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Neuntes Kapitel.
Am fünften Juni Abends

Während das Herrschaftshäuschen gebaut wurde, beschäftigte sich Joam Garral mit der Fertigstellung der Gesinderäume, wo auch die Küche und die Vorratskammern errichtet werden sollten.

Es wurde Sorge getroffen, für Vorräte aller Art. In erster Linie wurde eine beträchtliche Menge von den Wurzeln jenes sechs bis zehn Fuß hohen Strauches, der das Maniokmehl, das Hauptnahrungsmittel der Einwohner dieser Gegenden, liefert, gesammelt.

Diese Wurzel enthält einen langen schwarzen Rettich und kommt in Knollen wie die Kartoffel. Wenn sie auch in den afrikanischen Regionen nicht giftig ist, so steht doch fest, daß sie in Südamerika einen sehr schädlichen Saft enthält, der zuvor durch Auspressen beseitigt werden muß. Hierauf werden die Wurzeln zu einem Mehl zerrieben, das in verschiedener Art, selbst als Stärke, von den Eingeborenen verwendet wird.

Auf der Jangada war eine wahrhafte Niederlage von diesem nützlichen Produkt untergebracht, die für die allgemeine Ernährung bestimmt war.

Eine Herde Schafe war im Vorderteil der Jangada in einem besonderen Stall an Bord, und außerdem war an Fleischkonserven ein bestimmtes Quantum Presuntosschinken da, die in diesem Lande ganz ausgezeichnet sind. Außerdem rechnete man auf die Flinten der jungen Männer und einiger im Weidwerk bewanderten Indianer. An Wild würde es nicht fehlen – und sie würden noch weniger das Wild fehlen – auf den Inseln oder in den Wäldern an den Ufern des Amazonas.

Uebrigens mußte auch der Fluß reichlich den täglichen Bedarf decken: Krabben, die man schon eher Krebse nennen könnte; »Tambagus«, die besten Fische dieses ganzen Beckens, von feinerem Geschmacke als der Lachs, mit dem sie bisweilen verglichen worden sind; »Pira-rucus«, mit roten Schuppen, groß wie Störe, die eingesalzen in beträchtlichen Mengen durch ganz Brasilien versandt werden; »Candirus«, sehr gefährlich zu fangen, aber gut zu essen; »Piranhas« oder »Teufelsfische«, mit roten Streifen und 30 Zoll lang; kleine und große Schildkröten, die es zu Tausenden gibt und die in hervorragendem Maße den Eingeborenen zur Nahrung dienen – all diese Produkte des Stromes sollten hin und wieder auf den Mittagstisch der Herrschaft und der Diener kommen.

Jeden Tag sollten, wenn es anging, Jagd und Fischerei regelmäßig betrieben werden.

Von den verschiedenen Getränken waren die besten des Landes in reichlichem Vorrat da: »Caysuma« oder »Machachera« vom Ober- und Unterlauf des Amazonenstromes, ein angenehmes Getränk von säuerlichem Geschmack, das aus der gekochten Wurzel der süßen Maniok destilliert wird, brasilianisches »Beim«, eine Art Nationalschnaps, peruanisches »Chica«, das »Mazato« des Ucayali, das aus gekochten, gepreßten und ausgegorenen Bananen gewonnen wird, eine Art Pasta aus den Doppelkernen der » Paullinia sorbilis«, der Farbe nach richtige Schokoladentafeln, die zu Pulver zerrieben und in Wasser getan, ein ausgezeichnetes Getränk geben.

Und das war noch nicht alles. In diesen Gegenden gibt es eine Art dunkelvioletten Weines, der aus dem Saft der Assais-Palmen gemacht wird und den die Brasilianer wegen des aromatischen Geschmackes sehr schätzen. Auch war eine ansehnliche Zahl Frasken Die portugiesische »Fraske« enthält etwa zwei Liter. an Bord, die bei der Ankunft in Para ohne Zweifel leer sein würde.

Der besondere Keller der Jangada machte übrigens Benito Ehre, der sich selber zum Oberkellermeister ernannt hatte. Einige hundert Flaschen Xeres, Setubal, Porto erinnerten an Namen, die den ersten Eroberern Südamerikas teuer waren. Der jugendliche Küfer hatte auch einige Ballons von je 15 bis 25 Liter von dem ausgezeichneten Tafia – einem Zuckerbranntwein, der ein wenig schärfer im Geschmack ist als der Nationalschnaps »Beiju« untergebracht.

Der Tabak war nicht von jener groben Sorte, mit dem sich gewöhnlich die Eingeborenen am obern Amazonas begnügen. Er kam direkt aus Villa Bella da Imperatiz, das heißt aus der Gegend, wo der geschätzteste Tabak von ganz Zentralamerika geerntet wird.

So war also hinten auf der Jangada das Herrschaftshaus mit seinem Zubehör, Küche, Vorratskammern und Kellern errichtet worden – das Ganze bildete einen für die Familie Garral und ihre persönlichen Bediensteten reservierten Teil.

Gegen die Mitte hin wurden an erster Stelle einige Baracken errichtet, die den Indianern und Schwarzen als Wohnung dienen sollten. Dieses Personal sollte hier ebenso wohnen wie auf der Fazenda und dabei doch stets den Anordnungen des Lotsen zur Verfügung stehen.

Aber um dieses ganze Personal unterzubringen, war eine gewisse Anzahl von Behausungen erforderlich, die der Jangada das Aussehen einer kleinen Stadt auf dem Wasser gaben. Und in der Tat war diese Stadt besser gebaut und mehr bewohnt als die meisten Weiler am obern Amazonenstrom.

Für die Indianer ließ Joam Garral richtige Schutzdächer anbringen – eine Art Kajüten ohne Wände – deren Blätterdach von leichten Stämmen getragen wurde. Durch diese offnen Bauten ging die Luft frei und schaukelten die Hängematten, die innen aufgehängt waren. Hier wohnten die Eingebornen, unter denen einige Familien mit Frauen und Kindern waren, genau so wie zu Lande.

Die Schwarzen hatten auf dem Floß ihre gewohnten Ajupas. Diese unterschieden sich von den Schutzdächern darin, daß sie an allen vier Seiten hermetisch geschlossen waren und nur an einer sich ein Eingang in die Hütte befand. Die Indianer, die gewohnt waren, in freier Luft und voller Freiheit zu leben, hatten sich an diese kerkerartigen Ajupas nicht gewöhnen können, während sie der Lebensart der Schwarzen entsprachen.

Vorn endlich erhoben sich wahre Docks, in denen die Handelsartikel aufgestapelt waren, die Joam Garral gleichzeitig mit dem Holz nach Belem brachte.

In diesen großen Magazinen war unter Benitos Leitung die reiche Ladung in ebenso trefflicher Ordnung untergebracht worden, als wenn sie sorgfältig im Rumpfe eines Schiffes verstaut worden wäre.

Den kostbarsten Teil dieser Ladung bildeten 7000 Arroben spanisches Gewicht = etwa 25 Pfund; die portugiesische Arrobe gilt noch mehr, nämlich gegen 32 Pfund. Kautschuk, denn von diesem Produkt war das Pfund damals 3 bis 4 Francs wert. Die Jangada trug auch 50 Zentner Sarsaparille, jene Art Smilax, die einen wichtigen Bestandteil des Ausfuhrhandels im ganzen Amazonenbecken bildet und mehr und mehr an den Ufern des Stromes seltener wird, da die Eingebornen bei der Ernte mit den Stengeln sehr unachtsam verfahren. Tunkabohnen, die in Brasilien unter dem Namen Cumarus bekannt sind und zur Bereitung ätherischer Oele dienen; »Sassafras«, aus dem ein kostbarer Wundbalsam gemacht wird, Ballen von farbstoffhaltigen Pflanzen, Kisten verschiedener Gummis, und ein Quantum kostbares Holz vervollständigten diese Ladung, die in den Provinzen von Para leicht und mit hohem Gewinn verkäuflich war.

Vielleicht wird man sich darüber wundern, daß an Indianern und Schwarzen nur die Zahl mitgenommen wurde, die zur Führung der Jangada erforderlich war. Wäre es nicht angebracht gewesen, eine größere Zahl mitzunehmen, falls von seiten eines der am Ufer hausenden Völkerstämme ein Angriff oder Ueberfall sich ereignete?

Dies wäre unnütz gewesen. Die Eingeborenen von Zentralamerika sind nicht zu fürchten, und die Zeiten, wo man sich ernsthaft gegen ihre Angriffe schützen mußte, sind vorüber. Die Indianer an den Ufern zählen zu den friedlichsten Stämmen, und die wildern haben sich vor der Zivilisation, die längs des Stromes und seiner Zuflüsse allmählich vorschreitet, zurückgezogen. Höchstens wären Negerflüchtlinge oder entronnene Sträflinge aus den Strafkolonien Brasiliens, Englands, Hollands oder Frankreichs zu fürchten gewesen. Aber diese Flüchtlinge treten sehr vereinzelt auf und streifen nur in kleinen Gruppen in den Wäldern oder Savannen herum. Die Jangada hätte jeden Angriff von seiten dieser Waldläufer erfolgreich zurückschlagen können.

Außerdem gibt es viele Posten am Amazonas, viele Städte, Dörfer, Missionen. Nicht mehr durch eine Wüste fließt der riesige Wasserlauf, sondern durch ein Becken, dessen Kolonisation von Tag zu Tag sich entwickelt. Mit derartigen Gefahren war daher nicht zu rechnen.

Um die Beschreibung der Jangada zu beenden, brauchen nur noch zwei andersartige Einrichtungen genannt zu werden, die dem Floß ein malerisches Aussehen verliehen.

Vorn befand sich das Häuschen des Steuermanns. Wohlgemerkt, vorn, und nicht hinten, wo gewöhnlich der Platz des Steurers ist. In Wahrheit bedarf es bei dieser Art der Wasserfahrt nicht eines Steuerruders. Auf einen Zug von solcher Länge hätten lange Skulls gar keine Einwirkung gehabt, selbst wenn sie von hundert kräftigen Armen geführt worden wären. An den Seiten, mittels langer Stangen oder Stützen, die man gegen den Grund des Stromes stemmt, wird die Jangada im Strom gehalten oder wieder in den richtigen Kurs gebracht, wenn sie abtreibt. Auf diese Weise kann sie sich auch dem einen oder andern Ufer nähern, wenn aus irgend einem Grunde Halt gemacht werden soll. Einige Kähne und vollständig ausgerüstete Pirogen waren an Bord, mittels deren die Verbindung mit dem Ufer leicht hergestellt werden konnte. Die Aufgabe des Piloten bestand daher lediglich darin, die Strompassagen zu finden, die Stromabweichungen zu erkennen, Strudel zu vermeiden, Buchten, die günstige Anlegeplätze boten, aufzusuchen, und dazu mußte er seinen Platz vorn haben.

Wenn der Pilote der sachliche Lenker dieser riesigen Maschinerie war – konnte dieser Ausdruck nicht mit Recht angewendet werden? – so sollte eine andere Person der geistige Lenker sein: nämlich der Padre Passanha, das Haupt der Mission Iquitos.

Padre Passanha war 70 Jahre alt und ein wackrer Mann, ganz erfüllt von kirchlichem Eifer, ein mildtätiges, gutes Herz, und in diesem Lande, wo die Vertreter der Religion nicht immer ein Beispiel der Tugend geben, erschien er wie der vollendete Typus jener großen Missionare, die mitten in den wildesten Regionen der Welt so viel für die Zivilisation getan haben.

Seit 50 Jahren lebte Padre Passanha in Iquitos, in der Mission, deren Oberhaupt er war. Er war von allen geliebt und verdiente es. Die Familie Garral achtete ihn hoch. Er hatte die Tochter des Farmers Magalhaes und den jungen Mann, der in der Fazenda Aufnahme gefunden hatte, getraut. Er hatte ihre Kinder zur Welt kommen sehen, getauft, unterrichtet und hoffte auch ihnen noch den Ehesegen zu erteilen.

Padre Passanha war zu alt, um noch sein mühsames Amt auszuüben. Für ihn hatte die Stunde des Rücktritts geschlagen. Er sollte durch einen jüngern Missionar in Iquitos abgelöst werden, und er wollte nun nach Para zurückkehren, um in einem jener für die alten Diener Gottes errichteten Klöster seine Tage zu beschließen.

Konnte ihm nun ein besseres Anerbieten gemacht werden, als den Strom mit der Familie, die wie seine eigene war, hinabzufahren? Der Vorschlag war ihm gemacht worden, und er hatte es angenommen, die Fahrt mitzumachen, in Belem angekommen, sollte dann er das junge Paar, Manuel und Minha, trauen.

Aber wenn auch Padre Passanha während der Reise am Familientisch seinen Platz haben sollte, hatte Joam Garral auch für ihn eine besondere Wohnung bauen wollen, und mit großer Sorgfalt hatten Yaquita und ihre Tochter sie behaglich eingerichtet. Gewiß hatte der gute Prediger noch nie eine so gemütliche Wohnung gehabt wie diese bescheidene Pfarre.

Immerhin aber genügte die Pfarre für Padre Passanha nicht. Er wollte auch eine Kapelle haben.

In der Mitte der Jangada war daher eine Kapelle gebaut worden mit einem kleinen Glockenturm darüber.

Gewiß war sie sehr klein und hätte auch nicht alles Personal an Bord gefaßt, aber sie war reich verziert, und wenn Joam Garral auf diesem Floß genau so eingerichtet war wie zu Hause, so brauchte auch dem Padre Passanha der Tausch gegen seine ärmliche Kirche in Iquitos nicht leid zu tun.

So war der wunderbare Schleppzug beschaffen, der den ganzen Lauf des Amazonenstromes hinunterfahren sollte. Er lag da am Strande und wartete, daß der Fluß selber ihn flott machen würde. Nach den Berechnungen und Beobachtungen des Hochwassers konnte das nicht mehr lange dauern.

Am 5. Juni war alles fertig.

Am Tage zuvor war der Lotse angekommen, ein Mann von 50 Jahren. Er verstand seinen Beruf ausgezeichnet, trank aber gern. Joam Garral hielt trotzdem große Stücke auf ihn, da er schon mehrmals von ihm Flöße nach Belem hatte bringen lassen, ohne daß er es je zu bereuen gehabt hätte.

Uebrigens sah Araujo – so hieß er – immer am besten, wenn erst ein paar Glas von dem groben Tasia, der aus dem Zuckerrohr bereitet wird, ihm die Augen geklärt hatten. Er fuhr auch nie, ohne daß er einen Ballon voll solchen Schnapses mit sich nahm, dem er fleißig zusprach.

Schon seit mehreren Tagen stieg der Strom merklich. Mit jedem Augenblick ward das Niveau höher, und schon in den 24 Stunden, ehe das Maximum erreicht war, hatte das Wasser den Strand der Fazenda überflutet, allerdings noch nicht hoch genug, um das Floß zu heben.

Obwohl diese steigende Bewegung feststand und über die Höhe, die das Wasser gegenüber dem sonstigen Stande erreichen mußte, kein Zweifel möglich war, so sahen doch alle Beteiligten der Entscheidungsstunde mit Spannung entgegen. Wenn die Fluten des Amazonenstromes aus irgend einer unerklärlichen Ursache nicht hoch genug stiegen, um die Jangada flott zu machen, konnte die ganze riesige Arbeit in der Tat noch einmal gemacht werden. Da aber eine Abnahme des Hochwassers schnell vor sich geht, hätten Monate vergehen können, ehe wieder so günstige Umstände eingetreten wären.

Am 5. Juni abends waren daher die künftigen Passagiere der Jangada beieinander auf einem Plateau, das um etwa 100 Fuß den Strand überragte, und warteten mit wohl erklärlicher Beklommenheit auf die Stunde.

Hier befanden sich Yaquita, ihre Tochter, Manuel Valdez, Padre Passanha, Benito, Lina, Fragoso, Cybele und ein paar der in der Fazenda bediensteten Indianer und Schwarzen.

Fragoso vermochte nicht ruhig auf einem Fleck zu bleiben. Er lief hin und her, eilte zum Strand hinab, kam wieder zum Plateau hinauf, machte Merkpunkte und schrie laut Hurrah, wenn das Hochwasser diese Merkpunkte erreichte.

»Er wird flott, er wird flott,« rief er, »der Schleppzug, der uns nach Belem bringen soll, er wird flott, und sollten sich alle Schleusen des Himmels öffnen, den Amazonas zu schwellen.«

Joam Garral war mit dem Piloten und einer zahlreichen Mannschaft auf dem Floß. Er hatte die Aufgabe, alle notwendigen Maßregeln im Augenblick der Entscheidung zu treffen. Die Jangada war übrigens mit festen Tauen ans Ufer gebunden und konnte, wenn der Strom sie emporhob, nicht weggerissen werden.

Eine ganze Schar von 200 Indianern aus der Umgebung von Iquitos, die Bevölkerung des Städtchens selber nicht gerechnet, hatte sich eingefunden, um diesem interessanten Schauspiel beizuwohnen.

Alles sah zu, und tiefes Schweigen lag über der gespannten Menge.

Gegen 5 Uhr abends war das Wasser über einen Fuß höher als am Tage zuvor, und der Strand stand schon ganz unter Wasser.

Durch die Bretter des riesigen Floßes ging ein Beben, aber noch mußte das Wasser um ein paar Zoll steigen, wenn es ganz vom Boden emporgehoben werden sollte.

Eine Stunde lang steigerte sich dieses Beben. Auf allen Seiten knarrten die Bohlen. Nach und nach wurden die Stämme aus ihrem Sandbett emporgehoben.

Gegen ein halb sieben Uhr brach ein Freudengeschrei los. Die Jangada schwamm endlich, und die Strömung zog sie nach der Mitte hin, aber mit Hilfe ihrer Taue richtete sie sich ruhig dem Ufer entlang in gerader Linie aus, und der Padre Passanha gab ihr den Segen, wie man über ein Meerschiff, dessen Schicksal in Gottes Händen liegt, den Segen spricht.


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