir: »Meine Tochter, Friede sei mit dir!« und so ging ich glorreich zur porta sanavivaria hinaus. Da erwachte ich.«
Die Leichen der Gefallenen wurden durch eine besondere Pforte, die porta libitina, hinausgeschleift, während die heil aus dem Kampfe hervorgegangenen Streiter durch die sanavivaria die Arena verließen. An der ersteren erwarteten in den Jahrhunderten der Verfolgung die Gläubigen den Schluß der Spiele, um die Leichen der Martyrer von den Wärtern und Beamten zu kaufen; wenn das Volk, gesättigt von Blut und grausamer Lust, sich zu den Ausgängen des Amphitheaters hinauswälzte, dann umfingen in heiliger Ehrfurcht die Gläubigen die blutigen Ueberreste der Martyrer und hüllten sie in kostbare Tücher, um sie in der Stille der Nacht zu den Thoren hinaus in die Cömeterien zu tragen.
F2: Von dem Diakon Severus ist noch die Grabkammer vorhanden, die er sich und den Seinen mit Erlaubniß des Papstes Marcellinus in den Katakomben des Callistus bereitet, und wo er auch sein Töchterchen Severa beigesetzt hat. Die Inschrift auf das Mädchen gehört zu den schönsten und zartesten aus der altchristlichen Zeit. »Ihr Leichnam,« so heißt es darin, »ist hier im heiligen Frieden bestattet, bis Der ihn weckt zur Auferstehung, dessen heiliger Geist ihre reine Seele zu sich genommen, auf daß sie ihm auf immer makellos angehöre; dereinst wird er sie uns in verklärter Schönheit zurückgeben. Neun Jahre, elf Monate und fünfzehn Tage war sie alt, als sie von dieser Welt hinübergetragen wurde.«
F3: Ueberhaupt wurden die Circusspiele durch eine gottesdienstliche Feierlichkeit, die pompa, eingeleitet, wobei Götterbilder und die Bildnisse der Kaiser und ihrer Angehörigen umhergetragen wurden. Unter dem Schall von Flöten und Tuben zog die Procession durch den Circus, von dem versammelten Volke durch Aufstehen und Beifallruf begrüßt. Den Meisten jedoch schien der oft gesehene Zug, der sich in feierlicher Langsamkeit bewegte, gar kein Ende nehmen zu wollen; man verglich ihn mit einer langweiligen Vorrede. – In der Regel fuhren vier Wagen zu je vier Pferden. Die Renner wurden theils aus Apulien und Calabrien, wo besonders die Hirpiner geschätzt waren, theils aus Sicilien und Spanien bezogen. Die Prämien für die Sieger bestanden in Kränzen und Palmzweigen, in Geldsummen, prächtigen Kleidern und anderen Geschenken. (Vergl. Friedländer, II, 208).
F4: Die Wettfahrten im Circus fanden um eine lange, durch die ganze Bahn sich hinziehende Mauer, die spina, statt; wer in siebenmaliger Umfahrt zuerst an das durch einen Kreidestrich bezeichnete Ziel gelangte, war Sieger. An den Enden der Mauer standen die metae, vier zusammengefügte Steinkegel, um welche die Wagen zu biegen hatten und an welchen sie leicht zerschellten, wenn der Kutscher die Wendung zu kurz gefaßt hatte. Auf der Mitte der spina stand der Obelisk, an den sich nach beiden Seiten zur weitern Zierrath Statuen, Säulen, Tempelchen u. dgl. anschlossen. – Die Sitzreihen der Zuschauer stiegen über einander aus; die unterste, das podium, war mit einem Geländer versehen und für die Senatoren reserviert. Dort befand sich auch der Ehrensitz des Kaisers; wenn er aber beim Spiele präsidirte, so war sein Platz auf einem Balkon über dem mittleren Portal der Eingangsseite, und er gab das Zeichen zum Beginne der Spiele dadurch, daß er ein weißes Tuch, mappa, in die Arena warf. (Vergl. Marquardt, Röm. Alterth. IV, 501 f.)