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Wie uns die letzten Blätter des Tagebuchs der Mrs. Branican erkennen ließen, wurde die Karawane wieder muthig und vertrauensvoll. An Lebensmitteln war nie Noth und sie hatten auch deren für mehrere Monate vorräthig. Nur der Mangel an Wasser machte sich dann und wann recht fühlbar, und auch mit diesem waren sie jetzt durch die glückliche Auffindung einer Cisterne reichlich versorgt.
Nur mußten sie immer noch eine furchtbare Hitze ertragen, eine erstickende Luft einathmen, während weit und breit kein Baum und Strauch stand. Es giebt wenige Reisende, die diesen Strapazen Stand halten können, wenn sie nicht in dem Lande geboren sind. Wo der Eingeborne fest weiterschreitet, unterliegt der Fremde. Zu diesem mörderischen Klima muß man geboren sein.
Nichts als jene Dünen und rothen Sandmassen! Der gleichsam brennende Boden, dessen intensive Farbe noch durch die Sonnenstrahlen gesteigert wurde, blendete fortwährend die Augen. Der Sand war so heiß, daß es einem Weißen unmöglich war, barfuß zu gehen; die Schwarzen konnten dies vermöge ihrer abgehärteten Haut wohl thun, und sie klagten auch in dieser Beziehung nie. Aber sie klagten doch und ihr Unwille trat bei jeder Gelegenheit hervor. Wenn Tom Marix nicht eingesehen hätte, daß er seine Escorte vollständig beisammen haben mußte, weil sie doch mit einigen Stämmen in Kampf gerathen könnten, so hätte er Mrs. Branican gerathen, sie aus ihrem Dienste zu entlassen.
Uebrigens sah Tom Marix die Schwierigkeiten immer mehr wachsen und er konnte sich nicht verschließen, daß trotz aller Qualen und Gefahren, denen man bisher getrotzt hatte, sie doch dem sicheren Verderben entgegengingen. Er behielt das für sich, und ließ gegen Niemanden ein Wort darüber fallen. Nur Zach Fren durchschaute ihn und war förmlich beleidigt darüber, daß er ihn nicht ins Vertrauen zog.
»Tom, sagte er eines Tages zu ihm, ich hätte Sie nicht für den Mann gehalten, der den Muth verliert!
– Ich den Muth verlieren! ... Sie täuschen sich, Zach, wenigstens in dem Sinne, daß ich nie den Muth verlieren werde, meine übernommene Mission bis zu Ende zu führen. Den Durchzug durch diese Wüsten fürchte ich nicht, sondern nach demselben gezwungen zu werden, ohne Erfolg wieder zurückzukehren.
– Glauben Sie denn, Tom, daß der Capitän John seit der Flucht Harry Felton's zugrunde gegangen ist?
– Ich weiß nichts davon, Zach, und Sie wissen darüber auch nicht mehr.
– O ja, ich weiß es, wie ich sicher weiß, daß zwei mal zwei vier ist.
– Sie sprechen hier geradeso, wie Mrs. Branican oder Godfrey sprechen, und Sie nehmen ebenso wie jene die Hoffnung als Gewißheit an. Ich wünschte, Sie hätten Recht. Aber der Capitän John befindet sich, wenn er am Leben ist, in den Händen der Indas, und wo sind diese Indas?
– Sie sind dort, wo sie sind, Tom, und dahin muß die Karawane ihren Weg nehmen, sollte sie auch noch ein halbes Jahr herumwandern müssen. Zum Teufel! Erst wenn wir nicht mehr weiter können, gehen wir wieder zurück ...
– Ja, Zach, auf dem Meere geht das schon, wenn man weiß, man kehrt in diesen oder jenen Hafen wieder zurück. Aber wissen wir etwas, wohin wir durch diese Gegenden da kommen?
– In der Verzweiflung wird man es freilich nicht wissen.
– Ich verzweifle nicht, Zach.
– O ja, Tom, und was noch furchtbarer ist, Sie werden es schließlich nicht mehr verbergen können. Derjenige, welcher seine Unruhe nicht verhehlt, ist ein schlechter Capitän und bringt in seine Mannschaft Unruhe. Hüten Sie sich davor, Tom, nicht um Mrs. Branican's willen, die nichts von ihrem Wege abbringen könnte, sondern vor den Weißen unserer Escorte! Wenn sie mit den Schwarzen gemeinsame Sache machen ...
– Ich bürge für sie, wie für mich!
– Wie ich für Sie bürge, Tom! Sprechen wir nicht mehr davon, daß wir die Flagge herablassen wollen, so lange noch die Mastbäume stehen.
– Wer spricht denn davon, Zach? Nur Len Burker ...
– O, der, Tom! Wenn ich Commandant wäre, so hätte ich ihn längst in Fesseln schlagen lassen. Nun, er möge wohl auf der Hut sein, denn ich lasse ihn nicht aus den Augen!«
Zach Fren hatte Recht, Len Burker zu beobachten, denn wenn eine Empörung in der Escorte ausbräche, so hätte man dies nur ihm zu verdanken, denn er hetzte die Schwarzen auf, denen Tom Marix so vertraute. Dies wäre ein Grund, weshalb die Expedition mißlingen könnte. Aber war er nicht schon vorhanden, als Tom Marix es kaum mehr für möglich hielt, mit den Indas zusammenzutreffen und den Capitän John zu befreien?
Obwohl die Karawane nicht ganz aufs Gerathewohl weiterzog, indem sie die Richtung gegen den Fitz-Roy einhielt, so konnten doch unter Umständen die Indas Tasmanien verlassen haben; vielleicht befanden sie sich auch auf dem Kriegspfade, denn es kommt selten vor, daß diese Stämme untereinander in Frieden leben. Sie hassen einander, und die kleinsten Streitigkeiten führen zu blutigen Kämpfen, denn der Krieg ist bei den Cannibalen mehr eine Jagd. In Wahrheit ist der Feind nicht der Feind, sondern er ist das Wild, und der Sieger verzehrt den Besiegten. Daher rühren denn auch diese Kämpfe und Verfolgungen, die die Eingebornen so oft zwingen, ihre Ansiedlungen zu verlassen. Es war deshalb von großem Interesse zu hören, ob die Indas ihre Plätze noch innehatten, was man aber nur von einem Schwarzen erfahren konnte, der von Nordwesten kam.
Dahin gingen nun die Bemühungen des Tom Marix und Godfrey's, der es sich trotz aller Ermahnungen Mrs. Branican's nicht nehmen ließ, immer auf einige Meilen vorauszureiten. Wenn er kein Wasser suchte, so wollte er einen Eingebornen finden – bisher leider ohne Erfolg.
Das Land war wüste. Welches menschliche Wesen hätte daher hier leben können?
Am 9. März gegen neun Uhr früh hörte man endlich in kurzer Entfernung einen Ruf – einen Ruf, der aus folgenden zwei Wörtern bestand:
»Coo-eeh!
– Da sind Eingeborne in der Nähe! sagte Tom Marix.
– Eingeborne? fragte Dolly.
– Ja, Mistreß, denn sie haben die Gewohnheit, einander so zu rufen.
– Versuchen wir, mit ihnen zusammenzutreffen!«
Die Karawane näherte sich bis aus ungefähr hundert Schritte, und Godfrey signalisirte zwei Schwarze. Es war nicht leicht, sich ihrer zu bemächtigen, denn sie fliehen die Weißen schon von weitem. Die Schwarzen suchten sich auch hinter dem Gestrüpp einer Düne zu verstecken; der Escorte gelang es aber, sie zu umzingeln, und sie führte dieselben zu Mrs. Branican.
Einer von ihnen war ungefähr fünfzig Jahre alt, der zweite, sein Sohn, etwa zwanzig. Beide begaben sich eben nach der Station an dem See Woods, die zu dem telegraphischen Netz gehört. Verschiedene Geschenke an Stoffen und besonders einige Pfund Tabak machten sie bald zutraulicher, und sie zeigten den Willen, auf die Fragen des Tom Marix zu antworten – Antworten, welche dieser sofort für Mrs. Branican, Godfrey, Zach Fren und ihre Gefährten übersetzte.
Die Australier sagten zuerst, wohin sie gingen – was von geringem Interesse war.
Aber Tom Marix fragte sie, woher sie kämen, was sehr wichtig war.
»Wir kommen von dort her ... weit ... sehr weit her, erwiderte der Vater, indem er nach Nordwesten zeigte.
– Von der Küste?
– Nein ... aus dem Innern.
– Von Tasmanien?
– Ja ... vom Ufer des Fitz-Roy.«
Wir wissen, daß gerade dies das Ziel der Karawane war.
»Von welchem Stamme seid Ihr? fragte Tom Marix.
– Von dem Stamme der Gursis.
– Sind das Nomaden?«
Der Schwarze schien diese Frage nicht zu verstehen.
»Ist es ein Stamm, der von einem Lager zum anderen zieht? fragte Tom Marix wieder, ein Stamm, der kein Dorf hat?
– Er bewohnt das Dorf der Gursis, antwortete der Sohn, der ziemlich verständig zu sein schien.
– Liegt dieses Dorf am Fitz-Roy?
– Ja, zehn große Tagereisen von der Stelle entfernt, wo er ins Meer mündet.«
Der Fitz-Roy mündet in den Königsgolf, wo im Jahre 1883 die zweite Fahrt des »Dolly-Hope« endigte. Die zehn Tagereisen, welche der junge Mann da anführte, zeigten an, daß das Dorf der Gursis ungefähr hundert Meilen von der Küste entfernt lag.
Das fand Godfrey auch auf der Karte, und zwar auf einer, welche den Lauf des Flusses Fitz-Roy in einer Strecke von zweihundertfünfzig Meilen von der Quelle bis in die öden Gegenden Tasmaniens wiedergiebt.
»Kennt Ihr den Stamm der Indas?« fragte dann Tom Marix die Eingebornen.
Als die Beiden diesen Namen horten, leuchteten ihre Augen auf.
»Gewiß, die Indas und die Gursis führen Krieg miteinander, bemerkte Tom Marix, indem er sich an Mrs. Branican wandte.
– Es ist möglich, erwiderte Dolly, und sogar wahrscheinlich, daß diese Gursis wissen, wo sich jetzt die Indas befinden. Fragen Sie sie danach, Tom Marix, und versuchen Sie so genau wie möglich darüber Auskunft zu erhalten. Von dieser Antwort hängt vielleicht der Erfolg unserer Expedition ab.«
Tom Marix stellte nun diese Frage und der Aeltere antwortete ohne Zögern, daß die Indas sich am Oberlaufe des Fitz-Roy befänden.
»Wie weit sind sie von dem Dorfe der Gursis entfernt? fragte Tom Marix.
– Ungefähr zwanzig Tagereisen gegen Sonnenaufgang,« erwiderte der Jüngere.
Diese Entfernung war auf der Karte gleich zweihundertachtzig Meilen von dem Punkte, wo sich die Karawane eben befand. Was die Auskünfte anbelangt, so stimmten sie mit denen Harry Felton's überein.
»Führt Euer Stamm mit den Indas oft Krieg?
– Immer!« erwiderte der Sohn.
Dabei schlug er einen Ton an und machte eine Handbewegung, die deutlich von dem Hasse dieser Cannibalen zeugten.
»Wir werden sie immer verfolgen, fügte der Aeltere hinzu, dessen Kinnbacken vor sinnlicher Lust klapperten, und sie werden geschlagen werden, wenn der weiße Häuptling nicht mehr an ihrer Spitze sein wird.«
Man kann sich leicht vorstellen, welche Bewegung diese Antwort bei Mrs. Branican und ihren Gefährten hervorrief. Konnte man zweifeln, daß dieser langjährige Gefangene der Indas der Capitän John war?
Auf Bitten Dollys hin fragte nun Tom Marix die Wilden weiter, die aber über diesen Häuptling nur sehr unsichre Auskunft geben konnten. Sie erklärten jedoch mit Bestimmtheit, daß vor drei Monaten, wo der letzte Kampf zwischen den Indas und Gursis stattfand, der Weiße noch in der Gewalt der ersteren war.
»Ohne ihn, rief der junge Australier aus, wären die Indas nur Weiber!«
Das war jetzt Nebensache, denn man wußte nun von ihnen, was man wissen wollte. John Branican und die Indas befanden sich also dreihundert Meilen nordwestlich entfernt und man mußte sie an den Ufern des Fitz-Roy suchen.
In dem Augenblicke, als das Lager abgebrochen werden sollte, hielt Jos Meritt die beiden Wilden, die Mrs. Branican eben mit Geschenken entlassen hatte, einen Augenblick auf, und bat Tom Marix, sie nach der Kopfbedeckung zu fragen, welche die Indas und Gursis bei festlichen Gelegenheiten tragen.
Jos Meritt sah ihrer Antwort mit nicht geringerer Bewegung entgegen, als Dolly der über den Capitän John.
Er mußte zufriedengestellt sein, denn ein »Gut! ... O! ... Sehr gut!« entschlüpfte seinen Lippen, weil er erfuhr, daß eigenthümliche Kopfbedeckungen bei den Völkerstämmen des Nordwestens nichts Ungewöhnliches seien und daß bei festlichen Gelegenheiten die Häuptlinge stets Hüte trügen.
»Sie verstehen, Mrs. Branican, sagte Jos Meritt, den Capitän John zu finden, ist sehr gut ... aber die Hand auf einen Schatz zu legen, den ich in der ganzen Welt suche ... das ist noch besser ...
– Gewiß, erwiderte Mrs. Branican.
– Du hast es gehört, Gîn-Ghi, setzte Jos Meritt hinzu, indem er sich seinem Diener zuwendete.
– Ich habe es gehört, Jos, erwiderte der Chinese, und wenn wir den Hut gefunden haben werden ...
– Kehren wir nach England, nach Liverpool zurück, wo Du, Gîn-Ghi, nichts anderes zu thun haben wirst, als ihn in einem rothseidenen Rocke mit gelbem Besatz und eine schwarze Mütze auf dem Kopfe den Liebhabern zu zeigen. Bist Du es zufrieden?
– Wie die Blume Haïtang, die sich vor dem Zephyr erschließt, wenn Joda gegen Westen hinabsteigt,« erwiderte poetisch Gîn-Ghi.
Doch schüttelte er ebenso ungläubig mit dem Kopfe über dieses zukünftige Glück, als wenn sein Herr ihm gesagt hätte, daß er zum Mandarin mit sieben Knöpfen ernannt werden solle.
Len Burker hatte der Unterredung des Tom Marix mit den Wilden beigewohnt, ohne daran theilzunehmen, obwohl er ihre Sprache verstand. Er stellte gar keine Frage über den Capitän John, hörte aber aufmerksam zu und prägte sich die Einzelheiten betreffs des gegenwärtigen Aufenthaltes der Indas wohl ein. Er sah auf der Karte die Stelle nach, wo die Indas wahrscheinlich am Oberlaufe des Fitz-Roy lagerten, und berechnete die Entfernung, welche die Karawane noch zurückzulegen hatte, und die Zeit, welche der Zug durch Tasmanien brauchen würde.
Dieser Weg konnte in einigen Wochen zurückgelegt werden, wenn nichts dazwischen kam, die Thiere kräftig blieben und die Strapazen des Weges und die Qualen von der Gluth der Sonne glücklich überstanden wurden. Len Burker sah ein, daß durch die Auskünfte Alle neuen Muth schöpften, worüber er wüthend wurde. Nun würde die Befreiung des Capitän John erfolgen und es in Folge des Lösegeldes Dolly gelingen, ihn den Händen der Indas zu entreißen.
Während Len Burker über diese Eventualitäten nachdachte, sah Jane seine Stirn sich runzeln, seine Augen leuchten, sein Gesicht die furchtbaren Gedanken zum Ausdruck bringen. Sie gerieth in Furcht, sie ahnte eine nahe Katastrophe, und in dem Augenblicke, als sich die Augen ihres Gatten auf sie hefteten, fühlte sie sich einer Ohnmacht nahe.
Die unglückliche Frau sah, was im Innern ihres Gatten vorging, der aller Verbrechen fähig war, um in den Besitz des Vermögens der Mrs. Branican zu gelangen. Len Burker sagte sich in seinem Innern, daß durch die Begegnung Johns und Dollys seine ganze Zukunft vernichtet würde. Früher oder später müsse auch das Verhältniß Godfreys zu Mrs. Branican ans Tageslicht kommen, denn schließlich würde das Geheimniß seiner Fran entschlüpfen, und doch war er von Jane abhängig, da nur ihr das Vermögen nach dem Tode der Mrs. Branican zufallen konnte.
Dolly und Jane mußten also getrennt werden und John Branican vor der Ankunft der Karawane bei den Indas verschwinden.
Einem solchen gewissenlosen und entschlossenen Menschen wie Len Burker war die Verwirklichung eines derartigen Planes nicht unmöglich, besonders da ihm alle Umstände bald zu Hilfe kamen.
An diesem Tage gab Tom Marix um vier Uhr das Signal zum Aufbruche, und die Karawane setzte sich in ihrer gewöhnlichen Ordnung in Bewegung.
Von Dolly ging jetzt die Energie auf ihre Gefährten über. Man näherte sich dem Ziele ... Der Erfolg schien sicher zu sein ... Die Schwarzen der Escorte unterwarfen sich scheinbar gern allen Anordnungen und Tom Marix hätte auf ihre Mitwirkung bis an das Ende der Reise rechnen können, wenn sie nicht Len Burker fortwährend zu Verrath und Empörung aufgehetzt hätte.
Die Karawane war beinahe auf dem Wege des Obersten Warburton, aber die Hitze wurde immer größer, die Nächte waren zum Ersticken, und auf diesen ungeheuren, baumlosen Ebenen fand man keinen Schatten, als neben den Dünen, der bei dem hohen Stande der Sonne oft sehr gering war.
Diese Hitze war vielleicht nicht eine so ausnahmsweise große, sondern gehörte unter diesem Breitegrade zu den alltäglichen. Hierzu kam auch der Wassermangel, der jeden Tag stieg. Sie mußten in großen Entfernungen Cisternen suchen, wodurch bedeutende Umwege nöthig wurden und somit das Fortkommen sehr gehindert war. Meist bot sich Godfrey an, Wasser zu suchen, und auch Tom Marix war darin unermüdlich. Mrs. Branican sah sie immer mit der größten Unruhe fortreiten, aber sie konnten auf keine Gewitter hoffen, die unter diesem Breitegrade zu den größten Seltenheiten gehören. Am Himmel sah man kein Wölkchen, so daß nur der Boden Wasser geben konnte.
Als Godfrey und Tom Marix eine Cisterne entdeckten, lag sie gerade in der Richtung, welche die Karawane einhielt. Man eilte vorwärts, trieb die Thiere an und bot unter dem Stachel des Durstes Alles auf, so schnell wie möglich hinzukommen ... und was fand man? Eine schlammige Flüssigkeit, in der es von Ratten wimmelte. Die Schwarzen und Weißen der Escorte stürzten darauf los und tranken dieses ekelhafte Wasser, aber Dolly, Jane, Godfrey, Zach Fren und Len Burker hatten die Vorsicht und warteten, bis Tom Marix neben der Cisterne aus dem Sande ein etwas reineres Wasser grub. Dann füllte man die Fäßchen, deren Inhalt bis zu dem nächsten Brunnen reichen mußte.
So ging der Zug etwa acht Tage – vom 10. bis 17. März – weiter, ohne daß etwas Besonderes vorfiel, nur die Strapazen wurden immer größer und waren kaum mehr auszuhalten. Der Zustand der beiden Kranken besserte sich nicht, im Gegentheil, es war ein schlimmer Ausgang zu befürchten. Fünf Kameele waren gefallen, so daß man die größten Schwierigkeiten hatte, das Gepäck weiter zu befördern.
Der Führer der Escorte gerieth in die größte Unruhe und auch Mrs. Branican befürchtete das Aergste, obwohl sie es nicht zeigte. Sie war bald an der Spitze, bald am Ende des Zuges, und gab so ein Beispiel außerordentlichen Muthes, den, mit Vertrauen gepaart, nichts erschüttern konnte.
Zu welchen Opfern wäre sie nicht bereit gewesen, um diese unaufhörlichen Verzögerungen zu vermeiden, diesen unendlichen Weg abzukürzen! Eines Tages fragte sie Tom Marix, warum er nicht die gerade Richtung gegen den Oberlauf des Fitz-Roy einschlage, wo nach den Aussagen der beiden Wilden die Indas lagern sollten.
»Ich habe daran gedacht, erwiderte Tom Marix, doch die Wasserfrage hält mich immer zurück, Mrs. Branican. Wenn wir die Richtung gegen Joanna-Spring einhalten, können wir nicht verfehlen, auf einige Cisternen zu stoßen, die der Oberst Warburton signalisirt hat.
– Sind denn keine in der Richtung gegen Norden? fragte Dolly.
– Vielleicht, aber ich weiß es nicht sicher, sagte Tom Marix. Uebrigens ist es auch möglich, daß diese Brunnen jetzt austrocknen, während wir, wenn wir gegen Westen ziehen, sicher den Okaoverfluß erreichen, wo der Oberst Warburton Halt machte. Da dies ein fließendes Gewässer ist, so können wir dort unsere Vorräthe mit Leichtigkeit erneuern, bevor wir das Thal des Fitz-Roy erreichen.
– Gut, Tom Marix, erwiderte Mrs. Branican, da es so sein muß, halten wir also die Richtung gegen Joanna-Spring ein.«
So geschah es auch, doch die Strapazen auf diesem Wege übertrafen alle bisher erduldeten Qualen. Obgleich man schon im dritten Sommermonat war, hielt die Hitze doch immer noch an und im Schatten waren vierzig Grad, worunter man aber die Nacht zu verstehen hat. Vergebens hätte man am Himmel ein Wölkchen, auf der sandigen Oberfläche der Erde einen Baum suchen können. Der Weg wurde unter einer erstickenden Hitze fortgesetzt; die Cisternen enthielten kaum noch das hinreichende Wasser für die Karawane, so daß man täglich mit Mühe zehn Meilen zurücklegte. Die Pflege, welche Dolly, Jane und Harriette, die selbst ganz schwach waren, den Kranken angedeihen ließen, brachte diesen keine Erleichterung. Man hätte rasten, in irgend einem Dorfe halten und abwarten müssen, bis die Temperatur gesunken wäre ... dies Alles war nicht möglich. Am 17. März Nachmittags verloren sie wieder zwei Lastkameele, darunter gerade dasjenige, welches das Lösegeld für den Capitän John trug.
Tom Marix ließ das Gepäck auf zwei Reitthiere legen, wodurch wieder zwei Männer der Escorte absitzen mußten. Diese braven Leute murrten nicht und unterwarfen sich geduldig der neuen Vermehrung ihrer Leiden. Welch ein Unterschied zwischen ihnen und den Schwarzen, die fortwährend Ansprüche machten und über die Qualen klagten! War es nicht zu befürchten, daß diese Schwarzen eines Tages versucht sein könnten, die Karawane zu verlassen, vielleicht gar, nachdem sie dieselbe geplündert hatten?
Endlich konnte die Karawane neben einer Cisterne, deren Wasser sechs Fuß unter dem Sande war, rasten – es war am 19. März; obwohl man sich nur ungefähr fünf Meilen von Joanne-Spring entfernt befand, war es doch unmöglich, den Weg fortzusetzen. Die Menschen und Thiere waren zu sehr ermüdet.
Die Luft war schwer, man konnte kaum athmen. Der Himmel hatte jene eigenthümliche bleierne Farbe, wie man sie manchmal in den südlichen Gegenden vor einer elektrischen Entladung der Atmosphäre beobachten kann.
Tom Marix sah ängstlich gegen den Himmel, was Zach Fren nicht entging.
»Sie wittern etwas, sagte er zu Tom Marix, was Ihnen nicht paßt?
– Ja, Zach, erwiderte er, ich mache mich auf den Samum gefaßt, einen Wüstensturm, der furchtbar ist.
– Gut ... also Wind ... nun da wird es ja ohne Zweifel Wasser geben? bemerkte Zach Fren.
– Nein, nein, Zach, daraus wird eine noch schrecklichere Trockenheit entstehen; außerdem ist dieser Sturm in Centralaustralien zu Allem fähig.«
Diese Worte eines so erfahrenen Mannes mußten bei Mrs. Branican und ihren Gefährten die lebhafteste Unruhe erregen.
Es wurden nun alle möglichen Vorsichtsmaßregeln ergriffen. Es war neun Uhr Abends. Die Zelte wurden nicht in den Sanddünen aufgeschlagen, was auch in diesen erstickenden Nächten unnütz war. Jeder löschte seinen Durst an dem Wasser der Fäßchen und nahm dann seine Portion Speise entgegen, die Tom Marix vertheilte. Man dachte kaum daran, den Hunger zu stillen, nur frische Luft ersehnten Alle, wenn diese auch weniger dem Magen, als den Athmungsorganen zu Statten kam. Einige Stunden Schlaf hätte diesen Leuten wohler gethan, als einige Bissen Nahrung; aber es war unmöglich, in einer solch erstickenden Atmosphäre zu schlafen. Bis Mitternacht ereignete sich nichts Besonderes. Tom Marix, Zach Fren und Godfrey wachten und erhoben sich alle Augenblicke, um den Horizont im Norden zu beobachten. Während sich zuerst der prachtvollste Sternenhimmel über sie wölbte, wurde es gegen drei Uhr plötzlich dunkel.
»Auf! ... Auf! ... rief Tom Marix.
– Was giebt es? fragte Mrs. Branican, die rasch aufgestanden war. Neben ihr suchten Jane, Harriette, Godfrey und Zach Freu sich in der Dunkelheit auszukennen. Die Thiere, die auf dem Boden ausgestreckt lagen, erhoben den Kopf und stießen Rufe des Schreckens aus.
– Was giebt es denn? fragte Mrs. Branican von neuem.
– Der Samum kommt!« erwiderte Tom Marix.
Das waren die letzten Worte, welche gehört werden konnten. Heulend kam der Sturm dahergebraust, so daß das Ohr keinen anderen Ton vernehmen konnte, während die Augen vergebens die Finsterniß zu durchdringen suchten.
Ja, es war der Samum, wie es Tom Marix gerufen hatte, einer jener plötzlichen Stürme, welche die Wüsten Australiens auf weite Strecken durchbrausen. Eine ungeheure Wolke erhob sich im Süden und senkte sich auf die Ebene herab – eine Wolke, die nicht nur aus Sand, sondern auch aus Asche bestand, welche dem heißen Boden entrissen wurde. Ein undurchdringlicher, feiner Staub sauste dahin, der blendete und in alle Poren des Körpers drang. Wenn die Zelte aufgeschlagen gewesen wären, so würde keine Spur von ihnen zurückgeblieben sein.
Alle fühlten den furchtbaren Luftstrom über sich hinweggehen. Godfrey hielt Dolly mit beiden Händen fest, denn er wollte sich nicht von ihr trennen, falls die Karawane von dem furchtbaren Sturme nach Norden geschleudert werden würde.
Das geschah auch wirklich, und ein Widerstand wäre ganz unmöglich gewesen.
Während einer Stunde wüthete der Sturm, wodurch der Boden eine ganz andere Gestalt annahm, denn die Dünen verschwanden und eine endlose Fläche breitete sich aus. Mrs. Branican und ihre Gefährten wurden vier bis fünf Meilen weit getrieben, standen auf und wurden wieder niedergeworfen und wie Strohhalme weitergeschleudert. Sie sahen und hörten einander nicht, und hofften kaum, sich wiederzufinden. Auf solche Weise kamen sie in die Nähe von Joanna-Spring zu den Ufern des Okaover im Augenblicke, als die ersten Strahlen der Sonne die weite Ebene erleuchteten.
Waren Alle da, als man die Namen rief? ... Alle? ... Nein!
Mrs. Branican, die Dienerin Harriette, Godfrey, Jos Meritt, der chinesische Diener, Zach Fren, Tom Marix, die Weißen waren da, ebenso vier Reitkameele. Aber die Schwarzen waren verschwunden! Und mit ihnen zwanzig Kameele – die, welche die Lebensmittel und das Lösegeld für den Capitän John trugen! ...
Als Dolly Jane rief, erhielt sie keine Antwort.
Len und Jane Burker waren nicht da! ...