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Sechstes Kapitel.
Im mamertinischen Kerker.

Der mamertinische Kerker, am Fuße des Capitol's, auf der Seite nach dem Forum zu gelegen, das Gefängniß für Staatsverbrecher und Hochverräter, besteht, soweit der Bau heute noch erhalten ist, aus einem oberen Verließ, zu welchem man jetzt von der Straße her auf einer langen Reihe von Treppen hinabsteigt, und einem unteren, engeren Raum, der, in dem Felsen des capitolinischen Hügels ausgehauen, nur wenig über Manneshöhe und etwa sechs Schritte im Durchmesser hat. Die flache Decke aus gewaltigen Quadern von Peperinstein hat in der Mitte eine runde Oeffnung, in alter Zeit die einzige Verbindung zwischen oben und unten. Durch diese wurden die Verbrecher hinabgestoßen; durch sie reichte man ihnen während der wenigen Tage vor ihrer Hinrichtung die spärliche Nahrung, falls sie nicht zum Hungertode daselbst verurtheilt waren. Nie drang auch nur der matteste Strahl des Tageslichtes in diese schaurige, nasse, eiskalte Gruft; nie theilte der leiseste Luftzug den dicken Dunst des Modergeruchs, der hier lagerte. Nach der Tradition hat der Apostelfürst Petrus in diesem Verlies geschmachtet; an einer auf sein Gebet wunderbar aus dem felsigen Boden entsprungenen Quelle taufte er seine Gefängnißwärter; die Ketten, die er hier getragen, werden vereint mit denen, in welche Herodes ihn zu Jerusalem schlagen ließ, in der Kirche Sancti Petri ad vincula verehrt. Die kirchliche Ueberlieferung nennt aus den folgenden Jahrhunderten der Verfolgung noch mehrere Martyrer, welche gleich dem Apostel im mamertinischen Kerker geschmachtet haben. [R1]

Als Rufinus in das fürchterliche Verlies hinabgestossen und mit Ketten an den Block gefesselt worden, wußte er, daß er hier einsam und vergessen sterben müsse, oder doch den Ort nur verlassen werde, um zum Richtplatze zu gehen. Lebendig begraben in dieser schaudervollen Gruft, Nacht um sich, Nacht, tiefste Nacht in seiner Seele, knirschte Rufinus vor Weh und Wuth mit den Zähnen und schüttelte in wildem Aufstöhnen die Ketten mit seinen beiden Händen. Allein die kalten, harten Quadersteine seines Gefängnisses hatten kein Gefühl für seinen Schmerz, und wie Hohngelächter der Dämonen hallte das Klirren der Ketten wieder in der öden Todtenstille des Kerkers. Er fürchtete, wahnsinnig zu werden, so wild und wüst jagten die Gedanken durch seinen Geist. Seufzend drückte er die glühend heiße Stirne an die feuchte Felsenwand; dann sank er zusammen, stützte den Kopf auf die Hände und starrte hinein in das undurchdringliche Dunkel.

Allmählig wurde sein Geist ruhiger; die Gedanken sammelten sich, und nun richtete Rufinus seinen Blick in die Vergangenheit.

Wie glücklich war er gewesen! Reichthum, Ehren, ein treffliches Weib, hoffnungsvolle Söhne, eine edle Tochter, Alles hatte das Schicksal ihm geschenkt, – um ihm Alles wieder mit Einem Griffe zu entreißen.

»Existiert,« so fragte er sich, und schüttelte wiederum knirschend seine Ketten, »existiert ein höchstes Wesen, welches die Geschicke der Sterblichen lenkt: warum duldet es dann, daß die Tugend unterliegt und das Verbrechen triumphiert? – Gibt es zwei edlere, und ihrem Gott getreuere Seelen auf der ganzen weiten Welt, als meine Gattin und meine Tochter? Und ihr Gott schützt die eine nicht vor den Nachstellungen des kaiserlichen Wüstlings und läßt über die andere, über ein schwaches Mädchen, unermeßliches Leid kommen! – Mit welcher Gier hat mein kummerkrankes Herz die Grabschriften in der unterirdischen Todtenstadt gelesen! Ich war nahe daran, Christ zu werden; ich war es schon wirklich; aber in dem Augenblicks wo ich glaubend und hoffend meine Hände nach dem Lichte ausstrecke, werde ich in diese Mördergrube hinabgeworfen, um zu erkennen, daß es ein Irrlicht war, daß Alles nur Trug und eitler Wahn und thörichte Selbsttäuschung gewesen ist.«

Plötzlich fuhr Rufinus zusammen; alle Fibern spannten sich aufs höchste; der Athem stockte ihm.

Ganz deutlich hörte er die Stimme seiner Tochter, wie sie »Tata, Tata!« rief.

Das war die zärtliche Form, in welcher die Kinder im Alterthum, wie noch heute in Rom, ihren Vater anredeten, und welche Valeria gern gebrauchte, wenn sie besonders herzlich sein wollte.

War es der Geist seiner Tochter, der durch diesen Zuruf dem Vater anzeigte, daß sein Kind mit seinem ganzen Herzen bei ihm weile?

Aber jetzt hörte Rufinus in dem oberen Raum des Kerkers Geräusch und Schritte, und nun auch eine männliche Stimme, die des Kerkermeisters; gleich darauf erklang der Zuruf der Tochter von Neuem und schon näher. Der Präfekt zitterte am ganzen Körper vor Spannung und Erregung: war es denn möglich, daß seine Tochter den Weg zu ihm gefunden? –

Gehorsam der ihm durch Sabinus überbrachten vorgeblichen Weisung des Kanzleipräfekten hatte der Gefängnißwärter Valeria die Treppe hinabgeleitet, die in das Verlies führte; sie war es, die, voll ungeduldiger Erwartung schon von ferne dem Vater den süßen Schmeichelnamen zugerufen.

Am Fuße der Treppe angekommen, führte der Kerkermeister das Mädchen an der Hand noch einige Schritte weiter in der Finsterniß, indem er rief:

»Herr, hier bring' ich dir deine Tochter, die dich zu besuchen kommt.«

Die Jungfrau war einer Ohnmacht nahe, als sie aus der Tiefe die Stimme ihres Vaters und das Rasseln seiner Ketten hörte.

»Kniee hier an dieser runden Öffnung nieder,« fuhr der Kerkermeister zu Valeria fort, »und nimm dich in Acht, daß du nicht hinunter stürzest; du kannst nur von hier oben mit deinem Vater sprechen. In einer halben Stunde hole ich dich wieder herauf, wenn du es so lange in diesem Tartarus aushältst.«

Valeria kniete am Boden nieder und tastete mit der Hand um die nassen, kalten Steine, welche den Rand der Öffnung bildeten. Dann beugte sie sich hinab, ob sie ihren Vater sehen könne; allein das Dunkel war so dicht, daß sie nichts zu erkennen vermochte.

Rufinus aber, dessen Augen sich an die Finsterniß gewöhnt hatten, unterschied oben an der Öffnung die Umrisse ihrer Gestalt.

»Welch' ein Trost,« rief er aus, »mein süßes Kind noch einmal sehen und sprechen zu dürfen, ehe ich sterbe! Reiche mir die Hand herunter,« fuhr er fort, »damit ich fühle, daß du es ganz gewiß selbst bist.«

Valeria streckte ihren Arm durch die Öffnung hinab und erschauderte, als die feuchten, kalten Hände ihres Vaters ihre heiße Hand umfaßten.

»Aber sage mir,« fragte der Stadtpräfekt, »wie hast du es möglich gemacht, zu mir in dieses Verlies zu dringen, und zwar so bald?«

»Vergeblich hatte ich versucht, den Kerkermeister zu bestechen,« [R2] antwortete das Mädchen; »auf eine Andeutung von ihm wandte ich mich an den Kanzleipräfekten Heraclius.«

»Der Elende hat durch gefälschte Briefe dem Kaiser Handlangerdienste zu meinem Sturze geleistet. Ich hab' ihm dies vorgeworfen, und er wird dich schnöde abgewiesen haben.«

»Schon war mir jede Hoffnung entschwunden, da sandte mir der gütige Gott in seiner Barmherzigkeit in dem Sohne eben dieses Heraclius einen Führer, der mich zu dir geleitete.«

»In seinem Sohne? Kann ein böser Stamm einen guten Ast treiben? Aber wahrscheinlich ist der Sohn für deine Goldstücke weniger unempfänglich gewesen, als der Kerkermeister. – Nun, ich dank's ihm doch von Herzen, daß ich dich vor meinem Tode nochmal sehen darf. – Quälte mich nicht die Sorge um dich, mein Kind, ich stiege leichten Herzens von den Scherben meines Glücks und meiner Träume hinab in die Grube der Vergessenheit und in die ewige Nacht.«

In den letzten Worten des Rufinus lag so viel finstere Resignation, daß Valeria sofort zu ihrem höchsten Schmerze erkannte, die Kette, mit welcher die Gnade in der vergangenen Nacht sein Schifflein an das Kreuz befestigt, sei im Sturm des Unglückes zerrissen worden. Aber mit der ganzen Liebe einer Tochter und einer Christin bot sie nun auch Alles auf, das heilige Band des Glaubens von Neuem anzuknüpfen und den Kahn aus dem Drange der Wogen in den sicheren Hafen der Wahrheit und des Heiles zu lootsen. Und mit den Worten der Tochter vereinte sich das Gebet der Gattin am Throne Gottes.

Valeria wunderte sich über sich selbst, wie ein Beweis um den andern für die Wahrheit und Göttlichkeit des Christenthums sich ihr darbot, wie sich für jeden Gedanken sofort das zutreffende Wort gab, als wenn Alles, von höherer Hand geschrieben, vor ihrem geistigen Auge stände und sie es gleichsam nur abläse.

Wenn auch Anfangs mit bitterm Lächeln und innerem Widerspruch horchte Rufinus doch willig zu; war es ja die Stimme seines geliebten Kindes, das zu ihm redete. Und nach und nach schwand das Lächeln ungläubigen Hohnes von seinen Lippen und der Widerspruch verstummte; die sturmbewegten Wogen in seiner Brust legten sich, und aus den Wolken leuchtete wieder ein Sonnenstrahl in die Nacht seiner Seele. Immer aufmerksamer lauschte Rufinus aus der Tiefe seines Kerkers der süßen Stimme; wie Worte eines höheren Wesens, das zu ihm redete, klang ihm Alles, was seine Tochter sagte. Gleich der von Sonnengluth verwelkten Pflanze, die sich allmählich von der Erde aufrichtet, wenn der Himmel seinen Regen und Segen über sie ausgießt, hob auch seine nach Trost lechzende Seele sich aus der Tiefe empor unter dem niederträufelnden Thau der Gnade. Als nun aber Valeria ihn an das Wort Sophronia's, an das Gebet der Gattin und Martyrin für ihn am Throne Gottes erinnerte, da war der letzte Widerstand gebrochen, und von der Macht der Gnade bewältigt, rief er aus:

»Ja, mein süßes Kind, jetzt glaube ich wieder; ja, ich will ganz und Alles glauben, was Du glaubst, was die Mutter geglaubt hat; gern will ich sterben, wenn ich nur als Christ sterben kann.«

Es gibt ein Glück, süßer als alles Erdenglück, nämlich eine Seele, die uns werth und theuer ist, nach langem Ringen für Gott und die Wahrheit gerettet zu haben; und es gibt einen Trost, süßer als allen Erdentrost, das ist der Trost, nach langer Irrung Gott zu finden, aus kalter, düsterer Nacht hinübergeführt zu werden in den hellen, warmen Sonnenschein der Wahrheit, aus der öden, dürren Sandwüste des Unglaubens in den Blumengarten der Kirche. Ueber diesem Glück und diesem Trost vergißt das Herz Weh und Leid; die Dornen und Stacheln stechen nicht mehr; der Kerker verliert seine Schrecken und der Tod seine Bitterkeit. –

Valeria durfte darauf rechnen, mittelst abermaliger Geldgeschenke durch den Sohn des Präfekten Zutritt in das Gefängniß zu erhalten, nicht nur für sich, sondern auch für einen Priester, der ihrem Vater die hl. Taufe spende. Als daher die Stimme des Kerkermeisters oben von der Treppe sie abrief, war der Abschied durch die Hoffnung des Wiedersehens in den nächsten Tagen erleichtert.

Als Rufinus allein war, warf er sich auf die Kniee und dankte seinem Gott aus tiefstem Herzensgrunde in langem und heißem Gebete. Ein anderer Mensch geworden, betrachtete er jetzt sich und die Ereignisse mit andern Augen. Er gestand sich, daß er wohl nie zu der Wahrheit gekommen, hätte die schwere Hand des Unglückes nicht seinen Stolz gebeugt und nicht die Bande weltlicher Rücksichten zerrissen. Mochte denn der ungerechte Richterspruch ihm Leben und Besitz nehmen, er hatte dafür im Glauben an Christus seinen Gott, für das zeitliche das ewige Leben gefunden. Er erinnerte sich wieder der Inschriften in den Katakomben, und es war ihm, als ob er erst jetzt ihren wahren Sinn erfasse; er dachte an Sophronia, und er fragte sich, wie er denn Jahre lang in thörichten Vorurtheilen und trotzigem Eigensinne eine Scheidewand habe aufrecht erhalten können, durch die er sich selbst das höchste und reinste Glück versperrt hatte; er dachte an Valeria, und über seine Wangen flossen Thränen der Vaterfreude über das Kleinod, das in ihr der Himmel ihm geschenkt hatte. Wieder und wieder rief er sich Alles, was sie ihm gesagt, in das Gedächtniß: wie einfach, klar und wahr erschien ihm jede Lehre, die sie ihm vorgetragen!

Nach einiger Zeit brachte ein Knecht des Kerkermeisters einen Laib Brod und einen Krug Wein; Valeria hatte ihrem Vater diese karge Erquickung von den Wärtern erkauft.

Da Rufinus seit gestern kaum Etwas genossen, so war ihm zumal der Trunk Wein in der nassen Kälte eine wahre Labung.

Noch war er mit seinem ärmlichen Mahle nicht zu Ende, als er abermals – doch nein, jetzt mußte ihn die Phantasie ganz gewiß täuschen: wie hätte Valeria sich so bald wieder eine zweite Unterredung erwirken können? Ja, ja, er irrte sich; denn rief sie nicht: »Tata, Tata, du bist frei?«

»Es ist eine Täuschung meiner aufgeregten Nerven,« sagte Rufinus zu sich selbst.

Aber jetzt erscholl die Stimme von Neuem, näher und lauter:

»Vater, du bist frei, du bist frei!«

Zugleich sah Rufinus ferne von oben her Licht schimmern, wie den Schein einer Fackel.

Und abermals – nein, es war keine Täuschung – abermals hörte er, jetzt ganz nahe, die Stimme seiner Tochter:

»Vater, du bist frei, ich komme, dich zu holen.«

Mit Valeria war der Kerkermeister nebst einigen Gesellen die Treppe hinuntergestiegen; dieselben ließen eine kurze Leiter in die Oeffnung, und einer der Schergen stieg zu Rufinus nieder, seine Ketten zu lösen und ihn emporzuführen.

Halb bewußtlos folgte der Präfekt. Im nächsten Augenblick lag die Tochter in seinen Armen, das Haupt an seiner Brust, sprachlos von der Uebergewalt der inneren Bewegung, während ihm selbst noch Alles wie ein Traum vorkam.

Endlich mahnte der Kerkermeister zum Aufbruch, und unter dem Vortritt des Fackelträgers stiegen Alle die Treppe empor.

Erst beim Anblick des warmen Tageslichtes kehrte bei Rufinus Klarheit und Ueberlegung wieder.

»Also ich bin wirklich frei?« rief er aus, »und du, mein süßes Kind, bist mein Erretter? Aber sage mir, wie hast du das Unmögliche zu Stande gebracht?«

»Komme jetzt nur, mein Vater,« drängte Valeria, »ich werde dir es später sagen.«

»Hast du dich dem Kaiser zu Füßen geworfen und hat er sich durch deine Bitten erweichen lassen?«

»Freuen wir uns, daß wir wieder vereinigt sind,« antwortete das Mädchen ausweichend.

Rufinus wurde nachdenklich, und seine Schritte verzögerten sich; um so dringlicher bat und drängte die Tochter zum Fortgehen: – gerade dies steigerte noch sein Bedenken.

Indem er Valeria bei Seite nahm, sprach er zu ihr:

»Ich werde keinen Schritt weiter gehen, bevor ich nicht weiß, wie du meine Befreiung bewerkstelligt hast, und ich beschwöre dich bei dem geheiligten Andenken an deine Mutter, mir Alles zu sagen.«

Valeria konnte nun nicht mehr ausweichen.

Sie gestand, daß sie eingewilligt, dem Sohne des Heraclius die Hand zu reichen, und daß sie um diesen Preis die Freilassung ihres Vaters erkauft habe.

Rufinus konnte, von Rührung überwältigt, kein Wort hervorbringen; nur die Thränen, die über seine Wangen rollten, redeten. Endlich sprach er:

»Nein, mein Kind, wenn nicht dir, so ist doch mir dieser Preis zu hoch, viel zu hoch. Willst du, daß ich die Jahre, die ich noch zu leben habe, mir Stunde um Stunde den Vorwurf machen soll, daß ich diese Spanne Daseins um das Lebensglück meines einzigen Kindes erkauft habe? – Möge Gott dir das Opfer, das du für mich zu bringen bereit warst, vergelten: nur ein ewiger Lohn kann der würdige Preis für solche Kindesliebe sein; allein lieber will ich hundertmal den Tod und alle Marter erleiden, als daß ich zum Seelenverkäufer an der edelsten unter allen Töchtern würde. – Kerkermeister,« fuhr er fort, »ich werde diesen Ort nicht verlassen. Melde dem Heraclius, daß wir Christen sind, und daß ich schon darum seine Bedingung verwerfe, und sei du jetzt selbst Zeuge, wie ich meiner Tochter feierlich vor Gottes Angesicht verbiete, je wieder auch nur ein Wort davon zu reden.«

Valeria sank an die Brust ihres Vaters und brach in lautes Schluchzen aus. An seinen Widerstand hatte sie in der heiligen Leidenschaft ihrer Kindesliebe nicht gedacht.

Verwundert schaute der Kerkermeister die Beiden an; er stand vor einem für ihn unlösbaren Räthsel.

»Nun wohl,« sprach er nach einigem Bedenken, »wenn es dir bei mir gefällt, so bleibe, bis ich dem Kanzleipräfekten Nachricht gegeben habe.«

»Aber laß dann auch mich bei meinem Vater bleiben!« fiel ihm Valeria flehend in's Wort; »o, ich will seinen Kerker, seine Leiden theilen und bis zu der Stunde, wo ihr ihn zur Richtstätte führet, an seiner Seite sein.«

»Darüber hat der Kanzleipräfekt zu entscheiden,« entgegnete der Kerkermeister. »Bis aber mein Geselle mit der Antwort von ihm zurückkommt, will ich euch einstweilen miteinander in einen Raum einschließen, wo ihr zugleich Kurzweil genug finden sollt.«

Mit diesen Worten griff er nach seinem Schlüsselbund und schritt den beiden durch einen langen Gang voran, bis sie zu einer eisenbeschlagenen Thüre kamen.

Der Kerkermeister öffnete: es war die Rüstkammer für die Folterung.

»Schaut euch dieses Spielzeug,« sprach er grinsend, »mit aller Muße an; ich werde unterdessen weitere Befehle einholen.«

Damit riegelte und schloß er die Thüre hinter ihnen zu.

Rufinus war während der diokletianischen Verfolgung oft Zeuge der öffentlich vorgenommenen Torturen der Martyrer gewesen; dennoch erschauderte er, als er nun das ganze Arsenal blutiger Folterinstrumente vor Augen hatte.

Denn da lag neben Schwert und Richtbeil ein Haufe von Geißeln aus Leder mit Bleikugeln an den Enden; Skorpionen und Ruthen; eiserne Zangen, Hacken und Metallkämme, um den Verurtheilten das Fleisch von den Gliedern zu reißen. Auf jene eisernen Roste und Stühle wurde das Opfer gefesselt, um bei langsamem Feuer gebraten zu werden. Da stand auch der in den Martyrakten so oft genannte equuleus oder das Pferdchen, auf welchem durch Umdrehung eines Rades dem Unglücklichen alle Gliedmaßen auseinander gerenkt wurden. An die gräßlichen Maschinen waren die lamina angelehnt, Metallplatten, welche, glühend gemacht, dem auf dem equuleus Ausgespannten in die Weichen gebrannt wurden. Daneben stand, auf seinem Reifen mit spitzigen Metallzähnen besetzt, das Rad, auf welches der Verbrecher gebunden wurde, und das seine Zähne beim Umdrehen immer tiefer in das Fleisch einbohrte. Mächtige Kessel von Bronze dienten dazu, über einem Feuer das Oel zum Sieden zu bringen, in welches man die Verurtheilten nach und nach immer tiefer hineinsenkte.

Viele dieser Marterwerkzeuge waren noch vom Blute geröthet, vom Blute der Martyrer, die in der jüngsten Verfolgung Folter und Tod erlitten hatten.

Beim Anblick all' dieser Rüstzeuge barbarischer Grausamkeit fühlte Rufinus, wie ihn ein kaltes Grausen überlief; er zitterte bei der Vorstellung, seinen Glauben je durch solche Proben bewähren zu müssen. Valeria's Augen dagegen leuchteten von heiligem Feuer, und indem sie ihre Lippen auf eines der Folterwerkzeuge drückte, wandte sie sich mit jener Begeisterung, mit welcher die Helden der ersten Kirche die Glorie des Martyriums betrachteten, an ihren Vater.

»Erschrick nicht,« sprach sie, »vor diesen Waffen des Satans; das Blut der Heiligen hat sie geweiht und sie in Siegestrophäen umgewandelt, mit denen die Bekenner Christi ihren Triumphzug in die ewige Herrlichkeit feierten. Ueber dem Martyrer auf der Folter öffnen sich die Wolken, und das Volk des himmlischen Jerusalems schaut auf den Gottesstreiter; mit Himmelskraft steht Christus ihm zur Seite, und vom Throne seiner Majestät verheißt der Ewige königlichen Siegeslohn. Ist der Krieger stolz auf seine Narben: warum sollen wir die Wunden fürchten? Wenn wir fallen, dann stehen wir aufrecht; wenn wir sterben, dann leben wir ewig; mag immer die Folter das irdische Kleid zerreißen, da uns Gott mit dem Gewande lichter Unsterblichkeit schmückt!«

So redete Valeria, und ihr Vater horchte ihr zu, wie der Schüler seinem Lehrer, das Kind den Worten der Mutter lauscht. Von der innern Bewegung überwältigt, wollte er, der Vater, sich vor seiner Tochter auf die Kniee werfen, daß sie ihn segne; Valeria jedoch machte das Zeichen des Kreuzes auf seine Stirne, und dann sanken beide einander in die Arme, voll süßesten Glückes in Mitten der Mordinstrumente der Folterkammer. Und vom Himmel her schauten zwei Augen einer Seligen in erhöhter Seligkeit herab auf Gatten und Tochter; in der Lichtbahn aber, die vom Throne des Allerhöchsten in den Kerker leuchtete, schwebten lächelnd lichte Engelgestalten nieder. –

Hatte Valeria in ihrer kindlichen Liebe nicht daran gedacht, bei ihrem Vater Widerstand für ihr Opfer zu finden, so waren Sabinus und seine Eltern zu niedrige Seelen, als daß auch nur der leiseste Zweifel in ihnen aufgetaucht wäre, der Stadtpräfekt werde nicht mit beiden Händen die Gelegenheit ergreifen, sein Leben und sein Vermögen zu retten und zugleich seine Tochter an den Sohn eines der höchsten Hofbeamten zu verheirathen. Sabina war überglücklich; das Mädchen hatte ihr ungemein gefallen, und sie wußte alle Vortheile dieser Heirath so beredt zu schildern, daß endlich auch Heraclius sich leichter in das Geschehene fügte. Das Dringendste war jetzt, den Befehl zur Confiscation der Güter zu widerrufen, und so mußte Sabinus, der gerne Valeria zum mamertinischen Gefängnisse zurückbegleitet hätte, zunächst nach dem Palaste des Stadtpräfekten eilen.

Mit dem schriftlichen Gegenbefehl seines Vaters erschien er dort, als bereits die Beamten des Fiscus beschäftigt waren, die kaiserlichen Siegel anzulegen. Nachdem er so die Beschlagnahme rückgängig gemacht hatte, eilte er zum mamertinischen Kerker, indem er unterwegs überlegte, mit welchen schönen Worten er sich seinem künftigen Schwiegervater vorstellen wollte.

Da begegnete ihm der vom Kerkermeister ausgesandte Diener und theilte ihm die Erklärung des Gefangenen mit.

Sabinus traute seinen Ohren nicht: der Stadtpräfekt Rufinus war ein Christ?! – Und darum wollte er ihm seine Tochter nicht geben? – Das mußte er aus dessen eigenem Munde hören, um es glauben zu können. Voll hastiger Aufregung eilte er zum mamertinischen Kerker; über der so unerwarteten Mittheilung war ihm die ganze schöne Rede entfallen.

Als er in die Rüstkammer trat, in welcher Rufinus noch mit seiner Tochter eingeschlossen war, stutzte er einen Augenblick, da ihm plötzlich wieder beim Anblicke des Stadtpräfekten der Vorfall in der vergangenen Nacht einfiel. Auf Valeria's Antlitz strahlte noch die Gluth der heiligen Begeisterung, mit welcher sie von der Glorie des Martyriums zu ihrem Vater gesprochen, und fest, wie der Bekenner in der Arena des Amphitheaters sein Auge auf den zum Todessprunge bereiten Löwen, heftete sie ihren Blick auf Sabinus, der dadurch noch mehr verwirrt wurde.

Aber schnell faßte er sich Muth, und indem er sich an Rufinus wandte, sprach er in aller Höflichkeit:

»Verzeihe, daß ich unter so eigenthümtlichen Umständen Zu dir komme, edler Rufinus, um die Hand deiner Tochter zu werben. Daß ihr Christen seid, ist mir gleichgültig; ich heirathe nicht die Religion, sondern das Mädchen. Die junge Dame hat sich in Gegenwart meiner Eltern bereit erklärt, meine Gattin zu werden; und wenn ich ihr als Hochzeitsgabe deine Freiheit, sowie die Wiedereinsetzung in deine Würde und in dein Vermögen darbringe, dann hoffe ich, du werdest den einzigen Sohn des obersten kaiserlichen Beamten als Eidam nicht verschmähen. Sollte ich mich aber in meiner Erwartung getäuscht haben, so wisse, nicht bloß die Liebe, auch die Rache ist süß: dein Schicksal liegt in meinen Händen.«

Rufinus hatte den Jüngling sofort wieder erkannt; seine Erscheinung wie seine Rede erfüllte ihn mit Abscheu, und erst jetzt ermaß er ganz die Größe des Opfers, das sein Kind für ihn zu bringen bereit gewesen.

»Junger Mensch,« entgegnete er, »über die tiefe, breite Kluft, welche dich von uns trennt, läßt sich keine Brücke schlagen. Du drohst uns mit dem Tode: nun, in Mitten all' dieser Marterwerkzeuge erkläre ich dir, wir fürchten den Tod nicht.«

Die Beschämung, so bestimmt und entschieden mit seiner Werbung abgewiesen worden zu sein, erfüllte den Sabinus mit grimmiger Wuth, und indem er einen Fluch ausstieß, rief er:

»Nun wohl, so sollt ihr Beide wie elende Hunde sterben!«

Mit diesen Worten stürzte er hinaus, gab dem Kerkermeister Befehl, die Gefangenen in das unterste Verließ zu werfen, und eilte zu seinem Vater.

Auf dem Wege begegneten ihm seine Freunde, denen Sabina in ihrer Freude bereits die große Neuigkeit der bevorstehenden Hochzeit ihres Sohnes verrathen hatte. Sie überschütteten ihn mit Glückwünschen und luden sich selbst auf den Abend zu einem festlichen Gelage ein.

Dies steigerte noch den Ingrimm des Sabinus.

»Daß euch die fallende Sucht treffe!« schrie er. »Glaubt ihr, daß ich eine hündische Christin zum Weibe haben will? Beim Jupiter! der Henker soll die Dirne heirathen, und den Kopf ihres Vaters gebe ich ihr als Mitgift.«

Unter wüsten Verwünschungen riß er sich von seinen Kameraden los und eilte nach Hause. –

Als Rufinus, Hand in Hand mit seiner Tochter, von den Schergen die Treppe hinabgeführt wurde, immer tiefer in das feuchte, grausige Dunkel, da begann dem Vater das Herz zu zittern. Er wußte ja, wie entsetzlich es dort unten war: es kam ihm vor, als führe er seine geliebte Tochter in ihr Grab hinunter.

Valeria fühlte, wie die Hand ihres Vaters in der ihrigen bebte.

»Vater,« sprach sie, »wie glücklich bin ich, daß ich bei dir sein kann! Wie danke ich dir jetzt, daß du deine Einwilligung verweigert hast! Jedes Wort aus dem Munde dieses abscheulichen Burschen sagt es mir, daß ich, an ihn gekettet, einmal in die Versuchung gekommen wäre, mein Opfer für dich zu bereuen. Wie wahr hast du gesagt, daß ein böser Stamm keinen guten Ast treiben könne: wisse, daß sein Vater die Taufe empfangen hat, aber von der Kirche abgefallen und seitdem ihr bitterster Feind ist. Jetzt werden wir mit einander sterben, und die Martyrer, welche diesen Ort geweiht haben, werden durch ihr Vorbild und ihr Gebet uns bald zu Genossen ihrer Glorie machen.«

Mit diesen Worten schritt sie beherzt zu der Oeffnung; im nächsten Augenblicke sah der Vater sie in der Tiefe verschwinden.

Als auch er unten angekommen war, umarmten sich beide, fielen auf die Kniee und sandten stumm, aber voll tiefster Inbrunst ihre Gebete mit und für einander zum Himmel.

Und wie der Herr durch seinen Diener dem Daniel das Brod in die Löwengrube schickte, so stieg auch zu ihnen ein Engel Gottes in den Kerker nieder, mit süßem Himmelstroste ihre Seelen zu stärken. –

»Seltsame Menschen, diese Christen!« brummte der Kerkermeister, als er, die Fackel in der Hand, wieder die Treppe hinaufstieg. »Habe ich sonst einen Gefangenen in dieses Krötenloch zu werfen, dann geberdet er sich, wie verzweifelt; diese Christen dagegen thun, als ob's unten eine festliche Tafel gäbe. Man sagt, daß sie Zauberer seien, welche Hitze in Frost und Kälte in Wärme verwandeln können: und es muß etwas Wahres daran sein. Allein, wenn ich dann nach wenigen Tagen die Leichen mit dem eisernen Hacken heraufziehen lasse, dann sind sie eben an den gleichen Qualen gestorben, wie die Andern.« –

Heraclius hatte, als er wieder allein war, die Akten abermals zur Hand genommen und überlegte, wen er an der Stelle des Stadtpräfekten zum Haupte der Verschwörung machen und wie er Alles, zumal den Tod der Sophronia, mit einander in den rechten Zusammenhang bringen solle. Die Sache hatte ihre großen Schwierigkeiten, und je länger er alle Umstände überdachte, um so verwickelter erschien ihm der Knoten, den sein Weib und sein Sohn ihm zu lösen gegeben. Es reute ihn, daß er seine Einwilligung ertheilt hatte, und ärgerlich über Sabina's Eitelkeit, noch ärgerlicher über den Burschen, der ihm alle Tage neuen Gram und Verdruß bereitete, schritt er finster in seinem Zimmer auf und nieder. Endlich glaubte er doch einen befriedigenden Ausweg gefunden zu haben: Sophronia unterhielt ein verbotenes Verhältniß mit dem Haupte der Verschwörung und wurde durch diesen in das Geheimniß eingeweiht. Ohne Wissen ihres, dem Kaiser treu ergebenen Mannes versammelte sie die Verschworenen in einem abgelegenen Saale ihres Hauses, wo sie den Sturz des Herrschers und die Ermordung ihres eigenen Gatten mit ihnen berieth. Bei der Entdeckung gab sie sich selbst den Tod, um nicht gegen die Genossen aussagen zu müssen; doch wurden die Schuldigen durch vorgefundene Briefe sämmtlich verrathen. – Als Haupt der Verschwörung hatte Heraclius den Bruder des zu Constantin geflüchteten Paulinus ersehen. Derselbe zählte zu den reichsten Senatoren, und Maxentius hatte sich mehr denn einmal mißliebig über ihn ausgesprochen. So durfte er darauf rechnen, daß der Kaiser mit dem vorgenommenen Wechsel der Personen einverstanden sein werde, zumal wenn er sich selber in jeder Beziehung für die Treue und Ergebenheit des Rufinus verbürge.

Mit der gefundenen Lösung zufrieden, hatte Heraclius eben begonnen, den betreffenden Bericht für die acta diurna oder die Staatszeitung abzufassen, als Sabina, Zornesgluth in den Augen, das Gesicht roth vor Aerger, in das Zimmer stürzte; hinter ihr Sabinus.

»Beide sollen sie sterben!« schrie das Weib mit bebender Stimme; »ha, dieser Schimpf! Der Elende will nicht!«

»Meine Herrin,« sprach Heraclius, der beim Anblick der Gattin von seinem Stuhle aufgesprungen war, »beruhige dich! Redest du von … von …?«

»Denke dir die grenzenlose Beleidigung: Rufinus schlägt meinem Sohne das Mädchen ab! Nein, das ertrage ich nicht!«

Mit diesen Worten sank Sabina auf einen Divan und suchte zitternd mit dem Fächer das glühende Gesicht zu kühlen.

In der That war für die stolze Frau die Beleidigung um so empfindlicher, als damit ihre schönsten Hoffnungen vereitelt waren, und sie ertrug dies um so schwerer, da sie an den Spott dachte, den ihre übereilte Ankündigung der Heirath ihres Sohnes »mit einer jungen, hochadeligen Dame« ihr jetzt einbringen werde. Mit wachsender Ungeduld hatte sie auf die Rückkehr des Sabinus, Hand in Hand mit Valeria, gewartet, und wie er allein gekommen, hatte das Eine Wort: »Ihr Vater mag nicht!« genügt, sie in die höchste Wuth zu versetzen. Ohne ihren Sohn weiter anzuhören, war sie in das Gemach ihres Gatten geeilt.

Auch Heraclius fühlte sich durch die abschlägige Antwort des Rufinus auf das Tiefste verletzt.

»Also selbst im Angesichte des Todes,« stieß er ingrimmig heraus, »gibt er seinen Hochmuth und seine Verachtung gegen mich nicht auf! Nun, er soll erfahren, was es heißt, die Werbung des allmächtigen Vertrauten des Kaisers zurückzuweisen!«

»Nein,« bemerkte Sabinus, »nicht Hochmuth ist es. Rufinus läßt dir sagen, daß er und seine Tochter Christen seien und daß …«

»Ihr Götter, Christen?! Wo ist mein Riechfläschchen?« rief Sabina, auf deren Gesicht sich bei Nennung des christlichen Namens Eckel und Abscheu ausprägte.

»Christ? So? Christ?« lachte Heraclius mit triumphierender Schadenfreude. »Der Präfekt der Stadt Rom ein Christ! Das ist mir eine sehr willkommene Kunde! Wer wird jetzt noch an seiner Verschwörung mit Constantin zweifeln?«

Am ehesten gelang es dem Leichtsinn des Sabinus, sich über die Vereitelung seiner schönen Pläne zu trösten und sich über den Aerger wegen der Zurückweisung hinwegzusetzen.

»Wenn mir,« bemerkte er höhnisch, »das Ringeltäubchen nun auch entflogen ist, so habe ich, beim Bachus! doch immerhin einen fetten Fang gemacht, und den wird mein lieber Vater mir vom Kaiser gut bezahlen lassen! Wenigstens die Hälfte des confiscierten Vermögens wird nicht zu viel sein. Der beste Falerner aber aus unserm Keller ist kaum gut genug, das Glück zu feiern, daß mich die Götter vor einer Christin als Eheweib und vor einem christlichen Schwiegervater bewahrt haben. – Doch was soll jetzt mit den Beiden geschehen? Ich habe sie in das unterste Verließ werfen lassen.«

»Da mögen sie mit einander verhungern!« warf Sabina hin, die ihren Zorn noch immer nicht zu bemeistern vermochte.

Einzig der Gedanke an seine Pläne bewog den Heraclius, dieser Forderung seines Weibes nicht zuzustimmen.

»Der Alte,« sprach er, »nicht die Dirne hat unsere Absichten vereitelt. Mag denn sie als Bettlerin leben; ihn aber überliefere ich dem Baumeister an der Basilika, und ich schwöre ihm, daß sein Blut zuerst an die Mauern des neuen Circus spritzen soll.«

Mit dieser Entscheidung waren Gattin und Sohn einverstanden, und Heraclius entsandte sofort einen Sklaven, dem Kerkermeister seinen Befehl zu überbringen. Dann eilte er zum Kaiser, ihm die große Neuigkeit zu melden, daß Rufinus sich selber als Christen bekannt habe, und ihm das Verzeichniß der Mitverschwornen zur Genehmigung vorzulegen. Einer der ersten auf der Liste war ein Beamter des Hofes, Antoninus, der aus seinem christlichen Bekenntnisse kein Hehl machte und schon deßhalb dem Heraclius längst besonders verhaßt war. –

Valeria hatte sofort wieder begonnen, ihrem Vater die Grundwahrheiten des Christenthums weiter zu entwickeln. Es war keine Zeit zu verlieren; denn jeden Augenblick konnte der Befehl kommen, der ihm in seinem Blute die h. Taufe des Martyriums spendete.

Rufinus begehrte nichts sehnlicher, als daß die letzte Scheidewand falle, welche ihn noch von seinem Gott trennte. Als Valeria auf seine Frage, ob die Wassertaufe nur von einem Priester gespendet werden könne, erwiderte, im Falle der Noth sei Jeder dazu befähigt, der das Sakrament nach dem Willen der Kirche zu spenden die Absicht habe, bat er sie auf das Dringendste, ihm diese Gnade nicht länger vorzuenthalten.

Die Jungfrau stutzte anfangs bei dieser Bitte; aber Rufinus wiederholte immer flehentlicher: »Wenn du mich taufen darfst, aus wessen Hand nehme ich dann lieber dieses höchste Geschenk der göttlichen Güte, als aus der deinigen? Oder zweifelst du, daß ich noch nicht Muth genug habe, für Jesum Christum zu sterben, o mein Kind, so spende mir durch das h. Bad die Kraft dazu! Dann mögen sie alle Folterwerkzeuge bringen: in Mitten der gräßlichsten Qualen, so lange noch ein Athemzug in mir ist, will ich's wiederholen: Ich glaube an Jesum Christum, den Sohn Gottes, der mich geliebt und durch seinen Tod mir das ewige Leben erworben hat.«

Rufinus war zum Empfange der h. Taufe hinlänglich vorbereitet; der Tod stand vor der Thüre; auf einen Priester war nicht zu hoffen: Valeria erkannte, daß sie nicht nur die Vollmacht, sondern selbst die Pflicht habe, ihrem Vater das h. Sakrament zu spenden. [R3]

Aber woher Wasser nehmen?

Da erinnerte sie sich, daß ja der h. Petrus, um seine Wärter zu taufen, einst wunderbar im mamertinischen Kerker einen Quell eröffnet habe. Ob derselbe noch floß?

Indem sie suchend mit den Händen auf dem Boden umhertastete, berührte sie nach kurzer Zeit zu ihrer unaussprechlichen Freude das in einer Vertiefung angesammelte Wasser.

So führte sie denn ihren Vater zu der Quelle, und in der vorgeschriebenen Ordnung, [R4] soweit es hier möglich war, begann sie mit der Frage:

»Was begehrst du von der Kirche?«

»Den Glauben und das ewige Leben,« antwortete Rufinus.

»Widersagst du dem Satan?«

»Ich widersage.«

»Und all' seinen Werken und all' seinem Dienste?«

»Ich widersage.«

»Glaubst du an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer Himmels und der Erde?«

»Ich glaube.«

Nachdem Valeria die einzelnen Sätze des apostolischen Glaubensbekenntnisses abgefragt, machte sie ihrem Vater das Zeichen des h. Kreuzes auf die Stirne und betete ihm das Vater unser vor. Dann richtete sie an ihn die Frage:

»Willst du getauft werden?«

»Ich will es und begehre darnach von ganzem Herzen,« antwortete Rufinus.

Nun hieß Valeria ihren Vater an der Quelle niederknieen und sich über dieselbe beugen; indem sie dann mit der hohlen Hand das Wasser schöpfte, goß sie es über sein Haupt aus mit den Worten:

»Ich taufe dich im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes.

Die Hand der Jungfrau zitterte, ihre Stimme bebte vor h. Rührung, und in das Wasser des Sakraments träufelten ihre Thränen süßesten, unaussprechlichen Glückes.

Rufinus faßte die Hand seiner Tochter, drückte sie, wider ihren Willen, an seine Lippen und netzte sie mit heißen Thränen.

»Dank, Dank, mein Kind,« rief er; »von dem du das irdische Dasein erhalten, dem hast du das unendlich kostbarere Geschenk des geistigen Lebens gegeben. Wie glücklich, wie überselig bin ich jetzt! Nun darf ich den ewigen Gott meinen Vater nennen: Vater unser, der du bist in den Himmeln!«

Valeria aber, durch die mächtigen Eindrücke hingerissen, gerieth in Verzückung; sich loswindend von der Last der Erde sah ihr Geist die Wonnen des Paradieses vor sich erschlossen, und indem sie ihre Arme wie zum Gebete emporhob, entströmten ihren Lippen die Worte: [R5]

»Siehst du den ehrwürdigen Greis in dem langen, weißen Barte, den Hirten in Mitten seiner Heerde unter den Palmbäumen? – Hell, wie die Sonne, strahlt sein Antlitz, und sein Kleid ist weißer, denn der Schnee. – Schaaren in leuchtenden Gewändern umstehen ihn, wie die Fürsten den Herrscher auf seinem Throne. – Und da kommt die Mutter! In weißem Kleide, den Palmzweig in der Hand, einen Blumenkranz um die Stirne, auf ihrer Brust ein Geschmeide von blitzenden Rubinen des Martyriums, so geleiten zwei Engel sie zu dem Greise. – Sie sinkt vor ihm nieder; aber er hebt sie auf und streichelt ihre Wange; freundlich lächelnd drückt er, wie der Vater dem heimkehrenden Kinde, einen Kuß auf ihre Stirne und gibt ihr Milch in goldener Schaale zu trinken.«

Auf den Knieen liegend lauschte mit verhaltenem Athem Rufinus auf die Worte seiner Tochter. Er wußte nicht, wie ihm war; heilige Schauer durchrieselten ihn.

Nach einer Pause fuhr Valeria, noch immer in ihrer Verzückung, fort:

»Süße Mutter, bitte den heiligen Hirten, daß er auch uns aus der Schaale trinken lasse; denn es ist hier unten so kalt und entsetzlich, und ohne Stärkung wird es der Vater nicht aushalten. Weißt du, daß er Christ ist, daß ich ihn getauft habe? – Du winkst uns, zu dir zu kommen? O, wie gerne eilte ich zu dir! Aber wer führt uns über diesen Abgrund, der uns von dir trennt, vorüber an dem scheußlichen, schwarzen Drachen mit den glühenden Augen und den ausgestreckten Krallen?«

Die Frage wurde durch die rauhe Stimme des Kerkermeisters beantwortet, der Vater und Tochter befahl, aus der Tiefe emporzusteigen. Der Ruf weckte Valeria aus ihrer Verzückung, und in der Meinung, es gehe jetzt zum Martyrium, umschlang sie den Hals ihres Vaters in zärtlicher Liebe, indem sie voll heiliger Begeisterung sprach:

»Tritt dem Drachen unerschrocken auf den Kopf, Vater; im Namen Jesu kann er dir nichts anhaben. Eilen wir, die Mutter erwartet uns! Kurz ist der Kampf, und ewig ist die Wonne!«

Als Beide, die Leiter hinansteigend, oben ankamen, verkündete ihnen der Kerkermeister den Befehl des Präfekten, der den Vater zu den Frohndiensten am Bau der kaiserlichen Basilika verurtheilte; die Tochter möge gehen, wohin es ihr beliebe.

Das unerwartete Urtheil war für Beide gleich schmerzlich.

Valeria erzitterte bei dem Gedanken an die langen und furchtbaren Mißhandlungen, denen ihr Vater jetzt entgegenging; Rufinus mußte sein theueres Kind als schutzlose, obdachlose Bettlerin von sich scheiden sehen.

»Droben ist jetzt dein Vater, meine süße Tochter!« sprach er, indem er zum letzten Abschied einen Kuß auf ihre Stirne drückte, »dein Vater und mein Vater, und freudig gehe ich den Weg, den seine Hand mir über den dunkeln Abgrund zu deiner Mutter weist.«

Unbarmherzig rissen die Henker ihn von seiner Tochter los, banden ihm die Hände mit Stricken auf den Rücken und führten ihn fort. Valeria folgte dem Vater bis zum Eingangsthor des Bauplatzes; noch ein stummer Blick des Abschieds: dann schloß sich die Thüre der großen Leidensschule hinter dem Verurtheilten.

Als Valeria nach Hause zurückkehren wollte, wurde sie vor dem Vestibulum von den Dienern des Fiscus, welche Heraclius sofort dorthin gesendet hatte, mit Schimpf und Schande fortgejagt. Sie ertrug es, ohne zu seufzen.

»Die Füchse,« sprach sie, indem sie ihren Blick zum Himmel hob, »haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; aber des Menschen Sohn hatte nicht, wohin er sein Haupt lege. Darf ich klagen, wenn er mir die Lagerstätte am Fuße seines Kreuzes bereitet? Das Lamm thut seinen Mund nicht auf, wenn es von der Hand seines Hirten geschoren wird; mag er es binden und auf die Schlachtbank legen, es schweigt; denn es ist sein Eigenthum.«

Die heilige Liebe gleicht einer Waldquelle; beide werden um so klarer und reiner, je mehr sie ihren Weg über Stein und Geröll suchen und sich durch dunkle Schluchten hindurchwinden müssen. –

Nur auf Einen Schatz verzichtete Valeria mit schwerem Herzen, um ihn flehte sie – vergebens – die harten, gefühllosen Männer an: hätte sie wenigstens die arca mit dem blutbenetzten Tuche, die Reliquie der Mutter, retten können! Das Kleinod gemeinen Händen überlassen zu müssen, schnitt ihr durch die Seele: wie viel Trost und Stärkung würde ihr dieses heilige Andenken gegeben haben! [R6]

Seufzend und doch in jedes Opfer ergeben, wandte die Arme ihre Schritte – sie wußte nicht, wohin? – von dem Elternhause weg mit all seinen süßen Erinnerungen einer glücklichen Kindheit.

»Wie ein vom Sturm verheerter Garten«, sprach sie, »bin ich vor dem Herrn; alle Blumen liegen gebrochen und geknickt; nur ein entlaubter Rebzweig steht in Mitten der Verwüstung, geschlungen um das Holz, das Kreuzesholz, – und hofft auf keine Frühlingssonne mehr.«

Die gefalteten Hände auf die Brust gepreßt, richtete Valeria den thränenumflorten Blick zum Himmel, und von ihren Lippen stieg das Gebet heiliger Ergebung empor:

»Herr, dein Wille geschehe!«


Anmerkungen zum VI. Kapitel.

F1 Unter den Martyrern der späteren Zeit, welche im mamertinischen Kerker gefangen gehalten worden sind, seien nur die nachfolgenden genannt, deren Akten de Rossi 1877 aus einer vatikanischen Handschrift neu herausgegeben hat ( Roma sotterr. III, 201 seq.). Es sind die Martyrer, » quos Graecia misit, die uns Griechenland sandte«, wie sie Papst Damasus in seiner Inschrift in der Papstgruft nennt, und die in der Verfolgung des Valerian den Tod erlitten: Hippolytus, seine Neffen Maria und Neon, und deren Eltern Hadrias und Paulina, der Priester Eusebius und der Diakon Marcellus, die nach dem ersten Verhör » vincti missi sunt in custodiam Mamertini. gefesselt in den mamertinischen Kerker geworfen wurden.« Da sie im Bekenntnisse Christi beharrten, wurden sie hingerichtet; die Christen begruben sie in den Katakomben des Callistus.

F2: Gegenüber der grausamen Härte, mit welcher die Bekenner behandelt wurden, gab es für die Gläubigen nur Ein Mittel, ihre trostlose Noth zu lindern, nämlich die Bestechung der Gefängnißaufseher. Schon im Leben der heil. Thekla heißt es, sie habe, um den Apostel Paulus im Kerker besuchen zu dürfen, dem custos carceris einen silbernen Spiegel angeboten, offerens speculum argenteum ad Paulum admissa introivit.

F3: Unter anderm spricht sich Tertullian ( de bapt. c. 17) über die Laientaufe also aus: »Das Recht, die Taufe zu spenden, hat der oberste Priester, der Bischof, hierauf die Presbyter und Diakonen, aber nicht ohne Genehmigung des Bischofs … Außerdem haben auch die Laien das Recht dazu … Sie sollen sich jedoch der Bescheidenheit und Ehrfurcht, welche den Obern geziemt, befleißen und sich nicht bischöfliche Befugnisse anmaßen, sondern bloß dann davon Gebrauch machen, wenn die Verhältnisse des Ortes, der Zeit oder der Person dazu zwingen.« – Den Frauen war das Taufen nicht gestattet, wenn ein Mann da war, der das Sakrament spenden konnte.

F4: Das heute gebräuchliche Taufformular ist im Wesentlichen das gleiche, wie in der ältesten Zeit. Im besonderen waren die Widersagung und die Ablegung des Glaubensbekenntnisses in Form von Frage und Antwort und die Bezeichnung mit dem Kreuze uralte Sitte. (Vgl. Propst, Sakramente und Sakramentalien in den ersten drei Jahrhunderten, S. 125.)

F5: Die folgende Schilderung lehnt sich an die in den Martyrakten der h. Perpetua und ihrer Gefährten an. ( Ruinart, I, 204.) Diese hochverehrten Blutzeugen der afrikanischen Kirche, welche um das Jahr 202 den Martertod erlitten, wurden in ihrem Gefängnisse durch Visionen der himmlischen Glorie begnadigt, deren Beschreibung Perpetua und ihr Leidensgenosse Saturus selber verfaßt haben.

F6: Die Reliquienverehrung ist tief im Geiste des Christenthums begründet und so alt, wie dieses. Einige Zeugnisse aus den beiden ersten Jahrhunderten mögen genügen. Schon die Martyrakten des h. Ignatius, welcher 107 von den wilden Thieren zerrissen wurde, erzählen, daß die Gläubigen die übrig gebliebenen Knochen gesammelt hätten, um sie als »unschätzbare Kleinodien« zu bewahren. Aber mag die Gleichzeitigkeit dieser Akten auch von Einigen in Frage gestellt werden, so berichten uns die des h. Polykarpus, der 155 den Tod erlitt, in gleicher Weise, die Christen hätten seine Gebeine »kostbarer als die werthvollsten Edelsteine und schätzenswerther als Gold« gesammelt und an einer würdigen Stätte beigesetzt. Das Rundschreiben der Kirche von Lyon vom Jahre 177 beklagt es, daß die Leiber der Blutzeugen von den Heiden verbrannt und die Asche in die Rhone gestreut worden, »damit keine Reliquien derselben auf Erden übrig blieben.« Die Akten der h. Perpetua und ihrer Gefährten vom Jahre 202 berichten, der Martyrer Saturus habe den Soldaten Pudens, welcher dem Glauben nahe stand, sterbend um dessen Ring gebeten, denselben in sein Blut getaucht und ihn so als »heiliges Erbstück« ihm hinterlassen. Die Novitianer, deren Sekte im Jahre 251 entstand, stahlen sogar aus den Katakomben die Gebeine des h. Silanus, eines der sieben mit ihrer Mutter hingerichteten Söhne der h. Felicitas, um Martyrer-Reliquien zu besitzen. (Vgl. de Rossi, Bullett. 1863, 42.)


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