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In Folge der wiederholten Unterbrechung und der dadurch verursachten Hast, in welcher Heraclius die Liste der angeblichen Verschworenen aufgestellt hatte, waren ihm einige Namen hineingerathen, die er bei ruhiger Ueberlegung wohl für eine günstigere Gelegenheit aufgespart haben würde. Dies galt besonders von Antoninus, dem kaiserlichen Kämmerer, dessen unbestechliche Rechtlichkeit wiederholt seine habgierigen Pläne durchkreuzt hatte. Wie Heraclius, so wußte auch Maxentius, daß derselbe Christ war; allein Antoninus genoß trotzdem das unbegrenzte Vertrauen seines Gebieters.
Seine Gefangennahme, über die wir im vorigen Kapitel berichteten, sollte dem Heraclius theuer zu stehen kommen.
Die Mutter des Antoninus war eine jener ehrwürdigen Matronen, deren Welt der stille Kreis der Familie ist und die, umspielt von blühenden Enkeln, in heiterm Frieden den Abend ihres Lebens dämmern sehen. Die Verhaftung ihres Sohnes, den die Schergen unbarmherzig aus den Armen seiner weinenden Gattin, aus der Schaar der sich jammernd an ihn schmiegenden Kleinen gerissen hatten, zerstörte mit einem Schlage das Glück der Matrone, und wenn sie auch als christliche Mutter wohl die Kraft gefunden hätte, ihren Sohn in blutigem Martyrium zum Opfer zu bringen, so durfte sie die Schande, daß er wegen Eidbruches gegen seinen Herrn und wegen Theilnahme an der Verschwörung hingerichtet worden, nicht auf sein Andenken, nicht auf das Haupt seiner Kinder kommen lassen.
Indem sie ihren Enkel, einen zehnjährigen Knaben von liebenswürdigster Anmuth, an die Hand nahm, eilte sie noch am Abend in den Palast und erbat sich eine Audienz.
»Mein Gebieter,« sprach sie, indem sie vor Maxentius auf die Kniee sank, »wenn mein Sohn deine Ungnade auf sich gezogen, weil er seine Pflicht nicht gewissenhaft erfüllte, dann beuge ich mich in Gehorsam jedem Urtheilsspruche deiner Majestät. Allein …«
»Was, Ungnade!« unterbrach sie Maxentius, indem er die Greisin aufhob, »ich bin im Gegentheil deinem Sohne durchaus gewogen, da ich ihn als einen treuen und zuverlässigen Diener erprobt habe.«
»Ich danke deiner Majestät für dieses Zeugniß,« erwiderte die Matrone, »und wage es anzurufen zur Vertheidigung gegen eine Anklage, die ihn bereits in Kerker und Ketten geliefert hat.«
»Beim Jupiter!« rief entrüstet der Kaiser, »wer durfte sich erdreisten, an einem meiner nächsten Hofbeamten sich zu vergreifen? Und was für ein Verbrechen wagt man ihm zur Last zu legen?«
»Fiele auch nur ein Schalten von Verdacht selbst eines geringeren Vergehens auf meinen Sohn,« fuhr die Greisin fort, »deine Dienerin würde es nicht wagen, vor dir zu erscheinen. Allein, daß er sich gegen Thron und Leben seines Gebieters verschworen haben soll, nein, mein Kaiser, nein, das ist eine schändliche Verläumdung.«
Bei diesen Worten erinnerte sich Maxentius seines Befehles, und mit finsterm Stirnerunzeln sprach er:
»Dein Sohn ist ein Christ, und damit hat er selbst die Anklage auf sich geladen; die Frösche quacken alle der eine wie der andere.«
»Wie kann ich es versuchen,« entgegnete seufzend die Matrone, »meinem kaiserlichen Herrn zu beweisen, daß er einen ungerechtfertigten Verdacht gegen uns Christen hegt? Aber schaue diesen Knaben an! Es ist mein Enkel; vielleicht kennst du ihn wieder; denn er wurde als Gespiele mit deinem unvergeßlichen Sohne erzogen, bis der unerforschliche Rathschluß des Himmels dir das süße Kleinod entriß. Nun, mein Kaiser, bei dem unschuldigen Haupte dieses Kindes, bei dem geheiligten Andenken an deinen Romulus schwöre ich es dir, daß mein Sohn unschuldig ist an dem Verbrechen, das man ihm zur Last legt.«
Maxentius hatte seinen Blick auf das Kind geheftet, das mit banger Scheu aus seinen großen, schwarzen Augen den Kaiser anschaute, und je länger er den Knaben ansah mit dem fein geschnittenen Gesichtchen und den rosenfrischen Wangen und dem dunkeln Lockenhaar, um so mehr milderte sich der rauhe Ausdruck seiner Züge. Die überaus liebliche Erscheinung des Kindes wurde noch gehoben durch die praetexta oder das buntverbrämte Röckchen von weißer Wolle und durch die goldene bulla oder Kapsel an seinem Halse, wie die Kinder adeliger Familien sie zu tragen pflegten.
Maxentius hing mit abgöttischer Liebe an dem Andenken seines einzigen Sohnes. Zu seiner Ehre hatte er den Circus an der appischen Straße erbaut, seinen Namen sollte die neue Basilika auf dem Forum tragen, seine Statuen und Bildnisse fand man allenthalben im Palaste. Und jetzt stand ein Knabe vor ihm, der mit seinem Sohne aufgewachsen und erzogen war. So schön und hold und anmuthig wäre jetzt auch sein Romulus, wenn ein feindliches Verhängniß ihm nicht das süße Kind entrissen hätte.
Der harte Mann wurde weich, und eine Thräne perlte in seinem Auge.
Und als nun die Greisin wiederum auf die Kniee sank und mit ihr der Knabe niederkniete, seine Hände emporhob und mit der reinen Silberstimme der Unschuld den Kaiser bat: »Gib mir meinen Tata wieder, ich will auch recht für dich beten,« da konnte sich Maxentius nicht mehr halten; es war die Stimme seines eigenen Kindes, die er zu hören glaubte.
»Ja,« rief er, »süßer Knabe, du sollst deinen Vater wieder haben! – Nimm diesen Ring,« fuhr er, zu der Matrone gewendet, fort, »er öffnet ihm den Kerker. Und nun geht, geht; ihr braucht mir nicht zu danken!«
Maxentius wendete sich ab und eilte in das anstoßende Gemach.
Tief bewegt schritt er auf und nieder; dann blieb er vor dem aus feinstem griechischen Marmor gemeißelten Brustbild seines Kindes stehen und betrachtete es lange, lange, und eine Thräne nach der andern rann über seine Wangen.
»O,« rief er, indem er die Hand vor die Stirne legte, »warum hat das tückische Schicksal mir den Knaben entrissen? Er hätte meinen wilden Sinn gezähmt; um seinetwillen wäre ich ein väterlicher Herrscher gewesen. Die Stunde, die ihn mir raubte, hat jene Finsterniß über mein Gemüth gelagert, die keine Sterne, – die nur Blitze erhellen.«
In diesem Augenblicke ließ sich Heraclius anmelden, um dem Kaiser die Liste der in das Gefängniß geworfenen Mitverschworenen des Rufinus vorzulegen.
Das feile Lächeln floh von den Lippen des Höflings, als Maxentius mit finster zusammengezogenen Braunen hart auf ihn zutrat und ihn anfuhr:
»Wer hat dir erlaubt. Elender, einen Diener meines Hauses ohne meine Erlaubniß in das Gefängniß zu werfen? Bei allen Göttern, wie ich dich aus dem Staube erhoben, so trete ich dich gleich einem Wurm unter die Füße! Gib her die Liste!«
Der Kaiser überflog das lange Verzeichniß, und seine Stirne verfinsterte sich noch mehr.
»Zwei Valerier, zwei Cornelier, drei Dasumier, fünf Anicier – der verfluchte Grieche,« rief er aus, »decimirt mir den römischen Adel! Und wo sind die Priester und Diakonen der Christen, die du einzufangen versprochen? Ich merk's, der Fuchs hat seine Haare, nicht seinen Balg gewechselt. Fort mit dir! Setze sogleich die Gefangenen aus dem Adel in Freiheit, und wenn du mir bis morgen Abend nicht wenigstens den Archidiakon, der die Kasse hat, und ein halbes Dutzend von den übrigen Vorstehern der Christen in den Kerker lieferst, dann will ich deinen alten Freunden zeigen, wie der Kaiser einen räudigen Hund behandelt.«
Ohne ein Wort zu sagen, schlich Heraclius von dannen.
»Hat er mir's denn nicht selbst heute morgen befohlen?« rief er wüthend, als er aus dem Palast in den Vorhof gelangt war. »Aber ich weiß, Symmachus, der Elende, ist bei ihm gewesen und hat ihn wegen des Adels eingeschüchtert, und jetzt schreibt er die ganze Verantwortung der gehässigen Maßregel auf meine Rechnung!«
»Kaum habe ich nach langem Sinnen und Suchen den Weg gefunden, der meine Zukunft sicher stellt, da zwingt mich ein tückisches Geschick, selbst die Steine herbeizutragen, um den Weg mir wieder zu versperren. Eine Erneuerung der Christenverfolgung zerstört mir die Brücke zu Constantin, und doch muß ich dem Kaiser ein Opfer in den Rachen werfen, wenn seine Wuth nicht mich selbst treffen soll. Wenn ich,« fuhr Heraclius nach einigem Sinnen in seinem Selbstgespräche fort, »wenigstens eines Priesters oder Diakons habhaft werden könnte! Damit wäre der Kaiser für den Augenblick befriedigt; ich aber hätte dem Bischof Milziades gegenüber an dem Gefangenen ein neues Unterpfand in meinen Händen.«
Allerdings kannte Heraclius von mehreren der höheren Kirchendiener die Wohnung; allein er zweifelte keinen Augenblick, daß die Christen, durch die vorgenommenen Verhaftungen besorgt gemacht, bereits alle Vorsichtsmaßregeln für die Sicherheit ihrer Priester getroffen hatten.
Am ehesten durfte er noch hoffen, bei den Cömeterien einen derselben zu erwischen, zumal bei denen an der appischen Straße, und so sandte denn Heraclius in der Frühe des nächsten Morgens ein halbes Dutzend seiner Häscher aus, um beim Grabmal des Cornelius, bei welchem der Eingang zu den Katakomben des Callistus lag, auf Christen zu fahnden. Dieselben hatten auch endlich einen älteren Mann, der sich als Christen und als den Diakon Severus bekannte, ergriffen; »allein als wir den Gefangenen wegführen wollten,« berichtete der Führer dem Heraclius, »warf sich ein Centurio der Leibwache der Herkulier, ein riesenstarker Mensch, auf uns, ergriff mich und den Tranquillinus an der Brust, hob uns, jeden mit einer Hand, in die Höhe und schlug uns mit den Rücken gegen einander, daß mir alle Rippen krachten und ich bewußtlos zu Boden stürzte. Dann ging er auf die Anderen los, und hätte der Gefangene ihn nicht zurückgehalten, er würde es mit denen wohl noch schlimmer, als mit uns zweien gemacht haben. So befreite er den Alten und geleitete ihn bis in die Stadt.«
Heraclius schalt die Leute, die ihm vergebens ihre Beulen und Male von den kräftigen Fäusten des Soldaten zeigten, wegen ihrer Feigheit; im Grunde jedoch kam dem schlauen Griechen der Vorfall nicht ungelegen. Er kannte seinen Herrn und wußte, daß die Schilderung der Kraftproben des Herkuliers ihre günstige Wirkung nicht verfehlen werde.
»Wenn ihr,« befahl er den Häschern, »vor den Kaiser gerufen werdet, so schildert die Mißhandlung, die ihr erlitten habt, nur recht grell; sonst kann ich euch, beim Jupiter! für euere Köpfe nicht gutstehen.«
Als er dann am Abende doch nicht ganz ohne eine gewisse Beklemmung in den Palast ging, mußten jene Männer sich im Vorhofe bereit halten.
Heraclius beklagte sich sofort bitter vor Maxentius, daß ein Soldat der Leibwache die Ausführung der kaiserlichen Befehle und die Gefangennahme des Diakons Severus verhindert habe.
Aber weit entfernt, deßwegen seinem Centurio zu zürnen, hatte Maxentius seine helle Freude an der Beschreibung der Kraftleistung des Herkuliers; ja, er befahl, die Häscher vorzuführen, um aus ihrem eigenen Munde sich nochmals den Hergang erzählen zu lassen.
»Ich werde den Verbrecher doch auch selbst verhören müssen,« rief er lachend, »um über ihn ein gerechtes Urtheil fällen zu können.«
Nach einigen Augenblicken trat Martialis ein, grüßte den Kaiser nach militärischer Vorschrift und pflanzte sich dann wie ein Baum vor Maxentius auf, der mit stolzem Wohlgefallen sein Auge auf der herkulischen Gestalt ruhen ließ.
Heraclius mußte seine Anklage wiederholen, aber Martialis unterbrach ihn mit der in größter Ruhe langsam und behäbig gegebenen Erklärung:
»Als die Kerle den alten Mann nicht gutwillig gehen lassen wollten, habe ich sie ein wenig auf die Seite geschoben. Allein Arme und Beine habe ich ihnen, wie du siehst, keine gebrochen.«
»Aber du hast ja,« lachte der Kaiser, »Zwei der Leute gegen einander geschlagen, daß sie erst wieder nach einer halben Stunde zum Bewußtsein gekommen sind!«
Die Beiden bestätigten, indem sie gar jämmerlich drein schauten, die Anklage.
»Dann muß ich euch,« sagte der Krieger in unwandelbarer Ruhe, zu den Häschern gewendet, »in der That etwas fester angefaßt haben, als meine Absicht war. Das läßt sich nicht so genau bemessen.«
»Hahaha,« rief Maxentius, der sich köstlich an der Geschichte ergötzte, »so fest, daß die übrigen vor Angst davon gelaufen sind.«
»Und es war gut,« bemerkte der Soldat, »daß Die vom Zusehen genug hatten. Sonst würde ich mein kaltes Blut verloren haben, und dann hätten wohl alle diese Frösche einer nach dem andern über die nächste Gartenmauer fliegen müssen.«
Man brauchte sich nur den Riesen anzusehen, um zu begreifen, daß ihm dies nicht einmal sonderliche Mühe gemacht haben würde.
»Ich werde dich aber doch bestrafen müssen,« fuhr Maxentius lachend fort, »weil du Beamte in Ausführung ihrer Pflicht gehindert hast.«
»Wen ich begleite, Herr, der steht unter meinem Schutze,« entgegnete Martialis, »und wer unter dem Schutze eines Herkuliers steht, der steht unter dem Schutze des Kaisers.«
»Bei der Keule des Herkules!« rief Maxentius, »darin hast du Recht, und die Schufte da sollten dir eigentlich dankbar sein, daß du ihnen nicht allen mit einander das Genick gebrochen hast.«
Damit entließ der Kaiser beide Parteien, und indem er dem Centurio mit Wohlgefallen nachschaute, rief er aus:
»Beim Jupiter! Hundert von diesen Kerlen nehmen es mit einer Legion des Constantin auf!«
Die Scene hatte den Maxentius in die beste Laune versetzt, und Heraclius, der es vorausgesehen, legte ihm nun sofort ein Prachtexemplar des in goldenen Buchstaben auf purpurgefärbtem Papier geschriebenen Programms der bevorstehenden Kaiserfeste vor; über dem Lesen desselben vergaß der Tyrann glücklich die Drohung vom gestrigen Abende. –
Seit dem Tage der Grundsteinlegung hatte Maxentius die Arbeit an seiner Basilika mit fieberhafter Eile betrieben, gleich als ob er einer geheimen Ahnung Trotz bieten wollte, daß es ihm nicht beschieden sei, den Bau zu vollenden. In der That sollte das Werk weder seinen noch seines Sohnes Namen tragen, sondern sein verhaßtester Feind, Constantin, sollte die Basilika vollenden und ihr für die Nachwelt seinen Namen geben. [R1] So waren denn vom ersten Dämmern des Tages bis in die Nacht Hunderte von öffentlichen Sklaven und Staatsgefangenen beschäftigt, Ziegel und Marmorblöcke herbeizuschaffen, Mörtel zu bereiten und Gerüste aufzuschlagen, und unbarmherzig sauste die Peitsche der Aufseher über die nackten Rücken, wenn die Unglücklichen unter dem harten Frohndienst erschöpft zusammen zu brechen drohten. Täglich erschien der Kaiser auf dem Bauplatze, um durch seine persönliche Anwesenheit die Werkführer anzuspornen, und wehe dem Arbeiter, der ihm nicht seine äußerste Kraft anzuspannen schien! – Die Christen ihrerseits suchten das Loos ihrer gefangenen Brüder auf alle Weise zu lindern, und sie scheuten hiefür weder Opfer noch Gefahren. Wir in unsern Tagen ahnen kaum, welche Ansprüche in jenen Zeiten an die Opferwilligkeit der Gläubigen gemacht wurden, und mit welcher Freudigkeit und Hingabe, mit welch' edlem Wetteifer sie denselben entsprachen. [R2]
Aber wenn es ihnen auch gelang, durch List und Bestechung bald diesem, bald jenem Gefangenen Erquickung und Trost zu bringen, Einer war davon ausgeschlossen, Rufinus; der strenge Befehl des Heraclius umgab ihn mit unübersteigbaren Schranken. Von den Bekennern waren drei noch Katechumenen; ein Priester hatte Gelegenheit gefunden, sie heimlich zu taufen und ihnen die h. Communion zu spenden; wie gerne hätte Rufinus auch die himmlische Speise empfangen: es war unmöglich.
Der einzige Trost, den seine Tochter ihm bieten konnte, bestand darin, daß sie jeden Tag stundenlang von der Höhe der großen Freitreppe des Palastes, der Basilika gegenüber, ihrem Vater durch Zeichen ihre Liebe zu erkennen gab und durch den Hinweis auf den Himmel seinen Muth zu stärken suchte. Aber für sie selbst waren das Stunden unnennbaren Leides. Wie blutete ihr das Herz, wenn sie stumme, hilflose Zeugin der unmenschlichen Mißhandlungen sein mußte, mit welchen ihrem Vater die schwersten Lasten aufgebürdet wurden; wie zuckte sie zusammen, wenn der Stock oder die Peitsche der Aufseher blutige Striemen über seinen Rücken zogen, falls er mit seiner Last nicht schnell genug eilte.
Gelang es weder einem Priester oder Diakon, noch selbst dem kaiserlichen Centurio, trotzdem auch dieser es wiederholt versuchte, dem Armen Hilfe zu bringen, so kam ihm, freilich nur auf kurze Zeit, Linderung seines Looses von einer Seite, von der sie am wenigsten erwartet wurde, von Sabinus, dem Sohne des Präfekten.
Der tägliche Besuch Valeria's auf der Freitreppe des Palatin und ihre Zeichensprache waren ihm nicht entgangen; er war nicht so verdorben, daß dadurch nicht eine edlere Saite in seinem Innern berührt worden wäre. Sein Vater war es ja, der die Schuld an ihrem Unglücke trug; unbarmherzig hatte er den Rufinus seiner Rache geopfert.
Vorgeblich im Auftrage des Heraclius befahl Sabinus den Bauführern eine mildere Behandlung des Gefangenen; ja, er erwirkte sogar, daß Valeria, wenn auch nur auf einige Augenblicke, ihren Vater sprechen und mit ihrer kindlichen Liebe ihn trösten und stärken durfte. Die Thränen, unter welchen die Jungfrau ihm für diesen Gnadenerweis dankte, rührten ihn; unbemerkt ihrer Spur folgend, ermittelte er ihre Wohnung in einem armseligen Dachstübchen, und als ihm am nächsten Abend das Glück beim Würfelspiel besonders gelächelt hatte, sandte er ihr am andern Morgen durch einen vertrauten Sklaven sogar einen Beutel Goldes.
In Valeria's Abwesenheit empfing Irene den Boten.
Von Sabinus? Und Gold? Wie konnte der Elende es wagen!
»Sage deinem Herrn,« war Irene's tief empörte Antwort, »daß die junge Dame jedes Geschenk aus seiner Hand zurückweist. Ist es nicht genug, daß ihr Vater wie ein gemeiner Verbrecher zur schwersten Sklavenarbeit und zum Tode verurtheilt, sie selbst zur Bettlerin gemacht ist? Und jetzt möchte der Sohn das ruchlose Werk seines Vaters durch eine noch größere Ruchlosigkeit vollenden? So unerreichbar seiner Hand die Sterne, so hoch steht die Jungfrau über ihm. Fort, fort mit diesem Sündengeld, das von so viel Blut und Thränen befleckt ist!«
Die Zurückweisung seines Geschenkes verletzte Sabinus um so schwerer, als dasselbe in seinen Augen ein Akt besonderer Großmuth gewesen war.
Wer war das Weib, das sich zur Vormünderin des Mädchens aufgeworfen und in so verletzender Weise sein wohlgemeintes Anerbieten zu beantworten gewagt?
Es bedurfte nicht langen Spürens, um zu erfahren, daß es die Witwe des Castulus und die Mutter des Candidus, des Bannerträgers im Heere Constantin's sei.
Sofort machte Sabinus durch seinen Vater beim Kaiser die Anzeige, und dieser befahl alsbald, Irene in das Gefängniß zu werfen, um bei der Einweihung des Circus mit den übrigen Verurtheilten niedergemetzelt zu werden.
In seinem Aerger widerrief Sabinus zugleich seine den Wächtern gegebene Weisung und befahl ihnen im Gegentheil, den Rufinus auf das härteste zu behandeln, ihn zu den schwersten Arbeiten zu verwenden und die Peitsche nicht zu schonen. Der unaufhörliche Spott seiner Genossen über die verunglückte Werbung hatte seinen Unmuth gegen Valeria's Vater nicht einschlummern lassen; durch die schroffe Abweisung, welche er jetzt von Irene erfahren, war sein Ingrimm gegen ihn noch gesteigert worden. –
Die schlimmen Vorzeichen, durch welche die Kaiserin erschreckt worden, hatten auch Maxentius in seiner siegesgewissen Ruhe erschüttert. Wie, wenn die Verheißungen seiner Wahrsager ihn getäuscht hätten! Wenn seine Legionen, trotz der Ueberzahl auch jetzt, vor den Thoren Rom's, geschlagen würden! Wenn Constantin, dem fliehenden Heere auf dem Fuße in die Stadt folgend, ihn lebendig in seine Gewalt brächte, ihn im Triumphe aufführte, der Rache des wüthenden Volkes preis gäbe und ihn endlich im mamertinischen Kerker erdrosseln ließe?
Der Gedanke an diese Möglichkeit erfaßte den Kaiser plötzlich mit Angst und Entsetzen.
Noch konnte er entfliehen und sich nach Africa retten; die nach dem Süden führende appische Straße war ja noch frei. Doch mit ganzem Widerwillen sträubte sich der Kaiser gegen diesen Ausweg; – es war sein Verhängniß, das ihn an Rom fesselte.
Um zur Ruhe und zu einem Entschlusse zu gelangen, beschloß er, zu einem jener grauenvollen Geheimmittel zu greifen, durch welches nach der Lehre der Magier und Zauberer die Geister auf das sicherste und untrüglichste beschworen und zur Enthüllung der Zukunft gezwungen wurden, und heimlich gab er Befehl, Alles für die nächste Nacht vorzubereiten. –
F1: Die von Maxentius begonnene, von Constantin vollendete und nach ihm noch heute benannte Basilika oder Markthalle ist uns noch in großartigen Ruinen erhalten. Der ursprüngliche Eingang lag nach dem Colosseum zu; die ihm gegenüberliegende Apsis, bisher in einen Heuspeicher verbaut, ist gegenwärtig bloßgelegt. Das ganze Gebäude war dreischiffig; acht korinthische Säulen mit mächtigen Pilastern verbunden, trugen das Kreuzgewölbe des Mittelschiffes, welches, in riesiger Spannung von 25 Metern, noch um zwei Fuß breiter war, als das Mittelschiff von St. Paul (86'). Die letzte dieser Säulen stellte Paul V. auf dem Platze vor Sta. Maria maggiore auf. Das cassettirte Gewölbe des in drei Abtheilungen geschiedenen rechten Seitenschiffes ist noch erhalten, ebenso wie die Stufen zu dem spätem Aufgang vom Forum her, wo in neuester Zeit die Bruchstücke von Porphyrsäulen, ehemals zur Basilika gehörig, aufgestellt worden sind. – An die Basilika stießen, nach dem Capitol zu, der Tempel des Friedens und die Amtswohnung des Praefectus Urbi, in deren Ruinen der in Marmorplatten eingravirte Stadtplan des alten Rom (jetzt im capitolinischen Museum) gefunden wurde.
F2: Nichts gibt uns einen bessern Begriff von dem heiligen und rührenden Eifer, mit welchem die Gläubigen sich zu den Bekennern in die Gefängnisse drängten, als der Brief des hl. Cyprian, durch den er diesen Eifer zu zügeln und zu mäßigen sich genöthigt sah, » ne, cum insatiabiles multum volumus, totum perdamus, damit wir nicht, wenn wir unersättlich zu viel begehren, Alles verlieren.« »Sorget daher und sehet zu,« fährt er fort, »daß dies mit Maß und darum desto sicherer geschehe, so zwar, daß auch die Priester, die in den Gefängnissen bei den Bekennern die hl. Geheimnisse feiern, nur einzeln mit je Einem Diakon, und zwar abwechselnd hingehen, weil der Wechsel der Personen und die Verschiedenheit der dort Zusammenkommenden den Verdacht vermindert.« Der große Bischof gibt in fünf weiteren Briefen nähere Anweisungen für das Verhalten der Christen gegen die gefangenen Brüder. – Die Kirchenkasse war insbesondere zur Unterstützung der Gefangenen, qui in vinculis sunt, bestimmt. – Tertullian ( ad uxor. II, 4) führt unter den Schwierigkeiten, welche eine an einen Heiden verheirathete Christin bei ihrem Manne finde, die auf, daß er ihr nicht gestatten werde, sich in die Kerker der Märtyrer zu schleichen, um deren Ketten zu küssen: quis in carcerem ad osculanda vincula martyris reptare patietur? – Schon Papst Clemens, der Schüler Petri, berichtet ( ep. I. ad Corinth, n. 55. ): »Wir kennen Viele von den Unsrigen, die sich selbst in die Kerker werfen lassen, um Andere zu befreien.«