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In welchem man den Seigneur Keraban noch starrköpfiger als je sehen wird.
Sofort öffnete sich die Thür des Salons, der Seigneur Keraban, Ahmet, Amasia, Nedjeb und Bruno erschienen auf der Schwelle.
Keraban gelang es schnell, Van Mitten zu befreien.
»Oho, Madame, sagte Ahmet, man erdrosselt nicht die Leute ... wegen eines Mißverständnisses!
– Zum Teufel, murmelte Bruno, da kamen wir zur höchsten Zeit!
– Armer Herr Van Mitten! klagte Amasia, welche eine aufrichtige Empfindung von Mitleid für ihren Reisegefährten hegte.
– Das ist entschieden keine Frau, die für ihn paßt! meinte Nedjeb mit dem Kopfe schüttelnd. Inzwischen erholte sich Van Mitten ein wenig.
– Es ging wohl hart her? fragte Keraban.
– Noch wenig mehr, und es war um mich geschehen!« antwortete Van Mitten.
Da drang die edle Sarabul auf den Seigneur Keraban ein und platzte ihm gerade in's Gesicht heraus:
»Waren Sie es also, der sich einverstanden erklärte mit dieser ...
– Mystification, erwiderte Keraban in höchst liebenswürdigem Tone. Das ist das richtige Wort, Mystification.
– Ich werde mich rächen! ... Noch giebt es Richter in Constantinopel!
– Schöne Sarabul, entgegnete der Seigneur Keraban, klagen Sie Niemand als sich selbst an! Sie wollten unter dem Vorwande eines entehrenden Angriffs uns verhaften lassen und hätten dadurch den Endzweck unserer Reise in Frage gestellt. Nun, bei Allah, man windet sich aus solcher Lage wie es eben geht. Wir haben uns derselben durch eine vorgebliche Heirat entzogen und hatten gewiß ein Recht zu dieser Wiedervergeltung!«
Bei dieser Erklärung sank Sarabul noch einmal auf einen Divan nieder, auch sie unterlag einem jener Nervenanfälle, welche, selbst in Kurdistan, ein Geheimniß der Frauen sind.
Nedjeb und Amasia beeilten sich, ihr beizustehen.
»Ich gehe davon! ... Ich entfliehe! ... rief sie während der Höhe der Krisis.
– Glückliche Reise!« murmelte Bruno.
In diesem Augenblick erschien eben Nizib auf der Schwelle der Salonthür.
»Was giebt es? fragte Keraban.
– Soeben ist eine Depesche aus dem Comptoir in Galata eingetroffen, antwortete Nizib.
– An wen? fragte Keraban.
– An Herrn Van Mitten, Herr. Sie ist erst heute hier angelangt.
– Geben Sie her, sagte Van Mitten.
Er ergriff das Telegramm, erbrach es, und sah zuerst nach der Unterschrift.
»Es kommt von meinem ersten Commis in Rotterdam,« sagte er.
Dann las er erst den Text.
» Madame Van Mitten ... seit fünf Wochen ... verschieden ...«
Die Depesche in der Hand haltend, stand Van Mitten wie vom Donner gerührt und – warum es verschweigen – seine Augen füllten sich plötzlich mit Thränen.
Bei den letzten Worten sprang Sarabul aber wie ein von Federkraft emporgeschnellter Teufel wieder in die Höhe.
»Fünf Wochen! rief sie hochentzückt. Er sagte fünf Wochen!
– Welche Unklugheit! murmelte Ahmet, warum hatte er nöthig, diese Zeitangabe gerade jetzt so laut hinauszurufen?
– Es ist bekanntlich zehn Tage her, fuhr Sarabul triumphirend fort, daß ich Ihnen die Ehre anthat, mich mit Ihnen zu verloben ...!
– Möge Sie Mohammed erwürgen! rief Keraban, vielleicht etwas lauter, als er beabsichtigt hatte.
– Sie waren schon Wittwer, mein Herr Gemahl! erklärte Sarabul mit Siegeszuversicht.
– Vollständig Wittwer, mein Herr Schwager! setzte Yanar hinzu.
– Und unsere Heirat ist giltig!«
Niedergeschmettert von der Logik dieser Beweisgründe war nun Van Mitten auf den Divan gesunken.
»Der arme Mann, sagte Ahmet zu seinem Onkel, es bleibt ihm nichts weiter übrig, als sich in den Bosporus zu stürzen!
– So? antwortete Keraban spöttisch, und sie spränge ihm doch nach, um ihn ... aus Rache ... zu retten!«
Die edle Sarabul hatte den, welchen sie nun als rechtmäßiges Eigenthum beanspruchte, am Arme ergriffen.
»Stehen Sie auf, sagte sie.
– Ja, theure Sarabul, antwortete Van Mitten, den Kopf sinken lassend ... ich bin bereit!
– Und folgen Sie uns! setzte Yanar hinzu.
– Ja, verehrter Schwager! erwiderte Van Mitten ganz schachmatt. Bereit, Ihnen zu folgen ... wohin Sie wollen!
– Nach Constantinopel, wo wir uns auf dem nächsten Dampfer einschiffen werden, sagte Sarabul.
– Nach? ...
– Nach Kurdistan! erklärte Yanar.
– Nach Kurdistan? ... Du wirst mich begleiten, Bruno! ... Dort wird vortrefflich gegessen ... Das wird für Dich eine verdiente Wiedervergeltung sein!«
Bruno konnte nur ein zustimmendes Zeichen mit dem Kopfe machen.
Die edle Sarabul und der Seigneur Yanar führten darauf den unglücklichen Holländer, den seine Freunde vergeblich zurückzuhalten versuchten, hinaus, während sein treuer Diener murmelnd nachfolgte.
»Hab' ich es nicht vorausgesagt, daß ihm noch ein Unglück zustoßen würde!« brummte er.
Die anderen Anwesenden, und sogar Keraban selbst, standen vernichtet und stumm vor diesem Donnerschlage.
»Nun muß er sich verheiraten! rief Amasia.
– Aus Ergebenheit für uns, meinte Ahmet.
– Und dieses Mal in allem Ernste, setzte Nedjeb hinzu.
– In Kurdistan, sagte Keraban höchst ernsthaft, wird ihm nur ein Hilfsmittel zu Gebote stehen.
– Und welches, lieber Onkel?
– Nun, sehr einfach das, wenn er sie bekommen kann, gleich noch ein Dutzend solcher Frauen zu heiraten!«
Da öffnete sich schon die Thür und herein stürmte Selim mit sehr erregtem Gesicht und keuchend, als ob er sich außer Athem gelaufen habe.
»Was ist Dir, lieber Vater? fragte Amasia.
– Was ist geschehen? rief Ahmet.
– Nun, liebe Freunde, es wird unmöglich sein, die Hochzeit Amasias und Ahmets zu feiern ...
– Was sagst Du?
– Wenigstens nicht in Scutari, fuhr Selim fort.
– Nicht in Scutari?
– Sie kann nur in Constantinopel stattfinden!
– In Constantinopel? ... platzte Keraban heraus, der bei dieser Neuigkeit stark die Ohren spitzte. Und weshalb?
– Weil der Richter von Scutari sich unbedingt weigert, den Heiratscontract aufzunehmen.
– Wie? ... Er weigert sich? ... sagte Ahmet.
– Ja, ... unter dem Vorwande, der Wohnsitz Keraban's und folglich auch Ahmets sei nicht Scutari, sondern Constantinopel!
– Was, Constantinopel? wiederholte Keraban, der schon unheildrohend die Augenbrauen runzelte.
– Und dazu, fuhr Selim fort, ist heute der letzte für die Hochzeit meiner Tochter zulässige Tag, um in den Besitz des ihr vermachten Vermögens zu kommen. Wir müssen uns also ohne Zögern zu dem anderen Richter begeben, der den Contract in Constantinopel aufnehmen wird.
– Wir wollen sofort hinüber fahren! rief Ahmet, schon auf die Thür zugehend.
– Fort! Fort! drängte Amasia, die ihm ohne Zögern nachfolgte.
– Sollte das für Sie, Seigneur Keraban, ein Hinderniß sein, uns zu begleiten?« fragte das junge Mädchen.
Der Seigneur Keraban blieb regungslos und schweigend stehen.
»Nun, lieber Onkel? sagte Ahmet, noch einmal umkehrend.
– Sie kommen nicht mit? fragte Selim.
– Muß ich etwa gar Gewalt brauchen? setzte Amasia hinzu, indem sie ihn sanft am Arme faßte.
– Ich habe einen Cajik bestellt, meldete Selim, und wir brauchen also nur über den Bosporus zu fahren.
– Ueber den Bosporus!« rief Keraban.
Dann fuhr er in trockenem Tone fort:
»Einen Augenblick, lieber Freund; wird die Steuer von zehn Paras noch von Jedermann erhoben, der über den Bosporus fährt?
– Ja, gewiß, Freund Keraban, sagte Selim. Jetzt aber, wo Sie den türkischen Beamten doch einmal den Streich gespielt haben, von Constantinopel nach Scutari ohne Zahlung einer Steuer zu gehen, werden Sie, denk' ich, sich nicht weigern ...
– Ich weig're mich! erklärte Keraban rund heraus.
– Dann wird man Sie nicht hinüber lassen, wandte Selim ein.
– Mag sein! ... So werd' ich nicht hinüber gehen!
– Und unsere Heirat? ... warf Ahmet ein, unsere Hochzeit, welche unbedingt heute stattfinden muß?
– Ihr werdet Euch ohne mich verheiraten.
– Das geht nicht an! Du bist mein Vormund gewesen, Onkel Keraban, und weißt recht gut, daß Deine Anwesenheit unbedingt erforderlich ist!
– Nun, Ahmet, so warte, bis ich meinen Wohnsitz nach Scutari verlegt habe ... Dann kann ich Dich in Scutari verheiraten.«
Alle diese Antworten wurden in so entschiedenem Tone ertheilt, daß sie wenig Hoffnung übrig ließen, die starrsinnige Persönlichkeit anderen Anschauungen geneigt zu machen.
»Freund Keraban, fing Selim noch einmal an, es ist heute der letzte Tag ... Sie begreifen, daß das ganze, meiner Tochter zufallende Vermögen verloren wäre, wenn ...«
Keraban machte mit dem Kopfe ein verneinendes Zeichen, das von einer noch ausdrucksvolleren Handbewegung begleitet wurde.
»Liebster Onkel, rief Ahmet, Du wirst doch nicht wollen ...
– Wenn ich gezwungen sein soll, zehn Paras zu erlegen, werde ich niemals, nein, niemals über den Bosporus fahren! Beim Barte des Propheten, ich reise lieber noch einmal um's Schwarze Meer, um nach Constantinopel zu gelangen!«
Wahrlich, der Trotzkopf wäre der Mann dazu gewesen, eine solche Thorheit zu begehen.
»Liebster Onkel, fuhr Ahmet fort, Du würdest damit ein Unrecht begehen! ... Der Starrsinn unter den vorliegenden Umständen, verzeihe, daß ich Dir das sage, ist nur bei einem Manne, wie bei Dir, denkbar! ... Du schreckst nicht davor zurück, Diejenigen unglücklich zu machen, welche Dir stets mit warmer Liebe zugethan gewesen sind! ... Das ist nicht recht.
– Ahmet, achte etwas auf Deine Worte, antwortete Keraban mit dumpfem Tone, der einen bevorstehenden Zornesausbruch verkündete.
– Nein, lieber Onkel, o nein! o nein! Das Herz fließt mir über, und da wird mich nichts hindern, zu sprechen! ... Das ... das thut kein braver Mann!
– Lieber Ahmet, mischte sich da Amasia ein, beruhige Dich! Sprich nicht so von Deinem Onkel! ... Wenn das Vermögen, auf das zu rechnen Du alle Ursache hattest, Dir entgeht ... so verzichte auf unsere Verbindung!
– Ich soll auf Dich verzichten, antwortete Ahmet, das junge Mädchen innig an sein Herz drückend. Niemals! ... Nein! ... Komm! Verlassen wir diese Stadt, um niemals hierher zurückzukehren! Es wird uns wohl noch so viel übrig bleiben, um die zehn Paras für die Fahrt nach Constantinopel aufzubringen!«
In einer Erregung, die er nicht zu bemeistern vermochte, zog Ahmet das junge Mädchen nach der Thür.
»Keraban! ... sagte Selim, der noch zum letzten Male versuchen wollte, seinen Freund auf andere Gedanken zu bringen.
– Lassen Sie mich, Selim, lassen Sie mich in Ruhe!
– Ach, komm, Vater, wir wollen gehen!« schluchzte Amasia, die auf Keraban noch einen thränenverschleierten Blick zurückwarf.
Schon begab sie sich mit Ahmet nach der Thür des Salons, als dieser doch noch einmal stehen blieb.
»Zum letzten Male, lieber Onkel, sagte er, Du schlägst es ab, uns zum Richter nach Constantinopel zu begleiten, wo Deine Anwesenheit bei unserer Vermählung unentbehrlich ist?
– Ich schlage nichts Anderes ab, erklärte Keraban, voll Unmuth mit dem Fuße stampfend, als mich dieser ungerechten Steuer von zehn Paras zu unterwerfen.
– Keraban! redete ihm Selim zu.
– Nein, bei Allah! Nimmermehr!
– So leb' wohl, lieber Onkel, Dein Starrsinn wird uns ein erhofftes Vermögen kosten! ... Du ruinirst die, welche Deine Nichte hatte werden sollen! Gut! ... Es ist nicht das Vermögen, welches ich bedaure! ... Aber unser Glück hast Du verzögert ... Wir werden uns niemals wiedersehen!«
Der junge Mann zog Amasia mit sich fort. Selim, Nedjeb und Nizib folgten ihm; Alle verließen die Villa und die Stadt, und wenige Augenblicke später befanden sie sich schon in einem Cajik, um nach Constantinopel zurückzukehren.
Eine Beute der wunderlichsten, sich widersprechenden Empfindungen, ging der allein gelassene Keraban auf und ab.
»Nein, bei Allah! Nein, bei Mohammed! knurrte er für sich, das wäre meiner unwürdig! Erst eine Reise um das Schwarze Meer ausführen, um jene Steuer nicht zu zahlen, und nach der Rückkehr die zehn Paras doch aus der Tasche zu holen! ... Nein! ... Lieber setzte ich keinen Fuß wieder auf den Boden Constantinopels! ... Ich verkaufe mein Haus in Galata ... ich trete mein Geschäft ab ... überlasse Ahmet mein ganzes Vermögen, um ihm das, welches Amasia durch mich verliert, zu ersetzen! ... Er wird reich ... ich, ich werde arm sein, aber ich gebe nicht nach! Nein, ich gebe nicht nach!«
Während er so mit sich sprach, wurde der Kampf, der in seinem Innern tobte, nur desto heftiger.
»Nachgeben! ... Bezahlen! wiederholte er. Ich ... Keraban ...! Ich soll vor den Polizeisoldaten hintreten, der mich zuerst herausgefordert ... der mich abreisen sah ... meine Rückkehr erwartete ... der mich in's Gesicht verspotten wird, indem er mir diese verhaßte Steuer abverlangt! ... Nimmermehr!«
Immerhin hätte man deutlich sehen können, daß Keraban sich nur gegen seine eigene Ueberzeugung wehrte und sehr wohl fühlte, wie die Folgen dieser Starrköpfigkeit, welche ja im Grunde eine unsinnige war, auf Andere als auf ihn zurückfallen mußten.
»Ja, fuhr er fort, aber würde Ahmet das annehmen? ... Er ist verzweifelt und wüthend über meinen Trotz davon gegangen! ... Ich begreife ihn! ... Er ist stolz! ... Er wird von mir jetzt jedes Angebot zurückweisen! ... Nun, ich bin doch von Natur ein Ehrenmann ... Soll ich, eines albernen Entschlusses wegen, das Glück dieser jungen Leute auf's Spiel setzen? ... O, möchte Mohammed den ganzen Divan erdrosseln und mit ihm alle Türken des neuen Regiments!«
Mit fieberhaften Schritten durchmaß der Seigneur Keraban seinen Salon. Mit den Füßen stieß er alle Lehnsessel und Polsterstühle weit weg; er suchte nach einem zerbrechlichen Gegenstand, um seine Wuth zu kühlen, und bald lagen zwei Vasen vor ihm in Scherben. Und immer und immer wieder kam er darauf zurück, sich zu sagen:
»Amasia ... Ahmet ... nein! ... Ich kann nicht die Ursache ihres Unglücks werden ... und noch dazu aus reiner Eigenliebe! ... Die Vermählung verzögern, bedeutet vielleicht so viel, wie sie ganz verhindern! ... Aber nachgeben ... nachgeben ... ich! ... O, möge mir Allah zu Hilfe kommen!«
Mit dieser Anrufung stürzte der Seigneur Keraban, erfüllt von einer Wuth, welche sich weder durch Worte noch durch Bewegung mehr Luft machen kann, seiner Sinne kaum mächtig, aus dem Salon.