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Sechstes Kapitel

Die erste Zeit nach der Beförderung war für alle Familienglieder recht langweilig und sehr unerquicklich. Der Oberst selbst hatte mit der Übernahme des Regiments zu tun, und Frau Staal und ihre Töchter waren mit den Vorbereitungen zum Umzug beschäftigt. Die Stimmung war ziemlich gedrückt im Hause, da sowohl der Oberst wie auch seine Frau über die aufgehobene Verlobung ihrer Tochter tief betrübt waren und Ejna selbst unglücklich und unzufrieden aussah.

Halbe Tage lang schloß sie sich in ihrem Zimmer ein und wollte niemand sehen, niemand sprechen. Gegen Abend schlich sie sich fort und machte an den dunkeln Oktobernachmittagen lange einsame Spaziergänge durch die Felder. Frau Staal dachte, Ejna bereue die rasche Aufhebung der Verlobung, und versuchte, eine Aussprache mit ihrer Tochter herbeizuführen, um die Lage besser übersehen zu können; aber Ejna hatte sie so bittend und zugleich so erschreckt und verzweifelt angesehen, daß die gute Mutter sofort verstummte und sie von da an sich selbst überließ.

Der Versuch des Obersts, seine Lieblingstochter zu trösten und ihr zu helfen, fiel ebenso fruchtlos aus. Ejna wurde heftig und gebrauchte harte Worte, und als ihr Vater ihr sanft erwiderte, daß er es gut mit ihr meine und ihr helfen wolle, antwortete sie, wenn man ihr wirklich helfen wolle, solle man sie in Frieden lassen und nie mehr über diese Dinge mit ihr sprechen; das sei das einzige, was man für sie tun könne. Sie sah wohl, welchen Schmerz sie ihrem Vater mit dieser Zurückweisung bereitete, und sie wußte auch, daß sie jetzt schuld an dem tiefen Schatten war, der auf ihre Heimat fiel, wo es durch die glückliche Beförderung gerade ein wenig heller geworden war: Ejna fühlte auch deutlich, wie unrecht sie handelte, aber sie war noch härter und verschlossener als früher, sie konnte nicht anders.

Otto Brink hatte für einige Wochen Urlaub genommen und überdies den Oberst gebeten, ihn vom Adjutantendienst zu befreien. Daher hatte der Oberst seinen früheren Adjutanten wieder genommen, und Poulsen war nicht wenig stolz, daß er nun – wie er selbst sagte – »die rechte Hand des Regiments« wurde.

Die ganze Stadt hatte erwartet, Brink werde um Versetzung in eine andre Garnison einkommen, aber darin wurde sie enttäuscht. Nach vierzehntägigem Urlaub kehrte er ohne die Adjutantenabzeichen zurück und trat wieder in sein altes Bataillon ein.

Als er sich beim Regimentskommandeur meldete, saß Poulsen eben im Vorzimmer am Schreibtisch und war sehr gespannt, wie dieses Wiedersehen verlaufen würde. Die Unterredung dauerte sehr lange, und beim Abschied begleitete der Oberst Brink bis zur Tür, wo er ihm herzlich die Hand schüttelte; aber weder auf dem Gesicht des Obersts, noch auf dem Brinks war zu lesen, worüber sie sich so lange unterhalten hatten, und so konnte Poulsen nichts erraten.

Otto Brink hatte dem Stadtklatsch keine Nahrung geben wollen, und nur dem Oberst hatte er seine Absicht anvertraut, sich im Januar auf Schießschule zu melden und erst von dort um Versetzung einzukommen.

Ejna hatte ihn seit dem Tag, an dem sie ihm sein Wort zurückgegeben, nicht wiedergesehen. Unter dem Vorwand, noch mit dem Umzug zu tun zu haben, hatte sie bei allen Gesellschaften abgesagt, in denen sie voraussichtlich mit Brink zusammengetroffen wäre; aber Flora, die in letzter Zeit sehr intim mit Frau From geworden war und fast täglich in ihr Haus kam, hatte ihn dort öfter getroffen.

Froms hatten Besuch aus der Hauptstadt, ein zweiundzwanzigjähriges junges Mädchen, namens Ester Höjmark, die Tochter eines nach Frau Froms Ausspruch steinreichen Kaufmanns und Bankiers.

Flora, die sich sehr leicht an andre anschloß, war ganz begeistert von dem jungen Mädchen und schilderte sie zu Hause in den hellsten Farben; allerdings hinkte sie ein wenig, aber das stand ihr geradezu gut, sie tat es »so reizend, daß man dabei unwillkürlich an Madame la Vallière denken mußte«! Ferner hatte Flora ihrer jüngsten Schwester anvertraut, daß Frau From beabsichtige, eine Heirat zwischen Brink und dem reichen jungen Mädchen zu stiften, und als Petersen ungläubig lächelte, fügte sie hinzu, Brink, der Ester von früher kenne, schiene auch gar nicht abgeneigt zu sein.

Sobald Oberst Staals in ihrer neuen Wohnung eingerichtet waren, machte Frau From mit Fräulein Höjmark dort einen Besuch; sie sahen aber Fräulein Ejna nicht, weil diese eben mit ihrem Vater ausgeritten war. Im übrigen wußte Ejna von dem neuen Gerücht, das schon die ganze Stadt beschäftigte, auch gar nichts, denn von ihrer Familie wurde Brinks Name natürlich nicht erwähnt, und von den Bekannten hatte sie seit langer Zeit nur Ström gesprochen.

* * *

Jetzt war endlich die Zeit da, der man im Hause des Obersts mit Angst und Spannung entgegengesehen hatte. Der Tag des großen Diners war gekommen. Vom frühen Morgen an hatte im ganzen Hause eitel Geschäftigkeit geherrscht, und die arme kleine Frau Oberst war noch abgehetzter und sorgenvoller als sonst.

In der Küche thronte Frau Schäfer, die erste, allerdings schon etwas ältliche Kochfrau der Stadt. Sie war eine Dame von sehr überlegenem Wesen, die keinen Widerspruch duldete; so oft sie dort im Hause war, hätte sie Frau Oberst Staal in ein Mauseloch jagen können, während Laurine »muffig« wurde und das junge Stubenmädchen sich nur in der Küche zeigte, wenn es einen Leckerbissen zu versuchen gab.

Im Eßzimmer half der Bursche dem Lohndiener beim Tischdecken. Flora hatte die Blumenvasen geordnet und war dann auf ihr Zimmer gegangen, um die letzte Hand an ihr Kostüm zu legen, das sie mit viel Vergnügen phantastisch herausgeputzt hatte. Petersen lief geschäftig zwischen Zimmer und Küche hin und her, bald mit einem Bescheid von Frau Staal an die Kochfrau, bald mit einer Frage von Frau Schäfer nach diesem oder jenem; bald tröstete sie ihre Mutter ein wenig, bald beruhigte sie die Kochfrau mit ein paar ermunternden Worten, während sie dabei beständig auf das Tischdecken achtete und daneben in den Zimmern aufräumte; sie war bald oben, bald unten, stets umsichtig und die ganze Zeit in eifrigster Tätigkeit; wo sie sich nur blicken ließ, erhellten sich die Gesichter wie mit einem Schlage. Ihr verdankte man es auch, daß endlich kurz nach zwölf Uhr der Frühstückstisch im Zimmer des Obersts fertig gedeckt stand. Frau Staal war so nervös, daß sie kaum einen Bissen hinunterbrachte, und ihr Mann brummte über die verspätete Mahlzeit; als er aber den Tisch sah, den Petersen mit Frau Schäfers Delikatessen und kaltem Aufschnitt für das Abendessen bereichert hatte, wurde er milder gestimmt und versuchte, seine Frau aufzuheitern.

»Sei doch nicht so aufgeregt, Meta! Herrgott, weil wir ein paar Menschen zum Mittagessen bei uns haben wollen –«

»Nein, weißt du, Vater, nun bist du wirklich zu blasiert,« unterbrach ihn Petersen. »›Ein paar Menschen‹ sagst du, und dabei ist es beinahe das ganze Regiment – über vierzig Personen. Dieses Diner bedeutet für Mutter ebensoviel, wie eine ganze Schlacht für dich. Darf ich fragen, ob du nicht nervös bist, wenn du dem General das Regiment vorführen sollst?«

»Der Vergleich hinkt, mein Kind.«

»Das tut er auch,« räumte Petersen ein, »denn Mutters Diner ist ›eine wirkliche Tatsache‹ – heißt es nicht so in der Militärsprache? – und das ist das andre nicht.«

»Und dann hat man auch noch so schlechte Hilfe,« seufzte Frau Staal. »Frau Schäfer fängt ja an, alt zu werden.«

»Wenn man eine Aufgabe übernommen hat, muß man sie auch zu Ende führen, ob man alt oder jung ist,« bemerkte der Oberst.

»Ja, aber Vater, Frau Schäfer läßt sich nicht nur so kommandieren.«

»Und Laurine ist immer ganz bärbeißig, sobald wir irgend etwas Besonderes haben,« fügte Flora hinzu.

»Das kommt davon, wenn man sich alles gefallen läßt, Kinder,« antwortete Oberst Staal kopfschüttelnd. »Es ist ja, als sei diese Laurine manchmal die wichtigste Person im ganzen Hause. Ich weiß nicht, was die Dienstmädchen sich heutzutage alles herausnehmen dürfen; sie machen immer größere Ansprüche, und dabei sind sie doch die einzigen bezahlten Arbeiter, die die Arbeit, für die sie sich verdingt haben, nicht zu können brauchen. – Na, Laurine ist ja im allgemeinen ganz tüchtig, sie wird aber auch wie eine Königin behandelt. Ihre Majestät sind schlechter Laune, weil sie einmal in jedem halben Jahre etwas mehr Arbeit haben! Es ist sonderbar, Mutter, daß du niemals schlechter Laune warst, wenn du mehr als gewöhnlich zu tun hattest, zum Beispiel als die Kinder noch klein waren und du oft die ganze Nacht wachen mußtest, nachdem du den lieben langen Tag im Hause herum gearbeitet hattest und todmüde warst. – Nein, die Dienstmädchen fangen es wirklich verkehrt an. Erst sollten sie tüchtiger in ihrem Fach werden, dann könnten sie auch Ansprüche machen. Aber ihr Hausmütter seid mit schuld daran. Ihr solltet euch nicht in die Disziplinlosigkeit der Mädchen finden.«

»Du hast gut reden,« versetzte Frau Staal kleinlaut, »aber es ist heutzutage gar nicht so leicht, ein Dienstmädchen richtig zu behandeln, und ich bin froh, daß Laurine wenigstens schweigt, wenn sie verdrossen und übellaunig ist; die frechen Mädchen sind noch viel schrecklicher.«

»Na, zum Kuckuck, du bist wohl drauf und dran, dich noch zu bedanken, daß du nicht von deinen eigenen Dienstboten ausgescholten wirst! Das ist doch zu toll! Aber das kommt davon, liebe Frau, daß du sie allzu freundlich behandelst, das können sie nicht vertragen. Du kommandierst nicht genug. Human müßt ihr natürlich sein, aber euch nicht auf freundliche Unterhaltungen und Erklärungen einlassen, sondern kurze und bestimmte Befehle geben.«

»Und wenn das Mädchen nicht gehorcht? Was dann?« fragte Petersen, während sie den Kaffee einschenkte.

»Nicht gehorcht? Na, ich wollte sie schon dazu bringen!« antwortete Oberst Staal mit einem energischen Kopfnicken.

»Ja, aber du mußt bedenken, Vater,« wandte Petersen wieder ein, »daß Mutter ihre Dienstmädchen nicht zu Dunkelarrest oder zu schmaler Kost verurteilen kann – oder zu viermal fünf Tagen wegen Respektsverweigerung, wie ihr es mit den Soldaten tut.«

»Nein, leider nicht,« gab der Oberst zu. »Aber daß ihr das nicht könnt, ist ein großer Fehler.«

»Ach,« sagte Frau Staal, »nicht nur unter den Dienstmädchen herrscht Widersetzlichkeit, es ist in allen Kreisen so, alle wollen befehlen und niemand will gehorchen.«

»Nicht im Soldatenstand,« antwortete der Oberst bestimmt. »Wir verstehen zu gehorchen; wir sind diszipliniert – vom gewöhnlichen Soldaten bis hinauf zum General.«

»Das ist wohl möglich, Vater,« meinte Petersen nachdenklich, »aber bei euch ist auch manches verkehrt. Jetzt streben die Menschen alle nur nach einem Ziel: vornehm zu sein und mehr zu scheinen, als sie in Wirklichkeit sind. Die Dienstmädchen geben sich keine Mühe, tüchtig zu werden, sie wollen nur hohen Lohn haben, um ebensolche Kleider tragen zu können wie die Herrschaft. Und ist es bei euern Unteroffizieren nicht ebenso? Wenn man die wenigen guten alten ausnimmt, so gehen doch alle darauf aus, im Äußern den Offizieren zu gleichen. Fast alle lassen sich ihre Uniformen aus Offizierstuch machen, obgleich ihre Mittel es ihnen nicht erlauben, während so mancher Offizier zu seinem Rock Unteroffizierstuch nimmt, weil es stärker und dauerhafter ist. Das ganze kommt nur daher, daß die Leute so neidisch aufeinander sind! Wenn ich etwas zu sagen hätte, so hieße es: Schuster, bleib bei deinem Leisten! Und wenn es dich ärgert, daß es deinen Vorgesetzten besser geht als dir und sie sich auch besser kleiden können als du, dann arbeite und gib dir alle Mühe, es auch zu etwas zu bringen, damit es auch dir allmählich besser geht; aber sei nicht launisch und unfreundlich gegen sie, weil du selbst nichts kannst, und schmücke dich nicht mit fremden Federn, um ihnen zu gleichen.«

»Bravo, Petersen!« rief der Oberst. »Es ist jammerschade, Mutter, daß sie nicht in den Reichstag gewählt werden kann, mit so einer Rednergabe. Aber Petersen, du bist ja gar nicht modern, sondern ein ganzer Antisozialist.«

»Du kannst doch auch nicht verlangen, Vater, daß solch ein Kind wie Petersen das volle Verständnis für den erhabenen Gedanken des Sozialismus haben soll,« warf Flora nachsichtig ein.

Petersen wollte ihrer Schwester gerade eine schnippische Antwort geben, als an die Tür geklopft wurde und die vorhin erwähnte Laurine eintrat, um zu melden, daß Frau Schäfer durchaus mit der Frau Oberst sprechen müsse.

»Was ist denn jetzt los?« fragte Frau Staal mit einem Seufzer.

»Ja, ich weiß es nicht,« antwortete Laurine, »aber ich glaube, daß irgend etwas –«

»Fehlt! Ja, natürlich,« sagte Frau Staal und sah kopfschüttelnd dem hinausgehenden Mädchen nach. »Was soll ich nur mit Frau Schäfer anfangen? Sie ist heute so schwierig. Hör, Petersen, du könntest hinuntergehen und sie ein wenig beruhigen.«

Petersen war sofort bereit, aber Oberst Staal lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sah seine Frau streng an.

»Meta, ich glaube wirklich, du hast Angst vor der Frau!«

»Ejnar, wenn sie schlechter Laune ist, hat sie eine Art und Weise, unsre altmodischen Töpfe und Küchensachen anzusehen – daß –«

»Ich werde sie schon beruhigen,« sagte Petersen tröstend.

Sie verließ auch gleich das Zimmer, und der Oberst wollte nun mit seiner Frau und den beiden andern Töchtern die Tischordnung machen.

Frau Staat hatte aber keine rechte Ruhe, sie sagte, sie habe keine Zeit mehr, auch kenne sie ja ihren Platz schon und wisse, welchen Herrn sie zu Tisch haben solle. Flora entschuldigte sich auch, da an ihrem Kleid noch etwas zu ordnen sei; so mußten Ejna und ihr Vater die Tischordnung allein fertig machen.

Ejna schrieb und notierte, und der Oberst war voller Bewunderung, wie leicht, gewandt und taktvoll Ejna die Gäste zu verteilen verstand. Bei Otto Brinks Namen sah er sie einen Augenblick zögern.

»Ja, Brink kommt auch, so ist es doch verabredet worden – du hast es ja selbst gewünscht.«

»Natürlich,« antwortete Ejna ruhig. »Was für eine Tischdame soll er haben?«

»Vielleicht Froms Besuch, Fräulein Höjmark, die er ja schon etwas kennt,« schlug der Oberst vor.

»Gut, nehmen wir sie.«

Und Ejna setzte diese beiden auf dieselbe Seite des Tisches, an der auch sie sitzen wollte. Sich selbst schrieb sie als Ströms Tischdame ein, und der Oberst machte keine Einwendung.

 


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