Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Capitel.

Welches vorzüglich für Freund Van Mitten in sehr unerwarteter Weise endigt.

Während diese Probe ihren Fortgang nahm, hatte Keraban seinen Freund Van Mitten und Ahmet beiseite gezogen. Hier sprachen die Drei kurze Zeit mit einander, wobei der unverbesserliche Mann, uneingedenk seiner guten Vorsätze, nicht mehr seinen Kopf aufzusetzen, sich bemühte, den Andern seine Anschauungsweise und sein Verhalten als allein richtig aufzudrängen.

»Wahrlich, liebe Freunde, sagte er, dieser Hexenmeister scheint mir der allereinfältigste Schwachkopf zu sein.

– Warum? fragte der Holländer.

– Weil nichts den oder die Schuldigen – zum Beispiel uns – hindert, die Ziege nur scheinbar zu streicheln, indem wir mit der Hand längs ihres Rückens hingleiten, ohne diesen im Mindesten zu berühren. Wenigstens hätte der Richter diese alberne Probe bei voller Beleuchtung vornehmen sollen, um jede Ueberlistung auszuschließen. Aber im Dunklen ... das ist gar zu dumm!

– Ja, wirklich, stimmte Van Mitten bei.

– Ich werd's wenigstens so machen, fuhr Keraban fort, und ich kann Euch nur ernstlich rathen, dasselbe zu thun.

– O, lieber Onkel, bemerkte Ahmet, Du weißt doch ganz gut, daß dieses Thier, ob man ihm nun über den Rücken streicht oder nicht, bei einem Unschuldigen ebenso meckern kann, wie bei dem Schuldigen.

– Natürlich, Ahmet, doch da dieser Kauz von Richter so beschränkt ist, in solcher Weise eine Untersuchung vorzunehmen, bilde ich mir ein, weniger einfältig zu sein und werde sein Thier nicht anrühren. Euch aber bitte ich, desgleichen zu thun.

– Aber, lieber Onkel ...

– Ich verbitte mir jede Einwendung, unterbrach Keraban, schon etwas warm werdend, seinen unschlüssigen Neffen.

– Indessen ... wendete der Holländer ein.

– Van Mitten, wenn Sie so naiv wären, über den Rücken jener Ziege hinzustreichen, könnt' ich Ihnen das nimmer verzeihen!

– Gut; ich werde, um Ihnen gefällig zu sein, sie nicht streicheln, Freund Keraban! ... Uebrigens ist nicht viel dabei, da man es im Finstern so wie so nicht sehen kann.«

Die meisten Reisenden hatten inzwischen schon die Probe bestanden, ohne daß die Ziege Einen als schuldig bezeichnet hätte.

»Jetzt sind wir an der Reihe, Bruno, sagte Nizib.

– Herr Gott, sind diese Orientalen vernagelt, daß sie sich auf so ein Thier verlassen!« rief Bruno.

Einer nach dem Andern streichelten nun auch sie den Rücken der Ziege, die bei ihrer Berührung ebenso wenig wie bei der der andern Reisenden einen Laut von sich gab.

»Ah, es ist ja nichts mit Ihrer Ziege! rief die edle Sarabul dem Richter zu.

– Sollte das Ganze auf einen Scherz hinauslaufen? knurrte der Seigneur Yanar. Es sollte ihm übel ablaufen, mit Kurden seinen Spaß zu treiben.

– Geduld! antwortete der Richter, mit listigem Blinzeln die Hand erhebend; wenn die Ziege noch nicht gemeckert, so hat sie eben der Schuldige noch nicht berührt.

– Zum Teufel, jetzt sind nur wir allein noch übrig! murmelte Van Mitten, der ohne recht zu wissen warum, doch eine gewisse Unruhe durchblicken ließ.

– So sind wir an der Reihe, sagte Ahmet.

– Ja ... und zuerst ich!« antwortete Keraban.

Damit schritt er an seinem Freunde und an seinem Neffen vorüber.

»Rührt sie nicht an, gar nicht!« ermahnte er sie wiederholt mit leiser Stimme.

Dann streckte er die Hand über die Ziege aus und stellte sich so, als ob er ihr über den Rücken streiche, krümmte dieser dabei jedoch kein Härchen.

Die Ziege meckerte nicht.

»Nun, das giebt die beste Hoffnung,« meinte Ahmet.

Dem Beispiele seines Onkels folgend, berührte seine Hand kaum den Rücken der Ziege.

Diese gab noch immer keinen Laut von sich.

Jetzt kam die Reihe an den Holländer. Van Mitten sollte als der Letzte die von dem Richter angeordnete Probe bestehen. Er ging also auf das Thier zu, das ihn von unten her anzusehen schien; um seinem Freunde Keraban jedoch den Willen zu thun, begnügte auch er sich damit, seine Hand langsam dicht über dem Rücken der Ziege hinzuführen.

Die Ziege meckerte nicht!

Da schallte ein »Oh!« der Verwunderung und ein »Ah!« der Befriedigung durch den Kreis der Umstehenden.

»Offenbar ist Ihre Ziege ein erzdummes Thier! rief Yanar mit wahrer Donnerstimme.

– Sie hat den Schuldigen nicht erkannt! fügte die edle Kurdin hinzu, und doch ist dieser Schuldige noch hier, weil Niemand den Hofraum verlassen haben kann.

– Hm! brummte Keraban, ist dieser Richter mit seinem albernen Thiere nicht ein recht lächerlicher Kerl?

– Ja, wirklich! stimmte Van Mitten, über den Ausgang der Untersuchung jetzt ganz beruhigt, aufrichtig ein.

– Arme kleine Ziege! sagte Nedjeb zu ihrer Herrin, wird sie nun Strafe bekommen, da sie nichts entdeckt hat?«

Alle blickten jetzt auf den Richter, dessen munteres boshaftes Auge wie ein Karfunkel in der Dunkelheit glänzte.

»Und nun, Herr Richter, begann Keraban, in etwas sarkastischem Tone, nun, da Ihre Untersuchung zu Ende ist, liegt, mein' ich, kein weiteres Hinderniß vor, uns nach unseren Zimmern zurückzuziehen ...

– Das darf nicht geschehen! rief die Reisende erregt, nein, das darf nicht geschehen! Hier ist ein Verbrechen begangen worden ...

– O, Frau Kurdin! versetzte Keraban etwas spitzig, Sie werden anständige Leute hoffentlich nicht hindern wollen, zu schlafen, wenn sie das Bedürfniß fühlen.

– Sie schlagen da einen Ton an, Herr Türke ... rief sofort der Seigneur Yanar.

– Den Ton, der hier ganz an seiner Stelle ist, Herr Kurde!« entgegnete der Seigneur Keraban.

Scarpante, der schon glaubte, daß der von ihm geplante Schlag mißlungen sei, weil die Schuldigen unerkannt geblieben waren, sah mit Befriedigung, wie der Seigneur Keraban und der Seigneur Yanar mit einander in Streit geriethen. Daraus entstand vielleicht eine Verwicklung, die seinen Projecten Vorschub leistete.

In der That wurde der Wortwechsel der beiden Männer schnell hitziger, Keraban hätte sich eher verhaften und verurtheilen, als sich das letzte Wort nehmen lassen.

Ahmet wollte sich eben zur Unterstützung seines Onkels einmischen, als der Richter befehlerisch sagte:

»Alle in einen Kreis stellen! Schafft Lichter her!«

Meister Kidros, an den diese Worte gerichtet waren, beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen. Gleich darauf traten vier Diener der Caravanserai mit Fackeln ein, die den Hofraum hell erleuchteten.

»Jeder hebe die rechte Hand empor!« fuhr der Richter fort.

Sofort streckten sich alle rechten Hände in die Höhe.

Am Ballen und an den Fingern waren alle schwarz, alle – mit Ausnahme der des Seigneur Keraban, Ahmets und Van Mitten's.

Augenblicklich wies der Richter auf die drei Männer hin.

»Da sind die Schuldigen ... Da stehen sie! rief er.

– Hm! knurrte Keraban.

– Wir? ... rief der Holländer, noch ohne zu wissen, worauf jener diese Behauptung stützte.

– Ja! ... Diese da, fuhr der Richter fort. Ob sie nun fürchteten, von der Ziege verrathen zu werden oder nicht, macht nichts aus. Jedenfalls haben sie in ihrem Schuldbewußtsein, statt der Ziege über den mit schwarzer Farbe bestrichenen Rücken zu streichen, die Hände nur oberhalb desselben hingeführt und damit sich selbst angeklagt!«

Ein schmeichelhaftes – für den Scharfsinn des Richters höchst schmeichelhaftes – Gemurmel lief durch die Zuschauer, während der Seigneur Keraban und seine Begleiter etwas kleinmüthig die Köpfe hängen ließen.

»Das sind also, sagte der Seigneur Yanar, die drei Uebelthäter, welche vergangene Nacht sich erfrechten ...

– O, unterbrach ihn Ahmet, vergangene Nacht befanden wir uns noch zehn Lieues von der Caravanserai von Rissar!

– Wer bestätigt das? erwiderte der Richter. Jedenfalls liegt die Thatsache vor, daß Sie es waren, welche versuchten, in das Zimmer dieser edlen vornehmen Reisenden einzudringen!

– Zum Kuckuk, ja, rief Keraban, wüthend, sich in einer solchen Schlinge haben fangen zu lassen, ja! ... Wir sind in jenen Gang eingetreten. Doch das geschah nur aus Verwechslung der Thür – oder vielmehr in Folge des Irrthums eines der Dienstleute der Caravanserai.

– Wirklich! antwortete ironisch der Seigneur Yanar.

– Ganz gewiß! Uns war das Zimmer dieser Dame als das unsrige überwiesen worden ...

– Andern überwiesen! warf der Richter ein.

– Nun ja ... ertappt! sagte Bruno für sich, der Onkel, der Neffe und mein Herr obendrein!«

Trotz der gewöhnlich bewahrten würdevollen Haltung war der Seigneur Keraban jetzt doch ganz verblüfft und wurde es noch mehr, als der Richter, sich an Van Mitten, Ahmet und ihn wendend, sagte:

»Man führe sie in's Gefängniß!

– Ja ... in's Gefängniß!« wiederholte der Seigneur Yanar.

Gleich schrien auch alle Reisende, denen sich die Leute aus der Caravanserai anschlossen:

»In's Gefängniß! ... In's Gefängniß!«

Bei der Wendung, welche die Sache jetzt nahm, konnte sich Scarpante wegen seines boshaften Streiches nur Glück wünschen. Saßen der Seigneur Keraban, Van Mitten und Ahmet hinter Schloß und Riegel, so war die Reise unterbrochen, damit die Hochzeit verzögert, vorzüglich Amasia von ihrem Verlobten getrennt, gleichzeitig die Möglichkeit gegeben, unter günstigeren Verhältnissen zu handeln, und das Unternehmen von vorn anzufangen, das dem maltesischen Capitän mißlungen war.

Die Folgen dieses Abenteuers erwägend, wurde Ahmet bei dem Gedanken, von Amasia getrennt zu sein, auf seinen Onkel doch wirklich etwas böse. War es nicht der Seigneur Keraban, der sie durch eine neue Halsstarrigkeit in diese üble Lage gebracht hatte? Hatte er sie nicht abgehalten, ja, ihnen geradezu verboten, die Ziege zu streicheln, und das nur, um diesem alten Richter, der sich nun listiger als er erwiesen, einen Streich zu spielen? Wessen Fehler war es, daß sie sich in dieser, ihrer Einfalt gestellten Schlinge gefangen hatten, und jetzt bedroht waren, wenigstens für einige Tage in's Gefängniß zu wandern?

Auch der Seigneur Keraban grollte natürlich innerlich bei dem Gedanken an die kurze Zeit, die er zur Vollendung seiner Reise noch übrig hatte, wenn er am bestimmten Termine in Scutari eintreffen wollte, während doch, wenn er noch einmal irgendwie den Kopf aufsetzte, seinem Neffen ein ganzes Vermögen verloren gehen konnte.

Van Mitten lugte einmal nach rechts und einmal nach links, balancirte, sehr besorgt um die eigene Haut, von einem Beine zum andern, und wagte kaum die Augen gegen Bruno aufzuschlagen, der ihm immer die unheildrohenden Worte zu wiederholen schien:

»Sagt' ich's nicht vorher, Mynheer, daß Ihnen früher oder später noch ein Unglück zustoßen würde?«

Dagegen wendete er sich an Keraban mit dem höflichen und doch völlig verdienten Vorwurfe:

»Warum überredeten Sie uns aber auch, nicht mit der Hand über den Rücken jenes unschuldigen Thieres zu streichen?«

Zum ersten Male in seinem Leben wußte Keraban unmöglich eine Antwort zu geben.

Inzwischen schallten die Rufe »In's Gefängniß!« immer dringender, und natürlich genirte sich Scarpante gar nicht, womöglich noch lauter dabei einzustimmen.

»Ja, in's Gefängniß mit den Verbrechern! wiederholte der racheschnaubende Yanar, im Nothfalle bereit, dem Richter thatkräftige Hilfe zu leisten. Man schaffe sie in's Gefängniß! In's Gefängniß alle Drei!

– Ja ... alle Drei ... wenigstens wenn sich nicht Einer von ihnen selbst anklagt! antwortete die edle Sarabul, welche nicht wollte, daß zwei Schuldlose etwa für einen Schuldigen litten.

– Das ist nicht mehr als billig, setzte der Richter hinzu. Nun, wer von Ihnen hat versucht, in jenes Zimmer einzudringen?«

Einen Augenblick standen die drei Angeklagten unentschlossen da, aber das währte nicht lange.

Der Seigneur Keraban hatte den Richter ersucht, sich kurze Zeit mit seinen Genossen besprechen zu dürfen, was ihm zugestanden wurde; da nahm er Ahmet und Van Mitten zur Seite und sagte in jeden Widerspruch ausschließendem Tone:

»Meine Freunde, hier bleibt nur Eins zu thun übrig. Einer von uns muß die ganze Geschichte, die ja nicht besonders schlimm auslaufen kann, auf seine Schultern nehmen!«

Hier begann der Holländer, als beschliche ihn eine trübe Ahnung, die Ohren zu spitzen.

»Die Wahl kann übrigens, fuhr Keraban fort, gar nicht zweifelhaft sein. Die Anwesenheit Ahmets binnen kurzer Frist ist zur Abschließung seiner Vermählung in Scutari unbedingt nothwendig.

– Ja, lieber Onkel, ja freilich! bestätigte Ahmet.

– Die meinige natürlich gleichfalls, da ich als Vormund der Feierlichkeit beiwohnen muß.

– Wie? warf Van Mitten dazwischen.

– Es ist demnach, Freund Van Mitten, fuhr Keraban fort, meiner Ansicht nach kein Einwurf möglich. Sie müssen sich opfern.

– Ich? ... der ...?

– Sie müssen sich selbst anklagen! ... Was wagen Sie dabei? ... Einige Tage Haft? Kleinigkeit! ... Daraus werden wir Sie schon zu befreien wissen.

– Aber ... entgegnete Van Mitten, dem es vorkam, als ob man sehr willkürlich über seine Person verfügte.

– Lieber Herr Van Mitten, unterbrach ihn Ahmet, es muß sein! ... Ich bitte Sie im Namen Amasias darum! ... Wollen Sie ihre ganze Zukunft vernichtet sehen, wenn sie wegen verspäteten Eintreffens in Scutari ...

– Bester Herr Van Mitten! bat das junge Mädchen, welche herzugelaufen war und dieses Gespräch mit angehört hatte.

– Wie ... Sie verlangten? ... wiederholte Van Mitten.

– Hm! murmelte Bruno, recht wohl begreifend, was da vorging, noch eine neue Dummheit, zu der sie meinen Herrn bereden wollen.

– Herr Van Mitten! ... flehte Ahmet diesen an.

– Wohlan ... ein edler Entschluß!« drängte Keraban, ihm die Hand drückend, als wenn er sie zerbrechen wollte.

Unterdeß wurden die Rufe »In's Gefängniß! In's Gefängniß!« nur immer noch gebieterischer.

Der unglückliche Holländer wußte nicht, was er thun oder lassen sollte. Er sagte kopfnickend ja und dann wieder kopfschüttelnd nein.

Als aber die Leute der Caravanserai herantraten, um auf einen Wink des Richters die drei Schuldigen zu ergreifen, rief Van Mitten mit einer Stimme, aus der freilich nicht viel eigene Ueberzeugung sprach:

»Haltet ein! Haltet ein! Ich glaube doch, ich bin es gewesen, der ...

– Schön! brummte Bruno, da haben wir die Bescheerung!

– Fehlgeschossen! sagte Scarpante für sich, ohne eine heftige Bewegung des Aergers unterdrücken zu können.

– Sie sind es gewesen? fragte der Richter den Holländer.

– Ich! ... Ja ... ich!

– Guter Herr Van Mitten! flüsterte das junge Mädchen dem wackeren Manne in's Ohr.

– Ach, ja!« setzte Nedjeb hinzu.

Was that inzwischen die edle Sarabul? Nun, die intelligente Frau betrachtete, nicht ohne ein gewisses Interesse, den, der die Kühnheit gehabt hatte, sie überfallen zu wollen.

– Also Sie sind es, fragte der Seigneur Yanar, der es gewagt hat, in das Zimmer dieser edlen Kurdin einzudringen?

– Ja! ... bestätigte Van Mitten zögernd.

– Sie haben indeß nicht das Aussehen eines Diebes?

– Ein Dieb! ... Ich! ... Ein Kaufmann! Ich ... ein Holländer ... aus Rotterdam! Ah, ich verbitte mir das! rief Van Mitten, der gegenüber einer solchen Beschuldigung einen Aufschrei natürlicher Entrüstung nicht zu unterdrücken vermochte.

– Aber dann ... sagte Yanar.

– Dann, fiel ihm Sarabul in's Wort, dann war es meine Ehre, der Sie zu nahe zu treten wagten.

– Der Ehre einer Kurdin! donnerte der Seigneur Yanar, der schon die Hand an den Yatagan legte.

– Wahrlich, er ist gar nicht so übel, dieser Holländer! sagte die edle Reisende, sich ein wenig zierend.

– Ha, all' Ihr Blut wird nicht hinreichen, einen solchen Schimpf zu sühnen! fuhr Yanar fort.

– Bruder ... lieber Bruder!

– Wenn Sie sich weigern, das Unrecht wieder gut zu machen ...

– O weh! seufzte Ahmet.

– Sie heiraten entweder meine Schwester, oder andernfalls ...

– Beim Barte des Propheten! sagte Keraban für sich, da giebt's noch eine hübsche neue Verwicklung!

– Heiraten? ... Ich! ... Heiraten! ... wiederholte Van Mitten, die Arme gen Himmel erhebend.

– Sie schlagen das ab? fuhr ihn der Seigneur Yanar an.

– Ob ich es abschlage! ... Ob ich nein sage! ... antwortete Van Mitten, jetzt auf dem Gipfel des Entsetzens. Ich bin ja schon längst« ...

Van Mitten hatte nicht Zeit, den Satz zu vollenden. Der Seigneur Keraban packte ihn eben am Arme.

»Kein Wort mehr! raunte er ihm zu. Zustimmen! Es muß sein! ... Kein Zögern!

– Ich zustimmen? Ich ... ein Ehemann! ... Ich, erwiderte Van Mitten, ich ein Bigamist!

– Ach, in der Türkei kann man Bigamist, Trigamist, Quadrugamist sein! Das ist gesetzlich erlaubt! ... Schnell, sagen Sie ja!

– Aber? ...

– Heiraten Sie, Van Mitten, schlagen Sie ein! ... So brauchen Sie keine Stunde im Gefängniß zu sitzen. Wir setzen alle zusammen die Reise fort. In Scutari machen Sie sich heimlich aus dem Staube, und Gute Nacht dann, neue Frau Van Mitten!

– Diesmal, Freund Keraban, muthen Sie mir etwas schlechterdings Unmögliches zu, antwortete der Holländer.

– Es muß aber sein, oder Alles ist verloren!«

In diesem Augenblick sagte der Seigneur Yanar, der Van Mitten am rechten Arme ergriff:

»Es muß sein!

– Es muß sein! wiederholte Sarabul, während sie sich schon seines linken Armes bemächtigte.

– Weil's denn sein muß! stöhnte Van Mitten, den die Beine schon nicht mehr tragen wollten.

– Was, Mynheer, Sie wollten auch hierbei nachgeben? sagte Bruno sich nähernd.

– Sag' mir einen andern Ausweg, Bruno, murmelte Van Mitten so leise, daß man ihn kaum verstehen konnte.

– Nun auf, den Kopf in die Höhe! rief der Seigneur Yanar, während er den zukünftigen Schwager mit einem kurzen Stoße aufrichtete.

– Und gerade gehalten! setzte die edle Sarabul hinzu, indem sie den zukünftigen Gatten vollends erhob.

– So wie es sich für den Schwager ...

– Und für den Mann einer Kurdin ziemt!«

Van Mitten hatte sich unter dieser doppelten Nachhilfe schnell erhoben, aber sein Kopf schwankte noch immer, als säße er nur halb auf den Schultern.

»Eine Kurdin! murmelte er ... Ich ... ein Bürger von Rotterdam ... eine Kurdin heiraten!

– Fürchten Sie nichts! ... Eine Heirat zum Lachen! sagte ihm der Seigneur Keraban leise in's Ohr.

– Ueber solche Dinge ist nie zu lachen!« antwortete Van Mitten in so kläglich komischem Tone, daß seine Gefährten Mühe hatten, nicht schon darüber in helles Gelächter auszubrechen.

Nedjeb zeigte ihrer Herrin das jetzt viel heiterer aussehende Gesicht der Reisenden und sagte ganz heimlich:

»Ich möchte darauf wetten, daß das eine Wittwe ist, die nur einen Mann zu erhaschen sucht!

– Armer Herr Van Mitten! sagte Amasia.

– Acht Tage Gefängniß wären mir lieber gewesen, als acht Tage solcher Ehe!« meinte Bruno die Achseln zuckend.

Da wandte sich schon der Seigneur Yanar an die Umstehenden und erklärte mit lauter Stimme:

»Morgen werden wir in Trapezunt mit großer Feierlichkeit die Verlobung des Seigneur Van Mitten und der edlen Sarabul begehen!«

Bei dem Worte »Verlobung« hatten sich der Seigneur Keraban und seine Begleiter, vorzüglich aber Van Mitten gesagt, daß dieses Abenteuer noch gelinder abzulaufen verspräche, als sie wohl gefürchtet hätten.

Hier muß aber bemerkt werden, daß es nach kurdischer Sitte schon die Verlobung ist, welche den unlösbaren Knoten schürzt. Diese Ceremonie wäre also etwa der Civiltrauung bei verschiedenen europäischen Völkern zu vergleichen, und die, welche ihr nachfolgt, der kirchlichen Einsegnung, durch welche die Verbindung der beiden Gatten dann vollständig wird. In Kurdistan ist nach der Verlobung der Mann allerdings immer noch nichts weiter als Bräutigam, aber als solcher absolut an die erwählte Braut gebunden oder, wie im vorliegenden Falle an die, welche ihn erwählt hat.

Der Seigneur Yanar erklärte das auch pflichtschuldig und deutlich dem armen Van Mitten und endete mit den Worten:

»Verlobung also in Trapezunt!

– Und Trauung in Mossul!« setzte die edle Kurdin zärtlich hinzu.

Scarpante aber grollte, als er die Caravanserai, deren Thüren wieder geöffnet worden waren, verließ, für sich und murmelte die drohenden Worte:

»Die List ist fehlgeschlagen! ... Nun also zur Gewalt!«

Dann verschwand er, ohne weder vom Seigneur Keraban, noch von Jemand der Seinigen bemerkt worden zu sein.

»Armer Herr Van Mitten! wiederholte Ahmet, als er die niedergeschlagene Miene des Holländers wahrnahm.

– Sehr schön! rief Keraban, 's ist wahrlich zum Lachen! Bedeutunglose Verlobung! In zehn Tagen wird davon nicht mehr die Rede sein! Das hat nichts zu bedeuten!

– Zugegeben, lieber Onkel; doch zehn Tage lang mit dieser befehlshaberischen Kurdin verlobt zu sein, hat indeß etwas zu bedeuten.«

Fünf Minuten später war der Hof der Caravanserai von Rissar leer. Die Gäste hatten sich in ihre Zimmer zurückgezogen, um zu schlafen. Van Mitten freilich mußte sich gefallen lassen, von seinem schrecklichen Schwager bewacht zu werden, und endlich wurde es still auf diesem Schauplatz der Tragi-Komödie.


 << zurück weiter >>