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Freude herrschte in Joam Garrals Hause. Die großartige Fahrt auf dem Amazonas sollte in herrlicher Weise vollzogen werden. Nicht nur traten der Fazendero und die Seinen eine Reise von mehreren Monaten an, sondern es sollte auch, wie man sehen wird, ein Teil des Personals der Farm sie begleiten.
Als Joam Garral die ganze Welt um sich her glücklich sah, verließ ihn die Schwermut, die sein Leben zu trüben schien. Von diesem Tage an, wo sein Entschluß unerschütterlich feststand, war er ein anderer Mensch, und während er sich mit den Vorbereitungen zur Reise beschäftigte, zeigte er wieder seine alte Lebendigkeit. Für die Seinen war es eine lebhafte Genugtuung, ihn wieder bei der Arbeit zu sehen. Joam Garral wurde wieder der kraftvolle, gediegene Mann, der er in früherer Zeit gewesen war. Er zählte sich wieder als einen, der stets in der frischen, freien Luft, in der belebenden Atmosphäre der Wälder, Felder und Flüsse gelebt hatte.
Die wenigen Wochen bis zur Abreise sollten übrigens tüchtig ausgenutzt werden.
Wie schon erwähnt, befuhren damals noch keine jener zahlreichen Dampfer den Amazonas, obwohl einige Gesellschaften sich schon mit dem Gedanken trugen, auf dem Flusse und seinen Hauptnebenflüssen Dampferlinien einzurichten. Der Beförderungsdienst wurde nur durch Unternehmung auf eigene Rechnung besorgt, und größtenteils waren diese Fahrzeuge nur für den Bedarf einiger Niederlassungen am Ufer vorhanden.
Diese Fahrzeuge waren sogenannte »Ubas«, eine Art Pirogen, die aus einem mit Feuer und Axt ausgehöhlten Baumstamme gemacht waren; vorn spitz und leicht, hinten schwer und abgerundet, konnten sie einen bis zwölf Ruderer tragen und drei bis vier Tonnen Waren aufnehmen; ferner »Egaritas«, grob gefügt und breit gebaut, teilweis mit einem Blätterdach in der Mitte, das einen Gang für die Ruderer frei läßt; endlich »Jangadas«, eine Art unförmiger Flösse, die von einem dreieckigen Ruder getrieben werden und eine Strohhütte tragen, welchen dem Indianer und seiner Familie als schwimmende Wohnung dient.
Diese drei Arten Fahrzeuge bilden die kleine Flottille des Amazonenstroms und können nur in beschränktem Maße der Beförderung von Personen und Handelsgegenständen dienen.
Es gibt auch noch größere Fahrzeuge, »Vigilingas«, 8 bis 10 Tonnen messend, mit drei Masten und roten Segeln, bei ruhigem Wetter von vier langen Rudern fortbewegt, welche den Strom nur schwer überwinden; ferner »Cobertas«, bis zu 20 Tonnen messend, eine Art Dschunken mit einem Häuschen auf dem Hinterdeck und einer Innenkajüte, zwei Masten mit viereckigen, ungleichen Segeln und bei ungenügendem oder entgegengesetztem Winde von zehn Rudern bewegt, die von einem vorn angebrachten hohen Gestell aus von den Indianern geführt werden.
Aber diese verschiedenen Fahrzeuge konnten Joam Garral nicht gefallen. Als er sich zu dieser Fahrt den Amazonas hinunter entschloß, war es gleich sein Gedanke, mit dieser Reise einen riesigen Transport von Waren, die er nach Para zu liefern hatte, zu verbinden. Von diesem Gesichtspunkt aus kam es nicht so sehr darauf an, daß die Fahrt in kurzer Zeit beendet wurde. Er faßte daher einen Entschluß, der allen Wünschen gerecht werden mußte – ausgenommen vielleicht Manuels Wunsch, da dieser junge Mann ohne Zweifel, und wohl mit Recht, einem schnellen Dampfboot den Vorzug gegeben hätte.
Aber so primitiv und urwüchsig das von Joam Garral geplante Beförderungsmittel auch sein sollte, so konnte es doch eine zahlreiche Gesellschaft tragen und sich in größter Bequemlichkeit und Sicherheit der Strömung überlassen.
In der Tat würde es fast ganz so sein, als wenn die Fazenda von Iquito sich vom Ufer gelöst hätte und eine Partie den Amazonenstrom hinab machte, mit allem, was zur Familie eines Fazendero gehört, Herren und Dienern, in ihren Häusern, ihren Schutzdächern und ihren Hütten.
Die Niederlassung von Iquitos umfaßte in ihrem Besitztum einige der prachtvollen Wälder, die in jenem mittlern Teil Südamerikas förmlich unerschöpflich sind.
Joam Garral verstand sich vorzüglich auf die Behandlung dieser Wälder, die das verschiedenste und kostbarste Holz in reichem Bestande aufwiesen. Da es zu Tischlerarbeiten, zur Kunsttischlerei, zum Mastenbau, wie zur Zimmerei geeignetes Material lieferte, brachte ihm dieses Holz jährlich einen beträchtlichen Gewinn.
Ließen sich nun nicht auf dem Flusse die Erzeugnisse der Amazonenwälder sicherer und billiger befördern, als es mit der Eisenbahn hätte geschehen können? Jedes Jahr ließ Joam Garral einige hundert Bäume seines Bestandes fällen und bildete eines jener großen Holzflöße aus Pfosten, Planken und roh behauenen Stämmen, die dann unter der Führung geschickter Lotsen, die die Tiefe und Stromrichtung des Flusses genau kannten, nach Para gingen.
In diesem Jahre wollte nun Joam Garral wie in den verflossenen Jahren verfahren. Nur wollte er nach Herstellung des Floßes die Einzelheiten des großen Handelsunternehmens diesmal Benito überlassen. Aber es war keine Zeit zu verlieren. Der Anfang des Monats Juni war in der Tat die günstige Zeit zur Abreise, da der vom Hochwasser des obern Beckens stark gestiegene Strom bis zum Monat Oktober allmählich fällt.
Mit den ersten Arbeiten mußte daher unverzüglich begonnen werden, denn der Holzschleppzug sollte diesmal außergewöhnlich groß werden. Diesmal sollte ein Wald von einer halben Meile im Quadrat abgeschlagen werden, der am Zusammenfluß des Nanay und Amazonas lag, das heißt also eine ganze Ecke vom Ufer der Fazenda – und hieraus sollte ein Schleppzug gebaut werden, eine Jangada, die die Dimensionen einer kleinen Insel haben sollte.
Auf dieser Jangada, die sichrer war als irgend ein Fahrzeug des Landes und geräumiger als 100 Egaritas oder Vigilindas zusammen, wollte Joam Garral mit seiner Familie, seinem Personal und der Ladung den Strom befahren.
»Eine ausgezeichnete Idee!« rief Minha, sobald sie den Plan ihres Vaters vernahm, in die Hände klatschend.
»Ja,« setzte Yaquita hinzu, »und auf diese Weise werden wir ohne Gefahren und Strapazen nach Belem kommen.«
»Und während jedes Aufenthalts können wir in den Wäldern am Ufer jagen,« ergänzte Benito.
»Das wird vielleicht ein bißchen lange dauern,« bemerkte Manuel: »wäre es nicht am Ende besser, ein schnelleres Beförderungsmittel zu wählen?«
Lange würde es sicherlich dauern: aber der interessierte Einwand des jungen Mediziners wurde von niemand unterstützt.
Joam Garral ließ nun einen Indianer kommen, den ersten Verwalter der Fazenda.
»In einem Monat,« sagte er zu ihm, »muß die Jangada in Stand und zur Fahrt fertig sein.«
»Heute noch, Signor Garral, wird mit der Arbeit begonnen,« antwortete der Indianer.
Es war eine schwere Arbeit. Hundert Indianer und Schwarze entfalteten in diesen ersten 15 Tagen des Monats einen wunderbaren Eifer. Vielleicht hätten einige brave Leute, die an diese Massenschläge von Holz nicht gewöhnt waren, geseufzt beim Anblick dieser gefällten Riesen, die Jahrhunderte alt waren und nun in zwei bis drei Stunden unterm Beil der Fäller zusammenbrachen. Aber es stand Holz und wieder Holz am Ufer, vorn und hinten, auf den Inseln, bis zu den fernsten Inseln des Horizontes an beiden Ufern, und die Abholzung dieser halben Meile Wald verursachte nicht einmal eine merkliche Lücke.
Nachdem der Verwalter und seine Leute ihre Weisungen von Joam Garral erhalten hatten, hatten sie zuerst den Boden von Schlingpflanzen, Gestrüpp, Kraut und Gesträuch gesäubert, die ihn dicht bewucherten. Ehe sie zu Säge und Beil griffen, nahmen sie die sogenannten »Abatis« zur Hand, jene Werkzeuge, die keiner entbehren kann, wenn er in die Urwälder am Amazonas dringen will. Dies sind große Klingen, ein wenig krumm, breit und flach, zwei bis drei Fuß lang mit festem Handgriff. Die Eingeborenen handhaben sie mit großer Geschicklichkeit. In wenigen Stunden haben sie mit Hilfe dieser Klingen den Boden gesäubert, das Unterholz weggeschnitten und große Löcher in das dichteste Gestrüpp geschlagen.
So auch hier. Vor den Holzfällern der Farm verschwand alles Dickicht. Die alten Stämme ließen ihre Hüllen von Schlingpflanzen, Kakteen, Moos und Bromelien fallen. Ihre Rinde trat nackt hervor, des Messers harrend, das sie bald vom lebenden Stamme trennen sollte.
Dann schwang sich diese ganze Schar von Arbeitern in die Wipfel, sägte die starken Aeste ab und beraubte den Baum des oberen Gezweigs, das an Ort und Stelle verbraucht werden sollte. Ganze Herden von Affen flüchteten vor ihnen, an Behendigkeit ihnen kaum überlegen. Bald war von dem der Art verfallenen Walde nichts weiter übrig, als die langen altersgrauen, der Kronen beraubten Stämme, und mit der Luft gelangte nun auch der Sonnenschein bis zu dem feuchten Boden, den er vorher wohl nie beschienen hatte.
Unter all diesen Bäumen war nicht einer, der sich nicht irgendwie zu Zimmerei oder Tischlerei hätte verarbeiten lassen. Hier wuchsen gleich elfenbeinernen Säulen mit braunen Ringen einige jener 120 Fuß hohen und am Fuße vier Fuß breiten Wachspalmen, die ein äußerst festes, hartes Holz liefern; hier waren Kastanien von sehr widerstandsfähigem Splint, die dreieckige Nüsse tragen; »Murichis«, die als Bauholz sehr gesucht sind, »Barrigudos«, an der wenige Fuß über der Erde ausgebauchten Stelle zwei Klafter im Umfang, Bäume von rötlicher, glänzender Rinde mit grauen Knoten: weißstämmige Bombax, glatt und schlank, von stolzem Wuchs. Neben diesen prächtigen Repräsentanten der Flora des Amazonengebietes fielen auch »Quatibos«, deren rosafarbener Wipfel alle umstehenden Bäume überragt und die Früchte von der Form kleiner Vasen tragen, in denen kleine Reihen von Kastanien liegen. Ihr hellviolettes Holz ist zum Schiffbau besonders begehrt. Ferner Eisenbäume und vor allem die »Ibiriratea« von fast schwarzem Holze, deren Gefüge so fest ist, daß die Indianer ihre Streitäxte daraus anfertigen: »Jacarandas«, kostbarer als Mahagoni: »Caesalpinas«, die nur in den Tiefen jener uralten Wälder zu finden sind, die das Beil des Fällers noch nicht kennen gelernt hatten: »Sapucaias« von 150 Fuß Höhe, von natürlichen Gewölben gestützt, die drei Meter vom Fuß von ihnen ausgehen, in dreißig Fuß Höhe sich wieder mit ihnen zusammenschließen.
Drei Wochen nach Beginn der Arbeiten stand von all den Bäumen, die die Ecke zwischen dem Nanay und dem Amazonas geziert hatten, keiner mehr. Die Abholzung war vollendet. Joam Garral brauchte sich nicht einmal mehr um die Bewirtschaftung eines Waldbodens zu bekümmern, der in 20 bis 30 Jahren wieder gut bestanden sein konnte. Der Wald war dem Erdboden gleich gemacht, und ein kahler Fleck war jetzt hier.
Diese vom Wasser des Stromes und seines Nebenflusses bespülte Quadratmeile sollte nun urbar gemacht, bearbeitet, bepflanzt und besät werden, und im folgenden Jahre sollten Felder von Manioc, Kaffee, Zuckerrohr, Pfeilwurzel, Mais, Erdnüssen den Boden bedecken, den bisher ein reicher Wald beschattet hatte.
In der letzten Woche des Monats Mai waren alle Stämme nach ihrer Art und Schwimmbarkeit gesondert und symmetrisch am Ufer des Amazonas geordnet. Hier sollte die riesige Jangada gebaut werden, die mit den verschiedenen für die Unterkunft der Reisenden erforderlichen Behausungen ein wirklich schwimmendes Dorf bildete. Zur bestimmten Stunde würde der vom Hochwasser angeschwollene Strom sie emporheben und Hunderte von Meilen weit bis zum Gestade des Atlantischen Ozeans tragen.
Solange diese Arbeiten dauerten, war Joam Garral vollauf dabei. Er hatte sie selber geleitet, zuerst an der Abholzstelle, dann an der Grenze der Fazenda, wo ein langer Strand sich hinzog, auf welchem die Teile des Floßes zusammengesetzt wurden.
Yaquita besorgte mit Cybele alle Vorbereitungen zur Reise, obwohl die alte Negerin nicht begriff, daß die Leute wegfahren wollten, wo sich hier doch alle so wohl fühlten.
»Aber du wirst Dinge sehen, die du noch nie gesehen hast!« sagte Yaquita immer wieder zu ihr.
»Sind sie ebenso gut und schön wie die, die wir zu sehen gewöhnt sind?« entgegnete immer wieder Cybele.
Minha und ihre »Favoritin« dachten ihrerseits an das, was sie vor allem anging. Für sie handelte es sich nicht um eine einfache Reise: es war ein endgiltiger Abschied, es waren die tausend einzelnen Bestandteile einer Einrichtung für ein anderes Land herzustellen, wo die junge Mulattin bei ihrer so innig geliebten Herrin bleiben sollte. Minhas Herz war freilich ein wenig schwer, aber die lustige Lina machte sich keine Kopfschmerzen darüber, daß sie von Iquitos weg sollte. Bei Minha Valdez blieb sie ja dasselbe, was sie bei Minha Garral war. Wenn sie nicht mehr hätte lachen sollen, hätte man sie von ihrer Herrin trennen müssen – was ganz ausgeschlossen war.
Benito hatte seinen Vater bei den eben beendeten Arbeiten fleißig unterstützt. In dieser Weise war er als Fazendero in der Lehre; denn eines Tages sollte er ja auch in diesen Beruf eintreten. So sollte auch für seine künftige Tüchtigkeit als Handelsherr die Stromfahrt eine Lehre sein.
Manuel war bald in dem Hause, wo Yaquita und ihre Tochter keine Stunde ungenützt vorbeiließen, bald auf dem Abholzgelände, wohin ihn Benito öfter, als ihm lieb war, mitnehmen wollte: aber öfter blieb er doch im Hause, was ja sehr begreiflich war.