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Man will Jenni verheiraten
Sie erinnern sich, teurer Freund, des Schmerzes und Zornes, den der ehrwürdige Freind empfand, als er erfuhr, daß sein teurer Jenni zu Barcelona im Inquisitionsgefängnis sitze. Glauben Sie mir, er wurde von einer viel heftigeren Erregung erfaßt, als er von dem Lebenswandel dieses unglücklichen Kindes, seinen Ausschweifungen und Zerstreuungen, seiner Art, Gläubiger zu bezahlen, und der Gefahr, daß er gehängt werde, hörte. Aber Freind fand sich damit ab. Es ist eine erstaunliche Sache um die Selbstbeherrschung dieses Mannes. Seine Vernunft befiehlt seinem Herzen wie ein guter Herr einem guten Diener. Er tut alles zu rechter Zeit und handelt klug, mit ebensoviel Geschwindigkeit, wie Unkluge zu ihrem Entschluß brauchen. »Es ist jetzt nicht die Zeit,« sagte er, »Jenni etwas vorzupredigen; man muß ihn aus dem Abgrund retten.«
Sie wissen, daß unser Freund am Abend vorher eine sehr große Summe aus dem Nachlaß seines Onkels George Hubert erhoben hatte. Er holt selbst unsern großen Chirurgen Cheselden. Glücklicherweise treffen wir ihn; wir gehen zusammen zu dem verwundeten Gläubiger. Freind läßt die Wunde untersuchen; sie war nicht tödlich. Er gibt dem Patienten hundert Guineen für die ersten Ausgaben und fünfzig weitere als Entschädigung; er bittet ihn um Vergebung für seinen Sohn; er drückt ihm seinen Schmerz mit so viel Teilnahme und Wahrheit aus, daß dieser arme Mann, der zu Bett lag, ihn unter Tränen umarmt und ihm das Geld zurückgeben will. Dies Schauspiel erstaunte und rührte den jungen Cheselden, der sich eben einen Namen zu machen beginnt, und dessen Herz ebenso gut ist, wie sein Auge und seine Hand geschickt sind. Ich war bewegt, außer mir; nie hatte ich unsern Freund so verehrt, so geliebt.
Als wir in sein Haus zurückkehrten, fragte ich ihn, ob er seinen Sohn nicht zu sich kommen lassen wolle, um ihm seine Fehler vorzuhalten. »Nein,« sagte er, »ich will, daß er sie fühle, bevor ich mit ihm darüber spreche. Lassen Sie uns heute zusammen zu Abend speisen; wir werden überlegen, was die Billigkeit verlangt, daß ich tue. Beispiele bessern mehr als Ermahnungen.«
Ich ging vor dem Abendessen zu Jenni; ich fand ihn, wie ich mir jeden Menschen nach seinem ersten Verbrechen denke: bleich, irren Blickes, mit rauher, gebrochener Stimme. Sein Gemüt war erregt; er antwortete verkehrt auf alles, was man ihm sagte. Ich teilte ihm endlich mit, was sein Vater für ihn getan hatte. Er blieb unbeweglich, sah mich starr an, drehte sich dann einen Moment um und weinte. Das war ein gutes Zeichen. Ich faßte Hoffnung, daß Jenni eines Tages ein ordentlicher Mensch werden könne. Ich wollte mich eben an seine Brust werfen, als Mrs. Clive-Hart in Begleitung eines jungen Leichtfußes, eines ihrer Freunde, namens Birton, ins Zimmer trat.
»Nun!« sagte die Dame lachend, »ist es wahr, daß du heute einen Mann getötet hast? Offenbar war er eine Plage; es ist gut, die Welt von solchen Leuten zu befreien. Solltest du Lust haben, noch mehr zu töten, bitte ich dich, meinem Gatten den Vorzug zu geben, denn er langweilt mich entsetzlich.«
Ich sah diese Frau vom Kopf bis zu den Füßen an. Sie war schön; aber sie schien mir etwas Unheimliches im Ausdruck zu haben. Jenni wagte nicht zu antworten und senkte die Augen, weil ich zugegen war. »Was hast du denn, Freund?« sagte Birten; »es scheint, daß du etwas Schlimmes getan hast; ich werde dich über deine Sünde beruhigen. Hier ist ein kleines Buch, das ich eben bei Lintot gekauft habe; es beweist so sicher wie zwei mal zwei vier ist, daß es weder einen Gott noch Laster oder Tugenden gibt: das ist trostvoll. Laß uns etwas darauf trinken.«
Bei diesen seltsamen Worten zog ich mich schnellstens zurück. Ich ließ bei Herrn Freind vertraulich durchblicken, wie sehr sein Sohn seiner Gegenwart und seiner Ratschläge bedürfe. »Ich bin derselben Meinung wie Sie,« sagte dieser gute Vater; »aber wir wollen damit beginnen, seine Schulden zu zahlen.« Am nächsten Morgen waren alle getilgt. Jenni kam und warf sich ihm zu Füßen. Werden Sie glauben, daß der Vater ihm keine Vorwürfe machte? Er überließ ihn seinem Gewissen und sagte nur: »Mein Sohn, denke daran, daß es kein Glück ohne Tugend gibt.«
Dann verheiratete er Boca Vermeja mit dem Bakkalaureus von Katalonien, für den sie eine heimliche Neigung hätte trotz der Tränen, die sie um Jenni weinte: denn alles dies verträgt sich aufs wunderbarste bei den Frauen. Man sagt, in ihren Herzen seien alle Widersprüche vereinigt. Das kommt ohne Zweifel daher, daß sie ursprünglich aus einer unserer Rippen gemacht sind.
Der freigebige Freind bezahlte die Aussteuer der beiden Vermählten; er verschaffte all seinen Neubekehrten gute Stellen durch die Fürsprache des Mylord Peterborough: denn es genügt nicht, das Seelenheil der Menschen zu sichern, man muß ihnen auch zu leben geben.
Nachdem er alle diese edlen Handlungen mit jener Kaltblütigkeit verrichtet hatte, die mich immer wieder erstaunte, kam er zu dem Schlusse, daß es kein anderes Mittel gäbe, um seinen Sohn auf den rechten Weg zurückzubringen, als ihn mit einem Mädchen aus guter Familie zu verheiraten, die Schönheit, Sitten, Geist und selbst ein wenig Reichtum besäße; dies schien ihm der einzige Weg, Jenni von der abscheulichen Clive-Hart und den verlorenen Menschen, mit denen er umging, loszureißen.
Ich hatte von Miß Primerose gehört, einer jungen Erbin, die von ihrer Verwandten, Mylady Hervey, erzogen worden war. Ich sah Miß Primerose und urteilte, daß sie wohl imstande sei, alle Ansprüche meines Freundes Freind zu erfüllen. Jenni brachte trotz seines ausschweifenden Lebens seinem Vater große Achtung, ja Zärtlichkeit entgegen. Vor allem war er gerührt, daß sein Vater ihm keinen Vorwurf über seine Vergehungen machte. Er hatte seine Schulden bezahlt, ohne mit ihm darüber zu reden; er erteilte ihm bei Gelegenheit und ohne viele Ermahnungen weise Ratschläge; gab ihm von Zeit zu Zeit Freundschaftsbeweise, die nichts Demütigendes an sich hatten: alles dies ergriff Jenni, der von Natur empfindsam und klug war. Ich hatte allen Grund zu glauben, daß die Raserei seiner Ausschweifungen den Reizen der Primerose und den erstaunlichen Tugenden meines Freundes weichen würde.
Mylord Peterborough selbst führte zuerst den Vater, dann Jenni bei Mylady Hervey ein. Ich bemerkte, daß Jennis außerordentliche Schönheit sofort tiefen Eindruck auf das Herz der Primerose machte; denn sie schlug die Augen nieder und errötete. Jenni schien nichts als höflich, und die schöne Primerose gestand der Mylady Hervey, daß sie wohl wünsche, aus dieser Höflichkeit würde Liebe werden.
Nach und nach entdeckte unser schöner junger Mann alle Vorzüge dieses unvergleichlichen Mädchens, obgleich er unter dem Einfluß der schändlichen Clive-Hart stand. Er war wie jener Inder, den ein Engel auffordert, eine heilige Frucht zu pflücken, und der durch die Krallen eines Drachen davon zurückgehalten wird. Hier bedrängt mich die Erinnerung an das, was ich gesehen habe. Meine Tränen netzen das Papier. Wenn ich wieder Herr über meine Sinne sein werde, will ich den Faden meiner Geschichte von neuem aufnehmen.