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Ein paar Minuten nach sieben Uhr stiegen James Burbank und Edward Carrol die Stufen hinauf, die vom St. John her zum Haupteingang von Castle-House führten. Zermah, das Töchterchen an der Hand, folgte ihnen. Sie traten in die Halle, eine Art großen Vorsaals, von dem aus die Haupttreppe nach den oberen Stockwerken führte.
Dort war Frau Burbank mit Perry, dem obersten Verwalter der Pflanzung.
»Nichts Neues in Jacksonville?«
»Nichts, lieber Mann.«
»Und keine Nachrichten von Gilbert?«
»Doch – ein Brief.«
»Gott sei Lob und Dank!«
Dies waren die ersten Fragen und Antworten, die zwischen Frau Burbank und ihrem Manne ausgetauscht wurden.
Nachdem James Burbank seine Frau und die kleine Dy umarmt hatte, öffnete er den Brief, der ihm übergeben worden war.
»Ohne Zweifel ist dieser Brief nicht durch die Post gekommen?« fragte James Burbank.
»O nein, Herr James!« antwortete Perry. »Das wäre zu unklug von Herrn Gilbert gewesen!«
»Und wer hat es auf sich genommen, ihn zu bestellen?«
»Ein Mann aus Georgia, auf dessen Anhänglichkeit unser junger Herr sich hat verlassen können.«
»Wann ist dieser Brief angekommen?«
»Gestern.«
»Und der Mann?«
»Hat am selben Abend noch den Rückweg angetreten.«
»Gut bezahlt worden für seinen Dienst?«
»Ja, lieber Mann, gut bezahlt,« antwortete Frau Burbank, »aber von Gilbert, und er wollte von uns nichts annehmen.«
Die Halle war von zwei auf einem Marmortisch stehenden Lampen erhellt. James Burbank setzte sich aus den bei diesem Tisch stehenden Diwan. Neben ihm nahmen Frau und Tochter Platz.
James Burbank hatte den Brief geöffnet und las wie folgt:
»An Bord des »Wabash«, im Hafen von Edisto.«
3. Februar 1862.
Lieber Vater!
Zunächst umarme ich meine liebe Mutter, meine kleine Schwester und dich. Ich vergesse auch meinen Onkel Carrol nicht, und um nichts auszulassen, sende ich der guten Zermah die zärtlichsten Grüße ihres Mannes, meines wackern und treuen Mars. Es geht uns allen beiden recht gut, und wir haben große Sehnsucht, bald wieder bei Euch zu sein.
Dieser Brief wird dir durch einen Mann überbracht werden, auf den ich mich verlassen kann; in diesem Punkte brauchst du dir keine Sorge zu machen. Du wirst erfahren haben, daß das Geschwader des Kommodore Dupont die Bai von Port-Royal und die umliegenden Inseln besetzt hat. Der Norden gewinnt also nach und nach die Oberhand über den Süden. Es ist auch sehr wahrscheinlich, daß die Bundesregierung den Versuch machen wird, die wichtigsten Häfen von Florida zu besetzen. Man spricht von einer Expedition, die gegen Ende des Monats Dupont und Sherman machen werden. Wir werden dann sehr wahrscheinlich die Bucht von St. Andrews besetzen. Von dort aus sind wir rasch im Bereich des floridischen Staates.
Wie sehr verlangt es mich danach, dort zu sein, lieber Vater, vor allem mit unserer siegreichen Flotte. Denn die Lage der Meinen inmitten der Anhänger unserer Feinde beunruhigt mich ständig.
Und nun will ich schließen. Habe ich niemand zu grüßen vergessen? Doch! Herrn Stannard und meine liebreizende Alice, die ich so gern bald wiedersähe. All meine Freundschaft Ihrem Vater – ihr selber mehr als meine Freundschaft!
In aller Ehrerbietung und Herzlichkeit
Gilbert Burbank.«
»Ein braver Bursche!« sagte Edward Carrol.
»Und der wackre Mars!« setzte Frau Burbank hinzu, mit einem Blick auf Zermah, die das kleine Mädchen in die Arme schloß. »Wir müssen es Alice mitteilen, daß ein Brief von Gilbert gekommen ist.«
»Ja, ich werde es ihr schreiben,« antwortete James Burbank. »Uebrigens muß ich in ein paar Tagen nach Jacksonville, und da gehe ich zu Stannards. Wenn sie nur bald kämen, unsere Freunde vom Norden, und Florida wieder unter dem Banner der Union stände! Hier wird unsere Situation sonst über kurz oder lang unhaltbar!«
In der Tat hatte bis zu dieser Zeit die Sklaverei in dieser alten spanischen Kolonie nicht völlig um sich gegriffen, und man hatte an der Bewegung nicht so leidenschaftlichen Anteil genommen wie in Virginia oder auf den Karolinen. Bald aber hatten sich Führer an die Spitze der für die Sklaverei eingenommenen Partei gestellt. Jetzt beherrschten diese zum Aufruhr bereiten Leute, die in diesen Wirren nichts zu verlieren hatten, die Behörden in St. Augustine und vor allem in Jacksonville und hatten ihren Rückhalt in dem eigentlichen Abschaum der Bevölkerung. Aus diesem Grunde befand sich James Burbank, dessen Herkunft und Gesinnung wir kennen, in einer ziemlich heikeln Lage.
Vor zwanzig Jahren nun hatte James Burbank Neu-Jersey verlassen, wo er noch Grundbesitz hatte, und sich mit seiner Frau und seinem damals vier Jahre alten Sohn in Camdleß-Bai niedergelassen. An diese große Niederlassung, die ihm von seinen Ahnen überkommen war, fesselte ihn eine starke Anhänglichkeit. Hier war sein zweites Kind, die kleine Dy, fünfzehn Jahre nach seinem Einzuge zur Welt gekommen.
James Burbank war jetzt 46 Jahre alt. Er war ein Mann von kraftvoller Natur, der an Arbeit gewöhnt war und sich nicht schonte. Groß, kaum merklich ergraut, hatte er ein etwas strenges, aber offenes, ansprechendes Gesicht. Er trug den Bart nach nordamerikanischem Schnitt, ohne Schnurr- und Backenbart, und war der echte Typus des Yankees von Neu-Britannien.
Auf der ganzen Pflanzung verehrte und liebte man ihn; denn er war gut – man gehorchte ihm; denn er war gerecht. Seine Schwarzen waren ihm treu ergeben, und er wartete nur auf den Zeitpunkt, wo er es wagen durfte, sie für frei zu erklären.
Sein Schwager war von dem gleichen Alter und führte die Regierungsgeschäfte in Camdleß-Bai. Er verstand sich in allen Dingen sehr gut mit James Burbank und teilte seine Ansicht über die Sklavenfrage.
Inmitten der kleinen Welt in Camdleß-Bai war der Verwalter Perry der einzige, der in diesem Punkte anders dachte. Deshalb darf aber nicht gemeint werden, daß dieser wackre Mann die Sklaven schlecht behandelt hätte. Im Gegenteil wollte er ihr Los noch glücklicher gestalten, als die Umstände es erlaubten.
Im übrigen war er ein ausgezeichneter und auch sehr mutiger Mensch; und als James Burbank und Edward Carrol zu jener Miliz-Abteilung beitraten, die den Namen » Minute men« oder Minuten-Männer führte, »weil sie jeden Augenblick zum Ausrücken bereit sein mußten,« hatte er tapfer sich ihnen angeschlossen, um gegen die letzten Banden der Seminolen zu ziehen.
Der Frau Burbank merkte man ihre 39 Jahre nicht an. Sie war noch schön. Ihre Tochter mußte ihr einmal ähnlich werden. James Burbank hatte in ihr eine liebende und zärtliche Gefährtin gefunden, der er einen großen Teil seines Glückes verdankte. Die edelsinnige Frau lebte nur für ihren Mann und ihre Kinder, die sie anbetete und für die sie aufs innigste sorgte, zumal zu einer Zeit, wo der Bürgerkrieg sich bis nach Florida zu ziehen drohte. Und wenn auch Diana oder Dy, wie sie zu Hause gerufen wurde, ein lustiges, liebes Mädchen von sechs Jahren, bei ihrer Mutter in Castle-House war, so weilte doch Gilbert fern. Um ihn schwebte Frau Burbank in ständiger Angst, die sie nicht immer zu verhehlen vermochte.
Gilbert war ein junger Mann von 24 Jahren, in welchem man die moralischen Qualitäten seines Vaters in noch offenbarerer Weise und die physischen Qualitäten in noch sanfterem und anmutigerem Grade wiederfand. Er war ein kühner, wagehalsiger Kamerad, der in allen Leibesübungen Meister und im Reiten wie im Schwimmen gleich geschickt war. Gilbert war von Natur für das Leben als Soldat geschaffen, und griff daher sogleich zu den Waffen, als die ersten Schüsse des Sezessionskrieges gefallen waren. Und obgleich das der Mutter tiefes Herzeleid bereitete und obgleich die Gefahr eines solchen Entschlusses ihm klar war, dachte James Burbank nicht einen Augenblick daran, dem Wunsche seines Sohnes zu widersprechen. Er dachte wie jener, daß hier die Pflicht rufe, und daß Kriegspflicht über alles gehe.
Gilbert reiste daher nach dem Norden, aber seine Abreise wurde so geheim wie möglich gehalten. Wenn man in Jacksonville erfahren hätte, daß Burbanks Sohn sich für die Nordarmee gestellt habe, so hätte das zu tätlichen Angriffen gegen Camdleß-Bai führen können. Da der junge Mann stets für die See geschwärmt hatte, war es ihm ein Leichtes gewesen, in der Bundesarmee unterzukommen. Damals avancierte man schnell, und da Gilbert keiner von denen war, die zurückbleiben, war die Regierung bald aufmerksam geworden auf den jungen Mann, der trotz der Lage, in der seine Familie sich befand, nicht davor zurückgeschreckt war, sich zum Dienst zu melden.
Gilbert zeichnete sich bei dem Angriff auf Fort Cumter aus und war auf dem »Richmond«, als dieses Schiff vom »Manassas« an der Mississippi-Mündung geentert wurde. Er tat sich bei dem Kampfe und der Befreiung des Schiffes rühmlich hervor. Nach diesem Gefecht wurde er Fähnrich und trat nun in das Geschwader des Kommodore Dupont, um an den Kämpfen um Fort Hatteras und der Einnahme der Seas-Islands teilzunehmen. Seit einigen Wochen war er Leutnant an Bord eines der Kanonenboote des Kommodore Dupont, die die Einfahrt in den St. John erzwingen sollten.
Ja, auch diesem jungen Mann lag viel daran, daß dieser blutige Krieg zu Ende käme. Er liebte und wurde wieder geliebt. Nach beendetem Dienst wollte er nach Camdleß-Bai zurückkehren und die Tochter eines der besten Freunde seines Vaters zum Altar führen.
Herr Stannard gehörte nicht zu der Klasse der floridischen Pflanzer. Er war Witwer mit einigem Vermögen und hatte sich ganz der Erziehung seiner Tochter gewidmet. Seit fünfzehn Jahren verging keine Woche, ohne daß er nicht die Familie Burbank besucht hätte. Alice Stannard und Gilbert Burbank waren daher sozusagen miteinander aufgewachsen und erzogen worden. Eine seit langem ins Auge gefaßte eheliche Verbindung war nun fest beschlossen worden.
Obwohl Walter Stannard von Abstammung Südländer war, war er doch gegen die Sklaverei, wie noch mehrere, allerdings stark in der Minderheit begriffene Mitbürger in Florida. Diese ehrbaren Leute waren natürlich den Parteiführern im County und den niedern Klassen der weißen Bevölkerung, die allzeit bereit waren, sich an jedem angestifteten Exzeß Zu beteiligen, ein Dorn im Auge.
Walter Stannard stammte aus New-Orleans. Frau Stannard, von Herkunft Französin, war früh gestorben und hatte ihrer Tochter die edlen Eigenschaften vererbt, die dem französischen Blute zu eigen sind. Obwohl Fräulein Alice sich von Gilbert geliebt wußte, wie sie ihn selber liebte, hatte sie bei seiner Abreise seiner Mutter immer wieder tröstend vorgehalten, daß es seine Pflicht sei, an dem Kampfe für diese Sache teilzunehmen.
Fräulein Alice war jetzt 19 Jahre alt. Sie war eine Blondine mit fast schwarzen Augen, frischer Farbe, vornehmem Wuchs und seinem Gesicht.
Bei einer Schilderung der Familie Burbank dürfen die beiden getreuen Bediensteten Mars und Zermah nicht übergangen werden.
Wie aus Gilberts Briefe hervorgegangen ist, war er nicht allein gereist. Mars, der Mann Zermahs, war ihm gefolgt. Der junge Mann hätte keinen treuern und aufopferungsvollern Gefährten finden können, als diesen Sklaven von Camdleß-Bai, der mit dem ersten Schritt auf dem Gebiete der Antisklaverei frei geworden war. Aber für Mars war Gilbert noch immer der junge Gebieter, und er hatte ihn nicht verlassen wollen, obgleich die Bundesregierung schon Neger-Bataillone gebildet hatte, wo er hätte eingereiht werden können.
Mars und Zermah waren keine Neger von Geburt. Sie waren beide Mestizen. Zermahs Bruder war jener heldenmutige Sklave Robert Small, der vier Monate später in der Bai von Charlestown den Konföderierten einen kleinen Dampfer mit zwei Kanonen wegnahm und der Bundesarmee übergab.
Zermah und Mars lebten in glücklicher Ehe, die während der ersten Jahre mehr als einmal durch den gemeinen Sklavenhandel bedroht gewesen war. Auf die Pflanzung von Camdleß-Bai waren sie gerade zu einer Zeit gekommen, wo sie durch einen Verkaufsabschluss auseinander gerissen werden sollten.
Zermah war 31 Jahre alt, Mars 35. Vor sieben Jahren hatten sie sich verheiratet und gehörten damals einem Ansiedler namens Tickborn, dessen Gut etwa 20 Meilen stromaufwärts von Camdleß-Bai lag. Dieser Pflanzer stand seit mehreren Jahren in Beziehungen zu Texar und mußte eines Tages bedrängter Verhältnisse wegen eine Anzahl seiner Sklaven verkaufen.
Zu dieser Zeit hatte Zermah, die wie das ganze Personal der Pflanzung Tickborn sehr schlecht behandelt wurde, einem armen kleinen Wesen das Leben gegeben, von dem sie gleich nach der Geburt getrennt wurde. Während sie im Gefängnis für ein Vergehen büßte, an dem sie keine Schuld hatte, starb ihr Kind in ihren Armen.
Was vermochten aber Zermah und Mars in all ihrem Schmerz und Zorn gegen einen Gebieter, dem ihr Leib, ob lebend, ob tot, gehörte, da er ihn gekauft hatte?
Zu diesem Kummer kam ein anderer, der nicht minder furchtbar war. Am Tage, nachdem ihr Kind gestorben war, sollten Mars und Zermah getrennt werden. Es war ein Mann gekommen, der Zermah kaufen wollte – aber Zermah allein, obwohl er gar keine Pflanzung besaß. Dieser Mann war Texar. Tickborn wollte schon mit seinem Freunde den Kaufvertrag abschließen, als im letzten Moment ein neuer Käufer ein höheres Gebot machte.
James Burbank war zu diesem öffentlichen Verkauf der Sklaven Tickborns gegangen, und das Los dieser unglücklichen Mestizin, die vergebens flehte, von ihrem Manne nicht getrennt zu werden, hatte ihn tief ergriffen.
James Burbank brauchte gerade eine Amme für sein Kind, und da er gehört hatte, daß unter Tickborns Sklavinnen eine in den gewünschten Umständen sich befände, hatte er nun die Amme kaufen wollen, machte nun aber, durch Zermahs Bitten gerührt, auch für ihren Mann ein höheres Gebot als irgendwer vor ihm.
Texar kannte James Burbank, der ihn schon oft als verdächtigen Menschen von seiner Besitzung verwiesen hatte. Daher rührte der Haß, den Texar der ganzen Familie von Camdleß-Bai geschworen hatte.
Texar wollte gegen seinen reichen Konkurrenten in Wettstreit treten, was natürlich vergeblich war. Wenn auch zu hohem Preise, ging doch schließlich das Mestizenpaar in James Burbanks Besitz über.
Sechs Jahre später stand Zermah noch in der Blüte ihrer Mestizen-Schönheit. Als eine energische Natur und von ganzem Herzen ihrer Herrschaft ergeben, hatte sie schon oft Gelegenheit gehabt – und sollte sie in Zukunft noch mehr erhalten – ihre Aufopferung zu beweisen.
Mars war der Frau würdig, die ihm durch James Burbanks barmherzige Tat für immer erhalten worden war. Er war ein bemerkenswerter Vertreter jenes afrikanischen Typus, der stark mit Kreolenblut vermischt ist. Groß, kräftig und von einem Mut, der vor keiner Probe zurückschreckte, war er seinem Herrn ein unersetzlicher, unbezahlbarer Diener.
Zermah empfand für das kleine Mädchen, dessen Bedienung ihr im besondern zugewiesen war, die Liebe einer Mutter, jene Liebe, die sie nicht mehr dem kleinen Wesen widmen konnte, das sie verloren hatte. Dy dankte der treuen Dienerin ihre Sorge und Zärtlichkeit, und auch Frau Burbank hegte für Zermah Zuneigung und Erkenntlichkeit.
Zwischen Gilbert und Mars stand es ebenso. Selber gewandt und kraftvoll, hatte der Mestize viel Verdienst daran, daß sein junger Herr in allen Leibesübungen Meister war. James Burbank konnte sich nur selber Beifall zollen, daß er seinem Sohne einen solchen Diener beigegeben hatte.
Zermah und Mars hatten mithin sich noch zu keiner Zeit ihres Lebens so glücklich gefühlt; und daß sie der Gefahr, aus den Händen eines Tickborn in die eines Texar zu fallen, enthoben worden waren, war eine Wohltat, die sie nie vergessen konnten.