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Am folgenden Tage, dem 24. October, beschäftigte sich Mrs. Branican mit der Reorganisation der Karawane für den weiteren Weg, der wahrscheinlich beschwerlich werden würde, da er sich durch fast unbekannte Gegenden von Centralaustralien hindurchzog.
Alice-Spring ist nur eine Station der Overland-Telegraf-Line und besteht aus etwa zwanzig Häusern, so daß sie nicht einmal eine Ortschaft genannt werden kann.
Mrs. Branican begab sich zuerst zu dem Oberhaupte dieser Station, Mr. Flint, der vielleicht etwas über die Indas wußte. Kam dieser Stamm, bei welchem Capitän John gefangen gehalten wurde, nicht manchmal aus dem Westen von Australien bis in die Gegenden des Centrums?
Mr. Flint konnte in dieser Hinsicht nichts Bestimmtes sagen; wenn auch die Indas zeitweilig den westlichen Theil von Alexandraland verlassen, so hatte er doch nie etwas von einem John Branican gehört. Was Harry Felton anbelangt, so wußte er, daß dieser ungefähr achtzig Meilen östlich von der Telegraphenlinie, an der Grenze von Queensland, gefunden wurde. Nach seiner Meinung wäre es das Beste, sich genau an die Angaben zu halten, die der Unglückliche vor seinem Tode gemacht hatte. Er rieth, die Richtung gegen die Districte von Westaustralien einzuschlagen: außerdem hoffte er, daß diese Expedition eben dort erfolgreich enden würde, wo er, nämlich Flint, vor sechs Jahren vergebens Leichhardt aufsuchte, da die Kämpfe der Eingebornen untereinander ihn bald zum Verlassen jener Gegenden zwangen. Er stellte sich Mrs. Branican zur Verfügung, um ihr alle Hilfsquellen der Station zu erschließen. Er hätte dies, fügte er hinzu, auch für David Lindsay gethan, als dieser Forschungsreisende sich im Jahre 1886 in Alice-Spring aufhielt, bevor er die Richtung gegen Nash und die östlichen Gebirge der Mac-Donnell-Ranges einschlug.
So sah um jene Zeit der Theil von Australien aus, den die Expedition jetzt in der Richtung gegen Nordwesten durchsuchen wollte.
Zweihundertsechzig Meilen von Alice-Spring entfernt, bei dem 127. Meridian, befindet sich die Grenze von Norden nach Süden, die Südaustralien, Alexandraland und Nordaustralien von jener Provinz trennt, die unter dem Namen Westaustralien bekannt ist und zur Hauptstadt Perth hat. Diese Provinz ist die größte, am wenigsten bekannte und am wenigsten bevölkerte von Australien. In Wirklichkeit ist sie geographisch nur durch den Umriß ihrer Küsten bestimmt, welche die Länder Nuyts, Lieuwin, Wlaming, Endrack, Witt und Tasmanland umfassen. Die neueren Karten geben im Innern dieses Landes, das nur von den nomadisirenden Eingebornen durchzogen wird, in seinen ungeheuren Einöden drei Wüsten an:
1. Im Süden die Wüste, die sich zwischen dem 30. und 28. Breitegrade ausdehnt, die von Forrest im Jahre 1869 erforscht und von Gilles in ihrer ganzen Länge 1875 durchzogen wurde.
2. Die Gibson-Wüste, zwischen dem 28. und 23. Grade, deren ungeheure Flächen Giles im Jahre 1876 durchzog.
3. Die Große Sandy-Wüste, zwischen dem 23. Grade und der nördlichen Küste, welche der Oberst Warburton unter furchtbaren Gefahren im Jahre 1873 von Osten nach Nordwesten bereiste.
Gerade diese Strecke sollte die Karawane der Mrs. Branican durchmessen, indem sie nach den Angaben Harry Felton's den Weg des Obersten Warburton einschlagen wollte. Der Zug dieses kühnen Reisenden von Alice-Spring bis an die Küste des Indischen Oceans dauerte nicht weniger als vier Monate, die ganze Reise aber vom September 1872 bis Januar 1874. Wie lange würden da Mrs. Branican und ihre Geführten zu diesem Wege brauchen?
Dolly empfahl Zach Fren und Tom Marix, nicht einen Tag zu verlieren und Alles nach den Angaben Mr. Flint's vorzubereiten. Binnen vierzehn Tagen wurden auf Rechnung der Mrs. Branican dreißig Kameele gekauft, die alle in Alice-Spring mit ihren afghanischen Führern des Aufbruches harrten.
Die Kameele wurden erst vor dreißig Jahren in Australien eingeführt, indem Mr. Elder im Jahre 1860 eine große Anzahl derselben aus Indien importiren ließ. Diese nützlichen, mäßigen und starken Thiere können eine Last von hundertfünfzig Kilogramm tragen und vierzig Kilometer in einem Tage zurücklegen, wobei sie immer gleichmäßig dahinschreiten. Außerdem können sie eine Woche ohne Nahrung, drei Tage im Sommer, sechs Tage im Winter ohne Wasser bleiben. Sie werden auf diesem trockenen Continente zu denselben Diensten verwendet, wie in den glühenden Gegenden Afrikas. Dort wie hier ertragen sie geduldig Durst und Hitze. Werden doch die Sahara und die Große Sandwüste von den correspondirenden Breitegraden der beiden Halbkugeln durchschnitten!
Mrs. Branican verfügte nun über dreißig Kameele, zwanzig Reit- und zehn Lastthiere. Die meisten derselben waren männlich und jung, aber auch kräftig und gesund. Wie die Escorte in Tom Marix ihren Führer hatte, ebenso hatten auch diese Thiere ein altes, männliches Kameel zum Führer, dem sie gern folgten. Es leitete sie, sammelte sie bei einer Rast und hinderte sie davonzulaufen. Würde es fallen oder krank sein, so wären die Führer unfähig, die Ordnung aufrecht zu halten. Es ist selbstverständlich, daß dieses werthvolle Thier Tom Marix zugewiesen wurde, und diese beiden Führer – der eine trug den anderen – befanden sich an der Spitze der Karawane.
Man kam überein, die Pferde und Ochsen, welche die Leute von der Station Farina bis nach Alice-Spring getragen hatten, in der Obhut Flint's zu lassen, weil die Karawane wahrscheinlich denselben Rückweg der Telegraphenlinie entlang einschlagen würde.
Dolly und Jane saßen zusammen in einer »Kibitka«, einer Art von arabischem Zelt, das eines der stärksten Kameele der Karawane trug. Sie waren in demselben gegen die Strahlen der Sonne durch Vorhänge geschützt und konnten sich sogar gegen Regengüsse schützen, welche große Gewitter, was freilich selten vorkam, auf diese weiten Ebenen schütten.
Harriette, die Dienerin der Mrs. Branican, war an die langen Nomadenmärsche gewöhnt und zog es vor, zu Fuß zu gehen, da sie diese großen buckeligen Thiere mehr als Last-, denn als Reitthiere ansah. Len Burker, Godfrey und Zach Fren erhielten je ein Kameel und gewöhnten sich rasch an dieses lästige Reiten. Uebrigens konnte keine andere Gangart als der regelmäßige Schritt dieser Thiere eingeschlagen werden, da nur ein Theil der Menschen ritt. Ein Trab sollte nur dann stattfinden, wenn sich die Nothwendigkeit ergab, die Karawane wegen Aufsuchung eines Brunnens oder einer Quelle in der Großen Wüste in schnelleres Tempo zu setzen.
Die übrigen Weißen hatten noch die anderen fünfzehn Kameele; die Schwarzen, denen die Führung der zehn Lastkameele oblag, mußten die zwölf bis vierzehn Meilen täglich zu Fuß machen, was für sie sicher nicht zu viel war.
So wurde denn die ganze Karawane auf diese Weise für den zweiten Theil der Reise reorganisirt, um in jeder Richtung hin allen Anforderungen zu genügen; da sie viel besser mit Transport und Lebensmitteln ausgerüstet war, als je eine der früheren Forschungsreisenden, so hatte man begründete Hoffnung, daß ein Erfolg erzielt werden würde.
Es bleibt noch übrig zu erwähnen, was aus Jos Meritt geworden war. Blieb dieser Gentleman mit seinem Diener Gîn-Ghi in Alice-Spring zurück? Oder, wenn sie weiterzogen, nahmen sie die Richtung gegen Norden längs der Telegraphenlinie? Setzten sie nicht eher östlich oder westlich die Reise fort, um auf Eingeborne zu stoßen? Es war das in der That der einzige Weg, damit der berühmte Sammler endlich einmal die Kopfbedeckung finde, nach der er schon so lange jagte. Da er aber jetzt kein Reitthier, kein Gepäck und keine Lebensmittel mehr besaß, wie sollte er da seine Reise fortsetzen?
Zach Fren hatte diesbezüglich schon einigemale den Chinesen Gîn-Ghi gefragt, der aber selbst nie wußte, was sein Herr beschloß, da es eben dieser selbst noch nicht wußte. Dennoch konnte er mit Bestimmtheit erklären, daß sein Herr Jos Meritt nie den Rückweg einschlagen werde, so lange nicht seine fixe Idee befriedigt sei, und daß er, nämlich Gîn-Ghi, der Hong-Konger, nie mehr sein Vaterland sehen werde, wo die jungen Chinesen, in Seide gekleidet, mit ihren langen Fingern »Nenupharblüthen pflücken«.
Unterdessen neigte sich der letzte Tag vor dem Aufbruche seinem Ende zu und Jos Meritt hatte noch nichts von seinen Absichten verlauten lassen. Da setzte Gîn-Ghi Mrs. Branican in Kenntniß, daß Jos Meritt sie um die Gunst einer wichtigen Unterredung bitte.
Mrs. Branican, die nach Kräften die Wünsche dieses originellen Menschen erfüllen wollte, ließ ihm sagen, daß sie den hochgebornen Jos Meritt bitte, sich in das Haus Mr. Flint's zu bemühen, wo sie seit ihrer Ankunft in der Station wohnte.
Jos Meritt begab sich augenblicklich dahin – es war am 25. October Nachmittags – und als er sich Mrs. Branican gegenüber befand, sagte er:
»Mrs. Branican ... Gut! ... O! ... Sehr gut! ... Ich zweifle nicht ... Nein! ... Ich zweifle keinen Augenblick, daß Sie den Capitän John wiederfinden werden ... und ich möchte gar so gern den Hut finden ... für dessen Entdeckung ich so oft mein Leben gewagt habe ... Gut! ... O! ... Sehr gut! ... Sie sollen erfahren, warum ich durch die entlegensten Gegenden Australiens ziehe ...
– Ich weiß es ... Herr Meritt, erwiderte Mrs. Branican, und von meiner Seite aus zweifle ich nicht, daß Sie eines Tages für Ihre Ausdauer werden belohnt werden ...
– Ausdauer! ... Gut! ... O! ... Sehr gut! ... Ja, dieser Hut ist einzig in der Welt!
– Fehlt er Ihrer Sammlung?
– Leider ... und ich möchte meinen Kopf hingeben, um ihn aufsetzen zu können!
– Ist es ein Herrenhut? fragte Dolly, die sich mehr aus Güte als aus Neugierde für die Phantasien dieses Menschen interessirte.
– Nein, Mistreß, nein ... ein Frauenhut ... Aber welcher Frau! ... Sie werden mir schon verzeihen, wenn ich das Geheimniß über seinen Namen und seine Eigenschaft für mich behalte ... aus Furcht ... Concurrenz zu erhalten ... Bedenken Sie ... Mistreß ... wenn ein anderer ...
– So sind Sie ihm auf der Spur?
– Eine Spur? ... Gut! ... O! ... Sehr gut! Durch vieles Correspondiren, viele Untersuchungen und Nachforschungen ist es mir gelungen zu erfahren, daß dieser Hut nach mannigfachen Schicksalen nach Australien gekommen ist ... und daß ... und daß ... er jetzt den Kopf des Häuptlings eines hiesigen Stammes schmückt.
– Doch was ist das für ein Stamm?
– Es ist einer derjenigen, welche den Continent von Norden nach Westen durchziehen. Gut! ... O! ... Sehr gut! ... Wenn es sein muß ... so werde ich Alle aufsuchen ... Alle durchstöbern ... Und weil es mir da gleich bleibt, bei welchem ich beginne, so bitte ich um die Erlaubniß, Ihre Karawane bis zu den Indas begleiten zu dürfen.
– Sehr gern, Herr Meritt, erwiderte Dolly, und ich werde sofort Befehl geben, daß man, wenn möglich, noch zwei Kameele kaufe ...
– Es genügt schon eines, Mistreß, nur eines für mich und meinen Bedienten ... umsomehr, weil ich mir vornehme zu reiten ... und Gîn-Ghi daneben zu Fuß gehen soll ...
– Sie wissen doch, daß wir morgen aufbrechen, Herr Meritt?
– Morgen? ... Gut! ... O! ... Sehr gut! ... Ich werde Sie nicht aufhalten, Mistreß. Aber es ist selbstverständlich, nicht wahr, daß ich mich um nichts kümmere, was den Capitän John angeht ... Das ist Ihre Sache ... Ich kümmere mich nur um meinen Hut ...
– Um Ihren Hut, abgemacht, Herr Meritt!« erwiderte Dolly.
Darauf zog sich Jos Meritt zurück, indem er erklärte, daß eine so einsichtsvolle, energische und edle Frau würdig sei, ihren Gatten zu finden, wie er selbst, daß er die Hand auf das Kleinod lege, das seiner Sammlung von historischen Hüten die Krone aufsetzen sollte.
Gîn-Ghi, der aufgefordert wurde, sich für den folgenden Tag bereitzuhalten, mußte die wenigen Sachen, welche ihnen aus dem Unglücke erhalten geblieben waren, in Ordnung bringen. Was das Thier anbelangt, das der Gentleman mit seinem Diener auf die oben angedeutete Weise theilen wollte ... so gelang es Mr. Flint, dieses herbeizuschaffen. Als es Jos Meritt sah, da sagte er:
»Gut! ... O! ... Sehr gut!«
Am folgenden Tage, dem 26. October, wurde das Signal zum Aufbruche gegeben, nachdem Mrs. Branican von Mr. Flint Abschied genommen hatte. Tom Marix und Godfrey eilten an die Spitze der Weißen, Dolly und Jane nahmen in der Kibitka Platz, indem sie rechts und links Len Burker und Zach Fren hatten. Dann kam Jos Meritt, der voll Majestät zwischen den beiden Buckeln ritt, gefolgt von Gîn-Ghi. Den zweiten Theil der Karawane bildeten die Lastkameele mit den Schwarzen.
Um sechs Uhr Morgens ließ die Expedition die Overland-Telegraf-Line und die Station Alice-Spring rechts und verschwand hinter einem Hügel der Mac-Donnell-Ranges.
Da im Monate October die Hitze in Australien sehr groß ist, so rieth Tom Marix, nur in den ersten Stunden des Tages zu reisen – von vier bis neun Uhr – und Nachmittags von vier bis acht Uhr. Sogar die Nächte begannen erstickend zu werden, so daß lange Aufenthalte genommen werden mußten, um die Karawane an die Anstrengungen dieser Reise zu gewöhnen. Und doch war das noch nicht die Wüste mit ihren unendlichen Ebenen, ihren fast ausgetrockneten Flüssen und Cisternen, die nur ein schmutziges Wasser oder gar keines enthielten. Am Fuße der Gebirge zog sich eine wenig vegetationsfähige Gegend dahin, welche die Telegraphenlinie nach Nordwesten durchschnitt. Diese Richtung mußte die Karawane verlassen, um sich mehr westlich fast auf dem Breitegrade zu halten, der mit dem Wendekreise des Steinbocks gleichläuft. Es war das fast derselbe Weg, den Gilles im Jahre 1872 nahm und der den Stuart's in einer Entfernung von hundertfünfzig Meilen nördlich von Alice-Spring kreuzte.
Die Kameele schritten nur langsam dahin. Bäche bewässerten hin und wieder das Land, so daß die Menschen im Schatten der Bäume ein fließendes, hinreichend frisches Wasser fanden, mit dem sich auch die Thiere für einige Stunden den Durst stillen konnten. Die Jäger schossen in diesen Gegenden eine Art Kaninchen, so daß die Vorräthe ergänzt wurden.
Man weiß, daß das Kaninchen in Australien dieselbe Stellung einnimmt wie die Gazelle in Afrika. Diese Nagethiere vernichten Alles, wenn man nicht auf der Hut ist. Bis jetzt hatte die Karawane wegen des großen Vorrathes an Lebensmitteln diese Thiere verschmäht, da in den Wäldern und Ebenen von Südaustralien genug anderes Wild vorhanden war und sie immer noch diese Thiere haben konnten, wenn keine Hasen, Rebhühner, Wachteln, Enten, Tauben u. a. m. vorhanden sein würden. Aber in dieser Gegend mußte man sich schon mit dem begnügen, was man fand, nämlich mit Kaninchen.
Godfrey, Jos Meritt und Zach Fren kamen am Abend des 31. October auf die Vernichtung dieser Thiere zu sprechen, nachdem ersterer gefragt hatte, ob es schon von jeher Kaninchen in Australien gegeben habe.
»Nein, mein Junge, erwiderte Tom Marix, ihre Importation fand erst vor etwa dreißig Jahren statt. Das war ein schönes Geschenk, das man uns da machte. Diese Thiere haben sich so vermehrt, daß sie unsere Ländereien verwüsten, und gewisse Districte sind von ihnen derart überfluthet, daß man dort weder Schafe noch Vieh halten kann. Die Felder sind durch ihre Baue untergraben und das Gras wird bis auf die Wurzel abgenagt. Das ist ein vollständiger Ruin, und ich glaube, daß nicht die Colonisten die Kaninchen, sondern die Kaninchen die Colonisten vernichten werden.
– Hat man denn keine wirksamen Mittel gefunden, sich ihrer zu entledigen? bemerkte Zach Fren.
– Reden wir nicht von wirksamen Mitteln, erwiderte Tom Marix, da ihre Zahl sich eher vermehrt als vermindert. Ich kenne einen Farmer, der eine Million Francs ausgeben mußte, um diese Thiere, die seinen ganzen »Run« zerstörten, zu vernichten. Die Regierung hat Preise auf ihre Erlegung ausgesetzt, wie sie es nur bei Tigern und giftigen Schlangen in Britisch-Indien thut. Bah! Sie vermehrten sich wie die Hydra ihre Köpfe, wenn einer abgeschlagen wurde. Man verwendete Strychnin, wodurch Hunderttausende vergiftet wurden und bald das ganze Land verpestet worden wäre. Alles vergebens!
– Ich habe doch gehört, bemerkte Godfrey, daß ein französischer Gelehrter, Namens Pasteur, diese Nagethiere dadurch vernichten wollte, daß er ihnen den Hühnercholerabacillus einimpfte.
– Ja, und vielleicht hätte dieses Mittel auch gewirkt. Aber man wendete es nicht an ... obwohl fast zwanzigtausend Pfund als Preis ausgesetzt waren. Queensland und Neu-Südwales ergreifen alle Mittel, um den Osten des Continents gegen diese Kaninchenplage zu schützen. Das ist wirklich eine Landplage.
– Gut! ... O! ... Sehr gut! Eine wirkliche Landplage ... erwiderte Jos Meritt, wie auch der gelbe Typus, der schließlich die fünf Welttheile überfluthen wird. Die Chinesen sind die Kaninchen der Zukunft ...«
Glücklicherweise war Gîn-Ghi nicht da, denn sonst wäre diese Beleidigung nicht ohne Einsprache geblieben. Ja, wenigstens mit den Achseln hätte er gezuckt und gelächelt, in der seiner Rasse eigenthümlichen Weise, die nur in einem langen, pfeifenden Athmen besteht.
»So werden also, sagte Zach Fren, die Australier auf diesen Kampf verzichten?
– Was sollten sie denn anfangen? erwiderte Tom Marix.
– Ich glaube doch, daß es ein Mittel giebt, diese Thiere zu vernichten, sagte Jos Meritt.
– Und welches? fragte Godfrey.
– Man sollte von dem englischen Parlamente die Erlassung des folgenden Gesetzes verlangen: ›Es werden von nun an nur mehr Biberhüte in ganz Großbritannien und den dazu gehörigen Kolonien getragen.‹ Da nun die Biberhüte aus nichts anderem bestehen als aus Kaninchenfellen ... so ... Gut! ... O! ... Sehr gut!«
Mit der gewohnten Redensart vollendete der Engländer seine Erklärung.
Wie dem auch sei, so wäre es das Beste, bis zur Erlassung dieses Gesetzes recht viel Kaninchen zu essen. Auf solche Weise würde in Australien schon Mangel daran eintreten.
Was nun die anderen Thiere anbelangt, so konnten dieselben nicht genossen werden.
Eines Tages war Godfrey, der sich unter den Mitgliedern der Karawane als ein tüchtiger Schütze auszeichnete, so glücklich, einen »Jarri«, eine Art Känguruh, anzuschießen, der aber trotz seiner Verwundung entkam. Der junge Matrose war darüber nicht besonders ärgerlich, denn nach der Ansicht des Tom Marix hat dieses Thier nur deshalb einen Werth, weil es wegen seines rasenden Laufes sehr schwer ist, es zu erlegen. Auf gleiche Weise verhält es sich mit dem »Bungari«, einem großen Thiere mit schwarzem Pelze, das in den hohen Aesten der Bäume herumkriecht, indem es sich nach Art der Katzen mit den Krallen festhält. Dieses Wesen, das vorzugsweise in der Nacht aus seinem Schlupfwinkel kommt, kann sich so geschickt in den Aesten verbergen, daß es schwer ist, es daselbst zu erkennen.
Tom Marix erwähnte, daß das Fleisch des Bungari ein ausgezeichnetes Wildpret sei, wenn es am Spieße gebraten werde. Man bedauerte ungemein, das nicht selbst kosten zu können, da es wahrscheinlich war, daß, je näher sie der Wüste kämen, sich die Bungaris auch nicht mehr zeigen würden. Allem Anscheine nach war die Karawane, je weiter nach Westen, auf ihren eigenen Vorrath von Lebensmitteln angewiesen.
Trotz der großen Schwierigkeiten des Terrains gelang es doch Tom Marix, täglich zwölf bis vierzehn Meilen zurückzulegen – die Strecke, welche ursprünglich gleich festgesetzt wurde. Obwohl die Hitze schon sehr groß war – dreißig bis fünfunddreißig Grad im Schatten – so vertrug man sie doch noch. Am Tage fand man einige Baumgruppen, in deren Schatten es sich bequem lagerte, und außerdem trat noch kein Wassermangel ein, so daß die tägliche Rast, neun bis vier Uhr Nachmittags, Menschen und Thieren wieder neue Kräfte gab.
Das Land war unbewohnt, und nirgends sah man mehr Einfriedigungen oder Schafhürden, da das kurze und trockene Gras für diese Thiere keine Nahrung gab. Nur selten begegnete man Eingebornen, welche die Richtung gegen die Stationen der Overland-Telegraf-Line einschlugen.
Am 7. November kam Godfrey, der ungefähr eine halbe Meile vorausgeritten war, mit der Nachricht zurück, das er einen Menschen zu Pferde gesehen habe. Dieser Reiter verfolgte einen schmalen Pfad am Fuße der Mac-Donnell-Ranges; als er die Karawane bemerkte, ritt er im Galopp auf dieselbe zu.
Binnen kurzem stellte Godfrey denselben Mrs. Branican vor, die ihm zuerst einen tüchtigen Schluck Branntwein reichen ließ, wofür er sich nicht genug bedanken konnte.
Es war ein weißer Australier, ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, einer jener unermüdlichen Reiter, die in Wind und Regen in ihrem Sattel wie auf einem Stuhle sitzen und denen die Sonnenstrahlen nichts mehr im Gesichte verbrennen können. Er war Courier seines Staates und versah sein Amt mit großem Eifer und Lust: Er ritt durch die Districte der Provinz, stellte Briefe zu und trug die Neuigkeiten von Dorf zu Dorf, selbst in die zerstreut liegenden Dörfer, östlich und westlich von der Telegraphenlinie. Er kam damals von Emu-Spring, einer Ortschaft am Südabhange der Buff-Ranges, nachdem er die Gegend, die sich bis zu den Mac-Donnell-Ranges ausdehnt, durchzogen hatte.
Dieser Courier, welcher zu der Classe der »Roughmen« gehörte, glich recht den alten französischen Postillonen. Er ertrug Hunger und Durst, wurde überall freundlich aufgenommen, wenn er auch keinen Brief aus der Tasche zog, war muthig, entschlossen und ritt, den Revolver im Gürtel, auf seinem tüchtigen Rosse Tag und Nacht dahin, indem er keine Gefahr scheute.
Mrs. Branican fand ein Vergnügen daran, mit ihm zu sprechen und sich bei ihm nach den Stämmen zu erkundigen, mit denen er in Berührung gekommen war.
Dieser tüchtige Mann antwortete in schlichter und einfacher Weise. Er hatte, wie alle Leute, von der Katastrophe des »Franklin« reden hören, doch wußte er nicht, daß unter der Leitung der Frau des John Branican eine Expedition von Adelaide aus unternommen würde, um die Gebiete Centralaustraliens zu durchforschen.
Mrs. Branican erzählte ihm noch, daß nach den Berichten Harry Felton's der Capitän John bei den Indas seit vierzehn Jahren gefangen gehalten werde.
»Haben Sie auf Ihren Wegen, fragte sie, einige Eingeborne dieses Stammes kennen gelernt?
– Nein, Mistreß, obwohl diese Indas manchmal dem Alexandralande nahe gekommen sind, erwiderte der Courier, und ich oft von ihnen habe sprechen hören.
– Können Sie uns nicht sagen, wo sie sich jetzt befinden? fragte Zach Fren.
– Mit den Nomaden ist es schwer ... In dieser Jahreszeit sind sie da, in jener wieder dort ...
– Aber ihren letzten Aufenthaltsort? fragte wieder Mrs. Branican, die auf dieser Frage beharrte.
– Ich glaube behaupten zu können, erwiderte der Courier, daß sie sich vor einem halben Jahre im Nordwesten von Ostaustralien an den Ufern des Fitz-Roy aufgehalten haben, denn diese Gegenden suchen die Völker Tasmaniens sehr gern auf. Zum Teufel! Sie wissen doch, wenn man in diese Ländereien vordringen will, daß man die Wüsten des Centrums und des Westens durchwandern muß, und ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, welche Gefahren da zu bestehen sind! ... Nun, mit Muth und Energie kommt man weit ... So wünsche ich Ihnen denn eine glückliche Reise, Mrs. Branican.«
Der Courier nahm noch ein Glas Branntwein zu sich und einige Büchsen Conserven in die Tasche. Dann bestieg er wieder sein Pferd und verschwand bald hinter dem Rücken der Mac-Donnell-Ranges.
Zwei Tage darauf überschritt die Karawane die höchsten Uebergänge dieser Gebirgskette, die der Gipfel des Liebigberges beherrscht, und gelangte an die Grenze der Wüste, hundertdreißig Meilen nordwestlich von der Station Alice-Spring.