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Maria und Josef

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Es war erst Mai, und doch brannte die Sonne unbarmherzig auf die Bettenfelder Höh, wie nur je im Hochsommer.

Verdrießlich stand Josef Wallscheider am Fenster seiner Hütte und schaute hinaus in den grellen Sonnenschein. Der würde ihm schön auf den Rücken prallen, wenn er jetzt mit der Maria auf den Acker fuhr zum Kartoffellegen! Er gähnte, trommelte unwirsch auf die blasige Fensterscheibe und blickte hinauf zum Himmel. So war der schon seit Tagen, blau wie ein tiefgefärbtes Tuch, kein Wölkchen daran; verschlossen.

Halblaut brummte er in sich hinein: das würde schwere Arbeit sein im vertrockneten Erdreich. Aber was half's, die Kartoffeln mußten ins Land. Was sollte man denn essen, wenn der Winter ganz Bettenfeld in Schnee packte bis an die Dachgiebel? Da mußten sie doch wenigstens Kartoffeln satt haben, er und sein junges Weib. Denn heiraten wollte er zu Michaeli, jetzt gerade, wo ihm die Maria so ein schiefes Gesicht zog. Hatte er es dem Kettchen denn nicht auch gestern abend versprochen?!

Und damit stellte sich der Bursche fest auf seine stämmigen Beine, kniff die Mundwinkel ein, und auf seiner kantigen Stirn zwischen den eckig gezogenen Brauen zeigte sich eine tiefe Falte.

Als er jetzt zur Stubentür schritt, ächzten die sandbestreuten Dielen unter seinem schweren Tritt. Er rief laut in den dunklen Flur hinaus:

»Maria! Kettche!«

Keine Antwort.

Wo stecken sie denn?! Noch einmal: »Maria! Kettche!«

Und nun, langgezogen: »Kett– che–!«

Da knarrte ganz oben das Türchen des Bodenverschlages, und geschmeidig wie eine Katze, kam eine blutjunge Magd die Leiterstiege heruntergeschlichen. Ihr Rock war ausgefranst; unter den wirren Haarsträhnen vor, die ihr tief ins Gesicht hingen, blinzelten ihre verweinten Augen. Ein Bündel trug sie über der Schulter; mit einem zitternden Seufzer ließ sie es auf den Estrich fallen, dicht vor seine Füße.

»Hatt ihr dann kein Ohren?« sagte der Bauer, ohne sie anzusehen. »Wuh es dat Maria? Spannt an. Mir giehn eweil. No?«

»Dat Maria, dat es – dat –« sie brach in lautes Schluchzen aus – »dat hat gesaot, ech sollen maachen, dat ech fortkommen hei – ech sollen giehn, wuh dän Peffer wächst – uf der Stell! Ech – ech –«

Der Jammer schien ihre Worte zu ersticken.

Er sah sie an, wie sie da an der Mauer lehnte, den hübschen Kopf im Schmerz zur Seite geneigt, und langsam glomm im stumpfen, gleichmütigen Blick seiner tiefliegenden Augen ein Feuer auf.

»Wän es hei dän Hähr? Dat Maria oder ech, hä? Kreisch net. Du bleiwst. Drag dein Saachen nor als widder eruf, Kettche!«

»Och, ech sein e su angst! Et därf mer doch neist anduhn, dat Maria?! Gel, Josef?«

»Et därf der neist anduhn, et duht der aach neist an – nä, nä!«

Er versank in Nachdenken.

Sie schmiegte sich an ihn. »Josef!« Er rührte sich nicht. Da schlang sie beide Arme um seinen Nacken, küßte ihn heftig und blieb an seinem Halse hängen.

So standen sie ein paar Augenblicke, dann machte er sich schwerfällig frei.

»Sei nor net angst, et gift als alles arrangschiert. E su bös es dat Maria net – nä, nä – et wird schon Räsong annehme. Et hat mech ufgezillt – nä, nä – et es mer alleweil en gude Schwester gewest!«

Mit einem Seufzer ließ sie den Kopf hängen, ihre Gestalt schien ganz zusammen zu sinken. Schmollend murmelte sie: »Et saot, ech sollen mech net unnerstihn, noch ehs heihin zu kommen, sons –!« Plötzlich emporschnellend riß sie die Augen weit auf, ihre schwarzen Augäpfel im bläulichen, schimmernden Weiß funkelten ihn an: »Et will mech schloan!« Aufkreischend hielt sie sich die zerlumpte Schürze vors Gesicht.

»Schloan – ?! Oho, dat wolle mir doch siehn!«

Schon war er an der Haustür – nun war er draußen – sie hörte ihn um die Ecke nach dem Stall biegen, seine Nägelschuhe klapperten auf dem Pflaster des Hofes. Rasch ließ sie die Schürze vom Gesicht sinken und horchte mit vorgeneigtem Kopf; ein verlegen-ängstliches und zugleich triumphierendes Lächeln spielte auf ihrem bräunlichen Gesicht und vertiefte zwei Grübchen. Ihre Wangen, die flaumig waren wie Pfirsiche, wurden rosenrot.

Jetzt rief er: ›Maria, Maria‹

Und eine Frauenstimmen antwortete im gleichen Tonfall: ›Josef, Josef!‹

*

Im Stall stand Maria Wallscheider und warf den Dung aus. Den Blaudruckrock hatte sie hochgeschürzt, ihre Beine, hager und sehnig wie die eines Mannes, waren bloß; ihre Füße steckten in Holzpantoffeln.

»Hott, hahrüh, willste parieren,« sagte sie gerade, als der Bruder unter die Tür trat, und patschte die Kuh mit kräftiger Hand auf die Lende.

Josef blieb auf der Schwelle stehen, die Hände in den Hosentaschen.

Sie schien ihn nicht zu bemerken, sondern blieb emsig bei der Arbeit.

»No!« Er lachte unwillkürlich auf, als eine Ladung Dung dicht an ihm vorüber flog, und wischte sich mit der verkehrten Hand ein paar Spritzer aus dem Gesicht. »Morjen, Maria! Siehste dann net, dat ech hei stiehn?«

»Ech haon dech net geruf!«

»Äwer du has doch geantwort!«

»Nor aus Gewöhntheit. Plaatz gemaach!« Sie schwang schon wieder die Gabel.

Mit einem unterdrückten Fluch sprang er zur Seite; dann sah er ihr ein paar Augenblicke zu, wie sie schaffte.

Sie arbeitete mit einer Art von Wut; als sei der Dung ihr Todfeind, so stach sie in ihn hinein und schleuderte ihn im Bogen durch die offene Tür auf den Hof, wo er mit dumpfem Klatschen niederfiel.

Die Hitze im Stall war unerträglich; ein beißender Brodem stieg von dem mit Jauche getränkten Boden auf, der die Arbeitende in eine Dampfsäule hüllte. Dicke Tropfen rannen ihr unter dem kattunenen Kopftuch vor und klebten das Haar von fahlem, glanzlosem Blond an die Schläfen. Ihre flache Brust keuchte.

Wie verärgert sie aussah! Der Bruder fühlte ein plötzliches Mitleid.

»Maria, maach de Bläß los,« sagte er begütigend, »un de Braune aach; mir wolle zosammen Grumbiere lege giehn. Dat haste doch eweil net nedig, dech met der Arweit hei esu ze eschoffieren? Loaß dat Kettche hei färdig schüppen!«

Ein jähes Rot schoß ihr ins Gesicht; den Kopf zur Seite wendend schien, sie mit einem Entschluß zu ringen. Ein paar Mal holte sie tief Atem:

»Dat – dat Kettche es net mieh hei – ech haon et fortgeschickt – – – fortgejagt, wannste dat besser verstiehst! Stieh nor un kuck mech an, als gäb der de Pettersillich verhagelt! Maanste, ech leiden esu en Framensch im Haus? Scharmuzzieren un flattieren, dat es schien einem Ehs à son aise. – äwer arweiden, nä!«

»No, no, bis still, Maria! Laoß dat arm Dingelche!«

Ihre Augen, grau und tiefliegend wie die des Bruders, loderten in hellem Zorn.

»Wat saoste – arm?! Lidderlich! Hinnern Zaun, duh gehört et hin. Mech hat dän Hawer gestoch, dat ech uf dem Alden sein Betteln gehört haon und haon et als Magd in't Haus geholt. Mag et eweil met seim Vadder, dem Simpel, dem Schnapssöffer, Schwein hüten am Mosenkoap – maanswäjen!«

Josef blieb vollständig ruhig. Nur bleich war er geworden, man sah es an seinen erblaßten Lippen; das sonn- und wetterzergerbte Leder der Haut ließ weder Röte noch Blässe durchscheinen. Mit einem großen Schritt trat er über die Schwelle und kam der Schwester näher:

»Maria, mir wollen uns doch wäjen su ebbes net querellen. Achtunzwanzig Jaohr, su ald wie ech sein, hammer zosammen gehaust; duh waor nie neist Onüwles. Un dat erschte Maol, dat ech meinen Koap for mech haon, bis du dawidder! Wat hat der dat Kettche gedahn, saog!«

»Mir – mir gedahn?!«

Sie ließ die Mistgabel fallen und trat dicht an ihn heran; ihre geblähten Nasenflügel bebten, ihr Mund zuckte wie von verhaltenem Weinen. Sie ballte die Faust: »Och dat! Du saost et sälwer, hammer net achtunzwanzig Jaohr geläwt wie im Paradies?! Haha! Dat haot eweil en End. Unnen im Dorf laachen se: Olau, so dumm! Mer muß sech scheniere. Achtunzwanzig Jaohr waorste gud genug, om dich for dän Mosjö ze plagen, ze travalljen wie en Peerd! Wuh sein meine guden Jaohr – hä, du?!«

Sie trat ihm noch näher; das Kopftuch war ihr heruntergerutscht, er sah die grauen Fäden in ihrem Haar.

»Ech waoren aach siebenziehn Jaohr wie dat Kettche, ech hatten aach Backen wie en Appel. Fraog noren dän Hannes unnen zu Meerfeld, un dän Nikla owen zu Manderscheid, un dän, un dän! Ech konnten ihrer mieh kriehn wie dat Kettche, dat dumm Dingen! Äwer ech haon keinen angesiehn. Du gingst noch in de unnerste Klass – wän sollt for de Wirtschaft sorgen, uns Bißche zusammenhaalen, wat de Eltern hinterlaß haon? Un du hingst mer alleweil am Schürzenzippel, un wann jemand nor for Spaß saot, hän wollt dein Maria wegholen, dann dähtste kreischen. Un duh saot ech: ›Nä, nä, laoßt mech all zefrieden, uns Modder sälig haot hän mer in den Arm geläjt – nä, nä, ech bleiwen beim Josefche!‹«

Marias Stimme hatte das Schrille verloren – nach und nach; als fiele aller Zorn ab, je mehr die Erinnerungen herandrängten und am Herzen rüttelten.

Josef sprach kein Wort; wie gebannt starrte er auf die grauen Fäden, die das Haar der Schwester durchzogen.

Und sie sprach weiter, ihre flache Brust hob sich stolz:

»Un ech haon der aach ebbes geschafft. Als uns Modder starw, hatten mir noren ein Kuh; als uns Vadder starw, hatten mir aach noch net mieh – äwer eweil Hammer zwei Küh, un zwei Ziegen, un zwei Schwein, un –«

Er unterbrach sie, ganz überwältigt von einer Erinnerung: »Jao, jao, ech weiß noch, als du uns erscht Schwein gekaaft hatt'st! Dan Dag vor meiner erschten heiligen Kommunion! Ech hatten meinen staatsen Rock anprowiert un de neien Stieweln – Jesses, waoren ech esu nobel! – duh riefste uf'm Hof: ›Kuck, Josefche, uns Schwein, uns Schwein!‹ Duh liefen ech rasch für ze kucken. Un dat Schwein rannt mech üwer – bonz onnen, bonz owen, duh lagen ech im Dreck!«

Mit einem nicht enden wollenden, schallenden Gelächter klatschte er sich auf die Lenden. Auch der Schwester herber Mund verzog sich zu einem Lächeln. –

Von der Geschichte mit dem Schwein waren sie ganz hin genommen, liebevoll versenkten sie sich in alle Einzelheiten. Dem Josef schien die Maria lange nicht mehr so umgänglich gewesen; und sie wiederum sprach in einem Ton, als sei der stämmige, starkknochige Bauer mit dem Stiernacken noch der kleine Bruder, den man ihr einst anvertraut hatte – ›Gib Obacht, Maria!‹ – der kleine Bruder, der sich nachts fürchtete und nur in ihrem Bett schlafen wollte – der Bruder, der all sein Lebtag von der älteren Schwester abhängig gewesen war.

Mechanisch hatte sie die Mistgabel wieder aufgenommen, aber sie setzte die Arbeit nicht fort, sondern stützte sich nur auf den starken Holzstiel, stemmte das Kinn auf die aufgestützten Hände und las so dem Bruder die Worte von den Lippen.

Ihre Gesichter waren sich ganz nah, Auge in Auge, fast Wange an Wange; ihre Atemzüge vermengten sich.

»Weißte noch?« fragte Josef.

Maria antwortete: »Jao, jao, ech weiß!«

Und dann fragte sie, mit merkwürdig gedämpftem Klang ihres scharfen Organs: »Josef, weißte noch?«

Und er antwortete lachend: »Der dausend, Maria, justement haon ech daodran gedaach!«

Sie erzählten und erzählten, zogen die Mäuler breit und stießen sich gegenseitig mit den Ellbogen an. Zuletzt lag der Schwester Hand auf der Schulter des Bruders.

Plötzlich schreckten sie auf. Die Bläß hatte kräftig mit dem Schwanz nach rechts und links geschlagen, sich umgesehn, als sei sie verwundert, und dumpf gebrüllt.

»Jesses!« Maria lud hastig die Gabel voll. »Duh stieht mer nau un faullenzt!«

»Hü!« Josef machte sich daran, das unruhige Tier loszubinden.

»Komm ehs, Maria! Laoß dat Kettche hei färdig maachen!«

»Kettche –!« Maria war zusammengezuckt und ließ die Gabel aufs Pflaster klirren.

Er hörte es nicht; sein Ohr glaubte ein leises Kichern vernommen zu haben – dort von der Luke kam's, die aus dem Bodenverschlag nach dem Hof ging – und dahin lauschte er jetzt mit allen Sinnen.

Aber jetzt zeterte Maria los, ganz im alten scharfen Ton: »Kettche hin, Kettche här! Ech haon't der gesaot, ech leiden et net mieh in meim Haus. Verstannen?!«

Ihr Ton empörte ihn, der Umschwung war zu jäh. »Du leidst et net?! Äwer ech! Verstannen?!«

Sie lachte ihm ins Gesicht.

Das schwere, dicke Blut stieg ihm zu Kopf.

»Maach!« sagte er drohend.

»Haha« – ihre Stimme klang grell und mißtönend – »spill dech nor net esu uf! Wat du saost!« Sie schnippte mit den Fingern. »Ech leiden dat Mensch net!«

»Et bleiwt,« schrie er sie an.

»Et bleiwt net!« Sie stemmte die Arme in die Seiten.

Immer lauter erhoben sich die Stimmen.

»Un ech saon der, dat Mädche bleiwt!«

»Un ech saon der, et gieht! Ech duhn, wat ech will, in meim Haus!«

»In deim Haus?!« Nun lachte er ein schwerfälliges, rauhes Lachen. »Wuh es dann dein Haus? Ech kennen dein Haus net. Hei dat es mein Haus, un kein annren hat drin zu kommandieren wie ech. Mein Haus, mein Haus!«

Sie sah ihn starr an. Die heiße Röte auf ihrem Gesicht hatte einer fahlen Blässe Platz gemacht. Mit beiden Händen fuhr sie sich nach dem Halse, als würge sie da etwas. Ihre Lippen zitterten.

»Wem et net gefällt hei in meim Haus, dän kann giehn,« schrie er grob.

Da stieß sie heraus: »Esu hammer net gewett! Et es mein Haus. Ech haon't alles erarweid – mein is et!«

»Oho! Ech sei dän Sohn! Ech haon et ererwt! Ech sei dän Bauer! Biste ruhig?! Gieh bei de Hähren uf't Gerich, duh kannste't läsen, schwaarz uf weiß: mein is et!«

Mit funkelnden Augen maßen sie sich, die Köpfe mit den kantigen Stirnen vorgestreckt, als wollten sie sich gegenseitig die Schädel einrennen. Sie hielt bie Mistgabel umklammert wie eine Waffe; er ballte die Fäuste und brüllte: »Ke Wort mieh! Voran gemaach! Spann an!«

Das war zu viel. Sie kreischte auf: »Meinste, ech laossen mech von dir kommandieren? Du dummen Jong, noch lang net! Ech giehn!«

»Gieh, waor de willst!«

»Ech giehn aach. Äwer vorerscht zaohlste mech aus, bei Heller on Penning!« Drohend schwang sie die Gabel, er schlug sie ihr aus der Hand.

»Gieh bei de Hähren uf't Gerich,« äffte sie ihm nach, »duh kannste't läsen, schwaarz uf weiß: ech haon mein Deil ze kriehn. Hä, mei Geld!« Sie hielt ihm die flache Hand hin.

Betroffen wich er zurück; trotz seiner Wut dämmerte es ihm: sie hatte recht! Mit einem Fluch fuhr er sich in die Haare. Wenn sie Auszahlung verlangte?! Bar Geld hatte er nicht. Er mußte verkaufen, verkaufen! Hof hin, Haus hin und Acker und – – – –

In stummer Ratlosigkeit stierte er drein.

»Wie du mir, su ech dir,« sagte sie hart.

Ihre Blicke kreuzten sich feindselig in stummem Trotz.

»Un ech heiraoden dat Kettche doch!« stieß er plötzlich heraus und stampfte mit seinem derben Nagelschuh auf, daß das Pflaster dröhnte.

»Heiraoden – ?! Uf wat dann?« höhnte sie. »Äwer meinswäjen, heiraod! Zaohl mech aus! Ech heiraoden aach!«

In maßlosem Erstaunen riß er den Mund auf und starrte die Schwester an mit vorquellenden Augen. Die und heiraten!? Er mußte laut auflachen.

»Jao, heiraoden, warum net? Meinste, ech kriehn keinen mieh? Dän Nikla vom Mosenbauer nimmt mech alle Dag!«

»Dän –?!« Er zuckte verächtlich die Achseln. »Dän schuns im Kittche gesäß haot, dän armseligen Knecht?!«

»Knechte gänn Hähren!«

»Hän es kaum zwanzig!«

»Schadd neist!« sagte sie trocken. »Es dän Mahn jung, de Frau alt, gift et en kleinen Haushalt!«

»Ech leiden et net! Du bis doll!«

»Ackerat so wie's du! Ech dän Knecht – du de Magd!«

Sie brach in ein gellendes Gelächter aus, warf den Oberkörper hintenüber und fuchtelte mit den mageren Armen in der Luft herum. »Oder vielleicht es dän Kämpenich unnen von Meerfeld mieh nach deinem Ehs. Gesetzt genug es dän – neun Könner haot dän – verschuldet es dän aach, dem kommen meine Groschens gud zu Paß.« Sie streckte dem Bruder beide Handflächen hin: »Zaohl mech aus!«

»Haal dei Maul!« Er packte ihre Hände, ihre Arme, und rüttelte sie. Eine sinnlose Wut überkam ihn, als er ihr hohnlachendes Gesicht sah, als er ihre Knochen unter seinen Fäusten fühlte. Laute ausstoßend wie ein wildes Tier, drängte er sie Schritt für Schritt rückwärts; mit einem Krach warf er sie dann gegen die Hinterwand des Stalles.

»Verdammtes Fraumensch!«

Sie taumelte von dem Stoß und fiel schwer aus die Kniee.

Er stand über ihr mit geschwungenen Fäusten, ein wildes Flackern in den Augen.

»Schlaog!« ächzte sie, ohne sich nur die Arme zum Schutz über den Kopf zu halten. »Ech leiden dat Kettche net! – Schlaog zu!«

Ein tiefes Atmen ging durch den Stall – ein Schnaufen – ein Stöhnen – –

»Nä,« sagte er plötzlich kurz und wendete sich ab.

Neben die Bläß tretend strängte er sie los, dann die Braune. »Hüh, voran!«

Jeder gab er einen Schlag und einen Fußtritt, daß sie mit gehobenem Schwanz und erschrecktem Muh!' zur Stalltür hinaus auf den Hof stürzten.

*

Unter dem stählernen Himmel fuhren die Geschwister hin.

Langsam, halb im Schlaf, zogen die Kühe an; die Räder des Karrens knarrten und quietschten und holperten in den ausgetrockneten Geleisen des Weges. Die weißen Häuschen von Bettenfeld, die wie Spielzeug über die grüne Matte verstreut liegen, waren verschwunden.

Die weite Hochlandseinsamkeit dehnt sich aus. Grün die Halden, grün die runden Bergkuppen, grün und kurzrasig, ohne Bäume und ohne Schatten. Blendendes, flimmerndes Licht überall. Ein sengender Geruch steckt in der Luft; das junge Gras, kaum dem vom Winterschlaf erwachten Boden entsprossen, ist schon verbrannt bis in die zarten Wurzeln. Die Luft steht still; da rührt sich kein Gräschen. Der Himmel spannt sich in einem unbarmherzigen Glanz, ungetrübt bis zum fernsten Horizont; hart, blank, wie ein eherner Schild.

Glanz, Glanz überall. Das Auge tränt und blinzelt und senkt sich scheu, die gerötete Stirn schmerzt, die Brust atmet beladen vom schweren Druck der Luft.

Müdes Schweigen. Unterm glühenden Sonnenstrahl duckt sich das Leben, wagt keinen Laut. Erstorben ruht das Hochland, ausgesogen, ausgebrannt, ganz überschüttet von gewaltigen Fluten brennenden Lichts.

Und auf die große Stille nieder blickt der Herr des Hochlands, der all die Kuppen weit überragt, der Mosenkopf mit seinem öden Kratergipfel, dunkel und drohend.

Immer rauher wird der Weg – hier ein Lavablock, dort ein Lavablock – sie liegen, schwärzlichen Ungetümen gleich, im grünen Gras. An ihren Rücken in die Höhe steigen dornige Ranken, und in ihrem spärlichen Schatten weidet die Schweineherde von Bettenfeld. –

Inmitten seiner Herde stand der Hirt; der zerfetzte Mantel hing ihm schlaff über den Rücken, die Schnapsflasche guckte aus der Lederhose, die Sonne brannte durch seinen löcherigen Hut. Er grinste und brummte, nahm sein gewundenes Horn und tutete hinein – langgezogene, unmelodische Töne, die wie Klagerufe in die Weite irrten und versiegten im Sonnenbrand.

Als der Karren des Wallscheider vorüber humpelte, ließ der Hirt das Horn fallen und zog die Schnapsflasche hervor; mit einem Grinsen hielt er sie dem Bauer entgegen.

»Sauf – sauf,« lallte er, »dat Kettche – dat Kettche – hihihi!«

Josef tat, als sähe er den Alten nicht, blickte starr geradeaus und ließ mit einem ungeduldigen »Hott, hahrüh!« den Kühen die Peitsche auf den Rücken sausen, daß sie, aus ihrem Halbschlaf aufgeschreckt, davonjagten, mitten zwischen die Schweine.

Der Hirt schimpfte, das Rüsselvieh stob grunzend nach allen Seiten, Maria lachte – ein böses, scharfes Lachen – und Josef fluchte in sich hinein. Mußte ihnen der auch gerade jetzt begegnen!

Ingrimmig hieb er auf die Kühe, rascher rollten die Räder, aber der Alte lief nebenher. Er hatte die Rechte auf den Karrenrand gelegt, in der Linken schwang er die Schnapsflasche; er lachte und schimpfte in einem Atem. Das Kauderwelsch seines zahnlosen Mundes war schwer zu verstehen, nur ein Name stach deutlich daraus hervor: ›Kettche‹ und wieder ›Kettche‹.

Und hinten im Karren, zwischen den Säcken mit Saatkartoffeln, kauerte Maria; und wenn der Bruder vorn auf dem Brett sich auch nicht umdrehte nach ihr, er glaubte doch das schadenfrohe Leuchten ihrer Augen zu sehen und das höhnische Zucken ihres Mundes.

»Laoßt los!« schrie er den Alten an. Aber in tollen Sprüngen setzte der Simpel nebenher und lallte und grinste und juchzte.

»Ech gradelieren aach zum Schwiegervadder,« sagte plötzlich Maria laut und langsam. Es war das erste, was sie sprach; schweigend hatten sie den Hof verlassen, schweigend waren sie bis hierher gefahren.

Josef zuckte zusammen, das Rot des Zornes und der Beschämung stieg ihm glühend zu Kopf; mit einem Fluch hob er die Peitsche und sich halb umwendend, schlug er nach dem Alten: »Läßte los!«

Mit dumpfem Heulen ließ der Blöde den Karrenrand fahren; wie vom Veitstanz befallen hüpfte er auf einem Bein herum. Sein von grauen Bartzotteln überwuchertes Gesicht verzog sich zu einer kläglichen Grimasse; er weinte wie ein Kind.

Maria lachte laut auf.

Da ballte der Alte die Fäuste: »Deiwel, Deiwel« und spuckte hinter dem davonrumpelnden Karren drein.

Immer glühender wurde der Sonnenbrand, immer drückender die Luft.

Die Geschwister sprachen kein Wort.

Josef saß auf seinem Brett, ließ den Kopf auf die Brust hängen und brütete in sich hinein. Seine Stirn war dunkelrot, sie glühte in einer trocknen, verzehrenden Hitze. Vor seinen Augen tanzte der flimmernde Staub des Weges in lauter roten Punkten; einem feurigen Band gleich lief die Straße dahin, und Feuer, Feuer lief ihm auch durch die Adern. Vor seinen Ohren war ein Sausen wie von Flammen, die ein Sturmwind zu immer höherer Glut anfacht. Durch das Sausen, weit, weit, hörte er das Geheul des Blöden und nahe, ganz nahe das Lachen der Schwester.

Was ging ihn der Vater an?! Das Mädchen wollte er. Jetzt gerade!

Er stieß mit dem Fuß aus, als schleudre er so einen Stein aus dem Acker.

Wie alert und hübsch die war! Das fiel ihm erst recht auf, wenn er seine Schwester ansah. Und küssen konnte die! Unwillkürlich wischte er sich mit der verkehrten Hand über die trockenen Lippen. Noch fühlte er im verdunkelten Flur die weiche Gestalt an seinem Halse hängen, ihr Mund preßte sich auf den seinen; er wurde wie Wachs, so hart er sich auch stellte. Nein, was die Maria auch sagte …!

Er biß die Zähne aufeinander und dachte an den gestrigen Abend. Da war er noch einmal aufgestanden – er hatte schon im Bett gelegen – und war, barfuß, damit ihn die Maria nicht hörte, auf den Hof geschlichen, wo der Pumpenschwengel leise quietschte und das Kettchen stand, hemdärmlig, im kurzen Rock. Da hatte sie ihn genarrt, war zärtlich gewesen und doch spröde, und er hatte ihr die Heirat versprochen.

Ja, haben mußte er sie – haben! Eine Gier überkam ihn und zugleich eine unbezähmbare Wut.

Halb sich umwendend schielte er nach der Schwester. Die saß unbeweglich, den Rücken ihm zugedreht. Er sah nur ihre Schulterblätter, die herausstanden wie bei einem abgearbeiteten Pferd, ihr rotes, knochiges Genick und die dünnen Haarzöpfchen.

Und die wollte auch noch heiraten?!

Derentwegen sollte er seinen Hof verkaufen, der ihm allein zukam von Gott und Rechts wegen?!

Der Zankteufel! Das tat sie ihm nur zum Tort, jetzt, wo er sich nicht mehr kommandieren lassen wollte, wie er sich immer hatte kommandieren lassen – aber wart!

In einem grimmigen Lächeln zogen sich seine Lippen von den Zähnen zurück und entblößten die starken Hauer.

Er hob die Faust – höher – höher –

›Josef, se wird mir doch neist anduhn?! O, ech sein esu angst – se will mech schloan‹ – – – –

Das war Kettchens Stimme! Er sah wieder in ihre angstvollen Augen.

›Schwan, schloan‹ raunte etwas in ihm und rüttelte ihn, daß er bebte.

Er wußte nicht mehr, was er tat und dachte; in seinen Schläfen stach es, seine Pulse hämmerten, sein Stierkopf beugte sich vor, als wolle er eine Wand einrennen – durch! Jawohl, aber da stand jenseits die Gestalt der Schwester, hager und doch breit, die Beine fest aufgestellt, die Hände in die Seiten gestemmt, mit der Stirn, härter wie der härteste Stein am Mosenkopf: ›Ech leiden et net!‹ Eine ohnmächtige Empörung packte ihn, eine sinnlose Verzweiflung. Fort – er stieß mit beiden Füßen – die da, fort! Fort, die sich da hinstellte, breit und frech!

Josef schnappte nach Luft: ha – wär' die nur tot!

Jäh hatte ihn der Gedanke durchzuckt, nur für die Dauer eines Augenblicks; aber schon war der Gedanke zum Wunsch geworden, der ihn durchbrannte vom Scheitel bis zur Sohle.

Brütend saß Josef Wallscheider, ganz in sich versunken.

Und hinten im Karren saß Maria Wallscheider, hatte die Hände im Schoß verschlungen, als ob sie einen Rosenkranz bete; aber sie betete nicht. Ihre Gedanken irrten umher, immer wieder kehrten sie zu dem Bruder zurück.

Also dafür hatte sie ihn aufgezogen, daß er sich die hergelaufene Magd an den Hals hing und einen trunkenen Simpel Vater nannte?! Sie dachte nicht mehr daran, daß ihr mühsam Erarbeitetes und Gespartes von dem leichtsinnigen jungen Ding verbraucht werden würde, das nun im Federbett der Eltern schlafen und das schwarze Hochzeitskleid der seligen Mutter tragen sollte – sie dachte jetzt nicht mehr an sich, nur an den Bruder.

Die Wut war verraucht und all die anderen Gefühle, mit denen sie gestern abend dem Geflüster auf dem Hof gelauscht hatte. Dachte der Bruder, dessen Schritt sie so genau kannte, sie hätte ihn nicht aus der Kammer schleichen hören?! Auch sie schlich ans Fensterchen, und stand und belauerte die beiden, die als schwarze Schatten im Mondschein auf dem Brunnentrog saßen und sich umhalsten.

Jetzt fühlte sie keine Eifersucht mehr, eine andere Empfindung war erwacht. Ein starker Quell war in ihr aufgesprungen, der ihr Herz füllte bis zum Rand – das Muttergefühl, jenes große, seltsame, mit dem sie einstmals, selbst noch ein Kind, das kleinere Kind in ihre Arme geschlossen.

»Heilige Maria, Moddergotts, durch deine Seele gehen sieben Schwerter, bitt' für mich!«

Gern hätte sie den Bruder angerufen: ›Du, Josef, neist for ungud!‹ Aber das durfte sie doch nicht, sie war ja die ältere.

Und so preßte sie die zuckenden Lippen zusammen, daß kein Schluchzen sich ihnen entrang. Und sie senkte die Stirn immer tiefer in einer schmerzvollen Sehnsucht – nichts, nichts hatte sie auf der Welt als den kleinen Bruder! In einer stumpfen Traurigkeit fuhr sie dahin, das Gesicht zu Stein erstarrt. –

*

Die Sonne stand schon fast im Mittag, als sie den Acker erreichten.

In stummer Wut warf der Bauer die Säcke vom Wagen, in stummer Wut schirrte er auch die Kühe vor den Pflug und in stummer Wut zog er die Furchen, in denen die Schwester hinter ihm dreinschritt und die Stücke der Kartoffeln, Schritt um Schritt, in die Furche legte.

Nun waren sie schon siebenmal den Acker auf und nieder geschritten; noch immer sprachen sie kein Wort.

›Tot – tot – – –!‹ summte es in Josefs dickem Schädel. Weiter dachte er nichts; nur an dies eine Wort klammerten sich seine Gedanken. Mechanisch hob er die Peitsche, wandte den Pflug und trottete voran. Er hörte nicht, daß die Schwester hinter ihm drein keuchte; stark schritt er zu, ohne anzuhalten.

Es wurde ihr schwer zu folgen, aber sie sagte nichts; unermüdlich griff ihre Hand in die Schürze und senkte sich dann zur Erde. Den gekrümmten Rücken richtete sie gar nicht mehr auf. Sie sah nicht mehr empor zum Himmel, nicht in die sonnige Weite; nur auf der nägelbeschlagenen Schuhsohle des Bruders hafteten ihre Blicke, in seine Fußstapfen trat auch sie. Dicht folgte sie dem blanken Eisen des Pfluges.

Furche auf, Furche ab – Kartoffel um Kartoffel.

In eine Wolke rötlichen Staubes gehüllt waren Pflug und Kühe, Bruder und Schwester.

Kein Laut rundum. Glitzernd und gleißend lag das Hochland, die Sonne brannte und stach und biß. Vom Tal links, vom Tal rechts stieg ein glühender Brodem auf und kroch schwer über den einsamen Acker auf freiragender Höhe. Kein Windhauch.

Selbst das Wildwasser unten im Fischbachtal rauschte nicht mehr herauf. Und kein Rauschen stieg empor aus Wälderkronen; starr ruhten drunten die Baumwipfel, kein Lüftchen lispelte in den Blättern. Die Vögel sangen nicht, die Grillen zirpten nicht mehr. Schwüler ward es, immer schwüler. Lastend deckte der Himmel die Erde.

Noch schien die Sonne, aber ihr Schein war falsch. Und das falsche Gold blinzelte tückisch über Acker und Höhen, lächelte noch einmal betrügerisch hinunter ins Tal und war dann plötzlich verschwunden.

Dort, rückwärts, auf dem Gipfel des Mosenkopfes, thront eine Wolke, weiß und fest wie ein kleiner Ball – und da, auf der Höhe jenseits des Fischbachtals, thront auch eine. Die beiden Bälle lauern gegenüber wie zwei Gegner. Kein Atemzug, alles Erwartung. Noch stehen sie still.

Die siebzehnte Furche war abgeschritten, nun ging's in die achtzehnte.

Der Pflüger war blind und taub; er hörte nicht das leise: ›Josef‹, das bittend hinter ihm erklang. Das finstere Gesicht mit stumpfsinnigem Ausdruck auf die Brust geneigt schritt er voran; schwer war sein Tritt und zerstampfte die Erde, seine Stirn krampfte sich zusammen, sein Mund verzerrte sich, seine Faust ballte sich um den Peitschenknauf, wie ein blitzendes Messer fuhr die Pflugschar ins Erdreich: – tot – tot –! Er knirschte mit den Zähnen.

Ha, was war das?!

Die Kühe stutzen.

Er fährt auf, sein Mund öffnet sich zum wilden Fluch – – –

Quer über den Acker weg geht ein jähes Leuchten, rot, gelb und blau, wie von brennendem Schwefel. Ein Schlag trifft ihn vor den Kopf wie ein Beilhieb – geblendet, taumelnd, betäubt schließt er die Augen – krach, zugleich ein Donner, ein Schlag, kurz und furchtbar, der die Erde zu spalten scheint, den Acker mittendurch reißt und hinunter ins Tal fährt.

Stille.

Wie gelähmt steht er.

Und dann ein Laut – – –

Eine eisige Hand packt ihn ins Genick; er muß sich wenden. Zum ersten Mal sieht er zurück.

»Maria!«

Das ist ein Schrei, furchtbar wie die Stimme des Himmels. Gellend bricht sich der Angstschrei des Bruders an den Höhen und hallt im schauerlichen Echo wieder.

Da liegt sie in der Furche, zusammengefallen wie ein Bündel Lumpen. Von ihrer linken Schläfe abwärts zieht sich ein Streif, unheimlich schwarz und seltsam, über die Wange, über den Hals. Ihr Kleid ist versengt; längs Ärmel und Rock, gerade herunter klafft ein Riß mit verkohlten Rändern, und der blaue Strumpf, halb heruntergerutscht von der Wade, brennt. Sie verdreht die Augen und stöhnt.

Es wird Nacht.

»Hilf! Hilf!«

Ein Mensch, sinnlos vor Entsetzen, brüllt in die verfinsterte Einsamkeit.

»Hilf! Zu Hilf!«

Und das Gewitter antwortet, Schlag um Schlag. Auf Blitz folgt Donner, auf Donner Blitz. Die Welt bebt.

»Zu Hilf! Maria – Maria!«

Er will sie aufraffen, schwer zieht ihr Körper ihn mit nieder; er liegt auf den Knieen und hält sie in den Armen. Fahl ist ihr Gesicht im schwefligen Schein, schrecklich stiert der schwarze Streif aus der Todesblässe. Ihre Nase wird spitz, klebriger Schweiß rinnt über die Stirn. Sie ringt nach Luft, sie will sprechen und kann nicht.

»Maach Buß un Reu, Maria! Buß un Reu!«

Hastig faltet er ihre schlaffen Hände und spricht ihr vor, zitternd und stotternd:

»Ich bereu all meine Sünden aus Furcht vor Strafe – Herr, erbarme dich meiner! Ich bitt dich demütig um Vergebung meiner Sünden – um ein gnädiges Gericht – sei mir gnädig! Ich armer Sünder bitt dich, erhör mich!«

Ihre Lippen zittern, sie bäumt sich in seinen Armen, ihre gefalteten Hände reißt sie auseinander und krallt mit einem Ächzen ihre Finger in seinen Kittel. Ihr brechender Blick sucht den seinen.

»Erbarm dich!« stöhnt er. »Jesus, Maria, Josef, euch schenk ich meine Seele!«

Ein wunderbarer Ausdruck gleitet über das Gesicht der Sterbenden; aus ihrer Kehle dringt ein Gurgeln, ein Lallen:

»Jo–sef!« Ihr blasser Mund verzieht sich zu einem Lächeln.

Und dann ein Seufzer aus den Tiefen der Seele. Schwer sinkt sie ihm an die Brust.

Sie fällt ihm aus den Armen – tot.

Und er heult auf wie ein wildes Tier und ringt die Hände, und stößt sich vor die Brust und schlägt die geballten Fäuste gegen die Stirn, und rauft sich die Haare, und wirft sich über die Tote, und reißt sie in seine Arme, und drückt und schüttelt sie, und läßt sie wieder fallen, und springt auf und rennt davon, und kehrt zurück und wirft sich wieder bei ihr nieder, und springt wieder auf und tobt wie ein Rasender, und heult und heult.

Aber die Donner verschlingen seine Stimme, im Tosen der Lüfte verwehen seine Klagen in nichts. Der Himmel hat sich aufgetan, Ströme von Wasser stürzen nieder und ersäufen das Land. –

*

Josef war still geworden. Er schirrte die angstvoll sich aneinanderschmiegenden Kühe vor den Karren, schleppte die Tote vom Acker und legte sie ins Gefährt.

Stumm schritt er nebenher.

Langsam, langsam; Schritt für Schritt.

Es tobt in den Lüften und tost und lärmt, ein tausendstimmiges Echo brüllt tausendstimmige Klagen. Blitze durchzucken das Dunkel und erhellen es doch nicht; Schreie der Angst stößt der Wind aus und wird zum Sturm, der den Regen peitscht.

Ein furchtbares Rauschen geht durch die Nacht, ein Sausen und Heulen, und dazwischen ein Dröhnen, ein Tuten und Gellen – das sind die Posaunen des Gerichtes, das Ende aller Tage ist da!

Die Kühe stutzen und scheuen – da – der Karren schwankt – da der Mosenkopf! Ein leuchtender Blitz enthüllt für Augenblicke seinen Gipfel.

»Alle Heiligen!«

Mit einem Schrei schlug Josef Wallscheider das Kreuz. Eine Gestalt war neben ihm aufgetaucht, groß und ungeheuerlich, in flatternden Fetzen und wehenden Zotteln. Und es quietschte und grunzte und drängte sich um den Karren.

»Zu Hilf! Zu Hilf!«

Ein wieherndes Lachen antwortete, ein blödes Gekreisch: »Deiwel – Deiwel – hihihi!«

Da peitschte der Bauer die Kühe. Und das Lachen des Blöden hallte ihm nach, und das Dröhnen und Tuten des Hornes.

Zitternd stolperte Josef weiter; er schlug Kreuz um Kreuz, seine Lippen murmelten Gebete.

Er betete zu den heiligen vierzehn Nothelfern, zum heiligen Schutzpatron, zur schmerzhaften Muttergottes, den ganzen schmerzhaften Rosenkranz.

»Tränenvolle Mutter,
Betrübte Mutter,
Deines Sohnes beraubte Mutter,
Du Quelle der Tränen,
Bitt für uns!
Maria! Maria!«

Unablässig klang sein eintöniges Murmeln, die gefalteten Hände hielt er gegen den Mund gedrückt, seine Augen waren starr erhoben.

»Herz Mariä, mit dem Schwert der Schmerzen durchbohrt,
Erbarm dich meiner!
Maria! Maria!«

Knietief watete er durch Wasser. Donner umgrollten ihn, Blitze umzuckten ihn; er merkte es nicht.

Endlich lichtete sich die Nacht um ein weniges – da war das Dorf, da sein Haus! Die Kühe hielten an.

Verwundert stürzten die Nachbarn heraus; sie rüttelten ihn: »Hä, Josef, wat es passiert?!«

Schon umringten sie den Wagen. Sie fanden die Tote, starr und kalt, vom Regen durchnäßt, vom Hagel zerschlagen. Mit Entsetzensgeschrei und Gejammer schaffte man sie ins Haus.

Mit fliegenden Zöpfchen stürzte ihnen Kettchen entgegen. Ihre dunklen Augen funkelten neugierig; sie drängte sich dicht heran, ein hastiger Blick streifte die Leiche, sie kreischte leichthin auf, um sich dann rasch zu wenden: »Josef!«

Und schon hing sie dem Mann am Halse und flüsterte ihm ins Ohr und suchte seine Lippen.

Mit einem Fluch stieß er sie von sich. Und als sie noch stehen blieb und ihn anstarrte, riß er der Toten den Holzschuh vom Fuß und schleuderte ihr den ins Gesicht: »Gieh zum Deiwel!«

Er schwankt, seine Hände fassen ins Leere.

Stier wird sein Blick. Die Kniee brechen unter ihm, mit dumpfem Laut sinkt er über der Schwester zusammen.

Seine Hände tasten über sie hin – zupfen hier, streicheln dort – nun umfassen sie ihren Kopf und richten ihn ein wenig auf. Lange starrt er ihr in die verglasten Augen.

Und nun schnellt er empor. Sein wilder Blick fährt umher, die Arme hoch erhoben stürmt er zur Tür. Rechts, links fliegen zur Seite, die ihn halten wollen. Schon ist er draußen.

»Ech giehn bei't Gericht!« Furchtbar verhallt sein Schreien: »Ech – ech haon se erschlaon!« –


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