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Am folgenden Tage schritt beim ersten Frühstück ein Mann am Ufer einer jener im Hintergrunde der Schwarzen Krampe versteckten Inseln hin und her. Das war Texar. Wenige Schritte von ihm saß ein Indianer in demselben Skiff, das am vergangenen Tage an den »Shannon« herangekommen war. Das war Squambo.
Nach ein paar Schritten blieb Texar vor einem Magnolienbaume stehen, zog einen der niederen Zweige zu sich herab und riß ein Blatt mit Stengel ab. Dann zog er aus der Brieftasche ein Blatt Papier, das nur drei oder vier mit Tinte geschriebene Worte enthielt. Dieses Papier rollte er zusammen und führte es so geschickt in den untern Nerv des Blattes ein, daß dasselbe in seinem Aussehen nicht im geringsten verändert wurde.
»Squambo!« rief Texar dann. »Mach dich auf den Weg!«
Squambo nahm das Magnolienblatt und legte es vorn in das Boot. Dann setzte er sich, und das Ruder führend, bog er um die äußerste Spitze der Insel herum und fuhr in eine gewundene, unter dem dichten Gewölbe der Bäume versteckte Durchfahrt hinein.
Der Indianer kannte seinen Weg genau, und wo ein Eingang zu erblicken war, dorthin lenkte er kühn sein Skiff. Die niedrigen Zweige, durch die er brach, schlugen hinter ihm zu, und niemand hätte erkennen können, daß jemand mit einem Boote durch diese eng verschlungenen Kanäle gefahren sei. Wenn das Wasser zu eng zum Rudern war, dann bewegte er sich weiter, indem er sein Ruder wie eine Stange handhabte.
Obwohl es schon heller Tag war und der dicke Dunstschleier der Nacht vor den Strahlen der Sonne zu zerreißen begann, konnte man doch den Eingeborenen unterm Schutze dieser undurchdringlichen Laubdecke nicht gewahr werden. Selbst beim höchsten Stande der Sonne drang kein Licht hier hinein. Dieser sumpfige Grund konnte auch nur ein solches Zwielicht gebrauchen, sowohl die Lebewesen, von denen es in dem schwärzlichen Naß wimmelte, als auch die tausend Wasserpflanzen, die an der Oberfläche wucherten, bedurften keines andern.
Eine halbe Stunde lang fuhr Squambo so von einem Inselchen zum andern. Erst als er einen der entlegensten Winkel der Krampe erreicht hatte, machte er Halt.
Hier war dieser sumpfige Teil der Lagune zu Ende, und die weniger eng zusammenstehenden, weniger dichtbelaubten Bäume ließen endlich das Tageslicht durchdringen. Jenseits erstreckte sich eine weite, von Wäldern umsäumte Prärie, die nur um weniges über dem Niveau des St. John lag.
Nachdem Squambo sein Skiff an einem Baumstumpf festgemacht hatte, stieg er an Land. Unter den fünf bis sechs Bäumen, deren Silhouette sich am Ufer undeutlich abzeichnete, stand ein Magnolienbaum, auf den der Indianer jetzt zuging. In wenigen Minuten war er da. Er zog einen Zweig herab und befestigte an seinem Ende das Blatt, das Texar ihm gegeben hatte. Dann ließ er den Zweig los, und das Blatt war unter den vielen andern nicht mehr zu erkennen.
Nun kehrte Squambo zu seinem Skiff zurück und fuhr wieder dorthin, wo sein Gebieter ihn erwartete.
Diese schwarze Krampe, die ihren Namen der dunkeln Färbung ihres Wassers verdankte, mochte eine Ausdehnung von etwa 500 bis 600 Acres haben. Sie hatte ihr Wasser vom St. John und war für jeden, der ihre endlosen Windungen nicht kannte, völlig unbefahrbar. Hundert kleine Inselchen lagen in ihr, die weder durch Brücken noch durch irgend welche Uebergänge miteinander verbunden waren.
Eine dieser Inseln, dem Umfang nach die größte, lag etwa in der Mitte des kleinen Archipels. In lange schon verflossenen Zeiten hatte auf dieser Insel ein kleines Fort, eine Art Blockhaus, gestanden, das jetzt, wenigstens in militärischer Hinsicht, verlassen war. Die halb herabgefaulten Pallisaden standen noch unter den hohen dichten Bäumen, Magnolien, Zypressen und andern, zwischen denen endlose Lianen in langen Guirlanden sich unentwirrbar schlangen.
Im Innern der Umzäunung entdeckte das Auge unter dem dichten Grün die geometrischen Linien des kleinen Vorwerks oder besser dieses Beobachtungspostens, der stets nur für eine Abteilung von etwa zwanzig Mann berechnet gewesen war. Um in das Fort selber zu kommen, mußte man die Umzäunung durch ein enges Ausfalltor durchschreiten, dann über einen mit ein paar Bäumen bestandenen Hof gehen, endlich etwa zehn Erdstufen hinaufsteigen, die durch Planken gestützt waren. Dann kam man an die einzige in das Innere führende Tür, die eigentlich weiter nichts war als eine alte, zum Eingang erweiterte Schießscharte.
Dies war der Schlupfwinkel Texars – eine Zufluchtsstätte, die niemand kannte. Für aller Augen verborgen, lebte er hier mit diesem Squambo, der seinem Herrn treu ergeben war, der aber ebenso wenig wert war wie jener, und mit einem halben Dutzend Sklaven, die ebenso wert waren wie der Indianer.
Von diesem Inselchen in der schwarzen Krampe bis zu der reichen Niederlassung an beiden Ufern des Flusses war, wie man sieht, ein weiter Schritt. Ein paar Haustiere, ein halbes Dutzend Acres an Grund und Boden, wo Bataten, Ignamen und Gurken gebaut wurden, etwa zwanzig Obstbäume in halb wildem Zustand, das war alles, worüber Texar verfügte, sofern man die Jagd in den nahen Wäldern und den Fischfang in den Lagunen, die zu jeder Zeit ergiebig waren, nicht rechnen will. Aber ohne Zweifel hatten die Bewohner der schwarzen Krampe noch andere Hilfsquellen, deren Geheimnis aber nur Texar und Squambo kannten.
Die Sicherheit des Blockhauses beruhte vor allem in seiner Lage selbst mitten in dieser unzugänglichen Wildnis. Jede verdächtige Annäherung wäre sofort von den Hunden der Insel gewittert worden, zweien jener wilden, von den Karaiben mitgebrachten Spürhunden, die ehemals die Spanier zur Jagd auf Neger verwendet hatten.
Texar war jetzt 35 Jahre alt. Er war von mittlerm Wuchs und kraftvoller Konstitution, die in dem Leben in freier Luft und unter beständigen Abenteuern, wie er es bisher geführt hatte, gestählt worden war. Spanier von Geburt, verleugnete er seine Herkunft nicht. Sein Haar war schwarz und grob, seine Brauen dicht, seine Augen grünlich, sein Mund breit mit schmalen, gekniffenen Lippen, seine Nase kurz mit den Nüstern eines wilden Tieres. Man sah ihm Hinterlist und Gewalttätigkeit sofort an.
Vor etwa zwölf Jahren hatte sich dieser Abenteurer in Florida niedergelassen, und zwar in dem verlassenen Blockhaus. Es fiel niemand ein, ihm diesen Besitz streitig zu machen. Wo er hergekommen war, wußte niemand, und er selber sprach nicht darüber. Was für ein Leben er früher geführt hatte, wußte auch niemand. Man vermutete – und traf damit die Wahrheit – daß er Sklavenjäger gewesen sei und ganze Schiffsladungen von Negern nach Georgia und den Karolinas verkauft habe. Anscheinend war er bei diesem erbärmlichen Handel nicht zu Reichtum gelangt. Im übrigen genoß er keinerlei Achtung dortzulande, wo es übrigens an Leuten seines Schlags keineswegs mangelte.
Obwohl nun Texar nicht sehr vorteilhaft bekannt war, spielte er doch im County und besonders in Jacksonville eine ziemlich einflußreiche Rolle, allerdings bei den unansehnlichsten Elementen der Bevölkerung. Sein Einfluß erstreckte sich auch auf verschiedene Ansiedler des St. John, die er öfter besuchte. Seit einigen Jahren war nun dieser Einfluß noch gestiegen dank den Meinungen, zu deren eifrigstem Verteidiger sich Texar hatte aufwerfen wollen. Kaum hatte die Sklavenfrage die Scheidung zwischen den beiden Hälften der Vereinigten Staaten veranlaßt, als der Spanier sich zum hartnäckigsten, entschlossensten Parteigänger der Sklavenhalter erklärte. Ihn selber konnte kein Interesse dabei leiten, da er kaum ein halbes Dutzend Schwarze besaß. Er verteidigte, wie er sagte, nur das Prinzip. Dabei appellierte er an die verwerflichsten Leidenschaften, regte die Habgier der Bevölkerung auf, trieb sie zur Plünderung, zum Brand, ja zum Morde an gegen die Einwohner oder Kolonisten, die die Gesinnung der Nordstaatler teilten. Und jetzt verfolgte der waghalsige gefährliche Abenteurer sogar die Absicht, die Zivilbehörde in Jacksonville zu stürzen und an die Stelle der Beamten, die gemäßigter Gesinnung waren und ihres Charakters wegen in hoher Achtung standen, die verbissensten seiner Parteigänger zu setzen.
Selbstverständlich hatten James Burbank und mehrere andere Pflanzer nicht unterlassen, die Manipulationen eines schon durch seine schlechten Charaktereigenschaften gefährlichen Mannes zu überwachen. Daher rührte jener Haß auf der einen, jene Verachtung auf der andern Seite, welche durch die bevorstehenden Ereignisse noch gesteigert werden sollten.
Zu dem wenigen, was man von Texars Vergangenheit, seitdem er den Sklavenhandel aufgegeben hatte, zu wissen glaubte, kamen obendrein noch sehr verdächtige Geschichten. Bei dem letzten Einfall der Seminolen schien er – wofür mancher Verdachtsgrund sprach – in geheimem Einverständnis mit ihnen gestanden zu haben. Hatte er ihnen Ratschläge gegeben und die Pflanzungen bezeichnet, die sie angreifen sollten? War er ihnen bei ihren hinterlistigen Ueberfällen behilflich gewesen? Dies schien in mehreren Fällen außer allem Zweifel, und infolge eines letzten Ueberfalles dieser Indianer hatten die Behörden den Spanier verfolgen, verhaften lassen und vor Gericht gestellt. Aber Texar lieferte einen Alibi-Beweis, – eine Verteidigungsmethode, die ihm später abermals glücken sollte – und stellte fest, daß er an dem Ueberfall einer im County Duval gelegenen Farm nicht beteiligt gewesen sein konnte, weil er sich zur selben Zeit in Savannah im Staate Georgia, vierzig Meilen weiter im Norden und jenseits der floridischen Grenze, befunden habe.
In den folgenden Jahren wurden mehrere schwere Diebstähle begangen teils in Pflanzungen, teils an Reisenden, die auf den floridischen Straßen überfallen worden waren. Auch diesmal fiel der Verdacht der Täterschaft auf Texar, aber wegen mangelnder Beweise konnte er nicht in Anklagezustand versetzt werden.
Endlich bot sich eine Gelegenheit, wo man den bisher unfaßbaren Verbrecher auf frischer Tat ertappt zu haben meinte. Dies war die Angelegenheit, wegen welcher er am verflossenen Tage vor den Richter von St. Augustine gerufen worden war.
Vor acht Tagen waren James Burbank, Edward Carrol und Walter Stannard auf dem Heimweg vom Besuch einer an Camdleß-Bai anstoßenden Pflanzung. Als gegen 7 Uhr abends die Nacht hereinbrach, hatten sie plötzlich lautes Geschrei vernommen. Sie eilten nach der Stelle, von wo die Angstrufe kamen, und gelangten zu einer verlassenen Farm.
Die Baulichkeiten standen in Flammen. Die Farm war zuvor von etwa einem halben Dutzend Männern geplündert worden, die sich zerstreut hatten. Die Urheber des Verbrechens konnten nicht weit sein. Man konnte noch ein paar dieser Bösewichte in die Wälder flüchten sehen.
James Burbank und seine Gefährten machten sich mutig an die Verfolgung, doch hatten sie damit kein Glück. Einen der Verbrecher aber hatten Burbank, Carrol und Stannard mit Bestimmtheit erkannt, nämlich Texar, den Spanier.
Außerdem – was ein neuer Beweis war – hatte dieser Mensch, als er um eine Ecke an der Grenze von Camdleß-Bai herumgelaufen und verschwunden war – beinahe Zermah über den Haufen gerannt, und auch sie hatte in dem flüchtenden Menschen Texar erkannt.
James Burbank hatte ohne Zaudern Anzeige erstattet, und auf seine Aussage hin beschlossen die Behörden, die Untersuchung gegen Texar einzuleiten.
Der Spanier wurde nach St. Augustine vor den Richter geführt, um den Zeugen gegenübergestellt zu werden. James Burbank, Edward Carrol, Walter Stannard und Zermah erklärten einstimmig, daß sie in dem Manne, der von der in Brand gesteckten Farm geflüchtet war, Texar erkannt hätten.
Der Spanier seinerseits hatte mehrere Zeugen aus St. Augustine gestellt, welche bestimmt erklärten, daß an diesem Abend Texar mit ihnen zusammen in Jacksonville in der »Tienda« des Torillo, einer schlecht berüchtigten, aber allgemein bekannten Gastwirtschaft, gewesen sei. Gegenüber diesen Aussagen, die von mehreren dem Spanier fremden Personen bestätigt wurden, konnte das Gericht nicht anders als die eingeleitete Untersuchung einstellen. Der Alibi-Beweis war auch diesmal von diesem seltsamen Menschen erbracht worden.
Nach dieser Verhandlung und auf der Rückkehr von St. Augustine war es gewesen, wo wir Texar, den Spanier, am Abend des 7. Februar kennen gelernt haben und wo er von dem Indianer Squambo im Boote nach dem verlassenen Fort zurückgebracht worden war.
Dieser Squambo war ein intelligenter, verschlagener Seminole und im Anschluß an den letzten Ueberfall der Indianer in den Dienst des Spaniers getreten.
Bei der Gesinnung, die Texar gegen James Burbank hegte, konnte er nur den einen Gedanken haben: sich auf alle mögliche Weise Rache zu verschaffen. Wenn nun infolge der Umwälzungen, die der Krieg täglich mit sich bringen konnte, es Texar gelang, die Behörde in Jacksonville zu stürzen, so konnte er für Camdleß-Bai gefährlich werden. James Burbank zwar vermochte bei seinem energischen und entschlossenen Charakter nicht vor einem solchen Manne sich zu fürchten, aber seine Frau hatte nur zuviel Ursache, in beständiger Angst um ihren Mann und all ihre Lieben zu schweben.
Ganz gewiß wäre diese ehrenwerte Familie aus der Besorgnis nicht herausgekommen, wenn sie hätte ahnen können, Texar vermutete im stillen, daß Gilbert Burbank in das Heer der Nordstaatler getreten sei. Woher hatte er es erfahren, da doch die Abreise des jungen Mannes geheim gehalten worden war? Ohne Zweifel durch Spione; denn solche Zwischenträger hatten ihm oft schon ihre Dienste angeboten.
Wenn es nun dem Spanier gelang, James Burbanks Sohn, der in den Reihen der Bundesstaatler unter Kommodore Dupont diente, auf floridisches Gebiet zu locken, ihn gefangen zu nehmen und anzuzeigen, so konnte keinen Augenblick Unklarheit darüber herrschen, welches Schicksal in den Händen der durch die Siege der Nordarmee in Raserei versetzten Südstaatler Gilberts harrte.
So standen die Dinge zu Beginn unserer Erzählung. In dieser Lage befanden sich die Bundesstaatler, die fast bis an die Seegrenze Floridas gekommen waren, befand sich die Familie Burbank mitten in dem der Südpartei anhängenden County Duval, befand sich Texar, für den es, wenn er sein Ziel erreicht und die Behörde in Jacksonville durch seine Parteigänger ersetzt hatte, ein leichtes war, eine fanatisch erregte Menge gegen Camdleß-Bai zu hetzen.
Squambo war etwa eine halbe Stunde weggewesen, als er nach der kleinen Mittelinsel zu Texar zurückkehrte. Er zog das Skiff ans Ufer, durchschritt die Umzäunung und kam die Stufen zum Blockhaus herauf.
»Ist's besorgt?« fragte ihn Texar.
»Besorgt, Gebieter!«
»Und – nichts?«
»Nichts.«