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Zehntes Kapitel

Über den Atheismus

Die Nacht war gekommen, sie war schön; die Luft blaute in einem durchsichtigen Gewölbe, das mit goldenen Sternen besät ward. Dieses Schauspiel rührt die Menschen immer und flößt ihnen weiche Träumereien ein. Der gute Paruba bewunderte den Himmel, wie ein Deutscher Sankt Peter in Rom bewundert oder die Oper in Neapel, wenn er sie zum ersten Male hört. »Diese Wölbung ist sehr kühn,« sagte Paruba zu Freind; und Freind antwortete: »Mein lieber Paruba, es gibt gar keine Wölbung; dieser blaue Bogen ist nichts anderes als ein mit Dunst und leichten Wolken gefüllter Raum, den Gott für die Mechanik Ihrer Augen derart angeordnet und geformt hat, daß Sie, an welcher Stelle Sie auch stehen, immer im Mittelpunkte sind und das sehen, was man Himmel nennt, was aber keineswegs der über Ihrem Kopfe sich rundende Himmel ist.«

»Und diese Sterne, Herr Freind?«

»Das sind, wie ich Ihnen schon gesagt habe, ebenso viele Sonnen, um die sich andere Welten drehen. Erinnern Sie sich, daß sie sich nicht an dieser blauen Wölbung, sondern weit davon in verschiedenen, ungeheuren Entfernungen befinden. Der Stern dort ist zwölfhunderttausend Millionen Schritt von der Sonne entfernt.« Dann zeigte er ihm das Teleskop, das er mitgebracht hatte; er ließ ihn unsere Planeten sehen, Jupiter mit seinen vier Monden, Saturn mit seinen fünf Monden und seinem unfaßbar strahlenden Ring. »Das ist dasselbe Licht,« sagte er, »das von all diesen Kugeln ausstrahlt und unsere Augen erreicht: von jenem Planeten dort in einer Viertelstunde; von diesem Stern hier in sechs Monaten.«

Paruba fiel in die Knie und sagte: »Die Himmel verkünden Gott.«

Die ganze Gesellschaft umgab den ehrwürdigen Freind in stiller Betrachtung und Bewunderung. Nur der zähe Birton sah nicht empor. Er sprach:

Birton

Nun, es sei! Es gibt einen Gott, ich räume es ein; aber was hat dies mit Ihnen und mit mir zu tun? Welche Beziehung ist zwischen dem Unendlichen und uns Erdenwürmern? Welcher Zusammenhang kann zwischen seiner Existenz und der unseren bestehen? Epikur, der an Götter auf den Planeten glaubte, hatte sehr recht, zu lehren, daß sie sich keineswegs in unsere Dummheiten und Schlechtigkeiten mischten; daß wir sie weder beleidigen noch ihnen gefallen können; daß sie weder uns noch wir sie brauchen. Der Gott, den Sie annehmen, ist des menschlichen Geistes würdiger als die Götter Epikurs und die aller östlichen und westlichen Völker. Wenn Sie jedoch mit so vielen anderen behaupteten, daß dieser Gott die Welt und uns zu seinem Ruhme geschaffen habe; daß er ehemals Rinderopfer zu seinem Ruhm gefordert habe; daß er, zu seiner Ehre, in der Gestalt von uns Zweifüßlern erschienen sei und so fort, so würden Sie, wie mir scheint, absurde Dinge sagen, über die alle denkenden Menschen nur lächeln können. Die Liebe zum Ruhm ist nichts anderes als Hochmut, und Hochmut nichts als Eitelkeit: ein Hochmütiger ist ein Geck, den Shakespeare auf sein Theater stellte. Diese Eigenschaft kann Gott so wenig entsprechen wie die des Ungerechten, Grausamen, Unbeständigen. Wenn Gott sich herabgelassen hat, das Weltall zu schaffen oder vielmehr es einzurichten, so sollte er es nur getan haben, um Glückliche zu schaffen. Ich überlasse es Ihnen, darüber nachzudenken, ob er dieses Ziel, das einzige, das der göttlichen Natur würdig wäre, erreicht hat.

Freind

Ja, ohne Zweifel, es ist ihm gelungen bei allen ehrlichen Seelen; und diese werden eines Tages glücklich werden, wenn sie es heute nicht sind.

Birton

Glücklich! Welcher Traum! Welches Ammenmärchen! Wo? Warum? Wie? Wer hat es Ihnen gesagt?

Freind

Seine Gerechtigkeit.

Birton

Sagen Sie mir nach so vielen Phrasenmachern nicht auch noch, daß wir ewig leben werden, wenn wir nicht mehr sind; daß wir eine unsterbliche Seele besitzen oder vielmehr, daß sie uns besitzt; nachdem Sie zugegeben haben, daß die Juden selber, diese Juden, deren Nachfolger Sie sich zu sein rühmen, niemals, bis zur Zeit des Herodot, auch nur einen Gedanken an diese Unsterblichkeit gehabt haben? Diese Idee einer unsterblichen Seele ist von den Brahminen erfunden, von den Persern, Chaldäern und Griechen angenommen, dann sehr lange von der unglücklichen, kleinen judäischen Horde, dieser Mutter des schändlichsten Aberglaubens, nicht gekannt worden. Ach, mein Herr, wissen wir überhaupt, ob wir eine Seele haben? Wissen wir, ob die Tiere, deren Blut ihr Leben genau wie unseres das unsere bedingt, die wie wir einen Willen, Neigungen, Leidenschaften, Gedanken, Gedächtnis, Geschicklichkeit haben, wissen Sie, sage ich, ob diese Geschöpfe, die ebenso unbegreiflich sind wie wir, eine Seele besitzen, wie man sie bei uns annimmt?

Bis jetzt hatte ich geglaubt, daß in der Natur eine tätige Kraft sei, der wir das Leben unseres ganzen Körpers danken, die uns mit Händen greifen, mit Augen sehen, mit Füßen gehen, mit Ohren hören, mit unseren Nerven fühlen und mit unserm Kopf denken läßt, und daß dies alles das sei, was wir Seele nennen: ein unbestimmtes Wort, das im Grunde nichts anderes bezeichnet als das unbekannte Prinzip unserer Fähigkeiten. Ich will mit Ihnen dieses kluge und mächtige Prinzip, das die ganze Natur belebt, Gott nennen; aber hat er je geruht, sich uns zu erkennen zu geben?

Freind

Ja, in seinen Werken.

Birton

Hat er uns seine Gesetze diktiert? Hat er mit uns gesprochen?

Freind

Ja, durch die Stimme unseres Gewissens. Ist es nicht wahr, daß, wenn Sie Ihren Vater oder Ihre Mutter getötet hätten, dieses Gewissen Sie mit ebenso furchtbaren wie ungewollten Vorwürfen quälen würde? Wird diese Wahrheit nicht vom ganzen Weltall empfunden und zugegeben? Lassen Sie uns aber von geringeren Verbrechen sprechen. Gibt es ein einziges, das Sie nicht beim ersten Anblick erschreckt, das Sie nicht, wenn Sie es das erstemal begehen, erbleichen läßt, und das nicht den Stachel der Reue in Ihr Herz gräbt?

Birton

Ich muß dies zugeben.

Freind

Gott hat Ihnen also deutlich befohlen, indem er zu Ihrem Herzen sprach, sich niemals mit einer Tat, die offenbar ein Verbrechen ist, zu besudeln. Was aber alle die zweideutigen Handlungen betrifft, welche die einen verdammen und die anderen rechtfertigen, was gibt es da Besseres zu tun, als dem großen Gesetz des ersten Zoroaster zu folgen, auf das in unseren Tagen ein französischer Schriftsteller Voltaire selbst. so oft aufmerksam gemacht hat: »Wenn du nicht weißt, ob die Handlung, die du vorhast, gut oder schlecht ist, enthalte dich ihrer.«

Birton

Dieser Grundsatz ist bewundernswert; er ist ohne Zweifel der schönste, das heißt der nützlichste, der je ausgesprochen wurde; er läßt mich beinahe glauben, daß Gott von Zeit zu Zeit Weise gesandt hat, die den verirrten Menschen Tugend gepredigt haben. Ich bitte Sie um Vergebung, daß ich über die Tugend spottete.

Freind

Bitten Sie Gott um Verzeihung, der die Tugend in Ewigkeit belohnen und, die ihr zuwider handeln, strafen kann.

Birton

Wie! Gott sollte mich ewig dafür bestrafen, daß ich mich Leidenschaften überlassen habe, die er mir gegeben hat?

Freind

Er hat Ihnen Leidenschaften gegeben, mit denen man Gutes und Böses wirken kann. Ich sage nicht, daß er Sie ewig strafen, noch wie er es tun wird; niemand kann irgend etwas darüber wissen; ich sage nur, daß er es tun kann. Die Brahminen waren die ersten, die sich ein ewiges Gefängnis für die himmlischen Mächte vorstellten, die sich gegen Gott in seinem eigenen Palaste erhoben hatten; er schloß sie in einer Art Hölle ein, die sie »ondera« nannten; aber nach Verlauf von einigen tausend Jahrhunderten milderte er ihre Leiden, versetzte sie auf die Erde und machte sie zu Menschen; daher kommt unsere Mischung von Lastern und Tugenden, Freuden und Qualen. Diese Vorstellung ist genial; die Fabeln der Pandora und des Prometheus sind es noch mehr. Plumpe Völker haben die schöne Fabel der Pandora plump nachgeahmt; diese Erfindungen sind Träume der orientalischen Philosophie. Alles was ich dazu sagen kann, ist, daß, wenn Sie Verbrechen begangen haben, indem Sie Ihre Freiheit mißbrauchten, es Ihnen unmöglich ist, zu beweisen, daß Gott nicht imstande sei, Sie zu strafen: ich fordere Sie dazu auf.

Birton

Halt: Sie denken, ich könne nicht beweisen, daß es dem Allmächtigen unmöglich sei, mich zu strafen; meiner Treu, Sie haben recht, ich habe getan, was ich konnte, um mir selber zu beweisen, daß dies unmöglich sei, und ich bin damit nie zum Ziel gekommen. Ich gestehe, daß ich meine Freiheit mißbraucht habe, und daß Gott mich dafür züchtigen kann; aber bei Gott! ich werde nicht mehr gestraft werden, wenn ich nicht mehr bin.

Freind

Das beste Teil, das Sie wählen können, ist, ein guter Mensch zu sein, solange Sie leben.

Birton

Guter Mensch sein, solange ich lebe? ... Ja, ich gestehe es; ja, Sie haben recht: das ist es, wozu man sich entschließen muß.

 

Ich wollte, mein teurer Freund, Sie wären Zeuge der Wirkung gewesen, die Freinds Reden auf Engländer und Amerikaner hatten. Der so leichtfertige und übermütige Birton nahm plötzlich einen gesammelten, bescheidenen Ausdruck an; Jenni warf sich, mit Tränen in den Augen, seinem Vater zu Füßen, der ihn umarmte. Hier folgt endlich die letzte Szene dieses dornigen und interessanten Wechselgesprächs.


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