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Wie Ejna wieder in die Wohnstube gekommen war, wußte sie selbst kaum, aber Petersen wußte es. Als sie merkte, daß man der Schwester Abwesenheit auffallend fand, schlich sie sich hinaus, sie zu rufen, und als Ejna erst im Zimmer war, hatte sie so viel Selbstbeherrschung, daß die Gäste nichts Ungewöhnliches an ihr bemerkten.
Sie hatte nicht nötig gehabt, sich die Augen zu baden, denn sie hatte keine Träne vergossen; die schönen dunklen Sterne glänzten vielleicht ein wenig mehr als sonst, im übrigen war sie vornehm und zurückhaltend wie immer. Stolz und Eitelkeit hatten ihr geholfen, so rasch ihr Gleichgewicht wiederzufinden, und schützten sie nun auch vor teilnehmendem Mitleid, das sie wie nichts andres fürchtete.
Im Wohnzimmer war die Unterhaltung, dank der letzten Gäste, lebhafter geworden. Oberstleutnant From war Staals Freund und gleichaltrig mit ihm; er gehörte zu den wenigen, die sich aufrichtig und ohne Nebengedanken über die Beförderung eines Kameraden freuen können. Vielleicht spielte unbewußt der Umstand mit herein, daß er reich und dadurch unabhängig war. Im übrigen paßte sein Name für ihn, er war ein braver Mensch, der nur Freunde hatte. Das Schlimmste, was man ihm nachsagte, war, daß er indolent sei; aber dieses Fehlers wegen wird wohl keinem der Himmel verschlossen werden.
Seine viel jüngere Gattin war sehr hübsch und sehr eitel. Mit ihrem alten Ehegespons konnte sie machen, was sie wollte. Sie war ein treuer Freund im Unglück, weniger zuverlässig im Glück, was aber nicht gerade ein Lob für sie bedeuten soll. Die kleine Frau hörte nämlich nichts lieber, als wenn es andern Leuten schlecht ging; ja sie verlor ihre gute Laune, wenn sie sah, daß die Leute vergnügt und froh waren. Dann mußte sie eingreifen. Sie konnte nichts dafür, ja sie wußte es manchmal selber kaum, aber sie mußte das Glück der andern stören und ein wenig Schatten darauf werfen, sobald ihnen die Sonne allzu hell zu leuchten schien.
Trotzdem hieß es, sie sei überaus wohltätig, und ihre Nächsten rühmten sie auch ihres liebevollen, teilnehmenden Gemüts halber. Zuweilen opferte sie sich auch wirklich für andre auf. Ihre höchste Freude war, den tröstenden Engel zu spielen, und wenn sie nur erst recht in dem Schmerz und Kummer ihres Nächsten schwelgen durfte, schonte sie weder ihre eigene Kraft, noch ihr Portemonnaie, um zu helfen.
So glich sie jenen Menschen, die mit Wonne Marterinstrumente und Torturgeräte sehen, und deren Lieblingslektüre haarsträubende Beschreibungen der Leiden und Qualen ihrer Mitmenschen sind.
Sobald Frau From hörte, daß es andern schlecht ging, wurde sie mild und freundlich. Ihr Mann hätte sie auch wohl kaum bewegen können, mitzukommen, um seinem alten Freund zu gratulieren, wenn sie nicht gewußt hätte, daß der Himmel bei Oberst Staals trotz der Beförderung nicht wolkenlos blau war. Unter den jetzigen Umständen konnte sie es kaum erwarten, zu Staals zu kommen; ja sie sandte sogar den Burschen mit vier Flaschen Pommery voraus, die er in der Küche des Obersten abliefern sollte.
»Eine kleine Aufmunterung tut ihnen gewiß not,« meinte sie, »und dann kann das Wohl des neuen Regimentskommandeurs doch in würdiger Weise getrunken werden.«
From war von ihrer Fürsorge entzückt, sah sie bewundernd an und flüsterte gerührt: »Du bist ein Engel!«
In der Einfalt seiner Seele glaubte er, sein eigenes reines Herz, in dem nicht ein Atom Neid wohnte, stehe weit hinter dem ihrigen zurück.
Frau Staal hatte Frau From ohne ihr Zutun sofort in gute Laune versetzt, indem sie ihr unter vier Augen ihre Gardinensorgen anvertraut hatte, und ihr Gast, wohl befriedigt, daß nicht alles so war, wie es sein sollte, hatte sie auf das Beste getröstet und ihr dann ohne Umschweife mitgeteilt, sie habe zu Hause noch etwa achtzehn Meter splitterneuen entzückenden dunkelblauen Wollsatin liegen, für den sie absolut keine Verwendung habe; diesen wolle sie Frau Staal morgen schicken und sie müsse ihn annehmen – es wäre ja geradezu unvernünftig, wenn man zwischen so guten Freunden wegen einer solchen Bagatelle Aufhebens machen wollte.
Zum zweitenmal wurde die edle Geberin an diesem Abend für »einen Engel« erklärt, und Frau Staal schämte sich aufrichtig, daß sie im stillen Frau From manchmal für unliebenswürdig erklärt hatte.
Wenn Ejna der eben erwähnten Dame jetzt nur den Gefallen getan hätte, ein wenig verweint und betrübt auszusehen, so wäre sie sofort entwaffnet gewesen; sie hätte dann Ejna in Frieden gelassen und ihre Liebenswürdigkeit gegen die ganze Familie verdoppelt.
Aber Ejna gönnte der kleinen neugierigen Frau die Freude, ihren Schmerz zu sehen, nicht, sondern spielte mit Aufbietung ihrer ganzen Selbstbeherrschung die Rolle der frohen, zufriedenen Tochter so ausgezeichnet, daß sie sogar ihren Vater täuschte; aber man sieht ja bekanntlich leicht das, was man gerne sehen möchte.
»Na endlich!« fiel es von Frau Froms Lippen, als Ejna grüßend eintrat.
In Ejnas Augen blitzte es auf, sie wollte etwas entgegnen, aber Hauptmann Ström kam ihr zuvor.
»Das war ein ausgesuchtes Kompliment, Frau Oberstleutnant.«
»Sie haben recht, Hauptmann Ström; Frau Oberstleutnant From macht mich ganz verlegen.«
Und Ejna machte ihr eine tiefe Verbeugung; sie wußte, es ärgerte Frau From, die erst Anfang Dreißig war, als ältere Dame behandelt zu werden.
Jetzt beschloß Frau From, sie nicht länger zu schonen.
»Nun, was sagen Sie zu dem Kabinettsbefehl?« fragte sie so stolz, als habe sie ihn selbst ausgegeben.
Aber Ejna war vorbereitet.
»Das, was jede andre Tochter zu einem Kabinettsbefehl sagt, der die Beförderung ihres Vaters meldet – daß ich mich natürlich sehr freue.«
»Auch daß Sie hier in der Stadt bleiben?« Frau From lächelte ungläubig.
»Auch darüber, das ist doch ganz selbstverständlich.«
»Ganz richtig, Fräulein Ejna,« mischte sich Ström ins Gespräch. »Hier, wo Sie so viele und« – mit einer leichten Verbeugung gegen Frau From – »so liebenswürdige Freunde haben.«
Er wollte ihr helfen, Ejna fühlte es wohl, also mußte er Mitleid mit ihr haben. Wie sonderbar, sie, die es so wenig ertragen konnte, bemitleidet zu werden, fühlte sich von Ströms Teilnahme durchaus nicht verletzt; im Gegenteil, sie richtete sie auf, und deshalb hielt sie sich dann auch den ganzen übrigen Abend in Ströms Nähe auf, als fühlte sie sich da am sichersten.
Vorläufig ließ indes Frau From die Waffen ruhen; es würde sich schon noch eine bessere Gelegenheit zeigen. Sie fand es eine »verrückte Idee« von Hauptmann Ström, sich zwischen sie und Ejna zu setzen und von da weder zu weichen, noch zu wanken, denn sie wußte ganz genau, daß Ström nicht zu ihren Bewunderern zählte.
Trotz ihres Ärgers über Ejna imponierte ihr diese aber doch; selbst jetzt, wo deren letzte Hoffnung sich als trügerisch erwiesen hatte, war der Stolz dieses »Mädels« nicht zu brechen.
»Nun, wir werden schon sehen,« schloß Frau From ihre klugen Betrachtungen, »zum Schluß nimmt sie doch noch den in Gnaden auf, den sie zuerst verschmäht hat, und es endet schließlich doch noch mit einer Heirat zwischen Ström und Ejna; er scheint ja noch immer in sie verliebt zu sein – sonderbar genug!«
Und ohne viele Umstände kehrte Frau From zu dem Gespräch mit ihrer Wirtin zurück.
»Ja, natürlich,« räumte sie ein, »ich kann mir denken, wie sehr Sie alle von der neuen Wohnung in der Kaserne entzückt sind; sie ist auch wirklich prachtvoll.«
»Nicht wahr?« versetzte Frau Staal. »Ich begreife gar nicht mehr, warum ich heute nachmittag eigentlich Angst davor hatte. Jetzt freue ich mich geradezu darauf.«
Und sie lächelte seelenvergnügt.
»Ach, wie lieb du doch bist!« murmelte Petersen vor sich hin und sah gerührt zu ihrer Mutter hinüber. »Nun hast du ein Glas Champagner getrunken, kleine Frau Oberst, bist mit Blumen beschenkt worden, und deine Sorgen um die Gardinen sind verschwunden, und sofort siehst du alles wieder in rosigstem Licht.«
»Ja, wenn man sich nur einzurichten weiß, dann ist's, weiß Gott, eine großartige Wohnung!« bemerkte Frau Poulsen; sie hatte sich tüchtig an den Champagner gehalten und war auch schon beim vierten Apfel angekommen.
»Es ist ein großer Vorteil,« sagte Flora, »wenn man Räume hat, in denen man üben kann; hier« – sie zuckte die Schultern – »kann man ja keine ordentliche Rolle spielen, ich meine, sich in eine Rolle hineinleben.«
»Ohne die Möbel umzustoßen oder die Gardinen herunterzureißen,« flüsterte ihr Petersen in frohem Eifer ins Ohr. »Nein, da hast du recht!«
»Die Zimmer in der Kommandeurswohnung sind geräumig genug – auch zum Komödien Spielen!« nickte Frau From und sah dabei sonderbarerweise nicht Flora, sondern Ejna an. »Ich selbst finde die Zimmer dort beinahe zu groß. Die vielen Gardinen können einem schon Kopfzerbrechen genug machen, aber erst die Teppiche! Allein fürs Wohnzimmer! Der Teppich hier würde dort nur wie ein verlorenes buntes Taschentuch aussehen.«
»O, sie verdiente Prügel!« dachte Petersen, als sie in ihrer Mutter Gesicht die tiefe Falte wieder zum Vorschein kommen sah. »Jetzt sind wir glücklich die Sorge um die Gardinen los, nun kommt sie mit dem Teppich.«
»Frau Oberst sollten wirklich aus den abgelegten Beinkleidern und Röcken Ihres Mannes einen Teppich machen!« riet Frau Poulsen. »Ich habe so einen bei meines Mannes Eltern gesehen – er war einfach großartig. Die Stoffe waren in lauter Streifen aneinandergenäht; und dann ist so ein Teppich ja geradezu ein Erinnerungsteppich. Meine Schwiegermutter kannte jeden Streifen – der war aus der Hochzeitshose – der –«
Sie hielt plötzlich inne; ihr Blick war auf ihren Mann gefallen; dieser versuchte ihr durch alle möglichen Zeichen sein Entsetzen über ihre Worte zu verstehen zu geben. So schwieg sie denn energisch und griff nach dem fünften Apfel.
Alle hatten sich an Frau Poulsens Vortrag ergötzt, nur Frau Oberst Staal war verstimmt und sorgenvoll; aber das wirkte auf Frau From so wohltuend, daß sie sich den Rest des Abends ganz friedlich zeigte.
Die beiden älteren Herren frischten alte Garnisongeschichten auf, der Adjutant hörte zu und bekam schließlich fast einen Kinnbackenkrampf vor lauter Beifallslachen, das er für eine seiner Adjutantenpflichten hielt.
Ström hatte sich wieder zu den Damen gesetzt.
Er versicherte Petersen, sie dürfe jetzt, wo sie eine der »Töchter des Regiments« geworden sei, nicht mehr mit hängendem Zopf gehen, jetzt müsse sie sich notgedrungen eine würdige Frisur anschaffen.
»Nein,« erwiderte Petersen mit einem energischen Kopfschütteln, »dazu kriegen Sie mich nicht – Sie können sich darauf verlassen, daß ich nie eine andre Frisur als meinen Zopf tragen werde.«
»Auch nicht, wenn Sie sich einmal verheiraten?«
»Nein, selbst dann nicht,« versetzte sie lachend mit einem heißen Erröten, »ich bleibe bei meinem Zopf.«
»Und wollen auch immer nur Petersen genannt werden?«
»Jawohl!« nickte sie wieder und lachte, »immer nur Petersen!«