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Worin ein Gespräch zwischen der edlen Sarabul und ihrem Verlobten mitgetheilt wird.
Als Ahmet sich seinen Gefährten wieder anschloß, waren die letzten Vorbereitungen zum Nachtessen und zum Schlafen wie gewöhnlich getroffen. Das Schlafzimmer oder vielmehr den allgemeinen Schlafraum bildete die hohe, geräumige, mit Winkeln und kleinen Einschnitten reichlich versehene Höhle, wo Jeder die Möglichkeit fand, sich nach Belieben bequem auszustrecken. Als Speisesaal diente ein ebener Theil des Lagerplatzes, wo herabgestürzte Felsen, Bruchstücke von Steinen u. s. w. als Sitze und Tische benützt werden konnten.
Aus dem Karren, den der kleine Esel zog, hatte man den nöthigen Mundvorrath entnommen – und jener gehörte gewissermaßen selbst zu den Tischgästen, da ihn sein Freund Keraban speciell eingeladen hatte. Etwas Futter, welches hier leicht zu beschaffen war, sicherte ihm genügenden Antheil an dem Mahle, und er gab auch seiner Befriedigung lauten Ausdruck.
»Zum Essen! rief Keraban, zum Essen, liebe Freunde! Essen und trinken wir nach Gefallen! Desto weniger wird dieser brave Langohr bis Scutari zu schleppen haben.«
Natürlich hatte sich bei dieser Tafel unter freiem Himmel, inmitten des von einigen Harzfackeln erleuchteten Lagerplatzes, Jedes nach Belieben niedergelassen. Im Hintergrunde thronte der Seigneur Keraban auf einem Felsstück, dem richtigen Ehrenplatze dieser kauenden Gesellschaft. Amasia und Nedjeb saßen neben einander gleich zwei Freundinnen, – denn hier gab es weder Herrin noch Dienerin – auf niedrigen Steinen und hatten einen Platz Ahmet aufbewahrt, der sich denn auch bald zu ihnen gesellte.
Neben dem Seigneur Van Mitten hielten sich selbstverständlich zur Rechten der unvermeidliche Yanar, zur Linken die unzertrennliche Sarabul, und alle Drei hatten es sich vor einem großen Felsstück bequem gemacht, das die Seufzer des neuen Verlobten hätten erweichen können.
Kauend und stöhnend lief Bruno, jetzt magerer als je, zur Herbeischaffung aller Bedürfnisse hin und her.
Der Seigneur Keraban war nicht allein bei bester Laune, wie Einer dem Alles nach Wunsch geht, sondern seine Freude machte sich auch seiner Gewohnheit gemäß in Scherzreden Luft, die der Mehrzahl nach seinen Freund Van Mitten zur Zielscheibe hatten. Das Eheabenteuer, das dem armen Mann zugestoßen – und nur aus Ergebung für ihn und die Seinigen zugestoßen war – reizte ihn immer zu beißenden Witzeleien. Binnen zwölf Stunden mußte ja die Sache ein Ende haben, und Van Mitten würde dann nichts mehr von dem kurdischen Geschwisterpaare hören. Gerade das verleitete Keraban aber desto mehr, so lange es ging, seinen Reisegefährten aufzuziehen.
»Nun, Freund Van Mitten, es macht sich, nicht wahr? sagte er, sich die Hände reibend. Nun sind Sie am Ziel Ihrer Wünsche! ... Gute Freunde geben Ihnen das Geleite. Eine liebenswürdige Frau, die Sie so glücklich unterwegs trafen, ist in Ihrer Gesellschaft! ... Wahrlich, Allah hätte nicht mehr für Sie thun können, selbst wenn Sie Einer seiner getreuesten Gläubigen wären!«
Die Lippen etwas verziehend, sah der Holländer seinen Freund an, antwortete aber nichts.
»Nun, was ist das, Sie schweigen? sagte Yanar.
– Nein, ich rede ... ich rede innerlich!
– Mit wem? fragte eifrig die edle Kurdin, die ihn unsanft am Arme ergriff.
– Mit Dir, theure Sarabul ... mit Dir!« versicherte gegen seine Ueberzeugung der gedrängte Van Mitten.
Dann stand er auf.
»Uf«! machte er.
Der Seigneur Yanar und seine Schwester erhoben sich in demselben Augenblicke und folgten ihm auf Schritt und Tritt.
»Wenn es Ihnen recht ist, nahm die edle Sarabul das Wort, in einem Tone, der jeden Widerspruch ausschloß, so verweilen wir in Scutari nicht länger als einige Stunden?
– Sind Sie nicht mein Herr und Gebieter, Seigneur Van Mitten? setzte die Frau wie schmeichelnd hinzu.
– Ja, murmelte Bruno, er ist Ihr Herr ... so wie man der Herr einer Dogge ist, die einem jeden Augenblick an die Kehle springen kann.
– Zum Glück, sagte Van Mitten für sich, schon morgen ... in Scutari Bruch dieses Verlöbnisses und Abschied! ... Aber das wird einen Auftritt geben!«
Amasia betrachtete ihn mit wirklich aufrichtigem Mitleid, und da sie sich nicht laut zu beklagen erdreistete, so drückte sie heimlich wenigstens seinem Diener ihre Theilnahme aus.
»Der arme Herr Van Mitten! flüsterte sie Bruno zu. Da zeigt sich's nun, wohin ihn seine Opferwilligkeit für uns gebracht hat.
– Und seine Feigheit gegenüber dem Seigneur Keraban! antwortete Bruno, der seinem Herrn eine bis zu solcher Schwäche getriebene Nachgiebigkeit nicht verzeihen konnte.
– Ach, sagte Nedjeb, das liefert wenigstens den Beweis, daß Herr Van Mitten ein gutes, edelmüthiges Herz besitzt.
– Ein zu edelmüthiges! versetzte Bruno. Seitdem übrigens mein Herr dem Seigneur Keraban zugesagt hatte, ihn auf einer solchen Reise zu begleiten, hab' ich's stets vorhergesagt, daß ihm früher oder später ein Unglück zustoßen werde. Aber ein solches Unglück! Der Verlobte dieser vom Teufel besessenen Kurdin zu werden, und wär's auch nur für wenig Tage, das hätt' ich mir freilich nicht träumen lassen; nein, sicherlich nicht! Im Vergleich zu dieser war ja die erste Frau Van Mitten eine reine Taube!«
Der Holländer hatte sich, immer belagert von seinen beiden Leibwächtern, an einen andern Platz gesetzt, als Bruno ihm etwas Speise anbot; Van Mitten verspürte indeß nicht den geringsten Appetit.
»Wie, Sie essen nicht, Seigneur Van Mitten? fragte Sarabul, ihn scharf ansehend.
– Ich habe keinen Hunger.
– Wirklich? Sie haben keinen Hunger? bemerkte der Seigneur Yanar. In Kurdistan hat man stets Hunger ... sogar noch nach der Mahlzeit.
– So? ... In Kurdistan also? ... antwortete Van Mitten, während er mit großer Anstrengung rein aus Gehorsam einige Bissen hinunterwürgte.
– Und trinken Sie auch dazu! befahl die edle Sarabul.
– O, ich trinke ... ich trinke ja Ihre Worte!«
Er wagte nur nicht hinzuzusetzen:
»Ich weiß freilich nicht, ob das meinem Magen heilsam sein wird.
– Trinken Sie, wenn man Sie dazu auffordert! fuhr der Seigneur Yanar fort.
– Ich habe aber keinen Durst!
– In Kurdistan hat man immer Durst ... sogar nach der Mahlzeit!«
Stets achtsam, beobachtete Ahmet inzwischen unausgesetzt den Führer.
Etwas abseits sitzend, verzehrte dieser Mann seinen Antheil an dem Essen, konnte aber einige Regungen der Ungeduld nicht verheimlichen, Ahmet wenigstens glaubte das zu bemerken. Wie hätte es auch anders sein können? In seinen Augen war dieser Mann ein Verräther! Er mochte es eilig haben, daß alle seine Gefährten und auch er in der Höhle Unterkommen suchten, wo der Schlaf sie bald zu jeder Gegenwehr unfähig machen würde, wenn der geplante Angriff erfolgte. Vielleicht hätte sich der Führer auch gern wegen irgend eines geheimen Vorhabens entfernt, in Gegenwart Ahmets aber, dessen Argwohn er gewiß kannte, wagte er es nicht.
»Wohlan, lieber Freund, rief da Keraban, nun nach gutem Mahle ein sanfter Schlaf in freier Luft! Vor dem letzten Stückchen Weg werden wir dann wieder ordentlich zu Kräften gekommen sein. Nicht wahr, meine kleine Amasia?
– Ja, Seigneur Keraban, übrigens fühle ich mich stark genug, um, wenn es nöthig wäre, sofort die Reise auf's Neue zu beginnen.
– Du fängst sie noch einmal von vorn an?
– Um Ihnen zu folgen.
– Natürlich erst nach einem gewissen Aufenthalt in Scutari! lachte Keraban gutmüthig, so ein Aufenthalt, wie unser Freund Van Mitten einen ähnlichen in Trapezunt erlebt hat.
– Nun verspottet Ihr mich noch obendrein! murmelte Van Mitten. Er wurde innerlich zwar wüthend darüber, wagte aber in Gegenwart der sehr reizbaren Sarabul auf jene Anspielung keine Antwort zu geben.
– O, fuhr Keraban fort, die Heirath Ahmets und Amasias wird vielleicht nicht so großartig ausfallen, wie die Verlobung unseres Freundes Van Mitten mit der edlen Kurdin. Ich wäre natürlich nicht im Stande, dazu ein Fest des Paradieses Mohammeds feiern zu lassen, aber verlaßt Euch nur darauf, wir werden's schon nach Kräften machen. Ganz Scutari muß dazu eingeladen werden und unsere Freunde aus Constantinopel müssen die Gärten der Villa füllen.
– So viele brauchen wir ja nicht, wandte das junge Mädchen ein.
– Ja! ... O ja! ... liebste Herrin! rief Nedjeb.
– Wenn ich es aber will, ich! ... Wenn ich es will! erwiderte der Seigneur Keraban. Wird meine kleine Amasia mir widersprechen wollen?
– Ach, Seigneur Keraban!
– Nun also, fuhr der Onkel, das Glas erhebend, fort, auf das Wohlergehen dieser jungen Leute, welche es so sehr verdienen, immer glücklich zu sein!
– Aufs Wohl des Seigneur Ahmet! ... Der jungen Amasia! ... erscholl es im Kreise der fröhlich erregten Tischgenossen.
– Und auf die Verbindung, fügte Keraban hinzu, ja ... auf die Verbindung Kurdistans mit Holland!«
Auf diesen Trinkspruch, den er mit heiterer Miene ausbrachte, mußte Van Mitten gegenüber allen erhobenen Händen sich wohl oder übel, als Dank für den ihm gewidmeten Glückwunsch, nach allen Seiten verneigen.
Die zwar sehr einfache, aber in froher Laune verzehrte Mahlzeit war zu Ende. Noch einige Stunden der Ruhe, und man konnte die Reise ohne allzu große Ermüdung vollenden.
»Nun wollen wir bis zum kommenden Tage schlafen, sagte Keraban. Wenn die Stunde gekommen ist, mag der Führer uns rechtzeitig wecken!
– Recht gern, Seigneur Keraban, versicherte dieser Mann, doch finden Sie es nicht rathsam, daß ich an Stelle Nizibs die Ueberwachung der Pferde übernehme?
– Nein, bleiben Sie hier, mischte sich Ahmet eifrig ein. Nizib ist da, wo er sich befindet, an seinem Platze, und ich ziehe es vor, daß Sie sich nicht entfernen! Wir werden zusammen Wache halten.
– Wache halten? erwiderte der Führer, den Aerger, der ihn dabei beschlich, verbeißend. In dieser Gegend Anatoliens ist ja nicht die geringste Gefahr zu fürchten.
– Das ist wohl möglich, antwortete Ahmet, doch etwas zuviel Vorsicht kann niemals schaden. Ich selbst erbiete mich, nachher an Nizibs Stelle, die Pferde zu überwachen. Sie können also hier bleiben.
– Wie es Ihnen beliebt, Seigneur Ahmet, antwortete der Führer. Wir wollen also in der Höhle Alles zurecht machen, daß Ihre Gefährten recht bequem schlafen können.
– Thun Sie es, sagte Ahmet, und Bruno wird Ihnen mit Zustimmung des Herrn Van Mitten dabei behilflich sein.
– Geh', Bruno, geh!« ließ sich die Stimme des Holländers vernehmen.
Der Führer und Bruno traten in die Höhle, wohin sie die Reisedecken, Mäntel und Kaftans, die als Bettzeug dienen mußten, schafften. Amasia, Nedjeb und die Anderen hatten sich bezüglich der Mahlzeit nicht wählerisch gezeigt, die Frage wegen des Nachtlagers sollte sie gewiß ebenso nachgiebig finden.
Während diese letzten Vorbereitungen getroffen wurden, hatte sich Amasia ihrem Ahmet genähert, den sie an der Hand nahm, und sagte:
»Du willst also, lieber Ahmet, diese ganze Nacht noch ohne auszuruhen hinbringen?
– Ja, antwortete Ahmet, der nichts von seiner Unruhe merken lassen wollte, soll ich nicht über alle Diejenigen wachen, die meinem Herzen theuer sind?
– Jedenfalls wird es wenigstens zum letzten Male sein?
– Zum letzten Male! Morgen werden wir endlich alle Anstrengungen dieser Reise überstanden haben!
– Morgen! ... wiederholte Amasia, die schönen Augen zu dem jungen Manne erhebend, dessen Blicke auf ihr ruhten, dieses Morgen, das niemals kommen zu wollen schien ...
– Und welches nun ewig dauern soll! antwortete Ahmet.
– Ewig!« flüsterte das junge Mädchen.
Die edle Sarabul hatte ebenfalls ihres Verlobten Hand ergriffen und sagte seufzend, während sie auf Ahmet und Amasia hinwies:
»Sie sehen sie doch, Seigneur Van Mitten, Sie sehen sie doch alle Beide.
– Wen? ... antwortete der Holländer, dessen Gedanken gar nicht danach waren, sich mit solchen Zärtlichkeiten zu beschäftigen.
– Wen? versetzte schärfer Serabul, nun, die jungen Verlobten! Wahrhaftig, ich finde Sie mehr zurückhaltend als nöthig.
– Sie kennen doch wohl die Holländer, antwortete Van Mitten ... Holland ist ein von Deichen umschlossenes Land ...
– Aber Kurdistan hat keine Deiche! rief die edle Sarabul, verletzt durch solche Kälte.
– Nein, dort giebt es keine! versicherte auch der Seigneur Yanar, wobei er seines Schwagers Arm schüttelte, daß dieser fast in diesem lebenden Schraubstock zerbrach.
– Zum Glück, konnte sich Keraban nicht enthalten halblaut zu sagen, wird er morgen befreit sein, unser Freund Van Mitten!«
Dann wandte er sich wieder an die Anderen.
»Nun, das Zimmer muß wohl bereit sein! Ein Zimmer, Freunde, worin für Alle Platz ist! ... Es ist schon bald elf Uhr ... schon steigt der Mond am Himmel auf. Nun laßt uns schlafen gehen!
– Komm, Nedjeb, sagte Amasia zu der jungen Zigeunerin.
– Gute Nacht, Ahmet!
– Auf morgen, theure Amasia, auf Wiedersehen morgen! antwortete Ahntet, der das junge Mädchen bis zum Eingang der Höhle begleitete.
– Sie folgen mir, Seigneur Van Mitten? sagte Sarabul in einem Tone, der nicht viel Einladendes hatte.
– Gewiß, versicherte der Holländer. Doch, wenn es nothwendig wäre, könnte ich mich wohl dem jungen Ahmet anschließen.
– Was sagen Sie? rief die herrschsüchtige Kurdin.
– Was sagt er? ... wiederholte der Seigneur Yanar.
– Ich sage ... erklärte Van Mitten ... ich sage nur, liebe Sarabul, daß die Pflicht mich zwingt, für Sie zu wachen, und daß ...
– Ganz recht ... Sie mögen wachen ... aber hier!«
Damit wies sie mit der Hand nach der Höhle, während Yanar ihn an der Schulter faßte und sagte:
»Eines giebt es, worüber Sie unmöglich in Zweifel sein können, Seigneur Van Mitten.
– Etwas, worüber ich nicht in Zweifel sein könnte, Seigneur Yanar? ... Und das wäre, wenn's Ihnen beliebt? ...
– Daß Sie mit meiner Schwester sich ... einen Vulkan erheiraten!«
Unter dem ihm von kräftigem Arme nachhelfenden Antriebe betrat Van Mitten den Eingang der Höhle, in welche ihm seine Verlobte vorangeschritten war und wohin ihm der Seigneur Yanar auf dem Fuße folgte.
Als sich Keraban auch ebendahin begeben wollte, hielt ihn Ahmet durch einen Zuruf zurück.
»Lieber Onkel, ein Wort!
– Aber nur eines, Ahmet, erwiderte Keraban, ich bin gehörig ermüdet und bedarf nun des Schlafes.
– Gewiß, aber ich bitte Dich doch, mir Gehör zu schenken.
– Was hast Du mir zu sagen?
– Weißt Du, wo wir uns hier befinden?
– Nun ja, in dem Engpasse oder der Schlucht von Nerissa.
– In welcher Entfernung von Scutari?
– Ich meine, kaum fünf bis sechs Lieues.
– Wer hat Dir das gesagt?
– Wer? ... Natürlich unser Führer.
– Und hast Du Vertrauen zu diesem Menschen?
– Warum sollt' ich ihm mißtrauen?
– Weil dieser Mann, den ich schon seit mehreren Tagen schärfer beobachte, ein mehr und mehr verdachterweckendes Benehmen zeigt, antwortete Ahmet. Kennst Du ihn, lieber Onkel? – Nein! In Trapezunt erbot er sich, uns bis an den Bosporus zu führen. Du hast ihn in Dienst genommen, ohne zu wissen wer er war. Wir sind unter seiner Führung weiter gereist ...
– Und mir scheint, Ahmet, er hat seine Bekanntschaft mit den Wegen in Anatolien hinreichend dargethan.
– Unzweifelhaft, lieber Onkel!
– Nun, was willst Du dann von mir, Herr Neffe? fragte der Seigneur Keraban, dessen Stirn sich schon mit einer höchst beunruhigenden Beständigkeit zu runzeln anfing.
– O, ich wollte Dich nicht reizen, lieber Onkel, und bitte Dich vor Allem zu glauben, daß es mir fern lag, Dir lästig zu erscheinen ... Doch, ich kann's nicht ändern, mich quält eine innere Unruhe, und ich fürchte für Die, welche ich liebe!«
Während er so sprach, war Ahmets Erregung sichtbar genug, als daß sein Onkel ihn nicht mit theilnehmendem Interesse angehört hätte.
»Aber ich bitte Dich, Ahmet, mein Kind, was hast Du? nahm er wieder das Wort. Wozu diese Furcht, jetzt wo unsere Prüfungen bald zu Ende sind? Ich will Dir einmal zugestehen – aber nur Dir allein – daß ich eben nur meinen Trotzkopf aufsetzte, als diese unsinnige Reise unternommen wurde, ich gebe auch willig zu, daß es ohne meinen Starrsinn, Dich von Odessa mit wegzunehmen, wohl kaum zur Entführung Amasias gekommen wäre ... ja, Alles das ist mein Fehler! ... Indeß, jetzt naht sich ja das Ziel unserer Reise. Deine Vermählung wird nicht um einen Tag hinausgeschoben werden. Morgen sind wir in Scutari ... und morgen ...
– Und wenn wir morgen nicht in Scutari wären, lieber Onkel? Wenn wir uns davon noch viel weiter befänden, als der Führer angiebt? Wenn er uns mit dem Anrathen, von den Straßen längs der Küste abzuweichen, absichtlich irregeführt hätte? Mit einem Worte, wenn dieser Mensch nun ein Verräther wäre?
– Ein Verräther? ... rief Keraban erstaunt.
– Ja, fuhr Ahmet fort, und wenn dieser Verräther den Interessen Derjenigen diente, die Amasia haben rauben lassen?
– Bei Allah! Lieber Neffe, wie kommst Du zu solchem Gedanken und worauf gründet sich derselbe? Auf einfache Muthmaßungen?
– Nein, auf Thatsachen, lieber Onkel. Höre mich an. Seit einigen Tagen hat jener Mann unter dem Vorwande, sich den Weg etwas im Voraus anzusehen, uns während der Rastzeiten wiederholt verlassen. Mehrmals hat er sich, nicht unruhig, wohl aber ungeduldig, entfernt mit der Vorsicht, unbemerkt zu bleiben. Letztvergangene Nacht ist er eine ganze Stunde lang aus dem Lager weggegangen. Ich schlich ihm vorsichtig nach und ich möchte behaupten ... ich behaupte sogar, daß ihm vom Horizonte her ein Feuersignal gegeben wurde ... ein Signal, welches er erwartete.
– In der That, das erscheint bedenklich! stimmte jetzt Keraban zu. Doch weshalb verknüpfest Du etwaige Anschläge dieses Mannes mit den Umständen, welche die Entführung Amasias auf der »Guidare« veranlaßt haben?
– O, lieber Onkel, wohin segelte denn jene Tartane? War sie nach dem kleinen Hafen von Atina bestimmt, wo sie den Untergang fand? Sicherlich nicht. Wir wissen ja, daß sie nur vom Sturme aus ihrem Curse verschlagen wurde. Nun, meiner Meinung nach sollte sie nach Trapezunt gehen, von wo aus gewöhnlich die Harems der Nabobs von Anatolien versorgt werden ... Dort hat man leicht genug erfahren können, daß das entführte junge Mädchen aus dem Schiffbruche gerettet wurde, von dort konnte man ihrer Fährte folgen und uns jenen Führer zusenden, der uns're kleine Caravane in einen Hinterhalt zu locken beauftragt war.
– Ja, Ahmet ... antwortete Keraban, wahrhaftig, Du könntest Recht haben! ... Es wäre möglich, daß uns Gefahr drohte ... Du hast gewacht, hast wohl daran gethan, und diese Nacht werd' ich mit Dir Wache halten.
– Nein, lieber Onkel, nein, erwiederte Ahmet, ruhe Du Dich aus. Ich bin hinreichend bewaffnet, und beim ersten verdächtigen Lärmen ...
– Ich sage Dir, daß ich mit wach bleiben werde, entgegnete Keraban. Es soll Niemand sagen können, daß die Schrulle eines Starrkopfs meines Schlages noch ein neues unheilvolles Ereigniß herbeigeführt habe.
– Nein, strenge Dich nicht unnützer Weise an! ... Auf meine Anordnung hin wird der Führer diese Nacht in der Höhle bleiben. Geh' nur auch hinein.
– Ich mag aber nicht!
– Lieber Onkel ...
– Willst Du mir vielleicht bei dieser Gelegenheit widersprechen? herrschte ihn Keraban an. Nimm Dich in Acht, Ahmet. Es hat mir lange Keiner Widerpart gehalten!
– Schon gut, lieber Onkel, wir wachen also zusammen.
– Ja, wir halten Wache unter Waffen, und wehe dem, der sich an unser Lager heranschleichen sollte!«
Der Seigneur Keraban und Ahmet gingen also geräuschlos auf und ab, hielten die Blicke immer nach beiden Seiten aus die schmale Straße gerichtet und spannten auf den geringsten Laut, der in der ausnehmend ruhigen Nacht hätte hörbar werden können. So bildeten sie vor dem Eingange der Höhle eine sichere und getreue Wache.
Zwei Stunden gingen ungestört hin; eine dritte noch ebenso. Nirgends zeigte sich etwas Verdächtiges, was den Argwohn des Seigneur Keraban und seines Neffen hätte bekräftigen können. Schon gaben sie sich der Hoffnung hin, daß die Nacht ohne Zwischenfall verlaufen werde, als gegen drei Uhr des Morgens laute Rufe, offenbar Ausrufe unerwarteten Schreckens, vom Ausgange der Schlucht her erschallten.
Sofort sprangen Keraban und Ahmet nach ihren Waffen, die sie am Fuße eines Felsens niedergelegt hatten, und diesmal ergriff auch der Onkel, der seinen schönen türkischen Pistolen für den Ernstfall doch nicht allzusehr trauen mochte, gleich ein gutes Gewehr.
Da kam schon Nizib ganz athemlos durch den Engpaß herzugelaufen.
»Ach, Herr ... Herr!
– Was giebt es denn, Nizib?
– Ach Herr ... da unten ... da unten ...
– Da unten? ... sagte Ahmet.
– Die Pferde!
– Unsere Pferde?
– Ja!
– Aber so sprich doch, dummer Kerl! rief Keraban, den armen Burschen kräftig schüttelnd. Unsere Pferde?
– Sind gestohlen!
– Gestohlen?
– Ja, fuhr Nizib fort. Zwei oder drei Männer kamen auf die Wiese gestürzt, um sich derselben zu bemächtigen ...
– Sie haben sich unserer Pferde bemächtigt! rief Ahmet, und sie haben sie weggeführt, sagst Du?
– Ja!
– Auf die Landstraße ... nach jener Seite? ... fragte Ahmet weiter, indem er in der Richtung nach Westen hinwies.
– Nach jener Seite.
– Wir müssen ihnen nacheilen ... den Schurken nachstürmen ... müssen sie einholen ... rief Keraban.
– Bleib', lieber Onkel, antwortete Ahmet. Jetzt unsere Pferde wieder zu erlangen, wäre doch unmöglich. Am nöthigsten erscheint mir, unseren Lagerplatz selbst in Verteidigungszustand zu setzen.
– Ach ... Herr! ... sagte Nizib plötzlich mit gedämpfter Stimme. Sehen Sie! ... Sehen Sie nur! ... Da! ... Da!«
Und er zeigte dabei mit der Hand nach einem hohen Felsen, der sich links von ihnen erhob.