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X

In der Morgenfrüh ritten der Marquis und sein Diener ab. Das Pferd des Herrn lahmte nicht mehr, es war neubeschlagen. Trotzdem führte es der Schmied noch am Zügel.

Übernächtig und seltsam verstört sah das Gesicht des Marquis über der goldgestickten Uniform aus; er hatte schlecht geschlafen auf dem harten Lager, das ihm sein Wirt eingeräumt hatte. Lange bis nach Mitternacht hatten sie noch zusammen getrunken. Nun war's ihm heut, als habe er die Nacht, halb benommen vom Branntwein, mehr gesagt, als er hätte sagen sollen. Und dann hatte er geträumt, es säße ihm eine schwarze Katze auf der Brust, und die kratzte mit ihren Krallen alles heraus, was er da vergraben hatte.

Müde hing er auf seinem Pferd. Verstohlen faßte seine Hand immer wieder nach den Pistolen im Leibgurt; die gaben ihm Sicherheit. Daß er dem Kerl hier nur so hatte trauen können! Heute, im hellen Morgenlicht, kam ihm das harte Gesicht mit dem tief auf die Brust hängenden schwarzen Bart gar nicht so vertrauenswürdig vor. Der Mann hatte eine verschlagene Miene. Aber sie waren ja ihrer zwei gegen einen, wozu also die Unruhe, die ihm das Herz wie mit Klammern umgriff?

Desto aufgeräumter war Jean-Claude; er hatte gut geschlafen bei seinen Tieren. Der Schmied hatte ihn tüchtig rütteln müssen, ehe er aufwachte. Nun pfiff er sich leise eins. Die Luft war frisch, jeder Grashalm blinkte von Tau. Als die Sonne höher stieg, gab der Wald Schatten. Die Pferde kraxelten; wenn's gar zu steil war, stiegen die Reiter ab. Der Bursche fühlte keine Ermattung, er war jung und gesund, und es ging ja zur Mutter. Bald, bald würde er sie wiedersehen! Er sah schon ihr frohes Erstaunen. Am liebsten hätte er laut gesungen, er fühlte sich heute so froh und frei wie der Vogel auf grünem Zweig.

Endlich nahm sie der Kondelwald auf. Eine gebahnte Straße; sie ritten schneller. Merkwürdig, wie gut der Führer mitkam, er machte lange, weit ausholende Schritte.

Die Sonne stieg höher, die Pferde schwitzten, der Wald, so hoch und schattig er auch war, gab nicht Kühle mehr. Immer wieder fuhr sich der Marquis mit seidenem Tuche über die Stirn: eine bedrückende Wärme. Und die Stille ringsum bedrückte ihn auch. Er wäre jetzt lieber durch Dörfer geritten. Ihn verlangte plötzlich nach anderen Menschen. Der Führer war schweigsam, die kurze Tonpfeife im Mundwinkel, stieß er nur ab und zu große Dampfwolken von sich. Ob sie denn nie den Paßweg erreichen würden, die Kapelle, von wo ein anderer Führer ihn weiterbringen sollte? Endlos war dieser Wald! Er flößte ihm Argwohn ein. Bäume, Bäume, nichts als Bäume. Ihre Stämme leuchteten zwar gleich Smaragd, von grünem Moos wie mit Samt bezogen, aber sie ließen keinen Durchblick zu auf bewohnte Gegenden. Und dies lastende Schweigen! Gott sei Dank, endlich eine Aussicht!

Wie ein Bildchen im Rahmen, fein getuscht und zart in den Farben, tauchte plötzlich das Kloster der Marienburg auf. Es lag hoch über Weinstöcken, helle Sonne beglänzte es freundlich. Aber der Führer wies weiter rechts ab, wo auf nacktem Felsgrat – links die Mosel, rechts tiefe Schlucht – die Reiler-Hals-Straße sich zieht.

Hier war es erst recht heiß. Die Luft stand still und rührte sich nicht, die Sonne gloste auf der Felsrippe. Die Pferde stolperten und gingen unsicher. Eidechsen huschten über den Weg, ein paar Nattern lagen geringelt und sonnten sich. In der Schlucht zur Rechten ein schwarzer Wald; im Rücken, fern auf einem Felskegel, Burg Arras. Hier konnte man rufen, sich heiser schreien, niemand war da, um es zu hören.

»Sind wir bald da?«

»Bald da«, gab der Führer einsilbig Antwort.

Schmaler und schmaler wurde der Felsgrat – eine verfluchte Paßstraße! Da, scheinbar am Ende, zwei sich gegenüberstehende Felsen, und im kleinen Ausschnitt der Sperre ein winziges Kapellchen. Ungetüncht ragten seine rohen Steinmauern unter dem tief gerutschten Schieferdach.

»Haaalt!« Über den einen Felsblock schob sich ein Gewehrlauf, und nun drohte auch einer von der anderen Seite.

» La bourse ou la vie!« Behende Gestalten sprangen eiligst hervor, sie fielen den Pferden in die Zügel. Der Marquis gab seinem Roß die Sporen, es stieg erschrocken und schlug mit den Vorderhufen in die leere Luft. Ein Überfall! Nun hatte der Reiter die Wahl: entweder ein Sprung mit dem Pferd links hinab in die Mosel – kerzengerade ging es hinunter – oder sich verteidigen, so gut es ging. Die Gefahr gab d'Aubry alle Kaltblütigkeit wieder. Er riß seine Pistole heraus, der Hahn knackte – o weh, die war ja entladen! Schon umringten ihn mehrere. Er schrie nach dem Schmied – der war verschwunden.

D'Aubry fühlte sich vom Pferde gerissen. Er sah kaum mehr, er hörte kaum mehr, es ging alles so rasch. Er lag am Boden, um seine Hände, um seine Füße schlang sich ein Strick. Er wollte schreien, da stopften sie ihm den Mund zu. Ein Knebel – oh, er kannte das! So wird's gemacht, wenn man jemand ausrauben will.

Mit Blitzesschnelle schoß in ein paar Minuten sein ganzes Leben an d'Aubry vorüber. Der Kapitän d'Aubry war nicht d'Aubry mehr, er war wieder der Galeerensträfling, der er einst gewesen, stinkende Luft im Bagno, der schwere, mit Eisen beschlagene Knotenstock des Argousin Aufseher. zerfleischte ihm den Rücken! Verzweifelt stieß der Gefesselte mit den Füßen, er suchte den Strick zu sprengen, er wälzte sich nach dem Rande zu: lieber hinab, versaufen! Wie die Kerle hohnlachten! Er fühlte räuberische Hände, die ihn abtasteten. Sie fanden alles, sein Geld, seine Preziosen; die Ringe rissen sie ihm von den Fingern, als er die Finger krumm machte, brachen sie sie ihm auf. Er sah: der Hauptmann steckte sich gleich seinen schönsten Ring an und seine kostbare Uhr in die Tasche.

In wütender Ohnmacht lag d'Aubry, sein Herz setzte aus in eisigem Schreck: sollte das die Vergeltung sein, Vergeltung für vieles?! Er stöhnte schwach.

Den Bückler reizte die Uniform. Die blinkerte so. Herunter mit ihr! Seine Julie kam hinter dem Felsblock vorgekrochen, ihre Augen musterten neugierig den gefesselten Mann: ein schöner Kerl war's. Aber ihr Hannes, der war doch noch schöner, den würde die goldgestickte Uniform erst recht prächtig kleiden. Geschickt halfen ihre Hände, dem sich noch immer Bäumenden die Uniform abziehen; es war nicht so leicht, er wehrte sich noch trotz der Fesseln. Rock herunter, Hose herunter! Sie ließen ihm nichts als die Unterbeinkleider, das Hemd und die Papiere auf seiner Brust; die hatten für sie ja keinen Wert.

Auf den nackten Fels häuften sie die gemachte Beute, schütteten die Karline, die Dukaten, die Louisdors aus; sie wollten gleich teilen. Die Uniform nahm sich Bückler noch als seinen Hauptmannsanteil.

»Zieh sie an, zieh sie an«, drängte die Bläsius. Er zog sie über, seine Liebste half ihm schäkernd dabei. Nun war er ein feiner Franzos, ein General, es erkannte keiner in ihm den Strauchdieb. Wie einst auf der Hunsrücker Landstraße beim Kallenfelser Hof, so stolzierte er jetzt hier in der Moselsonne. War er nicht schön? Er blähte sich wie ein Pfau. Diese Verkleidung war lustig.

Jean-Claude, der auch am Boden lag – wie ein Klotz war er vor Schrecken vom Pferde gefallen –, richtete sich jetzt zitternd ein wenig auf: »Mein Herr ist der Marquis de la Ferrière und reist in besonderem Auftrag – aber er ist gar kein Herr Marquis –, ich bin sein Bursche, ich kann nichts dafür! Pardon, pardon, ich will ja zu meiner Mutter!«

Sie lachten roh über des Burschen Angst, nur der Hauptmann hieß gutmütig den Wimmernden aufstehen. »Dir geschieht nix. Halt's Maul. Fürerst bleibst du bei uns. Da, halt die Peerd!« Sie gaben ihm die Zügel in die Hand, und er hielt die krampfhaft. Die Tiere, die ihn kannten, standen ganz still.

Wo war Hans Bast? »He, nimm auch dein Teil!« Der Bückler winkte mit einem Beutel.

Der große Mann hatte sich abseits gehalten, hinter einen Busch war er flugs getreten; dort stand er und schaute starr in die Waldschlucht zur Rechten hinunter, als ginge ihn dies alles gar nichts mehr an. Seine Stirn war zusammengezogen, unter den starken Brauen brannten die Augen.

»Ich will kein Geld.«

Hoho, Hans Bast war doch sonst nicht so?! Das nahm alle wunder. Der bestand doch, wenn er etwas ausbaldowert und eingefädelt hatte, stets auf seinem Anteil.

»Ich will heut nix. Könnt meinen Part auch noch verteilen. Was macht ihr jetzt mit dem Kerl da?« Er nickte nach dem Gefesselten hin.

»Den lasse mir laufen«, meinte nachlässig der Bückler.

Dagegen war aber Iltis-Jakob und die anderen auch. »Wir sperren ihn da in't Kapellche ein«, schlug der Jakob vor. »Ob er dann drin verhungern tut, oder ob einer vorbeikommt und ihn erausläßt, dat is sein Pech oder nit sein Pech.«

»Meinswegen!« Der Hauptmann lachte.

»Nein«, sagte Hans Bast nachdrücklich. »So nit. Den Mann, den forder ich mir als meinen Anteil.« Er stieß den Hilflosen mit dem Fuß an: »Steh auf!«

D'Aubry konnte nicht aufstehen. Da schnitten sie die Fesseln an seinen Füßen durch und halfen ihm auf. Das feste Binden hatte ihm alles Blut in den Beinen abgeschnürt, er war kaum fähig, sich zu bewegen; und wie betäubt stand er.

»Komm«, sagte Hans Bast, legte ihm beide Hände hinter die Schultern und schob ihn so vor sich her. »Mit dir han ich noch ebbes in't reine zu bringen.«

Sie ließen den Krinkhofer achtlos gehen. Mochte der mit dem Franzosen anfangen, was ihm beliebte, er hatte oft seltsame Launen. Sie waren ganz hingenommen von ihrer Beute, die war reicher, als sie gewöhnlich eine bei Reisenden machten. –

Hans Bast schob seinen Gefangenen vor sich her; zur Rechten, immer tiefer hinab in die Waldschlucht. An einem Bächlein machte er zuletzt halt. Der Grund war hier hoch mit Farnen bewachsen, und es war da viel üppiges Buschwerk.

»Knie nieder«, sagte Hans Bast. Er nahm dem Franzosen den Knebel aus dem Mund. Gierig sog d'Aubry die Luft ein, er war dem Ersticken nahe gewesen. Ein Schimmer von Hoffnung schoß ihm durch den Kopf: wollte der ihn entwischen lassen, nachdem er nun ausgeplündert war? Nur an seinen Händen war er noch gefesselt. Aber das »Knie nieder!« klang so furchtbar. Er fiel auf die Knie.

»Sag mir,« fuhr der Richter fort und bohrte seine Blicke tief in die des zu Richtenden, »sag: Hast du in diesem Frühjahr ein Mädchen überfallen auf der Landstraß, nit weit von Trier?«

Wo hinaus sollte das? Der Beängstigte überlegte rasch: er erinnerte sich plötzlich ganz deutlich – ja, ja. Aber war es nicht besser, zu sagen: nein –?! Er wich aus: »Ich weiß nicht.«

»Halunk du, sprich die Wahrheit! Im Frühjahr is et gewesen – eine einsam Wandernde war 't! Dein Diener ist mit dir geritten – du, du machst mir nix vor!«

O weh, der Bursche, der hatte es verraten! Eine Welle von Angst überströmte d'Aubry und dann von Wut – wenn er noch einmal freikommen sollte, der Jean-Claude sollte es büßen, den schlug er tot! Er knirschte mit den Zähnen. Aber dann raffte er all den Hochmut zusammen, dessen er in seiner kläglichen Lage fähig war: »Der Bursche lügt! Parole d'honneur, ich gebe mein adliges Wort zum Pfande, mir ist nie ein Mädchen auf der Landstraße begegnet – habe nie eins gesehen, nie eins angesprochen, nie eins mit einem Finger berührt! Bin ein Edelmann, der armselige Schlucker erzählt nur Lügen. Verleumdung! Er will sich rächen. Ja, rächen,« fuhr er hastig fort, als fiele ihm jetzt etwas ein, »ich habe ihn mit dem Stiefelabsatz getreten, er war dumm und faul, es tut mir leid, ich will es nicht wieder tun.« Er sprach von Angst geschüttelt, seine Worte überstürzten sich. Wenn es ihm nur gelang, den da zu überreden!

Aber der finstere Mann schüttelte langsam den Kopf: »Spar deine Red. Fahr nit mit Lügen vor unseren ewigen Richter. Du hast dem Mädchen Gewalt angetan, dafür tu ich dir wieder Gewalt an. Schweig!« brüllte er, als der andere noch etwas entgegnen wollte. »Mach Buß und Reu, du mußt jetzt sterben.«

Sterben – sterben?! Ein irrer Schrei stieg von den Lippen des Gefolterten. Er faßte den Sinn noch nicht recht: sterben, sterben? Das konnte ja gar nicht sein. Nein, sterben konnte er, wollte er nicht! Er versuchte seine gefesselten Hände auseinander zu reißen, sie bittend zu heben. Seine Augen, die stier aus den Höhlen drangen, krallten sich förmlich fest an dem unerbittlichen Gesicht, das über ihm war. Ein Gesicht ohne Gnade. Er wimmerte um sein Leben.

»Feiger Hund!« Hans Bast zog seine Pistole unterm Wams vor, lud, zielte und ließ den Arm dann wieder sinken. »Nein, bist viel zu schlecht für Pulver und Blei, beug deinen Nacken und bete! Bete!« schrie er erbost und stampfte mit beiden Füßen.

Der Gemarterte stammelte sinnloses Zeug. Er hatte in seinem Leben nicht gebetet, nun fand er im Tode auch kein Gebet. Er konnte nur Irres wimmern.

»Nit emal beten kannste!« Der Mörder sprach es verächtlich. Und dann zog er sein Messer, einen Nickfänger, den er im Hosensack trug. Er hob das Messer hoch mit kraftvollem Arm und stieß dann nieder mit Wucht in den zu Boden gebeugten Nacken.

Ohne Laut stürzte der Gerichtete vornüber und vergrub das Gesicht ins Farnkraut.

Hans Bast stand stumm. Da lag sein Opfer. Er betrachtete es. Dann zog er das blutige Messer heraus, hielt's in der Hand und sah, wie die roten Perlen abtropften, langsam, langsam.


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