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II.

Von nun an wird in der Geschichte Dahiels, des Konvertiten, vielfach, wenn nicht hauptsächlich, der Herausgeber reden müssen. Denn die nun folgenden Aufzeichnungen des Mönchs genügen nicht, um an ihrer Hand allein die Erzählung weiter zu führen. Häufig weisen sie große Lücken auf und sie sind oft nur fragmentarischer Art; anderes wiederum scheint vernichtet worden zu sein, manches ist überhaupt nicht mitteilbar.

Auch kann diesen Bekenntnissen nicht mehr voller Glauben geschenkt werden; nur wo dieselben Ereignisse erzählen, sind sie noch zuverlässig. Als Beweis für die Wahrheit der folgenden Berichte mag die Klosterchronik gelten, die der Verfasser aus Rom sich zu verschaffen gewußt, mit der er die Aufzeichnungen des Mönchs und späteren Abtes sorgfältig verglichen, und die ihm bis zur Katastrophe einen zuverlässigen Führer abgibt.

Aber geradezu erschreckend ist es, zu beobachten, welchen Verlauf die Entwicklung jenes Mannes nimmt, der zuerst als ein schönes und reines Jünglingsbild vor uns gestanden. Die Wandlung, die mit dem Konvertiten vorgeht, vollzieht sich nicht in jenen zwei fürchterlichen Jahren, zugebracht in der Felsenhöhle der hohen Sabina – sie beginnt erst während dieser Strafzeit, um sodann unaufhaltsam um sich zu greifen, bis der ganze Mensch verändert und verwandelt ist.

Schon bald nachdem er sich unterworfen, gleicht das Gesicht des Franziskanermönchs, welcher nach erlittener Strafe und gethaner Buße in einer Klause nahe dem Kloster lebt, kaum noch in einem Zuge dem Antlitz jenes unglücklichen, des höchsten Mitleids würdigen Jünglings, der sich wieder zu der Religion seiner Väter bekennt und mit der Leidenschaftlichkeit eines Märtyrers für seinen Glauben leidet. Aeußerlich durchaus ein Priester der katholischen Kirche, verläßt der Konvertit den Ort der Verdammnis, um fortan sein Inneres sorgfältig zu verhüllen, und das sogar vor sich selbst. Oft scheint die Maske das wahre Gesicht zu sein; ja, es sind schon sehr bald alle Anzeichen vorhanden, daß aus dieser Maske mit der Zeit des Mannes wahres Gesicht werden wird. Immer noch beinahe ein Jüngling – denn aus dem Felsenkerker zurückkehrend, zählt er erst fünfundzwanzig Jahre – lebt er als starrer Asket weiter, hart gegen andere wie gegen sich selbst, ein unerbittlicher, unbeugsamer Geist. Zuweilen nimmt er sein Tagebuch wieder auf. Aber es sind länger keine Bekenntnisse, denn es sind länger keine Wahrheiten mehr. Er hat ein Ziel im Auge, welchem er unaufhaltsam zuschreitet, jeden Weg einschlagend, der ihn dahinführt, kein Mittel scheuend, das ihn seinem Vorhaben näher bringt.

Wir sind Zeuge, wie der edle, milde, rein menschliche Geist des Juden in das unerbittliche Gemüt eines fanatischen Priesters der katholischen Kirche sich wandelt; wie er, der als Jüngling in überschwenglicher Liebe die Menschheit, die ganze Menschheit, an sein Herz drücken wollte, dahin gelangt, die Menschheit – die ganze Menschheit zu hassen; Zeuge sind wir, wie der Mann, der, um dem jüdischen Volk zu irdischer Macht und Glückseligkeit zu verhelfen, sich selbst dazu bringt, allen seinen Idealen treulos zu werden. Unaufhaltsam sehen wir ihn vorwärts schreiten, gegen jede Regung, die seinem Zweck nicht zu gute kommt, sich versteinernd. Er heuchelt und lügt, er begeht Verbrechen und Unthaten, er wird zum Meineidigen und Mörder. Und kaum hat er das alles vollbracht, kaum hat er die erste Stufe erklommen, kaum hält er die Macht in seiner Hand, als es sich enthüllt, daß er selbst in seinen innersten Regungen nicht mehr Dahiel, der Jude, ist, sondern daß – allmälich, unmerklich, aber mit entsetzlicher Konsequenz – aus Angelikus, dem Mönch und Priester, der Abt Theodorus geworden ist: ein wilder, wütender Fanatiker, der diejenigen haßt, verfolgt und vernichtet, für welche er sein ganzes Leben zum Opfer gebracht, für welche er sich einst mit Wonne zwanzigfach hätte kreuzigen und steinigen lassen.

Teils aus den vorgefundenen Aufzeichnungen des Konvertiten – so weit ich dieselben benützen konnte und durfte – teils aus der Klosterchronik und aus den Mitteilungen jenes letzten Mönches habe ich nun das Material gesammelt, welches mich in den Stand setzt, Fortsetzung und Schluß aus dem Leben des Helden dieser Ghetto- und Klostergeschichte so zu erzählen, daß ich hoffen darf, kein Begebnis zu fälschen. Wo es irgend angeht, werde ich fortfahren, an Stelle der Erzählung die Biographie zu setzen.

Ich nehme die Geschichte da wieder auf, wo sie bei den zuletzt mitgeteilten Bekenntnissen abbrach: Abt Evaristus hat von der Reue und der Unterwerfung des Bruders Angelikus Kunde erhalten und ersteigt mit der gesamten Bruderschaft den Berg, um den Büßer in das Kloster zurückzuführen ...

*

Die Prozession, welche an einem Septemberabend die braune Felsenöde durchzog, gestaltete sich zu einem vollständigen Triumphzug für die siegreiche Kirche. Das Kloster entfaltete seinen ganzen Pomp, um die Rückkehr des reuigen Sünders zu einer erhebenden Feier zu machen. Mit allen Bannern, Kirchenfahnen, Heiligenbildern, Prachtgeräten und sonstigen geweihten Schaustücken holte die Bruderschaft den Wiederkehrenden ein. Der hochwürdige Evaristus hatte den großen Abtsornat angelegt, am Eingange der Schlucht war aus Steineichenzweigen und blühendem Ginster eine Triumphpforte errichtet, und der Weg bis zum Kloster dicht mit Myrten bestreut worden. Von Arsoli, Subiaco und Olevano her kam das Landvolk zusammengeströmt, der frommen Feier beizuwohnen; ja, viele waren mit den Mönchen den Berg hinaufgezogen.

Droben holte der Abt in eigener Person den Büßer aus der Höhle. Als dieser hervortrat: mit verwildertem Haar, fahlem Antlitz, eingesunkenen Wangen und Augen; in Lumpen gehüllt, mit Unrat bedeckt, das Gespenst eines Menschen – als die Menge den Mönch erblickte, bemächtigte sich ihrer eine ungeheure Erregung. Die Weiber brachen in Thränen und wilde Lamentationen aus, und die Hirten, welche den Büßer als Heiligen verehrten, drängten ungestüm zu ihm, um sein zerfetztes Gewand zu küssen und sich von ihm segnen zu lassen – was der Mönch indessen nicht that. Viele der Weiber knieten nieder.

Nun holten die Brüder das Bild des heiligen Franziskus, welches das Wunder der Bekehrung vollbracht hatte, aus der Grotte, zeigten es dem Volk und ordneten sich damit zum Zuge. Kerzen tragende Mönche umgaben das Bildnis des Heiligen, der Weihrauchkessel ward geschwenkt, so daß die Gestalt Sankt Franziskus' von Glorie umstrahlt in einem dichten Dunstgewölk dem Volke erschien. Dahinter, an der Seite des Abts, schritt der Bruder Angelikus in solcher Schwäche und Ermattung aller Lebensgeister, daß er von zwei Brüdern geleitet werden mußte.

Unter fortwährenden Bußgesängen, die das Volk mit dumpfem Chorus begleitete, erreichte die Prozession die Schlucht, wo die Glocken des Klosters den Zug begrüßten. Vor der Triumphpforte mußte Halt gemacht werden: der büßende Mönch hatte das Bewußtsein verloren. Man flößte ihm Wein ein, doch dauerte es eine Weile, bis er sich wieder genugsam erholt hatte, um weiterschreiten zu können. Allen erregte sein Anblick Mitleid und Bewunderung, und keiner in der Menge dachte daran, daß er ein Gotteslästerer, Uebelthäter und großer Sünder gewesen, sondern es hielten ihn alle für einen überaus frommen, der höchsten Verehrung würdigen Mann und zukünftigen Heiligen.

Der erste Akt öffentlicher Pönitenz, welchen der Büßer zu vollziehen hatte, sollte vor dem Eingang der Klosterkirche stattfinden; doch ehe es so weit kam, ereignete sich ein Vorfall, der, obgleich an sich unbedeutend, die Aufmerksamkeit der Menge in hohem Grade auf sich zog.

Unter dem Volk, das sich in nächster Nähe der Kirche zusammengeschart hatte, befand sich ein junges, überaus schönes Weib, mit herrlichem, goldig glänzendem Haar, in der Tracht einer wohlhabenden Bürgerin. Als diese Frau des Büßers ansichtig wurde, drängte sie sich in heftiger Erregung vor, so daß sie hart neben die Thür zu stehen kam, durch welche der Mönch eintreten mußte.

Angelikus schritt mühsam dahin, ohne seine Blicke vom Boden zu erheben. Bereits waren die Brüder mit dem Bildnis des Heiligen in die Kirche gezogen und hatten sich drinnen, jeder mit seiner Kerze, in einem dichten Halbkreis um die Thür aufgestellt, so daß ein feuriger Kranz entstand, in dessen Mitte der Abt Platz nahm. Nun verstummte der Gesang. Auch das Glockengeläut hörte auf, und es entstand eine tiefe Stille, in welcher der Büßer seine Stimme erhob, die einen hohlen und heiseren Klang hatte. Er sprach das: »Und ich unterwerfe mich!« Dreimal sprach er es. Dann sollte er niederfallen, wobei er mit seinem Gesicht hart auf die steinernen Schwellen aufschlagen mußte. Aber ehe das geschah, sank vor ihm jenes Weib auf die Steine, in ihrem Schoß sein Haupt auffangend. Sogleich sprangen die Mönche herzu, die Frau von dem Büßer wegzureißen; doch dieser lag so schwer in des Weibes Schoß, daß er von seinen Genossen in die Höhe gezogen werden mußte. Nun standen sich die fremde Frau und der heilige Mönch an der Kirchenthür einander gegenüber, blickten sich an, und alles Volk schaute auf die beiden.

Da trat Abt Evaristus hervor und fragte den Mönch mit lauter Stimme:

»Kennst Du diese?«

Immerfort mit seinen eingesunkenen, brennenden Augen das schöne Weib anstarrend, hörte der Mönch gar nicht des Abtes Worte, so daß dieser noch einmal fragen mußte:

»Kennst Du diese?«

Da fuhr der Befragte mit einer Geberde, als ob er ersticken müßte, nach seinem Hals und stieß dann hervor:

»Ich kenne sie nicht.«

Darauf wendete der Abt sich zu dem Weibe:

»Kennt Ihr diesen Mönch?«

Unverwandt den Mönch anblickend, sagte auch das Weib:

»Ich kenne ihn nicht.«

Zürnend wies der Abt sie fort. Sie wich unter das Volk zurück, ohne ihre Augen von dem gottseligen Büßer zu lassen, bis er mit dem übrigen Teil der Prozession in der Kirche verschwunden war. Das Volk drängte nach; nur jenes wunderschöne Weib betrat die Kirche nicht.

Drinnen vollzog sich die heilige Handlung ohne weitere Störung. Der Büßende legte vor allem Volk ein umfassendes Bekenntnis seiner Schuld ab, zeihte sich des Verbrechens gegen Gott und die Kirche, widerrief seine Frevel, bat den Himmel und die Heiligen, den Abt und alle Brüder um Vergebung. Darauf wurde er, nach von neuem beschworenem Gelübde, von neuem in den Schoß der christlichen Kirche und in den Orden von Sankt Franziskus aufgenommen. Nach dieser Feierlichkeit celebrirte der Abt eine Messe und erteilte dem Volk den Segen; dann führten sie den Bruder Angelikus in das Kloster und in seine Zelle. Ein Bad wurde ihm bereitet, er reinigte sich, ließ sich den Bart abnehmen und das Haupt scheren, that eine neue Kutte an und genoß etwas Trank und Speise, worauf er wiederum in große Schwäche verfiel. Die Ereignisse dieses Tages zeichnete Abt Evaristus selbst in die Chronik des Klosters ein, nicht ohne daran eine stolze Betrachtung über die Macht und die Herrlichkeit des christlichen Glaubens zu knüpfen. Des weiteren spricht er sich mit starkem Unwillen über das Volk aus, das in dem durch die Gewalt der Kirche bekehrten Sünder sogleich einen Heiligen erblicke, nur weil der Mann eher wie eine Bestie ausgeschaut, als wie ein Ebenbild Gottes. Auch jenes schönen und mitleidigen Weibes that der Abt mit einem scharfen Worte Erwähnung.

Angelikus schrieb von diesem Tage:

»Wer gedemütigt wird, der wird erhöhet werden.

Voller Demut war ich und voller Hoffnung bin ich, wie das Volk voller Glauben ist. Hätte ich heute zu ihm gesprochen: ›Volk, ich kann Wunder thun,‹ so würde das Volk mir erwidert haben: ›Ja, Herr!‹ Die Sehnsucht des Volkes nach Mirakeln ist unendlich und unsterblich, so daß, wenn es keine Götter und Heiligen gäbe, das Volk sich solche schaffen würde.

Ich bin matt, aber ich bin sehr glücklich; denn ich erkenne den Weg, der vor mir liegt und fürchte nichts, was mich darin aufhalten könnte. Es müßte denn mein eigenes Menschentum sein. Aber daß dieses nicht wieder in aller seiner Schwäche sich regt, dafür soll gesorgt werden.

Das war auch ein Sieg; nämlich, daß ich jenes Weib verleugnen konnte. Göttliches Mitleid trieb sie, sich mir in den Weg zu werfen und mein Haupt in ihren Schoß zu betten; von solchem Mitleid war einstmals meine Seele für sie erfüllt. Es ist gut, daß auch dieses überwunden. Mitleid empfinden heißt fühlen, und fühlen heißt Mensch sein.

Und sie erwiderte dem Abt:

›Ich kenne ihn nicht.‹ Wie sie mich dabei anschaute! Es muß an ihrer Seele gerissen haben, ihr Herz muß gezuckt haben, als sie that, was ich gethan.

Mein Haupt ruhte in ihrem Schoß wie ein Kind am Herzen der Mutter; meine starren Glieder erschauerten in Lebenswärme, und ich empfand das Leben ihres Leibes. Als ich sie dann anblickte, gewahrte ich, daß sie noch schöner geworden.

Ich trage ihr Haar immer noch bei mir. Das ist vom Uebel.«

*

Angelikus setzte im Kloster seine asketische Lebensweise fort; in allem streng nach den Regeln des heiligen Franziskus sich richtend, welche auch in diesem Hause des Heiligen vielfach gemildert oder gar gelockert worden waren. Er fastete auch an den Tagen, wo den Mönchen andere Nahrung als Fastenspeise gestattet war, er trug eine abgetragene Kutte, deren Risse er notdürftig mit Fetzen alten Linnens flickte, unterzog sich freiwillig jeder Art von härtester Pönitenz und erwirkte sich die Erlaubnis, außerhalb des Klosters, an einer besonders wilden und unheimlichen Stelle der Schlucht, aus Steinen und Stangen eine Hütte zu errichten und in derselben zu hausen. Denn – darauf gründete er sein Gesuch an den Abt – der Heilige hatte den Jüngern seines Ordens streng untersagt, ein festes, gemauertes Haus zu besitzen.

So unlieb es dem Abte war, mußte er sich dennoch entschließen, dem ungestümen Drängen des Eifrigen nachzugeben und die Genehmigung zur Errichtung der Einsiedelei zu erteilen. Die Brüder murrten laut dawider und mußten von ihrem Oberen eindringlich ermahnt werden, dem frommen Vorhaben ihres Genossen auch nicht in Gedanken entgegen zu sein. Uebrigens zeigte sich Angelikus gegen die Brüder so voller Ehrerbietung, Gefügigkeit und Demut, daß diese ihm nach und nach geneigter wurden. Schließlich mochten sie denken: »Wenn dieser getaufte Jude und bekehrte Gotteslästerer durchaus ein Heiliger werden will, was geht es uns an? Schließlich kann es dem Kloster zu gute kommen.«

Der Platz, welchen Angelikus sich zum Bau der Hütte erwählt hatte, lag ganz am Ende der Schlucht, dort, wo sie mit himmelhohen, senkrecht abfallenden Felsen schloß. Den unteren Teil der Wände deckte niedriges Gestrüpp von Arbutus und Erika, darüber ragte nacktes, vielfach zerrissenes Gestein auf. Mittelst eines breiten Messers, wie solches die Landleute zum Ausholzen der Buschwälder zu benützen pflegen, bahnte sich Angelikus vom Kloster aus einen Pfad durch die Wildnis bis zu der Stelle, woselbst er seine Einsiedelei aufzubauen gedachte. Von diesem Platz aus sah er zu dem Hause des Heiligen hinüber, das wie ein riesiger Felsblock die Schlucht schloß. Niemals fiel ein Strahl der Sonne auf die trostlose Stätte.

Der Bau selbst war in wenigen Tagen vollendet. Zuerst schleppte Angelikus die Felssteine herbei, dann schichtete er sie auf, so einen Raum herstellend von der Größe seiner Klosterzelle, gerade hoch genug, um darin aufrecht stehen zu können. Als die vier Mauern errichtet waren – mit einer einzigen Oeffnung, die als Thür und als Fenster zugleich diente – verstopfte er die Fugen dürftig mit Erikakraut und baute dann das Dach aus Arbutusstangen, die mit Zweigen durchflochten und mit Felsstücken beschwert wurden. Als Lager schüttete er eine Streu von trockenen Blättern auf, ein Stein vertrat die Stelle des Brettes, darauf er des Nachts sein Haupt ruhen ließ. Nachdem er das alles gefertigt, bat er den Abt, die Hütte zu weihen, was dieser mit vieler Feierlichkeit that.

Angelikus lebte wie ein Einsiedler in der Wüste. Anfänglich beteiligte er sich noch an den gemeinsamen Mahlzeiten und Andachten im Kloster; jedoch mit dem Wachsen seiner Askese – mit dem Wachsen seines Ruhmes als zukünftiger Heiliger – befreite er sich mehr und mehr von dem Zwange des Klosterlebens, sein Dasein streng nach den Ordensregeln für sich führend. Ein Knabe, der in der Schlucht die Ziegenherde des Klosters hütete, versorgte ihn mit Nahrung, und ein dienender Bruder brachte ihm häufig von den Schätzen der Klosterbibliothek; denn der junge Anachoret hatte beschlossen, ein gewaltiger Weiser und großer Gelehrter zu werden. Jede Stunde, die er nicht in Gebet und Buße zubrachte, verwandte er zum Studium der großen Kirchenväter. Tagsüber verließ er seine Einsiedelei niemals, gönnte sich immer weniger Schlaf und durchwachte die Nächte bei einer Oelleuchte über mächtigen Folianten und vergilbten Manuskripten. Fühlte er, daß Müdigkeit ihn zu übermannen drohte, entblößte er den Rücken und geißelte sich, bis auf eine völlige Erschöpfung aller Kräfte die Ekstase folgte. Bisweilen verließ er nachts die Hütte und durchirrte mit nackten Füßen stundenlang die Wildnis, sinnlose Worte vor sich hinmurmelnd, oder gleich einem Wahnsinnigen aufschreiend. Diese nächtlichen Wanderungen dehnte er häufig bis zu dem Bergesgipfel aus, wo sich jene Höhle der Verdammnis befand; es haben Hirten ihn dort gesehen, im Morgengrauen unter tollen Geberden und schrecklichem Gestöhn längs des Abgrundes hin und her laufen. Oder die Erschrockenen gewahrten den heiligen Mann, auf dem Gipfel stehend und laut mit dem Versucher redend, der ihm die Welt zu geben versprach, wenn er sich niederwarf und anbetete. Voller Entsetzen flohen die Leute, überall erzählend, was sie geschaut, und wie der Geist den frommen Einsiedel antreibe, mit dem Teufel zu ringen.

Im Kloster war man von allem, was der freiwillige Büßer trieb, genau unterrichtet. Abt Evaristus trug sich mit schweren Bedenken und entschloß sich schließlich, darüber nach Rom zu berichten. Die Antwort lautete: den Bruder Angelikus, so lange er mit seinem Anachoretentum keinen Mißbrauch treibe und sonst kein öffentliches Aergernis gebe, ruhig gewähren zu lassen. »Denn es kann nichts schaden, wenn das Volk wahrnimmt, wie der Geist Sankt Franziski immer noch lebendig ist, fortfährt zu wirken, und, wie der Himmel, jederzeit im stande ist, Wunder zu thun.«

Sowohl seine Bedenken als die aus Rom erhaltene Weisung zeichnete Abt Evaristus in die Chronik ein, dabei jeder Reflexion sich enthaltend. Von dem dienenden Bruder, der ihm die Bücher brachte, vernahm Angelikus von dem Schreiben des Abtes nach Rom; unter den Fragmenten seiner Bekenntnisse befindet sich aus jener Zeit folgende Stelle:

»... Einer, der mächtig ist, haßt mich. Ich bin ihm ein Aergernis, welches er gern aus seinen Augen entfernen möchte. Aber siehe: was eine Quelle gewesen, ist zum Bächlein geworden. Und wird das Bächlein schwellen zum Bach, der Bach wachsen zum Strom, und dieser mit reißenden Wogen hinfluten über das Land.

Ich bin indessen nichts als ein demütiger Mönch, der Gott in der Einsamkeit sucht, und der des Herrn Macht in der Wildnis den Steinen predigen möchte. Denn wunderbar ist die Erkenntnis, die ich jeden Tag, jeden Augenblick aus der Größe Gottes schöpfe, die ein ewiger Brunnen ist.

Auch dessen gedenke ich:

Der Gott, welcher das Volk der Juden – es sei verdammt! – durch die Wüste führte, und welcher Moses auf dem Berge in Feuerflammen erschien, – es ist dieser Gott ein Gott des Grimmes, und kommt auch die Rache von Gott.

Sollte der, welcher mich haßt, sterben, so kenne ich einen, der des Toten Amt übernehmen wird. Das ist nur eine Stufe, aber es ist die Stufe zu einem Thron. Ich muß wachsen. Der Herr gebietet es mir. Es ist der Wille des Herrn, seinen Knecht zu erheben. Wenn es der Wille des Herrn ist, wird der Herr den, welcher mich haßt, zu sich rufen und mich an dessen Stelle setzen, damit ich dereinst verwalte auf Erden das göttliche Rächeramt.

Schwer und schwerer wird mir's, den Anblick der Menschen zu ertragen; derselbe reißt an meinem Herzen und zerrt an meiner Seele. Aber ich muß mich überwinden und muß es um mich sehen, dieses Geschlecht, das ich nicht mehr liebe. Ich will unter die Menschen gehen, auf die Berge zu den Hirten und in die Dörfer, wenn sie ihre Feste feiern, und wenn der Geist mich treibt, will ich zu ihnen reden, was der Geist mir eingibt.

Da ist der Hirtenknabe, der mir meine Speise zuträgt. Es ist ein fröhlicher Bursch. Oft, wenn er seine Herde weidete, hörte ich ihn singen. Des Knaben Gesang störte mich in meinen Meditationen und Studien heiliger Werke; und ich habe ihm sein Singen verboten. Nun ist es still um mich. Ich vernehme keinen andern Ton als das Geläut der Klosterglocken, das Brausen des Sturmes, das Prasseln des Regens, das Gepolter abstürzenden Gesteins und den Schrei eines Raubvogels. Das sind mir gerade die rechten Stimmen. Aber der Knabe, seitdem er nicht mehr singen darf, hat einen traurigen Blick.

Was thut das! Das Leben ist nicht dazu da, fröhlich zu sein; und um meine Nächsten glücklich zu machen, bin ich nicht Priester geworden.

Als ich das letztemal auf dem Gipfel und in der Höhle war, wem bin ich da begegnet? Meiner treuen Gefährtin, der Schlange. Ich fing sie und sie biß mich. Mein Arm schwoll hoch auf. Ich saugte mir indessen eiligst das giftige Blut aus und verspüre jetzt nur noch etwas Steifheit und bisweilen einige Schmerzen in dem gebissenen Glied. Die Natter nahm ich mit und sperrte sie in ein Gefäß und füttere sie nun; doch hört sie nicht auf, gegen mich zu zischen und zu züngeln.

Ich liebe sie trotzdem.«

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