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In welchem Van Mitten durch Verlobung mit der edlen Sarabul die Ehre widerfährt, der Schwager des Seigneur Yanar zu werden.
Eine Stadt, welche aus dem Jahre der Welt 4790 datirt, ihre Gründung den Insassen einer milesischen Kolonie verdankt, die von Mithridates erobert wurde, dann Pompejus in die Hände fiel, ferner unter der Herrschaft der Perser und der der Scythen stand, welche unter Konstantin dem Großen christlich und darauf zum sechsten Jahrhundert wieder heidnisch wurde, welche Belisar befreite und Justinian bereicherte und verschönerte, die den Comnenen angehörte, von denen Napoleon I. abzustammen behauptete, dann gegen Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts Mahommed II. zufiel, zu einer Zeit, mit der das Kaiserthum von Trapezunt sein Ende erreichte, nachdem es zweihundertsechsundfünfzig Jahre lang bestanden, eine solche Stadt hat gewiß Anspruch, in der Geschichte der Welt eine hervorragende Stellung einzunehmen. Es ist also gar nicht zu verwundern, daß Van Mitten sich während des ersten Theiles der Reise sehr darauf freute, diese hochberühmte Stadt zu sehen, welche die Dichter von Ritterromanen so oft als Schauplatz der merkwürdigsten Abenteuer erwählt haben.
Als er sich dieser freudigen Erwartung hingab, war Van Mitten freilich noch von keiner Sorge bedrückt. Er brauchte da ja nur seinem Freunde Keraban auf dessen Rundreise um den alten Pontus Euxinus zu folgen. Und jetzt war er verlobt – wenigstens vorläufig, nur auf wenige Tage verlobt – aber verlobt mit jener edlen Kurdin, die ihn wie am Zügel hielt, deshalb aber gar nicht in der Laune, den geschichtlichen Werth Trapezunts nach Gebühr zu schätzen.
Es war am 17. September gegen neun Uhr Morgens, und zwei Stunden nach dem Aufbruche aus der Caravanserai von Rissar, als der Seigneur Keraban und seine Begleiter, der Seigneur Yanar, seine Schwester und deren Diener ihren Einzug in die Hauptstadt des neuen Paschaliks hielten, die mitten in einer Hochalpenlandschaft mit Thälern, Bergen und launischen Wasserläufen liegt, in einer Gegend, welche sehr an gewisse Theile Europas erinnert, so daß man glauben könnte, die Schweiz oder Tirol sei nach diesem Theile der Küste des Schwarzen Meeres versetzt worden.
Die wichtige Hauptstadt Armeniens, Trapezunt, hundertfünfundzwanzig Kilometer von Erzerum gelegen, steht jetzt mittelst einer Straße, welche die türkische Regierung über Gumuh Kane, Baiburt und Erzerum geführt hat, in directer Verbindung mit Persien – was ihr vielleicht einen Theil ihrer alten Handelsbedeutung wieder verschafft.
Die Stadt zerfällt in zwei amphitheatralisch auf einem Hügel erbaute Theile. Der eine, die türkische Stadt, ist mit Mauern und Thürmen umschlossen, wurde ehemals durch ihre alte Seeveste vertheidigt und enthält nicht weniger als vierzig Moscheen, deren Minarets aus dichten Haufen von Orangen-, Oel- und anderen Bäumen – ein reizender Anblick – emporragen. Die andere, die christliche Stadt, entwickelt eine regere Handelsthätigkeit und bietet in ihrem umfänglichen Bazar eine reiche Auswahl von Teppichen, Stoffen, Schmuckgegenständen, Waffen, alten Münzen, kostbaren Steinen u.s.w. Im Hafen verkehren wöchentlich regelmäßig Dampfboote, welche Trapezunt in directe Verbindung mit den Hauptplätzen des Schwarzen Meeres setzen.
In dieser Stadt bewegt sich oder vegetirt – je nach den verschiedenen Elementen, welche sie bildet – eine Bevölkerung von 40.000 Köpfen, darunter Türken, Perser, Christen von armenischem oder lateinischem Ritus, orthodoxe Griechen, Kurden und Europäer. An erwähntem Tage war die Bevölkerung hier aber wenigstens verfünffacht durch die Zusammenströmung von Gläubigen, welche aus allen Ecken Kleinasiens gekommen waren, um die prächtigen Feste mitzumachen, welche eben zur Ehre Mohammeds gefeiert wurden.
Die kleine Caravane hatte wirklich einige Mühe, ein Unterkommen zu finden für die vierundzwanzig Stunden, welche sie in Trapezunt bleiben sollte, denn der Seigneur Keraban beharrte bei seinem Entschlusse, schon am folgenden Morgen nach Scutari abzureisen. In der That war jetzt auch kein Tag mehr zu verlieren, wenn man daselbst noch vor Ausgang des Monats eintreffen wollte.
In einem fränkisch-italienischen Hôtel, inmitten eines wirklichen Viertels von Caravanseraien, Khans und schon von Reisenden überfüllten Herbergen, nahe dem Giaur-Meïdan-Platze, in dem verkehrsreichsten Theile der Stadt, und folglich außerhalb der türkischen Stadt war es, wo der Seigneur Keraban und sein Gefolge allein Aufnahme fanden. Das Hôtel erwies sich jedoch gut genug, um hier den Tag zu verbringen und eine Nacht die Ruhe zu suchen, deren sie so sehr bedurften. Der Onkel Ahmets fand wirklich keine Ursache, über irgend etwas mit dem Hôtelwirth Streit anzufangen.
Aber während der Seigneur Keraban und die Seinigen, auf diesem Punkt der Reise angelangt, dieselbe für fast beendigt hielten, das heißt, wenn auch nicht alle Strapazen, so doch alle weitere Gefahr ausgeschlossen glaubten, wurde in der türkischen Stadt, wo ihr Todfeind wohnte, ein neues Complot geschmiedet.
Im Palast des Seigneur Saffar, der hoch auf den ersten Absätzen des Berges von Bostepeh lag, dessen unterer Theil sanft nach dem Meere verläuft, war eine Stunde früher, nachdem er die Caravanserai von Rissar ungesehen verlassen, der Intendant Scarpante eingetroffen.
Hier erwarteten ihn der Seigneur Saffar und der Capitän Yarhud, und hier theilte ihnen Scarpante zuerst mit, was in der letzten Nacht vorgefallen war, erzählte, wie Keraban und Ahmet einer Verhaftung entgangen waren, welche Amasia schutzlos gemacht hätte, und zwar entgangen durch die Opferwilligkeit des beschränkten Van Mitten.
Bei dieser Zusammenkunft der drei nach einem Ziele strebenden Männer wurden nun Beschlüsse gefaßt, welche die Reisenden auf dem zweihundertfünfundzwanzig Lieues langen Wege zwischen Scutari und Trapezunt direct bedrohten. Was sie vorhatten, wird die Zukunft lehren, jedenfalls wurde noch am nämlichen Tage mit der Ausführung der Anfang gemacht. Ohne sich um die eben gefeierten Feste zu bekümmern, verließen der Seigneur Saffar und Yarhud nämlich Trapezunt, und begaben sich westwärts auf die Landstraße von Anatolien, welche nach der Mündung des Bosporus führt.
Nur Scarpante blieb in der Stadt zurück. Da er weder dem Seigneur Keraban noch Ahmet oder den beiden jungen Mädchen bekannt war, konnte er vollkommen frei handeln. Ihm fiel in diesem Drama die wichtige Rolle zu, in der nächsten Zeit die List mit der rohen Gewalt zu vertauschen.
Scarpante konnte sich also unter die Menge mischen und auf dem Giaur-Meïdan-Platze umhergehen. Daß er einen Augenblick und in der Dunkelheit in der Caravanserai von Rissar ein Wort an den Seigneur Keraban und dessen Neffen gerichtet, ließ ja noch nicht befürchten, von diesen wieder erkannt zu werden. So wurde es ihm leicht, Alles in voller Sicherheit zu belauschen, was diese vornehmen würden.
So sah er kurze Zeit nach dessen Ankunft in Trapezunt Ahmet sich durch die schlecht unterhaltenen Straßen, welche daselbst münden, nach dem Hafen begeben. Lichterschiffe, Küstenfahrer, große türkische Galeeren und Barken jeder Art lagen hier auf dem Trockenen, nachdem sie ihre lebende Last an Gläubigen gelandet, während die Handelsfahrzeuge wegen Mangels hinreichender Wassertiefe weiter draußen nach der See zu ankerten.
Ein Haman zeigte Ahmet das Telegraphenbureau und Scarpante konnte sich überzeugen, daß der Verlobte Amasias ein ziemlich langes Telegramm unter der Adresse des Banquiers Selim in Odessa abgehen ließ.
»Bah! sagte er, eine Depesche, welche ihren Adressaten niemals erreichen wird. Selim ist von einer Kugel Yarhud's tödtlich getroffen worden, und uns kann das natürlich wenig incommodiren.«
Scarpante machte sich darüber auch wirklich keine weiteren Gedanken. Ahmet kehrte hierauf nach dem Giaur-Meïdan-Hôtel zurück. In der Gesellschaft Nedjebs fand er Amasia, die ihn nicht ohne einige Ungeduld erwartete, bis sie sicher sein konnte, daß vor Ablauf weniger Stunden ihr Schicksal in der Villa Selim bekannt sein mußte.
»Ein Brief hätte zu viel Zeit gebraucht, um nach Odessa zu gelangen, sagte Ahmet, außerdem fürchte ich noch immer ...«
Ahmet unterbrach sich bei diesem Worte.
»Du fürchtest, mein lieber Ahmet? ... Was wolltest Du sagen? fragte Amasia etwas verwundert.
– Nichts, beste Amasia, versicherte Ahmet, nichts! ... Ich wollte nur Deinen Vater erinnern, bei unserer Ankunft in Scutari anwesend zu sein, und womöglich noch etwas eher, um alles Nöthige zu besorgen, damit unsere Vermählung keinerlei Aufschub erleide.«
In Wahrheit freilich deutete Ahmet, der noch immer neue Entführungsversuche fürchtete, im Fall die Complicen Yarhud's erfahren hatten, was seit dem Schiffbruche der »Guidare« vorgegangen war, dem Banquier Selim an, daß alle Gefahr vielleicht noch nicht beseitigt wäre; um Amasia aber für den letzten Theil der Reise nicht noch zu ängstigen, hütete er sich wohl, ihr zu gestehen, welcher Art seine Befürchtungen seien – Befürchtungen übrigens, die ja nur auf unbestimmten Ahnungen fußten.
Amasia dankte Ahmet für seine Aufmerksamkeit, ihren Vater durch eine Depesche beruhigt zu haben – selbst auf die Gefahr hin, wegen Benützung des elektrischen Drahtes von dem Onkel Keraban schwere Vorwürfe zu bekommen.
Und was wurde inzwischen mit Van Mitten?
Der Freund Van Mitten wurde eben, stark gegen seinen Willen, der glückliche Verlobte der edlen Sarabul und der beklagenswerthe Schwager des Seigneur Yanar. Wie hätte er das auch abzuwenden vermocht? Eines Theils wiederholte ihm Keraban, daß er sein Opfer nun auch völlig darbringe, da der Richter sie sonst alle Drei noch in's Gefängniß werfen lassen könne, was den Ausgang der Reise uneinbringlich gefährden müsse, daß diese Heirat, wenn sie auch in der Türkei gälte, wo ja Vielweiberei herrscht, doch für Holland null und nichtig wäre, daß er also ganz nach Belieben der Gatte einer Frau in seiner Heimat oder der mehrerer Frauen im Reiche des Padischah sein könnte. Van Mitten's Wahl war indessen schon getroffen; er zog es vor, überhaupt gar keine Frau zu haben.
Auf der anderen Seite standen hier ein Bruder und eine Schwester, denen es nicht in den Sinn kam, ihre Beute loszulassen. Es war also nur klug, ihnen jetzt nachzugeben, um sie hoffentlich an den Ufern des Bosporus heimlich zu verlassen, was sie ja verhindern mußte, die Rechte eines Schwagers und einer Gattin zu beanspruchen.
Van Mitten fiel es auch gar nicht ein, sich zu widersetzen, im Gegentheil fügte er sich geduldig den Ereignissen, wie sie kamen.
Glücklicherweise hatte der Seigneur Keraban das Versprechen erlangt, daß der Seigneur Yanar und seine Schwester ihn vor der Trauung in Mossul bis nach Scutari begleiten wollten, um der Vermählung Amasias und Ahmets beizuwohnen, und daß die Kurdenbraut mit ihrem Verlobten erst zwei oder drei Tage später nach dem Lande ihrer Ahnen abreisen würde.
Obwohl Bruno meinte, daß seinem Herrn für dessen unglaubliche Schwachheit nur ganz recht geschähe, bedauerte er es doch aufrichtig, ihn unter das Joch dieser schrecklichen Frau gebeugt zu sehen. Gleichzeitig brach er aber auch in ein schallendes Gelächter aus – ein Gelächter, das auch Keraban, Ahmet und die beiden Mädchen kaum zurückhalten konnten – als er Van Mitten zur Stunde, wo die Verlobung feierlich besiegelt werden sollte, im Kostüm jenes bezüglich seiner Volkstracht auffallenden Landes vermummt sah.
»Was, Sie, Van Mitten, rief Keraban, sind Sie's wirklich, der hier als reiner Orientale erscheint?
– Ja, ich bin's, Freund Keraban.
– Als Kurde?
– Sie sagen es.
– Ah, wahrhaftig, das steht Ihnen nicht schlecht und ich bin überzeugt, daß Sie nach einiger Gewohnheit diese Tracht weit bequemer finden werden, als Ihre engen europäischen Kleider.
–Sie sind sehr liebenswürdig, Freund Keraban.
– Aber zum Teufel, Van Mitten, da machen Sie doch kein so saures Gesicht! Sagen Sie sich, es wäre heute Carneval und Sie trügen nur eine Verkleidung zu einer Verheiratung im Spaße!
– Ach, die Verkleidung ist es nicht, die mich am meisten beunruhigt, antwortete Van Mitten.
– Und was denn?
– Nun, die Verheiratung!
– Bah! Eine provisorische Heirat, Freund Van Mitten, versicherte Keraban, und Madame Sarabul wird noch theuer dafür bezahlen müssen, nicht als Wittwe weiter leben zu wollen. O, wenn Sie ihr erst einmal auseinandersetzen, daß diese Verlobung Sie zu gar nichts verpflichtet, daß Sie schon in Rotterdam verheiratet sind, wenn Sie ihr in bester Form den Abschied geben, so muß ich dabei sein, Van Mitten! Wahrhaftig, es kann doch nicht erlaubt sein, die Leute wider ihren Willen zu verheiraten! S' ist ja schon genug, wenn Sie dem zustimmen.«
Mit Zuhilfenahme aller dieser Gründe hatte sich der würdige Holländer endlich in seine merkwürdige Lage gefunden. Es schien ja das Beste, diese von der lächerlichen Seite aufzufassen, wozu sie wirklich aufforderte, und sich darein zu ergeben, weil nur so die Interessen Aller gewahrt werden konnten.
An jenem Tage hätte Van Mitten übrigens keine Zeit gehabt zu weitläufigen Ueberlegungen. Der Seigneur Yanar und seine Schwester liebten es nicht, die Sache auf die lange Bank zu schieben. Gefangen – gehangen! Schon war zur Verlobung, durch welchen sie den phlegmatischen Sohn Hollands fesseln wollten, Alles in Bereitschaft.
Man darf dabei nicht glauben, daß hier irgend etwas von den Gebräuchen, wie sie in Kurdistan Sitte sind, vergessen oder vernachlässigt worden wäre. Nein! Der Schwager wachte sorgfältig über Alles, und in der großen Stadt hier fehlte es nicht an Zeugen, um der feierlichen Verlobung möglichsten Glanz zu verleihen.
Unter den Einwohnern Trapezunts giebt es eine gewisse Anzahl Kurden. Unter ihnen fanden Yanar und Sarabul auch Bekannte und Fremde von Mossul. Die wackeren Leute betrachteten es als Pflicht, ihrer edlen Landsmännin bei dieser Gelegenheit als Zeuge zu dienen, wo ihr das Glück zu Theil ward, sich zum vierten Male einem Gatten zu weihen. Von Seiten der Braut war also ein ganzer Clan zu der Feierlichkeit eingeladen, während Keraban, Ahmet und ihre Gefährten natürlich auf Seiten des Bräutigams standen. Van Mitten selbst wurde fortwährend streng im Auge behalten und befand sich nie allein mit seinen Freunden, seit den letzten Worten, die er mit ihnen wechselte, als er eben das landesübliche Costüm der vornehmen Herrn von Mossul und Chehrezur angelegt hatte.
Nur einen Augenblick konnte Bruno sich in seine Nähe schleichen, um ihm mit mahnender Stimme zuzuflüstern:
»Nehmen Sie sich in Acht, Mynheer, nehmen Sie sich in Acht! Sie setzen jetzt Alles auf's Spiel!
– Kann ich denn anders, Bruno? antwortete Van Mitten resignirten Tones. Wenn ich mich zu einer Dummheit hingab, so rettete diese wenigstens meine Freunde aus der Verlegenheit, und schlimm werden die Folgen ja auf keinen Fall sein!
– Hm! brummte Bruno, den Kopf zurückwerfend, sich verheiraten, Mynheer, heißt immer sich verheiraten, und ...«
Da bei diesen Worten der Holländer abgerufen wurde, sollte Niemand erfahren, wie der treue Diener diese nichts Gutes in Aussicht stellende Phrase vollendet hätte.
Es war Mittag, als der Seigneur Yanar und die anderen Kurden mit hochwichtiger Miene sich einfanden, um den Zukünftigen abzuholen, den sie bis zum Ende der Ceremonie nicht wieder verlassen durften.
So wurde denn die Verlobung mit allem Pomp vollzogen. Während derselben hätte gewiß Niemand etwas an dem neuverbundenen Paare auszusetzen gehabt, denn Van Mitten ließ wenigstens nichts von der Unruhe, die ihn beschlich, merken, und die edle Sarabul verhehlte nicht ihren Stolz, einen Mann aus dem Norden Europas an eine Frau aus dem Norden Asiens zu fesseln. Welcher Ruhm, Holland mit Kurdistan verbunden zu haben!
Die Braut sah prächtig aus in ihrer Hochzeitstracht – die sie offenbar für jeden Fall auf der Reise mitführte – diesmal muß man zugestehen, eine ganz löbliche Vorsicht. Es konnte gar nichts Schöneres geben, als ihren »Mitan« aus golddurchwirktem Tuche, dessen Aermel und Leibchen unter Stickereien und Filigranbesatz ganz verschwanden; nichts Reicheres als den Shawl, den sie um die Taille trug, jenen »Entari« mit schräg verlaufenden Streifen und tausend Falten aus dem feinen Musselin von Brussa, den man mit dem Namen »Tschembeos« bezeichnet; nichts Majestätischeres als ihren »Chalwar« aus Gewebe von Salonichi, dessen Beine sich an die feinen, perlengestickten Maroquinstiefeln anschlossen; und der weite Fez, den »Yeminis« mit lebhaftem Blumenmuster umschlangen und von dem ein lockendes »Puskul« mit den feinsten Spitzen herabhing. Dazu die Schmuckgegenstände, die Stirnbänder aus Goldmünzen, welche bis zu den Augenbrauen herabfielen, die aus kleinen Rosetten bestehenden Ohrgehänge, von denen feine halbmondtragende Kettchen ausliefen, die Granatagraffen des Gürtels, die Filigrannadeln in Form einer indischen Palme, und das strahlende, doppelreihige Halsgeschmeide, diese »Guerdanlicks« und à jour gefaßten Agaten, auf deren jedem der Name eines Iman eingravirt war. Nein, eine schönere Braut hatte man noch nicht durch die Straßen von Trapezunt wandeln sehen, und bei der heutigen Gelegenheit hätten sie ebensogut mit einem Purpurteppich belegt sein können, wie seiner Zeit bei der Geburt des Constantin Porphyrogenetes.
Doch wenn die edle Sarabul prächtig erschien, so sah der Seigneur Van Mitten großartig aus, und sein Freund Keraban überhäufte ihn denn auch mit Complimenten, die von Seiten eines Altgläubigen, der noch der orientalischen Tracht treu geblieben, nicht ironisch gemeint sein konnten.
Man mußte übrigens zugeben, daß jenes Costüm Van Mitten einen martialischen Anstrich verlieh, ein stolzeres Ansehen, eine vortheilhaftere Physiognomie; so etwas Wildes, was zu seinem Rotterdam'schen Kaufmannstemparament allerdings verzweifelt wenig paßte. Wie hätte es auch anders sein können, mit dem leichten Musselinmantel mit Baumwollen-Applicationen, mit dem langen Beinkleide aus rothem Atlas, das sich in den sporenbesetzten Stiefeln verlor, welche selbst wieder in den tausend Fältchen ihrer Schäfte mit Goldfäden durchnäht waren; mit dem vorne offenen Rocke, dessen Aermel bis zur Erde herabfielen; mit dem Fez und seinem »Yeminis«-Schmucke, und endlich mit dem »Puskul«, dessen gewaltiger Durchmesser auf hohen Rang hinwies, den der Gatte der edlen Sarabul in Kurdistan einst einnehmen sollte.
Der große Bazar von Trapezunt hatte diese ganze Ausstattung geliefert, welche, wenn sie ihm auf den Leib gearbeitet worden wäre, Van Mitten nicht eleganter hätte kleiden können. Von dorther waren auch die herrlichen Waffen, von denen der Verlobte ein ganzes Arsenal in der gestickten und benähten Schärpe trug: Damascenerdolche mit grüner Jaspisscheide und doppelter Schneide; Pistolen mit silbernem Schafte, ein Säbel mit kurzer Klinge, dessen Schneide Sägezähne bildete und dessen Handgriff aus getriebenem Silber gearbeitet und reich ciselirt war; endlich ein Stoßdegen aus Stahl mit halberhabenen Verzierungen, der in eine gebogene Spitze, fast wie die alten Sicheln, ausging.
O, Kurdistan konnte der Türkei ohne Scheu den Krieg erklären! Solche Kämpfer vermochten die Armeen des Padischah doch niemals zu überwinden. Armer Van Mitten! Wer hätte vorausgesagt, daß Du Dich noch einmal in eine solche Tracht werfen solltest? Glücklicher Weise, sagte der Seigneur Keraban nur immer, und diesem nachfolgend auch Ahmet, Ahmet nachahmend auch Amasia und Nedjeb und sagten überhaupt Alle, mit Ausnahme Brunos:
»Bah! 's ist doch nur zum Spaße!«
Die eigentliche Verlobung wurde in würdevollster Weise gefeiert. Außer daß der Bräutigam von seinem schrecklichen Schwager und dessen nicht minder schrecklichen Schwester etwas kalt gefunden wurde, verlief Alles nach Wunsch.
In Trapezunt fehlte es nicht an richterlichen Beamten, welche es sich zur Ehre angerechnet hätten, diesen Ehecontract abzuschließen – um so mehr, als das nicht ohne einigen Profit für sie abging – man beauftragte aber den Richter, dessen Weisheit sich bei dem Vorfalle in der Caravanserai von Rissar in so glänzendem Lichte gezeigt hatte, mit dieser ehrenvollen Thätigkeit und der damit verbundenen Beglückwünschung der zukünftigen Ehegatten.
Nach Unterzeichnung des Vertrags begaben sich unter ungeheurem Volkszulauf die beiden Verlobten nebst Gefolge dann nach der geschlossenen Stadt in eine Moschee, eine frühere byzantinische Kirche, deren Mauern mit schönen Mosaikarbeiten geschmückt sind. Hier ertönten kurdische Gesänge, welche ausdrucksvoller, melodischer und durch Klangfarbe und Rhytmus künstlerischer sind als die türkischen und armenischen Gesänge. Einige, durch ihre Sonorität mehr ein einfaches metallisches Getöse erzeugende Instrumente vereinigten sich, übertönt von den scharfen Klängen kleiner Flöten, mit dem eigenartigen Concert für diese Gelegenheit besonders ausgewählter frischer Stimmen.
Darauf sprach der Iman ein einfaches Gebet, und Van Mitten war nun endlich verlobt, verlobt nach Recht und Gebrauch, wie der Seigneur Keraban – nicht ohne seine eigenen Hintergedanken – der edlen Sarabul gegenüber sich ausdrückte, als er ihr seine wärmsten Glückwünsche darbrachte.
Die eigentliche Hochzeit sollte später in Kurdistan gefeiert werden, wo dann mehrere Wochen andauernde Feste dieselbe begleiteten. Dort würde es Van Mitten's Aufgabe sein, sich der kurdischen Sitte anzubequemen oder wenigstens einen Versuch dazu zu machen. Wenn die junge Gattin nämlich daselbst vor dem Hause ihres Mannes erscheint, tritt dieser ihr vor der Thür unerwartet entgegen, umfaßt sie mit den Armen, hebt sie auf seine Schultern und trägt sie so bis nach dem Gemach, welches sie fortan bewohnen soll.
Man bezweckt damit ihre mädchenhafte Scheu zu schonen, denn es soll nicht den Anschein haben, als beträte sie ganz freiwillig eine fremde Wohnung. Wenn ihm dieser glückliche Moment nahte, würde Van Mitten sich vor einem Verstoße gegen die Landessitten zu hüten haben; doch das lag ja zum Glück noch in weitem Felde.
Hier erhöhten die Verlobungsfeierlichkeiten ganz naturgemäß die Feste, welche zur Feier der Himmelfahrt des Propheten, jener Eilet-ul-my'râdy celebrirt werden, die gewöhnlich auf den 29. des Monats Redjeb fallen. Diesmal waren sie, in Folge eigenthümlicher Umstände und aus Rücksichten einer politisch-religiösen Concurrenz, von dem ersten Iman des Paschaliks auf einen etwas früheren Termin verlegt worden.
Am Abend drängten sich in dem dazu vorzüglich geeigneten größten Palaste der Stadt Tausende und Abertausende von Gläubigen zur Begehung der Ceremonie zusammen, welche sie aus allen Theilen des mohammedanischen Asiens nach Trapezunt geführt hatte.
Die edle Sarabul konnte sich's nicht versagen, mit ihrem Verlobten bei dieser Gelegenheit öffentlich zu erscheinen. Der Seigneur Keraban, sein Neffe, die beiden jungen Mädchen und die beiden Diener aber wußten ebenfalls die wenigen noch übrigen Abendstunden nicht besser zu verbringen, als daß sie sich den Pomp dieses wunderbaren Schauspiels mit ansahen.
Wunderbar war es tatsächlich, wie hätte es auch anders sein können hier im Morgenlande, wo die Träume dieser Welt sich zu verwirklichen scheinen? Die Einzelzüge dieses zu Ehren des Propheten veranstalteten Festes wiederzugeben, würde eher ein Pinsel unter Aufwand aller Farben der Palette geeignet sein, als sie sich mit der Feder schildern lassen, selbst wenn man dazu die Wort- und Bilderfülle nebst dem Schwung der Sprache der größten Dichter der Welt entlehnte.
»Der Reichthum ist in Indien zu Hause, sagt ein türkisches Sprichwort, der Geist in Europa, der Pomp aber bei den Ottomanen!«
Und in der That ging die Entwickelung dieser dichterisch geschmückten Fabeldarstellung mit geradezu unbeschreiblichem Pomp vor sich, den die graciösen Töchter Kleinasiens noch durch den Reiz ihrer Tänze und den Zauber ihrer Schönheit erhöhten. Die Fabel beruht auf der der christlichen nachgeahmten Legende, daß das Paradies bis zum Tode des Propheten im Jahre 10 der Hedschra – 632 nach der christlichen Zeitrechnung – allen Gläubigen, die vorläufig in Erwartung des Propheten im unermeßlichen Weltraume schlummern, verschlossen gewesen sei. An jenem Tage erschien dieser zu Pferde, auf dem »El-borak,« dem Hippogryphen, der seiner an Jerusalems Thore harrte; dann verließ sein wunderbares Grab diese Erde, stieg gen Himmel und blieb zwischen Zenith und Nadir mitten in dem Glanze des Islamparadieses schweben. Darauf erwachten Alle, dem Propheten zu huldigen; die den Gläubigen versprochene Aera ewigen Glückes brach endlich an, und Mohammed erhob sich in blendender Apotheose, während die Sterne des arabischen Himmels, in Gestalt unzähliger Houris, die glanzvolle Stirn Allahs umkreisten.
Mit einem Wort, dieses Fest glich der Verkörperung eines Traumbildes desjenigen Dichters, der die Poesie des Morgenlandes tiefstinnerlich empfunden, wenn er, gelegentlich der verzückten Physiognomien der Derwische bei deren eigenartig wirbelndem Tanze sagt:
»Was erblicken sie in den Visionen, die sie durchschauern? Die smaragdenen Wälder mit Rubinenfrüchten, die Berge von Weihrauch und Myrrhe, die diamantenen Kioske und die aus Perlen gewebten Zelte des Paradieses ihres Mohammed!«